Zusammenfassung
In der Tradition der Juristendichtung werden oft Rechtsfälle zum Stoff von Literatur. Wenig überraschend trifft dies auch auf die Werke Ferdinand von Schirachs zu. Dieser Beitrag wird zum einen aufzeigen, welche konkreten Gerichtsentscheidungen und bekannten Diskussionen des Strafrechts in seinen Stories-Bänden (Verbrechen, Schuld und Strafe) verarbeitet werden. Über diesen Abgleich hinaus fragt der Beitrag zum anderen danach, wie der Rechtsfall in diesen Erzählungen zur Fallgeschichte erweitert wird und konstatiert, dass juristische Falldiskussionen in Schirachs Stories zu aufmerksamkeitsheischenden Plädoyers eines Strafverteidigers werden.
Gedankt sei Adline Conring für das Korrekturlesen.
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Notes
- 1.
Ferdinand von Schirach: Verbrechen. Stories. München 2009; ders.: Schuld. Stories. München 2010; ders.: Strafe. Stories. München 2018. Im Folgenden jeweils mit den Titeln von Erzählung und Erzählband sowie Seitenzahl im Haupttext nachgewiesen; die Titel entfallen, soweit sich die zitierte Erzählung aus dem Kontext ergibt.
- 2.
Zur Musterhaftigkeit der Stories vgl. Christine Künzel: „‚Pimp my Krimi‘. Anmerkungen zu den etwas zu perfekten Erzählungen Ferdinand von Schirachs“. In: Franziska Stürmer/Patrick Meier (Hg.): Recht Populär. Populärkulturelle Rechtsdarstellungen in aktuellen Texten und Medien. Baden-Baden 2016, 60–78, hier: 61–65.
- 3.
Diese Beobachtung bereits bei Thomas Fischer: „Ferdinand von Schirach, Strafe“. In: Strafverteidiger 38/6 (2018), 393–396.
- 4.
Künzel: „Pimp my Krimi“ (wie Anm. 2) spricht polemisch von „Allgemeinplätze[n] über das deutsche Strafrechtssystem“ (61), die „dermaßen didaktisch daher[kommen], dass man sich in ein Proseminar für angehende Juristen versetzt fühlt“ (64).
- 5.
Innerhalb des Forschungsfeldes zu Recht und Literatur handelt es sich um einen Blickwinkel der Materialität, vgl. Eric Achermann/Klaus Stierstorfer: „Squaring Law and Literature: Materiality – Comparativity – Constitutivity“. In: Law & Literature (2022), 457–489, hier: 464.
- 6.
Diese Feststellung auch bei Hans Kudlich: „Der Fall in der Jurisprudenz – Zwischen Einzelfallentscheidung und systembildendem Baustein: SchulFÄLLE, EinzelFALLentscheidung und FALLweise Fortentwicklung des Rechts“. In: Susanne Düwell/Nicolas Pethes (Hg.): Fall – Fallgeschichte – Fallstudie. Theorie und Geschichte einer Wissensform. Frankfurt a.M. 2014, 82–99, hier: 82–83.
- 7.
Vgl. ebd., 83.
- 8.
Grundlegend zum Aufbau einer Gerichtsentscheidung vgl. Bernd Altehenger: „Die richterliche Entscheidung als Texttyp“. In: János S. Petöfi (Hg.): Texte und Sachverhalte. Aspekte der Wort- und Textbedeutung. Hamburg 1983, 185–227, hier: 190–209.
- 9.
Preußisches Obertribunal, Urteil vom 5.5.1859 – Crimin.-S. Nr. 6; ganz ähnlich der sogenannte Hoferbenfall des Bundesgerichtshofs, Urteil vom 25.10.1990–4 StR 371/90.
- 10.
Rose wurde von Rosahl zur Tötung des Schliebe angestiftet, tötete aber aufgrund einer Verwechslung den Harnisch. Ein solcher error in persona ist für die Strafbarkeit des Rose wegen Mordes unbeachtlich, er könnte sich aber auf die Strafbarkeit des Anstifters Rosahl auswirken. Entgegen der Entscheidung des Gerichtes wird heute mehrheitlich vertreten, dass Rose für Rosahl eine Art ‚fehlgehendes Werkzeug‘ war. Bei einer solchen aberratio ictus läge keine vollendete, sondern eine bloß versuchte Anstiftung zum Mord (am Schliebe) in Tateinheit mit einer fahrlässigen Tötung (des Harnisch) vor; zur Diskussion vgl. Georg Freund/Frauke Rostalski: Strafrecht Allgemeiner Teil. Personale Straftatlehre. Berlin 32019, 418–419.
- 11.
Abgewandelt auf eine Körperverletzung im Übungsfall von Martin Heger: „‚Lästige Mieter‘“. In: Juristische Arbeitsblätter 40/12 (2008), 859–866, hier: 865.
- 12.
Vgl. Kudlich: „Fall in der Jurisprudenz“ (wie Anm. 6), 86.
- 13.
Vgl. Hans Kudlich: „Der Rechtsfall – (K)ein Fall wie jeder andere?“. In: Rechtsphilosophie 5/4 (2019), 385–399, hier: 396–397.
- 14.
Vgl. vertiefend Uwe Kischel: Rechtsvergleichung. München 2019, 243–271 und 392–405.
- 15.
Vgl. ebd. 402–405 und 463–465; vgl. auch Kudlich: „Fall in der Jurisprudenz“ (wie Anm. 6), 88–89, und ders.: „Rechtsfall“ (wie Anm. 13), 386–387.
- 16.
Vgl. Kudlich: „Rechtsfall“ (wie Anm. 13), 385.
- 17.
Vgl. Kudlich: „Fall in der Jurisprudenz“ (wie Anm. 6), 83–88.
- 18.
Vgl. Anja Böning: „Fachkultur als Aspekt von Rechtsdidaktik“. In: Julian Krüper (Hg.): Rechtswissenschaft lehren. Handbuch der juristischen Fachdidaktik. Tübingen 2022, 252–271, hier: 266.
- 19.
Vgl. Arndt Kiehnle: „Prüfungsformate in der Rechtswissenschaft“. In: Julian Krüper (Hg.): Rechtswissenschaft lehren. Handbuch der juristischen Fachdidaktik. Tübingen 2022, 1206–1245, hier: 1227–1229.
- 20.
Vgl. ebd. 1210–1212.
- 21.
Vgl. Kudlich: „Fall in der Jurisprudenz“ (wie Anm. 6), 86–88.
- 22.
Vgl. beispielsweise Werner Beulke: Klausurenkurs im Strafrecht III. Ein Fall- und Repetitionsbuch für Examenskandidaten. Heidelberg 52018.
- 23.
Vgl. grundlegend Pierre Bourdieu: „Die Kraft des Rechts. Elemente einer Soziologie des juridischen Feldes“. In: Andrea Kretschmann (Hg.): Das Rechtsdenken Pierre Bourdieus. Weilerswist 2019, 35–75, hier: 49–50 und 56.
- 24.
Vgl. zur Epistemologie und Ästhetik des Falls und der Fallgeschichte Nicolas Pethes: „Fallgeschichten“. In: Susanne Düwell/Andrea Bartl/Christof Hamann/Oliver Ruf (Hg.): Handbuch Kriminalliteratur. Theorien – Geschichte – Medien. Stuttgart u.a. 2018, 43–48, hier: 44–46.
- 25.
Vgl. Christiane Frey: „Fallgeschichte“. In: Roland Borgards/Harald Neumeyer/Nicolas Pethes/Yvonne Wübben (Hg.): Literatur und Wissen. Ein Interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2013, 282–287, hier: 282.
- 26.
Vgl. ebd. sowie Nicolas Pethes: „Ästhetik des Falls. Zur Konvergenz anthropologischer und literarischer Theorien der Gattungen“. In: Sheila Dickson/Stefan Goldmann/Christof Wingertszahn (Hg.): „Fakta, und kein moralisches Geschwätz“. Zu den Fallgeschichten im „Magazin zur Erfahrungsseelenkunde“ (1783–1793). Göttingen 2011, 13–32.
- 27.
Vgl. Pethes: „Ästhetik“ (wie Anm. 26), 22.
- 28.
Vgl. Marcus Krause: „Zu einer Poetologie literarischer Fallgeschichten“. In: Susanne Düwell/Nicolas Pethes (Hg.): Fall – Fallgeschichte – Fallstudie. Theorie und Geschichte einer Wissensform. Frankfurt a.M. 2014, 242–273, hier: 248.
- 29.
„Verwirklicht“ bedeutet nach André Jolles: Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz. Tübingen 82006, 179, die gattungstheoretische Vollendung des Falls in eine „einfache Form“: „Veranschaulichung […] führt nicht zur Form – Form heißt Verwirklichung“.
- 30.
Ebd.
- 31.
Das moderne Konzept des Falls stützt sich hauptsächlich auf die Theorien Michel Foucaults zur epistemischen Wende des 18. Jahrhunderts. Für eine Zusammenfassung vgl. Susanne Düwell/Nicolas Pethes: „Einleitung: Fall, Wissen, Repräsentation – Epistemologie und Darstellungsästhetik von Fallnarrativen in den Wissenschaften vom Menschen“. In: Dies. (Hg.): Fall – Fallgeschichte – Fallstudie. Theorie und Geschichte einer Wissensform. Frankfurt a.M. 2014, 9–33. War man zu Zeiten der Kasuistik noch „um eine möglichst präzise Beschreibung von Umständen eines Falls“ bemüht, rückt nun das Individuum selbst ins Zentrum des Falldenkens.
- 32.
Stefan Goldmann: „Kasus – Krankengeschichte – Novelle“. In: Dickson/Goldmann/Wingertszahn: „Fakta, und kein moralisches Geschwätz“ (wie Anm. 26), 33–63, hier: 53. Goldmann verwendet hier den Begriff „Krankengeschichte“ bzw. „Novelle“ in Bezug auf die unerhörte Begebenheit und damit die Neuartigkeit eines Falles. Im Prinzip beschreibt diese Definition Goldmanns einfach eine „Literarisierung“ des Falls, weswegen hier auch der Oberbegriff „Fallgeschichte“ genutzt werden kann, der von Goldmann aber aus gattungstheoretischen Gründen vermieden wird.
- 33.
François Gayot de Pitaval: Sonderbare und merkwürdige Rechtsfälle. Umgearbeitet und vermehrt von Herrn Richer. Deutsch herausgegeben von Carl Wilhelm Franz. 4 Bände. Jena 1782–1792; ders.: Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit. Nach dem Französischen Werk des Pitaval durch mehrere Verfasser ausgearbeitet und mit einer Vorrede begleitet herausgegeben von Schiller. 4 Bände. Jena 1792–1796.
- 34.
Daran schließen sich andere (juristische) Fallsammlungen an, beispielsweise Ernst Ferdinand Klein: Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preussischen Staaten. 26 Bände. Berlin u.a. 1788–1809; vgl. dazu Pethes: „Fallgeschichten“ (wie Anm. 24), 43.
- 35.
Nicolas Pethes: „Vom Einzelfall zur Menschheit. Die Fallgeschichte als Medium der Wissenspopularisierung zwischen Recht, Medizin und Literatur“. In: Gereon Blaseio/Hedwig Pompe/Jens Ruchatz (Hg.): Popularisierung und Popularität. Köln 2005, 63–92, hier: 69.
- 36.
Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses [frz. 1975]. Aus dem Französischen übersetzt von Walter Seitter. Frankfurt a.M. 1994, 246. Der Fall wird so zum Disziplinarinstrumentarium: „[…] das Kind, der Kranke, der Wahnsinnige, der Verurteilte werden seit dem 18. Jahrhundert im Zuge des Ausbaus der Disziplinarmechanismen immer häufiger zum Gegenstand individueller Beschreibungen und biographischer Berichte“ (ebd., 247).
- 37.
Friedrich Schiller: „Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit nach dem französischen Werk des Pitaval. Vorrede [1792]“. In: Ders.: Werke und Briefe VII. Historische Schriften und Erzählungen II. Hg. von Otto Dann. Frankfurt a.M. 2002, 450–451.
- 38.
Historischer Hintergrund ist die Lebensgeschichte des Sonnenwirtes Friedrich Schwan, der 1760 hingerichtet wurde. Der Untertitel „eine wahre Geschichte“ bezieht sich dabei nicht auf die historische Wahrheit, sondern auf die poetische. So schreibt Schiller in einem Brief an Caroline von Beulwitz: „Man lernt auf diesem Weg den ‚Menschen‘ und nicht ‚den‘ Menschen kennen, die Gattung und nicht das sich so leicht verlierende Individuum“ (Friedrich Schiller: „Brief an Caroline von Beulwitz vom 10.12.1788“. In: Ders.: Werke und Briefe XI. Briefe I. 1772–1795. Hg. von Georg Kurscheidt. Frankfurt a.M. 2002, 349–351, hier: 350); vgl. dazu auch Susanne Lüdemann: „Literarische Fallgeschichten. Schillers ‚Verbrecher aus verlorener Ehre‘ und Kleists ‚Michael Kohlhaas‘“. In: Jens Ruchatz/Stefan Willer/Nicolas Pethes (Hg.): Das Beispiel. Epistemologie des Exemplarischen. Berlin 2007, 208–224, hier: 213–216.
- 39.
Vgl. zum „anthropologisch-psychologische[n] Interesse am individuellen Menschen“ im Verbrecher aus verlorener Ehre: Martina Wagner-Egelhaaf: „Rhetorik“. In: Thomas Gutmann/Eberhard Ortland/Klaus Stierstorfer (Hg.): Enzyklopädie Recht und Literatur (2022): https://lawandliterature.eu/index.php/de/inhalt?view=article&id=43&catid=11 (18.5.2023), hier: Rn. 72–73.
- 40.
Friedrich Schiller: „Verbrecher aus Infamie. Eine wahre Geschichte [1786]“. In: Werke und Briefe VII. Historische Schriften und Erzählungen II. Hg. von Otto Dann. Frankfurt a.M. 2002, 562–587, hier: 563–565.
- 41.
„Infamie“ bezeichnet im römischen Recht die Ehrloserklärung einer Person im Sinne einer Schmälerung ihrer Rechtsfähigkeit, etwa die Aberkennung bürgerlicher Rechte infolge einer gerichtlichen Verurteilung. Vgl. Lüdemann: „Literarische Fallgeschichten“ (wie Anm. 38), 215.
- 42.
In diesem Abschnitt der Erzählung wird kurzgefasst die Straftat und der damit verbundene Ehrverlust über die Biographie und Affektlage des Individuums erklärt: „Christian Wolf war der Sohn eines Gastwirts […]. Die Natur hatte seinen Körper verabsäumt. […] Er wollte ertrotzen, was ihm verweigert war […] und beredete sich, daß er liebe. […] [E]r wurde Wilddieb, und der Ertrag seines Raubes wanderte treulich in die Hände seiner Geliebten“ (Schiller: „Verbrecher aus Infamie“ (wie Anm. 40), 565–566).
- 43.
Ebd., 568.
- 44.
Vgl. Pethes: „Vom Einzelfall“ (wie Anm. 35), 66.
- 45.
Harald Neumeyer: „Schwarze Seelen. Rechts-Fall-Geschichten bei Pitaval, Schiller, Niethammer und Feuerbach“. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 31/1 (2006), 101–132, hier: 106.
- 46.
Strafrechtsterminologisch präzise handelt es sich um eine räuberische Erpressung, §§ 253, 255 Strafgesetzbuch. Als Klausur gäbe der Fall viele diskussionswürdige Probleme her, die von der Geschichte aber nicht eindeutig geklärt werden: So lässt sich fragen, ob überhaupt eine für die Strafbarkeit notwendige Gewaltanwendung oder ernstliche Drohung mit einem empfindlichen Übel vorliegt, da Michalka die Kassiererin lediglich anflehte, ihm Geld zu geben; umgekehrt fühlte jene sich laut eigener Aussage nicht bedroht, sondern gab Michalka das Geld aus Mitleid, sodass es auch an der Kausalität zwischen Nötigungserfolg und Vermögensverfügung fehlen könnte (dann aber ein Versuch nach §§ 22, 23 Strafgesetzbuch?). Das Mitführen der Spielzeugpistole (Scheinwaffe) könnte eine Qualifikation der Tat als schwerer Fall begründen, § 250 Absatz 1 Nummer 1 b) Strafgesetzbuch, was sich aber auch gut vertretbar verneinen lässt, da diese im Gerichtsverfahren als augenscheinlich völlig ungefährlich beschrieben wird. Das psychiatrische Gutachten begründet wohl Michalkas verminderte Schuldfähigkeit, was eine Strafmaßmilderung nach §§ 21, 49 Absatz 1 Strafgesetzbuch nach sich zöge.
- 47.
Die Nähe der Fallgeschichte zum Beispiel findet sich innerhalb der Fallgeschichtenforschung immer wieder, vgl. etwa Christiane Frey: „Am Beispiel der Fallgeschichte. Zu Pinels ‚Traité médico-philosophique sur l’aliénation‘“. In: Ruchatz/Willer/Pethes: Das Beispiel (wie Anm. 38), 263–278, hier: 264; vgl. kritisch dazu Krause: „Poetologie literarischer Fallgeschichten“ (wie Anm. 28), 244; Düwell/Pethes: „Einleitung“ (wie Anm. 31), 22.
- 48.
Michel Foucault: Das Leben der infamen Menschen [frz. 1977]. Aus dem Französischen übersetzt von Walter Seitter. Berlin 2001, 41: „Die Macht wird aus einem feinen, differenzierten, kontinuierlichen Netz bestehen, in dem sich die unterschiedlichen Institutionen der Justiz, der Polizei, der Medizin, der Psychiatrie in die Hände arbeiten. Und der Diskurs, der sich dann bilden sollte, wird nicht mehr die alte künstliche und ungeschickte Theatralik haben; er wird sich in einer Sprache entwickeln, die die Sprache der Beobachtung und der Neutralität zu sein beansprucht.“
- 49.
Ebd., 47.
- 50.
Stefan Reinecke: „Wie kalter Marmor“. In: die tageszeitung (5. 8. 2010), 17, beschreibt Schirachs Stil folgendermaßen: „Verknappt, verdichtet, in kurzen Hauptsätzen erzählt, eine Sprache wie kalter Marmor“.
- 51.
Vgl. Gerhard Neumann: „Ferdinand von Schirach, Verbrechen. Stories.; Ferdinand von Schirach, Schuld. Stories.“ [Rezension]. In: Arbitrium 30/1 (2012), 118–127, hier: 120: „In diese Tradition der Fallgeschichte, die ihre Narrative aus der Lücke zwischen Triebpotential des homme infâme und dem Diskurs des Gesetzes heraus entwickelt, stellen sich die beiden von Ferdinand von Schirach publizierten Sammelbände.“ Und auch Stephan Wolting resümiert: „Die Sprache von Schirachs ist genau, detailliert, kurz und knapp, als würde er einen kurzen Bericht über die Tat geben“ (Stephan Wolting: „‚Jemanden verteidigen heißt, dessen Geschichte zu erzählen.‘ Zum Zusammenhang von juristischem Verteidigen und Erzählen im Frühwerk des Erfolgsautors Ferdinand von Schirach“. In: Edward Białek/Monika Wolting (Hg.): Erzählen zwischen geschichtlicher Spurensuche und Zeitgenossenschaft. Dresden 2015, 287–308, hier: 297).
- 52.
So z.B. in „Fähner“ [Verbrechen] (17), „Liebe“ [Verbrechen] (179), „Kinder“ [Schuld] (63) und „Der Koffer“ [Schuld] (96). Dass die Begriffe „Fall“ und „Sache“ bei Schirach synonym verwendet werden, zeigt die Erzählung „Notwehr“ [Verbrechen]: „‚Bitte kümmere dich um die Sache […]‘, sagte der Anwalt am Telefon. […] Kesting kannte den Fall bereits aus dem ersten Bericht Dalgers“ (126 und 131).
- 53.
Hans Dahs: Handbuch des Strafverteidigers. Köln 41977, 396. Die weiteren Ausführungen beschreiben ein Beispiel, das prinzipiell auch zu den ‚Ordnungsstörungen‘ in Schirachs Fallgeschichten Parallelen aufweist: „In dem Verfahren gegen einen hochverdienten Beamten […] zeichnete der Verteidiger dann ein Bild von den ungewöhnlichen Charaktereigenschaften und Leistungen dieses Mannes und schlug seine Zuhörer ganz in seinen Bann. Die ‚Tat‘ erschien am Schluß des Plädoyers als eine Winzigkeit in einem sonst vorbildlichen Beamtenleben.“
- 54.
Einschlägig wäre etwa Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.2.1981–1 StR 834/80.
- 55.
Zu dieser Formulierung vgl. etwa Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.2.2003–1 StR 403/02.
- 56.
Aus der Ausbildungsliteratur vgl. Freund/Rostalski: Strafrecht AT (wie Anm. 10), 116–117.
- 57.
Insbesondere bei lebensgefährlichen Handlungen wird dem Verteidiger Zurückhaltung auferlegt, vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.3.1996–5 StR 432/95.
- 58.
Vgl. exemplarisch Freund/Rostalski: Strafrecht AT (wie Anm. 10), 351.
- 59.
Naheliegend handelt es sich um Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9.10.1997–3 StR 465–97; sehr ähnlich ist auch (indes nach Veröffentlichung des Erzählbandes entschieden) Bundesgerichtshof, Beschluss vom 6.11.2012–2 StR 394/12.
- 60.
Zu dieser Parallele vgl. bereits Fischer: „Strafe“ (wie Anm. 3), 394.
- 61.
Vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 3.5.2012–3 StR 109/11 – zur Übereinstimmung vgl. Randnummer 4 in dem Beschluss mit Der kleine Mann (96).
- 62.
Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.8.2005–1 StR 140/05; auf diese Übereinstimmung verweist auch Fischer: „Strafe“ (wie Anm. 3), 395–396.
- 63.
Vgl. etwa Beulke: Klausurenkurs (wie Anm. 22), 265 und 308–312.
- 64.
Grundlage der Erzählung ist daher Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.4.2010 – GSSt 1/09.
- 65.
Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.2.1983–4 StR 27/83; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.12.2010–3 StR 454/10; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8.7.2014−3 StR 228/14.
- 66.
Vgl. hierzu in einem Tötungsdelikt mittels Axthieben Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8.9.2016–1 StR 372/16.
- 67.
Programmatisch ganz am Anfang stehend etwa im Lehrbuch von Freund/Rostalski: Strafrecht AT (wie Anm. 10), 1–24.
- 68.
Es liegt nahe, dass dieses Plädoyer als geraffte Erwähnung des sprachlichen Aktes stellvertretend für die bereits zuvor erzählte Biographie aus der Perspektive Fähners steht.
- 69.
Knapp zwei Drittel der nacherzählten Lebensgeschichte (7–14) sind auf die Handlungen, Gedanken und Reden der titelgebenden Figur Fähner konzentriert.
- 70.
Wobei gleichermaßen Stereotype des dämonischen Succubus wie auch der selbst verführten und daher zu bemitleidenden Kindsmörderin bedient werden.
- 71.
Vgl. dazu den Beitrag von Franziska Plettenberg im vorliegenden Band.
- 72.
Das Adjektiv „gut“ ist, vor dem titelgebenden Namen des Fallsubjektes, das letzte bedeutungstragende Wort der Fallgeschichte: „In diesem Jahr sind die Äpfel gut. Fähner“ (19). Auf die symbolische Konnotation des Apfels im Kontext von Gut und Böse sei hier nur am Rande verwiesen, vgl. dazu den Beitrag von Lisa Czolbe im vorliegenden Band.
- 73.
Die beiden wichtigsten Entscheidungen hierzu waren Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.3.2003–1 StR 483/02 und Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.11.2004–1 StR 331/04.
- 74.
Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.3.2006–2 StR 561/05; in einem Ausbildungsbeitrag wird dieses Zitat mit den Worten kommentiert: „Diese bekannte Formulierung sollte in der Klausurbearbeitung so verwendet werden“ (Johannes Kaspar: „Das Mordmerkmal der Heimtücke“. In: Juristische Arbeitsblätter 39/10 (2007), 699–704, hier: 700).
- 75.
Vgl. grundlegend Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.5.1981 – GSSt 1/81; die Diskussion hierzu füllt Bibliotheksregale, für einen gedrängten Überblick aus der Ausbildungsliteratur vgl. etwa Kaspar: „Heimtücke“ (wie Anm. 74), 703–704.
- 76.
Als Möglichkeit aufgezeigt in Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.3.2003–1 StR 483/02.
- 77.
Zur engen Auslegung des Gegenwärtigkeit-Tatbestandsmerkmals vgl. Freund/Rostalski: Strafrecht AT (wie Anm. 10), 121.
- 78.
Vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.3.2003–1 StR 483/02; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.11.2004–1 StR 331/04.
- 79.
Vgl. etwa Rita Haverkamp/Johannes Kaspar: „Anfängerhausarbeit – Strafrecht: Versuchte Tötung des schlafenden ‚Haustyrannen‘“. In: Juristische Schulung 46/10 (2006), 895–900, hier: 895–898.
- 80.
Noch in Pitavals Fallgeschichten ist der Gattenmord häufig verbunden mit dem Motiv der Bevorzugung eines Nebenbuhlers oder der Erbschaftsgewinnung. Erst im naturalistischen Drama wird der schlagende Ehemann in Verbindung mit Alkoholismus verstärkt auf die Bühne gebracht.
- 81.
Vgl. Pitaval: „Geschichte des Prozesses der Marquise von Brinvillier“ und „Die traurigen Folgen einer unglücklichen Ehe“. In: Ders.: Sonderbare und merkwürdige Rechtsfälle (wie Anm. 33). Bd. 1, 338–460 und Bd. 3, 456–480.
- 82.
Vgl. Haverkamp/Kaspar: „Anfängerhausarbeit“ (wie Anm. 79), 895.
- 83.
Vgl. ebd., 901–902.
- 84.
Heribert Prantl: „Vom Elend des Menschen“. In: Süddeutsche Zeitung (27.10.2011), 14.
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Fischer, C., Schnetter, M. (2024). Fall und Fallgeschichte in Ferdinand von Schirachs Stories. Ein interdisziplinärer Austausch zwischen Literatur- und Rechtswissenschaft. In: Nehrlich, T., Schilling, E. (eds) Ferdinand von Schirach. Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, vol 17. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-68787-1_11
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