1 Deskilling

In einem programmatischen Text von 1970 bringt Daniel Buren die Ambivalenz der Institutionenkritik auf den Punkt: „Dieser Kontext gilt als neutral, weil man nicht an ihn denkt; und doch löst sich jedes Werk als Werk in nichts auf, wenn es ohne ihn erscheint, also zeitlos und unbegrenzt, ja rein und neutral ist.“Footnote 1 Die Rahmungen oder Institutionen, in denen künstlerische Arbeiten erscheinen, sind alles andere als neutral, sie sind aber auch nicht einfach Verzerrungen künstlerischer Gestaltungen, die ohne sie (je nach Vorliebe) besser, reiner, authentischer, kritischer wären. Sich von ihnen vollständig zu befreien, liefe auf eine Auflösung der Sache heraus, auf die Unmöglichkeit, überhaupt noch etwas als Kunst zu produzieren oder zu rezipieren. Wenn es aber keine reine, rahmen- und institutionslose Kunst gibt, kann ihre Institutionen kritisieren nur bedeuten, sie umzubauen. Eine Voraussetzung dafür ist es, sie erst einmal künstlerisch sichtbar zu machen – ohne dass vorweg klar wäre, welcher Art diese Sichtbarkeit sein könnte, und ohne dass es irgendeine Garantie dafür gäbe, dass sie zu tatsächlichen Veränderungen führt.

In diesem Kapitel möchte ich mich drei institutionenkritischen Positionen zuwenden, denen es auf verschiedene Weise um diese Sichtbarkeit geht und die für gewöhnlich nicht in dieser Weise zusammengebracht werden: Buren selbst, Helmut Lachenmann und Mierle Ladermann Ukeles, also zwei Künstler*innen und einen Komponisten derselben Generation, die ihre künstlerische Arbeit nach bzw. inmitten des großen intermedialen Aufbruchs der sechziger Jahre begannen, ohne an ihm wirklich teilzuhaben. Wenn ihre jeweilige Praxis als Reflexion der Orte verstanden werden kann, an denen sie sich situiert findet, so nimmt dies sehr verschiedene Formen an. Ich wähle diese drei sozusagen klassischen Beispiele, weil sie mir exemplarisch für die Weise zu sein scheinen, auf die diese Reflexion in den Feldern der bildenden Kunst und der Musik gestartet ist, und damit auch einiges über diese Felder selbst sagt; aufschlussreich ist gerade auch ihr Kontrast. Ladermann Ukeles bleibt, auch wenn sie in der bildenden Kunst gearbeitet hat und nur dort arbeiten konnte, in gewisser Weise exterritorial.

Es ist hilfreich, sich diese drei Positionen unter dem Gesichtspunkt der Dialektik von deskilling und reskilling im Kontext der gesellschaftlichen Transformation der Arbeit anzusehen, wie sie John Roberts für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts in der Folge von Duchamp ausgearbeitet hat. Deskilling steht für den Bedeutungsverlust handwerklicher Fertigkeit bis hin zum ausdrücklichen Verzicht, der allerdings nicht am Ende der Entwicklung, sondern an ihrem Anfang steht: in der radikalen Geste der Readymades, mit der industriell gefertigte Gegenstände lediglich ausgewählt und präsentiert wurden. Statt souverän zu gestalten, verlegt sich der Künstler auf „placing, ordering, selecting“.Footnote 2 Künstlerisches Können und künstlerische Intelligenz verschwinden damit nicht oder räumen der Übermacht industrieller Produktion das Feld, sondern verlagern sich auf solche auswählenden, ordnenden, präsentierenden oder auch intervenierenden Tätigkeiten, die ihre eigene Komplexität aufweisen. In dieser Hinsicht muss von einem komplementären reskilling gesprochen werden, der Ausbildung eines anderen Typs von Fertigkeit. Ergebnis ist ein Bild von „artists as thinkers and constructors, rather than as the makers of fictive illusions“,Footnote 3 das Roberts nicht nur bei Duchamp, sondern auch bei den russischen Konstruktivisten findet.

Dabei ist wichtig zu sehen, dass diese Bewegung nicht einer rein kunstimmanenten Logik und Konsequenz folgt, sondern auf die Veränderungen in der gesellschaftlichen Struktur von Arbeit und Arbeitsteilung reagiert, der Art, wie technische Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse die reale Arbeitswelt formen; Roberts nennt dies in Anlehnung an Marx „general social technique“.Footnote 4 Als handwerklich perfekter Schöpfer hielte der Künstler der Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts lediglich hilflos ein romantisiertes Gegenbild entgegen, dem man nur schwer eine kritische Pointe abgewinnen könnte; als intelligente Produzentin, die die Spielräume des reflexiven und (teil)autonomen Darstellens vor dem Hintergrund und im Kontext industrieller Arbeitsteilung und heteronomer Arbeit und mit Bezug auf sie auslotet, kann sich die Künstlerin real auf die gegenwärtige Wirklichkeit beziehen, ohne sich ihr auszuliefern.

Dies impliziert keine vollständige oder weitgehende Diskursivierung und ein damit einhergehendes Verschwinden materiell realisierter Kunstwerke, wie es etwa in der radikalsten Phase der konzeptuellen Kunst erscheinen mochte. Das Stichwort ist nicht Entmaterialisierung, sondern eine Verschiebung des Verhältnisses zur materiellen Produktion und ein entsprechend verändertes Verständnis künstlerischer Arbeit von handwerklicher zu konzeptueller Präzision.Footnote 5 Nun hat diese Bewegung die einzelnen künstlerischen Bereiche auf sehr verschiedene Weise erfasst und geprägt, und es ist offensichtlich nicht so, dass handwerkliche Fertigkeit heute keine Rolle mehr spielt, auch nicht in der bildenden Kunst, wo die Bewegung am einflussreichsten war. Diese Unterschiede im Umgang mit der Frage oder Herausforderung des deskilling und ihren Zusammenhang mit der gegenwärtigen Arbeitswelt herauszuarbeiten, bedürfte einer eigenen ausführlichen Untersuchung.Footnote 6 Hier soll es anhand der drei Beispiele um die konkretere Frage gehen, wie diese Herausforderung sich in der Möglichkeit und Praxis von Institutionenkritik wiederfindet, oder schärfer gefragt, ob sie nicht die Voraussetzung dafür ist, sich überhaupt kritisch auf die Institutionen zu beziehen, unter die man sich „subsumiert“ findet, um noch einmal Gehlens Begriff zu verwenden.

2 Streifen als Marke: Daniel Buren

Aus den kaum auf einen Nenner zu bringenden Heroen der ersten Generation der institutionenkritischen Kunst, Daniel Buren und Marcel Broodthaers in Europa, Ukeles, Hans Haacke und Michael Asher in den USA, sticht Buren vor allem durch die gedankliche und polemische Schärfe seiner theoretischen Reflexionen und durch die Klarheit – oder auch: das monomanisch Stereotype – seiner Arbeit heraus. Er hat in der zweiten Hälfte der sechziger Jahren eine Art Markenzeichen entwickelt, für das er heute noch bekannt ist: „Papier mit senkrechten, jeweils 8,7 cm breiten Streifen, abwechselnd weiß und farbig, auf Innen- und Außenflächen aufgebracht (aufgeklebt): auf Wände, Zäune, Fenster usw., und/oder Stoff/Leinwand/Träger, von denen die beiden äußeren mit matt-weißer Farbe bedeckt sind“.Footnote 7 Das Normierte und eher Dekorative dieser Form, die nicht nur auf Papier ausgeführt wurde, verhindert eine primär ästhetische Wahrnehmung bzw. lässt sie ins Leere laufen – die Poster, Banner, Fahnen etc. können unmöglich als Werke in einem starken Sinne aufgefasst werden, ihnen fehlen Individualität, Ausdruck, jeglicher Verweis auf ein Künstlersubjekt. In ihrem Verzicht auf formale Artikulation haben sie offensichtliche Anklänge an die Minimal Art, wobei das gänzlich Repetitive und die materielle Belanglosigkeit ihrer Realisierung den Markisen vor Pariser Bistros ebenso viel verdankt wie kunsthistorischen Vorläufern. Sie sind weder anstößig noch auch nur sonderlich interessant, sondern in ihrer ästhetischen Neutralität eher ausdrücklich uninteressant.

Interessant sind die Orte und die Weise ihres Erscheinens. Wenn die gestreiften Poster in Massen im öffentlichen Raum in Paris oder anderswo auftauchen, werden sie als (unaufdringliche) künstlerische Intervention erkennbar. In Burens Worten: „Nur dadurch, daß sie den Blick nicht affiziert, kann die Malerei sichtbar werden.“Footnote 8 Dass es dabei wesentlich um die Schwelle von Innen und Außen der Kunstinstitutionen ging, wurde bereits bei seiner ersten Einzelausstellung 1968 in Mailand deutlich, bei der er die Tür der Galerie mit einem Streifenposter verschloss. Die Streifen markieren so die Schwelle und machen sie gleichzeitig unüberschreitbar. In der Tat kann man hier von einer „Ununterscheidbarkeit von Werk, Träger, Rahmen und dem Ort der Präsentation“Footnote 9 sprechen. Die Institutionen werden klarerweise als Orte markiert und als solche selbst zum Material einer Kunst, deren typisierte, minimale Form alle Ebenen der Rahmung – materiellen Träger, dessen Rückseite, Museum oder Galerie, kulturelle Rahmungen und Grenzen – zugleich anspielt oder markiert und so in eine quasi-Sichtbarkeit holt.

Nur eine Kunst, die dies in aller Konsequenz tut, ist für Buren nicht ideologisch: „Nur wenn die verschiedenen, aufeinanderfolgenden Rahmen/Grenzen in ihrer Bedeutung erkannt sind, kann ein Werk/Produkt, wie wir es auffassen, sich zu diesen Grenzen in Beziehung setzen und sie entschleiern.“Footnote 10 Beschränkt sie sich auf einen Teil davon oder entzieht sich dem Problem, indem sie das Museum schlicht verlässt, ist sie zwar nicht mehr idealistisch wie die vorgeblich reine Malerei, aber doch „kleinbürgerlich“, „anekdotisch“, „reaktionär“. Dieses harsche Urteil trifft Duchamp so sehr wie die frühe Konzeptkunst und insbesondere die Land Art, wobei er die komplexe Reflexivität von Robert Smithsons Arbeit entweder ignoriert oder nicht versteht. Dagegen hält er seine eigene Praxis, die dem Anspruch nach all diese Rahmungen, Grenzen und Widersprüche zu ihrem Material macht.

Zwar ist die visuelle Neutralität dieser Kunst dafür die Voraussetzung, aber sie soll doch gesehen und nicht bloß als konzeptuelle Intervention verstanden werden. Sichtbar wird diese „Malerei“ gerade nicht für sich, sondern immer im Verhältnis zu dem Ort, an dem sie auftaucht. Ob die Streifen in der Galerie, außerhalb ihrer oder auf der Schwelle erscheinen, sie funktionieren jeweils anders; weil sie aber nirgends am „richtigen“ Ort und daher auch nirgends deplatziert sind, fungieren sie wie eine Sonde, die die Wirkung der jeweiligen Orte selbst zur Erscheinung bringt. Man könnte sie als theatral im Sinne von Michael Frieds Vorwurf gegen den MinimalismusFootnote 11 verstehen: Sie intervenieren in eine kulturelle, institutionelle und räumliche Situation und erreichen so idealerweise, dass die Situiertheit der Betrachter*innen innerhalb dieses Zusammenhangs bewusst und gleichzeitig transformiert wird. Diese Situiertheit wird dabei nicht mehr primär als räumlich in einem körperlich-phänomenologischen Sinne wie bei Fried, sondern im hier vorgeschlagenen mehrdimensionalen Sinne des Ortes verstanden.

Institutionenkritik ist für Buren gleichbedeutend mit Ideologiekritik, weil die Institution und die ihr konforme Kunst die materiellen, konventionellen und diskursiven Rahmen zum Verschwinden bringen und die Illusion einer reinen künstlerischen Gestaltung zu produzieren versuchen, in der jede gesellschaftliche Bedingtheit verschwindet. Wie allerdings mit diesen kritischen Erkenntnissen künstlerisch und institutionell weiter zu verfahren ist, bleibt offen – die Streifen geben darüber keine Auskunft. Am Ende des zitierten Texts gibt es einen Hinweis, der allerdings in die Richtung einer kaum mehr als verbalen Radikalität geht: Weil „es noch zu früh ist, sie alle aufzusprengen“,Footnote 12 können die Rahmen und Grenzen der Kunst vorerst nur entschleiert werden. Auch wenn das offensichtlich metaphorisch gemeint ist, fühlt man sich doch an das bereits im zweiten Kapitel erwähnte Interview erinnert, in dem Pierre Boulez drei Jahre zuvor vorgeschlagen hatte, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen.Footnote 13 Hier wie dort passierte natürlich gar nichts.

Die Flexibilität, mit der die Institutionen der bildenden Kunst (und der Musik) darauf reagiert haben, war und ist der wichtigste Garant ihres Fortbestehens – wobei man am Ende kaum zwischen ihrer kritischen Weiterentwicklung und der neutralisierenden Eingemeindung jener kritischen Impulse unterscheiden kann. Kwon spricht mit einiger Schärfe vom „mutually dependent dance of love and hate between the ‚critical‘ artist and the museum“,Footnote 14 in dem die (vorläufige) Zensur als Etappensieg auf dem Weg zum Erfolg erscheint. Auf diese Weise kann dann auch Burens Schließung der Galerie im Rahmen einer kaum mehr als kritisch misszuverstehenden Retrospective of Closed Exhibitions (Fribourg 2016) als Installation wieder auftauchen.Footnote 15 Aus dem „Monolog […], der Streit sucht“,Footnote 16 ist eine dekorative Installation geworden.

Dennoch ist Reflexion auf die eigenen Bedingungen der Produktion und Präsentation aus der zeitgenössischen Kunst, und zwar im Dialog mit der theoretischen Auseinandersetzung damit, seit der institutional critique nicht wegzudenken. Paradigmatisch für diesen Dialog sind Brian O’Dohertys bekannte Reflexionen von 1976 über den white cube, die architektonische Ideologie der modernen Kunst schlechthin, ihren universalen, dem Anspruch nach unsichtbaren Rahmen, der nichts als sie selbst zur Erscheinung bringt. O’Doherty widmet sich seinen scheinbar neutralen, tatsächlich aber von Konventionen und Ideologien durchdrungenen Wänden, und den Weisen, in denen Künstler*innen sie transparent zu machen, zu transformieren oder zu durchbrechen versucht hatten.Footnote 17 In dieser Bewegung sind die Texte, die konzeptuelle Strategien nachvollziehen, explizit machen oder auch erst klären, nicht von den Werken zu trennen – seien sie mitkonstitutiv, wie man es von Joseph Kosuth sagen könnte, oder selbst Teil der Arbeiten, wie es bei Smithson der Fall ist. Dass Buren hier eine recht traditionelle Position einnimmt und „die Malerei“ für sich sprechen lassen will, ändert nichts daran, dass seine Arbeiten unweigerlich und legitimerweise im Kontext seiner Texte gesehen werden. Oder besser: Die Forderung, seine Arbeit vor allem, ausschließlich oder auch überhaupt als Malerei zu verstehen, ist selbst ein diskursiver Zug und streicht sich so gewissermaßen selbst durch.Footnote 18

Trotz dieser emphatischen Berufung auf die Malerei setzt Burens Ideologiekritik die von Roberts beschriebene Verschiebung der künstlerischen Fertigkeit voraus. Faktisch bleibt von der Malerei als realer Tätigkeit der Hand des Künstlers nur der lapidare und technisch vollkommen anspruchslose Eingriff übrig, die äußeren beiden Streifen mit weißer Farbe zu bedecken – eine Art Markierung mit dem Zweck, die Arbeiten trotz ihres technisch reproduzierten Charakters als Malerei lesbar zu erhalten. Seine eigentliche Arbeit ist konzeptuell und besteht in der Erfindung der Streifen als „Methode“ und in ihrer jeweils geschickten Platzierung.

Dass die Reproduzierbarkeit und universale Einsetzbarkeit der Streifen jeglichen Ästhetizismus verhindern, hat eine Kehrseite, die einen der Fallstricke konzeptueller Intelligenz sehr deutlich hervortreten lässt: Die Ablehnung von Ausdruck, Stil und Künstlertum zugunsten einer universalen Methode trägt bereits deutliche Züge der Markenbildung und damit der einer gänzlich marktförmigen Kunstwelt angemessenen künstlerischen Strategie. Wie Benjamin Buchloh bemerkt hat, nehmen die Arbeiten von Buren und seinen damaligen Mitstreitern Olivier Mosset, Michel Parmentier und Niele Toroni in demselben Moment, in dem sie die scharfe Trennung zwischen (kreativen) Künstler*innen und (passivem) Publikum aufheben, selbst spektakelhafte Züge an und verdichten sich darüber hinaus zu unmittelbar wiedererkennbaren Marken: „the demolition of authorship produces instant brand names and identifiable products.“Footnote 19 Die „affichages sauvages“, die wilden Plakatierungen seines Streifenmotivs im Stadtraum Anfang der 1970er-Jahre, erscheinen von hier aus als Vorläufer für das, was man heute Guerilla-Marketing nennt. Werbung, Marke und Sache sind hier nicht mehr zu unterscheiden: Die Streifen werben nicht für ein Produkt, sie sind das Produkt.

Was würde man nach all dem als Burens Material bezeichnen? Die materiellen Grundlagen Leinwand oder Papier, Webtechnik, Druckfarbe und -technik und die weiße Farbe für die „malerischen“ Ränder sind nur ein kleiner Teil davon. Die minimalistische Form, der jede innere Artikulation fehlt und die auf das Verhältnis von Figur und Hintergrund verzichtet, gehört ebenso dazu, und die Tatsache, dass sie sich visuell auf ein in der Alltagswelt vorkommendes Muster bezieht, führt zu einer doppelten Genealogie: auf der einen Seite der Minimalismus, der bereits die Prinzipien repetitiver industrieller Fertigung in sich aufgenommen hatte, auf der anderen real industriell gefertigte Gegenstände. In diesem Sinn haben die Streifen etwas von einem minimalistischen „assisted“ oder „rectified readymade“,Footnote 20 das allerdings entgegen Duchamps Praxis selbst unabsehbar vervielfältigt werden kann. Grundlage dieser Vervielfältigung ist nicht nur die technische Reproduktion, sondern vor allem der „methodische“ Charakter ihrer Anwendung in ganz verschiedenen Kontexten, auf die sie mit wandelbaren äußeren Formen reagiert, von den geklebten Plakaten im öffentlichen Raum über die riesige, hängende Fahne Peinture-Sculpture im Guggenheim-Museum in New York 1971, die nach dem Protest anderer Künstler in derselben Ausstellung am Vorabend der Eröffnung abgehängt wurde,Footnote 21 bis zu den durch die John Weber Gallery und über die Straße gespannten Flaggenreihen Within and Beyond the Frame ebenfalls in New York 1973.

Aber auch die Orte ihres Erscheinens – in Burens eigenen Begriffen ihre Rahmen – können als Material der Arbeiten bezeichnet werden. Die methodische „Wiederholung von Unterschieden im Hinblick auf dasselbe“Footnote 22 erreicht hier gewissermaßen eine Umkehrung der normalen Situation: Während in der Galerie oder dem Museum sehr verschiedene Bilder auf einheitlich gestalteten, scheinbar neutralen Wänden erscheinen, werden nun die Bilder konstant und so neutral gehalten, dass man sie gerade noch als bildhaft erkennt, während die Orte jeweils verschieden sind und in ihrer Verschiedenheit hervortreten, allerdings eher in einem funktionalen als einem ästhetischen Sinne. Damit wird der Kunst kein Material von außen zugeführt, sondern die Reflexion verwandelt eine Dimension der künstlerischen Praxis und Präsentation in Material, das zuvor ihren Hintergrund bildete.

Vergleich man sie etwa mit Broodthaers’ subtiler und ironischer Auseinandersetzung mit dem Museum als Ort der politischen Inszenierung und Haackes Erforschung von Demographie und finanziellen Strukturen der Kunstwelt, so sind Burens Arbeiten im buchstäblichen Sinne plakativ und schematisch, und in dieser Deutlichkeit liegt ihre Wirkung. Allerdings bleiben sie in ihrer Konzeptualität formal, denn über die Markierung von Schwellen und Orten gehen sie nicht hinaus. Hier zeigt sich ein weiterer, diesmal genuin modernistischer Material- und Traditionsstrang: Die Streifen erscheinen als Fortsetzung einer formalen Reflexivität, die sich nun nach den Bedingungen bildlicher Darstellung und der Materialität der Malerei dem Kontext ihres Erscheinens zuwendet, und zwar auf nicht weniger formale Weise. Insofern liegt auch hier eine Reflexion auf „die Bedingungen, denen ein Bild entsprechen muß, damit es überhaupt als Bild erfahren werden kann“,Footnote 23 die nun nicht mehr Greenberg folgend in seiner „flatness“ gesucht werden, sondern in seinen gestaffelten Rahmungen. Dabei folgt Buren aber der von Greenberg beschriebenen Reduktion auf das Minimum jener Bedingungen, indem er die Rahmungen als räumlich-institutionelle Differenzen und insofern tatsächlich rein auffasst und vorführt. Dass diese Markierung zu weitergehenden Reflexionen über die Logik der Kunstinstitutionen anregt, ist kaum zu bestreiten, aber der einzige explizite Gegenstand dieser Kunst bleibt letztlich die Differenz zwischen Innen und Außen selbst und ihre Subvertierung. Insofern wird die Mehrdimensionalität künstlerischer Orte in dem Moment, wo sie anerkannt wird, auf reine Verhältnisse von Differenzen reduziert.Footnote 24

3 Realistik im Rahmen: Helmut Lachenmann

Im Falle Helmut Lachenmanns ist die Situation eine grundlegend andere, was eben nicht nur mit seinen persönlichen künstlerischen Entscheidungen zusammenhängt, sondern wesentlich auch mit der Struktur des Ortes, an dem er sich situiert (findet). Lachenmann ist heute einer der international berühmtesten Komponisten, war aber bis in die achtziger Jahre auch dann noch umstritten als revolutionärer Klangverweigerer, als Buren bereits höchst erfolgreich war. Auch er hat zahlreiche Texte verfasst, die sich mit seinen eigenen Arbeiten, aber auch sehr grundsätzlich mit der Situation der Neuen Musik der damaligen Zeit beschäftigen, auch seine Texte sind auf einem hohen reflexiven Niveau und auch hier wird nicht mit harschen Urteilen über Zeitgenossen gespart. Seine tatsächliche künstlerische Praxis ist aber wesentlich ästhetisch und nicht konzeptuell. Zwar ist es richtig, dass notierte Musik per se eine konzeptuelle Dimension hat und dass diese auch in Lachenmanns Reflexion auf die konkrete Arbeit der Klangerzeugung explizit wird. Dennoch ist das Ziel dieser Arbeit, der eigentliche Gegenstand der Komposition, die strukturierte Klanglichkeit. Von einem deskilling kann bei Lachenmann keine Rede sein – was im Übrigen fast ausnahmslos für die gesamte Neue Musik bis heute gilt.

Lachenmann hat seinen Ansatz Ende der sechziger Jahre selbst als musique concrète instrumentale bezeichnet. Der Titel verrät, dass er sich an Pierre Schaeffers musique concrète anlehnt, die mit aufgenommenen Alltagsgeräuschen arbeitete, und sich gleichzeitig klar von ihr abgrenzt: Die Klänge, die verwendet werden, entstammen weitgehend dem traditionellen klassischen Instrumentarium. Während die musikalische Ausbildung normalerweise dahin geht, dem widerspenstigen Material – Holz, Darm, Blech etc. – das Kratzen, Knirschen und Pfeifen auszutreiben und es zugunsten des reinen Tons zum Verschwinden zu bringen, rückt Lachenmann in jener Zeit eben diesen verfemten Verweis auf die Materialität der Klangkörper und ihrer Bearbeitung in den Mittelpunkt einer Musik, „in welcher die Schallereignisse so gewählt und organisiert sind, daß man die Art ihrer Entstehung mindestens so wichtig nimmt wie die resultierenden akustischen Eigenschaften selbst“.Footnote 25 Die resultierenden Stücke stellen die Zuhörer*innen vor eine unbekannte Herausforderung, und auch wenn seine tatsächliche kompositorische Praxis traditionellen Kategorien wie Komplexität, Durchbildung und Konsequenz verpflichtet bleibt und das „mindestens“ im zitierten Satz kaum der Wirklichkeit entspricht, war die Anstößigkeit des Klangmaterials der Stücke zu ihrer Zeit beträchtlich.

Exemplarisch sind hier das frühe Cellostück Pression von 1969, dessen Titel bereits auf den erhöhten Bogendruck als zentrale Spielweise verweist, und das Streichquartett Gran Torso von 1971, das vor allem mit einer differenzierten Palette von Rausch-, Zisch- und Knarrlauten arbeitet. Dabei geht es allerdings nicht um die bloße Erweiterung des Klangrepertoires um ihrer selbst willen, der Lachenmann sehr skeptisch gegenübersteht, sondern eben um die Auseinandersetzung mit den konkreten, materiellen Bedingungen der Klangproduktion, die vor allem dort wahrnehmbar werden, wo sie sich dem herrschenden Ideal des reinen Tons verweigern. Teilweise werden aus diesen neuen Klängen Formgesichtspunkte entwickelt, nachdem sie in „Klangfamilien“Footnote 26 geordnet und so dem kompositorischen Zugriff zugänglich werden. Das Ergebnis sind Stücke, in denen die Hörer*innen immer wieder von der anstößigen oder rätselhaften Klanglichkeit weg auf die Ebene der Form gezogen werden, der sie folgen können, und ebenso zuverlässig wieder zurück zur aufdringlichen Materialität der instrumentalen Prozesse und Klänge, weil ein gestisches oder gar emotionales Mitgehen kaum möglich ist.

Lachenmann hat immer betont, dass sein Bild als Verweigerer jeglicher Zugänglichkeit ein Missverständnis ist, und gar emphatisch den Begriff der Schönheit in Anspruch genommen, gleichzeitig aber die kritische Pointe seiner Musik hervorgehoben.Footnote 27 Wenn er den Gegenstand dieser Kritik beschreibt, ist er ganz auf der Linie der institutionenkritischen Kunst: Er spricht vom „ästhetischen Apparat“ und meint damit

„die tatsächlich verfügbaren Objektivationen dieser ästhetischen Kategorien im Alltag der bürgerlichen Kultur, gemeint als deren Requisiten im weitesten Sinn etwa das gesamte vorhandene und denkbare, überlieferte und neu entwickelte Instrumentarium in Theorie und Praxis, die Musikinstrumente mit ihrer typischen Bauart und der daran gebundenen Aufführungspraxis einschließlich der gebräuchlichen Notation, darüber hinaus alle im Zusammenhang mit unserem Musikbewußtsein und unserer Musikpflege entwickelten und genutzten technischen Mittel, Geräte, Begriffsapparate, Arbeitstechniken, aber auch die in unserer Gesellschaft zuständigen Institutionen und Märkte – wenn man so will: von der Auslage einer Musikalienhandlung bis zur Ehrenkarte der Putzfrau eines Stadtrates beim Gastkonzert der Fischerchöre, von der Hohner-Mundharmonika bis zum beamteten Rundfunksinfonieorchester mit seinen vielen in Quinten gleich gestimmten Geigen und seiner einzigen Baßklarinette.“Footnote 28

Diese lange Liste unterscheidet sich insofern von Burens abstrakter Aufzählung von Ebenen der Rahmung, als sie materielle Vor- und Einrichtungen, Personen und Praktiken und auch Kontexte umfasst, die außerhalb der Produktions- und Präsentationsorte der jeweiligen Kunst liegen und trotzdem für sie relevant sind. Was hier beschrieben wird, könnte man den Ort oder das Dispositiv der „klassischen Musik“ nennen – im Bewusstsein des problematischen Charakters dieser Kategorie. Klassik ist zuerst einmal der Name einer historischen Periode oder eines Stils, der etwa von Haydn bis Beethoven reicht, hat sich aber in der Alltagssprache als Bezeichnung für die gesamte europäische Kunstmusik eingebürgert. Die besondere Situation der Neuen Musik ist, dass sie institutionell weitgehend innerhalb dieses Dispositivs verortet ist, auch wenn sie sich von den harmonisch-tonalen Formen der Tradition verabschiedet und insofern in einer bestimmten Hinsicht einen radikalen Schnitt vollzogen hat. Der reale Ort ihrer Aufführung bleibt aber in der Regel der Konzertsaal, so wie der Ort ihrer Ausbildung an den vollständig von der „klassischen“ Musik dominierten Musikhochschulen bleibt.Footnote 29

Das gilt nun aber auch für Lachenmann selbst: Wendet man sich von der detaillierten Aufzählung von Aspekten des „ästhetischen Apparats“ aus Lachenmanns eigenen Stücken zu, so überrascht, wie wenig sie von dem Versprochenen einlösen. Tatsächlich wird im Grunde außer dem Modus der Klangerzeugung kein einziger dieser Aspekte aufgegriffen: Der Komponist behält die auktoriale Kontrolle, die Notation wird den neuen Erfordernissen entsprechend erweitert, aber nicht in Richtung der Offenheit vieler graphischer oder verbaler Notation der 1950er- und 1960er-Jahre, sondern im Hinblick auf Eindeutigkeit, die Distribution erfolgt über die gewohnten Kanäle, die Aufführungsorte sind die gleichen, das Instrumentarium bleibt erhalten und auch das Metier wird nicht aufgegeben, sondern verlagert: Die Stücke verlangen höchste Präzision in der Ausführung und sind daher auf geschulte Spezialist*innen angewiesen, die sich die ungewohnten Spieltechniken selbst erst aneignen müssen. Dabei verlässt sich der Komponist nicht auf die Anweisungen der Partitur, sondern begleitet bis heute den Probenprozess.

Dadurch, dass die Verrichtungen der Musiker*innen an ihren Instrumenten so weit vom Gewohnten entfernt sind, gewinnen sie von allein etwas Theatrales, das diesmal nicht in Frieds Sinne verstanden werden soll, sondern als Moment herausgehobener körperlicher Performativität. Allerdings wird diese Dimension von Lachenmann nicht eigens festgelegt oder als Gestaltung eigenen Rechts ausgebaut, und es gibt keinen performativen Überschuss über die zur Klangerzeugung nötigen Bewegungen. Eher ist es so, dass man den Musiker*innen beim Arbeiten zusieht; diese Arbeit wird vorgeführt, aber nicht ausgestellt, oder auch: Die Arbeit, die sie in jedem Fall verrichten, wird nicht länger zur reinen Ausdruckshandlung verklärt oder hinter dem reinen Ton zum Verschwinden gebracht. Hier liegt die Rede vom Konkreten oder auch einer „Klangrealistik“Footnote 30 begründet. Diese Realistik ist nach innen gewandt und bleibt ganz auf die konkreten Aktionen selbst bezogen, und die Arbeit kommt ausschließlich in ihrem körperlichen, materiellen und energetischen Aspekt in den Blick. Arbeitsbedingungen, Bezahlung, Beschäftigungsverhältnisse, die strenge Abrichtung im Musikstudium als Zugangsvoraussetzung, auch der eigentümlich stillgestellte Charakter des Instrumentariums kommen nicht vor – aus der angesprochenen Verbeamtung von Orchestermitgliedern wird nichts gemacht, während die prekären Arbeitsbedingungen vieler freischaffender Musiker*innen nicht einmal erwähnt werden.

Indem es überdies eine Arbeit bleibt, die sich nicht wirklich von traditionellen Kategorien handwerklicher Fertigkeit entfernt hat, lässt sich kein inhaltlicher Bezug zur „general social technique“ herstellen, oder nur ein negativer: Die Ausbildung und gewöhnliche Praxis von Musiker*innen in der zeitgenössischen Kunstmusik folgt bis heute weitgehend der Logik des auf die Spitze getriebenen handwerklichen Könnens und setzt sich in dieser Hinsicht der sonstigen gesellschaftlichen Entwicklung dezidiert entgegen. Lachenmanns immanente Kritik dieser Praxis ändert daran letztlich nichts und sie kann es auch mit ihren Mitteln nicht.

Nun hatte er von „Objektivationen ästhetischer Kategorien“ gesprochen, und es sind und bleiben diese Kategorien, auf deren Veränderung seine Praxis zielt. Man kann in der Tat sagen, dass hier „die Musik auf ihre eigentlichen materialen und medialen Grundbedingungen hin befragt wird“,Footnote 31 aber eben nicht auf ihre institutionellen. Damit hängt auch zusammen, mit welchen Mitteln diese Befragung stattfinden kann oder könnte. Die Antwort, die Lachenmann und nicht nur er geben würde, ist: mit musikalischen. Während Burens paralleles Insistieren auf der Malerei etwas gesucht wirkt, muss das Beharren auf musikalischen Mitteln im Bereich der europäischen Kunstmusik gar nicht eigens formuliert werden, weil es so selbstverständlich erscheint. Die zentrale Bestimmung bleibt diejenige von Musik als organisierter Klanglichkeit, auch wenn sie als untrennbar von materiellen Handlungen und Interaktionen vorgeführt wird. Heute bedeutet die Arbeit mit musikalischen Mitteln nicht mehr unbedingt, ausschließlich im Klanglichen zu arbeiten, und diese ausschließende Fixierung ist genau das, gegen das sich Lachenmanns ideologiekritischer Impuls wendet; dennoch bleibt sie ihr unangefochtenes Zentrum, auf das alles andere bezogen werden muss.Footnote 32 Diese Klanglichkeit und ihre Organisation werden nicht, wie bei Buren die Reste der Malerei, in Situationen eingesetzt, um diese zu klären oder sicht- bzw. hörbar zu machen, sondern weiterhin als solche in den Mittelpunkt gestellt. Daher der Verbleib im Konzertsaal. Die Stücke wollen als solche in konzentrierter und fokussierter Aufmerksamkeit in ihren differenziert organisierten Verläufen gehört und nun auch gesehen werden. Ein „opening the doors of the music to the sounds that happen to be in the environment“Footnote 33 geschieht weder im buchstäblichen noch im übertragenen Sinne – zumindest nicht nach außen.

Interessant ist dabei, auf welch charakteristische Weise das Verhältnis der Texte zu den Stücken anders gelagert ist als bei Buren. Lachenmann beschreibt seine diskursiven Anstrengungen folgendermaßen: „Theoretisch denken, Theorien ableiten und reflektieren heißt kompositorische Erfahrungen, eigene und fremde, vernünftig ordnen und, in Auseinandersetzung mit geltenden Wahrnehmungsmechanismen, spekulativ dorthin weiter treiben, wo das kompositorische Temperament ausschlägt, weil es sich nun seiner Individualität in größerem Zusammenhang bewußt wird.“Footnote 34 In gewisser Weise sind die Texte damit näher an der künstlerischen Praxis als bei Buren, denn sie bilden ihren reflexiven Hintergrund, ein kulturelles und historisches Bewusstsein, das Lachenmann als Voraussetzung der eigenen Arbeit beschreibt. Insofern ist die theoretische Reflexion Teil dieser Arbeit. Auf der anderen Seite sind die Texte in keinem Fall als Teil oder Dimension der resultierenden Stücke zu verstehen und damit weiter von ihnen entfernt. Sie bilden den Hintergrund, mischen sich aber nicht in die Arbeiten selbst ein, die ganz für sich genommen werden wollen. Auch Buren wollte ja „die Malerei“ für sich sprechen lassen, aber da seine Texte auch im Selbstverständnis etwas explizit machen, das jene Malerei reicher und besser, aber eben nur implizit darstellen kann, können sie weit eher und auch gegen den Autor als Dimension der methodischen künstlerischen Praxis selbst betrachtet werden.

Als Musiker greift Lachenmann anders als Buren in seinen Texten ohne weiteres auf den Materialbegriff zurück, dessen historische Logik ihm ganz selbstverständlich zu sein scheint. Tatsächlich setzt er in den frühen Jahren einen ungebrochenen Entwicklungs- und Fortschrittszusammenhang voraus, in dem er seine eigene Musik situiert und der im 20. Jahrhundert durch den langen, schwierigen und noch unvollendeten Abschied von der Tonalität geprägt ist. Tonalität wird hierbei in einem denkbar weiten Sinne verstanden, der letztlich auf expressive Selbstbestätigung hinausläuft. Arnold Schönbergs Verabschiedung der harmonischen Tonalität des Dur-Moll-Systems, die das Modell für die Organisation musikalischer Verläufe überhaupt bereitstellte, war von dort aus nur ein erster Schritt. Selbst die serielle Musik, die sich als konsequente Fortsetzung dieser Bewegung verstand und ein ganz für sich genommenes, quasi neutralisiertes Ton- und Klangmaterial rationalen Strukturen unterwarf, bleibt für Lachenmann insofern tonal, als sie noch expressiv gehört werden kann und wird. Dies ist, kann man sagen, der Materialstand, von dem er ausgeht, und sein eigener Schritt zu einer musique concrète instrumentale zielt darauf, die konkrete Klanglichkeit auch und gerade in ihrer kulturellen Aufladung und ihrem Verweis auf ihre Produktion ernster zu nehmen. Noch deutlicher als bei Buren wird hier nichts an Material von außen hinzugenommen, und ebenso wie bei diesem wird eine Selbstreflexion angestrengt, die bisher ausgeblendete Dimensionen der Praxis als Material verfügbar macht.

Dabei verbleiben die Stücke ganz in einem musikalischen Innenraum, und die Gegnerschaft gegen „eine Gesellschaft, welche in der Kunst immer wieder die Versöhnung mit sich selbst feiern möchte“,Footnote 35 kann für Lachenmann in diesem Innenraum stattfinden, weil jene ideologische Versöhnungsfeier vor allem mit musikalischen Mitteln stattfindet. Dabei fehlt aber in der Rekonstruktion der Materialgeschichte auch dann einiges, wenn man sie nur auf die Musik bezieht, etwa Fluxus und Intermedialität, und auch Cage kommt nur ganz am Rande vor.

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass Lachenmanns Stücke aus den späten sechziger und siebziger Jahren uninteressant sind – sie bleiben wichtig und waren in dem, was sie künstlerisch geleistet haben, in der Tat grundlegend. Auffallend ist aber die Diskrepanz zwischen dem kritischen Bezug auf den „ästhetischen Apparat“, der sich durch zahlreiche Texte zieht, und der offensichtlichen Abwesenheit eines institutionenkritischen Impulses in der Musik selbst. Das gilt durchaus nicht nur für ihn: Selbst Mauricio Kagel, der in anderer Hinsicht als Lachenmann, nämlich im Musiktheater Radikales geleistet hat, verteidigt im Gespräch über sein 1971 an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführtes Stück Staatstheater ausdrücklich sein Festhalten an der „Guckkastenbühne“ als Einrichtung, die die Kontrolle des Dargestellten und der Aufmerksamkeit der Zuschauer*innen garantiert, so weit auch die Folge von Szenen von traditioneller Musik und herkömmlichem Theater entfernt sein mag.Footnote 36 Auch wenn es Ende der 1960er-Jahre radikalere Versuche gab, die kritische musikalische Praxis auf die Institutionen auszuweiten, etwa das von Cornelius Cardew ins Leben gerufene Scratch Orchestra mit seinen offenen, professionelle Musiker*innen wie Künstler*innen anderer Sparten umfassenden Strukturen,Footnote 37 ist es doch Lachenmann (und in geringerem Maße Kagel), der bis heute die entscheidende Referenz für ein kritisch auf die eigene Praxis bezogenen Komponierens bildet. Nicht zuletzt damit hat es zu tun, dass es im Bereich der Musik weder eine kontinuierliche institutionenkritische Praxis gibt noch einen entsprechenden Diskurs.Footnote 38 Selbst bei Boulez’ bereits angesprochenem Vorschlag, die Opernhäuser zu sprengen, handelt es sich um die scheinbar radikal institutionenkritische Verpackung ästhetischer Einwände gegen das, was in diesen Opernhäusern gespielt wurde.

4 Die alltägliche Plackerei: Mierle Laderman Ukeles

Lachenmanns Hinweis auf die „Putzfrau“ könnte in eine ganz andere Richtung führen, wenn diese nicht sofort als Anhängerin eines populistischen Primitivismus denunziert würde, für den in den siebziger Jahren die Fischerchöre stehen (eine freundlichere, aber eher unwahrscheinliche Interpretation wäre, dass Lachenmann ihre scheinbar natürliche Präferenz für kulturindustriellen Schund lediglich als Vorurteil ihres Arbeitgebers entlarven will). Der vorsichtige Hinweis, dass auch für die Aufrechterhaltung des Kunst- und Musikbetriebs Reinigungskräfte notwendig sind, erinnert an Howard S. Becker, der darauf insistiert, die Kunst als kooperative Aktivität sehr verschiedener Akteure zu begreifen,Footnote 39 und auf künstlerischer Seite eben an Mierle Laderman Ukeles mit ihrer maintenance art. Maintenance, die Aufrechterhaltung des Lebens und auch der Infrastruktur der Produktion und Präsentation künstlerischer Arbeit, taucht weder in Lachenmanns Auflistung der Dimensionen des ästhetischen Apparats noch in Burens Staffelung von Rahmungen auf. Bei letzterem gibt es überhaupt keinen Hinweis darauf, dass neben materiellen und diskursiven Formationen auch menschliche Arbeit involviert sein könnten.

Bei Ukeles steht am Anfang der künstlerischen Praxis, mit der sie bekanntgeworden ist, ein programmatischer Text, nämlich ihr Maintenance Art Manifesto von 1969. Er beginnt mit einer grundlegenden Unterscheidung, bei der die psychodynamische und die institutionelle Ebene zusammengebracht werden: auf der einen Seite der Todestrieb, der für Individuierung, Avantgarde, Veränderung steht und mit Entwicklung und dem Neuen zusammengebracht wird, auf der anderen der Lebenstrieb, der für Erhalt und Ausgleich steht und mit der Aufrechterhaltung von Infrastruktur assoziiert ist. Die Kunst steht dabei eindeutig auf der ersteren Seite, während die zweite notorisch vernachlässigt, aber fraglos vorausgesetzt wird. Die meisten Institutionstheoretiker, die das vierte Kapitel zitiert hat, allen voran Arnold Gehlen, schlagen sich demgegenüber klarerweise auf die Seite der Stabilität. Dabei werden Institutionen aber in erster Linie als normative Formen der Handlungsentlastung verstanden; ihre materielle Dimension kommt vor allem dann in Betracht, wenn sie durch ihre eigene Form diese Handlungstypen verkörpert, wie es Gehlen exemplarisch an der Klinge und dem Schneiden zeigt.Footnote 40

Die Arbeit, die die bloße Aufrechterhaltung der Institution bedeutet, erscheint so vor allem in zwei Dimensionen: einmal im Handeln selbst, das in den bereitgestellten Formen stattfindet und sie so perpetuiert, zum anderen in der Herstellung (und Reparatur) jener paradigmatischen Gegenstände. Die maintenance, auf die Ukeles hinweist, ist demgegenüber weitgehend unspezifisch und kommt selbst hier nicht vor – es geht ihr um „work that renders itself invisible, and is rendered invisible, in order to make other things (‚real‘ work?) possible“.Footnote 41 Das Reinigungspersonal steht in der Regel ganz am unteren Ende der Werthierarchie und bleibt vollständig unsichtbar; wer es sich leisten kann, putzt nicht einmal seine eigene Wohnung, sondern lässt sie in seiner Abwesenheit reinigen, und zwar in der Regel von einer Frau – die Tätigkeit ist bis heute klar weiblich codiert und wird vor allem von Frauen ausgeführt. Silke Duda, von der eine der wenigen Studien dazu stammt, hält im Vorwort fest: „Ich bin im Rahmen langjähriger Forschungsarbeiten noch keiner Form von Lohnarbeit begegnet, die so hartnäckig ignoriert, so konsequent unter dem Konsens des Verschweigens begraben wurde, wie das Putzen.“Footnote 42 Es ist bezeichnend, dass sie selbst in Beckers Bild der Kunstwelt nicht auftauchen, und dass sie auch kaum als exemplarisch für die „general social technique“ der Gegenwart gelten können. Zwar hat es hier eine Verschiebung des Schwerpunkts von Industriearbeit zu Service- und Care-Arbeit gegeben, die sich auch in der zeitgenössischen künstlerischen Produktion wiederspiegelt, aber das Putzen als reine maintenance kommt auch hier bestenfalls am Rande vor. Es erfordert scheinbar kein besonderes Können und ist auch in dieser Hinsicht weiter entfernt von der künstlerischen Tätigkeit als jede andere Arbeit, gemeinsam vielleicht mit der des eindeutig männlich codierten Müllmannes.

Ukeles hat immer wieder im ganz buchstäblichen Sinne im Museum die Position der Putzfrau eingenommen, „[r]endering the invisible visible across the divides of gender, private/public, high/low, and art/everyday life“.Footnote 43 In der am besten dokumentierten Performance Hartford Wash hat sie 1973 zu den Öffnungszeiten in und vor dem Wadsworth Athenaeum die Böden. Fotos zeigen sie auf dem Boden kniend, quasi als Verkörperung des „niederen“ Charakters dieser Arbeit gegenüber den stehenden Museumsbesucher*innen. Dabei geht es weder um eine Glorifizierung dieser Tätigkeiten noch um ihre Rettung für die hohe Kunst. In ihrem Manifest heißt es unmissverständlich: „Maintenance is a drag. It takes all the fucking time.“Footnote 44

Die Einbeziehung des Alltäglichen oder seine Uminterpretation in einen künstlerischen Vorgang findet sich seit den fünfziger Jahren und wurde wesentlich von Duchamp und Cage inspiriert, aber die meisten Praktiken der sechziger Jahre haben gemeinsam, dass sie Alltagshandlungen als Material nehmen, um daraus besondere Situationen zu schaffen, selbst wenn sie, wie oft bei George Brecht, materialiter in nichts über den Alltagsvollzug hinausgehen. Cages vielzitierte Aussage, auch das Öffnen einer Tür könne Kunst sein, „[i]f you celebrate it“,Footnote 45 ist hier paradigmatisch, und Dantos Formulierung von der „Verklärung des Gewöhnlichen“ trifft in diesem Fall genau.Footnote 46 Dabei geht es allerdings gerade nicht um das Aufrechterhalten von Infrastruktur, sondern immer um einen Überschuss, sozusagen um eine Ausweitung des Reichs der Freiheit. Im Gegensatz dazu ist es nicht Ukeles’ Ziel, nun auch noch das Putzen als Feld künstlerischer Gestaltung ohne pragmatischen Zweck zu erobern, zu zelebrieren oder als ironische Geste vorzuführen (wie man es etwa für Brechts SOLO FOR VIOLIN VIOLA CELLO OR CONTRABASS, das nur aus dem Wort „polishing“ besteht, oder Ben Vautiers Audience Piece no. 4, dessen score „After the audience is seated, performers proceed to clean the theater very thoroughly“Footnote 47 beginnt, vermuten kann), sondern eine Umwertung der real notwendigen maintenance zu fordern, indem sie sie selbst vollzieht und zur Kunst erklärt. Aber hier gibt es nichts zu feiern oder zu verklären.

Die Aktion Transfer: The Maintenance of the Art Object, ebenfalls 1973 in Hartford, eröffnet eine komplexere Konstellation: Die Reinigung einer Vitrine, in der eine Mumie ausgestellt ist, obliegt normalerweise dem entsprechenden Personal. Indem Ukeles selbst diese Reinigung vornimmt, erklärt sie sie und die Vitrine selbst zu einer Arbeit der Mainentance Art, die entsprechend gestempelt und zertifiziert wird.Footnote 48 Ab diesem Zeitpunkt ist für ihre Pflege der Kurator verantwortlich und nicht mehr das Reinigungspersonal, das die Kunst selbst nicht anrühren darf. Inbegriff einer solchen Überschreitung ist die sprichwörtliche ahnungslose – und erfundene – Putzfrau, die Joseph Beuys’ unbetitelt (Badewanne) von 1960 im selben Jahr wie Ukeles’ Aktion im Museum angeblich gereinigt und so zerstört habe.Footnote 49 Die Vitrine ist ein Rahmen ganz in Burens Sinne, der hier einen Kompetenzwechsel im hierarchischen Gefüge markiert. Transfer „entschleiert“ diesen Rahmen auf deutlich konkretere und reichere Weise als seine abstrakte Markierung in Streifenform.

Maintenance ist dabei offensichtlich nicht auf den Bereich der Kunst, nicht einmal auf den der Öffentlichkeit beschränkt, sondern hat seinen besonderen Ort im Privaten; die Unsichtbarkeit des Putzens weist ihm auch in den Institutionen des öffentlichen Lebens die Rolle des Privaten zu. Unter Berufung auf Carole Pateman bemerkt Helen Molesworth dazu: „it is the private sphere that can help us to rearticulate the public sphere, as opposed to the other way around“.Footnote 50 Die Betonung der Öffentlichkeit als Sphäre des politischen Handelns bei Hannah Arendt und nicht weniger die Vorstellung der Kunst als einer autonomen (oder auch kritischen) Praxis beruhen auf einer Ausblendung der Plackerei, die diese Freiheiten ermöglichen – bei Arendt absichtlich und systematisch, im Falle der Kunst in der Regel durch schlichtes Ignorieren.

Tatsächlich ist es interessant, sich der Sache mit Arendt zu nähern, namentlich mit ihrer Unterscheidung zwischen Arbeiten, Herstellen und Handeln. Die Kunst wird traditionellerweise als poiesis, als Herstellen von Gegenständen verstanden, womit sie für Arendt einen Beitrag zur Gestaltung unserer Welt als dem im eigentlichen Sinne menschlichen Raum leistet; Kunstwerke gelten ihr gar als „die beständigsten und darum die weltlichsten aller Dinge“.Footnote 51 In dem Moment, wo sie sich von der Produktion von Gegenständen auf die Gestaltung von Aktivitäten verlegt, auf Performance im weitesten Sinne, gibt es drei Wege: Zuerst einmal kann der Übergang ins Performative schlicht als Einbeziehung von Formen künstlerischer Gestaltung verstanden werden, die in anderen künstlerischen Bereichen die Normalität sind. Musik, Tanz und Theater hatten es nie mit der Herstellung von Dingen zu tun, aber die Produktion von Stücken kann ebenso als poiesis beschrieben werden. Dann würde sich gar nicht so viel ändern.

Etwas anderes ist es, wenn sich die Praxis dem Handeln und damit dem Bereich der Öffentlichkeit und des Politischen in Arendts Sinne annähert, dem eigentlichen Reich der Freiheit, oder sich der Arbeit assimiliert, der nicht endenden Anstrengung der Selbsterhaltung. Letzteres wäre eine weitere Bestätigung für den von Arendt beklagten „Sieg des Animal laborans“,Footnote 52 der die Unterscheidung zwischen Herstellen und Arbeiten unterschlägt und das Handeln verkümmern lässt, indem das Ökonomische die Öffentlichkeit übernimmt und so die ganze Welt der „Lebensnotdurft“Footnote 53 unterstellt.

Es wurde vielfach bemerkt, dass die scharfe Trennung zwischen Ökonomischem und Politischem, Privatem und Öffentlichem, Notwendigkeit und Freiheit problematisch sein könnte, weil sie diese Bereiche essentialisiert und ihre ungeschriebene, aber um so wirkungsvollere geschlechtsspezifische Codierung fortschreibt. Auch für unseren Kontext ist die Frage entscheidend, auf welche Weise das Ökonomische und Private Platz in der Öffentlichkeit einnimmt. Die Veröffentlichung des Privaten ist nur dann keine Verdrängung, sondern eine potentielle kritische Erweiterung des Politischen, wenn sie das scheinbar Selbstverständliche diskutierbar und kritisierbar macht. In diesem Sinne argumentiert Seyla Benhabib mit Arendt gegen Arendt und hält fest: „Different action-types, like work and labor, can become the locus of ‚public space‘ if they are reflexively challenged and placed into question from the standpoint of the asymmetrical power relations governing them.“Footnote 54 Für unsere Frage heißt das: Das Putzen als solches ist auch dann kein Handeln in Arendts Sinne, wenn es zur Kunst erklärt wird, aber diese Erklärung selbst, das Ausstellen der maintenance als Infragestellung der hierarchischen Ordnung von Aktivitäten, ist ein politischer Akt und als solcher eine Form des Handelns.

Es überrascht etwas, dass Kwon Ukeles’ Arbeiten in die Entwicklung der ortsspezifischen Kunst einordnet, nach der „the techniques and effects of the art institution as they circumscribe and delimit the definition, production, presentation, and dissemination of art“Footnote 55 zum Gegenstand der kritischen Reflexion werden. Mit dem konkretistischen Starren auf die reale räumliche Situation haben sie nichts zu tun, aber ebenso wenig mit einer Diskursivierung. Tatsächlich ist die Arbeit, die sie vorführen, eine sehr körperliche und materielle, „the materialist activity that supported ‚dematerialized‘ creativity“.Footnote 56 Die Abgrenzungs- und Bestimmungstechniken der Kunstinstitutionen sind hier nicht wirklich der Gegenstand.

Man müsste an dieser Stelle Dispositiv und Infrastruktur unterscheiden: Während der erste Begriff auf die Formung von Handlungen, Aussagen und Wissensordnungen bezogen ist, auf „Strategien von Kräfteverhältnissen, die Arten von Wissen unterstützen und von diesen unterstützt werden“,Footnote 57 bezieht letzterer auch die Ermöglichungsbedingungen in einem allgemeineren, unspezifischen Sinne mit ein. Auch ein Gefängnis muss geputzt werden, aber es wird schwerfallen, das Reinigungspersonal als Aspekt des Dispositivs Gefängnis zu beschreiben, während es sicher Teil seiner Infrastruktur ist. Von Entmaterialisierung kann man allerdings in keiner der beiden Hinsichten sprechen.

Der Bereich der bildenden Kunst ist insofern speziell, als die Reinigung in ihm eine Zwischenstellung einnimmt: Auf der einen Seite ist sie auch hier bezogen auf die Institution Teil der unspezifischen Infrastruktur, auf der anderen ist die Reinheit auch im Sinne der physischen Sauberkeit eine wichtige Dimension des white cube und das Putzen aus dieser Perspektive konstitutiv für das Funktionieren der Institution. Genauer: Dass es dort sauber ist, ist von entscheidender Bedeutung für die Präsentation der Kunst, dass aber jemand putzt, kommt trotz allem nicht vor. Die Sauberkeit ist eine Dimension des Dispositivs, die „Putzfrau“ ist Teil der Infrastruktur.

Wie Buren und Lachenmann gewinnt Ukeles das Material ihrer künstlerischen Arbeit aus einer Reflexion auf die Bedingungen ihres Feldes, aber diesmal ist es ein Außen, dessen konstitutiver Charakter noch viel weniger als die Rahmungen der Kunst und die Arbeit an den Instrumenten im allgemeinen Bewusstsein ist und dessen inhaltlicher Bezug zur Kunst selbst erst einmal kaum deutlich ist. Das Private, wie sie es vorführt, ist sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene die Basis nicht nur der künstlerischen, sondern jeglicher öffentlichen Tätigkeit. Es am eigenen Leibe ins institutionelle und diskursive Licht zu rücken, konnte nur im Bereich der bildenden Kunst stattfinden, in dem eine von jedem disziplinären skill befreite Performativität und auch die Praxis, durch den ostentativen Vollzug von Alltagshandlungen performativ zu intervenieren, sich als künstlerische Möglichkeit etabliert hatte. Im Bereich der Musik wäre dies kaum lesbar gewesen.

5 Nach der Revolution

Stellt man die drei hier besprochenen Varianten der Institutionenkritik noch einmal gegenüber, so könnte man sagen, dass der Ort der jeweiligen künstlerischen Praxis bei Buren als Unterscheidungsordnung, bei Lachenmann als Dispositiv und bei Ukeles als Infrastruktur gefasst wird. Sieht man sich damit zusammenhängend an, woran genau die Kritik sich jeweils entzündet, so fallen charakteristische Unterschiede auf: Burens Ansatzpunkt ist die bürgerliche Ideologie einer reinen Kunst, die von ihren eigenen Existenzbedingungen nichts wissen will; die damit einhergehende Entpolitisierung und Blindheit gegenüber den ökonomischen Bedingungen steht bei ihm weniger im Fokus als etwa bei Broodthaers oder Haacke, rückt aber in der bildenden Kunst insgesamt zunehmend in den Vordergrund. Lachenmann geht es demgegenüber um eine Ideologie des Ausdrucks, um Erbaulichkeit und wohlige Selbstbestätigung, die er in einem großen Teil des Musikbetriebs sieht und für die mal implizit, mal explizit paradigmatisch die Popmusik und allgemeiner die Kulturindustrie steht. Die Utopie ästhetischer Emanzipation, die ein wichtiges Leitbild der Neuen Musik bis in die jüngste Gegenwart bildet, führt zu einem Festhalten an traditionellen Formen künstlerischen Könnens und zu einer deutlichen Abgrenzung von anderen Musikformen, deren potentiell anders gelagerte Intelligenz kaum zur Kenntnis genommen werden kann. Angesichts dessen kann der eigene Ort zwar kritisiert, muss aber immer auch als Refugium der Utopie verteidigt werden. Ukeles schließlich zielt auf die Ideologie der Kunst als eines Reichs der Freiheit, die von ihren eigenen schmutzigen Grundlagen nichts wissen und das Personal, das Tag für Tag dafür sorgt, dass alles funktioniert, im Unsichtbaren lassen möchte. Aber auch „institutions of negation“, wie Marina Vishmidt pointiert formuliert, „need the affirmative moment that is infrastructure – both the technological and the social infrastructures, situated as they are within a global crisis of infrastructures for life, which are ecological and political.“Footnote 58

Das Ergebnis ist, um es pointiert zu sagen, dass Lachenmann alles lässt, wie es ist, seine Stücke aber auch heute noch mit Gewinn gehört werden können, während Buren die Institutionen klug herausfordert, seine Streifen aber heute nur noch als wichtige historische Position zur Kenntnis genommen werden können. Beide sind in ihrem jeweiligen Feld gefeierte Stars. Von diesem auf je verschiedene Weise ambivalenten Erbe zehrt die künstlerische und musikalische Gegenwart.

Auch Ukeles’ Arbeiten erscheinen erst einmal eher als historische Position denn als etwas, das heute ein eigenes künstlerisches Interesse wecken könnte, auch wenn man von ihnen Linien in die Gegenwart ziehen könnte. Das Stiften temporärer, sich in künstlerischen Aktionen um ebenfalls private Verrichtungen wie Kochen und Essen oder Wohnen bildender Gemeinschaften, die Bourriauds „relationale Ästhetik“ feiert, bewegt sich in gewisser Weise auf Ukeles’ Spuren, ignoriert aber den Dreck ebenso sehr wie die Tatsache, dass viele solcher Verrichtungen tatsächlich „a drag“ sind, der „all the fucking time“ in Anspruch nimmt und kaum Ausgangspunkt reizvoller neuer Formen von Sozialität sein wird; konsequenterweise erwähnt Bourriaud sie mit keinem Wort.Footnote 59 Der Anstoß, den sie mit ihrer Arbeit gegeben hat, wirkt aber bis heute nach, und ihr Anspruch ist in keiner Weise eingelöst.Footnote 60

Die Betonung der Infrastruktur und ihrer Bedeutung nimmt der Institutionenkritik endgültig die Möglichkeit, sich auf eine prinzipiell institutionenfeindliche Position zurückzuziehen wie der in der Einleitung zitierte Jan Verwoert.Footnote 61 Diese vermeintliche Utopie gerät in eine gefährliche Nähe zu libertären Positionen im US-amerikanischen Sinne einer prinzipiellen Staats- und Institutionenfeindlichkeit, gegenüber der sich Ukeles’ „belief in the role of public institutions in the management of the social“Footnote 62 deutlich abhebt. Man muss über diese öffentlichen Institutionen nicht in Jubel ausbrechen, um ihre Unentbehrlichkeit festzustellen und die Sichtbarkeit und Anerkennung der in ihnen im Verborgenen Arbeitenden zu fordern. Als Utopie kann ein Leben ohne Institutionen nur denjenigen erscheinen, die sich so sehr auf sie verlassen können, dass sich es sich leisten können, sie zu ignorieren und all die Putzfrauen und Müllmänner auszublenden. Wer sich entschließt, jahrelang in und mit der New Yorker Stadtreinigung zu arbeiten, wie Ukeles es getan hat, entfernt sich denkbar weit von einem solchen Zustand und verzichtet auch explizit auf den Status der gefeierten Künstlerin.

Am Anfang dieses Kapitels stand die Beobachtung Burens, dass es ohne institutionelle Kontexte der Produktion, der Präsentation, der Verstehens und der Interpretation schlicht keine Kunst gäbe, dass also ihre scheinbare Befreiung auf ihre Auflösung hinausliefe. Ukeles fügt dem die Erinnerung daran hinzu, dass soziales Leben als solches auf Institutionen angewiesen ist, denn „after the revolution, who’s going to pick up the garbage on Monday morning?“Footnote 63