4.1 Grenzen der Funktionsbestimmung von Knochenartefakten

Die Möglichkeiten der Funktionsbestimmung von Gebrauchsspuren werden vor allem stark von Lagerungseinflüssen und verwendungsbedingten Faktoren begrenzt. Aber auch Umfang und Grad des persönlichen Erfahrungswissens hinsichtlich des Erkennens und Unterscheidens der verschiedenen Spuren können die Gebrauchsspurenanalyse subjektiv färben und schränken damit ihre Gültigkeit ein.

Die äußeren Einschränkungen wie Erhaltungszustand, Überschleifung und Vermischung von verschiedenen Gebrauchsspuren sind meist sehr leicht zu erkennen. Auf sie wird im Folgenden eingegangen.

4.1.1 Erhaltungszustand

Der Erhaltungszustand der Artefakte ist stark von der Lagerung im Boden abhängig (Abb. 4.1). Beispielsweise erkennt man einen gravierenden Unterschied zwischen den Funden aus den Feuchtbodensiedlungen vom Bodensee und denen vom Federseegebiet. Die Artefakte aus dem Bodensee sind oftmals deutlich schlechter erhalten als die aus dem Federseegebiet, obwohl es auch dort schlecht erhaltene Funde von Knochenwerkzeugen gibt. Meist führen wechselnde Wasserstände und damit ein ständiger Wechsel zwischen feucht und trocken zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes. Es kann beobachtet werden, dass häufig die Funde aus den oberen Schichten schlechter erhalten sind. Somit ist meist die Fundlage wesentlich für die deutlichen Unterschiede in der Erhaltung verantwortlich. Sehr gut erhalten sind vor allem die Funde aus den tieferen Schichten, da sie eben einem sehr geringen Risiko von Turbation ausgesetzt sind. Am Bodensee haben die Archäologen schon seit geraumer Zeit mit der zunehmenden Erosion durch Schifffahrt und Klimawandel zu kämpfenFootnote 1.

Abb. 4.1
figure 1

Unterschiedliche Erhaltungszustände der Artefakte von gut erhalten (links) bis stark korrodiert (rechts), bedingt durch unterschiedliche Lagerung im Boden

Bei einer sehr schlechten Erhaltung kann im besten Fall noch die Form des Arbeitsbereiches bestimmt werden. Gebrauchsspuren können aber kaum mehr erkannt werden, da die ursprüngliche Oberfläche zerstört ist. Sofern noch ein Teil der Spuren zu erkennen ist, kann eventuell noch die Form der Schleifrillen, wie der Verrundungsgrad, einen Hinweis auf mögliche andere Gebrauchsspuren liefern (Tab. 4.1). Allerdings reichen diese selten für eine endgültige Bestimmung aus.

Tab. 4.1 Allgemeiner Erhaltungszustand in den einzelnen Siedlungen/Schichten im Vergleich zu der Anzahl an Artefakten, die einer Werkstoffgruppe zugeordnet werden konnte (bestimmt) oder nicht eingeordnet werden konnte (unbestimmt). Stuttgart-Stammheim kann leider nicht bewertet werden, da aufgrund des Verschwindens der Artefakte die Untersuchung der Gebrauchsspuren nicht durchführbar war

4.1.2 Überschleifung

Äußere Einschränkungen entstehen oft schon bevor das Werkzeug im Sediment eingelagert wird, wie z.B. durch Überschleifung. Wird mit den Werkzeugen regelmäßig gearbeitet, müssen sie auch in den meisten Fällen regelmäßig überschliffen werden. Nach einer Überschleifung sind keinerlei Spuren im Arbeitsbereich mehr sichtbar. Alle direkten Gebrauchsspuren sind dann überprägt. Die Bestimmung, ob ein Werkzeug frisch überschliffen wurde, ist nicht einfach. Unterschiedliche Schleifrichtungen können auch bei der Herstellung entstehen. Somit ist dies kein Ausschlusskriterium. Am ehesten kann der Querschnitt der Schleifspuren einen Hinweis auf die letzte Überschleifung oder ein Nachschärfen des Werkzeuges liefern. Je kantiger der Rand und je tiefer die Rille ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Werkzeug frisch überschliffen wurde (siehe elektronisches Zusatzmaterial Kap A, Schleifspuren).

Ob das Werkzeug kurz vor seinem Verlust überschliffen wurde, muss von Fall zu Fall entschieden werden, da die Erhaltungsbedingungen dabei eine entscheidende Rolle spielen. Hilfreich zur Feststellung einer Überschleifung ist es, die Schleifspuren im Arbeitsbereich des Werkzeuges mit denen an Schaft und Basis zu vergleichen. In den meisten Fällen kann durch den Vergleich sehr schnell eine Überschleifung bestätigt oder ausgeschlossen werden.

4.1.3 Vermischung von Gebrauchsspuren aufgrund verschiedener Werkstoffe

Ein großes, schwieriges und recht häufig auftretendes Problem bei der Spurenanalyse ist die Vermischung von unterschiedlichen Gebrauchsspuren an einem Werkzeug. Ähnlich wie in unserer Zeit das Schweizer Taschenmesser, konnten die Knochenartefakte für verschiedene Handhabungen und vor allem auch für die Bearbeitung verschiedener Werkstoffe verwendet werden – und wurden auch so genutzt. Dadurch kommt es zu einer Überlagerung der Gebrauchsspuren, die dann nicht mehr klar differenzierbar sind. Die Experimente haben gezeigt, dass einzelne Bewegungen unterscheidbare Merkmalsgruppen bilden, die sich innerhalb der verschiedenen Werkstoffe gleichen (siehe Abschnitt 3.4.1). Allerdings wurden bei den Experimenten die Werkzeuge ausschließlich für einen einzigen Werkstoff verwendet, damit eine klare Zuordnung möglich ist. Es ist deshalb zum jetzigen Zeitpunkt noch schwierig, das Aussehen von verschiedenen Überprägungen zu beschreiben und zu bestimmen. Einzelne kurze Versuche, bei denen dieselben Werkzeuge entweder für verschiedene Bewegungen und/oder für verschiedene Werkstoffe verwendet wurden, haben gezeigt, dass die Stärke der Überprägung durch andere direkte Gebrauchsspuren sehr stark vom Grad der Ausbildung der ersten direkten Gebrauchsspur abhängt. Wurde ein Werkzeug zuvor zum Abschälen von Rinde oder zum Polieren (Streichen) von Keramik verwendet und weist deshalb im Arbeitsbereich keine Schleifspuren mehr auf, hinterlässt eine nachfolgende Benutzung zur Bearbeitung von Holz ohne erneutes Überschleifen keinerlei weitere Spuren. Umgekehrt werden durch das Schälen oder Streichen jegliche vorherigen direkten Gebrauchsspuren bis zur Unkenntlichkeit überprägt. Ob es dabei auch Ausnahmen gibt, kann noch nicht gesagt werden. Dazu bedarf es weiterer Versuche.

4.1.4 Bedeutung der Form für den Gebrauch

Im Verlauf der Experimente zur Einordnung und Unterscheidung der Gebrauchsspuren hat sich immer deutlicher herauskristallisiert, dass die Form des Werkzeugs zwar eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Werkstoffe spielt, dass aber allein aufgrund der Form keine größere Untergliederung der Artefakte unternommen werden kann. Anhand der Form und eventueller Ähnlichkeiten mit anderen vergleichbaren Artefakten kann allenfalls ein sehr weites Spektrum an Verwendungsmöglichkeiten und Werkstoffen eingegrenzt werden.

4.2 Herstellungsabfall (Taf. 1)

Beim Herstellen von Knochenwerkzeugen entstehen charakteristische Produktionsabfälle, wie abgetrennte Gelenke und Reste von fehlgelaufenen Trennversuchen (siehe Abb. 4.2). Insgesamt machen die Herstellungsabfälle nur 4 % der Gesamtmenge an Knochenartefakten aus. Mit Ausnahme von Stuttgart-Stammheim und Stuttgart-Hofen fanden sich dennoch in allen Fundorten solche Reste der HerstellungFootnote 2. Bei allen Produktionsabfällen handelt es sich um Bruchstücke oder Teile vom Knochen, die Sägerillen oder andere Trennspuren aufweisen, aber keinerlei Schleif- oder Gebrauchsspuren. Über die Produktionsabfälle lässt sich der Prozess der Herstellung eines Knochenwerkzeuges sehr gut nachvollziehen. Beispielsweise finden sich nur distale Gelenke von Metapodien, die entweder durch Sägerillen oder mittels einer Dechsel oder eines Beiles abgetrennt wurden. Die Funde von drei Centroquartali mit Spuren von Sägerillen aus Sipplingen-Osthafen zeigen, dass die Knochen bei der Herstellung noch im Verbund waren (Abb. 4.2, unten in der Mitte). Das Centroquartale ist als Teil der Fußwurzelknochen eng mit den Metatarsen verbunden und kann selbst nach dem Kochen nur schwer von diesem getrennt werden. Demnach wurden die Werkzeuge relativ frisch, also als die Knochen noch im Verbund waren, zu Werkzeugen weiterverarbeitet. Deutlich wird daran, dass nicht der Aufwand betrieben wurde, einen Knochen komplett auszulösen, sondern es wurde der effizienteste Weg genommen.

Die Produktionsabfälle zeigen aber auch, dass wohl nicht immer die nötige Geduld bei der Herstellung eines Werkzeuges aufgewendet wurde. So ist das Artefakt Si 08; 449/135–1029, das aus zwei zusammengehörenden Bruchstücken besteht, der Rest eines misslungenen Trennversuches. Die Sägerille wurde nicht tief genug angelegt, weshalb die Teile nicht entlang der Sollbruchstelle gebrochen sind. Diese Stücke waren durch den Bruch zu kurz geworden, weshalb sie im Feuer landeten und nicht zu Werkzeugen umgearbeitet wurden.

Der Rest des untersuchten Produktionsabfalles zeigt Splitter mit Sägerillen und auch weitere Fehlversuche, bei denen die Werkzeuge nicht an der Sägerille gebrochen sind (Abb. 4.2, unten links). Die Produktionsabfälle decken das übliche Spektrum ab. Schwierig oder unmöglich gestaltet sich die Bestimmung von Produktionsresten, an denen keinerlei anthropogene Veränderungen, wie Sägerillen oder Hiebspuren, zu beobachten sind. Bei der Herstellung der nachgebauten Knochenwerkzeuge fielen durchaus Reste an, die keinerlei Spuren aufwiesen. Sie unterschieden sich aber nicht von den üblichen Bruchstücken der Speiseabfälle.

Abb. 4.2
figure 2

Typischer Herstellungsabfall. Meist finden sich an diesen Artefakten lediglich Sägerillen oder Hiebspuren zum Abtrennen von Gelenkenden oder zum Heraustrennen einzelner Teile. Es finden sich weder Schleifspuren noch Gebrauchsspuren an den Objekten

4.3 Ohne Gebrauchsspuren (Taf. 1)

Unter den über 700 Knochenartefakten fand sich ein archäologisches Knochenartefakt, das nach der Herstellung nicht verwendet wurde. Erkennbar ist dies durch die klare Struktur der Schleifspuren, die denen einer frisch hergestellten Replik gleichen. Dieses Werkzeug (Si 10; 539/127–1005) aus Sipplingen-Osthafen stellt damit eine Nullprobe dar, anhand derer eventuelle Veränderungen mit der Nullprobe der Repliken direkt verglichen werden können. Da an dem Artefakt keinerlei Spuren zu erkennen sind, die nicht auch an den Repliken zu entdecken sind, kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Fall die Spuren nicht durch die Lagerung im Sediment entstanden sind.

Eine genaue Untersuchung des archäologischen Knochenartefakts und der anschließende Vergleich mit der Nullprobe der Repliken ergab nur Spuren, die durch die Herstellung erklärbar sind. Das archäologische Knochenartefakt weist keinen Glanz auf. Auch die Kanten, die am schnellsten leichte Verrundungen aufweisen würden, zeigen keinerlei Veränderungen wie Glanz oder eben Verrundungen auf. Die Basis ist zwar zum Teil ausgebrochen, der Bruch überprägt jedoch nicht die Schleifspuren, sondern umgekehrt. Es ist klar zu erkennen, dass die Bruchstelle überschliffen wurde. Sie stammt demnach vom Aufbrechen der Knochenröhre. Im Arbeitsbereich haben die Schleifspuren denselben Querschnitt und dieselbe Tiefe wie die an der Nullprobe der Repliken (Abb. 4.3). Es konnten keinerlei Spuren festgestellt werden, die auf eine Veränderung der Oberfläche nach der Herstellung schließen lassen.

Abb. 4.3
figure 3

Ohne Gebrauchsspur. Dieses Artefakt aus Sipplingen-Osthafen wurde hergestellt, aber nie verwendet. Deswegen weist es keinerlei Gebrauchsspuren auf

Der direkte Vergleich der beiden Nullproben aus den archäologischen Knochenartefakten und den Repliken beweist eindrücklich, dass durch die Lagerung weder bei den Schleifspuren noch an der Oberfläche und den Kanten des Werkzeugs Veränderungen auftreten. Voraussetzung ist allerdings, dass das archäologische Knochenartefakt unter guten Erhaltungsbedingungen und ohne Bewegung lagerte. Dies zeigt deutlich, dass die Spuren von archäologischen Knochenartefakten und Repliken direkt miteinander verglichen werden können. Beispielsweise resultieren unterschiedliche Breiten und Tiefen der Schleifspuren demnach nicht unbedingt aus dem Gebrauch oder der Lagerung. Vielmehr sind sie das Ergebnis der unterschiedlichen Körnung der verwendeten Schleifsteine.

Dieses Ergebnis ermöglicht zusätzliche weiterreichende, die Gebrauchsspuren betreffende Untersuchungsmöglichkeiten. Gerade bei der Untersuchung der Rauheit der gebrauchten Werkzeuge könnte dies eine zusätzliche Vergleichsmöglichkeit der Repliken mit den archäologischen Knochenartefakten darstellen. Die bei den Repliken gemessene Rauheit, die je nach verwendetem Werkstoff sehr unterschiedlich ausfallen kann, könnte dann direkt mit der Rauheit der archäologischen Knochenartefakte verglichen werden. Damit könnte sich zukünftig die Möglichkeit ergeben, die Gruppe der archäologischen Knochenartefakte aufgrund der Rauheit eventuell sogar bis auf den Werkstoff einzugrenzen.

Abb. 4.4
figure 4

Anzahl der archäologischen Knochenartefakte in den einzelnen Aktionsgruppen. Die Stechen/Schaben-Gruppe zählt neben der Stechen/Drehen-Gruppe zu der größten

Abb. 4.5
figure 5

Prozentuale Zuordnung der Knochenartefakte zur Herstellung, Aktionsgruppen und unbestimmt

4.4 Einordnung der archäologischen Knochenartefakte in die Aktionsgruppen

Die mit den Artefakten ausgeführte Bewegung wurde strikt gemäß den durch die Repliken aufgestellten Merkmalsausprägungen der einzelnen Aktionsgruppen bestimmt. Da davon ausgegangen werden muss, dass die archäologischen Knochenartefakte für weitere, bisher unbekannte bzw. undefinierte Werkstoffe verwendet wurden, ist es nicht verwunderlich, dass sich neue Gruppen bilden lassen würden (Bsp.: Stechen/Drehen oder Knüpfen). Andererseits decken die bisher bestimmten Bewegungen einen Großteil der mit den Artefakten ausgeführten möglichen Arbeitsgänge ab. Deshalb lassen sich erwartungsgemäß die meisten archäologischen Knochenartefakte einer der bestimmten Aktionsgruppen zuordnenFootnote 3. So konnten 79 % der archäologischen Knochenartefakte einer oder mehreren Aktionsgruppen zugeordnet werden, während 5 % zum Herstellungsabfall zählen. Lediglich 20 % konnten nicht näher bestimmt werden (Abb. 4.4, 4.5 und Tab. 4.2).

Tab. 4.2 Verteilung der Knochenartefakte nach Bestimmbarkeit in den einzelnen Siedlungen

Eine der Gruppen, die sich durch die Bestimmung der archäologischen Knochenartefakte neu bilden ließ, ist die Knüpfen-Gruppe. Hierbei half der Fund einer Knochenspitze aus Sipplingen-Osthafen, an deren Ende eine Bastschnur aufgewickelt war (Abb. 4.15). Wahrscheinlich wurde dieses Werkzeug zum Knüpfen von Netzen und Körben verwendet. Gebrauchsspuren an selbst verwendeten Repliken konnten noch nicht ausreichend untersucht werden, weshalb eine Definition bisher noch nicht möglich war. In diese Gruppe fallen auch Knochenspitzen, die zur Korbherstellung verwendet wurden. Hierbei wird dieselbe Bewegung (Knüpfen) angewendet, wobei jedoch im Arbeitsbereich ein viel stärkerer Glanz entsteht; zudem fehlen die Wicklungsspuren an Schaft und Basis. Diese Aktionsgruppe muss noch endgültig überprüft werden.

Bei den Kategorien Querangel/Angelhaken, Haarnadeln und Hammer wurde darauf verzichtet, die Bezeichnung auf dieselbe Weise aufzubauen wie für die Aktionsgruppen. Diese drei Kategorien konnten noch nicht durch die Analyse der Gebrauchsspuren überprüft werden, eine Bezeichnung der Bewegung könnte irreführend sein, weshalb hier die gängige archäologische Bezeichnung gewählt wurde.

Bei der Bestimmung der jeweiligen Aktionsgruppe stellte sich heraus, dass auch Arbeitsprozesse nachvollzogen werden können. Die größte der Gruppen, die dazu zählen, ist die Stechen/Drehen-Gruppe. Die Artefakte in dieser Gruppe zeigen die Gebrauchsspuren vom Stechen, wie Druckstellen an der Basis oder einem Spitzenbruch und zugleich die Spuren, die für Drehen sprechen, wie eine Verrundung der Schleifspuren und Glanz im Arbeitsbereich. Hier ist klar der Prozessverlauf des Stechens von Löchern in Leder und des anschließenden Weitens sowie des Vernähens erkennbar. Auch finden sich unter den archäologischen Knochenartefakten Werkzeuge, die nach einem Bruch umgearbeitet wurden und für einen anderen Werkstoff und eine andere Bewegung weiterverwendet wurden.

Manche der Artefakte können aufgrund ihrer spezifischen Form in keine der Aktionsgruppen eingeordnet werden. Diese werden deshalb mit den üblichen Bezeichnungen, wie Querangel, Hammer o.ä. beschrieben.

Für die Beschreibung der verwendeten Tierarten und Skelettteile ist vor allem die Größe und die Art des Knochens ausschlaggebend. Deshalb wird in den folgenden Kapiteln die Tierart auf die fünf unbestimmten Größengruppen der osteologischen Bestimmung reduziert. Dies bedeutet eine Einordnung in: Ohne Größenangabe, Größe Hase-Schaf, Größe Schaf, Größe Schwein, Größe Rind/Hirsch – wobei hier die taphonomische Gruppe >Rind/Hirsch mit einbezogen wurde. Ob für die archäologischen Knochenartefakte mehr Wild- oder mehr Haustiere verwendet wurden, wird separat betrachtet. Beim Skelettteil überwiegen vor allem Metapodien und Rippen, weshalb diese separat aufgeführt werden und die übrigen Knochen in sonstige Röhrenknochen, sonstige Plattenknochen, Kurzknochen und unbestimmt eingeteilt werden. Diese Einordnung ist nur für die Kategorisierung der archäologischen Knochenartefakte relevant.

Die von Jörg SchiblerFootnote 4 aufgestellte Typologie konnte durch den gezielten und ausführlichen Rückschluss von den Spuren an den Repliken auf die archäologischen Knochenartefakte um den funktionalen Aspekt der Artefakte erweitert und die Typologie entsprechend weiterentwickelt werden. Dies war vor allem durch die entdeckte Nullprobe, nämlich ein nicht verwendetes, frisch hergestelltes archäologisches Knochenartefakt, möglich.

Abb. 4.6
figure 6

Fischen. Darunter fallen vor allem die Querangeln (1., 2. und 3. Artefakt von rechts) sowie das Bruchstück eines Angelhakens (erstes Artefakt von links)

4.4.1 Querangel und Angelhaken (Abb. 4.6; Taf. 2)

Querangeln und der Angelhaken werden hier zusammengefasst, da sie mit der Fischerei zusammenhängen und zu beiden keinerlei Gebrauchsspuren untersucht wurden. Querangeln werden in der Literatur oft auch als Doppelspitzen angesprochen.

Die Querangel wurde wahrscheinlich zum Fangen von Hechten verwendetFootnote 5. Dafür wird sie in der Mitte mit einer Schnur befestigt und dann in einen kleinen Fisch gesteckt. Der Köder-Fisch wird im besten Fall von einem Hecht geschluckt. Sobald Zug auf die Schnur kommt, stellt sich die Angel quer und verhakt sich dadurch im Hecht. Die drei als Querangeln bestimmten archäologischen Knochenartefakte aus den Schichten des mittleren Pfyn der Siedlung Sipplingen-Osthafen zeigen alle in der Mitte Bindungsspuren, weisen aber ansonsten keinerlei veränderte Herstellungsspuren auf. Auch von Jörg NadlerFootnote 6 hergestellte und verwendete Repliken wiesen keinerlei Spuren an den Spitzen aufFootnote 7, was dafürsprechen könnte, dass es sich bei den drei archäologischen Knochenartefakten tatsächlich um Querangeln handelt. Die Querangeln wurden hauptsächlich aus Rippen großer Haus- oder Wildwiederkäuer gefertigt (Abb. 4.9).

Das Bruchstück eines Angelhakens (Si 10; 539/127–1003) stammt ebenfalls aus den Schichten des mittleren Pfyn des Fundortes Sipplingen-Osthafen. Es wurde aus dem Röhrenknochen eines großen Haus- oder Wildwiederkäuers hergestellt. Das Bruchstück ist sorgfältig mit Silex und Sandstein zurechtgeschnitzt und -geschliffen. Die Fläche im Inneren wurde durch eine Bohrung, an die zwei Sägerillen anschließen, herausgetrennt; dadurch entsteht ein dünner Haken, der nur noch rundgeschliffen werden muss. Die Kerben wurden mit dem Sandstein eingeschliffen. Ganze Angelhaken wurden meist als U oder V herausgearbeitet, wobei eine Seite stets länger ist als die andere. Die längere Seite weist zudem immer Rillen oder Einkerbungen auf, vergleichbar mit heutigen Angelhaken, die ebenfalls Einkerbungen und Widerhaken besitzen, damit sie sich nicht aus dem Fisch lösen. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Bruchstück um die längere Seite, an der die Schnur befestigt war. Dafür würden die leichten Verrundungen der Kanten sprechen. Ansonsten konnten keine weiteren Veränderungen durch Gebrauch festgestellt werden. Vergleichbare Angelhaken stammen aus Bodman-Schachen und aus Hornstaad-Hörnle 1 A.

4.4.2 Drehen/Bohren-Gruppe (Abb. 4.7; Taf. 3)

Nur wenige Artefakte zeigen Gebrauchsspuren, die ausschließlich auf Drehen oder Bohren hinweisen. Bei der Gruppe Drehen handelt es sich hauptsächlich um Artefakte, die für das Bohren zu fragil wären und bei einem eventuellen Schlag sofort zerbrechen würden. Die restlichen Artefakte sind Ad hoc-Werkzeuge, die aufgrund eines vorangegangenen Bruches eine Spitze aufweisen, die nicht mehr überarbeitet werden musste. Alle dem Drehen zugeordneten Artefakte zeigen ausschließlich die dafür sprechenden direkten und indirekten Gebrauchsspuren.

Für die Drehen/Bohren-Werkzeuge wurden hauptsächlich Rippen und sonstige Röhrenknochen von Tieren der Größe Rind/Hirsch verwendet (Abb. 4.7).

Abb. 4.7
figure 7

Zum Drehen/Bohren wurden hauptsächlich Knochenspitzen verwendet. Der Arbeitsbereich diesen Werkzeugen wurde flach-spitz zugeschliffen

Nur ein Knochenartefakt konnte dem Bohren zugeordnet werden. Es zeigt die charakteristischen Aussplitterungen im Spitzenbereich. Die starke Abnutzung der Aussplitterungen und die geringe Ausprägung der indirekten Gebrauchsspuren zeigt jedoch auch, dass diese Knochenspitze nur sehr kurz zum Bohren verwendet wurde. Die Druckstellen an der Basis deuten darauf hin, dass sie danach zum Stechen hergenommen wurden.

Abb. 4.8
figure 8

Möglicherweise als Haarnadel verwendete Artefakte. Auffallend bei allen ist der starke Glanz, der sich flächig über das ganze Artefakt zieht

Abb. 4.9
figure 9

Verwendete Tierarten und Skelettteile in den einzelnen Aktionsgruppen. Die Tierarten wurden auf die Größenangaben von nicht bestimmbaren Knochen reduziert. Beim Skelettteil wurden, außer Metapodien und Rippen, auf die übergeordnete Gattung reduziert

4.4.3 Haarnadel (Abb. 4.8; Taf. 2)

In der gängigen Typologie wird die Kategorie „Haarnadeln“ überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl manche Knochenspitzen durchaus dafür verwendet worden sein könnten. Da das Experiment mit Haarnadeln nicht zu Ende geführt werden konnteFootnote 8, ist diese Einteilung der Knochenspitzen als Haarnadeln rein interpretativ. Deshalb wurde hier auch keine Bewegungsart als Gruppenname gewählt. Alle drei dieser Gruppe zugeordneten Artefakte haben gemein, dass ihre Gebrauchsspuren zu keiner der anderen Aktionsgruppen passen. Alle wurden sehr sauber hergestellt. Bei allen drei sind im Spitzenbereich kaum noch Schleifspuren zu erkennen, und sie weisen einen starken Glanz auf. Dennoch ist die Verrundung der Schleifspuren nicht so stark wie in der Aktionsgruppe Kämmen. Außerdem haben die Artefakte Ol 09; 214/244–71 und Si 87; 391- 1044 stumpfere Spitzen. Beim Artefakt Re 84; 276/401–10 sind die Spitzen aufgrund der schlechten Erhaltung abgebrochen. Alle drei den Haarnadeln zugeordneten archäologischen Knochenspitzen wurden aus Metapodien des Rothirschs gefertigt.

Die Haarnadel Ol 09; 214/244–71 ist so stark poliert, dass außer der Politur keinerlei Spuren zu erkennen sind. Bei traditionellen Gesellschaften kann häufig beobachtet werden, dass die Haare, anders als wir es heute tun, nur sehr selten gewaschen werden. Der dadurch höhere natürliche Fettgehalt der Haare dürfte eine Politur der Haarnadeln deutlich beschleunigen. Sie kann aber auch von einer langjährigen Benutzung herrühren.

Re 84; 276/401–10 unterscheidet sich im Aussehen völlig von den beiden anderen Knochenspitzen. Es handelt sich bei diesem Artefakt um ein doppelzinkiges Werkzeug, das üblicherweise als Flachshechel deklariert wird. Diese bislang auch von der Autorin vertretene Annahme konnten allerdings die Gebrauchsspuren nicht bestätigen. Bei einer Verwendung als Hechel müsste sich vor allem in der schmalen Spalte zwischen den zwei Zinken eine stärkere Verrundung und Abnutzung als an den Spitzen finden. Da diese jedoch fehlt und auch die Spuren an den Spitzen nicht klar für eine Hechel sprechen, muss das Artefakt eine andere Funktion gehabt haben. Auch heute gibt es noch zweizinkige Haarnadeln, weshalb die Möglichkeit zu erwägen ist, dass es sich auch bei Re 84; 276/401–10 um eine solche handelt. Allerdings konnten bisher noch keine Ergebnisse zu Haarnadeln gesammelt werden, und daher muss diese Vermutung eine noch zu überprüfende Hypothese bleiben.

Abb. 4.10
figure 10

Verwendete Tierarten und Skelettteile in den einzelnen Aktionsgruppen. Die Tierarten wurden auf die Größenangaben von nicht bestimmbaren Knochen reduziert. Beim Skelettteil wurden, außer Metapodien und Rippen, auf die übergeordnete Gattung reduziert

4.4.4 Hammer (Abb. 4.11; Taf. 2)

Knochen, die als Hammer oder als Keulen verwendet wurden, finden sich seit dem Paläolithikum regelmäßig im Fundmaterial. Allerdings geht deren Bedeutung im Laufe des Neolithikums immer weiter zurück. Bereits ab dem Frühneolithikum finden sich kaum mehr Hämmer oder Keulen aus Knochen. Die zwei Artefakte, die als Hammer verwendet wurden, stammen aus der späthorgenzeitlichen Siedlungsphase in Sipplingen-Osthafen, wobei der eine Hammer aus Geweih hergestellt wurde, während der zweite aus dem proximalen Gelenk eines Rothirschhumerus gefertigt wurde (Abb. 4.9). Der Knochen wurde kurz unterhalb des Gelenks abgebrochen, weshalb er möglicherweise auf einem Holzstab steckte. Starke Ausbrüche am Gelenk zeigen die hohe Druckeinwirkung. Beide Hämmer bilden eine Ausnahme im bearbeiteten Fundmaterial.

Abb. 4.11
figure 11

Hammer. Deutliche Druckstellen und Ausbrüche im Arbeitsbereich legen nahe, dass dieses Werkzeug als Hammer verwendet wurde

4.4.5 Kämmen (Abb. 4.12; Taf. 8)

Die Verarbeitung von Pflanzenfasern spielt nicht erst seit dem Jung- und Endneolithikum eine wichtige Rolle. Der dort bereits erreichte hohe technologische Stand zeigt, dass die Entwicklung wahrscheinlich schon im Mesolithikum einsetztFootnote 9. Dass sie bereits im Jung- und Endneolithikum weit vorangeschritten war, wird auch durch die archäobotanischen Reste aus mehreren Seeufersiedlungen am Bodensee und in Oberschwaben deutlich. Der Lein etwa wurde in manchen Siedlungen so weit bearbeitet, dass sich an den Fasern keinerlei hölzerne Reste mehr findenFootnote 10. Um zu diesem Ergebnis bei der Flachsherstellung zu gelangen, kann die Rinde der Pflanze nach der Ernte nicht einfach nur abgezogen werden. Zum vollständigen Ablösen der Stängelreste der Pflanze muss die komplette Prozesssequenz – wie auch heute noch bekannt und angewendet– vom Rotten über Riffeln, Brechen, Schwingen, Hecheln und Rippen vollzogen werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich alle Stängelwandreste der Pflanzen von den feinen Fasern lösen. Hier stellt sich die Frage, welche Werkzeuge sich am besten für diese Arbeiten eignen. Häufig diskutiert werden die sogenannten Rippenhechel. Sie sind entweder aus Schweine- oder aus Rinderrippenhälften hergestellt, und es wurden jeweils mehrere Hälften zusammengebunden (Abb. 3.36). Allerdings finden sich zusammengebundene Stücke nur noch selten. Doch nicht nur bei diesen, sondern auch bei den Funden von einzelnen Rippenhälften stellte sich die Frage, ob sie tatsächlich zum Riffeln und zum Hecheln verwendet werden können und ob der Glanz an den Artefakten charakteristisch ist für Flachs. Die Bestimmung der Gebrauchsspuren an den Rippenhälften zeigte, dass die Rippenhälften sehr häufig als Hechel verwendet wurden. In der vorliegenden Arbeit wird das Riffeln und Hecheln in der Aktionsgruppe Kämmen zusammengefasst. Außerdem wurde experimentell nicht nur Flachs gekämmt, sondern auch Brennnessel und Lindenbast, wobei Letzteres nur probehalber versucht wurde und die Dauer zu kurz war, um klare Spuren entstehen zu lassenFootnote 11. Wie in der vorherigen Beschreibung der Aktionsgruppe Kämmen dargestellt, entsteht ein charakteristischer Glanz im Arbeitsbereich, der nach dem momentanen Forschungsstand bei der Bearbeitung aller untersuchten Pflanzenfasern auftritt.

Abb. 4.12
figure 12

Der Funktionsgruppe Kämmen konnten hauptsächlich Artefakte, die aus gespaltenen Rippen hergestellt worden waren, zugeordnet werden. Nur ein Artefakt aus Bad Buchau-Bachwiesen (links oben) wurde aus einem Röhrenknochen gefertigt

Die Artefakte, die der Gruppe Kämmen zugeordnet werden können, zeigen, dass prinzipiell nicht nur Rippenhälften als Hechel verwendet werden können, sondern auch Knochenspitzen, wie das Bruchstück aus Bad Buchau-Bachwiesen I (Ba I 05; 49/55–2) nahelegt (Abb. 4.12, links oben). Es ist zwar verbrannt, aber die für die Gruppe Kämmen typischen Spuren sind immer noch deutlich sichtbar. Natürlich kann es auch bisher noch nicht untersuchte Werkstoffe geben, die ähnliche oder gleiche Spuren aufweisen könnten. Dennoch ist die Zuordnung zum Kämmen keineswegs ausgeschlossen oder abwegig, sondern naheliegend und plausibel. Es gibt auch Nachweise von hölzernen Riffeln und Hecheln, die aus dünnen zugespitzten Ästen gefertigt wurden. Es gibt Beispiele aus Hornstaad-Hörnle 1 A, in denen sogar Schlehdornen zusammengebunden wurden (Abb. 4.13). Dies zeigt, dass zur Pflanzenverarbeitung, wie der Herstellung von Flachs, eine Vielzahl an Werkzeugen verwendet werden konnte. Leider ist der Fund aus Bachwiesen bisher singulär. Zudem sind nur der Arbeitsbereich und ein kleiner Teil des Schaftes erhalten, weshalb über mögliche Schäftungen nur spekuliert werden kann. Es ist zu vermuten, dass die Art der Werkzeuge zur Pflanzenverarbeitung von der Verfügbarkeit des Rohmaterials abhängig war, oder aber sie folgten lokalen Traditionen innerhalb der Siedlungen.

Abb. 4.13
figure 13

Schwarzdorn-Bündel, das als Hechel angesprochen wird. Dieser Fund stammt aus Hornstaad-Hörnle 1 A. (Länge ca. 7 cm)

Die restlichen 13 Knochenartefakte, die der Gruppe Kämmen zugeordnet wurden, bestehen alle aus Rippenhälften von Schwein und Rind (Abb. 4.9). Interessant ist, dass nur sechs der Artefakte relativ breit sind (ca. 2 cm), wovon drei wiederum zur Spitze hin immer schmaler werden. Dies kann aufgrund der im oberen Bereich noch sichtbaren Schleifspuren nicht in einer Abnutzung des Knochens durch lange Benutzung des Werkzeugs begründet sein. Ähnliche Funde wie diese gibt es auch in Nidau, SchweizFootnote 12. Die anderen Rippenhälften sind wesentlich schmaler und zeigen auch eine deutlichere Abnutzung, was auf einen längeren Gebrauch schließen lässt. Wahrscheinlich wurden für Hechel die Rippen nochmals geteilt. Von diesen schmalen Hecheln sind fast ausschließlich nur der Arbeitsbereich und ein Teil des Schaftes erhalten. Vor allem vier Artefakte zeigen einen flächigen, extrem starken Glanz. Die Oberfläche ist wie poliert, wobei die Kanten mehr oder weniger rund, keinesfalls jedoch kantig sind. Alle zeigen, wie das Artefakt Si 10; 536/128–1009 auch, im Schaftbereich einen ähnlich verlaufenden Bruch, der durch die Schäftung bedingt ist. Da eine Holzschäftung beim Kämmen nicht in Frage kommt und sich an Artefakten mit erhaltener Basis keinerlei Holzglanzspuren erhalten haben, kann in diesem Fall eine Schäftung durch Schnürung mehrerer einzelner Rippenhälften zu einem Bündel angenommen werden, ähnlich wie bei einem Fund aus WangenFootnote 13.

Flachs spielte im Neolithikum am Bodensee und am Federsee zwischen 3700 v. Chr. und 3400 v. Chr. eine wichtige Rolle. Seinen Höhepunkt erreichte der Flachsanbau am Bodensee in der späten Horgener Kultur und am Federsee mit der Goldberg III-Gruppe. Hierbei fand ein Wechsel von groß- zu kleinsamigem Lein stattFootnote 14. Damit verlagert sich die Verwendung des Leins vom Samen auf die Faser. Bis auf die frühen Hornstaader Schichten in Sipplingen-Osthafen, in der Siedlung Stuttgart-Stammheim und Reute-Schorrenried finden sich in allen Schichten und Fundstellen Werkzeuge, die zur Gruppe Kämmen gehören und bei denen es sich demnach um Hechel handelt. Erstaunlich ist die geringe Anzahl an gefundenen Hecheln aus der Siedlung Olzreute-Enzisholz. Die Siedlung wurde bisher noch nicht ausgewertet, aber botanische Voruntersuchungen ergaben, dass die Fundschichten, ähnlich wie in Alleshausen-Grundwiesen, voll sind mit Resten von LeinFootnote 15. Bei den Ausgrabungen wurden auch ganze Flachsbündel gefunden, die eventuell ursprünglich im offenen Wasser zum Rotten lagen. Interessant ist, dass sich im Fundmaterial der Knochenartefakte nur eines findet, das als Hechel angesprochen werden kann. Eine Vielzahl an anderen Knochenartefakten aus der Siedlung kann in die Gruppe Rippen eingeordnet werden und wurde augenscheinlich zum Rippen der Leinfaser verwendet. Knochenhechel wurden bisher nur sehr wenige gefunden. Allerdings fanden sich in der Siedlung mehrere angespitzte dünne Ästchen. Ein Vergleichsfund aus Pfäffikon-Burg zeigt, wie diese Ästchen zusammengebunden ausgesehen haben könnten (Abb. 4.14). Dieser Fund wird als Riffel angesprochen. Um dies zu überprüfen, wurde die Riffel nachgebaut und anschließend sowohl zum Riffeln als auch zum Hecheln verwendet. Beides funktionierte gut. Die Siedler brauchten keine Knochenhechel, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei den angespitzten dünnen Ästchen um das Halbfabrikat einer solchen Riffel handelt oder die einzelnen Ästchen zum Ausbessern einer bestehenden Riffel bereitlagen. Für andere Prozesse der Faserproduktion, wie das Rippen, wurden wiederum Knochenwerkzeuge verwendet.

Abb. 4.14
figure 14

Horgenzeitliche Riffel aus Pfäffikon-Burg. Die Riffel wurde aus zusammengebundenen und zugespitzten Heckenkirschenzweigen hergestellt. Zusammengebunden wurde sie mit Lindenbastschnüren. (Länge ca. 50 cm)

Dies zeigt eindrücklich, dass es in den einzelnen Siedlungen in Bezug auf Werkzeuge und ihre Verwendung deutliche Unterschiede gibt. Zeitliche und kulturelle Zugehörigkeit bieten kein Bestimmungskriterium. Gegenstände, die in einer Siedlung unersetzlich sind und deshalb häufig hergestellt und verwendet werden, werden in anderen Siedlungen überhaupt nicht benötigt, da man für dieselbe Arbeit ein völlig anderes Werkzeug benutzt. So zeigt sich die Bedeutung der Rippenhechel auch in der zeitlichen Folge der einzelnen Siedlungen. Zwar treten sie am Anfang immer wieder auf, aber erst ab der späten Horgener Kultur und der Goldberg III-Gruppe kommen sie in den Siedlungen häufiger vor.

4.4.6 Knüpfen (Abb. 4.16; Taf. 3–4)

Knüpfen war kein Bestandteil der Experimente, weshalb diese Aktionsgruppe im Abschnitt 3.4.1 nicht beschrieben wird. Die Analyse der Artefakte ergab verschiedene direkte und indirekte Spuren, die zunächst nicht so recht zusammenpassen wollten, aber dann doch in dieser Gruppe Sinn ergeben. Dass Knochenwerkzeuge auch zum Knüpfen verwendet werden können und auch wurden, ist bekannt. Beispielsweise hat Annemarie Feldtkeller die Rekonstruktionen der Körbe aus den Feuchtbodensiedlungen häufig mit Knochenspitzen durchgeführtFootnote 16. Zudem finden sich unter den Artefakten auch vereinzelt Knochenspitzen, auf deren Schaft und Basis gezwirnte Schnur aufgewickelt ist, zum Beispiel auch aus Sipplingen-Osthafen (Abb. 4.15). Allerdings kann bei diesem Stück die Schnur nicht abgenommen werden, um nachzusehen, wie es darunter aussieht. Aber im Falle der Stechen/Schaben/Schälen-Werkzeuge aus Olzreute-Enzisholz (Ol 10; 213/239–1; Abb. 3.17) sind Reste einer Wicklung aus Lindenbast vorhanden, und die verwendeten Repliken zeigen, dass sich durch eine Umwicklung mit Pflanzenfasern zuerst an den Kanten und an stärkeren Wölbungen Glanz entwickelt. In ähnlicher Weise zeigen Knüpfen-Werkzeuge kaum oder nicht mehr sichtbare Schleifspuren, eine starke Verrundung und starken Glanz im Arbeitsbereich. Es handelt sich bisher ausschließlich um Werkzeuge mit einer Spitze, wobei die Spitze auch mehr oder weniger stumpfwinklig sein kann. Die Spitze selbst ist meist scharf. Wurden jedoch Wulstkörbe damit geflochten, wird die Spitze mit zunehmender Nutzungsdauer immer stumpfer. Am Schaft sind bei reinen Knüpfen-Werkzeugen deutlich Wicklungsspuren zu erkennen. Die Knüpfen-Gruppe beinhaltet als Werkstoff hauptsächlich pflanzliche Fasern, wie Bast, Flachs oder Gräser, aus denen Netze, Körbe, Matten und sonstige Gegenstände aus Pflanzenfasern hergestellt werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass die Knüpfen-Gruppe weiter unterteilt werden kann. Beispielsweise sind die ausgeführten Bewegungen und auch die Berührung mit dem Werkmaterial beim Knüpfen eines Netzes und einem Wulstkorb unterschiedlich. Dies gilt es noch abschließend zu prüfen.

Abb. 4.15
figure 15

Artefakt aus Sipplingen-Osthafen, an dessen Basis Bast aufgewickelt ist. Dieses Artefakt ist der direkte Nachweis für die Verwendung der Werkzeuge zum Knüpfen

Unter den Artefakten finden sich insgesamt 15 Exemplare, die der Aktionsgruppe Knüpfen zugeordnet werden können. Sie verteilen sich auf die gesamte Zeitspanne des Jung- und Endneolithikums. Über die Hälfte der Knüpfen-Werkzeuge wurde aus Metapodien und sonstigen Röhrenknochen von Tieren der Größe Schaf hergestellt, ein guter Teil der Werkzeuge wurde jedoch auch aus Metapodien von großen Haus- oder Wildtieren gemacht (Abb. 4.9). Bei der verwendeten Tierart dominieren deutlich die Wildtiere. So wurden vier der 15 Knüpfen-Werkzeuge aus Metapodien von Rehen hergestellt. Sie entsprechen den üblichen bekannten Knochenspitzen aus halbierten Metapodien mit oder ohne Gelenkende. Nur bei Ba I 05; 49/52–1 wurde das gesamte distale Gelenk an dem Werkzeug belassen (Abb. 4.16, zweites Artefakt von links oben). Da die Gebrauchsspuren stark ausgeprägt sind, wurde das Werkzeug offensichtlich über eine längere Zeit verwendet. Es ist deshalb vorstellbar, dass dies zunächst vielleicht unbeabsichtigt geschah, sich aber schnell als sehr zweckmäßig herausstellte, weil dadurch eine größere Menge Zwirn aufgewickelt werden kann, ohne dass er an der Basis herunterrutscht.

Unter den Werkzeugen finden sich zwei aus Olzreute-Enzisholz, die an der Basis eine Einkerbung aufweisen (Ol 10; 214/265–48 und Ol 11; 213/258–14; Abb. 4.16, drittes Artefakt von links oben und rechts oben). Es kann unter Umständen beim Flechten von Körben dazu verwendet worden sein, die Wülste auseinanderzudrücken, damit die Bast- oder Rindenstreifen durchgefädelt werden können. Allerdings wurde die Basis nicht häufig verwendet. Es könnte bei der Herstellung beispielsweise von Zwirnbindungen, Zwirnbinden der Kette oder Zwirnspalten zum Einsatz gekommen sein. Die zwei aus Reute-Schorrenried stammenden Artefakte weisen sehr starke Gebrauchsspuren auf, die auf eine sehr lange Benutzung ohne Nachschleifen deuten. Bei Re 81; 83–39 ist die Spitze ungleichmäßig abgenutzt (Abb. 4.16, unten). Wahrscheinlich wurde immer nur der vorderste Teil der Spitze zwischen zwei Schnüre, Wulste o.ä. gesteckt, weshalb auch nur dieser Teil abgenutzt wurde. Auch Re 81; 86–27 zeigt im Arbeitsbereich sehr starke Abnutzung und Glanz, allerdings ist hier die Schneidekante völlig verrundet und stumpf. Der Glanz endet ebenfalls wie bei Re 81; 86–27 innerhalb des Arbeitsbereiches. Wahrscheinlich wurde die Spitze so weit dazwischengeschoben, dass ein genügend großes Loch entstand, durch das ein Baststreifen oder eine Schnur gefädelt werden konnte.

Alle hier aufgestellten Thesen sind rein hypothetisch, da die Experimente zum Knüpfen für diese Arbeit nicht abgeschlossen und damit nicht mehr ausgewertet werden konnten. Allerdings basieren die aufgestellten Hypothesen auf den ersten Beobachtungen aus den Experimenten und den Vergleichen aus den archäologischen Knochenartefakten. Die zahlreichen Textilfunde aus den Feuchtbodensiedlungen lassen darauf schließen, dass es auch hierfür Werkzeuge gegeben haben muss. Denkbare Werkzeuge dafür wären eben solche aus Knochen. Dies muss allerdings anhand der Gebrauchsspuren erst noch überprüft werden.

Abb. 4.16
figure 16

Zum Knüpfen wurden vor allem Knochenspitzen verwendet. Sie zeigen alle einen starken Glanz im Arbeitsbereich und keinerlei Druckstellen an der Basis

4.4.7 Ritzen (Abb. 4.17, Taf. 5)

Dem Ritzen konnten nur zwei Artefakte zugeordnet werden, die beide aus den endneolithischen Fundplätzen von Olzreute-Enzisholz und Sipplingen-Osthafen stammen. Da sie eine immer noch scharfe Spitze besitzen, können damit keine Verzierungen an Keramikgefäßen angebracht worden sein. Wahrscheinlich wurde damit auf Rinde oder Leder angezeichnet. Beide archäologischen Knochenartefakte wurden aus Rippen von Tieren der Größe Rind/Hirsch gefertigt (Abb. 4.9).

Abb. 4.17
figure 17

Die Aktionsgruppe Ritzen umfasst nur wenige Artefakte. In dieser Gruppe finden sich vor allem Spitzen, die einen mehr oder weniger scharfen Arbeitsbereich haben

4.4.8 Schaben (Abb. 4.18, Taf. 9)

Zu der Schaben-Gruppe zählen vor allem Artefakte mit einer querstehenden Arbeitskante. Es finden sich darunter jedoch auch einige wenige Ad hoc-Werkzeuge, die sich aufgrund ihrer Bruchflächen gut für diese Arbeiten eignen. Für die Schaben-Werkzeuge wurden hauptsächlich sonstige Röhrenknochen von großen Haus- oder Wildtieren verwendet (Abb. 4.10). Sie haben eine hohe Stabilität und sind dem beim Schaben entstehenden Druck besser gewachsen. Zudem existiert auch ein Fragment eines Biberunterkiefers mit teilweise erhaltenen Schneidezähnen im Material. Die Gebrauchsspuren an den Zähnen wurden bisher noch nicht bestimmt. Aber es gibt experimentelle Versuche von Pierre Pétrequin, bei denen die Ureinwohner von Papua-Neuguinea einen Biberunterkiefer zum Ausschälen einer Holzschüssel verwendenFootnote 17. Deshalb wurde das Fragment eines Biberunterkiefers lediglich aufgrund seines starken Handglanzes am Kieferknochen dem Schaben zugeordnet (Abb. 4.18, unten rechts).

Abb. 4.18
figure 18

Zum Schaben wurde eine Vielzahl von unterschiedlichen Artefakten verwendet. Meist besitzen sie einen quer- oder längsverlaufenden Arbeitsbereich, der mehr oder weniger scharf ist

4.4.9 Schneiden (Abb. 4.19, Taf. 10)

Das einzige messerartige Werkzeug stammt aus der pfyn-altheimerzeitlichen Siedlung Reute-Schorrenried. Es wurde aus dem Schulterblatt eines großen Haus- oder Wildwiederkäuers gefertigt. Zur Herstellung wurde der Knochen an der Margo cranialis entlang der Spina scapulae abgetrennt. Bissspuren vor allem am Ansatz des Gelenkkopfes zeigen, dass dieser vor dem Verbiss noch existierte. Der Handglanz an der Margo caudalis, der nicht über die Bruchkanten geht, zeigt, dass dieser Bereich mit dem Gelenkkopf als Griff gedient hat. Die Spina scapulae wurde bis auf einen halben Zentimeter Höhe heruntergeschliffen. Im Arbeitsbereich sind die Schleifspuren noch sehr deutlich zu erkennen. Sie zeigen kaum Verrundungen und keinen Glanz. Außerdem ist die Oberfläche des Werkzeuges teilweise stark angegriffen. Wahrscheinlich wurde dieses Werkzeug zum Schneiden von säurehaltiger Nahrung, wie Obst oder Milchprodukte eingesetztFootnote 18. Diese Hypothese, die bereits von Jörg SchiblerFootnote 19 aufgestellt worden ist, muss jedoch noch über die Analyse der Gebrauchsspuren überprüft werden.

Ähnliche Werkzeuge, die auch in die Gruppe Schneiden fallen, konnten bisher nur in der Cortaillod-Kultur am Burgäschisee und in Twann gefunden werdenFootnote 20. Weitere messerartige Werkzeuge, die aus Plattenknochen (Rippen) hergestellt wurden, finden sich häufig auch in anderen FeuchtbodensiedlungenFootnote 21.

Abb. 4.19
figure 19

Der Aktionsgruppe Schneiden konnte lediglich ein Artefakt zugeordnet werden. Hierbei handelt es ich um ein Werkzeug, das aus einem Schulterblatt gefertigt wurde. Die Oberfläche im Arbeitsbereich ist zum Teil stark angegriffen, weshalb davon ausgegangen wird, dass damit säurehaltige Nahrungsmittel, wie beispielsweise Holzäpfel, geschnitten wurden

Abb. 4.20
figure 20

Artefakt mit Flügel, das zum Stechen und Drehen verwendet wurde. Durch die Flügel wird verhindert, dass die Spitze beim Weiten der Löcher zu tief eindringt und dadurch die Löcher zu groß werden

4.4.10 Stechen/Drehen (Abb. 4.21, Taf. 5–8)

Die Verarbeitung von Leder oder Rohhaut spielte im Neolithikum mit Sicherheit eine sehr wichtige Rolle. Allerdings erhalten sich diese Materialien nur unter bestimmten Bedingungen, wie beispielsweise einem leicht sauren feuchten Milieu oder im Permafrost. Aus dem Neolithikum gibt es nur wenige Funde von Ledergegenständen. Am bekanntesten ist wohl die Ausrüstung des Gletschermannes aus dem Eis. Aufgrund der schwierigen Erhaltungsbedingungen kann eine Verwendung von Leder oftmals nur über die Werkzeuge nachgewiesen werden, die zum Herstellen von Ledergegenständen verwendet wurden. Im Falle der Knochenartefakte kommen vor allem Spitzen bei der Bearbeitung von Leder oder Rohhaut zum Einsatz. Es war zwar damit zu rechnen, dass ein Teil der gefundenen Knochenspitzen für diese Art von Arbeit verwendet worden war, aber dass tatsächlich ein Großteil der Spitzen den stechenden und drehenden Bewegungen zuzuordnen ist, war dann doch überraschend. Die hohe Anzahl der Knochenartefakte der Stechen/Drehen-Gruppe in den endneolithischen Fundplätzen und -schichten belegt den hohen Stellenwert, den Leder und Rohhaut hatten (Abb. 4.334.34). Bis auf Stuttgart-HofenFootnote 22 konnten in allen bearbeiteten Fundorten Knochenspitzen der Gruppe Stechen/Drehen zugeordnet werden. Die geringe Anzahl in den Siedlungen bis Sipplingen-Osthafen C ist entweder auf eine höhere Anzahl der unbestimmten Artefakte oder die geringe Gesamtzahl zurückzuführen. Beispielsweise konnten der Schicht Sipplingen-Osthafen C nur sechs Knochenartefakte zugeordnet werden, von denen zwei unbestimmt sind. Ab Sipplingen-Osthafen H, J + K, den Sipplingen-Osthafen-Schichten aus dem mittleren Horgen, geht die Anzahl der archäologischen Knochenartefakte stark zurück, die für Stechen/Drehen verwendet wurden. Dabei ist kein Unterschied zwischen den einzelnen Siedlungen zu erkennen, mit Ausnahme von Stuttgart-Hofen.

Abb. 4.21
figure 21

Die Aktionsgruppe Stechen/Drehen zählt zu den größten. Zu der Gruppe zählen vor allem Knochenspitzen, die im Arbeitsbereich Glanz und an der Basis Druckstellen oder Ausbrüche aufweisen. Die hohe Variabilität der Artefakte zeigt, wie vielfältig die Werkzeuge für ein und dieselbe Arbeit aussehen können

Die Form der einzelnen Knochenartefakte in der Stechen/Drehen-Gruppe variiert stark. Es finden sich sowohl die üblichen halbierten Metapodien mit distaler Gelenkrolle von kleinen Haus- oder Wildwiederkäuern als auch sehr große Knochenspitzen, die aus den Metapodien von großen Haus- oder Wildwiederkäuern mit distalem Gelenkende gemacht wurden, und ebenso kleine Spitzen ohne jegliches Gelenkende (Abb. 4.9). Nur selten wurden andere Tierarten wie z. B. Schwein genutzt. Die Werkzeuge der Gruppe Stechen/Drehen sind neben den Gruppen Stechen, Stechen/Schaben/Schälen und Stechen/Schlagen von allen Aktionsgruppen dem stärksten Druck ausgesetzt. Dementsprechend wurden hierfür die Werkzeuge meist aus Röhrenknochen von Tieren der Größe Rind/Hirsch hergestellt (Abb. 4.9). Aber es wurde auch eine größere Anzahl an Knochen von Tieren der Größe Schaf verwendet. Die meisten Werkzeuge wurden aus Metapodien gefertigt. Auch wurden einige Rippen als Werkzeugmaterial genutzt. Dies lässt sich damit erklären, dass Rippenfragmente aus dem proximalen Bereich aufgrund einer dickeren Kompakta sehr stabil sind.

Unter den Knochenspitzen der Stechen/Drehen-Gruppe finden sich durchaus auch einige Formen, die auf eine spezialisierte Arbeit mit den Knochenwerkzeugen hindeuten.

So hat Si 84; 142–32 durch seine beiden Flügel an der Basis eine sehr spezielle Form (Abb. 4.20). Es handelt sich dabei um eine Optimierung des Werkzeuges, denn durch die Flügel wird zum einen der direkte plötzliche Druck optimal verteilt. Gleichzeitig verhindern die Flügel aber auch ein zu großes Weiten des Loches. Vor allem bei sehr dünnem Leder ist das Risiko sehr hoch, dass die Löcher beim Weiten ausreißen oder zu groß werden.

Neben der Verwendung bei der Verarbeitung von Leder oder Rohhaut können die der Gruppe zugeordneten Werkzeuge auch beim Herstellen von Rindengefäßen zum Einsatz kommen. Weitere Werkstoffe konnten bisher noch nicht festgestellt werden. Allerdings zeigt Si 87; 363–25, dass es auch andere Werkstoffe mit dieser Bewegung gegeben haben muss (Taf. 6, 82). Das Artefakt kann aufgrund seiner direkten und indirekten Gebrauchsspuren zwar der Stechen/Drehen-Gruppe zugeordnet werden, doch vor allem die direkten Gebrauchsspuren und die Form des Arbeitsbereiches sind sehr speziell. Letzterer ist dreieckig-spitz zugeschliffen und im unteren Bereich finden sich Querriefen. Ob diese durch die Verwendung entstanden sind oder ob sie mit Absicht angebracht wurden, kann zum derzeitigen Stand nicht gesagt werden. Die Kanten und die Spitzen des Arbeitsbereiches zeigen einen sehr starken Glanz. Bisher ist gänzlich unbekannt, für welchen Werkstoff dieses Werkzeug verwendet wurde. Seine Form hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Silexbohrern, die zum Bohren von Löchern bei Steinbeilen verwendet werden. Allerdings ist der Knochen für die Bearbeitung von Felsgestein nicht hart genug, weshalb dieser Werkstoff nicht in Frage kommt. Vorstellbar ist eine ähnliche Verwendung in einem weicheren Werkstoff, wie Holz.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich in der Stechen/Drehen-Gruppe eine Vielzahl von sehr unterschiedlich aussehenden Werkzeugen findet, die aber alle mit derselben Bewegung verwendet wurden. In diesem Fall ist die Form allein nicht ausschlaggebend für die Zuordnung und damit letztlich die Verwendung der Werkzeuge.

4.4.11 Stechen/Schaben/Schälen (Abb. 4.22, Taf. 10–14)

Die Gruppe Stechen/Schaben/Schälen kommt hauptsächlich bei Werkzeugen vor, die zum Abschälen und Weiterverarbeiten von Rinden verwendet werden, und ist Ergebnis einer Kombination der Gebrauchspuren aus den drei Bewegungen: Zu Beginn des Rindenabschälens und teilweise auch an den Astansätzen muss die Rinde auf- oder abgestemmt werden (Stechen). Anschließend wird die Rinde vom Holz durch das Entlangfahren mit dem Werkzeug abgespalten (Schälen und Schaben).

Die Gewinnung von Rinde war ein sehr wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens im Neolithikum, denn Rinden wurden zum Eindecken der Dächer, als Zwischenlagen im Lehmfußboden, zur Herstellung von Gefäßen, als Rohmaterial für Bast und vieles mehr verwendet. Rinde war ein alltägliches Rohmaterial, das ständig benötigt wurde. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass diese Bedeutung neben der von Lein zur Textilherstellung auch bei den archäologischen Knochenartefakten erkennbar ist. Ein Teil der Artefakte, die anhand der gängigen Typologie zu den „meißelförmigen Beilen“ oder den „Meißeln“ und am ehesten der Holzbearbeitung zugeordnet worden wären, zeigen durch die Gebrauchsspuren, dass sie eben nicht für die Holzbearbeitung, sondern für das Schälen von Rinde, sehr wahrscheinlich zur Bastgewinnung, verwendet wurden.

Insgesamt finden sich 29 Artefakte in der Gruppe, wobei circa die Hälfte aus Reute-Schorrenried stammt (Abb. 4.334.34). Die Werkzeuge der Stechen/Schaben/Schälen-Gruppe sind ebenfalls einem starken Druck ausgesetzt. Dementsprechend wurden hierfür die Werkzeuge meistens aus Metapodien oder aus anderen Röhrenknochen von Tieren der Größe Rind/Hirsch hergestellt (Abb. 4.10).

Von den archäologischen Artefakten aus Reute-Schorrenried weisen neun ein Loch im proximalen Gelenkende auf (Abb. 4.23). Vergleichbare Funde aus anderen Feuchtbodensiedlungen sind bisher noch nicht bekannt. Es gibt ähnliche Funde aus der Michelsberger KulturFootnote 23. Die Artefakte aus Reute-Schorrenried wurden hauptsächlich aus Metapodien von Rindern und nur in einzelnen Fällen aus Pferdeknochen oder der Tibia eines Hirsches hergestellt. Bis auf ein Artefakt sind alle in dieser Gruppe auffallend gleichartig gestaltet. Das distale Gelenkende wurde entfernt, um eine querstehende Arbeitskante zu erhalten. Die Diaphyse wurde ebenso wie die proximale Epiphyse kaum bearbeitet. Diaphyse und Epiphyse weisen wenige bis keine Schleifspuren auf. In der Mitte der Gelenkfläche findet sich das charakteristische Loch. Die Löcher haben eine leicht ovale Form. Am Rand sind meist Brandspuren zu beobachten. Im Loch sind an der Spongiosa zum Teil Abriebspuren zu erkennen, die darauf schließen lassen, dass in den Löchern ein Zapfen oder ähnliches gesteckt haben muss. Vorstellbar wäre eine Schäftung mit einem langen Stiel, wie sie heutige Räppeleisen haben. Deutliche Glanzspuren am Schaft zeigen, dass die Werkzeuge auch in diesem Bereich mit dem Werkstoff Rinde in Berührung kamen.

Abb. 4.22
figure 22

In der Stechen/Schaben/Schälen-Gruppe finden sich vor allem Artefakte, die auf den ersten Blick zu den Beiteln oder Beilen zählen würden. Die Gebrauchsspuren haben jedoch gezeigt, dass diese Werkzeuge nicht nur zum Stechen, sondern vor allem zum Schälen von Rinde verwendet wurden

Bei den anderen Funden der Stechen/Schaben/Schälen-Gruppe handelt es sich ebenfalls auf den ersten Blick um Meißel. Sie finden sich außer in Stuttgart-Stammheim und Stuttgart-Hofen an allen Fundplätzen. In Sipplingen-Osthafen beschränken sie sich auf die Schichten des mittleren Pfyn und des jüngeren Horgen. Bei allen Artefakten handelt es sich um meißelartige Geräte mit mehr oder weniger gerader oder leicht gerundeter Schneide. Vier der zehn Artefakte haben das proximale Gelenk als Basis. Beim Rest handelt es sich, mit Ausnahme des Artefakts Re 83; 263/407–43, um Bruchstücke des ursprünglichen Werkzeuges, d. h. es haben sich meist nur Teile des Arbeitsbereiches und Teile des Schaftes erhalten. Der Bruch ist häufig durch Verkantung entstanden. Hier kann nicht mehr bestimmt werden, ob die Werkzeuge ein Gelenk als Basis besaßen. Aber Re 83; 263/407–43 zeigt, dass auch kleine Klingen ohne Gelenk zum Spalten und Schälen verwendet wurden. Die Holzglanzspuren an der Basis zeigen, dass das Werkzeug eine Schäftung besaß. Im Hinblick auf die mit dem Werkzeug ausgeführte Bewegung kommen eine Schäftung als Dechsel oder auch eine Parallelschäftung als Beil nicht in Frage, da damit nur sehr schwer gespalten oder geschält werden kann. Es ist eher davon auszugehen, dass das Werkzeug zur Verlängerung mit einem Griff versehen worden war. Leider fehlen bisher noch jegliche Funde von hölzernen Griffschäftungen. Durch die beschriebenen direkten und indirekten Gebrauchsspuren an Re 83; 263/407–43 und die Zuordnung zu einer Bewegung, bei der die bekannten Schäftungsarten wenig Sinn ergeben würden, kann hiermit der indirekte Beweis einer Griffschäftung erbracht werden.

Abb. 4.23
figure 23

In der Stechen/Schaben/Schälen-Gruppe finden sich alle Artefakte aus Reute-Schorrenried, die eine querstehender Schneidekante und Loch in der Gelenkfläche besitzen

Unter den meißelartigen Stechen/Schaben/Schälen-Artefakten befindet sich auch das aus dem Radius eines Bären gefertigte Werkzeug mit querstehender Arbeitskante und Gelenk aus den späthorgenzeitlichen Schichten von Sipplingen-Osthafen, sowie ein kleines Beilchen und der lange schmale Beitel aus Stuttgart-Hofen. Den Gebrauchsspuren zufolge wurden alle zum Schälen von Rinde verwendet. Das kleine Beilchen weist leichte Schäftungsspuren im Bereich der Basis auf. Ähnlich wie bei anderen Werkzeugen, die nur zum Schaben verwendet wurden, handelt es sich auch hier um einen indirekten Hinweis auf eine Griffschäftung.

Unter den Werkzeugen mit vorhandenem Gelenk findet sich auch ein Artefakt mit erhaltener Wicklung aus Olzreute-Enzisholz (Ol 10; 213/239–1). Dieses zeigt zwar Spuren von stechender Arbeit, da Teile der Basis und die Schneide ausgesplittert sind, jedoch sind diese deutlich überprägt. Durch die sehr gerade zugeschliffene Schneide wird die Gefahr einer Aussplitterung exponentiell erhöht. Eigene Versuche mit einem ähnlich dicken Werkzeug, das zuvor halbrund angeschliffen war und zu einer geraden Schneide umgearbeitet wurde, zeigten, dass die Schneide bereits nach zwei Schlägen ausgebrochen war, wogegen sie im halbrunden Zustand über 30 Stunden hielt. Dagegen ist eine gerade Schneide beim Schälen von Rinde gerade vorteilhaft. Denn an den schwierigen Stellen, wie einem Astansatz, kann die Rinde mit einem Werkzeug, das eine gerade Schneide besitzt, viel leichter gelöst werden als mit einer runden Schneide.

Bei Si 10; 538/126–1177 findet sich an der Seite eine kleine Kerbe, die deutliche Abnutzungsspuren an den Kanten aufweist, was auf eine Wicklung hindeutet. Denkbar wäre eine Wicklung kurz unterhalb des Gelenkkopfes, um das Gerät an einem Gürtel zu befestigen. Da bei diesem Werkzeug der Gelenkkopf nicht sehr stark ausgeprägt ist, verhindert die Kerbe das Abrutschen der Schnur über den Gelenkkopf. In der Kerbe kann die Schnur nochmals festgezogen werden und sich dann kaum mehr lockern.

Abb. 4.24
figure 24

Der größten Werkstoffgruppe, der Stechen/Schlagen-Gruppe, konnten ausschließlich Artefakte ohne Gelenkende zugeordnet werden. Aber auch sie zeigen in ihrer Form eine große Variabilität. So finden sich darunter nicht nur kleinere Beile, sondern auch als Beitel ansprechbare Werkzeuge. Hauptkennzeichen dieser Gruppe ist die Vielzahl an Brucharten, wie Ermüdungsbruch oder Bruch durch direkten Schlag

Insgesamt finden sich in dieser Gruppe Werkzeuge, die man herkömmlich eher zu den Beilen und Meißeln gezählt hätte. Aber durch die Analyse der Gebrauchsspuren wird sehr deutlich, dass die bisher vergebenen Begriffe und die damit implizierten Funktionen teilweise überhaupt nicht zutreffen.

4.4.12 Stechen/Schlagen (Abb. 4.24, Taf. 15–20)

Die Stechen/Schlagen-Gruppe umfasst all jene Artefakte, die aufgrund der erhaltenen Gebrauchsspuren oder des Fragmentierungsgrades nicht weiter eingegrenzt werden können. In dieser übergeordneten Gruppe finden sich ausschließlich Artefakte mit querstehender Arbeitskante, da eine Spitze nur schwerlich für schlagende Arbeiten verwendet werden kann. Insgesamt konnten 112 Knochenartefakte nicht weiter in die Kategorien Stechen oder Schlagen unterteilt werden. Es handelt sich oft um Bruchstücke und Aussplitterungen. Durch die Kleinteiligkeit der Artefakte in dieser Gruppe wird auch die Bestimmbarkeit der Tierart und des Skelettteils erheblich erschwert. Der größte Teil kann nur generalisierend als Röhrenknochen der Größe Rind/Hirsch bestimmt werden. Aber auch Metapodien von Tieren der Größe Rind/Hirsch sowie Röhrenknochen von Tieren der Größe Schwein oder Schaf wurden sehr häufig für Werkzeuge zum Stechen/Schlagen verwendet (Abb. 4.10). Bei der Verwendung von Haus- oder Wildtieren gibt es keine erkennbare Tendenz.

Stechen/Schlagen ist neben Stechen/Drehen insgesamt eine der häufigsten Aktionsgruppen. Auch hier finden sich kaum Hinweise auf eine Bearbeitung von gleich hartem oder härterem Material, weshalb angenommen werden kann, dass diese Artefakte hauptsächlich zur Bearbeitung von Grünholz oder zumindest nassem Holz verwendet wurden. Im Neolithikum ist die Auswahl an Werkzeugen eingeschränkt, mit denen Holz bearbeitet werden kann. Zu diesen Werkzeugen gehören neben Beilen und Beiteln aus Stein, Silex oder Geweih eben auch Knochen. Erst am Ende des Neolithikums kommen dann die ersten Kupferbeile auf. Zu den ältesten Nachweisen gehören Kupferbeile aus Rumänien um 5000 v.Chr.Footnote 24.

Die Verteilung in den einzelnen Siedlungen zeigt einen deutlichen Abfall der Anzahl an Stechen/Schlagen-Artefakten während der Horgener Kultur und der Goldberg III-Gruppe (Abb. 4.334.34). Dieser Rückgang setzt nach dem Auftreten der ersten Kupferfunde um 3800 v.Chr. ein. Wahrscheinlich setzten sich metallene Beile und Beitel aber erst umfassend mit dem Beginn der Bronzezeit ab etwa 2000 v. Chr. durch. Aufgrund der sehr weichen und elastischen Eigenschaften von Kupfer ist anzunehmen, dass sie nur einen geringen Vorteil gegenüber den althergebrachten Werkzeugen aus Stein, Knochen und Geweih geboten haben. Weder dazu noch zur stetigen Abnahme der Stechen/Schlagen-Artefakte gibt es allerdings Vergleichsdaten, die dies bestätigen könnten. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese Abnahme in engem Zusammenhang mit dem Aufkommen der Kupferwerkzeuge steht. Ähnlich wie bei den Werkzeugen zur Textilherstellung wäre allerdings auch hier lediglich ein zeitlicher Zusammenhang, jedoch keine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kulturgruppen zu beobachten. Vielmehr scheint sich der zunehmende Wandel zur Bronzezeit hin – auch in den Traditionen – in den Knochenartefakten und den entsprechenden Aktionsgruppen widerzuspiegeln.

4.4.12.1 Stechen (Abb. 4.25, Taf. 20–22)

Die Aktionsgruppe Stechen beinhaltet sowohl Werkzeuge mit einem querstehenden als auch mit einem spitz zulaufenden Arbeitsbereich. Verwendet wurden hauptsächlich Metapodien und andere Röhrenknochen von großen Wiederkäuern, seltener auch von kleinen Wiederkäuern. Hierbei handelt es sich dann meist um spitz zulaufende Werkzeuge. Die Artefakte in dieser Gruppe können für verschiedene Werkstoffe wie Leder, Holz, Rinde oder Keramik verwendet werden.

Abb. 4.25
figure 25

In der Werkstoffgruppe Stechen finden sich die unterschiedlichsten Werkzeuge. Da die Bewegung Stechen nicht nur bei Holz zum Einsatz kommt, finden sich nicht nur Artefakte mit querstehender Arbeitskante in der Gruppe, sondern auch welche mit einem spitz zulaufenden Arbeitsbereich

In diese Gruppe sind nur Knochenartefakte aufgenommen, die klar bestimmt werden konnten und nur für stechende Arbeiten verwendet wurden. In den meisten Fällen zeigt sich dies anhand von Ausbrüchen im Arbeitsbereich, die durch Verkantung entstanden sind, oder um Absplisse an der Basis, die durch einen direkten Schlag hervorgerufen wurden. Es kann sich aber auch um komplett erhaltene Werkzeuge handeln, die ursprünglich ähnlich aussahen wie Si 05; 302/154–1011 oder Si 10; 537/128–1007. Si 05; 302/154–1011 kann aufgrund des spitzen Arbeitsbereiches nicht für schlagende Bewegungen verwendet worden sein, es weist aber auch keine Spuren von Drehen auf. Somit kommt nur die Bewegung Stechen in Betracht. Bei Si 10; 537/128–1007 zeigen die rundum laufenden Wicklungsspuren und die fehlenden Schäftungsspuren im mittleren und unteren Schaftbereich deutlich, dass es sich hier um ein Werkzeug für stechende Bewegungen handelt.

Die Werkzeuge der Gruppe Stechen wurden hauptsächlich aus Metapodien und anderen Röhrenknochen von Tieren der Größe Rind/Hirsch hergestellt, da sie auch einem hohen Druck ausgesetzt sind (Abb. 4.10). Jedoch wurden auch einige der archäologischen Knochenartefakte in der Stechen- Gruppe aus Rippen von Tieren der Größe Rind/Hirsch hergestellt. Ähnlich wie in bei der Stechen/Drehen-Gruppe hängt dies damit zusammen, dass Rippenfragmente aus dem proximalen Bereich aufgrund einer dickeren Kompakta sehr stabil sein können.

Werkzeuge der Stechen-Gruppe finden sich in allen Fundorten und -schichten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Bedeutung der ausgeführten Bewegung und die damit bearbeiteten Werkstoffe gleich blieb. Eventuell kam es zu einer Verschiebung im Bereich des Werkstoffs, aber dies kann aufgrund der schwierigen Zuweisung zu den jeweiligen Werkstoffen nicht überprüft werden.

Die Stechen-Gruppe macht deutlich, dass diese Arbeiten, wie z. B. die Feinarbeit an Holz, Rinde oder auch Leder, im gesamten Neolithikum eine wichtige Rolle im Alltag gespielt haben.

4.4.12.2 Schlagen (Abb. 4.27, Taf. 22)

Von allen Knochenartefakten konnten nur drei explizit einer schlagenden Bewegung zugeordnet werden. Alle drei Artefakte haben eine querstehende Arbeitskante und sind zwischen 6 und 15 cm lang. Die drei Artefakte stammen aus der Pfyn-Altheimer Siedlung Reute-Schorrenried und aus den Schichten des mittleren Horgen der Siedlung Sipplingen-Osthafen. Die Spuren legen nahe, dass es unterschiedliche Schäftungsvarianten gab. So konnte das Werkzeug auf einem Holz aufliegen und durch eine Wicklung festgemacht sein, die an der Oberseite des Werkzeuges direkt auflag – oder aber das Werkzeug ist zwischen zwei Hölzern festgeklemmt, so dass die Wicklung das Werkzeug nicht berührt (Abb. 4.26). Aufgrund der ausgeführten Bewegung kann davon ausgegangen werden, dass sie quer als Dechsel oder parallel als Axt oder Beil geschäftet waren (Abb. 4.26). Die mittleren oder starken Ausbrüche an der Basis zeigen, dass der Druck auf sie sehr hoch gewesen sein muss. Da eine definitive Zuordnung zur Schlagen-Gruppe sehr schwierig ist und nur mit absoluter Sicherheit erfolgen kann, wenn sämtliche möglichen Gebrauchsspuren zu erkennen sind, konnten nur drei Artefakte dieser Gruppe zugeordnet werden. Der größte Teil der für schlagende Bewegungen verwendeten Knochenartefakte wird in der Gruppe Stechen/Schlagen zu finden sein.

Abb. 4.26
figure 26

Eine experimentell hergestellte Dechsel mit einer Knochenklinge und Rohhautwicklung

Die drei sicher der Schlagen-Gruppe zuordenbaren archäologischen Knochenartefakte wurden aus Röhrenknochen von großen Haus- oder Wildwiederkäuern hergestellt (Abb. 4.10).

Abb. 4.27
figure 27

Die Werkstoffgruppe Schlagen umfasst nur drei Artefakte. Diese waren wahrscheinlich mit einem Knieholm geschäftet. Charakteristisch sind vor allem die Schäftungsspuren sowie die Druckstellen und Ausbrüche an der Basis. Anders als beim Stechen findet sich an der Basis jedoch kein seidenmatter Glanz, der über die Kanten hinausgeht

Abb. 4.28
figure 28

In der Gruppe Streichen/Reiben finden sich Artefakte mit querstehendem und mit längsverlaufendem Arbeitsbereich oder aber sie haben wie SHM-48 (links unten) eine Basis, auf deren Fläche sich keinerlei Schleifspuren mehr finden. Gemein haben sie alle starken Glanz und kaum sichtbare bis fehlende Schleifspuren

4.4.13 Streichen/Reiben (Abb. 4.28, Taf. 22)

Unter Streichen/Reiben werden alle Artefakte zusammengefasst, die aufgrund fehlender Gebrauchsspuren nicht weiter in die Bewegung Streichen oder Reiben eingegrenzt werden können. In dieser Gruppe finden sich Knochenartefakte mit den unterschiedlichsten Formen und auch verschieden ausgeprägten Arbeitsbereichen. So gibt es einige Werkzeuge mit Spitzen, einige mit querstehenden Schneiden, wenige mit längsverlaufenden Schneiden oder einer Fläche als Arbeitsbereich, wie SHM-48. Die Brucharten, die viele Artefakte aufweisen, können nicht von der ausgeführten streichenden oder reibenden Bewegung stammen. In manchen Fällen sind die Brüche durch Verbiss entstanden, aber meistens kann die Ursache nicht näher bestimmt werden.

Für die Herstellung von Werkzeugen zum Streichen/Reiben wurden hauptsächlich Röhrenknochen von großen Wiederkäuern verwendet. Nur in einzelnen Fällen wurden Röhrenknochen von kleinen Wiederkäuern genommen, wie beispielsweise der Radius (Abb. 4.10, unten links).

SHM-48 fällt aufgrund seiner Form aus dem Rahmen, denn es besitzt keine Schneide oder Spitze als Arbeitsbereich, sondern eine Fläche. Zudem kann nicht zwischen Basis und Arbeitsbereich unterschieden werden, da sie genau gleich gestaltet sind. Auf diesen Flächen sind keinerlei Spuren mehr zu erkennen. Eine mögliche Verwendung könnte im Glätten und Aufpolieren von lederharter Keramik bestanden haben, ähnlich wie mit Poliersteinen.

Ebenfalls eine Besonderheit stellt Si 86; 352–61 zusammen mit Si 06; 314/107–1052 darFootnote 25. Dieses Artefakt wurde anscheinend flächig für streichende oder reibende Bewegungen verwendet, da die gesamte Oberfläche poliert ist und stark glänzt. Vermutlich wurde es, ohne erneut angeschliffen zu werden, anschließend für eine Arbeit mit starkem schlagendem Druck verwendet, weshalb die Basis ausbrach und Si 06; 314/107–1052 als Span abbrach. Diese Folgeanwendung hat allerdings im Arbeitsbereich keine weiteren Spuren hinterlassen. Eigene Experimente haben gezeigt, dass sich keine weiteren sekundären Gebrauchsspuren bilden können, wenn im Arbeitsbereich durch eine entsprechende Bewegung oder einen Werkstoff sämtliche Schleifspuren verschwunden sind. Bestimmbar ist dann immer nur die stark polierende Arbeit. Deshalb kann die ausgeführte Bewegung, die zu den starken Ausbrüchen bei diesem Knochenartefakt geführt hat, und die nach der Streichen/Reiben-Anwendung stattfand, nicht mehr bestimmt werden. Es kann nur vermutet werden, dass es sich um eine schlagende oder stechende Bewegung gehandelt haben muss.

Mit Ausnahme von drei Artefakten aus Reute-Schorrenried stammen alle Artefakte in der Gruppe Streichen/reiben aus den mittleren bis späten Horgener Schichten aus Sipplingen-Osthafen und den Goldberg III-Siedlungen von Olzreute-Enzisholz und Stuttgart-Hofen.

4.4.14 Streichen (Abb. 4.29, Taf. 23)

Der Aktionsgruppe Streichen können nur drei Artefakte aufgrund der anhaftenden Reste des Werkstoffs sicher zugeordnet werden. Bei beiden Artefakten handelt es sich um Werkzeuge, die zum Verstreichen von Birkenpech verwendet wurden. Alle stammen aus dem horgenzeitlichen Sipplingen-Osthafen. Es handelt sich bei den Werkzeugen um sehr kurze massive Knochenspitzen. Alle drei wurden aus Röhrenknochen von großen Wild- oder Hauswiederkäuern gefertigt. Si 08; 449/136–3 wurde dem Spitzenbruch und den leichten Ausbrüchen an der Basis nach nicht nur zum Streichen, sondern wohl auch für stechende Arbeiten verwendet. Durch das anhaftende Birkenpech konnten an der Knochenoberfläche keinerlei weitere Gebrauchsspuren entstehen, weshalb über die genaue vorherige Verwendung keine Aussage gemacht werden kann. Der Spitzenbruch von Si 84; 153–1015 ist wohl auf die Lagerung zurückzuführen. Da sich Birkenpech nicht immer erhält, ist davon auszugehen, dass ein Teil der nicht weiter zuordenbaren vor allem kleineren massiven Spitzen zum Verstreichen von Birkenpech verwendet wurde. Da hierzu Experimente nicht durchgeführt wurden, kann bisher noch keine Aussage zu eventuellen Gebrauchsspuren gemacht werden. Die Spuren an den beiden Artefakten deuten jedoch an, dass es nur zu einer leichten Verrundung der Schleifspuren kommt. Wahrscheinlich verhindert die weiche Masse des Birkenpechs eine hohe Reibung, bei der mehr Material abgetragen wird. Die vermutete Verwendung als Spachtel müsste jedoch noch experimentell überprüft warden.

Abb. 4.29
figure 29

Der Werkstoffgruppe Streichen konnten nur drei Artefakte zugeordnet werden. Mit ein Grund für die Zuordnung sind die Reste von Birkenpech im Arbeitsbereich. Wahrscheinlich wurden sie zum Verstreichen des Birkenpechs verwendet

4.4.15 Reiben (Abb. 4.31, Taf. 23)

Die reine Reiben-Gruppe umfasst prinzipiell Artefakte, die Spuren von Reibung aufweisen, also fehlende sichtbare Schleifspuren und keine Verrundung, aber starken Glanz. Allerdings haben diese Werkzeuge keinen sichtbaren Werkzeugcharakter in dem Sinne, dass sie eine Schneide oder eine Spitze aufweisen. Es handelt sich hierbei meist um Phalangen oder proximale Gelenke von Metapodien, wobei eine komplette Seite des Werkzeuges ganz flach abgerieben ist.

Abb. 4.30
figure 30

Dieses Artefakt aus Reute-Schorrenried aus der Gruppe Reiben könnte als Astragal angesprochen werden, wie sie spätestens seit den Römern bekannt sind. (Länge 2,7 cm)

Unter der Reiben-Gruppe findet sich als Ausnahme ein Werkzeug, das auf einer Seite nicht flachgerieben ist. Vielmehr sind alle erhöhten Stellen abgerieben und weisen einen sehr starken Glanz auf. Es stammt aus dem Abfallhaufen außerhalb der Siedlung von Reute-Schorrenried in Schnitt 8/9 (siehe Abb. 4.33). Es handelt sich bei diesem Artefakt um einen Talus eines Schafes, der nicht verändert wurde und an Gebrauchsspuren lediglich die Abriebspuren aufweist (Abb. 4.30).

Vergleichbare Funde gibt es aus der Antike und dem FrühmittelalterFootnote 26. Dabei handelt es sich um Spielsteine, sogenannte Astragale. Das Artefakt aus Reute-Schorrenried weist analoge Gebrauchsspuren auf. Deshalb ist die Interpretation als Astragal nicht unbedingt abwegig. Leider fehlen bisher ähnliche Funde aus dem Neolithikum.

Abb. 4.31
figure 31

Bei allen Artefakten in der Aktionsgruppe Reiben handelt es sich um Kurz- oder kleinere Mittelfußknochen, die auf einer Seite flächig abgerieben sind. Meist weisen sie keinerlei Schleifspuren auf

4.4.16 Rippen (Abb. 4.32, Taf. 23–24)

Rippen ist eine Untergruppe von Streichen/Reiben/Rippen, die sich aber aufgrund einer starken Verrundung infolge des Streichens über Pflanzenfasern unterscheidet.

Zur Gruppe Rippen können zwölf archäologische Artefakte gezählt werden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Werkzeuge wurden ausschließlich aus sonstigen Röhrenknochen der Größe Schwein und Rippen großer Haus- oder Wildtiere gefertigt (Abb. 4.10). Verwendet wurden Spitzen und messerartige Werkzeuge aus Plattenknochen, Werkzeuge mit querstehenden Arbeitskanten oder sogar Ad hoc-Werkzeuge aus einer halben Röhre, die ohne größere Überarbeitung zum Rippen verwendet wurden. Alle Werkzeuge weisen eine leicht stumpfe Arbeitskante mit deutlichem Glanz auf. Vor allem Si 86; 342/129–503 wurde wohl länger verwendet, da hier die Abnutzungsspuren so stark sind, dass regelrechte querverlaufende Rillen entstanden sind.

Interessant sind vor allem die Bruchstücke eines Werkzeuges aus einer Rippe, das eine gezähnte Schneide hat. Die Gebrauchsspuren an diesem Werkzeug sind sehr schwach, weshalb es mit einer gewissen Unsicherheit dem Rippen zugeordnet wurde. Ähnliche Werkzeuge mit einer gezähnten Schneide werden beim Weben als Abstandshalter der einzelnen Fäden verwendet. Ein vergleichbares Werkzeug nutzt Barbara Köstner als Experimentalarchäologin vor allem beim WebenFootnote 27. Der Fund stammt aus den späten Horgener Schichten von Sipplingen-Osthafen und korreliert mit einem erhöhten Flachsaufkommen in dieser SchichtFootnote 28.

Auch die anderen Artefakte aus dieser Gruppe stammen alle aus dem Endneolithikum und im Falle von Olzreute-Enzisholz und Stuttgart-Hofen von Goldberg III-Fundplätzen, die in engem Zusammenhang mit der Flachsverarbeitung stehen. Die Artefakte aus Sipplingen-Osthafen stammen ebenfalls aus den endneolithischen, genauer den jüngeren und späteren Horgener Schichten. Dieser Umstand dürfte in direktem Zusammenhang der zur Bronzezeit hin zunehmenden Bedeutung von Flachs und auch der Textilherstellung stehenFootnote 29. Denn das Rippen ist nur dann erforderlich, wenn sehr feine weiche Fasern hergestellt werden sollen. Ohne das Rippen wird der Stoff rauer und gröber. Vor allem in der Bronzezeit wurden schließlich sehr feine Stoffe hergestellt, wie das Textil von Irgenhausen eindrücklich belegtFootnote 30. Wahrscheinlich stieg bereits im Endneolithikum die Nachfrage nach solch weichen und feinen Garnen, weshalb die Faser immer häufiger gerippt wurde. Vielleicht lässt sich deshalb ab den jüngeren Horgener Schichten eine geringe Zunahme in der Anzahl der Werkzeuge verzeichnen (Abb. 4.334.34).

Abb. 4.32
figure 32

Die Artefakte, die zum Rippen, d. h. zum Weichmachen von Pflanzenfasern verwendet wurden, zeigen eine ähnlich hohe Variationsbreite wie die Gruppe Stechen. Allerdings wird beim Rippen nur eine Art Werkstoff, nämlich Pflanzenfasern, bearbeitet. Bei den Artefakten handelt es sich meist um Werkzeuge mit quer- oder längsverlaufendem Arbeitsbereich

4.5 Die Gruppen Quer, Spitz und Unbestimmt

Bei einigen der Knochenartefakte konnten nicht genügend Gebrauchsspuren bestimmt werden oder die Spuren, die sichtbar sind, konnten keiner der bekannten Aktionsgruppen zugeordnet werden. Deshalb finden sich im Folgenden die Gruppen Quer und Spitz, die lediglich aufgrund der Form des Arbeitsbereiches unterteilt werden können, sowie die Gruppe Unbestimmt, in die alle anderen Artefakte eingeordnet wurden.

4.5.1 Quer (Taf. 25–27)

Oftmals sind die Knochenartefakte schlecht erhalten, wodurch zwar die Gebrauchs- oder auch Herstellungsspuren nicht mehr zu erkennen sind, aber zumindest die Form des Arbeitsbereiches noch bestimmbar ist. Eine Unterteilung erfolgt dann ausschließlich anhand der Form der Schneide. In dieser Gruppe wurden alle Artefakte mit einer querstehenden Arbeitskante zusammengefasst. Sie machen mit 50 Stück etwa 9 % der Gesamtanzahl aus. Bei über der Hälfte der in der Gruppe Quer befindlichen Artefakte handelt es sich um die Knochenwerkzeuge aus Stuttgart-Stammheim. Diese konnten zwar noch fotografiert, aber bedauerlicherweise wegen Fundverlust nicht mehr auf Gebrauchsspuren untersucht werden. Der ErhaltungszustandFootnote 31 dieser Artefakte war meist so gut, dass sehr wahrscheinlich fast alle noch einer Aktionsgruppe hätten zugeordnet werden können. So müssen sie leider unter der nicht weiter differenzierenden Gruppe Quer subsumiert werden. Ohne eine entsprechende Bestimmung der Gebrauchsspuren können sie nur anhand ihrer Form bestimmten Gruppen zugeordnet werden.

In dieser Gruppe finden sich kleinere Beile. Bei ähnlichen Artefakten konnte bestimmt werden, dass sie geschäftet häufig zum Schaben oder zum Spalten, also zum Abschälen von Rinde verwendet wurden. Es gibt auch längliche dreieckige Artefakte, die in der Literatur häufig als Fellschaber angesprochen werden. Bei diesen könnte die schlechte Erhaltung, die eine Bestimmung der Gebrauchsspuren nicht zulässt, auch auf den Kontakt mit nassen Tierhäuten und ätzenden Gerbstoffen zurückzuführen sein. Es finden sich aber auch Artefakte, deren gut erhaltenes Pendant der Aktionsgruppe Stechen zugeordnet werden konnte.

Kein Artefakt musste aufgrund unbekannter und nicht zuordenbarer direkter und indirekter Gebrauchsspuren in diese Gruppe geschoben werden. Dies legt nahe, dass die bisherigen Aktionsgruppen das Spektrum der möglichen Bewegungen und der entsprechenden Gebrauchsspuren zureichend abdecken.

4.5.2 Spitz (Taf. 24–25)

Bei der Gruppe Spitz wurde entsprechend der Gruppe Quer verfahren. Auch hier wurden alle Artefakte mit einem spitz zulaufenden Arbeitsbereich zusammengefasst, an denen keinerlei Hinweise auf eine bestimmte Aktionsgruppe gefunden werden konnten. Insgesamt machen die nicht zuordenbaren Knochenspitzen lediglich 6 % des gesamten Materials der archäologischen Knochenartefakte aus. Häufig handelt es sich um Bruchstücke, die nicht mehr klar zuzuordnen sind, weil nur Teile vom Schaft erhalten sind. Bei diesen Stücken ist die Form des Arbeitsbereiches nicht immer zweifelsfrei bestimmbar. Allerdings zeigen die Vergleiche mit anderen sicher bestimmten Knochenspitzen, dass es sich bei den Schaftbruchstücken um Teile von Spitzen handeln muss. Abgesehen von den Schaftbruchstücken gibt es auch Artefakte wie Ol 10; 213/266–38, deren wenige noch erhaltenen Gebrauchsspuren nicht klar zuordenbar sind. Aufgrund der Fragilität des Werkzeuges kann es auch nicht mit anderen Spitzen verglichen werden. Die bisher bestimmten Gebrauchsspuren ergaben keine tendenzielle Zuordnungsmöglichkeit. Vergleichbare Fundstücke aus dem Zürcher See werden als Imitation von Keulenkopfnadeln angesprochenFootnote 32. Sie datieren ausschließlich in die Schnurkeramik.

Aus den älteren Pfyner Schichten von Sipplingen-Osthafen stammt ein Artefakt mit einer Durchlochung an der Basis (Si 06; 314/107–1052). Leider ist dieses Artefakt schlecht erhalten, weshalb keinerlei Gebrauchsspuren mehr bestimmt werden konnten. Bei diesem Artefakt könnte es sich um ein reines Schmuckstück handeln, etwa einen Knochenanhänger, oder um einen Pfriem, der an einer Schnur befestigt am Gürtel o.ä. hing, um einem Verlust vorzubeugen. Wie wir von den Funden wissen, die der „Gletschermann“ bei sich hatte, wurden Werkzeuge mit einer Schnur am Gürtel befestigt. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlicher, dass es sich bei dem Anhänger auch tatsächlich um ein Werkzeug handelt und nicht um ein Schmuckstück.

Die nicht weiter bestimmbaren Knochenspitzen stammen hauptsächlich aus der Zeit der Hornstaader Gruppe und dem älteren Pfyn sowie dem späten Horgen und der Goldberg III-Gruppe. Bei den Artefakten aus dem mittleren Pfyn sowie dem älteren und mittleren Horgen fanden sich keine nicht weiter bestimmbaren Knochenspitzen.

4.5.3 Unbestimmt (Taf. 27–32)

Nur ein geringer Anteil der Artefakte konnte keiner Formen- oder Aktionsgruppe zugeordnet werden. Hierbei handelt es sich fast ausschließlich um Artefakte mit einer sehr schlechten Erhaltung. In dieser Gruppe finden sich jedoch auch einige Werkzeuge, deren indirekte Gebrauchsspuren nicht ausgereicht haben, um eine wenn auch unsichere Zuordnung zu einer der Aktionsgruppen zu ermöglichen. Meist sind es Bruchstücke aus dem Basis- oder Schaftbereich, die nicht selten so stark zersplittert sind, dass auf die ursprüngliche Form kaum oder gar nicht mehr geschlossen werden kann.

4.6 Funktion und Verwendung der archäologischen Knochenartefakte

4.6.1 Gebrauchsspurenanalyse und Funktionsbestimmung

Im Rückbezug auf den Titel der Arbeit stellt sich nun die Frage, ob sich Hauen (= Schlagen) und Stechen unterscheiden lassen? Dies kann mit einem klaren JA beantwortet werden, sofern einige Voraussetzungen erfüllt sind. Grundlegend ist der experimentelle Nachbau der jung- und endneolithischen Knochenartefakte und ihre erfolgreiche Verwendung in zeitgemäß gängigen Arbeitsprozessen. Herstellungs- als auch Gebrauchsspuren müssen dabei genau erfasst und differenziert werden. Nur so können im Vergleich die an den archäologischen Knochenartefakten sichtbaren Spuren entweder der Herstellung oder dem Gebrauch zugeordnet werden. In den meisten Fällen können solche Spuren dann interpretiert und einer Funktion zugeordnet werden. Durch die Experimente und die Bestimmung der Gebrauchsspuren an den archäologischen Artefakten kristallisierte sich heraus, dass sich gerade die Aktionsgruppe Stechen/Schlagen bisher in fünf verschiedene Verwendungsarten unterteilen lässt. Nämlich in Stechen/Schlagen, Schlagen, Stechen, Stechen/Drehen, Stechen/Spalten/Schälen.

Tab. 4.3 In der Tabelle wird beschrieben, welche der nach Jörg Schibler eingeordnete Typen sich den einzelnen Aktionsgruppen zuordnen lassen

Vergleicht man nun die typo-chronologische Einordnung der archäologischen Knochenartefakte und deren Auftreten in den einzelnen Aktionsgruppen, fällt sofort die Vielfältigkeit der Knochenartefakt-Typen in den einzelnen Aktionsgruppen auf (Tab. 4.3). Häufig begegnet man demselben Typ in den verschiedensten Aktionsgruppen. So treten kleine Meißel (Typ 4/5) in den Aktionsgruppen Schaben, Stechen/Spalten/Schälen, Stechen/Schlagen, Streichen/Reiben/Rippen auf (Tab. 4.3). Dies zeigt sehr deutlich, dass die Funktionsannahmen, die oftmals mit einer typo-chronologischen Einordnung einhergehen, nur sehr vereinfacht und damit oft unzureichend die mögliche Verwendung beschreiben. Daher kann anhand der Werkzeuge auch kaum eine Aussage über die Bedeutung einzelner Werkstoffe oder die Entwicklung des entsprechenden Handwerks getroffen werden. Gerade hierin liegt aber die Chance der Kategorisierung der archäologischen Knochenartefakte anhand von Gebrauchsspuren. Die Bestimmung der Gebrauchsspuren auf einer sicheren, weil nachvollziehbaren und erweiterbaren Analyse ermöglicht verschiedene Siedlungen anhand der Knochenwerkzeuge miteinander zu vergleichen.

Abb. 4.33
figure 33

Anzahl von Wild- und Haustieren verteilt auf das jeweilige Skelettteil

4.6.2 Rohmaterial und funktionelle Verwendung

Es ist auffällig, dass bestimmte Tierarten und Skelettteile bei den archäologischen Artefakten dominieren, obwohl sich bei den Speiseabfällen deutlich mehr Tiere und auch verschiedene Skelettteile finden. Wie bereits beschrieben, wurde die Tierart auf die fünf unbestimmten Größengruppen der osteologischen Bestimmung reduziert (siehe Abschn. 2.1). Im Falle der Skelettteile werden lediglich Metapodien und Rippen außerhalb der übergeordneten Gruppen genannt.

Allgemein dominieren Röhrenknochen von großen Tieren, wie Rind oder Hirsch. Manche Gruppen sind sehr klein und werden deshalb hier nicht weiter berücksichtigt.

Manche Skelettteile nutzten die Neolithiker nur für ganz bestimmte Werkzeuge. Es ist naheliegend, dass die Menschen in der Steinzeit um die spezielle Eignung bestimmter Knochen wussten und sie systematisch ausgewählt haben. Um dies zu überprüfen, werden im Folgenden zunächst in Abbildung 4.33 die Anzahl von Haus- und Wildtierskelettteilen gegenübergestellt. Abbildung 4.34 zeigt dann die verwendeten Tierarten und Skelettteile in den einzelnen Aktionsgruppen. Die Gesamtzahl der Stücke in den Aktionsgruppen ist hierbei höher als die Gesamtzahl der Knochenartefakte, da bei manchen Werkzeugen verschiedene Verwendungsarten nachgewiesen werden konnten.

Die deutlichsten Unterschiede zwischen den Aktionsgruppen lassen sich vor allem am verwendeten Skelettteil beobachten (Abb. 4.34). So wurden für Drehen/Bohren-Werkzeuge hauptsächlich Rippen und sonstige Röhrenknochen verwendet (Abb. 4.34), wogegen bei den Kämmen-Werkzeugen ausschließlich Rippen benutzt wurden (Abb. 4.34). Bei beiden Gruppen wurden vor allem Knochen von der Größe Rind/Hirsch verwendet. Über die Hälfte der Knüpfen-Werkzeuge wurde aus Metapodien und sonstigen Röhrenknochen von Tieren der Größe Schaf hergestellt, ein guter Teil der Werkzeuge wurde jedoch auch aus Metapodien von großen Haus- oder Wildtieren gemacht (Tab. 4.34). Werkzeuge der Gruppe Rippen wurden dagegen ausschließlich aus sonstigen Röhrenknochen der Größe Schwein und auch Rippen großer Haus- oder Wildtiere gefertigt (Abb. 4.34). Bei den Schaben- und den Streichen/Reiben-Werkzeugen zeigen sich deutliche Unterschiede in den verwendeten Tierarten und Skelettteilen. Bei beiden Aktionsgruppen handelt es sich um ähnliche Bewegungen, wobei allerdings die Bewegungsrichtung jeweils genau entgegengesetzt ist. Beim Schaben wird das Werkzeug mit der Schneide voraus mit höherem Druck über eine Fläche geschoben, während beim Streichen/Reiben das Werkzeug mit der Schneide über eine Fläche gezogen wird. Das Werkzeug muss deshalb keine hohe Stabilität aufweisen. Dementsprechend wurden beim Schaben hauptsächlich sonstige Röhrenknochen von großen Haus- oder Wildtieren verwendet. Sie haben eine hohe Stabilität und sind dem beim Schaben entstehenden Druck besser gewachsen. Bei Streichen/Reiben wurde stattdessen sonstige Röhrenknochen kleiner Haus- oder Wildtiere oder der Größe Schwein gefertigt.

Die Werkzeuge der Gruppen Stechen, Stechen/Drehen, Stechen/Schaben/Schälen und Stechen/Schlagen sind von allen Aktionsgruppen dem stärksten Druck ausgesetzt. Dementsprechend wurden hierfür die meisten Werkzeuge aus Röhrenknochen von Tieren der Größe Rind/Hirsch hergestellt (Tab. 4.34). Nur bei den Stechen- und den Stechen/Drehen-Werkzeugen wurde auch eine größere Anzahl an Knochen von Tieren der Größe Schaf verwendet. Die Stechen/Drehen- und die Stechen/Schaben/Schälen-Werkzeuge wurden hauptsächlich aus Metapodien hergestellt. Erstaunlicherweise wurden bei Stechen/Drehen und Stechen/Schlagen auch einige Rippen als Werkzeugmaterial verwendet. Dies lässt sich damit erklären, dass Rippenfragmente aus dem proximalen Bereich aufgrund einer dickeren Kompakta sehr stabil sind.

Abb. 4.34
figure 34

Prozentuale Verteilung von Tierart und Skelettteil innerhalb der Aktionsgruppen. Sowohl Tierart als auch Skelettteil wurden auf die übergeordneten Gruppen reduziert, ausgenommen Rippen und Metapodien

Als Grund für die hohe Anzahl der Metapodien wird häufig auch das erleichterte Anlegen einer Sägerille angeführt. Denn auf der rückwärtigen Seite des Metapodiums ist die Längsrinne bei Wildtieren deutlich stärker ausgeprägt als bei Haustieren. Somit gibt es beim Sägen kein Verlaufen der SilexklingeFootnote 33. Es sei jedoch angemerkt, dass auf der Vorderseite die Klinge beim Sägen schwerer zu führen ist, da die Klinge durch den bei Wildtiermetapodien dünneren und ovaleren Querschnitt leichter verlaufen kann. Jörg Schibler geht davon aus, dass eine unterschiedliche Stabilität und Elastizität eher kein Grund für das Verhältnis von Haus- zu Wildtierknochen istFootnote 34. Denn Teile aus dem Skelett, die bei Haus- und Wildtier anatomisch sehr ähnlich aussehen, kommen gleich häufig vor.

Dass die Verwendung von Wildtiermetapodien in der erleichterten Herstellung liegt, ist aufgrund der funktionalen Kategorisierung als Erklärung nicht mehr ausreichend. Betrachtet man, in welchen Aktionsgruppen vor allem Metapodien von Wildtieren verwendet wurden, zeigt sich schnell, dass diese vor allem für die Arbeiten gebraucht wurden, die einem höheren schlagenden Druck ausgesetzt sind, wie in den Aktionsgruppen Stechen/Drehen, Stechen/Schlagen, Stechen/Schaben/Schälen. Demnach kann man durchaus davon ausgehen, dass die Stabilität und Elastizität der Knochen bei der Auswahl eine Rolle gespielt haben. Ob dabei bereits in der damaligen Zeit ein Stabilitätsunterschied zwischen Haus- und Wildtierknochen bestand, kann nicht gesagt werden. Dies könnte evtl. durch einen Vergleich der Knochenstruktur überprüft werden.

Insgesamt zeigt sich, dass die Auswahl der Knochen für Werkzeuge kaum von der Form des jeweiligen Knochens abhängt, sondern dass die Materialeigenschaften der einzelnen Skelettteile im Vordergrund stehen. Deshalb wurden für Arbeiten, bei denen ein höherer Druck auf das Werkzeug wirkt, das entsprechende Skelettteil ausgewählt, das diesem Druck standhalten kann, wie ein Metapodium. Insgesamt wurden die Knochen von größeren Tieren, wie Rind und Hirsch, aufgrund der stärkeren Kompakta und der damit einhergehenden höheren Stabilität für die Herstellung von Knochenwerkzeugen bevorzugt. Allerdings gibt es durchaus auch Arbeiten, für die ganz spezifische Skelettteile oder auch Tierarten verwendet wurden. Zu nennen wären hier die Knüpfen-Werkzeuge, bei denen über die Hälfte aus Tierknochen der Größe Schaf hergestellt wurden und die Stechen/Schaben/Schälen-Werkzeuge, die hauptsächlich aus Metapodien von großen Tieren wie Rind und Hirsch gefertigt wurden.

Bei der Auswahl der Knochen spielen unter anderem die Stabilität und auch die Elastizität der Knochen eine entscheidende Rolle. Die Stabilität der Knochen ist abhängig von der Bewegung und der Nahrung der Tiere. Sie kann nachträglich nicht mehr positiv beeinflusst werden. Die Elastizität dagegen kann durch regelmäßiges Einfetten der Werkzeuge erhöht oder zumindest erhalten werden. Dies wurde spätestens durch die Experimente klar. Denn für den Nachbau von dauerhaft belastbaren Knochenwerkzeugen bedeutet dies heute, dass Tiere, die sich kaum bewegen müssen und hauptsächlich Kraftfutter erhalten haben, nicht geeignet sind, weil ihre Knochen nicht die nötige Stabilität aufweisen. Dies gilt sowohl für Haustiere als auch für bestimmte Wildtiere, wie Gatterhirsche. Für die Repliken wurden deshalb nur Knochen von Haustieren verwendet, die das ganze Jahr draußen gehalten und nicht zu jung geschlachtet wurden, oder es wurden Knochen von freilebenden Wildtieren verwendet.

4.6.3 Der Mensch hinter dem Werkzeug

Die gezielte Auswahl der Knochen zeigt, dass die Menschen damals ein sehr detailliertes Wissen über die Anatomie der Tiere und die jeweiligen Stabilitätseigenschaften der einzelnen Knochen hatten. Nicht umsonst wurden hauptsächlich die im tierischen Skelett stark beanspruchten Metapodien für die Werkzeugherstellung verwendet.

Der menschliche Faktor erschwert manchmal die Interpretation der Gebrauchsspuren. So ist eben nicht auszuschließen, dass die Knochenartefakte für verschiedene Arbeiten verwendet wurden, ­d. h. für verschiedene Bewegungen oder auch für verschiedene Werkstoffe. Diese Vermischungen der Gebrauchsspuren könnten eventuell durch gezielte Experimente untersucht und bestimmt werden. Hinzu kommt aber auch, dass nicht auszuschließen ist, dass Werkzeuge aufgrund von unsachgemäßem Gebrauch, welche Ursache dieser auch haben mag, ungewöhnliche Gebrauchsspuren aufweisen. So finden sich in dem bearbeiteten Material mehrere Werkzeuge, deren Fragmentierungsmuster nicht zu der bestimmten Bewegung passen. Beispielsweise zeigen einige Kämmen-Werkzeuge Schäftungsbrüche. Diese entstehen nur durch starken Druck, der durch eine Schäftung auf das Werkzeug wirkt. Die Kämmen-Werkzeuge sind einer solchen Belastung bei richtiger Benutzung jedoch nicht ausgesetzt. Ein solcher Bruch könnte aber auch durch einen unglücklichen Sturz oder durch einen Tritt auf das Werkzeug verursacht worden sein.

Andererseits gibt es aber auch verschiedentlich Anzeichen, dass die Knochenartefakte gepflegt und damit wertgeschätzt wurden. Pflegespuren sind aber nur über eine detaillierte chemische Analyse sicher nachweisbar. Wertschätzung kann auch bei anderen Artefakten interpretiert werden, wenn bei der Herstellung und Überarbeitung darauf geachtet wurde, ein sauber und präzise gearbeitetes Werkzeug anzufertigen, das nicht nur funktional, sondern auch ansehnlich ist. Wie zu erwarten war, findet man öfter das Gegenteil, nämlich dass die Funktion offensichtlich wichtiger war als die Ästhetik.

Insgesamt ergeben sich aus der Zuordnung der Knochenartefakte zu Aktionsgruppen oft Hinweise auf Fundkategorien, wie Leder und Textilien, die ansonsten nur selten nachgewiesen werden können. Solche Fundkategorien ermöglichen dann Aussagen über Alltag, Traditionen und Veränderungen. Die Funktionszuordnung gerade der Knochenartefakte bietet damit indirekte Möglichkeiten für Interpretationen und Aussagen unabhängig von der Fundlage.

4.6.4 Zeitliche Einordnung und kulturelle Interpretation der Aktionsgruppen

Die Aufarbeitung von Funden aus einem Siedlungsbereich hat immer das Ziel Umfeld und Lebensumstände in der Siedlung besser zu verstehen und eventuell mit anderen Fundorten in Beziehung zu setzen. Durch die Bestimmung der Gebrauchsspuren und die entsprechend mögliche Zuordnung zu einzelnen Aktionsgruppen kann jetzt ein detaillierteres Bild der einzelnen Siedlungen gezeichnet werden, als dies durch die bisherigen gebräuchlichen Typologien möglich war.

In den Aktionsgruppen werden die Bewegungen oder Handhabungsarten beschrieben. Darüber hinaus ergeben sich z. T. auch Rückschlüsse auf das mit den Knochenartefakten bearbeitete Material. Die Aktionsgruppen sind eine wichtige Möglichkeit, um die Bedeutung von manchen Alltagsgegenständen im Neolithikum besser zu beurteilen. Gehäuftes Auftreten einer Aktionsgruppe weist indirekt auf die Bedeutung der verwendeten Werkstoffe in der Siedlung hin. So belegen viele Werkzeuge in den Kämmen- und Rippen-Gruppen, dass die Textilherstellung ein wichtiger Bestandteil des alltäglichen Lebens war. Allerdings kann die Beurteilung der Bedeutung in den einzelnen Siedlungen mitunter stark vom allgemeinen Erhaltungszustand der Artefakte in einer Schicht beeinflusst sein. Sind die Funde zum größten Teil stark oder sehr stark korrodiert und ist nur an einem kleinen Teil der Artefakte die Handhabung bestimmbar, kann dies das Bild sehr leicht verzerren.

Im Folgenden sollen die Aktionsgruppen in den einzelnen Siedlungen und Schichten unter Berücksichtigung des allgemeinen Erhaltungszustandes miteinander verglichen werden. Der Erhaltungszustand definiert wesentlich die Bestimmbarkeit der Gebrauchsspuren. Er berechnet sich aus der taphonomischen Erhaltung (Tab. 4.1). Die Zuordnung der Gebrauchsspuren kann aber auch aus anderen Gründen erschwert sein, beispielsweise konnte in Sipplingen-Osthafen A weniger als die Hälfte der Artefakte einer Aktionsgruppe zugeordnet werden, obwohl über die Hälfte gut erhalten oder nur schwach korrodiert ist.

Betrachtet man die Gesamtzahlen der Aktionsgruppen, zeigt sich sehr rasch, dass es Gruppen gibt, die häufiger vorkommen als andere (Tab. 4.4, Abb. 4.354.36). In den bearbeiteten Fundorten spielen Fischerei-Werkzeuge, Haarnadeln, Hämmer sowie Bewegungen wie Drehen/Bohren, Ritzen, Schneiden, Streichen und Reiben, die mit Knochenwerkzeugen ausgeführt wurden, eine eher untergeordnete Rolle. Betrachtet man die zeitliche Abfolge der einzelnen Siedlungen/Schichten, zeigt sich, dass schabende und ritzende Bewegungen zwar immer zur Ausführung kamen, aber keine größere Bedeutung hatten; schabende Werkzeuge wurden tendenziell etwas häufiger verwendet. Ähnlich verhält es sich auch mit Streichen/reiben/Rippen. Diese Gruppe kommt zwar stets vor, wenn auch in geringer Anzahl, doch ab den jüngeren Horgener Schichten lässt sich ein leichter Anstieg verzeichnen (Tab. 4.4). Da sich aufgrund der geringen Gesamtanzahl der einzelnen Aktionsgruppen aus den einzelnen Siedlungen und Schichten keinerlei haltbare Tendenzen herauslesen lassen, werden sie hier nicht weiter beachtet. Das Hauptaugenmerk gilt den stärker vertretenen Aktionsgruppen, wie solchen der Textilverarbeitung, also Kämmen, Knüpfen, Rippen, Stechen/Drehen (Abb. 4.37), und der Aktionsgruppe, die hauptsächlich das Holzhandwerk betrifft, nämlich Stechen/Schlagen (Abb. 4.38).

Betrachtet man die Aktionsgruppen, die vor allem für die Herstellung oder Verarbeitung von TextilienFootnote 35 verwendet werden, zeigt sich, dass sich in den bearbeiteten Fundorten die Bedeutung mit der Zeit verändert. Stechen/Drehen ist in allen bearbeiteten Siedlungen immer zu finden. Die geringe Anzahl in den Siedlungen bis Sipplingen-Osthafen C ist entweder auf eine höhere Anzahl der unbestimmten Artefakte oder die geringe Gesamtzahl zurückzuführen. Beispielsweise konnten der Schicht Sipplingen-Osthafen C nur sechs Knochenartefakte zugeordnet werden, von denen zwei unbestimmt sind. Ab Sipplingen-Osthafen H, J + K, den Sipplinger-Osthafen Schichten aus dem mittleren Horgen, geht die Anzahl derjenigen Artefakte stark zurück, die für Stechen/Drehen verwendet wurden. Dabei ist kein Unterschied zwischen den einzelnen Siedlungen zu erkennen. Nur Stuttgart-Hofen weicht etwas ab, da sich dort keinerlei Artefakte fanden, die zum Stechen/Drehen verwendet worden waren, sondern nur Artefakte zum Kämmen und Rippen. Allerdings ist der Komplex von Stuttgart-Hofen sehr klein. Es handelt sich um ein einzelnes Grubenhaus. Grubenhäuser werden vielfach als Werkstätten für Textilien angesehen, da sich darin häufig auch Webgewichte finden und das leicht feuchte Klima in den Häusern für die Verarbeitung von Wolle sehr gut eignet. Allerdings fehlt am Ende des Neolithikums noch jeglicher direkte Nachweis für die Verarbeitung von WolleFootnote 36. Für Lein wäre das leicht feuchte Klima eher ungeeignet, da der Lein sich kräuselt und schwerer zu verarbeiten ist, wenn er feucht wirdFootnote 37. Ob das Fehlen von Stechen/Drehen-Artefakten auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass es sich bei dem Befund um ein Grubenhaus handelt, muss anhand weiterer ähnlicher Befunde überprüft werden.

Bei den Aktionsgruppen zur Herstellung von Leinen und anderen textilen Stoffen verhält es sich genau umgekehrt wie bei den Stechen/Drehen-Artefakten. Zwar treten sie zu Beginn der Jungneolithikums immer wieder auf, aber erst ab dem späten Horgen und der Goldberg III-Gruppe findet man sie häufiger. Letztendlich wird die Anzahl der Knochenartefakte, die für die Herstellung von Textilien verwendet wurden, zahlenmäßig größer als jene Knochenartefakte, die hauptsächlich für die Bearbeitung von Leder benutzt wurden. Dieser Trend könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Bedeutung von Leder am Ende des Neolithikums und zu Beginn der Bronzezeit kontinuierlich abnimmt und langsam Textilien aus Lein an seine Stelle treten. Johanna Banck-Burgess vertritt die Ansicht, dass die Verarbeitung von Pflanzenfasern, vor allem Leinfasern, zu Beginn ihres Aufkommens mit der Fischerei zusammenhängenFootnote 38. Demnach wurde der Lein hauptsächlich zum Knüpfen von Netzen verwendet und eher selten zu Stoffen weiterverarbeitet. Ob dies so wirklich zutrifft oder ob die höhere Anzahl an Netzfragmenten eher den speziellen Erhaltungsbedingungen von Flachs geschuldet ist, muss noch untersucht werden. Erst mit Beginn der Bronzezeit wird Lein auch vermehrt zur Herstellung von Stoffen und Bändern verwendetFootnote 39. Mit einer Verarbeitung zu flächigen Stoffen ist dann eine stärkere Bearbeitung des Leins notwendig. Für die Produktion von Fischernetzen ist es vollkommen ausreichend, die Fasern zu brechen und zu schwingen. Selbst ein Hecheln der Fasern ist kaum notwendig. Nur bei der Herstellung von gewebten Stoffen ist das Hecheln und Rippen essentiell. Ob sich aus diesem Ergebnis ein großflächiger Trend herauslesen lassen kann, müsste anhand einer größeren Datenbasis überprüft werden, die auch die frühe Bronzezeit umfasst. Auch hier sollte die Einführung von Schafwolle nicht ausgelassen werden. Die frühesten Nachweise von Wolle in Zentraleuropa datieren in die Frühe BronzezeitFootnote 40. Osteologische Analysen legen nahe sich Ende des 4. Jt. v.Chr. in Zentraleuropa eine größere Schafrasse durchsetzt. Zudem ändert sich ab dem späten 3. Jt. v.Chr. das Schlachtmuster, es werden nun vorrangig eher ältere Tiere geschlachtet. Dies wird als Hinweis auf einen Wechsel von Milch- und Fleischwirtschaft hin zur Wollwirtschaft gewertetFootnote 41. Ob die oben beschriebene Entwicklung auch von der Einführung von Schafwolle abhängt, müsste anhand von weiteren Gebrauchsspurenanalysen bezüglich der Verarbeitung von Wolle überprüft werden.

Abb. 4.35
figure 35

Verteilung der Aktionsgruppen in den einzelnen Siedlungen

Abb. 4.36
figure 36

Verteilung der Aktionsgruppen in den einzelnen Siedlungen

Tab. 4.4 Auftreten einzelnen Aktionsgruppen in den verschiedenen Siedlungen

Sollte diese Hypothese zutreffen, würde deutlich, dass zwar die Zusammensetzung der einzelnen Aktionsgruppen in den Siedlungen nicht als kulturspezifisch bewertet werden kann, dass die Aktionsgruppen aber doch einem größeren zeitlichen Trend folgen. Diese sich wandelnde Bedeutung mancher Gegenstände für den Alltag der Menschen würde sich in der Größe der einzelnen Aktionsgruppen zeigen.

Eine Ausnahme in der Zusammensetzung der Aktionsgruppen sei hier noch erwähnt: Die Artefakte von Reute-Schorrenried fallen innerhalb des untersuchten Materials etwas aus dem Rahmen. Zwar wurden durchaus die üblichen Aktionsgruppen nachgewiesen, aber eine Vielzahl der Artefakte wurde entweder zum Stechen/Schlagen oder zum Stechen/Schaben/Schälen verwendet (Tab. 4.4). Da entsprechende Brüche fehlen, kann darauf geschlossen werden, dass mit diesen Werkzeugen kein härteres oder gleich hartes Material, wie Geweih oder trockenes Hartholz, bearbeitet wurde. Bei Stechen/Schlagen kommt demnach nur frisches Holz in Frage. Bei Stechen/Schaben/Schälen wurden die Werkzeuge hauptsächlich zum Schälen von Rinde verwendet. Dies schließt jedoch nicht aus, dass sie zuvor oder danach auch für stechende oder schlagende Arbeiten verwendet wurden.

Abb. 4.37
figure 37

Dargestellt sind die zusammengefassten Aktionsgruppen, die mit der Verarbeitung von Geweben, wie Leinen, Leder oder Baumbast in Verbindung stehen. Zum Ende des Neolithikums ist eine Abnahme der Werkzeuge erkennbar, die mit der Bearbeitung von Leder und Baumbast in Verbindung zu bringen sind, wogegen die Werkzeuge für die Bearbeitung von Textilien zunehmen

Um die Bedeutung der beiden Aktionsgruppen für Reute-Schorrenried beurteilen zu können, müssen auch die Siedlungsstruktur und vor allem die anderen Fundgattungen betrachtet werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nur etwa ein Drittel des gesamten Siedlungsareals ausgegraben und auch aufgearbeitet istFootnote 42. Aus diesem Grund lässt sich noch keine allgemeingültige Aussage über das gehäufte Vorkommen von Artefakten der Stechen/Schlagen- und der Stechen/Schaben/Schälen-Gruppe machen. In der Siedlung fand sich eine Vielzahl an bearbeiteten Hölzern, sowohl Bauhölzer als auch Alltagsgegenstände, wie Tassen, Knieholme u. ä. Allerdings wurden bisher nur zwei Steinbeile gefundenFootnote 43. Dies könnte dafürsprechen, dass in dieser Siedlung häufiger Knochenwerkzeuge für die Bearbeitung von Holz verwendet wurden. Weiterhin fanden sich zwei verkohlte Fragmente eines leinwandbindigen Gewebes aus BaumbastFootnote 44. Textilfunde sind in den oberschwäbischen Feuchtbodensiedlungen äußerst selten. Unverkohlte Textilreste sind sehr fragil und werden leicht beim Graben übersehen, weil sie sich kaum vom umgebenden Sediment abheben. Annemarie Feldtkeller und Helmut Schlichtherle gehen davon aus, dass die Erhaltungsbedingungen aufgrund der langsameren Einlagerung und anderen Bodenverhältnissen hier deutlich schlechter sind als am BodenseeFootnote 45. Die beiden Funde von Reute-Schorrenried zeigen, dass in dieser Siedlung Bast verwendet wurde. Somit ist die Vermutung zulässig, dass die Knochenwerkzeuge zum Schälen der Rinde verwendet wurden. Dabei müssen immer wieder auch Äste abgetrennt werden, wobei vor allem am Astansatz mit stärkerem Druck gearbeitet werden muss. Es lässt sich aber keine besondere Bedeutung der Stechen/Schaben/Schälen-Artefakte aufgrund der Funde und Befunde herauslesen. Man kann sie höchstens als Indiz werten, dass das Schälen von Rinde zu den alltäglichen Arbeiten in einem neolithischen Dorf gehörte. Selbst die bestimmten Aktionsgruppen aus den Siedlungen zeigen nur einen eher zufälligen beschränkten Einblick in den Alltag der Menschen damals. Denn bestimmt werden kann nur das, was „verloren ging“ oder zurückgelassen wurde und meist auch nur die zuletzt ausgeführte Bewegung. Für einen kleinen Einblick und einen Beitrag zu klareren Vorstellungen über den Alltag der damaligen Menschen reichen die Befunde aber dennoch.

Abb. 4.38
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Verteilung der Werkstoffe, die hauptsächlich für eine Bearbeitung von Holz und Rinde sprechen. Die Siedlungen sind zeitlich geordnet. Dadurch wird die zeitliche Veränderung der Bedeutung der Knochenwerkzeuge für die Bearbeitung von Holz und Rinde angezeigt. Zum Ende des Jungneolithikums nimmt mit zunehmendem Aufkommen von Kupfer die Bedeutung von Werkzeugen, die für stechende und schlagende Bewegungen verwendet werden, stark ab

Stechen/Schlagen ist neben Stechen/Drehen eine der häufigsten Aktionsgruppen. In dieser Gruppe finden sich kaum Hinweise auf eine Bearbeitung von gleich hartem oder härterem Material. Deshalb kann angenommen werden, dass diese Artefakte hauptsächlich zur Bearbeitung von Grünholz oder zumindest nassem Holz verwendet wurden. Im Neolithikum kommen nur bestimmte Werkzeuge für die Bearbeitung von Holz in Frage. Neben Beilen und Beiteln aus Stein, Silex oder Geweih zählen eben auch Werkzeuge aus Knochen dazu. Erst gegen Ende des Neolithikums kommen die ersten Kupferwerkzeuge auf. Es ist zu vermuten, dass diese zumindest einen geringen Vorteil gegenüber den althergebrachten Werkzeugen zur Holzbearbeitung hatten.

Die Verteilung in den einzelnen Siedlungen zeigt einen deutlichen Rückgang der Anzahl an Stechen/Schlagen-Artefakten. Dieser setzt nach dem Auftreten der ersten Kupferfunde um 3800 v.Chr. ein; eventuell ist er damit sogar in Verbindung zu bringen. Wahrscheinlich setzten sich metallene Beile und Beitel aber erst umfassend mit dem Beginn der Bronzezeit ab etwa 2000 v.Chr. durch. Aufgrund der weichen Materialeigenschaften von Kupfer ist anzunehmen, dass sie nur einen geringen Vorteil gegenüber den althergebrachten Werkzeugen aus Stein, Knochen und Geweih geboten habenFootnote 46. Weder dazu noch zur stetigen Abnahme der Stechen/Schlagen-Artefakte gibt es allerdings Vergleichsdaten, die dies bestätigen könnten. Es ist jedoch zu vermuten, dass diese Abnahme in engem Zusammenhang mit dem Aufkommen der Kupferwerkzeuge steht. Ähnlich wie bei den Werkzeugen zur Textilherstellung wäre allerdings auch hier lediglich ein zeitlicher, jedoch kein kultureller Wandel zu beobachten. Der zunehmende Wandel zur Bronzezeit hin, auch in den Traditionen, scheint sich auch in den Knochenartefakten und den entsprechenden Aktionsgruppen widerzuspiegeln.

Allgemein lässt sich deshalb festhalten, dass die Zusammensetzung der Aktionsgruppen in den einzelnen Siedlungen weniger von der zugehörigen Kultur abhängig ist, als vielmehr deutlich von den zeitlichen Entwicklungen beeinflusst wird. An der sich verändernden Zusammensetzung der Aktionsgruppen zeigt sich sehr klar, dass sich im späten Endneolithikum große handwerkliche Veränderungen anbahnen. So verlieren manche Handhabungen und damit der Werkstoff an Bedeutung, wie z. B. die Bearbeitung von Leder. Dagegen steigt die Bedeutung von textilen Geweben gegen Ende des Neolithikums an. Es sind aber nicht nur einzelne Arbeitsgänge, die an Bedeutung verlieren. Es ändern sich auch die Materialien, aus denen die Werkzeuge hergestellt wurden. Dies zeigen vor allem die Stechen/Schlagen-Artefakte, deren Häufigkeit im Endneolithikum deutlich abnimmt. Dabei ist davon auszugehen, dass hier nicht der Arbeitsgang seltener eingesetzt wird, sondern dass es das Material „Knochen“ ist, das erheblich seltener als Werkzeug zum Einsatz kommt. Beile und Beitel können nun aus Kupfer hergestellt werden und haben wahrscheinlich zumindest einen kleinen Vorteil in der Flexibilität des Materials und damit einem geringeren Bruchrisiko gegenüber den bisherigen Werkzeugmaterialien. Hierbei stellt sich die Frage, ob sich diese Veränderungen auch in anderen Siedlungsbereichen bestätigen lassen würden – beispielsweise mit den bereits sehr gut untersuchten Siedlungen in der Schweiz. Zudem ist zu fragen, welche Bedeutung die Funktion für die Typologie und damit einhergehend zeitlich bestimmbare Formenveränderungen der Artefakte und selbstverständlich auch die Bedeutung der Typologie für eine Funktionszuordnung haben. Da das bearbeitete Material eine sehr kleine zeitliche Spanne des Neolithikums umfasst, können hierzu keine Rückschlüsse gezogen werden. Mit dem Grundstein, den diese Arbeit liefert und einem Einbezug der Schweizer FundeFootnote 47 können weitere Untersuchungen folgen.