FormalPara Zusammenfassung

Die sektorengleiche Versorgung in Deutschland hat trotz langjähriger Diskussionen und Gutachten zur Erweiterung des ambulanten Operierens sowie Krankenhausreformen keine substantielle Veränderung erfahren. Dies steht im Widerspruch zu den international vergleichbaren medizinischen Möglichkeiten, verwehrt Patientinnen und Patienten eine Behandlungsqualität nach Status Quo und verstößt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des SGB V. In den Jahren 2022 und 2023 hat die Thematik wieder verstärkte Aufmerksamkeit der politischen Akteure und Entscheidungsträger im Gesundheitssektor erlangt, insbesondere im Zusammenhang mit der anvisierten Umsetzung einer sektorengleichen Pauschale gemäß § 115f SGB V sowie der Ausarbeitung eines Referentenentwurfs zu jenem Anliegen. Dennoch bleibt die Frage nach den potenziellen Auswirkungen und Veränderungen, die sich aus diesen Maßnahmen ergeben könnten, weiterhin Gegenstand der Diskussion. Das in diesem Beitrag thematisierte Wiesbadener Modell zur sektorengleichen Versorgung und Vergütung zeigt auf, wie eine umfassende Veränderung implementiert werden könnte, welche Leistungen sich initial hierfür eignen und welche konkreten Versorgungspotenziale sich daraus ergeben.

Despite many years of discussions and expert opinions on the expansion of outpatient surgery and hospital reforms, sector-specific care in Germany has not undergone any substantial change. This is at odds with internationally comparable medical options, denies patients treatment quality according to the status quo and violates the economic efficiency requirement of SGB V. In 2022 and 2023, the issue has once again attracted increased attention from political players and decision-makers in the healthcare sector, particularly in connection with the planned implementation of a sector-specific flat rate payment in accordance with Section 115f SGB V and the preparation of a draft bill on this matter. Nevertheless, the question of the potential effects and changes that could result from these measures is still widely discussed. The Wiesbaden model for sector-equivalent health care and remuneration discussed in this article shows how a comprehensive reform could be implemented, which services are initially suitable in this regard and which specific health care potentials would result from such a reform.

1 Entwicklung einer sektorengleichen Versorgungspauschale am Beispiel Orthopädie und Unfallchirurgie

In Deutschland hat sich die sektorengleiche Versorgungslandschaft auch weit über ein Jahr nach der Veröffentlichung umfangreicher Gutachten zur Erweiterung des ambulanten Operierens nicht substanziell verändert. Das Land zementiert die Zahlen entsprechend OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und bleibt damit zunehmend hinter den medizinischen Möglichkeiten zurück (OECD 2018). Obwohl das Potenzial für eine sektorengleiche Leistungserbringung bereits Anfang der 90er-Jahre erkannt und im Rahmen des ambulanten Operierens mit der Einführung des § 115b SGB V gesetzlich verankert wurde, hat der Ausbau dieses Bereichs in den letzten Jahren deutlich stagniert (Schreyögg und Milstein 2021; Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2022). Die Entscheidungsträger vergeben damit weiterhin ein nennenswertes Ambulantisierungspotenzial, verwehren den Patientinnen und Patienten eine bedarfsgerechte Versorgung und verstoßen nicht zuletzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 12 SGB V.

Bestrebungen innerhalb der Krankenhausreform sowie die fortschreitende Verankerung einer speziellen sektorengleichen Vergütung (Hybrid-DRG) gemäß § 115f SGB V können als Signale der Ampel-Koalition im Kontext der Fortentwicklung der ambulanten und sektorengleichen Versorgung gedeutet werden. Die vergebliche Konsenssuche der Selbstverwaltung nach einer zukunftsweisenden Regelung zu den Hybrid-DRGs Anfang 2023 führte allerdings zunächst dazu, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie das von dort beauftragte Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) selbst in Gestalt einer Rechtsverordnung als Ersatzvornahme tätig wurden. Schließlich unterbreitete das BMG Ende September 2023 einen Vorschlag für eine erste Rechtsverordnung zur Einführung einer sektorengleichen Vergütung ab dem Jahr 2024 (BMG 2023). Der dort aufgeführte Startkatalog der Hybrid-DRGs erweist sich in seiner Substanz zunächst jedoch als wenig umfangreich, die Bemessung der Pauschalen kann nicht eindeutig nachvollzogen und als zweifelhaft für einen tatsächlichen Verlagerungsansatz betrachtet werden. Ob und insbesondere in welchem Umfang angestrebte Veränderungen tatsächlich eintreten werden, bleibt entsprechend einstweilen offen.

Das in diesem Beitrag thematisierte Wiesbadener Modell zur sektorengleichen Versorgung und Vergütung zeigt am Beispiel des großen Bereichs der Orthopädie und Unfallchirurgie (OuU) auf, wie eine substanzielle Veränderung implementiert werden könnte, welche Leistungen sich zunächst für eine sektorengleiche Leistungserbringung eignen, in welcher Höhe entsprechende Pauschalen angesetzt werden sollten und nicht zuletzt welche erheblichen Versorgungspotenziale sich daraus ergeben (Arnegger et al. 2023a; Arnegger et al. 2023b). Zur Entwicklung des Modells und zur Berechnung der sektorengleichen Pauschale wurden umfangreiche Datensätze, die auf den bundesweiten Fallmengen aus dem Bereich OuU basieren, sowie aktuelle Vergütungssätze aus dem stationären und niedergelassenen Bereich herangezogen.

Ziel dieser Ausarbeitung ist zudem die erstmalige Analyse konkreter monetärer Effekte einer etablierten sektorengleichen Versorgung und Vergütung mit einer einheitlichen sektorengleichen Vergütungspauschale (SV-Pauschale). Dabei wird zunächst die Herangehensweise einer substanziellen Verankerung sektorengleicher Operationen und Eingriffe initial primär für den Bereich OuU aufgezeigt. Der konkrete Anwendungsfall simuliert darauf aufbauend die finanziellen Auswirkungen einer konsequenten Einführung einer SV-Pauschale für hessische Krankenhäuser und leitet daraus gesundheitspolitische Empfehlungen ab. Für diese Analyse wurden konkrete Leistungsdaten sowohl aus dem stationären Sektor, basierend auf den InEK-Abrechnungsdaten, als auch zum ambulanten Operieren aller Kliniken in Hessen verwendet. Dadurch war es erstmals möglich zu simulieren, wie die Einführung einer SV-Pauschale die Entwicklung der Vergütungssituationen dieser Einrichtungen beeinflussen könnte.

2 Das Wiesbadener Modell zur speziellen sektorengleichen Versorgung und Vergütung

2.1 Kalkulation einer sektorengleichen Versorgungspauschale (SV-Pauschale)

In Zusammenarbeit mit ärztlichen und gesundheitsökonomischen Expertinnen und Experten sowie unter Berücksichtigung der Entwicklung des § 115f SGB V wurde im Rahmen der Ausarbeitung ein umfassendes sektorengleiches Vergütungsmodell entwickelt. Initial für den Bereich OuU sowie im Laufe des Prozesses erweitert um den Bereich der Hernien-Operationen wurden Operationen und Eingriffe aus 13 Diagnosis Related Groups (DRG; vgl. Table 13.1) ausgewählt, die als prinzipiell für eine Ambulantisierung geeignet angesehen werden. Die im Folgenden beschriebene Methodik ist grundsätzlich auch für weitere operative Versorgungsbereiche anwendbar und bietet das Potenzial, perspektivisch gesamte Behandlungsschwerpunkte aus der stationären Abrechenbarkeit herauszulösen.

Tab. 13.1 Ambulantisierbare Behandlungsschwerpunkte aus Orthopädie und Unfallchirurgie/Hernien

Auf Basis der Vorgaben des § 115f SGB V wurden im Rahmen der Modellentwicklung Leistungen ausgewählt, die die folgenden Merkmale erfüllen: hohes stationäres Fallvolumen, geringer medizinischer Schweregrad und kurze vollstationäre Verweildauer im Krankenhaus. Hierdurch konnten die folgenden 13 Leistungsbereiche für OuU (aus MDC08Footnote 1) und Hernien (aus MDC06) identifiziert werden (vgl. Table 13.1).

Für diese DRGs wurden die entsprechenden Operationen-Prozeduren-Schlüssel (OPS) verifiziert. Initial wurde aus einzelnen DRGs der höheren Stufe, z. B. I18A, I23B oder I29B, zunächst eine Teilmenge bestimmter Operationen und Eingriffe ausgewählt. Es ergab sich eine OPS-Liste von rund 700 ambulantisierbaren Leistungen.Footnote 2

Die Ermittlung der DRG-zugehörigen OPS erfolgte auf Basis eines DRG-WebgroupersFootnote 3 sowie der Handbücher des InEK. Die dementsprechend den DRG direkt zuordenbaren OPS wurden mit dem Grouper und einer für die MDC08 relevanten Hauptdiagnose (z. B. M20.1 – Hallux valgus) einzeln überprüft. Auf diese Weise konnte die Liste der die DRG auslösenden OPS entsprechend Fig. 13.1 validiert werden. Da Operationen oder Eingriffe häufig auch mit anderen OPS, ICD oder Kontextfaktoren einhergehen (z. B. höherer Patient Clinical Complexity Level, PCCL), zeigt die Grouper-Herangehensweise eine Auswahl sektorengleicher Versorgung und Vergütung innerhalb der DRG möglichst verlässlich auf. Sie steuert abhängig von Zusatzfaktoren ggf. höhere Komplexitätsebenen der DRG-Systematik an (vgl. Fig. 13.1). Eine solche OPS würde sodann nicht Teil der OPS-Liste für ambulante Eingriffe und Operationen werden.

Abb. 13.1
figure 1

Auswahl der OPS-Listen anhand der InEK-Zuordnungsstruktur. (Eigene Darstellung)

Der aktuelle Ambulantisierungsgrad wurde anhand der bundesweiten Fallmengen im stationären und ambulanten Bereich inklusive der ambulanten Operationen im Krankenhaus ermittelt. Die stationären Fallzahlen (Datenjahr 2019) sowie die Vergütung für das jeweils aktuellste Jahr wurden über das InEKFootnote 4 erfasst. Im Bereich des ambulanten Operierens (AOP) wurden die Fallmengen im Krankenhaus (Datenjahr 2019) für eine initiale Auswahl an OPS (exkl. Hernien sowie eines vereinzelt weiterentwickelten OPS-ListenumfangsFootnote 5) bei der AOK Baden-Württemberg (mit ca. 4,5 Mio. Versicherten und einem beständigen Patientenklientel) angefragt und auf die Gesamtbevölkerung kalkuliert. Für den ambulanten Sektor wurden Falldaten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi; Datenjahr 2019) herangezogen. Das Abrechnungsvolumen konnte in beiden Bereichen über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) Anhang 2 (jeweils aktuelle Fassung) berechnet werden. Die Honorarwerte wurden gestaffelt nach den im EBM-Anhang 2Footnote 6 (2023) vorgesehenen OP-Kategorien differenziert.

Um zu ermitteln, inwieweit die gewählten Leistungen bereits derzeit in einem ambulanten Setting erbracht werden, wurden die EBM- und AOP-Fälle in Relation zu der Gesamtzahl der Abrechnungsfälle gesetzt. Die Ermittlung dieses Grades ambulanter Eingriffe kann grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen erfolgen. Eine möglichst präzise Zuordnung ermöglicht eine Betrachtung nach individuellen OPS-Ziffern. Hierfür wurden in der vorliegenden Arbeit möglichst die Fallmengen der TOP-20-OPS einer DRG einzeln oder gebündelt nach OP-Kategorien im EBM betrachtet. Letztlich wurde auf die ärztliche Experteneinschätzung zurückgegriffen und analog zum Referentenentwurf (BMG 2023) eine Bemessung auf DRG-Ebene gewählt. Eine Differenzierung auf OPS-Ebene wurde zwar als präziser erachtet, ausreichend Substanz konnte jedoch nur über die Durchschnittswerte auf DRG-Ebene abgebildet werden.

Der entsprechend ermittelte Ambulantisierungsgrad bildet die Grundlage für die Gewichtung der originären SV-Pauschale. Basis dieser Berechnung bilden die Vergütungen im niedergelassenen und stationären Sektor. Für die DRG wurde die Vergütung bei durchschnittlicher Verweildauer abzüglich der Kosten für Implantate gemäß InEK-Sachkosten im Datenjahr 2023 herangezogen. Die EBM-Vergütung bezieht sich auf den EBM-Grundpreis gemäß EBM-Anhang 2 (2023) und beinhaltet einen pauschalen Sachkostenzuschlag im Bereich der Arthroskopie sowie eine geschätzte Berücksichtigung des Sprechstundenbedarfs.Footnote 7 Zur Ermittlung der SV-Pauschale wurde der jeweilige EBM-Vergütungssatz mit dem Ambulatisierungsgrad, die DRG-Vergütung mit dem Kehrwert des Ambulantisierungsgrades (Grad der stationären Behandlung) multipliziert (vgl. Fig. 13.2). Die Summe beider Werte bildet eine SV-Pauschale, die analog der jeweiligen EBM-Vergütung nach der OP-Kategorie differenziert ist. Diese Differenzierung ist ein wichtiger Bestandteil der Berechnung, da somit effektiv die Komplexität eines Eingriffs abgebildet werden kann.

Abb. 13.2
figure 2

Beispielhafte Berechnung einer SV-Pauschale. (Eigene Darstellung)

2.2 Simulation einer sektorengleichen Vergütung am Beispiel hessischer Krankenhäuser

Um das mögliche sektorengleiche Leistungsgeschehen und die vorhandenen Ambulantisierungspotenziale genauer zu bestimmen, wurde anhand der ermittelten sektorengleichen Vergütung der konkrete Anwendungsfall für alle Krankenhäuser in Hessen simuliert. Dieser demonstriert die Auswirkungen einer konsequenten Umsetzung einer sektorengleichen Pauschale am Beispiel OuU sowie Hernien-Operationen. Für diese Simulation wurden Daten aus den strukturierten Qualitätsberichten der gemäß § 136b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V zur Abgabe verpflichteten Krankenhäuser (Basis von 2019Footnote 8) – aufbereitet durch die Onlineplattform reimbursement.INFOFootnote 9 – herangezogen. Diese Daten weisen bezüglich Vollständigkeit und Zeitversatz, aber auch Dokumentations- und Kodierqualität Limitationen auf. Darauf soll bei grundsätzlicher Eignung des Datensatzes für diesen Forschungszweck hingewiesen sein. Sämtliche OPS-Ziffern (N = 672) der Liste ambulantisierbarer Leistungen wurden für die Analyse herangezogen. Die resultierende Rohdatenliste ermöglichte eine umfassende Identifikation derjenigen Krankenhäuser in Hessen, die die ausgewählten medizinischen Verfahren im Erhebungszeitraum abrechneten.

Es ist zu beachten, dass die Rohdaten zwar einerseits (Mehrfach-)Nennungen der OPS-Codes enthalten, jedoch andererseits keine klaren Angaben zur zugrunde liegenden Fallzahl. Dieser Effekt wurde durch den Vergleich von OPS-Einfach- zu OPS-Mehrfachnennungen aus den Patientenfalldaten des Statistischen Bundesamtes (InEK Datensatz) auf Bundesebene getestet. War diese Differenz erheblich, wurde die auf Landesebene erhobene Anzahl der Prozeduren (Nennungen) prozentual nach unten korrigiert, um sich auf diesem Wege der DRG-Fallmengen anzunähern. Diese Bereinigung stützte sich auf eine Methode, bei der die Abweichung zwischen Einzel- und Mehrfachkodierungen in der PatientenanalyseFootnote 10 als signifikant erachtetet wurde, sobald die Differenz mehr als 5 % betrug. Im Weiteren wird das auf Bundesebene evaluierte Verhältnis von Einfach- zu Mehrfachnennungen als für Hessen äquivalent angenommen. Eine vollständige Bereinigung konnte durch diese Methode nicht erreicht werden. Die auf Fallzahlen basierende Kalkulation beruht daher auch auf einem Rest nicht-bereinigungsfähiger OPS-Mehrfachnennungen.

Für die Analyse wurden die hessischen Krankenhäuser ferner in die Kategorien „Land“, „Stadt“ und „Einzugsgebiet Stadt“ normativ eingeteilt.Footnote 11 Zusätzlich wurden die Krankenhäuser nach der Anzahl der Betten (weniger als 50 Betten, 50–99 Betten, 100–149 Betten, 150–199 Betten, 200–399 Betten, 400–599 Betten, mehr als 600 Betten) kategorisiert. Diese Kategorisierung ermöglichte einen klaren Vergleich des stationären und ambulanten Leistungsgeschehens in Krankenhäusern unterschiedlicher Größenordnungen.

Im letzten Schritt der Datenerhebung, der dem Vergleich des Leistungsvolumens des ambulantisierbaren Anteils am Gesamtvolumen der Leistungen im Bereich OuU dient, wurden die Fallzahlen und die Erlöse für alle DRGs innerhalb der MDC08 ermittelt.

2.3 Ergebnisse der Hessen-Simulation

Im Datenjahr 2019 wurden die im Rahmen des Wiesbadener Modells ausgewählten Prozeduren aus OuU insgesamt rund 60.000 mal in stationären Einrichtungen hessischer Krankenhäuser durchgeführt. Das entspricht einem Volumen von 4 % der Zahl der erbrachten stationären Fälle im Gesamtbereich OuU (MDC08). Damit bleibt der Anspruch erfüllt, initial einen angemessenen, aber eher überschaubaren Leistungsumfang umzusteuern.

Differenziert auf die einzelnen Häuserkategorien lassen sich hierbei erhebliche Unterschiede verorten. In Einrichtungen mit einer Kapazität von weniger als 50 Betten liegt der Anteil der potenziell ambulantisierbaren Fälle bei über 10 % aller erbrachten Leistungen aus dem Bereich MDC08. Mit zunehmender Größe der Einrichtung nimmt der Anteil der Fälle, die den Vorgaben des Wiesbadener Modells entsprechen, ab (vgl. Fig. 13.3). Dies könnte einerseits auf ein insgesamt größeres Fallvolumen sowie die Erbringung komplexerer Fälle in größeren Kliniken – insbesondere in Universitätskliniken – zurückzuführen sein. Andererseits finden sich den Analysen entsprechend unter den eher kleinen Häusern auch Fachkliniken mit höherer Falldichte.

Abb. 13.3
figure 3

Anteil ambulantisierbarer Fälle aus OuU an MDC08 (eigene Darstellung)

Das Gesamtvolumen der stationären Erlöse in hessischen Kliniken aus den OuU-Leistungen des Wiesbadener Modells summiert sich auf rund 180 Mio. €. Es eröffnet sich damit ein nennenswertes Verlagerungspotenzial, auch bei initial begrenzter Anzahl ambulantisierbarer Leistungen. Im Bereich des ambulanten Operierens (OuU) wurden im Jahr 2019 in Hessen rund 14.000 Prozeduren mit einem Gesamtvolumen von etwa zehn Millionen Euro verzeichnet.

Um die Notwendigkeit der Einführung einer sektorengleichen Pauschale in angemessener Höhe zunächst zu verdeutlichen, wurden sowohl die stationären Fallzahlen als auch die AOP-Fallzahlen aus OuU mit den jeweiligen EBM-Vergütungssätzen der entsprechenden OPS-Codes berechnet (gemäß § 115b SGB V bzw. EBM-Anhang 2 [2023]). In diesem Fall ergibt sich ein Gesamterlösvolumen von etwa 70 Mio. € (vgl. Fig. 13.4). Dies entspricht ca. 37 % des Erlösvolumens, das die Kliniken durch DRG- und AOP-Vergütung im Status quo erhalten. Dieses hypothetische Szenario soll nochmals anhand des Gesamterlösvolumens herausstellen, dass neue Vergütungsstrukturen dringend notwendig sind. Das ambulante Operieren zum jetzigen Stand bietet für Kliniken aus finanzieller Sicht faktisch kaum Anreize, Fälle aus der stationären Leistungserbringung in den ambulanten Bereich auszulagern. Ein nachhaltiger Strukturwandel kann folglich nur dann eintreten, wenn eine substanzielle Zunahme ambulanten Operierens über adäquate finanzielle Anreize im Rahmen einer sektorengleichen Vergütung gefördert wird.

Abb. 13.4
figure 4

Entwicklung des Erlösvolumens bei Betrachtung unterschiedlicher Szenarien (eigene Darstellung)

Dem gegenüber kann durch die Einführung und konsequente Umsetzung einer SV-Pauschale in Hessen im Leistungsbereich OuU ein Erlösvolumen von über 112 Mio. € erzielt werden (vgl. Table 13.2). Über alle Häuserkategorien hinweg verbleibt bei einer Vergütung der Leistungen über die SV-Pauschale somit gegenüber den Krankenhausvergütungen im Status quo ein Volumen von rund 60 %. Dies bedeutet für stationäre Einrichtungen zwar zunächst deutlich verringerte Erlöse, aber ein durchaus konsensfähiges Ergebnis im Kontext einer voranschreitenden ambulanten Versorgung. Das Wiesbadener Modell sieht ferner eine Ausgliederung der Kosten für Implantate vor, sodass ein kalkulatorischer Wert hierfür noch hinzugerechnet werden muss. Es könnte so zu Beginn der Einführung einer SV-Pauschale bei hessischen Kliniken ein sogar weit höheres Restvolumen von mehr als 60 % erwartet werden. Das Modell eröffnet mit dieser Herangehensweise die Möglichkeit, diesen Sachkostenbereich perspektivisch adäquat sektorübergreifend kalkulieren zu können. So könnte es vorzugsweise durch die Abrechnung und initiale Direktvergütung der Ist-Kosten der Implantate über einen begrenzten Zeithorizont ermöglicht werden, die tatsächlichen Kosten transparent zu erfassen. Dies kann ein Ansatz sein, das Leistungsgeschehen effizienter zu koordinieren und perspektivisch wieder zu pauschalieren.

Tab. 13.2 Übersicht des Erlösvolumens im Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie nach aktuellen Vergütungsmöglichkeiten und nach Einführung der SV-Pauschale

Noch deutlicher in Bezug auf den Abstand zwischen EBM- und DRG-Vergütung wird der Effekt der Berücksichtigung des Ambulantisierungsgrades beim Blick auf das Ergebnis weiterer Leistungsbereiche. Bei Betrachtung der Hernien-Operationen (MDC06), einem bisher kaum ambulantisierten Bereich, verbleibt bei den Kliniken im Durchschnitt ein Volumen von über 80 % im Vergleich zum Status quo. Eine aufgrund des niedrigen Ambulantisierungsgrades initial relativ hoch anzusetzende SV-Pauschale beeinflusst das Erlösvolumen im Bereich sektorengleicher Versorgung demnach erheblich. Auf diese Weise können initial auch mögliche finanzielle Einbußen im stationären Sektor so austariert werden, dass unter Gegenrechnung von eher klassischen Leistungen aus dem Bereich OuU zwischen 60 und 70 % der ursprünglichen Vergütung resultieren. Zudem wird ein finanzieller Anreiz für Kliniken geschaffen, bisher vollstationär durchgeführte Eingriffe in einem weniger personal- und ressourcenintensiven Umfeld ambulant zu realisieren und entsprechend in Umstrukturierung zu investieren.

Im Leistungsbereich OuU wird durch die Analyse der einzelnen Häuserkategorien verdeutlicht, dass ein erheblicher Anteil der potenziell ambulantisierbaren Leistungen insbesondere in kleineren Kliniken erbracht wird. Hierzu gehören häufig auch Häuser auf dem Land, die den Analysen zufolge rund 35 % der ambulantisierbaren Prozeduren in OuU (N = 60.806) erbringen.

Bei Häusern mit einer Kapazität von weniger als 200 Betten in Hessen sind mehr als 40 % aller potenziell ambulantisierbaren Leistungen lokalisiert. Das verdeutlicht – auch mit Blick auf die angestrebte sektorenübergreifende Versorgungsebene der vorgesehenen Krankenhausreform – das erhebliche Potenzial kleinerer Kliniken im Prozess der Ambulantisierung in Deutschland. Die nachhaltige Neuausrichtung entsprechender Kliniken und die Etablierung konkreter finanzieller Anreize im Kontext der Implementierung einer sektorengleichen Vergütung sind in diesem Prozess unumgänglich.

3 Vergleich des Wiesbadener Modells mit dem Referentenentwurf

Nachdem die gemeinsame Selbstverwaltung fristgerecht keine Einigung über eine Auswahl von Leistungen und die Festlegung einer sektorengleichen Vergütung (Hybrid-DRG) nach § 115f SGB V erzielen konnte, hat das BMG im September 2023 einen Entwurf für eine Rechtsverordnung als Ersatzmaßnahme vorgelegt. Dieser Entwurf spiegelt weitgehend die in § 115f SGB V festgelegten Inhalte und Vorgaben wider. Die Hybrid-DRGs werden grundsätzlich nach der Systematik des dafür beauftragten InEK kalkuliert.

Insgesamt sieht der Referentenentwurf einen Leistungskatalog von 242 OPS-Codes (Anlage 1 des Referentenentwurfs) aus fünf verschiedenen Leistungsbereichen (Hernieneingriffe, Entfernung Harnleitersteine, Ovariektomien, Arthrodesen der Zehengelenke, Exzision Sinus pilonidalis) vor. Auf die in diesem Beitrag thematisierten Bereiche entfallen 48 OPS-Codes auf die Hernieneingriffe und 66 Codes auf die Arthrodesen der Zehengelenke (OuU). Im Gegensatz dazu definiert das Wiesbadener Modell einen anfänglichen Leistungskatalog für OuU und Hernieneingriffe, der 672 OPS-Codes umfasst und damit deutlich umfangreicher ist. Basierend auf den entsprechenden auslösenden OPS-Codes wurden in der Konzeption des InEK spezifische Hybrid-DRGs anhand der Grouper-Systematik festgelegt. Dieser Ansatz ähnelt im Wesentlichen dem des diskutierten Wiesbadener Modells, das sich ebenfalls auf die DRG-Gruppierungslogik stützt.

Die InEK-Systematik orientiert sich bei der Ermittlung der Vergütungshöhe an den aktuellen Vergütungshöhen aus dem ambulanten und stationären Bereich sowie einem entsprechenden Ambulantisierungsgrad, dessen Höhe jedoch weder im Referentenentwurf noch aus veröffentlichten Unterlagen des InEK ersichtlich wird. Analog zum Wiesbadener Modell berechnet sich die Höhe der Vergütung durch die Multiplikation der DRG-Vergütung (exkl. Sach- und Laborkosten) und dem EBM-Erlös mit dem jeweiligen Ambulantisierungsgrad der Leistung. Der daraus resultierende Mischpreis bestimmt gemeinsam mit den Sach- und Laborkosten die Gesamtvergütung der Hybrid-DRG. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Modellen liegt jedoch in der individuellen Gewichtung der Pauschale. Obwohl beide Systematiken den Ambulantisierungsgrad der Leistung berücksichtigen, vernachlässigt die Systematik des InEK unterschiedliche Komplexitätsgrade der Eingriffe. Im Wiesbadener Modell werden diese Komplexitätsgrade über die unterschiedlichen EBM-Erlöse nach OP-Kategorie abgebildet, während sich die InEK-Systematik auf den Durchschnittspreis der EBM-Vergütung stützt. Dies führt dazu, dass insbesondere komplexere Eingriffe nach der InEK-Systematik eher unterbewertet werden, während für weniger komplexe Leistungen eine zu hohe Pauschale angesetzt wird. Eine SV-Pauschale muss jedoch in der Lage sein, die Komplexität eines Eingriffs angemessen abzubilden, insbesondere um mögliche Ausweichreaktionen in andere Vergütungsmodalitäten zu verhindern. Die Konzeption des InEK ist dann, wenn die Spreizung der Eingriffskategorien einbezogen wird, für eine initiale SV-Pauschale grundsätzlich methodisch geeignet.

Aufgrund der konzeptionellen Überschneidungen zwischen der Systematik des InEK und derjenigen des Wiesbadener Modells war es in der vorliegenden Analyse von besonderem Interesse, die ermittelten Vergütungshöhen beider Modelle miteinander sowie mit den Vergütungen nach dem Referentenentwurf zu vergleichen (vgl. Table 13.3).

Tab. 13.3 Vergleich und Berechnung der Vergütungshöhen gem. InEK-Systematik, Wiesbadener Modell und Referentenentwurf des BMG (Stand 21.09.2023)

Bei der Berechnung nach der InEK-Systematik unter Verwendung der aktuellen Vergütungssätze aus dem ambulanten und stationären Sektor ergeben sich weitgehend analoge Werte zum Wiesbadener Modell. Sie differieren aber erheblich von den im Referentenentwurf veröffentlichten Werten. Besonders deutliche Unterschiede in der Vergütungshöhe sind im Leistungsbereich der Hernien zu verorten. Dieser bisher noch wenig ambulantisierte Leistungsbereich würde sowohl nach der InEK Systematik als auch nach der des Wiesbadener Modells einer initial eindeutig höheren Vergütung entsprechen. Die teilweise erhebliche Differenz ist auch nach genauer Sichtung des Referentenentwurfs nicht eindeutig nachvollziehbar.

4 Perspektiven der sektorengleichen Versorgung in Deutschland

Deutschlands Ambulantisierungsprozess stockt seit Jahren (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2022) – es kann lediglich im Bereich der Kurzlieger ein verstärktes Leistungsgeschehen wahrgenommen werden (Friedrich und Tillmanns 2016). Ein zentrales Augenmerk deutscher Gesundheitspolitik sollte darauf gerichtet sein, den aufgestauten Rückstand zum internationalen Standard im Feld sektorenunabhängiger Leistungserbringung abzubauen. Nachbarländer bieten hierzu ordnungspolitische Ideen und erfolgsversprechende Anreizsystematiken. Mit der initialen Definition einer Teilsumme an möglichen Operationen bzw. Eingriffen sind viele internationale Ambulantisierungsstrategien gleichgerichtet vorgegangen (OECD 2018). Für einen solchen gezielt definierten Bereich OuU definiert das Wiesbadener Modell einen Leistungskatalog, für den einheitliche SV-Pauschalen kalkuliert sind. Diese sollen unabhängig davon zur Anwendung kommen, ob die Leistung im Weiteren ambulant, kurzstationär oder stationär erbracht wird. Eine kurze stationäre Aufnahme ist hierbei durchaus denkbar und wird in Summe über die Vergütung abgegolten. Ausgehend von der DRG wurden Behandlungsschwerpunkte mit geringster Komplexität entsprechend DRG-Kategorie eruiert. Daher wurden auch konservative Methoden zunächst aus einer Ambulantisierungsinitiative ausgeschlossen, wenngleich auch für diese Leistungen perspektivisch entschieden Relevanz besteht.

Es ist im Hinblick auf ein wirtschaftlich nachhaltiges Vorgehen unabdingbar, eine neu anvisierte einheitliche Pauschale nach der Komplexität der Eingriffe zu untergliedern. Dabei können die OP-Kategorien der ambulanten Abrechnungssystematik als Richtmaß gelten. Andernfalls sind relativ einfache Eingriffe zu hoch bewertet, während komplexere Operationen im Status quo vorteilhafter erscheinen. Da der erste Referentenentwurf vorsieht, Leistungen alternativ über die Systematik des EBM abzurechnen, sind Ausweichreaktionen hin zu den ursprünglichen Vergütungs- und Abrechnungsmodalitäten nicht nur möglich, sondern auch insbesondere dann zu erwarten, wenn der mittlere EBM-Erlös für einen Leistungsbereich (z. B. der Arthrodesen) nur bei erster Betrachtung unter der vorgesehenen Hybrid-DRG liegt. Dann dürfte von Leistungserbringern zunächst vermutet werden, dass ein Anreiz zur Verlagerung hin zur Hybrid-DRG besteht. Konkret werden aber bei zu starker Pauschalierung die wenig komplexen Operationstechniken überbewertet, während hauptsächlich in höheren OP-Kategorien weiterhin eine Abrechnung über EBM attraktiver bleibt. Einzelne der hier betrachteten OPS-Codes liegen bei Vergleich mit dem Rechtsverordnungsentwurf sogar weiterhin bereits ohne Einbeziehung von Verbrauchsmaterialien oder Sprechstundenbedarf über dem Niveau der Hybrid-DRG.Footnote 12 Kostenträger würden in der Folge zukünftig vergleichsweise hohe Preise für kleine Eingriffe erstatten, während relevante Versorgungsbereiche im Status quo verharren.

Das Wiesbadener Modell kalkuliert dagegen eine adäquate SV-Pauschale, die gleichzeitig einer kompletten Bereinigung der Abrechnungsmodalitäten unterliegt, sodass keine adversen Ausweichmöglichkeiten angereizt werden. Ferner sieht das Konzept vor, die Kalkulation von Verbrauchsmaterialien neu zu regeln. Es ist dennoch anzuerkennen, dass bei einer einheitlichen Pauschale im Sinne einer Mischkalkulation durchaus das Risiko besteht, dass einzelne Leistungserbringer sich bewusst selektiv verhalten. Darauf sei an dieser Stelle hingewiesen und es könnten klare, aber bürokratieärmere Grenzen für selektives Verhalten bedacht werden.

Die erstmalige Analyse der potenziellen Auswirkungen einer SV-Pauschale anhand hessischer Kliniken veranschaulicht den erheblichen Umfang von Leistungen in der stationären Versorgung, die bereits heute grundsätzlich ambulant erbracht werden könnten und hebt entsprechend hervor, welche erheblichen Vergütungsvolumina sich hinter diesen Leistungen verbergen. Die Untersuchung konnte zudem zeigen, dass diese Leistungen besonders in kleineren Krankenhäusern lokalisiert sind. Ein Augenmerk sollte im Rahmen einer Feinjustierung der Rechtsverordnung demnach durchaus auf die kleineren Häuser gelegt werden, insbesondere da diese auch im Rahmen der Krankenhausreform zu intersektoralen Versorgern umgewandelt werden sollen.

Unausweichlich müssen Investitionen der Krankenhäuser für eine prozessuale Umstellung hin zu einer umfassenden sektorengleichen Versorgung eingebracht werden. Angesichts der zuletzt finanziell angespannten Lage deutscher Krankenhäuser und der Debatte um ein unstrukturiertes Kliniksterben bedarf es eines zeitlichen Korridors, der den stationären Einrichtungen ermöglicht, notwendige Umstrukturierungen vorzunehmen. Dies sollte in einer Übergangszeit mit festem Enddatum geschehen; immerhin gibt es zahlreiche Praxiskliniken und OP-Zentren im niedergelassenen Bereich, die bereits etablierte effiziente Strukturen aufweisen. Für die erforderlichen Investitionen in die Infrastruktur könnten Mittel durch eine Erweiterung und zeitliche Streckung im Rahmen des Krankenhaus-Strukturfonds (§ 12a KHG) dienlich sein.

Letztlich ist kritisch anzuerkennen, dass den vorliegenden Empfehlungen und Analysen oder auch den Befragungen der unterschiedlichen Akteure eines gemein ist: Sie betrachten die Sachlage aus der Sicht der Leistungserbringer. Effiziente Prozesse innerhalb der Ambulantisierungsinitiative in Deutschland sollten um einen konsequenten patientenzentrierten Blickwinkel erweitert werden. Hier ist noch Handlungsbedarf zu konstatieren. Eine sektorengleiche Versorgung und Pauschale kommt nicht umhin, patientenzentriert sowohl die Bedürfnisse als auch die erwartbaren Verhaltensweisen der Patientinnen und Patienten zu evaluieren.

Ausreichender politischer Wille vorausgesetzt – und hierbei sind auch die Selbstverwaltungspartner angesprochen –, sind die systemischen Herausforderungen einer möglichst weitreichenden sektorengleichen Versorgung und Vergütung anspruchsvoll, aber lösbar. Das Ziel, einen im internationalen Vergleich längst überfälligen Prozess weg von vollstationärer Leistungserbringung auch in Deutschland nachhaltig zu verankern, rechtfertigt den entsprechenden Einsatz aller Beteiligten allemal.