FormalPara Zusammenfassung

Ambulante Operationen können in Deutschland sowohl von Vertragsärztinnen und -ärzten als auch durch Krankenhäuser durchgeführt werden. Internationale Vergleiche zeigen, dass deutlich mehr Fälle ambulant erbracht werden können. Hinzu kommen die sinkenden personellen und finanziellen Ressourcen, die bedarfsgerecht eingesetzt werden müssen und so unnötige vollstationäre Behandlungen vermeiden. Gleichwohl haben sich die Fallzahlen im Bereich des ambulanten Operierens in über einem Jahrzehnt kaum verändert. Dieser Beitrag ermittelt auf Basis der Abrechnungsdaten von AOK-Versicherten, welche Leistungen ein Potenzial zur Ambulantisierung aufweisen und wie sich der Grad der Ambulantisierung über einen Zeitraum von zwölf Jahren verändert hat. Bei der Ermittlung ambulantisierbarer Fälle werden unterschiedliche, aktuell diskutierte Methoden angewandt. Die Ergebnisse werden sowohl regionalisiert als auch leistungsspezifisch diskutiert. Es zeigt sich ein geringfügiger Rückgang des Ambulantisierungsgrades auf Bundesebene, welcher auf weiteren gesetzlichen Handlungsbedarf zur Förderung der Ambulantisierung hinweist.

In Germany, outpatient operations can be performed both by office-based physicians and hospitals. International comparisons show that significantly more cases could be treated on an outpatient basis. Added to this are decreasing personnel and financial resources, which must be used in line with demand in order to avoid unnecessary inpatient treatment. Nevertheless, the number of cases in outpatient surgery has hardly changed over more than ten years. This paper uses billing data from AOK insurees to determine which services have a potential for outpatient treatment and how the degree of outpatient treatment has changed over a period of twelve years. Various currently discussed methods are used to determine which cases could be treated on an outpatient basis. The results are discussed both on a regionalised and service-specific basis. They show that there is a slight decline in the degree of outpatient care at the federal level, which indicates a need for further legal action to promote outpatient care.

1 Einleitung

Bereits seit 1993 ist das ambulante Operieren (AOP) an Krankenhäusern in Deutschland möglich. In diesem Jahr wurde die vertragliche Grundlage nach § 115b Abs. 1 SGB V (AOP-Vertrag) geschlossen. Ziel der Einführung des ambulanten Operierens mit dem Gesundheits-Strukturgesetz im Jahr 1992 war die Reduzierung vollstationärer Krankenhausbehandlungen (BT-Drucksache 12/3608). Seit inzwischen dreißig Jahren ist die Ambulantisierung stationärer Leistungen ein Dauerthema. Patientinnen und Patienten stationär zu versorgen, obwohl eine ambulante Behandlung medizinisch genauso gut möglich wäre, ist in Anbetracht der daraus resultierenden nicht bedarfsgerechten Bindung knapper Ressourcen schwer vertretbar. Außerdem besteht bei stationären Behandlungen ein höheres Infektionsrisiko mit hartnäckigen Krankenhauskeimen. Durch eine stärkere Ambulantisierung kann der Personalbedarf im Krankenhaus reduziert und das vorhandene Personal entlastet werden (soweit die freien Kapazitäten nicht durch andere Krankenhausfälle aufgefüllt werden). Zudem verbietet auch die dramatische Finanzlage der GKV eine nicht effiziente Patientenversorgung.

Der AOP-Vertrag, der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V. vereinbart wird, umfasst unter anderem einen Katalog der ambulanten Operationen (AOP-Katalog). Er legt fest, welche Leistungen aus dem ambulanten Bereich durch Krankenhäuser erbracht werden dürfen. Darüber hinaus umfasst er weitere Regelungen, die sowohl für Vertragsärztinnen und -ärzte als auch für Krankenhäuser gelten. Beispielhaft sollen hier die Regelungen für eine erhöhte Vergütung bei Reoperationen genannt werden. Krankenhäuser können die Teilnahme am AOP-Vertrag formlos für die Leistungsbereiche erklären, in denen sie die Leistungen grundsätzlich auch stationär erbringen sowie die vereinbarten Qualitätssicherungsmaßnahmen erfüllen. Vergütet werden ambulante Operationen nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM). Mit der Gesundheitsreform im Jahr 2000 wurde der Katalog um stationsersetzende Leistungen ergänzt und die Leistungen wurden danach differenziert, ob sie „in der Regel ambulant erbracht werden“ oder ob „sowohl eine ambulante als auch eine stationäre Durchführung“ möglich ist. 2004 wurde im AOP-Katalog der gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V geltende Grundsatz „ambulant vor stationär“ verankert. Seitdem ist für einen Teil der Leistungen eine Begründung erforderlich, wenn diese stationär erbracht werden sollen. Ab dem Jahr 2023 wurden sogenannte Kontextfaktoren eingeführt, die begründungsrelevante Tatbestände für eine stationäre Behandlung regelhaft ambulant erbringbarer Leistungen definieren. Dies soll eine klarere Abgrenzung ermöglichen. Der AOP-Vertrag selbst regelt keine Mengenbegrenzungen und auch keine gemeinsame Bedarfsplanung für Vertragsärztinnen und -ärzte und Krankenhäuser im Hinblick auf das ambulante Operieren.

Die Auswirkungen zeigen sich sowohl bei der Betrachtung der Veränderung der Fallzahlen im Bereich des ambulanten Operierens innerhalb von Deutschland als auch bei einem Vergleich der Ambulantisierung in Deutschland mit der in anderen Ländern.

Fig. 12.1 zeigt die Veränderungen in den Fallzahlen des ambulanten Operierens auf GKV-Ebene. Von 2010 bis 2022 ergeben sich nur geringe Unterschiede, sowohl in Bezug auf die Gesamtzahl als auch die Fallzahlen differenziert nach der Leistungserbringung im Krankenhaus und im vertragsärztlichen Bereich. Während 2010 im vertragsärztlichen Bereich bei 8,16 Mio. Fällen und im Krankenhaus bei 1,5 Mio. Fällen ambulante Operationen durchgeführt wurden, liegen die Fallzahlen im Jahr 2022 im vertragsärztlichen Bereich mit 8,1 Mio. etwas niedriger und im Krankenhaus mit 1,6 Mio. etwas höher als zwölf Jahre zuvor. 2015 wurden insgesamt 10,2 Mio. Fälle und damit im betrachteten Zeitraum die meisten ambulanten Operationen erbracht. Diese Zahl liegt damit um ca. 737.000 Fälle höher als im Jahr 2020, in dem wahrscheinlich beeinflusst durch die Covid-19-Pandemie mit 9,5 Mio. die wenigsten ambulanten Operationen erbracht wurden. Nach 2020 ist die Anzahl ambulanter Operationen bis 2022 wieder leicht gestiegen. Der Anteil ambulanter Operationen im Krankenhaus an der Gesamtzahl ambulanter Operationen hat sich über den betrachteten Zeitraum ebenfalls kaum verändert. Im Jahr 2015 mit der höchsten Gesamtzahl betrug der Anteil 16,5 %, im Jahr 2020 lag er bei 17,2 %.

Abb. 12.1
figure 1

Entwicklung der Fallzahlen des ambulanten Operierens in der GKV. (Quelle: AOK-Bundesverband auf Basis der KG2-Statistik sowie des Formblatts 3 aus dem Datenaustausch zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung)

Während sich die Fallzahlen insgesamt nur geringfügig verändert haben, sind die Ausgaben der GKV für die Vergütung des ambulanten Operierens deutlich gestiegen (s. Fig. 12.2). Die Ausgaben stiegen relativ konstant von 2,28 Mrd. € im Jahr 2010 auf 2,79 Mrd. € im Jahr 2022 an. Die geringeren Fallzahlen im Jahr 2020 spiegeln sich auch in den Kosten wider: Während die Ausgaben bis 2019 auf 2,70 Mrd. € gestiegen waren, sind sie 2020 auf 2,63 Mrd. € gesunken. Der Anteil für die Ausgaben für das ambulante Operieren im Krankenhaus an den Gesamtausgaben der GKV für das ambulante Operieren hat sich – wie auch im Hinblick auf die in Fig. 12.1 dargestellten Fallzahlen – kaum verändert. 2010 betrug der Anteil 37,6 % und im Jahr 2022 31,7 %. Die Steigerung der Gesamtausgaben ist, wie in Fig. 12.1 erkennbar, nicht durch ein entsprechendes Fallzahlwachstum, sondern durch eine Steigerung der Ausgaben je Fall verursacht. Betrachtet man anhand der KJ1-Statistik die Ausgabenentwicklung für ambulantes Operieren im gesamten vertragsärztlichen und stationären Bereich zusammen im Zeitraum 2010 bis 2022, so zeigt sich, dass der Anstieg der Ausgaben für das ambulante Operieren mit ca. 22 % gegenüber den Gesamtausgaben des ambulanten und stationären Bereichs mit ca. 50 % unterdurchschnittlich war.

Abb. 12.2
figure 2

Entwicklung der Ausgaben für ambulantes Operierens in der GKV. (Quelle: AOK-Bundesverband auf Basis der KJ1- und KG2-Statistik sowie des Formblatts 3 aus dem Datenaustausch zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung)

Aus dem internationalen Vergleich ergibt sich, dass in Deutschland noch ein großes Ambulantisierungspotenzial besteht. In den Daten der OECD zeigt sich (s. Table 12.1), dass beispielsweise in Dänemark Hernienoperationen nur bei etwa 15 % der Patientinnen und Patienten stationär erbracht werden, während dies in Deutschland wiederum bei nahezu 100 % der Fall. Vergleicht man den Anteil vollstationärer Leistungserbringung bei Cholezystektomien, werden diese in Deutschland zu 100 % vollstationär erbracht, in Großbritannien hingegen zu 53 % und in Dänemark zu 55 %. Kataraktoperationen gelten in Deutschland als Leistungen mit einem niedrigen Anteil stationärer Operationen. Mit 12 % stationär erbrachter Fälle ist der Anteil im Verhältnis zu anderen Leistungen in Deutschland auch niedrig, allerdings ist er im internationalen Vergleich immer noch hoch, da zum Beispiel in Großbritannien und Dänemark nicht einmal 1 % der Leistungen stationär erbracht werden.

Tab. 12.1 Gesamtzahl der Eingriffe pro 100.000 Einwohner und der Anteil vollstationär durchgeführter Eingriffe in ausgewählten OECD-Ländern (2021). (Quelle: OECD 2023)

Werden hier die Daten der OECD für den internationalen Vergleich herangezogen, ist aber zu berücksichtigen, dass zumindest im Hinblick auf die Erbringung von Leistenhernien in Deutschland auch andere Ergebnisse zum Anteil vollstationärer Behandlungen veröffentlicht wurden. So ermittelten das Hamburg Center for Health Economics (HCHE), der BKK Dachverband e. V., das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI), das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen der TU Berlin (MiG) sowie das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Zi) im Rahmen des Innovationsfondsprojektes „Einheitliche, Sektorengleiche Vergütung“ auf Basis der BKK-Abrechnungsdaten, dass 82 % der Leistenhernien vollstationär, 6 % ambulant im Krankenhaus und 12 % im vertragsärztlichen Bereich erbracht werden (HCHE et al. 2022).

Von den mit Deutschland vergleichbaren europäischen Ländern ist die Ambulantisierung in Großbritannien und Dänemark am weitesten fortgeschritten. Der NHS in Großbritannien hat sich bei elektiven Operationen zum Ziel gesetzt, dass 75 % als Tagesoperationen – sprich ambulant – erfolgen sollten. Bei minimalinvasiven Eingriffen wird davon ausgegangen, dass eine höhere Zielmarke festgelegt werden könnte (IGES Institut 2022). Aus den internationalen Vergleichen und der geringen Entwicklung der Fallzahlen des ambulanten Operierens lässt sich schlussfolgern, dass die Ambulantisierungspotenziale in Deutschland aktuell bei weitem nicht ausgeschöpft werden.

Vor dem Hintergrund schlägt das Gutachten nach § 115b Abs. 1a SGB V des IGES-Instituts vom März 2022 eine deutliche Ausweitung des AOP-Katalogs um 2.500 Prozeduren vor (IGES Institut 2022). Die am 16.12.2022 auf der Selbstverwaltungsebene vereinbarte Ergänzung um 208 Prozeduren fiel jedoch deutlich geringer aus, obwohl die Ampelkoalition im Koalitionsvertrag weitere Maßnahmen für eine stärkere Ambulantisierung vorsieht:

„Um die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen zu fördern, setzen wir zügig für geeignete Leistungen eine sektorengleiche Vergütung durch sogenannte Hybrid-DRG um.“ (Koalitionsvertrag 2021–2025)

Mit dem § 115f SGB V wurden die Vertragspartner des AOP-Vertrags beauftragt, eine spezielle sektorengleiche Vergütung sowie eine Auswahl von Leistungen des AOP-Katalogs zu vereinbaren, auf die die spezielle sektorengleiche Vergütung unabhängig davon angewendet wird, ob die Leistung ambulant oder mit einer Übernachtung stationär durchgeführt wird. Eine fristgerechte Vereinbarung ist jedoch nicht zustande gekommen. Nun legt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die spezielle sektorengleiche Vergütung und die Auswahl von Leistungen, die diese betreffen soll, zwecks Rechtsverordnung fest. Ein erster Referentenentwurf für die Rechtsverordnung wurde am 21.09.2023 vorgelegt.

Während feststeht, dass die Ambulantisierungspotenziale noch nicht ausgeschöpft sind und gesetzliche Maßnahmen mit dem Ziel getroffen werden, eine Steigerung des Anteils ambulanter Leistungserbringung herbeizuführen, stellt sich die Frage, ob es in den letzten Jahren bereits zu Veränderungen im Hinblick auf eine stärkere Ambulantisierung gekommen ist. Allein die Fallzahlen des ambulanten Operierens auf der GKV-Ebene wie in Fig. 12.1 zu betrachten, ist hierzu nicht ausreichend. Zu berücksichtigen ist weiter, wie hoch der Anteil vollstationär versorgter Fälle ist, die das Potenzial zur Ambulantisierung haben.

Im Folgenden wird unter Berücksichtigung dieser Prämisse anhand der Daten von AOK-Versicherten untersucht, wie sich der Anteil ambulanter Operationen in den letzten zwölf Jahren verändert hat und wie sich die Ambulantisierung regional oder für einzelne Leistungen entwickelt hat.

2 Datengrundlage und Methodik

Grundlage der Auswertungen sind Abrechnungsdaten gemäß §§ 295 und 301 SGB V von AOK-Versicherten aus der vertragsärztlichen Versorgung, des ambulanten Operierens nach § 115b SGB V sowie vollstationäre Krankenhausfälle der Jahre 2010, 2016 sowie 2022. Es werden aus allen drei Leistungsbereichen jeweils die Fälle ausgewählt, in denen mindestens ein OPS-Kode aus dem für das jeweilige Jahr gültigen AOP-Vertrag Abschnitt 1 kodiert wurde. Es werden damit die Fälle betrachtet, bei denen sowohl bei der Abrechnung im Rahmen von § 115b SGB V als auch für die Abrechnung in der vertragsärztlichen Versorgung ein OPS-Kode angegeben werden muss. Darüber hinaus werden aus der vertragsärztlichen Versorgung nur Fälle betrachtet, in denen mindestens eine Operation aus Kapitel 31.2 des EBM abgerechnet wurde. Die vollstationären Fälle werden danach unterschieden, ob sie ambulantisierbar sind. Analog zu den Vorschlägen des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zur Umsetzung des § 115f SGB V werden alle stationären Fälle mit einem oder null Tagen Verweildauer als ambulantisierbar eingestuft.

Der Grad der Ambulantisierung wird aus der Summe der vertragsärztlichen und ambulanten Operationen am Krankenhaus dividiert durch diese Summe zuzüglich der ambulantisierbaren vollstationären Fälle im Krankenhaus berechnet. Der Grad der Ambulantisierung hängt damit unter anderem von der Definition der ambulantisierbaren vollstationären Fälle ab. In einem weiteren Abschnitt wird die hier gewählte Methode mit einer zweiten, in der aktuellen Diskussion verwendeten verglichen. Aufbauend auf dem Gutachten von Schreyögg und Milstein (2021) werden alle vollstationären Fälle als ambulantisierbar angenommen, für die keines der folgenden Kriterien zutrifft:

  • Verweildauer von vier oder mehr Tagen,

  • Dokumentation einer KomplexbehandlungFootnote 1,

  • Dokumentation einer PflegebedürftigkeitFootnote 2 oder

  • Krebsdiagnose bei Kindern jünger als drei Jahren.

Limitationen der Auswertungen

Der Beitrag beruht primär auf Daten von AOK-Versicherten aus den Jahren 2010, 2016 und 2022. Sollte es Unterschiede im Ambulantisierungsgrad zwischen den Kassenarten geben, so werden diese hier nicht abgebildet. Da der Marktanteil der AOK in dem betrachteten Zeitraum von 35 % auf 37 % gestiegen ist, können sich die Unterschiede in den Jahren verschieden auswirken. Der Beitrag berechnet Ambulantisierungsgrade innerhalb eines Jahres und vergleicht diese zwischen den Jahren.

Für den Vergleich des Ambulantisierungsgrades zwischen den einzelnen Jahren wird auf die Definition des InEK bezüglich der ambulantisierbaren Krankenhausfälle zurückgegriffen, da diese Definition (Verweildauer von einem Tag oder weniger) über die Jahre gleich operationalisierbar ist. Bei der Ermittlung der ambulantisierbaren stationären Fälle analog der Methodik nach Schreyögg und Milstein (2021) sind neben der Verweildauer weitere Parameter wie der Patient Clinical Complexity Level (Klinischer Komplexitätsgrad des Patienten, PCCL) und Pflegegerade relevant. Die Definition und Ausgestaltung dieser Parameter haben sich über die Jahre jedoch in verschiedenen Reformen verändert. Um die daraus resultierenden Effekte auszuschließen, wird auf die Methodik des InEK zurückgegriffen.

3 Darstellung der Ergebnisse

Betrachtet man alle in dem jeweiligen Jahr durch den AOP-Vertrag abgedeckten operativen Leistungen (s. Table 12.2), so fällt auf, dass der Anteil der ambulant erbrachten Fälle (Ambulantisierungsgrad) zwischen 2010 und 2022 um fast 4 Prozentpunkte zurückgegangen ist. Während die Zahl der ambulant erbringbaren Fälle insgesamt um 6 % von 2010 auf 2022 zurückgegangen ist (von 1,44 Mio. Fällen auf 1,35 Mio. Fälle) so ist währenddessen die Zahl der ambulantisierbaren Fälle in Krankenhäusern von 135 Mio. Fällen auf 179 Mio. Fälle gestiegen. Sowohl in der vertragsärztlichen Versorgung als auch in den Krankenhäusern ist die Zahl der ambulanten Operationen um 10 % gesunken: im vertragsärztlichen Bereich von 901 Mio. auf 813 Mio. Fälle und bei den Krankenhäusern (Versorgung nach § 115b SGB V) von 406 Mio. auf 364 Mio. Fälle.

Tab. 12.2 Entwicklung des Ambulantisierungsgrades zwischen 2010 und 2022. (Quelle: Abrechnungsdaten von AOK Versicherten gemäß §§ 295 und 301 SGB V)

Für einen besseren Überblick werden die folgenden Auswertungen auf Basis der 28 OPS-4-Steller vorgenommen, die im Jahr 2022 mehr als 15.000 ambulant erbringbare Fälle bei AOK-Versicherten aufwiesen. Table 12.2 zeigt weiter, dass diese Auswahl im Jahr 2022 77 % der ambulant erbringbaren Fälle umfasst, bei den ambulanten Operationen sind es 81 % im vertragsärztlichen Bereich und 76 % im Krankenhaus.

Den höchsten Anstieg des Ambulantisierungsgrades mit jeweils fast 10 Prozentpunkten zwischen 2010 und 2022 gab es beim OPS 1-472 „Biopsie ohne Inzision an der Cervix uteri“ (von 82 % auf 92 %) und dem OPS 5-671 „Konisation der Cervix uteri“ (von 83 % auf 93 %; s. Anhang). Bei beiden OPS-Kodes ist die Zahl der ambulantisierbaren Fälle in Krankenhäusern deutlich um 66 % bzw. 71 % gestiegen, der Anstieg im ambulanten Bereich war jeweils noch höher. Bei den „Biopsien ohne Inzision an der Cervix uteri“ stieg die Zahl der ambulanten Eingriffe durch Vertragsärztinnen und -ärzte um 380 % und die durch Krankenhäuser um 260 % und bei der „Konisation der Cervix uteri“ in beiden Bereichen um jeweils ca. 180 %.

Der stärkste Rückgang des Ambulantisierungsgrades mit über 26 Prozentpunkten von 64 % auf 37 % fand beim OPS-Kode 5-530 „Verschluss einer Hernia inguinalis“ statt. Während die ambulantisierbaren stationären Fälle zwischen 2010 und 2022 um 150 % gestiegen sind, ist die Zahl der ambulanten Operationen durch Vertragsärztinnen und -ärzten um 11 % und die durch Krankenhäuser um 21 % gesunken. Bei dieser Leistung fällt auf, dass die Zahl der Operationen an Krankenhäusern insgesamt auch um 11 % gesunken ist, sodass der Rückgang des Ambulantisierungsgrades primär durch einen Anstieg der ambulantisierbaren Fällen durch eine verringerte Verweildauer im Krankenhaus ausgelöst wurde. Beim OPS-Kode 5-814 „Arthroskopische Refixation und Plastik am Kapselbandapparat des Schultergelenkes“ sank der Ambulantisierungsgrad von 85 % auf 70 %. Auch hier kam es zu einem starken Anstieg der ambulantisierbaren Fälle (173 %), während die vollstationäre Fallzahl insgesamt um 11 % zurückging. Im ambulanten Bereich stiegen die Operationen im vertragsärztlichen Bereich um 20 %, während die Zahl der ambulanten Operationen durch Krankenhäuser um 11 % zurückging.

Für die Auswertung regionaler Effekte des Ambulantisierungsgrades werden diese auf Grundlage der Wohnorte der Patienten und Patientinnen dargestellt. Betrachtet man die Verteilung des Ambulantisierungsgrades (für die ausgewählten OPS-Kodes) auf Ebene der Landkreise (Fig. 12.3 und 12.4), so fällt der Rückgang des Anteils ambulanter Fälle zwischen 2010 und 2022 fast überall in Deutschland und vor allem im Süden auf. Im Norden und Osten gibt es einige Landkreise, bei denen der Ambulantisierungsgrad gestiegen ist. Den stärksten Anstieg des Ambulantisierungsgrades um 21 Prozentpunkte (von 70,5 % auf 92 %) verzeichnet der Landkreis Börde. In den Landkreisen Kiel, Plön, Cottbus und Potsdam ist der Ambulantisierungsgrad jeweils um ca. 12 bzw. 11 (Potsdam) Prozentpunkte gestiegen. Der stärkste Rückgang des Ambulantisierungsgrades zeigt sich in drei Landkreisen in Bayern: In Kaufbeuren, Dachau und Ansbach ist der Ambulantisierungsgrad in den betrachteten 13 Jahren um 15, 16 und 17 Prozentpunkte zurückgegangen. Auch im Süden Baden-Württembergs lässt sich ein deutlicher Rückgang anhand der Karten erkennen. Betroffen ist hier die Region zwischen dem Ortenaukreis und Emmendingen und den Landkreisen Biberach und Ravensburg. So hat sich zum Beispiel im Landkreis Tuttlingen der Ambulantisierungsgrad um 5,5 Prozentpunkte, von 97 % auf 91,5 % verringert.

Abb. 12.3
figure 3

Entwicklung des Ambulantisierungsgrades nach Landkreisen zwischen 2010 und 2022, in %. (Quelle: Abrechnungsdaten von AOK Versicherten gemäß §§ 295 und 301 SGB V; © GeoBasis-DE/BKG [2021])

Abb. 12.4
figure 4

Ambulantisierungsquote über die Landkreise im Vergleich zwischen 2010, 2016 und 2022 für ausgewählte OPS-Kodes. (Quelle: Abrechnungsdaten von AOK Versicherten gemäß §§ 295 und 301 SGB V)

Betrachtet man die Entwicklung auf der aggregierteren Ebene der Boxplots (Fig. 12.4), so fällt hier vor allem auf, dass im Jahr 2010 (dunkelblauer Balken) der Median zwar (wie oben beschrieben) höher als in den folgenden Jahren lag, allerdings das Minimum des Ambulantisierungsgrades auf Landkreisebene über alle drei betrachteten Jahre ebenfalls im Jahr 2010 lag. Auch die Spanne des Ambulantisierungsgrades hat sich von 26 Prozentpunkten (2010) auf 17 Prozentpunkte (2022) verringert.

Die vier im vorherigen Abschnitt genauer betrachteten OPS-Kodes sollen auch hier in den Fokus genommen werden. Bei allen vieren ist die Breite der Box, das heißt, die Werte, die zwischen dem unteren und oberen Quantil liegen, über die Jahre gesunken. Die Ambulantisierungsgrade zeigen über die Landkreise also weniger Unterschiede. Deutschlandweit hat der Ambulantisierungsgrad allerdings bei allen vier OPS-Kodes eine Spannbreite die von jeweils fast 0 % bis (fast) 100 % reicht. Insgesamt sieht man, dass der Ambulantisierungsgrad – gerade auf Leistungsebene – zwischen den Regionen stark unterschiedlich ist.

Wie eingangs erwähnt hängt der Ambulantisierungsgrad stark von der Methode zur Bestimmung der ambulantisierbaren Krankenhausfälle ab. Um eine Vergleichbarkeit zwischen den Jahren herstellen zu können, wurden die bisherigen Auswertungen gemäß den Vorschlägen des InEK zur Umsetzung des § 115f SGB V (im Folgenden InEK-Methode) vorgenommen. In diesem Abschnitt soll nun für das Jahr 2022 verglichen werden, ob diese Methode systematisch andere Ergebnisse zeigt als die Methode nach Schreyögg und Milstein (2021; im Folgenden Schreyögg-Methode).

Table 12.3 vergleicht die Ergebnisse zum Ambulantisierungsgrad zwischen der InEK- und der Schreyögg-Methode. Die beiden Methoden unterscheiden sich in der Auswahl der ambulantisierbaren Fälle (Spalte 4). Man sieht, dass die Zahl der ambulantisierbaren Fälle bei der Schreyögg-Methode mehr als doppelt so hoch ist als bei der InEK-Methode. Der Unterschied verringert sich, wenn man die ausgewählten OPS-Kodes betrachtet. Betrachtet man den Anteil der ambulantisierbaren Krankenhausfälle (Spalte 4 / Spalte 3), so fällt der Unterschied in der Methode nochmals besonders deutlich auf. Über alle betrachteten OPS-Kodes liegt der Anteil bei 25 % bei der InEK-Methode und bei 62 % bei der Methode nach Schreyögg. Die höhere Zahl an ambulantisierbaren Fällen führt dazu, dass der Ambulantisierungsgrad sinkt: (Spalte 8) von 86,8 % auf 72,4 % über alle OPS-Kodes und von 89,9 % auf 82,5 % bei den ausgewählten OPS-Kodes.

Tab. 12.3 Vergleich zwischen der auf Basis der InEK- und der Schreyögg-Methode ermittelten Ambulantisierungsgrade im Jahr 2022. (Quelle: Abrechnungsdaten von AOK-Versicherten gemäß §§ 295 und 301 SGB V)

Betrachtet man nun die Verteilung über die Landkreise (Fig. 12.5), so sieht man hier, dass es bei der Schreyögg-Methode (hellblaue Balken) vor allem eine Linksverschiebung der Werte gegenüber der InEK-Methode gibt (dunkelblaue Balken). Bei den OPS-Kodes mit einem geringen Ambulantisierungsgrad sinkt die Spreizung über die Regionen. Insgesamt scheint es aber keine weiteren systematischen Unterschiede zu geben.

Abb. 12.5
figure 5

Vergleich zwischen der auf Basis der InEK- und der Schreyögg-Methode ermittelten Ambulantisierungsgrade im Jahr 2022 für ausgewählte OPS-Kodes. (Quelle: Abrechnungsdaten von AOK-Versicherten gemäß §§ 295 und 301 SGB V)

In dem im Oktober 2023 vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichten Entwurf für eine Verordnung zur Vergütung nach § 115f SGB V werden fünf Leistungsbereiche genannt, die ab dem Jahr 2024 mit sektorenübergreifenden Hybrid-DRGs vergütet werden sollen. Der folgende Abschnitt betrachtet die Entwicklung des Ambulantisierungsgrades dieser Leistungsbereiche zwischen den Jahren 2010 und 2022 auf Bundes- sowie auf regionaler Ebene.

Abb. 12.6
figure 6

Vergleich der Ambulantisierungsgrade über die Landkreise für die Hybrid-DRG-Leistungsbereiche in den Jahren 2010, 2016 und 2022. (Quelle: Abrechnungsdaten von AOK-Versicherten gemäß §§ 295 und 301 SGB V)

Fig. 12.6 zeigt die Entwicklung des Ambulantisierungsgrades für die fünf Leistungsbereiche Ovariektomien, Exzision eines Sinus pilonidalis, Entfernung von Harnleitersteinen, bestimmte Hernieneingriffe und Arthrodesen der Zehengelenke. In keinem der Leistungsbereiche ist zwischen 2010 und 2022 der Ambulantisierungsgrad gestiegen, in einigen Leistungsbereichen – zum Beispiel Entfernung der Harnleitersteine – deutlich gesunken. Es zeigt sich auch, dass die fünf Bereiche sehr unterschiedliche Ambulantisierungsgrade haben. Während sich bei den Arthrodesen der Zehengelenke mit einem durchschnittlichen Ambulantisierungsgrad von 89 % (s. Table 12.4) ein – auch im Vergleich mit allen anderen Leistungen – hoher Grad zeigt, liegt der Wert bei der Entfernung von Harnleitersteinen bei 31 %. Außer bei den Arthrodesen lag der regionale minimale Wert im Jahr 2022 bei unter 10 %, der maximale Wert lag bei allen Leistungen über 90 %.

Betrachtet man die Entwicklung auf Bundesebene (Table 12.4), so fällt auf, dass bei allen Leistungen die Zahl der ambulantisierbaren Krankenhausfälle über die Jahre deutlich gestiegen ist. Die Zahl der ambulanten Fälle ist dagegen geringer gestiegen oder – wie bei der Entfernung der Harnleitersteine – zurückgegangen. Der Rückgang des Ambulantisierungsgrades beruht v. a. auf einer Zunahme der ambulantisierbaren Fälle.

Tab. 12.4 Bundesweiter Ambulantisierungsgrad für die Hybrid-DRG-Leistungsbereiche in den Jahren 2010 und 2022. (Quelle: Abrechnungsdaten von AOK-Versicherten gemäß §§ 295 und 301 SGB V)

4 Fazit

Über den betrachteten Zeitraum ist festzustellen, dass der Ambulantisierungsgrad auf Bundesebene geringfügig zurückgegangen ist. Die Entwicklungen zeigen sich noch deutlicher, wenn man einzelne Regionen bzw. Leistungen betrachtet. Die Entwicklung beruht dabei meist auf einer Steigerung der ambulantisierbaren stationären Fälle, während es im ambulanten Bereich wenig Veränderung gibt. Bewertet man das Ambulantisierungspotenzial auf Basis der Kriterien nach Schreyögg und Milstein (2021), so sind 62 % aller vollstationären AOK-Fälle des Jahres 2022 ambulantisierbar.

In Anbetracht der auf allen Seiten knappen Ressourcen ist es gesundheitsökonomisch nicht rational, Patientinnen und Patienten stationär zu versorgen, obwohl eine ambulante Behandlung medizinisch möglich wäre. Vor diesem Hintergrund sieht der Gesetzgeber aktuell die Einführung der Hybrid-DRGs vor.

Der Verordnungsentwurf des BMG vom 21.09.2023 sieht einen ersten Katalog von OPS-Kodes vor, die über Hybrid-DRGs abgerechnet werden, sofern der zu verwendende Grouper diese ausweist. Betrachtet man die Entwicklung der ambulantisierbaren Fälle dieser Leistungen, so zeigt sich, dass diese stark gestiegen sind, ein Potenzial für eine stärkere Ambulantisierung bislang stationär erbrachter Leistungen dementsprechend also vorhanden ist. Bei der Bewertung der Frage, ob diese erreicht werden wird, ist zu berücksichtigen, dass die Vergütung für Hybrid-DRGs etwa ein Drittel unterhalb der vollstationären Vergütung angesiedelt ist. Krankenhäuser können die entsprechenden Eingriffe weiterhin stationär durchführen, wenn die Behandlung länger als einen Belegungstag dauert oder die Fallschwere eines Patient Clinical Complexity Level (PCCL) bei 3 oder höher liegt. Es ist daher eher zu befürchten, dass es zu einer Verlängerung der Krankenhausverweildauer kommt und die Leistungen weiterhin stationär erbracht werden. Dieser Entwicklung hätte man durch eine Verbreiterung der Definition ambulantisierbarer Fälle im Rahmen der Hybrid-DRGs, z. B. auf Fälle mit einer Verweildauer von drei Tagen, entgegenwirken können.

Neben dem Anstieg der ambulantisierbaren Fälle durch die Verweildauerverkürzungen im stationären Bereich haben die Auswertungen zudem gezeigt, dass eine ambulante Leistungserbringung grundsätzlich möglich ist. Über alle derzeit ambulant erbringbaren Leistungen liegt der Ambulantisierungsgrad bei 87 % (InEK-Methode) bzw. 72 % (Schreyögg-Methode). Auch die Verteilung der regionalen Ambulantisierungsgrade zeigt, dass strukturelle Voraussetzungen für die ambulante Erbringung der Leistungen im Allgemeinen vorhanden sind.

In Anbetracht der oben dargestellten Herausforderungen bei der vorgesehenen Einführung der Hybrid-DRGs ist abzuwarten, welchen Einfluss ihre Einführung auf die Entwicklung der Ambulantisierungsgrade haben wird. Hierzu bedarf es entsprechender Evaluationen in den folgenden Jahren. Gleichzeitig sollte über alternative oder ergänzende Maßnahmen (z. B. ein Ambulantisierungsbudget, das klare Zielvorgaben für Krankenhäuser in eine Mehrjahresentwicklung enthält) zur Steigerung der Ambulantisierung diskutiert werden und weiter müssen auch Wechselwirkungen mit anderen aktuellen Gesetzesvorhaben, wie zum Beispiel das anstehende Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) und die dort vorgesehene Ausgestaltung sektorenübergreifender Versorgungseinrichtungen, im Blick behalten werden.