Werkzeuge aus Knochen waren ein viel genutzter Bestandteil eines neolithischen Haushaltes. Mit Knochenwerkzeugen wurden die unterschiedlichsten Werkstoffe bearbeitet. Nur ein Bruchteil davon ist uns überhaupt bekannt und bewusst. Im Rahmen dieser Arbeit war es notwendig, Fragestellungen und Experimente ergebnisfokussiert zu planen. Aus verschiedenen Gründen konnten nicht alle zunächst gewünschten Experimente entsprechend umgesetzt werden. In anderen Untersuchungen zu Gebrauchsspuren wurde wohl aus analogen Gründen deshalb häufig nur ein Werkstoff mit einem Werkzeug bearbeitet oder es wurden Knochenwerkzeuge untersucht, bei deren Benutzung der Autor nicht dabei warFootnote 1. Wenn die Handhabung und die Bewegung des Ausführenden dem Untersuchenden allerdings nicht bekannt sind, wird es bei manchen Werkzeugen unmöglich, bestimmte Gebrauchsspuren nachzuvollziehen. Aus diesem Grund wurden für die Arbeit einerseits sechs verschiedene Werkstoffe ausgewählt, andererseits wurden alle Experimente selbst durchgeführt. Um sicherzugehen, dass eine korrekte Verwendung der Werkzeuge vorliegt, wurden die Werkzeuge auch von anderen Personen geführt, wobei stets eine Kontrolle meinerseits erfolgte. Außerdem wurde darauf geachtet, dass mit den verschiedenen Werkzeugen auch Personen arbeiteten, die entweder handwerklich versiert sind oder aus dem entsprechenden Handwerksbereich kommen. Wichtig war dabei, dass möglichst keinerlei Anleitung zur Benutzung der Werkzeuge gegeben wurde, um beobachten zu können, ob unterschiedliche Personen die Werkzeuge auf dieselbe Art und Weise verwenden würden. Dies wurde größtenteils bestätigt. Durch diese Vorgehensweise wird die Entstehung der unterschiedlichen indirekten Gebrauchsspuren uneingeschränkt nachvollziehbar und verfeinert.

Eine weitere Möglichkeit, den vermuteten Gebrauch der Werkzeuge zu überprüfen, ist ein Vergleich der Bearbeitungsspuren an den verschiedenen Werkstoffen, wie Holz, Leder oder Keramik. Auch hier sollten sowohl die Nachbauten wie auch die Originale verglichen werden. Eine solche Untersuchung ist stark von den Erhaltungsbedingungen des jeweiligen Werkstoffs abhängig. Beispielsweise hat man in den Feuchtbodensiedlungen keinerlei Ledererhaltung, wogegen sich Holz im feuchten Milieu sehr gut erhält. Auch der Stand des Herstellungsprozesses ist auschlaggebend, ob noch Spuren zu erkennen sind. So sind nach der Fertigstellung von Holzgegenständen oft keinerlei Herstellungsspuren mehr zu erkennen, da sie komplett überschliffen wurden. Deshalb wurden hier Halbfabrikate untersucht, die erlauben, den Herstellungsprozess nachzuvollziehen.

Bei Bauelementen ist dies anders. Sie wurden nicht weiter überarbeitet, weshalb hier die Bearbeitungsspuren sehr gut zu analysieren sind. Bei anderen Werkstoffen, wie Rinde oder Fleisch/Knochen, ist ein Vergleich mit den Originalen eher schwierig. Deshalb wurden nur die Herstellungsspuren der Werkstoffe Holz und Keramik verglichen. Dabei galt: Sollten bei den nachgebauten Gegenständen Spuren auftreten, die sich nicht mit denen an den Originalen vergleichen und damit auch verifizieren lassen, wurden sie nicht berücksichtigt. Dies war allerdings nicht der Fall.

Außerdem gilt es bei der Analyse von Gebrauchsspuren zu beachten, dass die Originale mehr unterschiedliche Spuren aufweisen als bisher aufgrund der Experimente zugeordnet werden konnten. Auch hier gilt: Solange die Spuren nicht einer Handhabung oder einem Werkstoff zugeordnet werden können, werden sie in der Analyse nicht berücksichtigt.

Die Gebrauchsspuren sind der Untersuchungsgegenstand dieser ArbeitFootnote 2. Bei den Experimenten stand allerdings auch die Tauglichkeit der Werkzeuge für den Arbeitsprozess im Vordergrund. Die Gebrauchsspuren entwickeln sich durch die Nutzung von alleine. Es besteht jedoch nur dann die Chance, dass alle Gebrauchsspuren entstehen, die zu einer bestimmten Tätigkeit gehören, wenn der ganze Arbeitsprozess durchlaufen und betrachtet wird. Damit werden die Unterscheidungsmöglichkeiten der Gebrauchsspuren vervollständigt und verfeinert.

3.1 Allgemeine Dokumentationsmethoden

3.1.1 Fotografische Dokumentation

Bei der fotografischen Dokumentation wurde mit einer Nikon D90 und einer Nikon D7200 gearbeitet. Die technische Dokumentation der Knochenwerkzeuge erfolgte mit einem Nikon Nikkor 18–105 mm Objektiv und einem Sigma 28–70 mm Objektiv. Zusätzlich zur genauen Dokumentation der Spuren unter dem Lichtmikroskop wurden diese zusätzlich mit einem Nikon Nikkor 105 mm Micro dokumentiert.

3.1.2 Lichtmikroskopische Dokumentation

Für die lichtmikroskopische Untersuchung und Dokumentation kam ein Trinokular von Novex zum Einsatz. Bei der Dokumentation wurde standardmäßig mit einer 2,5fachen Vergrößerung gearbeitet, die stufenweise erhöht wurde (1, 2, 4). Außerdem wurde mit Polarisationsfiltern oder Streiflicht gearbeitet. So konnte die Gefahr von Abbildungsartefakten, vor allem durch BeugungFootnote 3, reduziert werden.

Abb. 3.1
figure 1

Untersuchung der Rauheit von Si 87; Q 364–1029 (Vorder- und Rückseite; Länge 5,2 cm) bei einer 10-fachen Vergrößerung. A: Darstellung der Oberfläche mit farbkodierten Höhen. B: Höhenprofil der gekennzeichneten Flächen. In A ist ein deutlicher Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite des Werkzeuges zu erkennen. Die Rückseite ist sehr glatt und es sind keine Schleifspuren zu erkennen. Auf der Vorderseite dagegen sind die Schleifspuren noch gut zu erkennen (von oben nach unten verlaufenden Rillen), weiterhin sind aber auch feine Querrillen zu erkennen

3.1.3 Weißlichtinterferometrie und Elektronenmikroskopie

Es gibt eine Vielzahl an naturwissenschaftlichen Geräten, die weitere Daten oder höhere Auflösungen bieten als die für diese Untersuchung herangezogenen. Zu nennen wären hier das Weißlichtinterferometer, das die Rauheit der Oberfläche messen kann, oder das Elektronenmikroskop, das sehr detailgenaue Bilder der Oberfläche in einer hohen Auflösung liefert. Mit beiden Geräten wurden mehrere Versuchsreihen durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Datengrundlage für die Verwendung in der vorliegenden Arbeit zu gering ist. Zwar wird das Elektronenmikroskop oft bei Untersuchungen zu Gebrauchsspuren genutzt, allerdings fehlt eine systematische Aufarbeitung der entdeckten und bestimmten Spuren und somit auch eine VergleichsdatenbankFootnote 4. Das Weißlichtinterferometer wurde nach bisherigen Recherchen nur am Rande in der Archäologie verwendet, obwohl es einige interessante Möglichkeiten bietet. Es bildet die Oberfläche in einem 3D-Modell nach, durch das man beliebig Profilschnitte legen kann (Abb. 3.1). Dadurch können beispielsweise Schleifspuren vermessen werden. Bei den bisherigen Versuchen konnte beobachtet werden, dass die Schleifspuren bei den unbenutzten Nachbauten und den frisch überschliffenen Artefakten immer eine Tiefe von 15µm haben. Anhand der Profilschnitte kann zudem die Rauheit der Oberfläche gemessen werden. Erste Versuche haben gezeigt, dass es durchaus Unterschiede in den Gebrauchsspuren der verschiedenen Werkstoffe gibt. Ebenso hat sich eine Ähnlichkeit der Rauheit zwischen den Repliken und den Artefakten gezeigt. Leider war es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, diesbezüglich eine Datenbasis aufzubauen, weshalb es sich bei den Untersuchungen mit dem Weißlichtinterferometer nur um Beobachtungen handelt, die in einer separaten Untersuchung überprüft werden müssen. Ein weiteres Argument gegen die Verwendung solch aufwändiger Methoden ist, dass eine Methode zur zukünftigen Erweiterung der Datenbasis mit möglichst einfachen Mitteln zur Verfügung gestellt werden soll.

3.2 Beschreibung der archäologischen Funde

Eine Einordnung und Analyse der archäologischen Knochenartefakte, die auf einer Funktionsbestimmung basiert und unabhängig von morphologischen und anatomischen Kriterien ist, ist zum derzeitigen Stand der Forschung noch sehr schwer durchführbar. Denn bisher können die Spuren an den archäologischen Knochenartefakten nicht mit Sicherheit als Gebrauchs- oder Herstellungsspuren bestimmt werden, womit auch eine zuverlässige Zuordnung zu einer Funktion unmöglich ist. Durch gezielte Experimente zur Herstellung und zum Gebrauch von Knochenwerkzeugen mit den im Jungneolithikum gängigsten Werkstoffen, wie Leder, Holz, Rinde, können Herstellungs- und Gebrauchsspuren definiert werden. Eine gesicherte Funktionszuordnung der Knochenwerkzeuge ist auf diese Weise erreichbar.

Für die Experimente sollen die üblichen Werkzeugtypen aus dem bearbeiteten archäologischen Material nachgebaut und auf deren mögliche Funktion hin untersucht werden. Deshalb werden zu Beginn die archäologischen Knochenartefakte nach der gängigen Typologie von Jörg Schibler eingeordnet. Beschrieben werden nur die Werkzeugtypen, die im bearbeiteten Material am häufigsten vorkommen. Die Beschreibung umfasst unter anderem das Rohmaterial, die Herstellungsspuren sowie eine allgemeine Beschreibung der am Werkzeug sichtbaren Spuren und eine Interpretation der angenommenen Funktion des Werkzeugtyps.

Das bearbeitete Fundmaterial umfasst 1012 Knochen-, Geweih- und ZahnartefakteFootnote 5. Bei der Bestimmung der Gebrauchsspuren gilt es zu bedenken, dass die jeweilige Bodenbeschaffenheit, Konservierung, Lagerungsumstände oder auch eventuelle Spezialisierungen einzelner Siedlungen eine wichtige Rolle spielen können. Deshalb wurden jung- und endneolithische Fundorte aus verschiedenen Gegenden Süddeutschlands ausgesucht. Dabei handelt es sich sowohl um Mineralboden- als auch um FeuchtbodensiedlungenFootnote 6. Manche der Fundstellen wurden bereits Ende der 1970er Jahre gegraben, andere werden aktuell (2017) noch gegraben. Durch die Auswahl der Fundorte kann untersucht werden, ob die genannten Umstände einen Einfluss auf die Erhaltung der Gebrauchsspuren haben. Insgesamt wurden 679 Knochenartefakte aufgenommen. Davon zählen 27 zum Herstellungsabfall. Der Rest bildet die Grundlage der Gebrauchsspurenanalyse. Eine grobe systematische Einordnung der archäologischen Knochenartefakte nach der Schiblerschen TypologieFootnote 7 ergab sieben gängige Typen. Dazu zählen Spitzen aus Metapodien kleiner Wiederkäuer mit Gelenkende (Typ 1/1), Spitzen aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer (Typ 1/2), Rippenmeißel (Typ 4/10), massive Meißel mit Gelenkende (4/13), Beile (Typ 4/1), massive Meißel (Typ 4/3) und meißelförmige Beile (Typ 4/2), Hechelzähne (Typ 1/11), Spitzen ohne Gelenkende (Typ 1/2–9), kleiner Meißel mit Gelenkende. Da damit nicht alle Werkzeugtypen abgedeckt wurden, wurde zusätzlich noch der Typ Messer (Typ 10) übernommen (Abb. 3.2).

Abb. 3.2
figure 2

Ein Teil der Auswahl der Repliken mit einer querstehenden Arbeitskante. Darunter finden sich Beitel mit und ohne Gelenkende, die zum Teil mit einem Holzgriff versehen wurden. Alle Repliken wurden gemäß archäologischem Vorbild nachgebaut

Für die Auswahl der im Neolithikum gängigsten Werkstoffe wurden entsprechende archäologische Funde gesichtet und auf mögliche Bearbeitungsspuren hin untersucht. Diese erlauben Rückschlüsse auf mögliche verwendete Werkzeuge, wie Knochen, Geweih- oder Steinwerkzeuge. Die Suche nach für diese Zwecke geeignetem Material aus den bearbeiteten Fundorten stellte sich als sehr schwierig heraus, da ein Großteil noch nicht publiziert ist oder sich organische Materialien, wie Leder, selten oder gar nicht erhalten. Deshalb musste zum Teil auf Funde aus anderen, d. h. in dieser Arbeit nicht untersuchte Siedlungen zurückgegriffen werden. Auch hier wurden acht Werkstoffe ausgewählt: Holz, Keramik, Leder, Pflanzenfasern, Rinde, Silex, Erde, Fleisch/Knochen/Sehnen, Haar. Sowohl bei den Knochenwerkzeugen als auch bei den Werkstoffen besteht nicht der Anspruch, einen vollständigen Überblick über sämtliche Knochenwerkzeuge und alle möglichen Werkstoffe zu geben.

3.2.1 Die gängigen Werkzeugtypen im bearbeiteten archäologischen Material

3.2.1.1 Spitzen aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende (Typ 1/1; Taf. 3, 36)

Das archäologische Artefakt Re 81; 83–39 wurde aus dem Metapodium eines kleinen Wiederkäuers hergestellt. Von der Herstellung sind noch die ventralen und dorsalen Sägerillen sowie Schleifspuren im Übergang vom Arbeitsbereich zum Schaft zu erkennen. Nur das proximale Gelenkende wurde abgetrennt und zu einer Spitze zurechtgeschliffen. Das Artefakt weist im Arbeitsbereich einen sehr starken Glanz und Politur auf. Erst ab ca. einem Zentimeter hinter der Spitze sind sehr stark verrundete Schleifspuren zu erkennen. Neben starkem Glanz und Politur ist die Spitze leicht ausgebrochen, wobei die Bruchkanten noch sehr scharf sind.

Auch im Schaftbereich finden sich zum Teil stark glänzende Bereiche, die zudem stark abgegriffen erscheinen. Alle noch sichtbaren Schleifspuren sind sehr stark verrundet. Die abgegriffenen Bereiche befinden sich dorsal und ventral und umfassen auf beiden Seiten eine rundovale Fläche mit einem Durchmesser von ca. drei Zentimetern.

An der Basis finden sich keinerlei Schleifspuren, jedoch wiederum Glanz und Abnutzungsspuren, die sich auf die Randbereiche der Gelenkrollen beschränken. Außerdem weist die Gelenkrolle im höchsten Bereich leichte Bruchstellen auf, die durch den Glanz und die Abnutzung überprägt wurden. Diese Überprägung legt nahe, dass der Ausbruch im Arbeitsbereich im Verlaufe der Verwendung passiert sein muss, denn dessen Bruchkanten sind nicht verrundet.

Da alle Schleifspuren, die an dem archäologischen Artefakt entdeckt werden können, verrundet oder nicht mehr sichtbar sind und diese zudem alle in dieselbe Richtung laufen, kann davon ausgegangen werden, dass ein Nachschärfen dieses Werkzeuges nicht notwendig war, bzw. nicht durchgeführt wurde.

Aufgrund der Größe und der Massivität der Werkzeuge sowie der Politur im vordersten Drittel der Werkzeuge wird eine Verwendung der Spitzen aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende ohne großen Kraftaufwand angenommen. Deshalb wird davon ausgegangen, dass sie bei der Bearbeitung von Leder oder bei der Herstellung von Textilien eingesetzt wurden. Außerdem wird aufgrund des starken Politurglanzes vor allem für die langschmalen Spitzen aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende eine Verwendung als Gewandnadel angenommen.

3.2.1.2 Spitzen aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer (Typ 1/2; Taf. 6, 83)

Si 87; 355–1008 wurde aus einem Röhrenknochen eines kleinen Wiederkäuers gefertigt. Von den vermutlich angewendeten Herstellungstechniken sind nur noch die Schleifspuren vom Zuschliff erkennbar, jedoch keinerlei Sägerillen. Das archäologische Artefakt wurde spitz zugeschliffen. Im Schaftbereich ist die originale Knochenoberfläche noch erkennbar. Es wurden nur die Bruchkanten überschliffen. Zur Basis hin verjüngt sich das Artefakt auf einer Länge von circa einem Zentimeter. Die Basis selbst ist flach geschliffen.

Im Arbeitsbereich finden sich kaum oder keine Schleifspuren bis ca. 1,5 cm hinter der Spitze. Dieser Bereich weist einen leichten Glanz auf. Die Spitze ist zudem leicht ausgebrochen. Die noch sichtbaren Schleifspuren sind stark verrundet. Am Schaft ist im letzten Drittel eine Fläche sichtbar, die einen starken Glanz und Abnutzung dorsal und ventral aufweist. Eine Hälfte der Basis ist ausgebrochen. Die Bruchkanten sind noch scharf. An den Rändern und auf der erhaltenen Basis ist ein leichter Glanz zu erkennen.

Für die Spitzen aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer wird eine ähnliche Verwendung angenommen, wie für Spitzen aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende.

3.2.1.3 Rippenmeißel (Typ 4/10; Taf. 23, 340)

Ol 11; 213/265–136 wurde aus der Rippe eines großen Wiederkäuers gefertigt. Außer Schleifspuren sind keinerlei weitere Herstellungsspuren erhalten. Das Gerät ist ca. 2 cm breit und weist eine querverlaufende Schneide auf, die von beiden Seiten symmetrisch zugeschliffen worden war. Bis auf den Arbeitsbereich und die ventrale Seite des Werkzeuges wurde das Gerät nicht überarbeitet. So ist dorsal die originale Knochenoberfläche erhalten und an beiden medialen Seiten wurden die Bruchkanten nicht überschliffen. Die Basis ist komplett abgebrochen, es sind nur noch Teile des Schaftes erhalten. Der Bruch zeigt zwei charakteristische Spitzen, wobei eine Spitze deutlich höher ist als die andere. Alle Seiten, bis auf den Bruch am Schaft, zeigen Glanz und eine leichte Abnutzung. Die Bruchfläche zur Basis weist keinerlei Abnutzung auf. Dagegen zeigt auch der Arbeitsbereich einen deutlichen Glanz auf und Schleifspuren sind nur noch ganz leicht zu erkennen. Die Schneide ist etwas stumpf.

Für die Rippenmeißel nimmt Jörg Schibler eine Verwendung zum Verstreichen von Keramik an, wobei er auch anmerkt, dass die Verstreichspuren an der Twanner Keramik deutlich schmäler sind als die Schneidenbreite der Rippenmeißel. Eine Anwendung bei der Holzbearbeitung schließt er aufgrund der geringeren Massivität aus.

3.2.1.4 Beile (Typ 4/1; Taf. 22, 314)

Ol 05; 237/241–7 wurde aus einem Rothirsch-Metapodium gefertigt. Dafür wurde ein kleines rechteckiges Stück aus dem Diaphysenteil herausgetrennt. Es sind jedoch keinerlei Sägerillen mehr zu erkennen. Der Arbeitsbereich wurde quer zugeschliffen, wogegen die Basis flach abgeschliffen wurde.

Die Schleifspuren im Arbeitsbereich verlaufen quer zur Längsrichtung. Dies kann auf eine Schäftung hindeuten. Außerdem sind die Schleifspuren stark verrundet und an der Schneidekante nicht mehr sichtbar. Die Oberfläche zeigt einen leichten Glanz. Der Arbeitsbereich ist zudem stark ausgesplittert und die Bruchkanten weisen keine Abnutzung oder Überarbeitung auf.

Am Schaft sind die Schleifspuren noch sehr deutlich zu erkennen, sind aber flacher mit scharfen Kanten. Sie verlieren sich zur Basis hin mehr und mehr und werden in diesen Bereichen von einem starken Holzglanz abgelöst.

An der Basis sind keinerlei Schleifspuren mehr zu erkennen. Hier dominiert der starke Holzglanz. Auch die Basis weist eine starke Aussplitterung auf, deren Bruchkanten jedoch Abnutzungsspuren besitzen.

Ol 11; 214/265–221 wurde aus der Tibia eines Tieres der Größe Schwein gefertigt. Hierzu wurde ein rechteckiges Stück herausgetrennt. Von den Herstellungsspuren sind nur noch Schleifspuren als solche zu erkennen. Der Arbeitsbereich wurde quer zugeschliffen. Die Basis ist komplett abgebrochen, weshalb über ihr Aussehen keine Aussage gemacht werden kann.

Im Arbeitsbereich verlaufen die Schleifspuren quer zur Längsachse des Werkzeuges. Dies deutet daraufhin, dass das Werkzeug geschäftet war. Die Schleifspuren sind nicht verrundet und an der Schneide nur teilweise zu erkennen. In diesen Bereichen findet sich ein deutlicher Glanz.

Der Schaft weist eine leichte Abnutzung auf, die sich durch einen leichten Glanz äußert. Die Schleifspuren sind leicht verrundet. Zur Basis hin ist das Werkzeug komplett gebrochen. Der Bruch ist sehr geradlinig mit zwei unterschiedlich stark ausgeprägten Spitzen. Dieser Bruch deutet auf eine Schäftung hin.

SHM-42 wurde aus einem Röhrenknochen eines großen Wiederkäuers hergestellt. Dazu wurde ein kleines Stück mittels Sägerillen herausgetrennt. Diese Herstellungsspuren sind noch ganz leicht zu erkennen. Der Arbeitsbereich wurde von beiden Seiten symmetrisch zu einer querverlaufenden Schneidekante geschliffen, während die Basis flach abgeschliffen wurde. Die Oberfläche des Artefakts weist vor allem an der Unterseite Wurzelfraß auf.

Im Arbeitsbereich sind die Schleifspuren nur noch ganz leicht zu erkennen. An der Schneide sind keinerlei Schleifspuren mehr sichtbar. Der ganze Arbeitsbereich weist einen mittleren oder starken Glanz auf.

Am Schaft sind die Schleifspuren zum größten Teil noch sehr gut zu erkennen, jedoch gibt es Stellen mit starkem Glanz, wo keine Schleifspuren mehr sichtbar sind. Diese Stellen nehmen zur Basis hin zu. Die Schleifspuren weisen keine Verrundungen auf, haben aber eine geringere Tiefe mit immer noch scharfen Kanten. Dies weist darauf hin, dass das Gerät geschäftet war.

An der Basis finden sich mehrere Aussplitterungen und Druckstellen. Schleifspuren sind nicht mehr zu erkennen. Sie sind überprägt von einem starken Holzglanz. Dieser Glanz, die Aussplitterungen und die Druckstellen deuten darauf hin, dass auf das geschäftete Ende des Gerätes ein hoher plötzlicher Druck ausgeübt wurde.

Die Verwendung der archäologischen Knochenartefakte mit querstehender Arbeitskante, wie Beile, massive Meißel oder meißelförmige Beile, werden von Jörg Schibler für Twann als Ganzes beschrieben. Nur wenige Beile aus dem Twanner Material weisen nach der Aussage von Jörg Schibler Schäftungsspuren aufFootnote 8. Zu den Schäftungsspuren zählen nach seiner Definition Verfärbungen, Kerben und Teerreste am Artefakt. Allerdings schreibt er auch, dass sich an den archäologischen Artefakten mit querstehender Arbeitskante keinerlei Teerspuren fandenFootnote 9. Da an den Knochenbeilen (Typ 4/1, 4/2 und 5/1) größere Aussplitterungen im Schneidebereich fehlen, geht er davon aus, dass sie eventuell zur Überarbeitung von Holzgegenständen, wie Gefäßen, genutzt wurden, d. h. eher zur Feinarbeit, wobei Jörg Schibler auch schreibt, dass bei den Knochenbeilen eine Funktionszuordnung sehr schwierig istFootnote 10.

Bei den meißelartigen Werkzeugen (Typ 4/3 und 4/6) nimmt er aufgrund der häufigeren stärkeren Verletzungen im Schneidebereich und an der Basis einen Gebrauch bei der gröberen Holzbearbeitung anFootnote 11. Dafür zieht er Vergleiche zu C. J. BeckerFootnote 12 und A. T. ClasonFootnote 13, die zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen sind. C. J. Becker hat zudem Versuche mit trockenem und frischem Holz mit dem Ergebnis durchgeführt, dass die Knochenwerkzeuge für trockenes Holz nicht stabil genug sind. Aber bei einem frischen Erlenast mit einem Durchmesser 5 cm konnte mit den Meißeln ein sauberes rechteckiges Loch (5 × 2,5 cm) in einer Stunde herausgestemmt werdenFootnote 14.

3.2.1.5 Massive Meißel (Typ 4/3) und meißelförmige Beile (Typ 4/2)

Re 83; 265/406–25 (Taf. 22, 318) wurde aus dem Metatarsus eines Rindes gefertigt. Von den Herstellungsspuren sind nur noch Schleifspuren zu erkennen. Mögliche Sägerillen wurden komplett überschliffen.

Der querverlaufende Arbeitsbereich weist feine kleine Aussplitterungen auf, deren Bruchkanten jedoch komplett verrundet sind. Die leicht verrundeten Schleifspuren verlieren zur Schneidekante hin an Sichtbarkeit. Die Oberfläche ist glänzend.

Am Schaft sind die Schleifspuren zum Teil verrundet und die Kanten des Werkzeuges weisen eine stärkere Verrundung und Glanz auf als die ebenen Bereiche des Schaftes. Außerdem finden sich vor allem zur Basis hin Stellen, an denen die Schleifspuren nur noch mit einer geringen Tiefe, aber immer noch scharfen Kanten oder gar nicht mehr erhalten sind. Dies deutet darauf hin, dass das Werkzeug geschäftet und mit einer Wicklung festgemacht war.

Die Basis weist eine starke Aussplitterung auf, die nur zum Teil abgerundete Bruchkanten hat. Ansonsten sind an der Basis keinerlei Schleifspuren mehr zu erkennen. Diese wurden wohl durch einen starken Holzglanz überprägt.

SHM-37 (Taf. 14, 160) wurde aus einem Metatarsus eines Rothirsches gefertigt. Vom Heraustrennen des Gerätes aus dem Schaft des Knochens sind noch Sägerillen zu erkennen, die längs am Werkzeug verlaufen.

Die Oberfläche des Werkzeuges ist durch Wurzelfraß zum Teil stark angegriffen, so dass die Spuren nicht mehr in allen Bereichen erhalten sind.

Im Arbeitsbereich sind kaum mehr Schleifspuren zu erkennen und die Oberfläche ist leicht glänzend. Zudem weist die Schneidekante leichte Ausbrüche auf.

Am Schaft sind die Schleifspuren stark verrundet und noch deutlich zu erkennen. Die Oberfläche weist ebenfalls einen leichten Glanz auf. Ob dieser von einer Wicklung stammt, kann jedoch nicht eindeutig bestimmt werden.

Die Basis weist eine starke Aussplitterung auf, deren Bruchkanten nicht verrundet sind. Auf der Basis sind keinerlei Schleifspuren zu erkennen. Sie zeigt jedoch deutliche Druckstellen und in kleinen Bereichen ist noch Holzglanz zu erkennen.

Für eine mögliche Verwendung der massiven Meißel und meißelförmigen Beile siehe Abschn. 3.2.1.4.

3.2.1.6 Massive Meißel mit Gelenkende (Typ 4/13)

Re 83; 265/403–10 (Taf. 13, 155) wurde aus einem Metatarsus eines Rindes gefertigt. Herstellungsspuren sind bis auf Schleifspuren nicht mehr zu erkennen. Es ist zu vermuten, dass das distale Gelenk mittels einer Kerbe abgetrennt wurde. Anschließend wurde dieses Ende mit einem Schleifstein zu einer querverlaufenden Schneide zugearbeitet. Das Gerät misst nur noch eine Länge von 9,7 cm. Es ist zu vermuten, dass es durch den langen Gebrauch und damit häufiges Nachschleifen und Überschleifen von Brüchen so kurz wurde. Die Schneide weist sehr starke Aussplitterungen auf, die zum Teil überschliffen sind. Die Aussplitterungen, die sich direkt an der Schneidekante befinden, zeigen keinerlei Überarbeitung oder Abnutzung. Das Gerät wurde demnach nach den Ausbrüchen an der Schneide nicht mehr weiterverwendet. Die starken Aussplitterungen deuten darauf hin, dass mit dem Gerät zuletzt ein sehr hartes Material bearbeitet wurde. Der deutliche Glanz und die fehlenden Schleifspuren im unteren Arbeitsbereich könnten auf eine schabende oder stechende Arbeit hindeuten.

Der restliche Arbeitsbereich zeigt eine deutliche Benutzung, so sind die Schleifspuren im oberen und mittleren Arbeitsbereich stark verrundet. Im unteren Arbeitsbereich sind keine Schleifspuren mehr zu erkennen. Der gesamte Bereich weist einen sehr starken Glanz auf.

Im Schaftbereich finden sich kaum Stellen, die abgegriffen sind. Dagegen zeigen vor allem die Eckrundungen eine stärkere Abnutzung als die flachen Bereiche des Schaftes. Es ist deshalb zu vermuten, dass das Gerät, als es noch länger war, mit Pflanzenfasern umwickelt war.

Die Basis ist komplett erhalten, auch finden sich keinerlei Ausbrüche oder Druckstellen. Jedoch wurde in der Mitte der Gelenkfläche ein Loch angebracht, so dass der Markkanal hierdurch geöffnet wurde. Das Loch weist an der Innenseite leichte Abnutzungsspuren auf. Aufgrund der Spuren kann nicht beurteilt werden, ob es sich hierbei um Herstellungs- oder Gebrauchsspuren handelt.

Re 83; 265/405–5 (Taf. 12, 143) wurde aus dem Metacarpus eines Rothirsches hergestellt. Die Herstellungsspuren sind nur noch zum Teil zu erkennen. Vermutlich wurde zuerst das distale Gelenk abgetrennt und anschließend der Metacarpus entlang der ventralen Gefäßrinne aufgespalten. Spuren des Spaltens lassen sich noch an einer medialen Seite des Werkzeuges durch eine nur noch ganz schwach sichtbare Sägerille erkennen. Anschließend wurden die Bruchflächen überschliffen und der distale Bereich zu einer querstehenden Arbeitskante umgearbeitet. Die Schleifspuren davon sind nur noch verrundet und ganz schwach erkennbar.

Der Arbeitsbereich weist eine kleine Aussplitterung auf, deren Bruchkanten verrundet sind. Auf der Unterseite des Werkzeuges finden sich nur im Arbeitsbereich deutlich sichtbare Schleifspuren, die nur eine geringe Verrundung aufweisen. Sie stammen vermutlich nicht von der Herstellung, sondern vom Nachschärfen des Werkzeuges. Aufgrund der geringen Veränderung kann angenommen werden, dass das Werkzeug nach diesem Nachschliff nicht mehr sehr lange in Gebrauch war. Auf der Oberseite des Arbeitsbereiches sind keinerlei Schleifspuren mehr zu erkennen und die Oberfläche glänzt sehr stark. Auch die Unterseite weist leichten Glanz auf.

Am Schaft sind, wie bereits gesagt, die Schleifspuren und die Sägerille kaum mehr zu erkennen. Alle Bruchkanten, auch die zur Markhöhle hin liegenden, sind abgegriffen und die Oberfläche weist einen starken Glanz auf.

Die Basis ist komplett erhalten. Es finden sich keinerlei Bruchstellen oder sichtbare Druckstellen. Die Ränder, die bei der Herstellung verrundet wurden, sind wie am Schaft deutlich abgegriffen und die Oberfläche glänzt sehr stark.

Es ist zu vermuten, dass das Werkzeug mit der Hand und ohne Wicklung geführt wurde, denn nur so konnte der starke Glanz am Schaft und an der Basis entstehen.

Re 81; 83–84 (Taf. 13, 154) wurde aus dem Metatarsus eines Rindes gefertigt. Bis auf Schleifspuren und Brandspuren sind keinerlei Herstellungsspuren mehr zu erkennen. Das distale Gelenk wurde abgetrennt und dieser Bereich wurde zu einer querstehenden Arbeitskante umgearbeitet. Die Unterseite wurde stärker zugeschliffen, wodurch eine asymmetrische Schneide entstand. Die Schneidekante ist flach überschliffen. Die Schleifspuren zeigen keine Verrundung. Die Schleifspuren im restlichen Bereich, oberhalb der Schneide, weisen Verrundungen auf. Außerdem glänzt die Oberfläche. Der Arbeitsbereich weist einige kleinere Aussplitterungen auf, die jedoch überarbeitet sind. Die Unterseite des Werkzeuges ist vom Arbeitsbereich bis zum beginnenden Gelenk abgeplatzt. Die Bruchkanten wurden nicht überarbeitet und weisen keinerlei Abnutzung auf.

Der Schaft weist an der Oberfläche kaum Abnutzungsspuren oder Glanz auf.

Die Basis ist komplett erhalten. In der Mitte der Gelenkfläche wurde ein Loch angelegt, Dadurch wurde die Markhöhle erweitert. An der Spongiosa im Loch finden sich Brandspuren, aber kaum Verrundungen. Auch sonst weist die Basis keine Bruch- oder Druckstellen oder andere Abnutzungsspuren auf. Vermutlich wurde das Werkzeug vor dem Bruch an der Unterseite nicht sehr lange verwendet und war in Überschleifung begriffen.

Für eine mögliche Verwendung der Massiven Meißel mit Gelenkendende siehe Abschn. 3.3.3.1.

3.2.1.7 Hechelzähne (Typ 1/11)

Si 87; 364–1029 (Taf. 8, 117) wurde aus der Rippe eines großen Wiederkäuers gefertigt. Das Gerät wurde aus einer Hälfte der Rippe mit einer rundovalen Spitze hergestellt. Von den Herstellungsspuren sind nur noch Schleif- und Silexschnitzspuren zu erkennen.

Im Arbeitsbereich sind die Schleifspuren nur noch ganz leicht sichtbar. Die seitlichen Kanten des Gerätes sind leicht verrundet und glänzen stark. Auch auf der Ober- und Unterseite des Gerätes ist der Glanz stark ausgeprägt. Dieser Glanz zieht sich bis über den Schaft und zur Bruchkante hin. Der Bruch ist ungleichmäßig. Das Gerät scheint aufgrund eines Druckpunktes zerbrochen zu sein.

SHM-41 wurde aus einer halbierten Rippe eines großen Wiederkäuers gefertigt. Herstellungsspuren sind kaum noch zu erkennen. Der Arbeitsbereich wurde zu einer Spitze zugearbeitet. Schleifspuren sind jedoch weder im Arbeitsbereich noch im Schaft gut zu erkennen. Im Arbeitsbereich sind sie weitestgehend verschwunden. Am Schaft sind sie, soweit sie noch sichtbar sind, verrundet. Die Oberfläche des ganzen Gerätes zeigt einen starken Glanz. Alle Kanten sind abgerundet und zum Teil zeigen sie beginnende Abnutzungsrillen. Die Basis ist komplett abgebrochen. Der Bruch ist halbkreisförmig. Dies deutet auf einen Druckpunkt. Der Wurzelfraß hat nur kleine Teile der Knochenoberfläche zerstört.

Si 86; 342–1229 (Taf. 24, 347) wurde aus einer Rippe eines großen Wiederkäuers gemacht, die für die Geräteherstellung halbiert wurde. Der Arbeitsbereich des Werkzeuges wurde spitzoval zugeschliffen. Von den Herstellungsspuren sind nur noch Schleifspuren zu erkennen.

Im Arbeitsbereich sind keinerlei Schleifspuren mehr zu erkennen. Diese sind überprägt von einem sehr starken Glanz. Selbst die Kanten auf beiden Seiten des Gerätes sind im Arbeitsbereich bereits so stark abgenutzt, dass regelrechte Riefen entstanden sind.

Der Schaft dagegen zeigt noch deutliche Schleifspuren, die zudem auch keine Verrundung aufweisen. Ausgenommen sind die Bereiche, in denen sich starker Handglanz findet. Diese beschränken sich vor allem auf Fingerkuppen große Flächen an der Ober- und Unterseite sowie an den Kanten.

Die Basis, die abgebrochen ist und keinerlei Schleifspuren aufweist, zeigt denselben Handglanz an den Bruchkanten, wie sie am Schaft zu finden sind.

Si 10; 536/128–1008 (Taf. 54, 423) wurde aus einer halbierten Rippe eines großen Wiederkäuers gefertigt. Von den Herstellungsspuren sind nur noch Schleifspuren und die Spuren vom Abrutschen der Silexklinge bei Anlegen der Sägerille sichtbar. Der Arbeitsbereich wurde spitzoval zugeschliffen.

Im Arbeitsbereich sind keinerlei Schleifspuren mehr zu erkennen. Der Arbeitsbereich zieht sich über die Hälfte der gesamten Länge des Artefakts. Auf der gesamten Fläche ist ein deutlicher Glanz zu erkennen. Die seitlichen Kanten des Werkzeuges sind auf beiden Seiten in diesem Bereich stark verrundet.

Am Schaft sind die Schleifspuren noch gut zu erkennen. Sie sind leicht verrundet. Auf der Oberseite des Gerätes und an den oberen seitlichen Kanten ist Glanz zu erkennen, der an den Kanten stärker ist als an der Oberfläche. Dies deutet auf eine Wicklung hin. Zur Basis hin ist das Gerät komplett abgebrochen. Der Bruch verläuft leicht schräg mit einer geradlinigen Bruchkante. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um einen Schäftungsbruch.

Bei den Hechelzähnen wird häufig davon ausgegangen, dass man bei diesem Artefakttyp mit hoher Wahrscheinlichkeit den Verwendungszweck genau kennt. Da es Funde von zusammengeschnürten Rippenhälften, wie der Hechel aus Nidau (siehe Abschn. 3.3.3.5) gibt und die Rippenhälften im Spitzenbereich eine sehr starke Politur aufweisen, geht man davon aus, dass sie zum Kämmen der gebrochenen Leinstängel verwendet wurden, um die Schäben zu entfernen und den feinen Flachs zu erhalten.

3.2.1.8 Messer (Typ 10)

Re 83; 262/407–2 (Taf. 9, 128) wurde aus einem Röhrenknochen eines Tieres von der Größe eines Schweines hergestellt. Schleifspuren sind die einzigen Herstellungsspuren, die noch zu bestimmen sind. Der Arbeitsbereich wurde zu einer längsverlaufenden Schneidekante zugeschliffen. Das Gerät zeigt leichte moderne Ausbrüche, unter anderem im Arbeitsbereich.

Im Arbeitsbereich sind die Schleifspuren kaum verrundet und auf den Flächen findet sich kein Glanz. Lediglich an der leicht verrundeten Schneidekante ist starker Glanz sichtbar. Am Schaft sind die Schleifspuren deutlich verrundet und zum Teil weist die Oberfläche Handglanz auf.

Die Basis weist eine alte Bruchfläche auf, deren Kanten eine deutliche Abnutzung zeigen. Vermutlich stammt die Aussplitterung noch von der Herstellung. Die Schleifspuren zeigen wie am Schaft eine starke Verrundung. Auf der Fläche ist ebenfalls Handglanz erkennen.

Die Messer aus dem Twanner Fundmaterial weisen meist eine stärkere Aufrauung und eine deutlich hellere Färbung im Schneidenbereich auf, die Jörg Schibler eher als chemische Spuren interpretiertFootnote 15, die durch Säureeinwirkung entstanden sind. Solche Säuren kommen in Früchten oder auch in Milchprodukten vor. Deshalb nimmt er einen Gebrauch der Messer bei der Essenszubereitung mit schneidenden, schabenden oder kratzenden Bewegungen anFootnote 16.

3.2.1.9 Spitzen ohne Gelenkende (Typ 1/7–1/9)

Si 87; 391–1044 (Taf. 2, 35) wurde aus einem Metapodium eines Rothirsches gefertigt. Dazu wurde ein schmaler Span aus der Diaphyse mittels Sägerillen getrennt. Anschließend wurden alle Bruchkanten überschliffen und der Arbeitsbereich zu einer Spitze ausgearbeitet, während die Basis flach abgeschliffen wurde. Diese Herstellungsspuren, Schleifspuren wie Sägerillen, sind am Werkzeug noch zu erkennen.

Im Arbeitsbereich sind keinerlei Schleifspuren mehr zu beobachten. Stattdessen findet sich flächig ein starker Glanz. Die Spitze weist einen leichten Spitzenbruch auf, die Bruchkanten sind jedoch abgerundet.

Am Schaft sind die Schleifspuren nur noch leicht zu erkennen. Die noch sichtbaren zeigen eine deutliche Verrundung. Auch hier findet sich ein flächiger starker Glanz. Vor allem sind jegliche Kanten stark abgenutzt.

An der Basis sind kleinere Ausbrüche zu sehen, deren Bruchkanten jedoch sehr stark abgenutzt sind. Die Schleifspuren, die noch sichtbar sind, zeigen ebenfalls eine starke Verrundung. Der Glanz ist auch hier flächig und stark ausgeprägt. Druckstellen und andere Schlagspuren fehlen vollkommen.

Ol 11; 213/258–14 (Taf. 4, 57) ist aus einem Span aus der Diaphyse eines Rothirsch-Metapodiums gefertigt. Die dazu notwendigen Sägerillen sind noch zu sehen. Die Bruchkanten wurden weitestgehend überschliffen und der Arbeitsbereich wurde zu einer Spitze gearbeitet. Die Basis dagegen wurde flach abgeschliffen.

Im Arbeitsbereich sind die Schleifspuren sehr deutlich zu beobachten. Nur an der Spitze lässt sich ein leichter Glanz und weniger sichtbare Schleifspuren erkennen. Dies und die Geradlinigkeit der Schleifspuren lassen darauf schließen, dass das Werkzeug frisch überschliffen ist.

Am Schaft sind die Schleifspuren nur noch sehr schwach zu erkennen, weisen jedoch keinerlei Verrundung auf. Ein sehr starker Glanz ist flächig zu beobachten und alle Kanten sind sehr stark verrundet.

An der Basis sind die nicht verrundeten Schleifspuren nur noch leicht sichtbar. Auch hier findet sich der flächige starke Glanz und die hohe Verrundung der Kanten. Jedoch können keinerlei Druck- oder Schlagspuren beobachtet werden.

Aufgrund von Schlagspuren an der Basis und häufig fehlender Schäftungsspuren wird davon ausgegangen, dass die Spitzen nicht bei der Verarbeitung von Leder zum Einsatz kamen, sondern eher bei der Holzbearbeitung. Aber da die Gebrauchsspuren nicht immer eindeutig zu erkennen oder überhaupt vorhanden sind, könnten sie auch verschiedene Verwendungszwecke gehabt habenFootnote 17.

Abb. 3.3
figure 3

Der kleine Meißel mit Gelenkende, der in einer Töpfergruppe auf dem Breisacher Münsterberg gefunden wurde

3.2.1.10 Kleiner Meißel mit Gelenkende

Breisach 67–36 wurde wahrscheinlich aus dem Metacarpus eines kleinen Wiederkäuers hergestellt (Abb. 3.3)Footnote 18. Die meisten Herstellungsspuren wurden wohl überarbeitet, denn es sind nur wenige Schleifspuren zu erkennen. Für das Werkzeug wurde nur das distale Gelenk abgetrennt und zu einer querstehenden Schneidekante zugeschliffen. Ansonsten wurde der Metacarpus nicht weiter überarbeitet.

Im Arbeitsbereich finden sich nur noch an der Unterseite des Werkzeuges Schleifspuren. Diese sind leicht verrundet. An der Oberseite sind zwar feine Querrillen zu beobachten, jedoch handelt es sich hierbei aufgrund der Feinheit und der Tiefe der Rillen nicht um Schleifspuren. Außerdem zeigt sich hier ein deutlicher Glanz.

Am Schaft sind nur wenige verrundete Schleifspuren zu erkennen. Hier erschwert ein verstärkter Wurzelfraß die weitere Bestimmung von Gebrauchsspuren.

Die Basis ist zum Teil modern ausgebrochen. In der Mitte der Gelenkfläche scheint ein Loch angebracht worden zu sein. Die Spuren sind leider nicht mehr zu identifizieren.

Für die kleinen Meißel wird meist keine explizite Angabe zur Verwendung angegeben. Da Schibler die meisten Artefakte, die er zu den Beilen und Meißeln zählt, bei der Bearbeitung von Holz siehtFootnote 19, liegt auch bei den kleinen Meißeln diese Annahme nahe.

3.2.2 Die Bearbeitungsspuren an archäologischen Funden der untersuchten Werkstoffe

Die Suche nach Bearbeitungsspuren an den Werkstoffen stellte sich als durchaus schwierig heraus. Von vornherein war klar, dass es nur bestimmte Werkstoffe gibt, die untersucht werden können. Beispielsweise erhält sich Leder nur sehr selten und kann deshalb auch nicht analysiert werden. Daher wurden nur Holzartefakte, Keramik, Geweih und Rindengefäße analysiert. Aber auch die Untersuchungsmöglichkeiten dieser vier Werkstoffe waren eingeschränkt. So sind Herstellungsspuren an Holzartefakten nach der Konservierung nur noch sehr schwer zu beurteilen, da sich das Holz durch Trocknung und Lagerung verändert. Ebenso verhält es sich bei den Rindengefäßen. Diese sind zum größten Teil nur partiell erhalten. Durch ihre Fragilität wird eine Untersuchung noch zusätzlich erschwert, abgesehen davon, dass die Bearbeitungsspuren nach der Konservierung nur noch sehr schwer zu erkennen sind. Auch bei der Keramik ergeben sich Probleme, da oft nur ein geringer Teil der Scherben wieder zusammengesetzt worden ist. Damit beschränkt sich die Untersuchung meist auf einzelne Scherben. Je nach Größe finden sich daran nur Bruchteile der Bearbeitungsspuren.

Für die Untersuchung von Bearbeitungsspuren an den genannten Werkstoffen wurde auch auf Funde aus anderen Siedlungen zurückgegriffen. Je nach Erhaltungsbedingungen oder ausgegrabener Fläche findet man nicht überall sämtliche Werkstoffe, die mit Knochenwerkzeugen bearbeitet worden sein könnten. Beispielsweise fanden sich bisher in Olzreute-Enzisholz deutlich weniger Textilien als etwa in Hornstaad-HörnleFootnote 20. Da die Werkzeuge und die Werkstoffe im Neolithikum aus heutiger Sicht eingeschränkt waren und es nur wenige Verwendungsarten gibt, wie Dechsel und Beitel für Holz, ist es durchaus legitim, zum Vergleich Funde aus anderen Siedlungen und auch Zeiten hinzuzuziehen.

Abb. 3.4
figure 4

Ein Teil des gescannten Brunnenkastens von Altscherbitz

Abb. 3.5
figure 5

Verschiedene Bearbeitungsspuren an einem der Brunnenhölzer des Brunnens von Altscherbitz. Auf der Oberseite des Brettes sind Dechselspuren zu erkennen, während sich an der Innenseite der Verkämmung Beitelspuren zeigen. Die Beitelspuren sind durch die klaren Absätze und geradlinigen parallelverlaufenden Seitenränder zu erkennen

Untersucht wurden verschiedene Holzartefakte aus den Feuchtbodensiedlungen, wie Holzgefäße, Bauhölzer und andere Artefakte, sowie Brunnenhölzer des bandkeramischen Brunnens von AltscherbitzFootnote 21. Die Brunnenhölzer haben den Vorteil, dass sie vor der Konservierung 3D gescannt wurden und so eine Untersuchung der Herstellungsspuren am 3D-Modell möglich war, obwohl die Originale noch in der Konservierung lagen (Abb. 3.4 und 3.5). Dadurch können die Spuren an den Hölzern jederzeit quasi im Originalzustand untersucht werden, ohne dass auf mögliche Veränderungen durch die Konservierung geachtet werden muss.

Aus den Feuchtbodensiedlungen wurden Holzgefäße und Bauhölzer aus Reute-Schorrenried und Olzreute-Enzisholz betrachtet. Aus Reute-Schorrenried wurde das Halbfabrikat des „Eimers“ und die als „Bombe“ bekannt gewordene mögliche Schleife mit dem Zapfloch untersucht. Leider waren am Zapfloch der „Bombe“ wegen der schlechten Erhaltung keinerlei Werkzeugspuren mehr erkennbar. Am verdickten Ende konnten zwar noch Spuren ausgemacht werden, allerdings handelt es sich hier aufgrund der Form und des Aussehens um die gängig als Beilspuren interpretierten Schlagmarken. Nur zwischen den Schenkeln fanden sich wenige Facetten, die im Vergleich zu den Beilspuren als Hiebspuren angesprochen werden könnten. Da es sich hierbei nur um zwei Hiebmarken handelt, wurden sie nicht näher untersucht. Nur am Halbfabrikat des „Eimers“ fanden sich sowohl außen als auch innen vielerlei Spuren, die analysiert werden sollen.

Das Halbfabrikat des „Eimers“ (Abb. 3.6) wurde rundum auf Bearbeitungsspuren untersucht. Das Hauptaugenmerk lag jedoch auf dem Innenbereich. Am und im „Eimer“ konnten verschiedene Bearbeitungstypen festgestellt werden. Am deutlichsten waren die Hiebmarken im äußeren Bereich des „Eimers“ zu erkennen, die wahrscheinlich bei der Verwendung eines dechselartigen Beiles entstehen und immer dieselben oval-konkav verlaufenden Facetten aufweisen (Abb. 3.7). Diese können wenige Millimeter bis mehrere Zentimeter lang sein und sind seitlich ein- oder ausgewölbt. Tiefe Schnittspuren an den Knubben weisen darauf hin, dass diese abgestochen wurden. Die Schnittspuren im Inneren des Eimers verlaufen ebenfalls quer zur Faser. Aber anders als die Hiebspuren verlaufen sie auch quer zu den Jahrringen (Abb. 3.8) und treffen sich an einem Ende. Die Bruchkante, der tiefer liegende Schnitt und das Zusammenlaufen an einem Ende machen wahrscheinlich, dass es sich um Schnittspuren handelt. Mit dem quer zu den Jahrringen verlaufenden Schnitt wurden die Fasern durchtrennt und damit entfernt.

Abb. 3.6
figure 6

Die Holzgefäße aus Reute-Schorrenried. Im Hintergrund das Halbfabrikat des „Eimers“. Im Vordergrund zwei sehr fein gearbeitete dünnwandige Holzschalen, an denen keinerlei Bearbeitungsspuren mehr zu erkennen sind

Am deutlichsten werden die Unterschiede der einzelnen Bearbeitungsspuren bei der Betrachtung ihrer Querschnitte. Im Gegensatz zu den anderen Bearbeitungsspuren haben die Beilspuren im äußeren Bereich eine ovale Form (Abb. 3.7). Die Hiebspuren haben eine gerade Schnittfläche, die in einer schräg nach unten verlaufender Bruchfläche endet. Ähnliche Spuren entstehen auch beim Gebrauch eines modernen Beitels. Die Schnittspuren haben ebenfalls eine gerade Schnittfläche, aber im Gegensatz zu den Hiebspuren folgt die Bruchfläche nicht auf die Schnittfläche (Abb. 3.9). Zwischen Schnitt- und Bruchfläche findet sich ein Einschnitt in das Material. Erst nach dem Einschnitt, der zwischen 0,5 mm und 1 mm breit ist, folgt die Bruchfläche.

An allen untersuchten Holzartefakten konnten sowohl Beil- als auch Beitelspuren entdeckt werden. Es hat sich gezeigt, dass gerade beim Aushöhlen von Gefäßen eher Beitel- als Beilspuren zu finden sind. Da es nur wenige Steinartefakte gibt, die wahrscheinlich als Beitel verwendet worden sind, kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der Beitelspuren an den Holzartefakten von Knochenwerkzeugen stammt. Dagegen ist es bei feineren Beilspuren schwer zu unterscheiden, ob sie von Stein- oder von Knochenbeilen stammen.

Aus dem Fundort Olzreute-Enzisholz wurden sowohl Bauhölzer als auch verschiedene Holzartefakte auf Gebrauchsspuren untersucht. An den Bauhölzern fanden sich hauptsächlich die als Beil- oder Dechselspuren interpretierten Schlagmarken.

Bei den Holzartefakten handelte es sich zum einen um verschiedene Holzkeile und zum anderen um verschiedene Holme. Die Holme waren jedoch allesamt so sauber überarbeitet, dass sich keinerlei Schlagmarken mehr entdecken ließen. Bei den Keilen dagegen konnte zwischen Herstellungs- und Überarbeitungsspuren unterschieden werden. Bei den Schlagmarken von der Herstellung handelt es sich um kurze, z. T. schmale ovale Marken, wogegen die Spuren vom erneuten Zuspitzen des Keiles zum Teil länger oval sind. Dennoch kann nicht einwandfrei entschieden werden, ob es sich bei diesen Spuren um Beitel- oder um Dechsel-/Beilspuren handeltFootnote 22.

Abb. 3.7
figure 7

Die üblichen oval-konkav verlaufenden Facetten eines Beiles (Pfeil) an der Außenseite des „Eimers“

Abb. 3.8
figure 8

Bearbeitungsspuren, ähnlich wie Schnittspuren, an der Innenseite des „Eimers“ (Pfeil)

Abb. 3.9
figure 9

Bearbeitungsspuren mit schräg abfallenden Bruchflächen an der Innenseite des „Eimers“ (Pfeil)

Bei der Durchsicht der Bearbeitungsspuren an archäologischen Holzobjekten wurde deutlich, dass eine einwandfreie Zuordnung der Schlagmarken zu Beitel, Beil oder Dechsel nicht immer möglich ist.

Das Vorbild für die Versuche zu Keramik war eine urnenfelderzeitliche Töpfergrube auf dem Breisacher MünsterbergFootnote 23. Zwischen den zerbrochenen Fehlbränden fand sich ein kleines Knochengerät mit einer runden Schneide, die auf der oberen Seite deutlichen Glanz und gleichzeitig keine Schleifspuren mehr aufwies. Dagegen waren die Schleifspuren an der Unterseite des Arbeitsbereiches noch deutlich sichtbar und wiesen kaum Verrundungen auf (Abb. 3.3). Abgesehen von dem Knochengerät waren viele der Gefäße mit Stichen und Punkten verziert und sehr glattpoliert. Bei der Keramik wurden vor allem die Politur und die Verzierungen angeschaut und beurteilt, ob dafür Knochenwerkzeuge verwendet worden sein könnten. Die Politur kann durchaus mit verschiedenen Werkzeugen gemacht worden sein, mit einem Stein oder auch einem Stück Holz. Auch bei den Verzierungen könnten verschiedene Werkzeuge zum Einsatz gekommen sein. Beispielsweise können Punktverzierungen auch sehr einfach mit einem dünnen Ästchen erfolgen. Anders verhält es sich allerdings bei Strichbandverzierungen. Dafür kommt zum derzeitigen Stand nur ein Knochenwerkzeug in FrageFootnote 24.

An den untersuchten Rindengefäßen konnten leider keinerlei Spuren mehr erkannt werden. Um die Chancen hierfür zu steigern, müssten die Rindengefäße kurz nach der Bergung auf Herstellungsspuren untersucht werden.

Insgesamt konnten zumindest bei Holzartefakten und bei Keramik Spuren dokumentiert werden, die durchaus auf eine Bearbeitung mit Knochenwerkzeugen hindeuten.

Für die Bestimmung der Bearbeitungsspuren an Geweih wurden ausschließlich die archäologischen Geweihartefakte der bearbeiteten Fundkomplexe untersucht. Die Spuren wurden nach den von Peter J. SuterFootnote 25 beschriebenen Bearbeitungsspuren klassifiziert.

Untersucht wurden vor allem die Zerlegungstechniken an den Geweihstangen und die Herstellungsspuren an den Zwischenfuttern. Als Zerlegungstechnik wurde hauptsächlich die sorgfältige, mit Meißel und Hammer angelegte Kerbe angewendet. Bei den Spuren handelt es sich um präzise liegende Schlagmarken. Nur wenige Kerben weisen Schlagmarken auf, die außerhalb oder am Rande der Kerbe liegen. Die Schlagmarken sind sehr klein, schmal und oval. Die Schneiden der Werkzeuge, mit denen das Geweih bearbeitet wurde, sind leicht gewölbt.

An den Zwischenfuttern finden sich ausschließlich noch Schlagmarken am hinteren Absatz des Kranzes und am Zapfen. Die Spuren sehen ähnlich aus wie bei den Kerben. Allerdings sind die Schlagmarken deutlich schmäler als in den Kerben. Es ist jedoch sehr schwierig zu entscheiden, ob es sich bei den beschriebenen Schlagmarken um Meißel- oder um Beilspuren handelt.

Bei allen beschriebenen Spuren an den Werkstoffen kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden, ob zur Bearbeitung ein Knochenwerkzeug verwendet worden ist, doch kann in keinem Fall diese Möglichkeit ausgeschlossen werden.

3.2.3 Zwischenfazit

Bei der Einordnung der archäologischen Knochenartefakte in die Typologie von Jörg Schibler wurde schnell klar, dass es sich hierbei um eine formale, auf morphologischen und anatomischen Kriterien basierende Typologie handelt. Wie Schibler auch mehrfach selbst betont, ist die Funktionseinordnung, die er vornimmt, interpretativ und nicht als endgültig zu betrachtenFootnote 26. Jedoch kann ohne das Wissen, wie Herstellungs- und Gebrauchsspuren aussehen und ob verschiedene Werkstoffe unterschiedliche Spuren hinterlassen, keine sichere Funktionszuordnung gemacht werden. Ohne die Kenntnis, welche Spuren die jeweiligen Werkzeuge am Werkstoff hinterlassen, ist es unmöglich die Bearbeitungsspuren an den Werkstoffen einen bestimmten Werkzeugtyp, wie einem Steinbeil oder einen Knochenmeißel, zuzuschreiben.

Eine Zuordnung der jeweiligen Spuren kann nur mit gezielt durchgeführten Experimenten und der genauen Dokumentation der Spuren an Werkzeug und Werkstoff gelingen.

3.3 Experimente

Die Untersuchung von Gebrauchsspuren zählt gegenwärtig zu den modernen Themen in der Archäologie (Stand 2018). Oft werden besondere Funde aus dem bearbeiteten Komplex nachgebaut und experimentell in der vermuteten Anwendung benützt. Dabei zielen die Experimente mit den Nachbauten in den meisten Fällen direkt auf eine Verifizierung der Spuren am OriginalFootnote 27. Eine solche Analyse wird zwar durch entsprechende bildgebende Verfahren (z. B. EM-Aufnahmen) unterstützt, welche die Vergleichbarkeit der Spuren bestätigen sollen. Eine objektive Beurteilung der Spuren ist damit aber immer noch erschwert, wenn nicht gar ausgeschlossen, sofern es noch keine Vergleichsgrundlagen mit anderen Gebrauchsspuren gibt. In den meisten Fällen fehlt eine wissenschaftliche Methode zur objektiven Bestimmung der Spuren, da häufig die Grundlagen dazu noch nicht gelegt wurden.

Für den Aufbau einer Vergleichbarkeitsbasis müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Eine Verifizierung der an Artefakten gefundenen Spuren kann nicht das primäre Ziel sein. Der menschliche Faktor in Form von Handhabungs- und Erfahrungsunterschieden kann eine große Bandbreite der Ausprägungen von Gebrauchsspuren für letztlich ähnliche Anwendungen bedingenFootnote 28. Deshalb wurde großer Wert daraufgelegt, den Erfahrungen und Fertigkeiten der damaligen Nutzer nachzuspüren und damit letztlich einen vorurteilsfreieren Zugang für Auswertung und Interpretation zu ermöglichen. Deshalb wurde immer eine Falsifizierung der hypothetischen Funktionsannahme nach Karl R. Popper angestrebtFootnote 29. Die ersten Experimente mit einem entsprechenden Nachbau wurden in der jeweils zunächst vermuteten Anwendung durchgeführt. Wenn sich beim anschließenden Abgleich mit den Spuren an den archäologischen Knochenartefakten Ähnlichkeiten ergaben, wurden die Experimente wiederholt und wiederum verglichen, um ein Zufallsprodukt oder eine Fehlbenutzung auszuschließen. Durch das mehrmalige Durchführen der experimentellen Materialbearbeitungen mit den Nachbauten wurde gewährleistet, dass das sich häufig stellende Problem der Ungeübtheit der jeweiligen AutorenFootnote 30 im Umgang mit Knochenwerkzeugen und den einzelnen Werkstoffen ausgeschlossen werden konnte. Wenn sich keine deutlichen Ähnlichkeiten der Spuren ergaben, wurden unter Einbeziehung z. B. von Greif- und/oder Fassungsspuren Überlegungen zu möglichen alternativen Anwendungen angestellt und entsprechende neue Experimente durchgeführt. Da die meisten Experimente durch die Autorin selbst durchgeführt wurden, entwickelte sich ein gutes Gefühl für Werkzeuge und Werkstoffe und damit eine fundierte handwerkliche Erfahrungsbasis. Einige Experimente wurden unter enger Begleitung durch die Autorin von einer im Umgang mit einem speziellen Werkstoff erfahrenen Person durchgeführt.

Das primäre Ziel der Experimente liegt damit im grundlegenden Verständnis der Praktikabilität und Effizienz der Werkzeughandhabung. Erst dadurch kann eine objektivere und sicherere Interpretation der Gebrauchsspuren ermöglicht werden.

3.3.1 Versuchsaufbau

Insgesamt konnten mit den Repliken 79 Versuchsreihen durchgeführt werden (Tab. 3.1 und Tab. 3.2). Die unterschiedlichen Gebrauchsspuren an den Repliken wurden nach optischen Unterscheidungskriterien differenziert sowie systematisiert und anschließend mit den Artefakten verglichen.

Tab. 3.1 Darstellung der einzelnen Knochenartefakttypen, der jeweils verwendete Werkstoff, die ausgeführte Bewegung mit dem Werkzeug und die Dauer, die ein Werkzeug durchschnittlich und insgesamt verwendet wurde
Tab. 3.2 Darstellung der nachgebauten Typen, wofür und wie lange sie insgesamt verwendet wurden

Der möglichst vollständige Arbeitsprozess, um einen Gegenstand aus dem zu bearbeitenden Werkstoff herzustellen, stand bei der Durchführung der Experimente im Vordergrund. So wurde beim Werkstoff Leder eine Tasche aus Leder hergestellt oder beim Werkstoff Holz wurde ein Brunnenkasten gebaut. Deshalb wurden die Experimente nicht im Labor durchgeführt und es wurden auch keine standardisierten Bewegungen getestet. Die Funktionalität der verwendeten Knochenwerkzeuge stand bei der Verwendung an erster Stelle. Die Entwicklung der Gebrauchsspuren wurde dabei während der Experimente beobachtet und kontrolliert. Gegebenenfalls wurde diese direkt dokumentiert, wenn die Spitze beim Stechen von Löchern abbrach.

Tab. 3.3 Systematisiertes Datenblatt zur Aufnahme von Gebrauchsspuren

Die Dokumentation und Systematisierung erfolgen sowohl durch makroskopische als auch durch mikroskopische Analysen. Alle Werkzeuge wurden unter dem Stereomikroskop untersucht und die sichtbaren Spuren in einer systematisierten Tabelle mit vordefinierten Merkmalsausprägungen eingetragen. So wurde die Stärke des Glanzes durch „leicht“, „mittel“, „stark“ eingegrenzt (Tab. 3.3). Entscheidend ist, dass dieselben Merkmale und deren jeweilige Ausprägungen sowohl bei den Repliken als auch bei den Artefakten untersucht wurden. Die Spuren wurden zusätzlich fotografisch dokumentiert und in einer Vergleichsdatenbank organisiert.

Abb. 3.10
figure 10

Entfleischen der Knochen vor dem Kochen. Dabei wurden ausschließlich neolithische Werkzeuge verwendet. Damit wird gewährleistet, dass sich auch an den nachgebauten Werkzeugen die entsprechenden Herstellungsspuren finden

3.3.2 Repliken

3.3.2.1 Methoden

Die Repliken wurden ausschließlich mit neolithischem Werkzeug, d. h. Silexklingen, Sandstein, etc., hergestellt. Bei der Herstellung wurden auch die Dauer und der Verschleiß der Herstellungsmittel dokumentiert. Nach der Herstellung wurden alle Herstellungsspuren dokumentiert und beschrieben. Außerdem wurde die Replik in ihrem originalen Zustand fotografiert, um anschließende Veränderungen durch den Gebrauch besser beobachten zu können.

3.3.2.1.1 Allgemeine Herstellungsmethoden

Beim Entfleischen der Knochen wurde hauptsächlich mit neolithischem Werkzeug gearbeitet, um die später noch sichtbaren Herstellungsspuren nicht zu verfälschen (Abb. 3.10). Durch das Abziehen der Haut und des Periosts entstehen an der Diaphyse des Knochens Schnittspuren. Diese sind auch bei den Artefakten zu beobachten.

Bei der Mazeration der Knochen wurde zu Anfang etwas experimentiert, um die bestmögliche Vorbereitungstechnik herauszufinden. Dafür wurde je ein Teil der Knochen stark, leicht oder überhaupt nicht ausgekocht. Dabei hat sich herausgestellt, dass das leichte Auskochen die besten Ergebnisse liefert. Knochen, die stark ausgekocht wurden, sind oft spröder und brechen deshalb auch leichter. In der Forschung wird dafür oft die Umwandlung des Kollagens als Ursache angegeben, da dieses für die Elastizität des Knochens verantwortlich istFootnote 31. Medizinische Untersuchungen von Sven Henning haben ergeben, dass das Elastizitätsmodul und die Druckfestigkeit erst bei höheren Temperaturen (100 °C – 134 °C) stark reduziert werden. Bei einer moderaten Erwärmung (60 °C) wie dem leichten Köcheln sind keine signifikanten Veränderungen zu beobachten. Die Versuche haben verdeutlicht, dass bei einem kurzen Köcheln die Stabilität der Knochen optimal erhalten bleibt. Durch diese Prozedur werden die Knochen etwas härter, behalten aber ihre Elastizität. Lässt man die Knochen dagegen ungekocht, sind sie zwar sehr elastisch, aber auch weicher und für Arbeiten mit starkem Druck, wie bei der Holzbearbeitung, nicht immer so gut geeignet. Auch Versuche, die Knochen in Wasser einzulegen, um die Weichteile zu entfernen, haben keine nennenswerte Verbesserung der Elastizität der Knochen gebracht. Die dickeren anhaftenden Weichteile können im nassen Zustand recht leicht abgezogen werden. Die Reste des Periosts lassen sich nach dem Trocknen einfach abziehen.

Untersuchungen, ob die Knochen für die Werkzeuge schon damals gekocht wurden, gibt es bisher noch nicht. Es ist auch zu vermuten, dass ein solcher Nachweis sehr schwierig ist. Je nach Bodenbeschaffenheit, in der die Knochenartfakte liegen, kommt es zu einer Mineralisierung der Knochenstruktur, bei der die organischen Substanzen langsam abgebaut und teilweise ausgetauscht werden. Beobachtungen während laufender Grabungen in verschiedenen Fundplätzen haben ergeben, dass es deutliche Unterschiede in der allgemeinen Erhaltung der Knochen gibt. Archäologische Speiseabfälle sind häufig sehr weich und zerbrechen bei der Bergung sehr leicht. Dagegen sind archäologische Knochenartefakte meist noch sehr stabil. Da dies sehr häufig beobachtet werden konnte, liegt die Annahme nahe, dass die unterschiedliche Erhaltung von Speiseabfällen und Knochenartefakten nicht aufgrund chemischer Veränderungen durch die Lagerung im Boden bedingt ist, vor allem da diese Beobachtung sowohl im Feuchtboden als auch im Mineralboden gemacht werden konnte. Vielleicht hängt die unterschiedliche Erhaltung eher von der Behandlung der Knochen durch den Menschen damals ab. Möglicherweise entsprach diese Behandlung den Experimenten, die eine verbesserte Stabilität bei leichtem Kochen gezeigt haben. Zur zweifelsfreien Überprüfung einer solchen Annahme wären jedoch komplexere chemisch-physikalische Analysen notwendig. Ein weiterer Punkt spricht für das Kochen. Nachdem die Röhrenknochen für die Werkzeugherstellung nicht aufgebrochen werden konnten, wäre mit dem dann nicht verwertbaren Knochenmark ein sehr wertvoller Nahrungsbestandteil verloren.

Ein leichtes Auskochen der Knochen ist also sehr wahrscheinlich und wurde daher bei einem Großteil der Repliken angewandt.

3.3.2.2 Typen

3.3.2.2.1 Spitzen aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende (Typ 1/1)

Für die Herstellung der Spitzen aus Metapodien kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende wurden hauptsächlich Metapodien von Schaf und Reh verarbeitet. Die Schafknochen stammten von Tieren, die zwischen vier und sieben Jahre alt waren. Die Rehe, deren Metapodien verwendet wurden, waren meist subadult oder adult, nur in Ausnahmefällen wurden auch Knochen von juvenilen Tieren verwendet.

Zur Herstellung einer Spitze wurde zuerst das proximale Gelenk mittels Sägerille abgetrennt. Die Sägerille wurde mit Silexabschlägen angefertigt. Sie wurde so tief angelegt, dass die Rille Mindestens halb so tief war wie die Dicke der Kompakta. Danach wurde der Gelenkkopf durch einen Schlag auf festen Untergrund oder eine scharfe Kante endgültig abgeschlagen. Anschließend wurde das Metapodium entlang der Verwachsungsnaht zwischen dem 3. und 4. Strahl und innerhalb des Sulcus ebenfalls mittels einer Sägerille aufgetrennt. Anschließend wurde der Knochen mithilfe eines Knochenbeiles entlang der Sägerille aufgeschlagen. Die Bruchkanten sowie das proximale Ende der Metapodium-Hälfte wurde mit einem Sandstein überschliffen und eine Spitze zugeschliffen. Für die Überschleifung der Bruchflächen wurde das Werkzeug meist quer über den Schleifstein hin und her bewegt. Für den Zuschliff der Spitze wurde die Metapodien-Hälfte sowohl quer als auch längs über den Schleifstein bewegt. Damit keine Kanten durch das Schleifen entstehen, denn diese sind bei den Spitzen im archäologischen Material nur sehr selten zu finden, wurde das Werkzeug beim Schleifvorgang immer leicht in der Hand gedreht. Das distale Gelenk wurde nicht verändert.

3.3.2.2.2 Spitzen aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer (Typ 1/2)

Die Auswahl des Rohmaterials ist dieselbe wie für die Spitzen aus Metapodien kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende. Es wurden ausschließlich Metapodien von Schaf und Reh verwendet. Das Alter der Tiere schwankte zwischen subadult und adult. Nur in wenigen Ausnahmefällen wurden Metapodien von juvenilen Tieren verwendet.

Bei den Spitzen aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer handelt es sich meist um Bruchstücke aus fehlgegangenen Trennversuchen. Der Herstellungsablauf dieser Werkzeuge ist bis einschließlich der Auftrennung entlang der Medialen des Metapodium derselbe wie bei den Spitzen aus Metapodien kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende. Dieser Teil des Herstellungsablaufes wird hier nicht noch einmal beschrieben.

Die Bruchflächen des Metapodium-Bruchstückes wurden mit Sandstein komplett überschliffen. Dabei wurde das Werkzeug sowohl quer als auch längs über den Stein geführt. Ebenso beim Zuschliff der Spitze. Hierbei wurde das Werkzeug leicht in der Hand von einer auf die andere Seite bewegt, um Schleifkanten zu verhindern. Die Basis wurde ebenfalls flach zugeschliffen.

3.3.2.2.3 Rippenmeißel (Typ 4/10)

Für die Herstellung der Rippenmeißel wurden hauptsächlich Rippen von Hinter- und Vorderwälderrindern verwendet, die zwischen zwei und vier Jahren alt waren. Verwendet wurden sowohl die massiveren proximalen Bereiche der Rippe als auch die etwas weniger massiven Teile im Diaphysenbereich.

Rippen lassen sich sowohl im frischen als auch im ausgehärteten Zustand sehr leicht teilen. In beiden Fällen wird der Sulcus costae und der craniale Rand mittels eines Steinbeiles oder eines Knochenbeiles/-beitels abgetrennt. Allerdings ist die Beanspruchung für Knochenwerkzeuge im ausgehärteten Zustand der Rippe sehr hoch. Alternativ können beide Bereiche auch mithilfe einer Sägerille abgetrennt werden oder mithilfe eines Steinbeiles. Da die Kompakta der Rippen nur im proximalen Bereich dicker ist, ist eine Sägerille schnell angelegt. Anschließend wurden die Hälften mit einem Beitel, der als Brecheisen fungierte, aufgespalten. Die Teile, die für die Herstellung der Rippenmeißel benötigt wurden, wurden fast passgenau mit Sägerillen hauptsächlich aus dem Diaphysenbereich herausgetrennt. Danach wurden die Bruchflächen auf dem Sandstein geschliffen, so dass keinerlei Verletzungsgefahr mehr bestand. Sowohl die Basis als auch der Arbeitsbereich wurden quer zugeschliffen, wobei nur der Arbeitsbereich von beiden Seiten scharf zugeschliffen wurde. Die Basis wurde nur flach abgeschliffen. Keiner der Rippenmeißel wurde mit einer Wicklung versehen. Beim Auftrennen einer Rippe entstand ein Riss. Dennoch wurde das Werkzeug fertiggestellt. Da es ausschließlich bei der Bearbeitung von Keramik zum Einsatz kam und somit keinem hohen Druck ausgesetzt war, stellte der Riss keine Beeinträchtigung des Werkzeuges dar.

3.3.2.2.4 Massive Meißel mit Gelenkende (4/13)

Für die Herstellung der massiven Meißel mit Gelenkende wurden ausschließlich Metapodien von Vorder- oder Hinterwälderrindern verwendet. Die Tiere waren meist zwischen zwei und drei Jahre alt.

Ebenso wie bei den Spitzen aus Metapodien kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende wurde auch bei den massiven Meißeln mit Gelenkende zuerst eines der beiden Gelenkenden abgetrennt. Da es archäologische Artefakte sowohl mit distalem als auch mit proximalem Gelenk gibt, wurden beide Varianten hergestellt. Die Herstellungstechnik blieb jedoch dieselbe. So wurde rund um das abzutrennende Gelenk entweder eine Kerbe angelegt oder eine Sägerille. Wenn die Kerbe oder die Sägerille tief genug war, wurde das Gelenk abgeschlagen. Das andere Gelenk wurde nicht überarbeitet. Die Diaphyse wurde anschließend dorsal und ventral zugeschliffen, so dass eine querstehende Arbeitskante entstand. Der Griffbereich der massiven Meißel mit Gelenkende wurde zum Teil mit einer Rohhaut-Wicklung versehen

Bei einer weiteren Variante der massiven Meißel mit Gelenkende wurde das Metapodium entlang der Longitudinalachse mittels Sägen aufgetrennt, um so einen Span zu erhalten. Die Sägerillen und die Bruchflächen wurden anschließend mit einem Sandstein überschliffen. Der Arbeitsbereich wurde ebenfalls zu einer querstehenden Arbeitskante zugearbeitet. Nach einem Originalfund aus Olzreute-Enzisholz wurde der Schaft des Werkzeuges mit einer Lindenbastschnur umwickelt.

Alle Werkzeuge wurden mit einer querstehenden Arbeitskante zugeschliffen, wobei die „Röhren-Beitel“ – dem archäologischen Vorbild entsprechend – eine asymmetrische Schneide aufweisen. Dadurch können sie beidseitig sehr gut verwendet werden. Alle Werkzeuge haben – wie auch 95 % der Artefakte – eine leicht gewölbte Schneide. Dies mindert die Gefahr von Aussplitterungen im Schneidebereich.

3.3.2.2.5 Beile (Typ 4/1)

Rohmaterial für die Herstellung von Beilen waren ausschließlich Röhrenknochen von Vorder- und Hinterwälderrindern. Die Tiere waren zwei bis drei Jahre alt.

Zu Beginn des Herstellungsprozesses wurden beide Gelenke des Knochens mittels Anlegens einer Kerbe oder einer Sägerille und anschließendem Abschlagen entfernt. Danach wurde die Röhre mit Sägerillen in mehrere Teile aufgespalten. Aufgrund der Größe der Röhrenknochen konnten meist mehrere Beile aus einem Stück gewonnen werden. Die Anzahl, die gewonnen werden konnte, hing von der Größe der einzelnen Beile ab. Je größer diese waren, desto weniger konnten aus einem Skelettteil gemacht werden. Nach dem Auftrennen der Röhre wurden die einzelnen Diaphysenstücke nochmals mittels Sägerille entsprechend zerteilt, um die gewünschte Größe für das Beil zu erhalten. Alle Sägerillen wurden so tief angelegt, dass über die Hälfte der Kompakta durchtrennt war. Erst danach wurden die Rillen durch einen gezielten Schlag aufgetrennt. Anschließend wurden alle Flächen gleichmäßig überschliffen. Der Arbeitsbereich wurde von beiden Seiten weitestgehend symmetrisch so zugeschliffen, dass die querstehende Schneide eine leichte Rundung aufwies. Die Basis wurde flach abgeschliffen. Die Beile wurden entweder in Knieholmen als Dechsel oder in Griffschäftungen als Beitel geschäftet. Befestigt wurden sie entweder mit Rohhaut oder mit Bastschnüren.

Die Beile wurden immer geschäftet verwendet (Abb. 3.24, oben rechts). Hierbei gab es sowohl eine klassische Dechsel mit einem spitzen Winkel (ca. 75°) als auch einen mit einem stumpfen Winkel von 115°, basierend auf den Funden von Altscherbitz und Erkelenz-KückhofenFootnote 32. Es wurden Versuche mit kleinen Beilen gemacht, die in Griffschäftungen gesteckt waren. Allerdings konnte hier die Bindung nicht fest genug angezogen werden, weshalb sie eher bei Arbeiten mit weniger Druck, wie etwa Rindenbearbeitung, zur Verwendung kamen und weniger bei der Holzbearbeitung. Holz, Rinde und Geweih sind die Werkstoffe, die mit den Beilen bearbeitet wurden.

3.3.2.2.6 Massive Meißel (Typ 4/3) und meißelförmige Beile (Typ 4/2)

Die Auswahl des Rohmaterials entspricht dem der Beile.

Sowohl die Herstellungstechnik als auch der Herstellungsablauf entsprechen dem der Beile. Allerdings wurden die massiven Meißel und meißelförmigen Beile meist als Beitel verwendet. Dazu wurde die Diaphyse zum Teil mit Rohhaut oder mit Bastschnüren umwickelt, um die Griffigkeit zu erhöhen.

3.3.2.2.7 Hechelzähne (Typ 1/11)

Ausschließlich Rippen von Vorder- oder Hinterwälderrindern kamen bei der Herstellung der Hechelzähne zum Einsatz. Die Tiere waren zwei bis drei Jahre alt.

Bei der Herstellung der Hechelzähne wurde dieselbe Technik und derselbe Ablauf wie bei der Herstellung der Rippenmeißel angewandt. Lediglich der Arbeitsbereich wurde anders gestaltet. So wurde der Arbeitsbereich mit einem Sandstein zu einer ovalen Spitze geschliffen. Für eine Hechel wurden fünf Rippenhälften mit einer Bastschnur zusammengebunden. Die Bastschnur hält die Rippenhälften mittig zusammen. Die Schnur wurde auch immer wieder zwischen den einzelnen Hälften durchgeführt, um so einen gleichmäßigen Abstand zu bekommen.

Für die Herstellung von Flachs wurde unter anderem eine sogenannte Rippenhechel verwendet, wie sie aus der Feuchtbodensiedlung Nidau (Abb. 3.38) bekannt ist. Die Rippenhechel besteht aus halbierten Rippen, die flach und mit einer runden Spitze zugeschliffen wurden. Zumeist wurden vier bis sechs unterschiedlich lange Rippenhälften zu einem Kamm mit einer Lindenbastschnur zusammengebunden. Dabei wurden die Hälften so gebunden, dass die Spitzen auf gleicher Höhe waren. Durch mehrmaliges Durchfädeln zwischen den Hälften wurde der Abstand der Spitzen zueinander reguliert. Dies hatte zur Folge, dass sich die Rippenhälften zum Teil nicht berührten.

3.3.2.2.8 Messer (Typ 10)

Als Rohmaterial für die Herstellung von Messern dienten vor allem Röhrenknochen von Vorder- oder Hinterwälderrindern, die zwei bis drei Jahre alt waren.

Die Messer wurden aus Bruchstücken, die beim Auftrennen der Röhren entstanden sind, hergestellt. Dazu wurden nur die Bruchkannten mit einem Schleifstein überschliffen. Der Arbeitsbereich wurde längs verlaufend zugeschliffen. Das Zuschleifen erfolgte nur von einer Seite.

3.3.2.2.9 Spitzen ohne Gelenkende

Für die Spitzen ohne Gelenkende wurden hauptsächlich Röhrenknochen von Vorder- und Hinterwälderrindern verwendet. Diese waren zwei bis drei Jahre alt.

Für die Herstellung einer Spitze ohne Gelenkende wurde ein dünner Span entlang der Longitudinalachse der Diaphyse mittels Sägen und anschließendem Aufbrechen der Sägerillen herausgetrennt. Die Sägerillen und die Bruchkanten wurden anschließend stark überschliffen, so dass sie kaum mehr sichtbar sind. Der Arbeitsbereich wurde zu einer runden Spitze geschliffen, während die Basis flach abgeschliffen wurde. Der Schaft wurde so zugeschliffen, dass er sich zur Basis hin leicht verjüngt, wie es auch bei vielen archäologischen Knochenspitzen der Fall ist.

Abb. 3.11
figure 11

Schnitzspuren von Silex. Die Rillen laufen gleichmäßig parallel zu einander

Abb. 3.12
figure 12

Schleifspuren am Sandstein. Die Schleifrillen verlaufen ungleichmäßig parallel. Die glänzenden Bereiche auf der Oberfläche des Knochens kommen nicht vom Schleifen, sondern sind auf den hohen Fettanteil des kaum ausgekochten Knochen zurückzuführen. Die Oberfläche wird durch das Schleifen eher rau und stumpf

3.3.2.2.10 Kleiner Meißel mit Gelenkende

Als Rohmaterial diente ein Metacarpus eines adulten Rehs.

Bei der Herstellung des Werkzeuges wurde lediglich das proximale Gelenk durch Sägen und anschließendes Abschlagen des Kopfes entfernt. Danach wurde dieser Bereich mit einem Sandstein zu einer querverlaufenden Arbeitskante umgearbeitet. Der restliche Bereich des Knochens musste nicht weiter überarbeitet werden.

3.3.2.3 Dokumentation und Beschreibung der Herstellungsspuren

Bereits bei der Werkzeugherstellung können Spuren entstehen, die leicht mit Gebrauchsspuren verwechselt werden könnten, wenn man ihre Ausprägung nicht kennt. Für die Analyse der Gebrauchsspuren ist es deshalb unerlässlich, sich auch mit der Herstellung und vor allem den Herstellungstechniken der Knochenwerkzeuge zu beschäftigen. Durch die Verwendung der Werkzeuge, d. h. durch den Kontakt mit dem Werkstoff, verändert sich das Aussehen der Herstellungsspuren. Sie sind somit praktisch den Gebrauchsspuren unterlagert. Nur wenn man die Entstehung der Herstellungsspuren und ihr ursprüngliches Aussehen kennt und verstanden hat, wie sie entstehen, kann man die Veränderungen genau beschreiben, die beim Gebrauch entstehen. Schleifspuren könnten z. B. auch Spuren vom Nachschärfen sein. Ein Großteil der Herstellungsspuren wird bereits beim Schleifen der Endform so stark überarbeitet, dass sie danach nicht mehr sichtbar sind. Das Wissen, wo sie sich befanden und wodurch sie entstanden sind, ist jedoch wichtig, um die Entstehung der Ad-hoc-Werkzeuge zu verstehen. Beispielsweise kann eine schlecht angelegte Sägerille zu funktionalen Knochenspitzen führen (siehe Abschn. 3.3.3.3).

Tab. 3.4 Tabellarische Aufstellung der Unterscheidungsmerkmale von Sandsteinschleifspuren und Silexschnitzspuren

Bei der Herstellung der Artefakte kamen verschiedene Methoden zum Einsatz (Abb. 3.10). In den meisten Fällen wurden die entsprechenden Knochen mit Silexklingen zu entsprechenden Rohformen zurechtgeschnitten. Es entstanden dadurch Sägespuren resp. Sägerillen. Anschließend wurde die Rohform auf einem Sandstein zurechtgeschliffen. Sie können aber auch mit Silex geschnitzt oder mit einer Wicklung versehen sein. Zudem können bei der Herstellung von Werkzeugen Knochensplitter entstehen, die als sogenannte Ad-hoc-Werkzeuge noch Verwendung fanden. All diese Informationen und vor allem deren Unterscheidung sind für die Bestimmung der Gebrauchsspuren essentiell.

Die Bedeutung der Knochenwerkzeuge spiegelt sich auch im hohen Aufwand in der Herstellung wider. Leider wird häufig unterschätzt, wieviel Zeit die Herstellung eines Knochenwerkzeuges benötigt. Dabei ist es nicht so einfach, einen Rinderknochen mit einer Kompaktadicke von ca. 1 cm mithilfe einer Sägerille zu zerteilen.

In den folgenden Kapiteln sollen die unterschiedlichen Herstellungsspuren vorgestellt und ihr Aussehen sowie ihre Unterscheidung voneinander beschrieben werdenFootnote 33.

3.3.2.3.1 Sandsteinschleifspuren und Silexschnitzspuren im Vergleich

Beim Herstellen von Knochenwerkzeugen kommen hauptsächlich zwei Methoden zum EinsatzFootnote 34. Zum einen das Schleifen auf einem Sandstein und zum anderen das Schnitzen mit einer Silexklinge. Die Spuren, die bei der jeweiligen Methode entstehen, unterscheiden sich sehr klar voneinander.

Schleifsteine aus Sandstein sind im Neolithikum weit verbreitet. Sie wurden hauptsächlich zum Schleifen der Steinbeile verwendet. Die Schleifspuren an den Knochenartefakten zeigen aber deutlich, dass auch diese hauptsächlich mit Sandsteinen geschliffen wurden. 88 % der Artefakte wurden mit Sandsteinen geschliffen. Auch das Nachschärfen der Werkzeuge erfolgte zumeist mit einem Sandstein. Im Gegensatz zu Silex hat Sandstein eine geometrisch undefinierte SchneideFootnote 35. Der Knochen wird zum Schärfen auf der Fläche hin- und hergerieben. Interessant ist dabei, dass die Laufrichtung der Rillen nicht mit der Schleifrichtung übereinstimmt (Abb. 3.113.12).

Aufgrund der Oberflächenstruktur des Sandsteins entstehen beim Schleifen auf den ersten Blick parallel laufende feine Rillen. Betrachtet man die Schleifrillen jedoch unter dem Stereomikroskop, stellt man fest, dass sie ineinanderlaufen. Die Rillen haben aufgrund der homogenen Korngröße des verwendeten Sandsteins alle dieselbe Tiefe und dieselbe Breite. Durch das Schleifen bleibt die Oberfläche des Knochens sehr rau und matt (Tab. 3.4).

Die Spuren an mesolithischen Knochenwerkzeugen zeigen, dass diese hauptsächlich mit Silexklingen hergestellt und nachgeschärft wurden. Im Neolithikum nimmt diese Praxis stark ab. Nur etwa 1 % der Artefakte wurden mit Silex nachgeschärft. Im Gegensatz zum Sandstein hat Silex eine definierte Schneide. Die Klinge wird mit gezielten Bewegungen über das Knochenwerkzeug geführt. Dadurch entstehen gleichmäßig in Schnitzrichtung zum größten Teil parallel verlaufende Rillen. Allerdings zeigt sich unter dem Stereomikroskop, dass die Rillen sehr unregelmäßige Tiefen und Breiten haben. Im Unterschied zum Sandstein wird die Oberfläche durch das Schnitzen mit der Silexklinge regelrecht poliert und geglättet (Tab. 3.4).

Eigene Versuche zum Schnitzen mit Silexklingen haben gezeigt, dass es nur einen sehr langsamen Fortschritt gibt, da nur sehr feine Späne abgehobelt werden. Zudem wird der Silex sehr schnell stumpf und muss retuschiert werden. Das Zuschleifen mit einem Sandstein ist sehr viel effizienter. Wenn überhaupt, können die Silexklingen zum kurzen Nachschärfen der Schneiden und Spitzen der Knochengeräte verwendet worden sein. Auch die Spuren an den Artefakten legen nahe, dass Silex nur zum Nachschärfen von Spitzen oder zum Sägen verwendet wurde.

Entstehung von unterschiedlichen Schleifrichtungen

In der Literatur werden bei der Einordnung von Knochenartefakten häufig Schleifspuren beschrieben, die in verschiedenen Winkeln zur Längsachse des Werkzeuges verlaufen. Bei diesen Beschreibungen wird angenommen, dass deren Verlaufsrichtung mit der Verwendung zusammenhängtFootnote 36. Da dies nur in einer bisher bekannten Ausnahme der Fall ist, soll hier kurz die Entstehung der verschiedenen Schleifrichtungen erklärt werden. Die Schleifrichtungen hängen ausschließlich von der Größe des Werkzeuges und der Stärke der Kompakta ab. Je größer das Werkzeug und je dicker die Kompakta, desto stärker variieren die Schleifrichtungen, wogegen sie bei einem kleinen Werkzeug und einer dünnen Kompakta nur sehr selten variieren. Der Grund hierfür liegt in der benötigten Kraft und Ausdauer, um ein solches Werkzeug herzustellen. Bei der Herstellung einer Rippenspitze wird kaum Kraft und noch weniger Ausdauer benötigt, weshalb die Schleifrillen in dieselbe Richtung laufen. Dagegen benötigt die Herstellung einer großen Spitze ohne Gelenkende viel Kraft und Ausdauer. Beim Schleifvorgang wird deshalb automatisch die Richtung immer wieder verändert, um so den Abtrag zu erhöhen. Die entstandenen Schleifrichtungen der experimentell hergestellten großen Spitzen ohne Gelenkende entsprachen alle ausnahmslos den verschiedenen Schleifrichtungen an den archäologischen Artefakten. Eine Abhängigkeit der Schleifspuren von der Verwendung der Werkzeuge konnte in keinem Fall beobachtet werden. Sie geben allenfalls noch Auskunft, ob das Gerät geschäftet war (siehe Abschn. 3.3.4.2).

Abb. 3.13
figure 13

Darstellung der Entstehung der verschiedenen Schleifrichtungen bei der Herstellung eines Knochenwerkzeuges. Links ist das Werkzeug in der jeweiligen Schleifposition abgebildet. Rechts sind die Schleifrichtungen dargestellt, die durch diese Position entstehen können. Der Pfeil ganz rechts gibt die Längsrichtung des Werkzeuges an

Die Schleifrichtungen selbst hängen von der Führung des Knochens über den Schleifstein ab. Selbst wenn der Knochen in gerader Linie über den Schleifstein gezogen wird, laufen die Schleifrichtungen, vor allem bei größeren Schleifsteinen und größeren flächigen Überarbeitungen des Werkzeuges, in einem Winkel von 45° zur Längsachse des Werkzeuges. Viele Schleifrichtungen sind auch das Ergebnis effizienten Arbeitens bei der Herstellung eines Werkzeuges. So wird bei einem Werkzeug mit spitz zulaufendem Arbeitsbereich am Ende des Herstellungsprozesses nur noch der Arbeitsbereich über den Schleifstein gezogen. Dabei entstehen die typischen schrägverlaufenden Schleifspuren im Spitzenbereich.

Der Verlauf der Schleifspuren hat also mehrere Ursachen. Die Richtung, in der das Werkzeug über den Schleifstein geführt wird und auch die Größe des Schleifsteins spielen eine Rolle (Abb. 3.13). Nicht zuletzt gibt die Geschwindigkeit, mit der das Werkzeug über den Schleifstein gerieben wird, den ausschlaggebenden Einfluss auf den Verlauf der Schleifspuren. Denn je höher die Geschwindigkeit ist, desto ungenauer wird die Führung des Werkzeuges. So kann es sehr leicht passieren, dass das Werkzeug nicht gerade über den Schleifstein geführt wird, sondern leicht schräg. Dadurch entstehen sehr schnell Schleifspuren, die schräg zur Längsachse des Werkzeuges verlaufen.

3.3.2.3.2 Zerteilen der Knochen

In der Steinzeit gab es verschiedene Möglichkeiten, einen Knochen zu zerteilen. Die verschiedenen Methoden, die sich über die Zeit auch kaum veränderten sowie ihre Häufigkeit sollen im Folgenden erläutert werden.

Sägen mit Silex (Sägerille)

Das Sägen mit Silex ist die wohl am häufigsten verwendete Methode, um einen Knochen zu zerteilen (Abb. 3.14). Dabei wird mit einer Silexklinge eine Sollbruchstelle angelegt, an der der Knochen aufbrechen soll. Es muss darauf geachtet werden, dass die Rille tief genug ist, damit der Knochen nicht unkontrolliert zerspringt. Experimente dazu und der Vergleich mit den Artefakten haben gezeigt, dass auch damals die Sägerillen nicht immer tief genug angelegt wurden und so mehrere Knochensplitter entstanden, die dann meist zu anderen Werkzeugen verarbeitet wurden. So wurde beim Nachbauen eines Knochenwerkzeugs aus einem Reh-Metatarsus die Rille an einigen Stellen nicht tief genug angelegt. Beim Zerteilen zersprang die eine Hälfte in mehrere Bruchstücke (Abb. 3.15). Unter den Bruchstücken gab es zwei Stücke, die lang genug waren, um daraus kleine Spitzen herzustellen. Diese wurden anschließend auch längere Zeit verwendet. Ein Vergleich mit den Knochenartefakten zeigte, dass sich sowohl im Produktionsabfall als auch bei den Knochenspitzen vergleichbare Bruchstücke fanden, die zum Teil ebenfalls zu Knochenspitzen umgearbeitet worden sind (Abb. 3.16).

Abb. 3.14
figure 14

Sägerille beim Herstellen eines Nachbaus. Gut zu erkennen sind die typischen längsverlaufenden Kerben in der Sägerille. Außerdem sind die ebenfalls typischen seitwärts auslaufenden Kerben zu erkennen (Pfeil)

Abb. 3.15
figure 15

Dargestellt ist ein fehlgegangener Trennversuch bei einem Reh-Metapodium. Die Sägerille wurde nicht tief genug angelegt, weshalb der Knochen beim Trennen in mehrere Stücke zerbrach

Abb. 3.16
figure 16

Bei diesem Knochenartefakt (Kn-090-Si) handelt es sich sehr wahrscheinlich um das Bruchstück eines fehlgelaufenen Trennungsversuches. Länge 5,5 cm

Versuche zum Sägen haben gezeigt, dass mit einer scharfen Klinge eine sehr gerade Rille mit scharfen Kanten entsteht. Wenn dagegen die Klinge stumpf ist, gibt es eine wellige Rille mit abgerundeten Kanten und häufigen Fehlschnittspuren am Rand. Ein Großteil der Artefakte wurde mit scharfen Klingen gesägt. Viele weisen aber auch die typischen Fehlschnittspuren auf.

Häufig wird die für das Anlegen einer Sägerille benötigte Zeit völlig unterschätzt. Dabei muss bedacht werden, dass die Zeit exponentiell ansteigt, je dicker die Kompakta ist. Denn die Sägerille muss immer breiter werden, je tiefer sie wird, und entsprechend mehr Material muss abgetragen werden. Das bedeutet, dass die Herstellung einer Sägerille bei einem Rinder- oder Hirschknochen mit einer maximalen Kompaktadicke von 1 cm durchaus 16–20 Stunden benötigen kann.

Schnursäge-Methode

Knochen und Geweih können auch mit Schnur, Quarzsand und Wasser zerteilt werden. Unter den archäologischen Knochen-, Geweih- und Zahnartefakten wurden weniger als 1 % mit einer Schnur zerteilt (Abb. 3.17). Da dies nur einen geringen Teil der Herstellungsspuren ausmacht, wurden hierzu auch vorerst keine Versuche gemacht.

Abb. 3.17
figure 17

Am oberen Ende sind deutlich Schnurspuren an dem Produktionsabfall (Ge-715-Si) zu erkennen (Pfeil). Länge 7,1 cm

Hiebspuren

Hiebspuren kann man vor allem an Geweihen finden, aber auch vereinzelt bei Knochen. Hauptsächlich finden sich die Hiebspuren noch am Produktionsabfall (Abb. 3.18). An Werkzeugen selbst sind die Stellen meist so stark überarbeitet, dass keine Herstellungsspuren mehr zu erkennen sind. Da bei den Knochenartefakten ein sehr geringer Teil zum Produktionsabfall gezählt werden kann, gibt es auch nur wenige, die Hiebspuren aufweisen. Neben den Geweihartefakten (siehe Anhang) fanden sich nur zwei abgetrennte Gelenke mit Hiebspuren. Zu fragen ist nun, von welchem Werkzeug die Hiebspuren stammen. In Betracht kommen drei Werkzeuge: Steinbeil, Knochen-/Geweihbeil oder Kupferbeil. Zwar gibt es in dieser Zeit schon viele Kupfergegenstände, allerdings steht das Kupferbeil aufgrund seiner geringeren Härte Stein- und Knochenwerkzeugen in der Funktionstüchtigkeit noch nach. Bruchstellen an manchen ArtefaktenFootnote 37 zeigen, dass damit härteres oder gleich hartes Material bearbeitet wurde. Dies lässt darauf schließen, dass sich Knochen- und Geweihbeile durchaus zum Abtrennen von Gelenken u.ä. eignen. Allerdings ist die Belastung und damit die Bruchgefahr sehr hoch. Damit die Knochen und auch das Geweih überhaupt bearbeitet werden können, müssen sie entweder sehr frisch oder zuvor in Wasser eingelegt worden sein. Beim Zerschlagen der Knochen und Geweihe oder beim Anlegen von Kerben zum Abtrennen eines Gelenks zeigten die Steinbeile die geringste Beeinträchtigung. Durch die Überprägung der einzelnen Schlagmarken konnte nicht unbedingt auf die Schneidenbreite des Werkzeuges geschlossen werden, mit dem die Kerbe angelegt wurdeFootnote 38.

3.3.2.3.3 Wicklungen und Bindungen

Der Nachweis von WicklungenFootnote 39 oder BindungenFootnote 40 an Werkzeugen ist oft sehr schwierig. Zwar findet man häufig die jeweiligen Stücke, wie einen Holm oder ein Steinbeil bzw. eine Knochenklinge, in den seltensten Fällen aber ein vollständiges Gerät. Gerade bei den kleinen Knochenbeilen ist davon auszugehen, dass viele geschäftet waren, da sie ansonsten nicht nutzbar gewesen wären. Leider gibt es nur sehr wenige Funde von geschäfteten Knochenklingen. Deshalb gelingt der Nachweis einer Schäftung größtenteils nur durch die Schäftungsspuren.

Mit Wicklungen verhält es sich ebenso. Funde von Knochenwerkzeugen mit Wicklungsresten werden selbst im Feuchtboden nur sehr selten gemacht, da Textilien sehr empfindlich und extrem schwer zu bergen sind (Abb. 3.19). Auch hier muss der Nachweis einer Wicklung hauptsächlich über die Gebrauchsspuren gehen. Da sich Leder oder Rohhaut in den Mooren nicht erhält, fehlen jegliche Funde dazu. Auch hier gilt wiederum, dass der Nachweis nur durch die Gebrauchsspuren gelingen kann.

Abb. 3.18
figure 18

Hiebspuren an einem Herstllungsabfall (Kn-025.-Ol). Im unteren Bereich sind deutliche Schlagmarken zu erkennen (Pfeil). Länge 5,8 cm

Für das Experiment wurde deshalb ein Teil der Werkzeuge geschäftet und dabei sowohl mit Rohhaut als auch mit Lindenbast befestigt (Abb. 3.203.21). Für Wicklungen wurde Rohhaut und nicht etwa Leder verwendet, da Leder zu sehr ausleiert. Rohhaut wird nur weich, wenn sie nass ist, und zieht sich mit zunehmender Trocknung wieder fest zusammen. So kann eine mit Rohhaut gewickelte Knochendechsel vor der nächsten Benutzung kurz in Wasser eingelegt und anschließend getrocknet werden, dann sitzt die Wicklung oder Bindung wieder fest. Einziger Nachteil ist in diesem Fall, dass sich bei nassem Wetter oder hoher Luftfeuchtigkeit die Rohhaut lockert. Im genauen Gegensatz dazu stehen Pflanzenfasern. Diese quellen bei hoher Luftfeuchtigkeit auf und ziehen sich damit fest. Deshalb muss man die Wicklung vor Benutzung ebenfalls wässern. Anschließend kann so lange gearbeitet werden, wie die Wicklung noch feucht ist. Danach muss sie erneut gewässert werden. Von Vorteil ist, dass durch das Wässern auch das Holz aufweicht. Damit wird die Klinge nochmals fester auf die Schäftung gespannt.

Bei Bindungen und Wicklungen gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie sie an das Werkzeug angebracht werden. Wicklungen sind meist um den Schaft des Werkzeuges befestigt, um die Führung in der Hand angenehmer zu machen. Dabei entstehen die Gebrauchsspuren hauptsächlich an den Kanten des Artefakts, die einen deutlichen Glanz entwickeln und leicht verrunden. An den Flächen entsteht nur sehr leichter Glanz (Abb. 3.21). Wenn dagegen ein Werkzeug ohne Wicklung verwendet wird, entsteht dort flächig Glanz, wo die Hand das Werkzeug berührt. Zudem ist die Oberfläche des Knochens völlig abgegriffen, d. h. die Kanten wie auch die Poren und andere Oberflächenstrukturen des Knochens sind deutlich verrundet (Abb. 3.22).

Abb. 3.19
figure 19

Lindenbastwicklung an einem Knochenartefakt aus Olzreute-Enzisholz. Aufgrund der Fragilität der Textilien sind Nachweise von Wicklungen an Werkzeugen immer noch etwas Besonderes

Abb. 3.20
figure 20

Rohhautwicklung an einem der nachgebauten Werkzeuge vor dem Gebrauch

Bei einer Schäftung kann es sich entweder um eine einfache Auflagenschäftung handeln oder aber um eine Klemmschäftung. Bei der Auflagenschäftung kann die Knochenklinge nur mit einer Wicklung auf die Auflage gebunden sein. Sie kann aber auch noch mit einem zusätzlichen kleinen Holzstück auf der Oberseite festgebunden sein. Im ersten Fall finden sich nur an der Unterseite Glanzspuren von einer Holzschäftung. An den Seiten und an der Oberseite zeigen sich dagegen Glanzspuren von einer Bindung. Im zweiten Fall sind sowohl an der Ober- als auch an der Unterseite Holzglanzspuren zu erkennen. In diesem Fall sind dann meist keine Bindungsspuren zu sehen, da die Bindung kaum mit dem Knochen in Kontakt kommt. Eine Dechsel mit einem Holzblättchen an der Oberseite wäre von den Gebrauchsspuren nicht von einer Klemmschäftung zu unterscheiden. Durch die Reibung des Knochens auf dem Holz entsteht an den Auflageflächen und Kontaktflächen an der Basis ein klar definierbarer Glanz. Dieser unterscheidet sich durch seinen charakteristischen Querschnitt deutlich von anderen Glanzspuren (Abb. 3.23). Durch die schmirgelnde Wirkung der Holzfasern wird mit jeder Bewegung des Knochens ein wenig Material abgetragen. Deshalb verrunden die Schleifspuren trotz der immer geringer werdenden Tiefe nicht, sondern entwickeln stattdessen scharfe Kanten. Bei allen anderen Glanzspuren verrunden die Kanten der Schleifspuren. Die sogenannten Holzglanzspuren sind absolut charakteristisch und können jederzeit bestimmt werden.

Abb. 3.21
figure 21

An dem Knochenwerkzeug ist an den seitlichen Kanten deutlich Glanz zu erkennen, der durch die Wicklung entstanden ist. Auf der Schaftfläche ist der Glanz nur ganz leicht zu beobachten

Abb. 3.22
figure 22

Spuren am Schaft durch das direkte Halten des Werkzeuges ohne Wicklung dazwischen. Deutlich zu erkennen rechts die stark glänzende Fläche, wo die Hand den Knochen berührt hat. Die Kante zwischen Griff und unberührter Oberfläche ist sehr klar zu erkennen (Pfeil)

Abb. 3.23
figure 23

Verschiedene Querschnitte der Schleifspuren je nach Gebrauch

3.3.3 Werkstoffe

3.3.3.1 Holz

Schon vor Beginn der ersten Experimente zur Bearbeitung von Holz wurden häufig Zweifel laut, ob man mit Knochenwerkzeugen überhaupt dieser Werkstoff bearbeiten könne und ob die Werkzeuge nicht sofort zerspringen würden. Allenfalls die Bearbeitung von Weichholz hielten viele für möglich. Deshalb waren wir dann auch beim ersten Versuch, Holz zu bearbeiten, sehr vorsichtig und schlugen lieber lediglich mit halber Kraft auf die Knochenwerkzeuge. Diese ersten Versuche fanden 2012 im Rahmen der Ergersheimer ExperimenteFootnote 41 statt, die damals zum Ziel hatten, den Brunnen von ­AltscherbitzFootnote 42 nachzubauen. Mittlerweile wurden die Fragestellungen auch auf jüngere Funde und Befunde ausgeweitet. Da der Brunnen von Altscherbitz aus Eiche gebaut worden ist, wurden für das Experiment auch Eichen verwendet. Wir waren erstaunt, wie gut die Knochenwerkzeuge standhielten. Schon nach kurzer Zeit schlugen wir mit voller Kraft zu und selbst dann gingen die Knochenwerkzeuge nicht zu Bruch. Seit mittlerweile fünf Jahren (Stand 2017) sind die Knochenwerkzeuge nicht nur bei den Ergersheimer Experimenten im Einsatz, sondern auch bei mehreren Vorführungen in verschiedenen Museen. In dieser Zeit hatten wir die unterschiedlichsten klimatischen Bedingungen von fast 20 °C bis hin zu –3 °C und Eiskristallen im Holz der Bäume. Dabei wurde schnell klar, dass zwischen +3 und −3 °C mit Knochenwerkzeugen – wie im Übrigen auch mit Steinwerkzeugen – nicht gearbeitet werden kann. Durch die kalten Temperaturen wird das Material sehr spröde und bricht bereits bei leichtem Druck. Dagegen macht Hitze den Werkzeugen nichts aus, wobei sie dennoch nicht unter direkter Sonneneinstrahlung gelagert werden sollten, da sie ansonsten das Fett verlieren, das dem Knochen die Elastizität verleiht. Die Elastizität der Knochen kann durch regelmäßiges Ölen wiederhergestellt oder erhalten werden. Dafür wurden einzelne Knochenwerkzeuge regelmäßig mit naturbelassenem kaltgepresstem Leinöl eingerieben. Bereits nach dem ersten Einölen färbte sich der Knochen gelblich. Wurde die Schneide mit eingeölt, verschwand die gelbliche Färbung nach der ersten Überschleifung. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Öl nur oberflächlich einzieht. Anfangs wurden die Knochenwerkzeuge wöchentlich geölt, aber sie nahmen schon nach einmaligem Ölen kaum mehr etwas auf. Selbst bei monatlichem Ölen änderte sich an der Aufnahme nichts. Deshalb wurde dann versucht, ob sich die Aufnahme des Öls nach dem Werkzeuggebrauch erhöht, aber dies konnte auch nicht bestätigt werden. Demnach müssen die Artefakte nicht sehr häufig geölt werden, da die Aufnahme wohl begrenzt ist. Spuren, wie Glanz oder Politur, die durch das Einölen entstanden wären, konnten in keinem Fall beobachtet werden. Da das Einreiben nur selten angewendet werden muss, ist anzunehmen, dass der Nachweis nur über eine chemische Analyse gelingen kann, wie Jorge E. SpangenbergFootnote 43 an den Knochen- und Geweihartefakten aus Zürich-Opéra nachweisen konnte.

Mittlerweile wurden die verschiedensten Arten von Eichenholz verarbeitet: frisch geschlagene Eiche, ein Jahr abgelagerte und im Schatten gelegene Eiche, ein Jahr abgelagerte und gewässerte Eiche, acht Jahre abgelagerte trockene Eiche und acht Jahre abgelagerte Eiche, die vor der Bearbeitung ein Jahr gewässert wurde. Alle Arten konnten mit den Knochenwerkzeugen noch bearbeitet werden. Allerdings stellte die acht Jahre alte trockene Eichenbohle eine hohe Belastung für die Knochenwerkzeuge dar, die vor allem den Arbeitsbereich in Mitleidenschaft zog. Dieser war bereits nach wenigen Schlägen eingedrückt. Feuchtigkeitsmessungen ergaben, dass die gewässerten Eichenbohlen im Inneren feuchter waren als die frisch geschlagenen und gespaltenen Bohlen. Dementsprechend leichter ließen sie sich bearbeiten. Vor allem bei den zum Teil hohen Außentemperaturen trockneten die Bohlen innerhalb weniger Stunden aus und man merkte bei der Arbeit deutlich, wie die Knochenwerkzeuge immer schwerer in das Holz eindrangen. Aber es ist durchaus vorstellbar, dass das Holz auch damals schon gewässert wurde, um es leichter bearbeiten zu können. Ansonsten ist davon auszugehen, dass meistens Grünholz verarbeitet wurde.

Bei der Holzbearbeitung sind vor allem Werkzeuge zum Stechen und zum Schlagen notwendig. Deshalb kamen drei verschiedene Werkzeugtypen zum Einsatz: massiver Meißel mit Gelenkende (Typ 4/13), massiver Meißel oder meißelförmiges Beil (Typ 4/3 und 4/2) und Beile (Typ 4/1), die als Dechsel mit einem spitzen Winkel oder mit einem stumpfen Winkel von 115°, entsprechend den Funden von Altscherbitz und Erkelenz-KückhofenFootnote 44, geschäftet waren (Abb. 3.24) und auch so verwendet wurden. Es wurden Versuche mit kleinen Beilen gemacht, die in Griffschäftungen gesteckt waren. Allerdings konnte hier die Bindung nicht fest genug angezogen werden, weshalb sie eher bei Arbeiten mit weniger Druck, wie etwa Rindenbearbeitung, verwendbar waren. Alle Meißel wurden als Beitel mit einfachen Holzklöpfeln verwendet, weshalb im Folgenden von Beiteln gesprochen wirdFootnote 45. Mit den drei Werkzeugtypen kann das Spektrum der Feinarbeit an Holz ganz gut abgedeckt werden. So kann der Dechsel zum Abnehmen größerer Bereiche oder zur Oberflächenbearbeitung hergenommen werden. Mit den Beiteln können Verkämmungen, Verzapfungen sowie jegliche Gefäße, Schöpfkellen, etc. hergestellt werden (Abb. 3.25). Mit einem Beitel kann ein 6 × 6 × 4 cm großes Loch in weniger als einer Stunde ausgestemmt werden. Wurde das Holz zuvor gewässert, geht es noch etwas schneller. Dabei muss das Werkzeug in der Regel alle 20 Minuten kurz nachgeschärft werden. Zwar hat die Schneide relativ schnell eine Stumpfheit erlangt, die sich bei weiterer Benutzung nicht mehr verändert. Allerdings muss man bei längerer Verwendung mehr Zeit beim Nachschliff aufwenden. Daher empfiehlt es sich aus arbeitstechnischer Sicht, regelmäßig nachzuschleifen, um den Fluss nicht zu unterbrechen, und weil es sich mit einem scharfen Werkzeug zudem wesentlich leichter arbeiten lässt.

Beim Arbeiten mit Knochenwerkzeugen an Holz wurden diese mit den unterschiedlichsten Haltewinkeln angewandt. Diese Winkel sind abhängig vom herzustellenden Produkt und der Physiognomie des Werkezeugs und bewegen sich im Rahmen von 10°–170°. Beispielsweise muss das Werkzeug zum Ausstechen eines Zapfloches in einem anderen Winkel gehalten werden als zum Herausarbeiten des zugehörigen Zapfens.

Abb. 3.24
figure 24

Abbildung der Repliken, die für die Bearbeitung von Holz verwendet wurden. Unter den Werkzeugen finden sich unterschiedliche Größen an Beiteln, die teilweise mit und zum Teil ohne Gelenkende sind. Außerdem wurden auch Knochendechsel verwendet

Entgegen den anfänglichen Bedenken, ob die Knochenwerkzeuge der harten Belastung überhaupt standhalten, erwiesen sie sich als hervorragend zur Bearbeitung von Holz. Vor allem im Feinbereich gibt es meines Wissens kaum eine Alternative zu Knochen- und Geweihwerkzeugen. Versuche zur Feinarbeit mit Steinbeilen während der Ergersheimer Experimente 2015 haben deutlich gezeigt, dass ein kleiner schmal-hoher Dechsel nicht effektiv genug ist, um ein Zapfloch auszuschlagen. Als Beitel verwendete schmale Silexbeile eignen sich hervorragend für diese Arbeiten, allerdings beschränkt sich deren Verbreitung hauptsächlich auf den nordeuropäischen Raum. Versuche mit handgeschäfteten Steinbeilen stehen noch aus. Allerdings ist hier wie auch bei den Knochenwerkzeugen der Nachweis von Handschäftungen sehr schwierig. Funde wie Griffschäftungen aus GeweihFootnote 46 legen dagegen nahe, dass es Handschäftungen gegeben hat.

Abb. 3.25
figure 25

Verschiedene Werkzeuge bei der Verwendung von Holz. Links ein Beitel, der aus einem Knochenspan hergestellt wurde. Der Schlag des Klöpfels erfolgt direkt auf die Basis. Das Werkzeug hat schon viele Arbeitsstunden hinter sich gebracht, arbeitet aber immer noch vorzüglich. Rechts Nahaufnahme, wie der Knochenbeitel einen Teil des Holzes für eine Verkämmung entfernt

3.3.3.2 Rinde

Zur Herstellung von Rindengefäßen muss zunächst die Rinde gewonnen werden. Dies geht nur in einem relativ kurzen Zeitraum, wenn der Baum voll im Saft steht. Funde aus Rindengefäßen aus südwestdeutschen Feuchtbodensiedlungen belegen, dass diese teilweise aus Lindenrinde gefertigt wurdenFootnote 47. Deshalb wurden für die Experimente vor allem Linden geschält. Dies diente außerdem auch zur Lindenbastgewinnung.

Für das Herstellen von Rindengefäßen wurde ausschließlich sibirische Birkenrinde verwendet. Soweit die Rindengefäße aus den Feuchtbodensiedlungen untersucht und bestimmt werden konnten, war dort hauptsächlich Linde, zum Teil auch Kirsche oder Pappel verwendet worden. Da es bezüglich der Verarbeitung der verschiedenen Rinden kaum Unterschiede gibt, wurde aufgrund der leichteren Verfügbarkeit ausschließlich Birkenrinde verwendet. Anfängliche Versuche, die Rinde vor der Verarbeitung zu wässern, wurden schnell aufgegeben, da sie sich nach erneutem Trocknen dauerhaft einrollt. Zudem reißt sie sehr leicht aus, wenn sie nass ist. Stattdessen wurde die Rinde trocken verarbeitet. Im Gegensatz zu anderen Rindenarten lässt sich Birkenrinde auch noch im trockenen Zustand biegen ohne zu brechen. Rinden wölben sich beim Trocknen nach außen, so dass die Außenseite innen liegt. Dem muss man beim Herstellen von Gefäßen folgen, da die Rinde ansonsten bricht. Bei allen Rindenstücken wurde außerdem die äußersten Schichten abgezogen.

Abb. 3.26
figure 26

Hier sind die Repliken abgebildet, die zum Herstellen von Rindengefäßen verwendet wurden. Das linke Werkzeug wurde auch beim Schälen der Rinde verwendet. Bei diesem Werkzeug entstanden dadurch an verschiedenen Stellen unterschiedliche Gebrauchsspuren

Abb. 3.27
figure 27

Links: Heraustrennen der Form für ein Rindengefäß mit einem kleinen Knochenbeil, das in einer Griffschäftung steckt. Zuvor wurden mit einer Knochenspitze die Umrisse eingeritzt. Rechts: Bohren der Löcher mit einer flach-spitz zugeschliffenen Knochenspitze. Durch das Bohren reißen die Löcher nicht aus

Bei der Verarbeitung von Rinde und der Herstellung von Rindengefäßen werden Werkzeuge zum Stechen, Ritzen, Schaben und Drehen/Bohren benötigt. Deshalb kamen vier verschiedene Werkzeuge zum Einsatz (Abb. 3.26): ein Beil (Typ 4/1), das mit einer Griffschäftung verwendet wurde und deshalb im Folgenden auch als Beitel angesprochen wird, ein massiver Meißel mit Gelenkende (Typ 4/13) und eine Spitze aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit Gelenkende (Typ 1/1), die im Gegensatz zur üblichen Schneide nicht rund, sondern flach angeschliffen wurde, und eine Spitze aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer (Typ 1/2) (Abb. 3.26). Das Beil kam zuvor auch schon bei der Herstellung der Rindengefäße zum Einsatz. Grundsätzlich können aber auch dieselben Beitel wie bei der Holzbearbeitung verwendet werden.

Die einzelnen Gefäßteile und auch die Löcher wurden mit der Spitze aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer angezeichnet. Zunächst wurde versucht, die Gefäßteile mit einer Silexklinge herauszutrennen. Das funktionierte weniger gut, da die Klinge nur schwer und mit viel Kraftaufwand in die Rinde eindrang. Stattdessen wurden die Gefäßteile mit dem Beitel herausgestemmt (Abb. 3.27 links). Dies ging schnell und effektiv. Das Werkzeug wurde dabei in einem Winkel von 90° ± 5° verwendet. Die Kanten wurden anschließend mit einem Sandstein überschliffen. Die Löcher wurden zuerst versuchsweise mit einem Pfriem durchgeschlagen. Als Unterlage diente ein Holzbrett. Da die so entstandenen Löcher leicht ausbrachen und daher mindestens 1 cm vom Rand entfernt sein müssen, wurde nach weiteren Möglichkeiten gesucht, zumal auch die Löcher der archäologischen Vergleichsstücke näher am Rand platziert sind. Da es im archäologischen Material auch Knochenspitzen gibt, die flach angeschliffen worden sind, wurden solche Werkzeuge ausprobiert (Abb. 3.26; Artefakt in der Mitte). Die Bruchstellen im Arbeitsbereich zeigen, dass die Druckrichtung nur von einer Seite kam. Deshalb wird angenommen, dass das Werkzeug in der Benutzung gedreht wurde, also als eine Art Bohrer fungierte. Der Bohrer arbeitet sehr schnell und effektiv. Die erzeugten Löcher sind kreisrund und reißen kaum aus, somit können sie auch in einem Abstand von 0,5 cm vom Rand entfernt gebohrt werden (Abb. 3.27). Das Werkzeug wurde ebenfalls in einem Winkel von 90° ± 5° verwendet. Leider konnten diese Ergebnisse an den originalen Rindengefäßen nicht überprüft werden, da sie bisher nur ungenügend veröffentlicht sind (Stand 2018). Genauso wie beim Pfriem müssen die Löcher von beiden Seiten noch geweitet werden. Beim Vernähen der einzelnen Teile kam wiederum die kleine Spitze aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer als Fädel-Hilfe zum Einsatz, wobei es keine Rolle spielt, ob dabei Baststreifen oder Zwirn verwendet wird.

Mittlerweile wurden mehrere Gefäße ausschließlich mit Knochenwerkzeugen hergestellt. Dabei wird immer deutlicher, wie schnell ein solches Gefäß hergestellt werden kann. Beispielsweise kann die Nachbildung des größeren Rindengefäßes, das bei dem GletschermannFootnote 48 gefunden worden war, innerhalb von ca. 6 Stunden fertiggestellt werden. Der Vorteil von Rindengefäßen ist, dass sie sehr leicht und damit auch gut zu transportieren sind, außerdem können sie leicht wasserdicht gemacht werden.

3.3.3.3 Leder

Leder war im Jung- und Endneolithikum trotz des bereits vorhandenen Leinens mit Sicherheit einer der wichtigsten Werkstoffe für Kleidung. Das berühmteste Beispiel ist wohl die Kleidung der Gletschermumie aus den Ötztaler AlpenFootnote 49. Aufgrund der schlechten Erhaltungsbedingungen von Leder in Feucht- und Mineralbodensiedlungen gibt es allerdings kaum Nachweise. Daher muss der Nachweis von Lederbearbeitung indirekt über die Werkzeuge geführt werden.

Für das Anritzen der einzelnen Teile für eine Tasche aus Leder und das Stechen der Löcher wurden verschiedene Typen von Knochenspitzen verwendet (Abb. 3.28): Spitzen aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit distalem Gelenkende (Typ 1/1) und Spitzen aus Teilen von Metapodia kleiner Wiederkäuer (Typ 1/2; Abb. 3.29).

Um einen möglichen Arbeitsprozess bei der Herstellung eines Gegenstandes aus Leder vollständig nachzuvollziehen, wurde eine Ledertasche gefertigt. Dazu wurden zuerst mit den Knochenspitzen die Umrisse auf dem Leder eingeritzt. Anschließend wurden die Stücke mit einer Silexklinge herausgeschnitten. Zum Vernähen der einzelnen Stücke miteinander müssen nun zuerst Löcher gestochen werden. Dabei stellt sich immer die Frage, ob diese von Hand gestochen oder mithilfe eines Klöpfels durchgeschlagen wurden. Eigene Versuche dazu haben ergeben, dass wesentlich mehr Kraft beim manuellen Durchstechen der Löcher aufgewendet werden muss. Allerdings sind die Löcher dann schon geweitet. Der Kraftaufwand ist hierbei abhängig von der Dicke des Leders. Je dicker das Leder ist, desto schwieriger ist es, die Löcher manuell durchzustechen. Das Durchschlagen der Löcher ist wesentlich effizienter, da es ohne großen Kraftaufwand gelingt und deutlich schneller ist. Auch unterscheidet sich der Kraftaufwand bei einem dicken Leder nur unwesentlich von einem dünnen Leder. Druckstellen an der Basis von einigen archäologischen Knochenartefakten zeigen, dass auf diese auch geschlagen wurde. Das Werkzeug wurde in einem Winkel von 90° ± 5° verwendet. Das Durchschlagen der Löcher erfolgt ebenfalls auf einem Holzbrett (Abb. 3.30 rechts). Durch den Druck kann sich die Spitze im Holz verkanten und abbrechen. Ist sie nur leicht ausgebrochen, kann sie weiterverwendet werden. Im Gegensatz zum manuellen Arbeitsprozess müssen die durchgeschlagenen Löcher noch geweitet werden. Trotzdem ist das Durchschlagen effizienter als das manuelle Durchstechen.

Abb. 3.28
figure 28

Bei der Bearbeitung von Leder kamen ausschließlich Knochenspitzen zum Einsatz. Dabei wurden sowohl halbierte Schaf- und Rehmetapodien mit proximalem Gelenkende (beide oberen Werkzeuge) als auch kleine Bruchstücke (unten), die als Spitze umgearbeitet wurden, verwendet. Bei beiden wurde auf die Basis mit einem Holzklöpfel geschlagen

Abb. 3.29
figure 29

Eine der Knochennadeln, die zur Bearbeitung von Leder verwendet wurde. Im Schaftbereich, wo der Daumen die Knochenoberfläche berührt, zeigte sich nach einiger Zeit ein deutlicher Handglanz

Nach dem Stechen der Löcher wird der Riemen (Leder oder Bast) mithilfe der Knochenspitze durchgefädelt (Abb. 3.30 links). Sie ermöglicht ein schnelles und zügiges Arbeiten. Beim Fädeln franst der Lederriemen – anders als zu erwarten war – nicht aus, sondern wird stattdessen etwas speckig und starr.

Es hat sich gezeigt, dass bei der Herstellung von Gegenständen aus Leder neben Knochenwerkzeugen auch andere Werkzeuge wie Silexklingen benötigt werden. In den Bereichen, in denen die Knochenwerkzeuge verwendet werden können, arbeiten sie jedoch schnell, effizient und ohne großes Nachschleifen.

3.3.3.4 Geweih

Geweih ist ähnlich wie Knochen oder auch trockenes Holz ein sehr hartes und zähes Material. Auch die Herstellungsspuren an den Artefakten zeigen, dass häufig mit hohem Druck (Hiebspuren) oder mit Ausdauer (Schnurspuren) gearbeitet wurde. Gerade beim Abtrennen einzelner Geweihpartien stellt sich die Frage, mit welchen Werkzeugen dies gemacht wurde.

Abb. 3.30
figure 30

Die Knochennadeln wurden sowohl zum Stechen der Löcher in das Leder genutzt als auch zum Vernähen der Einzelstücke. Dabei musste der Lederriemen mit der Knochennadel durch das Loch gedrückt werden

Für die Experimente wurden Abwurfstangen verwendet, die nach 2007 gesammelt worden waren, die also schon getrocknet, aber dennoch noch relativ frisch waren. Um das Geweih etwas weicher zu bekommen, wurde es sechs Wochen vor der Bearbeitung in Wasser eingelegtFootnote 50. Für die Bearbeitung des Geweihs wurden zwei verschiedene Werkzeuge verwendet: ein als Dechsel geschäftetes Knochenbeil und ein Röhrenbeitel, wie er auch für Holz und Rinde verwendet wird. Grundsätzlich können dieselben Meißel und Beile wie bei der Holzbearbeitung verwendet werden.

Der Rippenmeißel, der für die Bearbeitung von Geweih verwendet wurde, stammt aus dem proximalen Bereich der Diaphyse und wurde zuvor zur Bearbeitung von Holz verwendet (Abb. 3.31). Dort hat sich bereits gezeigt, dass das Gerät stabil genug ist, auch härtere Materialien zu bearbeiten. Bei der Bearbeitung von Geweih zeigte sich sehr schnell, dass trotz des langen Einweichens nur die äußeren Schichten des Geweihs leichter zu bearbeiten waren, danach musste das Geweih wieder einige Zeit eingeweicht werden. Bereits nach mehreren Schlägen waren deutliche Aussplitterungen im Arbeitsbereich zu beobachten (Abb. 3.32). Bei längerer Bearbeitung brach der Arbeitsbereich komplett aus. Diese Fragmentierung kann durch ständiges Einweichen des Geweihes vermieden werden. Allerdings wird dadurch der Arbeitsprozess sehr langwierig. Es ist zu vermuten, dass frische Abwurfstangen, ähnlich wie frische Knochen, leichter zu bearbeiten sind. Versuche dazu wurden von Jörg Schibler durchgeführtFootnote 51. Aber selbst die frischen Geweihstangen müssen dann bei der Verarbeitung eingeweicht werden. Das Herausstemmen eines Loches in der Spongiosa dagegen stellt keine große Beanspruchung für das Werkzeug dar.

Abb. 3.31
figure 31

Für die Bearbeitung von Geweih kam unter anderem dieser Rippenmeißel zum Einsatz, der als Dechsel geschäftet, verwendet wurden

Abb. 3.32
figure 32

Rippenmeißel bei der Bearbeitung von Geweih. Bereits nach kurzer Zeit splitterte der Arbeitsbereich aus

Der massive Meißel mit Gelenkende wurde auf die gleiche Weise für die Geweihbearbeitung verwendet wie der Rippenmeißel. Er zeigte nach derselben Zeit und unter denselben Umständen die gleichen Spuren im Arbeitsbereich.

Am Geweih sind durch die Knochenwerkzeuge durchaus Hiebspuren entstanden. Diese zeigen jedoch nicht dieselbe Stärke, wie sie an den Geweihartefakten zu finden sind. Ob diese Hiebmarken eher durch Steinwerkzeuge als durch Knochenwerkzeuge entstanden sind, kann zum derzeitigen Stand der Untersuchung nicht geklärt werden, wäre aber durchaus denkbar.

Es hat sich bei den Versuchen deutlich gezeigt, dass die Knochenwerkzeuge an ihre Grenzen kommen, sobald sie gleich hartes oder härteres Material bearbeiten müssen. Um mit den Knochenwerkzeugen Geweih bearbeiten zu können, muss das Geweih ständig für kurze Zeit wieder in Wasser gelegt werden. Dadurch zieht sich die Herstellung eines jeglichen Gerätes aus Geweih sehr stark in die Länge. Deshalb ist nicht zuletzt auch aufgrund der hohen Stressbelastung des Werkzeuges anzunehmen, dass Geweih eher mit anderen Werkzeugen bearbeitet wurde, beispielsweise mit Steinbeilen.

3.3.3.5 Pflanzenfasern (Brennnessel/Lein/Bast)

Im Neolithikum wurden sehr viele verschiedene Pflanzenfasern verwendet. Bei den Experimenten wurde deshalb neben den gängigsten – Lein und Lindenbast – mit der Brennnessel eine eher selten nachgewiesene Pflanzenfaser mit den Knochenwerkzeugen bearbeitet (Abb. 3.33).

Brennnessel:

Ähnlich wie beim Lein finden sich die feinen Fasern in der Rinde. Allerdings lösen sich die feinen Fasern schwerer vom Stängel als beim Lein. Deshalb sollten die Fasern entweder im frischen Zustand geerntet werden, wobei die Rinde vom Stängel abgezogen wird und nach dem Trocknen gebrochen und geschwungen wird. Oder sie werden genauso wie beim Lein mit Tauröste und allen folgenden Verarbeitungsschritten gewonnen. Für meine Versuche wurden die Fasern frisch gewonnen, da die Zeit für eine gleiche Verarbeitung wie Lein nicht ausreichte und es zudem nur einen kurzen Zeitraum im Sommer gibt, in dem die Brennnesseln geerntet werden können, bevor sie Seitentriebe ausbilden. Die hier vorkommende Nessel hat zudem nicht viele der feinen Fasern. Zum Herstellen eines Stoffes würde man Unmengen an Brennnesseln brauchen. Heutzutage gibt es – wie auch beim Lein – spezielle Züchtungen, die einen hohen Faseranteil haben.

Nach dem Ernten wurden zunächst die Blätter abgestreift. Da es sehr schwierig war, die Rinde vom Stängel zu lösen, wurde dieser mit einem meißelförmigen Beil (Typ 4/2) in einem flachen Winkel aufgetrennt (Abb. 3.34). Ein Auftrennen der Stängel von Hand ist durchaus möglich, aber aufgrund der Brennhaare sehr schmerzhaft. Mit dem meißelförmigen Beil gelang das Spalten der Stängel einfach und schnell. Auch beim anschließenden Abziehen der Rinde half das meißelförmigen Beil. Beispielsweise konnten damit einzelne Rindenbahnen, die am Stängel haften blieben, abgelöst und wieder aufgenommen werden. Von dünneren Stängeln löste sich die Rinde viel schwerer als von dickeren.

Abb. 3.33
figure 33

Darstellung der für Pflanzenfasern verwendeten Werkzeuge. Die beiden oben bzw. unten liegenden Teile wurden für die Herstellung von Flachs verwendet. Das obere diente zum Rippen der Fasern, wogegen der Rippenhechel unten zum Riffeln und Hecheln verwendet wurde. Das Werkzeug in der Mitte wurde zum Aufspalten der Brennesselstängel verwendet

Nach dem Trocknen wurden die Stängel gebrochen und geschwungen. Dabei entstehen ganz feine kurze Schäben. Erst nach einer leichten Röste lösen sich die holzigen Reste vollständig ab. Dennoch können die Fasern schon zuvor zu Schnüren verzwirnt werden und besitzen eine hohe Haltekraft. Durch das vorhergehende Brechen und Schwingen werden die holzigen Reste an den Fasern weich und brechen deshalb beim Verzwirnen nicht mehr. Trotzdem sollte die Schnur im feuchten oder nassen Zustand gezwirnt werden, da dies die Bruchgefahr deutlich reduziert. Allerdings dreht sich die Schnur beim Trocknen wieder auf, wodurch sie wieder stark an Stabilität verliert.

Der hohe Zeitaufwand und die geringe Ausbeute bei der Brennnessel sind mit Sicherheit ein Grund dafür, weshalb sie nicht allzu häufig verarbeitet worden sein dürfte.

Lindenbast

Die Gewinnung von Lindenbast ist relativ aufwendig. Nach dem Abschälen der Rinde muss diese noch über mehrere Wochen in Wasser eingelegt werden, damit sich die einzelnen Bastlagen voneinander trennen lassen. Wird die Rinde in einem stehenden Gewässer gerottet, muss danach der entstandene Schleim von den einzelnen Streifen gewaschen werdenFootnote 52. Zur Gewinnung von Lindenbast eignen sich vor allem jüngere Bäume oder Stockausschläge. Deren Baststreifen sind weich und lassen sich leicht verzwirnen. Der Bast von alten Bäumen löst sich zum einen schlechter voneinander und zum anderen ist er starrer. Bast wird am besten im Juni oder Juli gewonnen, wenn der Baum voll im Saft stehtFootnote 53.

Abb. 3.34
figure 34

Um die Rinde der Brennnesseln abzuziehen, wurde der Stängel zuvor mit einem Knochenbeitel aufgetrennt. Dies erleichterte die Arbeit ungemein und die Rinde konnte sauber vom Stängel geschält werden

Abb. 3.35
figure 35

Abbildung der beiden Werkzeuge, die zum Rindenschälen verwendet wurden. Bei dem unteren handelt es sich um eine Replik des Artefakts aus Olzreute-Enzisholz, bei dem ein Teil der Wicklung aus Lindenbast erhalten ist

Zum Schälen der Rinde werden Werkzeuge zum Ritzen, Spalten und Schaben benötigt. Deshalb wurde mit drei verschiedenen Werkzeugtypen gearbeitet: ein Beil (Typ 4/1), das mit einer Griffschäftung verwendet wurde, ein massiver Meißel mit Gelenkende (Typ 4/13) und eine Spitze aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit Gelenkende (Typ 1/1). Das Beil kam zuvor auch schon bei der Herstellung der Rindengefäße zum Einsatz. Der massive Meißel mit Gelenkende wurde einem archäologischen Knochenartefakt aus Olzreute-Enzisholz nachgebaut, an dem noch Reste einer Wicklung zu erkennen waren, weshalb er auch mit einer Lindenbastschnur umwickelt wurde (Abb. 3.35). Zum Anritzen der Rinde wurde die Spitze aus Metapodia kleiner Wiederkäuer mit Gelenkende verwendet. Dies erleichterte zwar die Arbeit, ist aber nicht unbedingt nötig, um die Rinde abzuziehen. Dies kann auch mit den anderen Werkzeugen gemacht werden. Deshalb wurde die Spitze bei Folgeversuchen auch nicht mehr weiterverwendet.

Abb. 3.36
figure 36

Um Lindenbast zu gewinnen, wurde ein kleines Knochenbeil in einer Griffschäftung zum Abschälen der Rinde verwendet

Zum Ablösen und zur Unterstützung, wenn der Bast am Splint kleben blieb, wurden das Beil mit Griffschäftung und der massive Meißel mit Gelenkende mit Wicklung verwendet (Abb. 3.36). Zum Abschälen der Rinde wurden die Werkzeuge in einem flachen Winkel unter die Rinde geschoben und um den Ast bzw. Stockausschlag geschoben. Ab einem gewissen Punkt sprang die Rinde dann von selbst ab und konnte zum großen Teil mit der Hand abgezogen werden. Beide Werkzeuge arbeiteten prinzipiell sehr effizient. Allerdings war die Arbeit mit dem Beil in der Klemmschäftung etwas hakeliger. Das Beil lässt sich nicht so fest in die Schäftung spannen, dass es sich nicht mehr bewegen kann. Deshalb musste das Werkzeug immer so gehalten werden, dass das Beil mit der Hand stabilisiert wurde, um ein Verrutschen zu verhindern. Der massive Meißel mit Gelenkende mit Wicklung dagegen arbeitete ohne jegliche Probleme. Alle Werkzeuge mussten nur selten nachgeschliffen werden, da die Schneide nur beim ersten Anritzen oder Abheben der Rinde beansprucht wurde. Beim Auslösen kam das Werkzeug hauptsächlich am oberen Ende des Arbeitsbereiches und am Schaft mit der Rinde in Kontakt.

Nach der Rottung und anschließenden Trocknung der einzelnen Baststränge können die einzelnen Streifen auch im trockenen Zustand verzwirnt werdenFootnote 54. Auch wenn die trocken gezwirnten Bastschnüre nass werden, drehen sie sich nicht auf. Stattdessen quillt die Faser auf und die Schnüre ziehen sich dadurch fest. Bei Wicklungen ist dies ein sehr großer Vorteil gegenüber der RohhautFootnote 55. Im Gegensatz zur Rohhaut ziehen sich Lindenbastschnüren bei hoher Luftfeuchtigkeit oder auch bei Regen erst richtig fest. Deshalb kann mit Lindenbastwicklungen auch bei schlechtem Wetter gearbeitet werden. Welches Material häufiger für Wicklungen verwendet wurde, kann leider nicht gesagt werden, da sich Rohhaut, wie Leder auch, in den Moorsiedlungen nicht erhalten hat.

Die Verarbeitung von Lein beziehungsweise das Herstellen von Flachs

Lein unterscheidet man prinzipiell in Faser- und Öllein. Es ist inzwischen schwierig, Faserlein zu bekommen, der nicht vorher chemisch behandelt wurde. Deshalb wurde der Lein, der für das Experiment benötigt wurde, selbst angebaut. Nach der Ernte wurden die Bündel für mehrere Wochen auf dem Feld belassen, bis die Stiele durch die Tauröste angerottet waren.

Für die Herstellung von Flachs muss je nach gewünschter Qualität mit den Werkzeugen gekämmt und gestrichen werden. Je feiner, desto stärker und länger muss der Flachs bearbeitet werden. Deshalb wurden zwei verschiedene Knochenwerkzeuge verwendet: Hechelzähne (Typ 1/11), wie sie zusammengebunden aus der Feuchtbodensiedlung Nidau (Abb. 3.38) bekannt sindFootnote 56, und ein Messer (Typ 10) (Abb. 3.37 und 3.38).

Abb. 3.37
figure 37

Für die Herstellung von Flachs kommen die unterschiedlichsten Werkzeuge zum Einsatz; Da nicht alle aus Knochen hergestellt werden konnten, ist hier auch ein Schwingschwert aus Holz abgebildet. Nachweise eines solchen Werkzeuges fehlen bisher noch aus dem Neolithikum

Der Lein musste zur Herstellung von Flachs nach der Rottung geriffelt, gebrochen, gehechelt und gerippt werden. Dabei wurde schnell klar, dass gerade zum Brechen keine Knochenwerkzeuge in Frage kommen (Abb. 3.37, ganz links). Ebenso gibt es auch bei allen anderen Arbeitsgängen durchaus Werkzeuge, beispielsweise aus Holz, die genauso effektiv arbeiten wie die Knochenwerkzeuge.

Die Rippenhechel wurde sowohl zum Riffeln, also zum Entfernen der Samenkapseln vom Stängel, als auch zum Hecheln, dem Trennen der langen Fasern vom Werg (kurze Fasern), verwendet. Das Riffeln funktionierte an sich sehr gut. Die Samenkapseln ließen sich mit der Hechel leicht vom Stiel lösen. Wenn man allerdings bedenkt, dass mit diesen Werkzeugen Unmengen an Lein verarbeitet werden mussten, scheinen die Rippenhechel für das Riffeln aufgrund des relativ hohen Arbeitsaufwandes eher ungeeignet. Zudem haben andere Versuche mit einer Replik eines als Riffel interpretierten Fundes aus Pfäffikon-BurgFootnote 57 gezeigt, dass hier das Riffeln lediglich ein Viertel der Zeit im Vergleich zur Rippenhechel benötigt. Nach dem Brechen und dem Schwingen, das beides mit Werkzeugen aus Holz gemacht wurde, wurde der Flachs mit der Rippenhechel gehechelt. Durch das Kämmen werden die Fasern gelockert und letzte Schäben von den Fasern getrennt. Dabei wurde die Hechel mit den unterschiedlichsten Winkeln geführt. Das Hecheln funktionierte sehr gut und schnell. Ob hierbei die Riffel auch effizienter wäre, muss noch untersucht werden. Es ist aber anzunehmen, dass bei diesem Arbeitsprozess beide gleich gut arbeiten dürften. Beim Hecheln wurden die Fasern zum größten Teil auf Leder aufliegend oder frei in der Luft gehalten gekämmt. Lagen die Fasern auf dem Leder auf, wurde die Rippenhechel mit Druck auf dem Leder durch die Fasern gezogen (Abb. 3.39 links und Mitte).

Abb. 3.38
figure 38

Hechel aus Nidau (Schweiz). Diese Hechel wurde aus mehreren Rippenhälften mit Bastschnüren so zusammengebunden, dass die Spitzen nicht zu weit herausschauen und genügend Abstand zueinander haben (Abb. aus Hafner 2004. S. 46)

Da Messer im bearbeiteten Material eine eher untergeordnete Rolle spielenFootnote 58, war die Anwendung von Messern eher dem Zufall geschuldet. Denn bei der Beschäftigung mit der Herstellung von Flachs war schnell klar, dass es noch kein Werkzeug zum Rippen der Fasern gibt. Vergleiche mit historischen Werkzeugen ließen die Autorin auf die Messer als mögliche Werkzeuge zum Rippen schließenFootnote 59. Durch das Rippen erhält der Flachs erst seine Geschmeidigkeit und Weichheit. Dies ist auch heute noch ein zeitaufwendiger Prozess, denn man muss das Messer oft und mit starkem Druck über die Fasern ziehen (Abb. 3.39 rechts). Als Unterlage diente wiederum Leder. Die Schneide wird beim Rippen schnell stumpf. Da sie aber bei dieser Arbeit nicht scharf sein muss, wurde sie auch nicht nachgeschliffen.

Abb. 3.39
figure 39

Links: Riffeln des Leins mit dem Rippenhechel. Mitte: Hecheln der Flachsfasern zum Entfernen der restlichen Schäben. Rechts: Rippen der Fasern mit einem Knochenmesser

Insgesamt konnte mit der Rippenhechel und dem Messer sehr gut Lein zu Flachs verarbeitet werden. Allerdings war die verarbeitete Menge an Lein eher gering. Um eine wirkliche Aussage über die Effizienz der Werkzeuge machen zu können, müsste die Ausbeute eines großen Feldes verarbeitet werden.

3.3.3.6 Knochen, Fleisch und Sehnen

Die Versuche zu Knochen, Fleisch und Sehnen wurden hauptsächlich beim Enthäuten und Säubern der Knochen und bei der Herstellung neuer Knochenwerkzeuge gemacht. Bei den Versuchen wurden die verschiedensten Knochen (hauptsächlich Röhren- und Plattenknochen) von großen Wiederkäuern und von kleinen Wiederkäuern verarbeitet. Da die Haut der Tiere mit den Knochenmessern nicht durchtrennt werden kann, wurde hier auch Silexgeräte verwendet. Mit dem Silex wurde die Haut aufgeschnitten. Da dieser aber nur schwer engen Rundungen folgen kann, ohne dass er bricht, wurden für diese Stellen genauso wie zum Abtrennen der Gelenke Knochengeräte verwendetFootnote 60.

Abb. 3.40
figure 40

Die beiden Beile, die zum Auslösen der Knochen verwendet wurden. Dabei werden sie nicht nur zum Abschlagen von Skelettteilen verwendet, sondern auch zum Ablösen der Sehnen und anderen Weichteile

Beim Werkstoff Fleisch/Sehnen wurden die massiven Meißel und meißelförmigen Beile zum Schaben und zum Stechen beim Abziehen der Haut und beim Auftrennen von Gelenkknochen verwendet (Abb. 3.40)Footnote 61. Das Bruchstück eines zerbrochenen massiven Meißels wurde zum Abziehen der Haut genommen. Immer wenn die Haut etwas schwerer abzuziehen war, konnte mit dem zerbrochenen Knochenbeitel darunter gefahren und die Haut dadurch gelockert werden (Abb. 3.41). Auch bei engen Rundungen bestand niemals die Gefahr eines erneuten Bruchs des Werkzeuges. Nach dem Abziehen der Haut konnten mit demselben Werkzeug die Sehnen aus der Sehnenrinne gehebelt und, sofern sie nicht fest mit dem Knochen verwachsen waren, auch abgezogen werden. Meistens wurde das Werkzeug in einem flachen Winkel verwendet. Nur das Durchtrennen der Sehnen an den Ansatzstellen am Knochen musste wiederum mit der Silexklinge erfolgen. Auch das restliche Entfernen der Weichteile ließ sich recht gut mit dem zerbrochenen Knochenbeitel bewerkstelligen. Beim Arbeiten musste das Werkzeug oft mit Druck über die Oberfläche des frischen Knochens geschabt werden, wobei die zersplitterte Basis des Werkzeuges nicht beim Halten in der Hand störte. Die Schneide des Werkzeugs verrundete zwar leicht, wurde aber aufgrund der Reibung auf dem frischen Knochen nicht komplett rund.

Das meißelförmige Beil wurde ausschließlich für die Arbeiten mit höherem Druck genommen, da der zerbrochene Beitel bei dieser Arbeit weiter an der Basis ausbrach. Sowohl in frischem als auch im leicht ausgekochten Zustand sind die Gelenkknöchelchen der Extremitäten fest mit den Langknochen verbunden. Selbst wenn die Sehnen durchtrennt wurden, ließen sie sich nicht voneinander lösen. Erst durch hohen Druck können sie voneinander getrennt werden. Mit dem massiven Beil wurden sowohl die Knochen von kleinen als auch von großen Wiederkäuern getrennt (Abb. 3.42). Allerdings brach das Beil beim Trennen der Knochen von großen Wiederkäuern sehr leicht aus, weshalb es naheliegt, hier sinnvoller ein Steinbeil zu verwenden. Das Trennen der Knochen von kleinen Wiederkäuern funktionierte schnell und ohne Schäden an der Schneide. Da das massive Beil in diesem Fall kaum mit der Schneide direkt arbeitet, muss es auch nicht nachgeschliffen werden. Bei der Herstellung von neuen Knochenwerkzeugen wurde das meißelförmige Beil zum Auftrennen der Sägerillen verwendet. Waren die Sägerillen tief genug angelegt, wurde das Beil in der Rille mit einem Winkel von 90° ± 5° angesetzt. Mit mehreren vorsichtigen Schlägen wurde dann der Knochen zerteilt. War die Sägerille nicht tief genug angelegt, zersprang der Knochen in mehrere ungewollten Teile. Dies kann auch auf die Dicke des Arbeitsbereiches des massiven Beiles zurückgeführt werden. Denn der Winkel der Schneide ist relativ stumpf, weshalb die Schneide nicht sehr tief in die Rille eindringt. Der ausgeführte Druck wird dadurch auf den Rand der Rille und nicht auf den Grund der Rille ausgeübt. Ein Werkzeug mit einem spitzeren Winkel dringt zwar bis auf den Grund der Rille, allerdings ist hier die Bruchgefahr der Schneide höher, wenn die Sägerille nicht tief genug angelegt wurde.

Abb. 3.41
figure 41

Das Bruchstück eignete sich hervorragend als Unterstützung beim Abziehen der Haut vom Knochen und beim Auslösen der Sehnen

Abb. 3.42
figure 42

Abtrennen des Gelenks mit dem massiven Beil

Beim Abziehen und Säubern der Knochen oder auch beim Ausnehmen eines Tieres bieten die Knochenwerkzeuge im Gegensatz zu Silexwerkzeugen einen entscheidenden Vorteil. Durch die raue Oberfläche behalten die Knochenwerkzeuge eine gewisse Griffigkeit, selbst wenn sie nass und glitschig sind. Silexklingen sind dann kaum noch zu handhaben, wenn sie nicht geschäftet sind.

3.3.3.7 Keramik

Das Vorbild für die Versuche zur Keramik war eine urnenfelderzeitliche Töpfergrube auf dem Breisacher MünsterbergFootnote 62. Zwischen den zerbrochenen Fehlbränden fand sich unter anderem ein kleines Knochengerät mit einer runden Schneide, die auf der oberen Seite deutlichen Glanz und gleichzeitig keine Schleifspuren mehr aufwies. Dagegen waren die Schleifspuren an der Unterseite des Arbeitsbereiches noch klar sichtbar und wiesen kaum Verrundungen auf (Abb. 3.3). Viele der Gefäße waren mit Stichen und Punkten verziert und sehr glattpoliert. Bei den Versuchen ging es um mehrere Fragestellungen. Zum einen sollte herausgefunden werden, wie die Gebrauchsspuren an den Knochenwerkzeugen aussehen – unter der Voraussetzung, dass die Spuren an den replizierten Töpfen denen des Originals gleichen. Dania Braun wollte neben dem Aufbau der Keramik auch das Anbringen der verschiedenen Verzierungen nachvollziehen, wobei sie unterschiedliche Werkzeuge verwendete, um zu entscheiden, welche am wahrscheinlichsten für die Verzierungen an den Originalen genommen wurden.

Abb. 3.43
figure 43

Diese Werkzeuge wurden zum Glätten und Verstreichen des Tons verwendet (Werkzeug oben) und zum Anbringen von Verzierungen (beide untere Werkzeuge)

Für die Versuche gab es zwei verschiedene Tone, einen grauen gröberen Ton und einen lehmfarbenen feineren Ton. Letzterer war allerdings eher für Drehscheibenkeramik geeignet, weshalb wir ausschließlich den gröberen Ton verwendet haben. Er wurde wie bei der urnenfelderzeitlichen Keramik noch mit grobem Sand gemagert. Die Gefäße wurden hauptsächlich in Wulsttechnik aufgebaut.

Abb. 3.44
figure 44

A: Die Oberfläche der Gefäße wurde mit dem Nachbau des in der Töpfergrube gefundenen Knochenwerkzeuges poliert; B: Durch die Politur erhält die Keramik einen leichten Glanz. Durch das Knochenwerkzeug entstehen schmale längliche Streifen (Pfeil), wie sie auch bei den Originalen beobachtet werden konnten

Abb. 3.45
figure 45

Im Vordergrund das experimentell hergestellte Gefäß beim Trocknen, im Hintergrund das archäologische Vorbild

An Knochenwerkzeugen wurden drei verschiedene Werkzeugtypen zum Streichen, Stechen und Ritzen verwendet: ein kleiner Meißel mit Gelenkende, wie er in der Töpfergrube auf den Breisacher Münsterberg gefunden worden war, Spitzen aus Teilen Metapodia kleiner Wiederkäuer (Typ 1/2) und Rippenmeißel (Typ 4/10) (Abb. 3.43).

Der kleine Meißel mit Gelenkende und die Rippenmeißel wurden unter anderem zum Verstreichen der Wülste verwendet. Dabei wurden sie in einem flachen Winkel gehalten. Allerdings wurden die Rippen mit querstehender Arbeitskante nur kurz verwendet, da sie vor allem im Inneren des Gefäßes Eindrücke und Riefen hinterließen und die Oberfläche eher noch aufrauten. Dagegen konnten die Wülste mit dem kleinen Meißel mit Gelenkende sehr gut verstrichen werden, sodass diese danach nicht mehr sichtbar waren. Auch im Inneren des Gefäßes konnten die Wülste optimal verstrichen werden. Gearbeitet wurde ausschließlich mit der Oberseite des Werkzeuges. Die Unterseite blieb unbenutzt. Das Ergebnis war zudem besser, als wenn die Wülste mit den Fingern verstrichen worden wären. Im Gegensatz zur Arbeit mit den Händen konnte man sich ein Nachfeuchten des Werkzeuges sparen. Dadurch war die Oberfläche schneller geglättet als mit den Fingern.

Einige der urnenfelderzeitlichen Schälchen weisen einen flachen Rand mit einer leicht konkaven Wölbung auf. Diese Wölbung konnte ebenfalls hervorragend mit dem kleinen Meißel mit Gelenkende herausgearbeitet werden und sah dem Original am ähnlichsten (Abb. 3.443.45).

Nach dem Glattstreichen der Oberflächen wurden die Verzierungen mit den verschiedenen Werkzeugen in den noch weichen Ton eingebracht. Die Werkzeuge wurden dabei in einem Winkel von 90° ± 5° verwendet. Hierbei wurden die Strichmuster sowohl mit den Rippenmeißeln als auch mit den Knochenspitzen eingebracht. Allerdings zeigte sich sehr schnell, dass sich mit den Rippenmeißeln gleichmäßigere Strichverzierungen als mit den Spitzen anlegen ließen. Da auch die Verzierungen im Original sehr gleichmäßig sind, kann daraus geschlossen werden, dass ein ähnliches Werkzeug verwendet worden sein könnte. Der kleine Meißel mit Gelenkende war für diese Arbeiten gänzlich ungeeignet. Die Spitzen wiederum eigneten sich auch hervorragend für Punktverzierungen (Abb. 3.46). Die Schneiden und die Spitzen der Werkzeuge, die für die Verzierungen verwendet worden sind, waren sehr schnell stumpf und komplett verrundet. Ein Vergleich der Verzierungen ergab allerdings, dass die Striche ebenfalls mit einem Werkzeug mit stumpfer Schneide gemacht wurden. Nur die Punktverzierungen zeigen, dass die Spitzen immer wieder nachgespitzt worden sein mussten.

Nach der Verzierung wurden die Schälchen getrocknet, bis sie lederhart waren. Im lederharten Zustand wurde dann die Oberfläche hoch poliert. Dazu wurden sowohl Poliersteine als auch wiederum der kleine Meißel mit Gelenkende verwendet. Der kleine Meißel mit Gelenkende wurde dafür wieder in einem flachen Winkel gehalten. Nach subjektiver Einschätzung arbeitete der kleine Meißel mit Gelenkende schneller und ergab das bessere Ergebnis. Objektiv sind die feinen Rinnen, die beim Polieren entstehen flacher, länger und gleichmäßiger als die der Poliersteine. Zudem scheint die Oberfläche im direkten Abgleich etwas ebenmäßiger.

Alle Verzierungen mussten nach der Endpolitur im lederharten Zustand nochmals nachgestochen werden. Dies ging jedoch recht gut. Versuche, die Verzierungen erst nach der Politur anzubringen, stellten sich als deutlich schwieriger heraus. Die Verzierungen konnten nicht mehr so tief eingebracht werden wie im noch weichen Zustand des Tones. Der Vergleich mit den Originalen zeigte, dass auch dort die Verzierungen recht tief angelegt sind und damit vor der Politur gemacht worden sein müssen.

Insgesamt eigneten sich alle Werkzeuge hervorragend für die Herstellung von Keramikgefäßen. Allerdings machten die Versuche auch deutlich, dass es nicht ein Werkzeug für den ganzen Prozess gegeben haben kann, sondern verschiedene, die jeweils für verschiedene Abschnitte im Herstellungsprozess verwendet wurden.

3.3.3.8 Haar

Es wurden auch Versuche zu Gebrauchsspuren von Haarnadeln gemacht. Manche der Spitzen ohne Gelenkende (Typ 1/7–1/9) sind so sauber überarbeitet und vor allem flächig poliert, dass keinerlei andere Spuren mehr zu erkennen sind. Es stellte sich natürlich die Frage, ob eine solche flächige Politur nur intentionell entstehen kann oder ob es eine Verwendung gibt, die eine solche Politur durch Gebrauch verursacht. Als eine Möglichkeit kam eine Verwendung als Haarnadel in Betracht. Die hergestellte und getragene Haarnadel ging leider kurz vor der Dokumentation verloren. Die neu hergestellte Haarnadel weist noch nicht genügend Gebrauchsspuren auf und kann aus diesem Grund in dieser Auswertung nicht berücksichtigt werden. Infolgedessen werden in diesem Kapitel nur die bisher beobachteten Gebrauchsspuren der ersten Haarnadel kurz beschrieben (Abb. 3.47).

Abb. 3.46
figure 46

A: Die Werkzeuge und die damit hergestellten Verzierungen; B: Die verschiedenen Verzierungen wurden mit den unterschiedlichen Werkzeugen zusätzlich zur Verzierung der nachgebauten Gefäße auf kleinen Tonplatten aufgebracht

Abb. 3.47
figure 47

Eine der Haarnadeln im Gebrauch. Sie trug sich sehr angenehm und das Haar löste sich auch bei stärkeren Kopfbewegungen nicht

Die Haarnadeln trugen sich sehr gut und das Haar löste sich auch bei heftigeren Bewegungen kaum. Anfangs war die erste Nadel zu spitz angeschliffen, wodurch die Verletzungsgefahr sehr hoch war. Nachdem die Spitze leicht verrundet war, konnte sie an der Kopfhaut entlanggeführt werden, ohne diese zu verletzen. Eine kurze Zwischendokumentation der ersten und der zweiten Haarnadel zeigte, dass beide vor allem im Spitzenbereich Glanz und eine leichte Verrundung der Schleifspuren aufwiesen. Erst mit zunehmender Benutzung entstand auch am Schaft und wahrscheinlich zuletzt an der Basis Glanz und eine Verrundung der Schleifspuren.

Die Haarnadel wird weiterhin getragen, um die Gebrauchsspuren voll auszuprägen.

3.3.4 Dokumentation und Beschreibung der Gebrauchsspuren

Für die Bestimmung und Zuordnung von Gebrauchsspuren müssen diese klar von den Spuren unterschieden werden, die auf die Herstellung der Werkzeuge zurückzuführen sind (= Herstellungsspuren). Nur auf diese Weise kann auf die Nutzung der Werkzeuge geschlossen werden. Sofern die Herstellungsspuren bekannt sind, fällt die Unterscheidung relativ leicht. Die meisten Gebrauchsspuren zeigen sich dann in einer Veränderung oder Überprägung der Herstellungsspuren. Beispielsweise verrunden die Schleifspuren im Arbeitsbereich oder die von der Herstellung noch sichtbare Sägerille ist deutlich abgegriffen. Eine Ausnahme bilden Ad hoc-Werkzeuge, die kaum oder keine Herstellungsspuren aufweisen. Hier lassen sich Gebrauchsspuren anhand von Veränderungen der originalen Knochenoberfläche oder von Bruchflächen erkennen.

Ob ein Werkzeug nach der Herstellung tatsächlich auch verwendet wurde oder nicht, ist anhand der veränderten oder unveränderten Herstellungsspuren sehr leicht zu erkennen. Sind die Kanten der Rillen verrundet, seien es Schleifspuren oder Silexschnitzspuren, war das Werkzeug in Gebrauch. Es hat also durch den Gebrauch bereits eine Überprägung der Herstellungsspuren stattgefunden. Allerdings muss hier bedacht werden, dass bei einem Nachschärfen des Werkzeuges die Gebrauchsspuren im Arbeitsbereich wieder „auf null gesetzt“ werden. In diesem Fall liefern aber die indirekten Gebrauchsspuren – sofern vorhanden – einen Hinweis darauf, dass das Werkzeug bereits in Benutzung war.

Solche Veränderungen können je nach Art und Gebrauch der Werkzeuge bezüglich Ausprägung und Lokalisierung sehr unterschiedlich sein und werden im Folgenden anhand der experimentellen Erfahrungen beschrieben. Die Auswertung der Experimente hat ergeben, dass die Gebrauchsspuren in verschiedene Arten und diese wiederum hinsichtlich ihres Auftretens in verschiedene Bereiche am Werkzeug unterteilt werden müssen. Für eine angestrebte Einordnung der Werkzeuge nach entsprechenden Nutzungsarten hat es sich als wichtig erwiesen, dass zwischen direkten und indirekten Gebrauchsspuren sowie Brucharten unterschieden wird. Direkte Gebrauchsspuren entstehen hauptsächlich im Arbeitsbereich, also an der Schneide und bisweilen am Schaft, wo das Werkzeug Kontakt mit dem Werkstoff hat. Indirekte Gebrauchsspuren dagegen finden sich ausschließlich am Schaft und an der Basis und entstehen vor allem durch die Handhabung oder die Schäftung sowie durch die Instandhaltung der Werkzeuge. Sie können daher auch als Handhabungsspuren und Funktionserhaltungsspuren angesprochen werden. Ein weiteres für das Verständnis der Werkzeugnutzung wichtiges Merkmal stellen unterschiedliche Brucharten dar. Diese können am ganzen Werkzeug auftreten, sind aber aufgrund eines oft charakteristischen Bruchs einer bestimmten Arbeitsweise zuordenbar. (Abb. 3.48).

Abb. 3.48
figure 48

Lage der verschiedenen Arten von Gebrauchsspuren am Werkzeug. Direkte Gebrauchsspuren liegen hauptsächlich im Arbeitsbereich, während sich die indirekten Spuren vor allem am Schaft und an der Basis finden. Brüche können am ganzen Werkzeug auftreten

3.3.4.1 Direkte Gebrauchsspuren

Die direkten Gebrauchsspuren bestehen im Wesentlichen in der Veränderung der Herstellungsspuren im Arbeitsbereich und sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bei allen Werkzeugen und bei allen Verwendungen ähnlich. Stets verrunden die Schleifspuren und verlieren an Tiefe. Auch verrunden sonstige Kanten im Arbeitsbereich und meist entwickelt sich Glanz. Die Schneide ist gleichförmig wellig. Es gibt allerdings einzelne Ausnahmen, bei denen diese Regeln nicht gelten.

Die Stärke der Spuren ist abhängig von der Nutzungsdauer, der Bewegung und der dabei benutzerabhängig einwirkenden Kraft. Die direkten Gebrauchsspuren allein helfen demnach nicht, den Werkstoff oder die Aktionsgruppe zu bestimmen. Beispielsweise entsteht beim Arbeiten mit Rinde kaum Glanz im Arbeitsbereich, wahrscheinlich weil dem Knochen durch die (Gerb-)Säuren Fett entzogen wird. Eine weitere Ausnahme bilden die direkten Gebrauchsspuren, die nur bei sehr frischen Knochen (wenige Monate alt) entstehen. Hier werden die Schleifspuren durch die Verwendung breiter und tiefer, die Kanten jedoch verrunden. Die Schneide ist sehr deutlich wellig und die Oberfläche ist stark glänzend. Alle anderen Spuren, die über die oben beschriebenen grundlegenden Veränderungen der Herstellungsspuren hinaus entstanden sind, wie feine Rillen, Ausbrüche an der Schneide oder Stumpfheit der Schneide, können als gute Indizien für die Zuordnung zu einer Aktionsgruppe dienen.

Veränderte Herstellungsspuren, wie die Änderung der Richtung beim Überschleifen an der Unterseite, weisen darauf hin, dass das Werkzeug als Dechsel in einem Knieholm geschäftet war. Aufgrund der Auflage bzw. der Gabel des Holms kann die ursprüngliche Schleifrichtung nicht beibehalten werden, weil sonst die Bindung verletzt würde. Bei anderen Schäftungsmöglichkeiten, wie Handschäftung oder Parallelschäftung, ist eine Änderung der Schleifrichtung nicht notwendig. Zudem wurde bei den Experimenten festgestellt, dass ein Nachschärfen der Schneide in Querrichtung erheblich schwieriger ist als in Längsrichtung.

3.3.4.2 Indirekte Gebrauchsspuren

Das Entstehen der indirekten Gebrauchsspuren ist hauptsächlich von der ausgeführten Bewegung abhängig und weniger vom verwendeten Werkstoff. Deshalb finden sich indirekte Gebrauchsspuren ausschließlich an Schaft und Basis des Werkzeuges. Zu den indirekten Gebrauchsspuren zählen aber auch Spuren, die durch die Pflege des Werkzeuges entstanden sind, wie Einölen oder Nachschärfen der Schneide. Das Einölen und das Nachschärfen erhalten die Funktionstüchtigkeit des Werkzeuges, deshalb wird im Folgenden von Funktionserhaltungsspuren gesprochen werden.

3.3.4.2.1 Schaft und Basis

Wie bei den direkten Gebrauchsspuren wird auch bei den indirekten ein Großteil der Spuren nach der Art und dem Grad der Veränderung der Herstellungsspuren gemessen. Sowohl am Schaft als auch an der Basis entstehen je nach Handhabung zudem unterschiedliche Glanzarten. Wurde das Werkzeug direkt geführt, also mit der Hand gehalten, entsteht ein eher speckiger, welliger und leicht spiegelnder Glanz. Dieser ist flächig auf der Oberfläche zu finden und sämtliche Kanten sowie Erhebungen sind deutlich verrundet. Auch die Schleifspuren haben keine scharfen Kanten mehr und weisen außerdem eine verringerte Tiefe auf. Jegliche Oberflächenstruktur bleibt aber erhalten, wird sogar eher noch verstärkt (Abb. 3.22).

War das Werkzeug dagegen in einem Knieholm geschäftet oder mit einem Griff versehen, sind nur an den Stellen Veränderungen zu erkennen, an denen das Werkzeug Kontakt mit der Schäftung, also dem Holz, hatte. Am Schaft bedeutet das, dass die erhabensten Stellen des Werkzeuges innerhalb der Schäftung zuerst Glanz aufweisen (Abb. 3.49). Der Glanz ist sehr plan, glatt und stark glänzend. Auf der Oberfläche des Werkzeuges kann der Glanz, der unebenen Knochenoberfläche entsprechend, oftmals unterbrochen sein. Kanten verrunden kaum, solange sie nicht mit dem Holz in Berührung kommen. Dagegen wird die Oberfläche immer glatter, je länger mit dem Werkzeug gearbeitet wurde. Durch den Abrieb entsteht eine glatte feine Oberfläche, auf der zum Schluss keinerlei Spuren der ursprünglichen Oberfläche des Knochens oder des Werkzeuges mehr zu sehen sind. Beispielsweise werden die scharfen Kanten der Schleifspuren abgerieben, bis sie nicht mehr sichtbar sind (Abb. 3.23). Eine Verrundung der Kanten konnte in keinem Fall beobachtet werden.

Abb. 3.49
figure 49

Holzglanz. Deutlich zu erkennen ist die Zweiteilung des Werkzeuges. Im hinteren Bereich (links) ist die Oberfläche stark glänzend, hier kam der Knochen in Berührung mit der Holzschäftung. Im vorderen Bereich (rechts) dagegen ist die Oberfläche immer noch deutlich stumpfer. (Länge 7,2 cm)

Wurde das Werkzeug als Beitel verwendet, d. h. die Basis des Knochenwerkzeuges kam mit kurzen definierten Schlägen in direkten Kontakt mit dem Holzschlägel, entsteht auch an der Schlagstelle ein deutlicher Glanz (Abb. 3.51). Er ähnelt dem Schäftungsglanz, nur ist er etwas verschwommener und weicher. Die Kanten sind nicht ganz so hart wie beim Schäftungsglanz, sondern etwas runder. Vermutlich ist dieser Unterschied dem Auftreffen des Klöpfels geschuldet, der bei jedem Aufschlagen einen etwas anderen Winkel oder Auftreffpunkt hat. Bei einem Knieholm ist die Bewegung des Knochens durch die Schnürung deutlich eingeschränkter, weshalb hier der Holzglanz gleichmäßiger entstehen kann.

Abb. 3.50
figure 50

Wicklungsglanz (oben) und Rohhautglanz (unten). Durch eine Wicklung entsteht zuerst an den Kanten und an konvex gewölbten Bereichen des Werkzeuges ein deutlicher Glanz. Mit langer Benutzung verstärkt sich der Glanz zunehmend und ist auch in den anderen Bereichen leicht zu erkennen. Eine Rohhautwicklung dagegen entwickelt selbst nach sehr langer Benutzung nur einen leichten seidenmatten Glanz, der auch auf den Repliken nur sehr schwer zu bestimmen ist

Abb. 3.51
figure 51

Holzglanz durch direkten Schlag auf die Basis. An der ganzen Basis ist ein deutlicher weicher Glanz zu erkennen, der leicht über die Kanten hinaus fließt, da ein Schlag nicht immer genau die Basis trifft, sondern auch bisweilen abrutschen kann. (Breite Basis 2 cm)

Ist das Werkzeug mit einer Schnur (Lindenbast) umwickelt oder damit auf einer Schäftung fixiert, ist an der ebenen Oberfläche der Werkzeuge erst bei sehr langem Gebrauch eine Veränderung durch leichten Glanz zu erkennen. Die Kanten weisen hier allerdings schon nach kurzer Verwendung einen deutlich spiegelnden Glanz auf. Die Verrundung der Kanten ist dabei eher gering (Abb. 3.50). Bei einer Rohhaut-Wicklung ist eine Bestimmung der Wicklungsspuren erheblich schwerer, denn es entstehen selbst nach langer Nutzung keine sehr deutlichen Spuren. Zu erkennen ist ein seidenmatter oder schwach glänzender Glanz und die Oberfläche ist glatt. Die Kanten weisen im Gegensatz zu den indirekten Gebrauchsspuren von Bast-Wicklungen kaum stärkeren Glanz auf. Repliken mit einer Rohhaut-Wicklung zeigten selbst nach 30-stündigem Arbeitsgebrauch nur sehr schwach ausgeprägte Wicklungsspuren. Die Gründe hierfür sind noch nicht klar ersichtlich. Eine Vermutung ist, dass die Rohhaut weicher ist und keine harten Fasern hat. Dadurch liegt sie gleichmäßiger und großflächiger an.

3.3.4.2.2 Funktionserhaltungsspuren

Unter Funktionserhaltungsspuren werden Spuren zusammengefasst, die nicht für die Funktionsbestimmung eines Werkzeuges relevant sind, die aber für die Funktionstüchtigkeit des Werkzeuges wichtig sein können. Dazu zählt die Pflege des Werkzeuges wie das Nachschärfen der Schneidekante und das Einölen zum Erhalt der Elastizität des Werkzeuges.

Nachschärfen

Durch das Nachschärfen der Schneide nach Gebrauch werden die direkten Gebrauchsspuren wieder auf null gesetzt. Es ist deshalb oft schwierig zu entscheiden, ob es sich um Herstellungsspuren oder um Funktionserhaltungsspuren handelt. Finden sich an dem Knochenwerkzeug jedoch andere indirekte Gebrauchsspuren, können Herstellungsspuren ausgeschlossen werden. Da das Nachschärfen vorwiegend auch mit einem Sandstein oder einer Silexklinge erfolgt, ist das Aussehen der Spuren vom Nachschärfen genau gleich wie die Sandsteinschleifspuren und Silexschnitzspuren von der Herstellung (siehe Abschn. 3.3.2.3.1).

Pflegespuren

Obwohl einige der experimentell hergestellten Knochenwerkzeuge regelmäßig mit Leinöl eingerieben worden waren, ließ sich keine Veränderung an den Herstellungsspuren oder der Oberfläche des Knochens beobachten, wie eine Verrundung der Schleifrillen oder ein leichter Glanz. Die Bestimmung von Pflegespuren kann bei den archäologischen Artefakten deshalb momentan nur über chemische Analysen gelingen.

Bedeutung und Problematik der Funktionserhaltungsspuren

Die Funktionserhaltungsspuren sind Anzeiger dafür, dass zwar das Werkzeug instandgehalten wurde, jedoch ist der mechanische Nachweis für Einölen bisher nicht durchführbar. Dies wäre nur über chemische Analysen möglich. Nur ein Nachschärfen des Werkzeuges kann eventuell bestimmt werden.

Da diese Spuren für die Funktionsbestimmung und damit für die Fragestellung nicht relevant sind, wurden sie auch nicht weiterverfolgt. Eine Überprüfung wäre jedoch sehr spannend, denn dadurch würden die Interpretationsmöglichkeiten erweitert. Denn eine regelmäßige Pflege durch Einölen steht zugleich für eine höhere Wertschätzung des Werkzeuges.

3.3.4.3 Brucharten

Anhand der spezifischen Bruchart bei einem Knochenwerkzeug kann die Verwendung, die zum Bruch geführt hat, sehr genau bestimmt werden. Die Brucharten werden in Brüche, Ausbrüche und Aussplitterungen sowie Risse und Druckstellen unterschieden. Die kennzeichnenden Ausprägungen der jeweiligen Bruchart sind das Ergebnis der jeweils ableitbaren Verwendung oder auch die Folge von Verlust (etwa Brand). Beispielsweise brechen Knochenspitzen, wenn sie zum Durchschlagen von Löchern in Leder oder Rinde verwendet wurden, auf eine bestimmte Art und Weise. Da es zur Beurteilung von Knochenbrüchen außerhalb des medizinischen Bereichs keine Untersuchungen gibt und die Ursachen nicht allein mit der handwerklichen Beanspruchung der Knochenwerkzeuge zu erklären sind, wurden für die Aufarbeitung der unterschiedlichen Brucharten Schadensanalysen von metallischen Bauteilen und die Bestimmung der dabei ablaufenden Mechanismen herangezogenFootnote 63.

Der Werkstoff Metall, der auch in der Chirurgie als Knochenersatz verwendet wird, bietet aufgrund der vorhandenen Materialuntersuchungen das bislang einzige Vergleichsinstrumentarium mit ergebnisrelevanter Aussagekraft.

Zwar können diese Analysen nicht eins zu eins auf die Bruchentwicklung bei Knochenwerkzeugen übertragen werden, da Metalle mitunter ganz andere Materialeigenschaften besitzen als Knochen. Doch gibt es vor allem bei sehr sprödem Material ähnliche Bruchentwicklungen und auch Bruchbilder. Die verschiedenen Brucharten zeigen aufgrund der verschiedenen Bildungsmechanismen spezifisch ausgeprägte vielgestaltige MerkmaleFootnote 64. Günter Lange und Michael Pohl 2014 beschreiben hierzu sechs Merkmale, die zur Bestimmung der verschiedenen Brucharten wichtig sind:

figure a

Alle diese Merkmale können auch zur Bestimmung der Brüche an den Knochenwerkzeugen herangezogen werden. So hat sich herausgestellt, dass bei niedrigen TemperaturenFootnote 65 das Knochenmaterial spröde wird und sehr leicht bricht. Ebenso konnte beobachtet werden, dass sich bei der Herstellung der Werkzeuge durch Hitzeeinwirkungen beim Kochen an den Knochen Risse bilden können. Auch kann anhand der Blockierung des Bruches die Druckrichtung bestimmt werden (Abb. 3.54). Der Bruch blockiert in die Richtung, aus der der Druck stammt.

Zur Systematisierung wurden die verschiedenen Brucharten, basierend auf ihrer Entstehung und ihrem Aussehen nach den Kriterien von Lange und Pohl, analysiert und kategorisiert. Den einzelnen Kategorien wurden Überbegriffe gegeben, die die Entstehung beschreiben sollen, wie Verkantungs- oder Ermüdungsbruch. Bestimmt und kategorisiert werden können natürlich nur diejenigen Brüche, die während der Experimente entstanden sind. Da bei den Versuchen der gesamte Arbeitsprozess und nicht einzelne Bewegungen oder auch Bruchrisiken im Vordergrund standen, ist nur ein kleiner Teil der Knochenwerkzeuge auch wirklich gebrochen. Der Vergleich mit den Knochenartefakten hat gezeigt, dass es noch eine Reihe anderer Brucharten gibt, die zum derzeitigen Forschungsstand leider noch nicht bestimmt werden können. Die Kategorienliste wurde in solchen Fällen durch den Punkt „unbekannt“ ergänzt.

Gerade die Bestimmung der verschiedenen Brucharten bei Knochenwerkzeugen ist unbedingt notwendig, da ein Großteil der Knochenartefakte oftmals nur in kleinen Bruchstücken erhalten ist.

Die verschiedenen bisher bekannten Brucharten, ihre Entstehungsgeschichte und ihre Bedeutung sollen im Folgenden beschrieben werden.

3.3.4.3.1 Ermüdungs- oder Fehlschlagbruch

Je älter Knochen werden, desto spröder werden sie, da sie immer mehr Fett verlieren. Zwar wurde dem bereits im Neolithikum durch Einfetten Bzw. Einölen entgegengewirktFootnote 66, doch konnte die Ermüdung des Materials damit lediglich verzögert, nicht aber verhindert werden. Häufig sind es SchwingbrücheFootnote 67, die entlang feiner Haarrisse entstehen und aufgrund wachsender Belastung schließlich zum Bruch führen. Haarrisse entstehen schnell durch einen Fehlschlag, durch den das Material ungleichmäßig gestaucht wird. Im Übergangsbereich kann das Kollagen die unterschiedliche Beanspruchung nicht mehr ausgleichen, es kommt zu einem feinen Riss. Durch jeden weiteren Fehlschlag breitet sich der Riss immer weiter aus. Ab einem bestimmten Punkt hält das Restmaterial dem Druck nicht mehr stand und bricht. Neben den Ermüdungsbrüchen sind aber auch häufig Gewaltbrüche zu beobachten, die durch eine Fehlbenutzung der Werkzeuge entstanden sind. Hier muss jedoch klar zwischen Fehlschlag und Fehlbenutzung unterschieden werden. Ein Fehlschlag geschieht während der geübten und korrekten Benutzung der Werkzeuge. Die Fehlbenutzung hingegen ist Resultat einer Verwendung von Werkzeugen an einem zu harten Werkstoff oder mit einer unkorrekten Bewegung.

Bei allen bisher beobachteten Ermüdungsbrüchen wurde direkt auf die Gelenkrolle geschlagen. Durch den hohen Impulsdruck sind die seitlichen Teile des Arbeitsbereiches ausgebrochen (Abb. 3.52). Da die gebrochenen Werkzeuge noch lang genug waren, konnten sie erneut angeschliffen werden. Die Länge der seitlichen Ausbrüche variiert sehr stark und ist natürlich auch von der Länge des Werkzeuges abhängig. Das Ausmaß des Bruches hängt jedoch hauptsächlich von der Lage der Haarrisse ab (Abb. 3.53). Liegen die Haarrisse quer im Material kurz unterhalb der Oberfläche, splittern meist nur einzelne glatte und transkristalline Schuppen ab. Diese beeinträchtigen die weitere Arbeit mit den Werkzeugen kaum oder gar nicht. Entstehen dagegen Haarrisse, die längs im Material liegen und über die ganze Dicke der Kompakta gehen, bricht häufig ein Teil des Arbeitsbereiches und des Schaftes aus. Die Größe des Ausbruches hängt auch hier sehr stark von der Position des Haarrisses ab. Je näher dieser zur Mitte liegt, desto länger ist das Bruchstück (Abb. 3.53). Diese Brüche erfolgen sehr geradlinig, wobei sie mit zunehmender Nähe zur Mitte immer unförmiger werden. Die Bruchflächen sind größtenteils glatt mit einzelnen plattigen Ausbrüchen. Am Ende des Bruches sind die Bruchflächen stark transkristallin mit mehreren RastlinienFootnote 68. Ob die Ursache für den Ermüdungsbruch ein Haarriss war, zeigt die Bruchfläche an. Dann breitet sich nämlich mikroskopisch vom Rissursprung ein fächerartiges Muster aus. Dieses Muster liegt in mehreren Materialebenen. Die plötzliche Stauchung erfolgte ausschließlich über die Basis, mit dem Impuls senkrecht nach unten. Trifft das Werkzeug nicht vollflächig auf den Werkstoff, entstehen die beschriebenen Haarrisse und anschließend die seitlichen Ausbrüche. Alle entsprechenden Artefakte zeigen diese Bruchart, wobei allerdings unklar bleiben muss, ob diese auch aufgrund von Ermüdung oder durch Fehlbenutzung entstanden sein können.

Abb. 3.52
figure 52

Beispiel eines Ermüdungs- oder Fehlschlagbruches

Abb. 3.53
figure 53

Ermüdungsbrüche haben ihren Ursprung meist in Haarrissen, die entweder beim leichten Auskochen oder durch die Verwendung entstehen können. Je nach Lage der Haarrisse brechen verschiedene Teile des Knochenwerkzeuges aus. Bei horizontaler Lage des Haarrisses kommt es meist nur zu schuppenartigen Absplitterungen, während vertikale Haarrisse meist zu Ausbrüchen eines Teils des Knochenwerkzeuges führen. Die Größe der Ausbrüche hängt von der Größe und Lage der Risse ab

3.3.4.3.2 Bruch durch Schwachstelle am Knochen

Brüche können auch durch natürliche Schwachstellen im Knochen verursacht werden, wie sie beispielsweise die Spongiosa darstellt (Abb. 3.55). Sie wird nur durch die Kompakta stabilisiert. Wird diese durch Abschleifen geschwächt, verliert auch die Spongiosa extrem an Stabilität. Deshalb brechen diese Bereiche oftmals bereits nach einem Schlag aus oder werden eingedrückt. Dies findet sich vor allem im Arbeitsbereich oder an der Basis. Ein anderer Grund kann auch eine zu dünne Kompakta sein, die aufgrund der fehlenden Massivität nicht genug Stabilität aufweist.

Abb. 3.54
figure 54

Schäftungsbruch. Das meißelförmige Beil (F 10) nach dem charakteristischen Bruch durch die Griffschäftung. Dieser zeichnet sich durch eine gerade verlaufende Kante aus, während der hintere Bereich in eine Ecke ausläuft (Pfeile)

Abb. 3.55
figure 55

Die Spongiosa von M 1 war im Bereich der Schneide sehr dünn und durchscheinend (links). Bereits nach zwei Schlägen brach sie aus (rechts). Hier bildete die dünne Kompakta eine Schwachstelle. Ein anderer Grund für eine Schwachstelle wäre beispielsweise ein hoher Anteil an Spongiosa

3.3.4.3.3 Schäftungsbruch

Sind Knochenwerkzeuge geschäftet, stellt die Schäftung an ihrem unteren Ende einen Druckpunkt dar, der die örtliche Spannungskonzentration und so die Gefahr eines Bruches erhöht. Trifft der Schlag in einem falschen Winkel auf das Werkzeug, bricht dieses entlang der Stoßkante der Schäftung. Die Bruchkante ist an der Seite in Richtung des Bruches sehr gerade. Die Bruchfläche läuft entgegen der Bruchrichtung schräg aus, wobei eine Ecke meist höher stehen bleibt als die andere. Selbst durch die hohe Krafteinwirkung verformt sich der Knochen kaum. Der Bruch erfolgt mit sogenannten Rastlinien (Abb. 3.54). Das bedeutet, dass die Bruchflächen wie Nut und Feder aneinanderpassen. Im Gegensatz zum Ermüdungsbruch ist der Schäftungsbruch sehr stark transkristallin. Es gibt keine feine Abflachung des Bruches. Die Richtung des erfolgten Druckpunktes ist genau bestimmbar (Abb. 3.57).

Das zerbrochene Werkzeug wurde als Beitel verwendet, bevor es brach. Danach konnten beide Bruchstücke für andere Arbeiten weiterverwendet werden.

3.3.4.3.4 Verkantungsbruch bzw. Spitzenbruch

VerkantungsbrücheFootnote 69 und SpitzenbrücheFootnote 70 entstehen vor allem bei der Bearbeitung von Holz oder bei Arbeiten auf einer Holzunterlage. Der Arbeitsbereich bleibt dann z. B. im Holz stecken und das Werkzeug verkantet durch eine leichte Drehung und bricht schließlich aus. Dieser Bruch zählt aufgrund seiner einseitigen mechanischen Überbelastung zu den Gewaltbrüchen. Bei allen Werkzeugen zeigt sich der Verkantungsbruch in einem teilweisen oder vollständigen Ausbruch des Arbeitsbereiches. Vor allem die Spitzen brechen immer komplett ab, können aber leicht wieder angeschliffen werden. Bei Werkzeugen mit querstehender Arbeitskante ist die Ausprägung des Bruches davon abhängig, wie sich das Werkzeug verkantet und anschließend gelöst wird. Steckt die ganze Schneide im Holz fest, ist die Gefahr sehr hoch, dass sie komplett ausbricht. Bei einer dünnen Kompakta splittern kleine, maximal 3 mm große Stücke ab. Je dicker die Kompakta, desto größer werden die Bruchstücke. Bei einer Dicke von ca. 7 mm entsteht oftmals schon ein einzelnes Bruchstück. Beim Verkantungsbruch kann auch die Druckrichtung bestimmt werden. Auf der Seite, an der der höchste Druck wirkte, entsteht nämlich eine glatte, schräg nach hinten laufender Bruchfläche, die in Rastlinien endet (Abb. 3.56 und 3.57).

Abb. 3.56
figure 56

Darstellung der Entstehung eines Verkantungsbruches (A) und eines Spitzenbruches (B). Der Arbeitsbereich des Werkzeugs verkantet sich im Werkstoff (meist Holz) und bricht schließlich aus, wenn das Werkzeug herausgezogen wird. Meist enden die Brüche in einer Rastlinie (Pfeil)

Abb. 3.57
figure 57

Schäftungen können als Druckpunkt auf das Knochenwerkzeug wirken, wodurch das Werkzeug nach wenigen Schlägen entlang der Schäftung bricht

Bei Knochenspitzen sieht der Verkantungsbruch etwas anders aus, da die Spitze aufgrund ihrer geringeren Materialdicke wesentlich bruchanfälliger ist als bei einem Werkzeug mit querstehender Arbeitskante. Beim Durchschlagen der Löcher in Leder oder auch in Rinde benötigt man eine feste, aber auch leicht nachgebende Unterlage. Am besten eignet sich hierzu Holz. Die Spitze bohrt sich beim Arbeiten in das Holz und kann sich schnell verkanten und dann abrechen. Dies geschieht bereits nach den ersten Schlägen und kann bei vielen Artefakten beobachtet werden. Dabei bricht nicht die ganze Spitze, sondern nur ein winziger u-förmiger Teil der Spitze aus (Abb. 3.583.59). Dieser Bruch beeinträchtigt die Funktionstüchtigkeit des Werkzeuges nicht und fällt deshalb auch nicht auf. Erst wenn sich die Spitze tief ins Holz gräbt, steigt das Risiko, dass die komplette Spitze abbricht. Ist dies der Fall, bricht sie sehr glatt und gerade ab.

Abb. 3.58
figure 58

Typischer Verkantungsbruch an einem Werkzeug

Abb. 3.59
figure 59

Spitzenbruch

3.3.4.3.5 Bruch durch direkten Schlag

Unter Bruch durch direkten Schlag werden alle Ausbrüche und Aussplitterungen an der Basis zusammengefasst. Diese Brüche entstehen entweder durch die Handhabung als Beitel, also durch den Schlag mit dem Klöpfel, oder als Beil, durch eine SchäftungFootnote 71, in der das Werkzeug mit jedem Auftreffen auf den Werkstoff auf die Stoßkante der Schäftung trifft. Das Aussehen dieser Brüche hängt stark von der Form des Werkzeuges ab. Bei einer Röhre mit proximalem Gelenk splittern zuerst die höchsten Stellen am Rand ab, die erhabenen Stellen in der Gelenkfläche werden nur gestaucht (Abb. 3.60). Je nach Länge und Stärke der Beanspruchung splittert die Gelenkfläche an den Stauchungen aus. Wurde an einem Röhrenwerkzeug die distale Gelenkrolle belassen, entstehen zuerst Stauchungen an den Rollen. Es kommt aber – vergleichbar der Gelenkfläche eines beanspruchten proximalen Gelenks – zu Aussplitterungen der Stauchungen. Diese beiden Brüche entstehen nur durch die Verwendung mit einem Klöpfel. Ohne zusätzliche Befestigungshilfen wie Löcher können diese Röhrenwerkzeuge prinzipiell nur schwer geschäftet werden.

Abb. 3.60
figure 60

Druckstellen auf einer Gelenkrolle durch direkten Schlag

Abb. 3.61
figure 61

Bruch durch direkten Schlag. Je breiter die Basis des Werkzeuges ist, desto größer ist die Gefahr von Ausbrüchen bei einem direkten Schlag

Abb. 3.62
figure 62

Bruch durch Drehbewegung. Dabei bricht der Arbeitsbereich plattig in Drehrichtung aus. Oftmals entsteht eine „Bohrspitze“

Bei Flachwerkzeugen kommt es bei einem direkten Schlag zu schuppenartigen bis flächigen Ausbrüchen an der Basis, ähnlich den Ermüdungsbrüchen im Arbeitsbereich (Abb. 3.61). Wie beim Ermüdungsbruch sind auch hier Haarrisse die Ursache für den Bruch. Deshalb gelten dieselben Voraussetzungen wie beim Ermüdungsbruch: Je nach Lage des Haarrisses kommt es zu einer schuppenartigen Aussplitterung oder zu plattigen Ausbrüchen. Auch Entstehung, Aussehen und Unterscheidung sind mit dem Ermüdungsbruch vergleichbar – der wesentliche Unterschied ist, dass diese Brüche an der Basis auftreten (Vgl. siehe Abb. 3.523.53).

Bei Flachwerkzeugen gibt es verschiedene Ursachen, die zu einem Bruch durch direkten Schlag führen. Zum einen kann er durch unpräzises Auftreffen oder Abrutschen des Klöpfels entstehen, wodurch sich Haarrisse bilden. Zum anderen kann er durch eine Direktschäftung verursacht sein. Hierbei bilden sich durch das stetige Auftreffen auf dieselbe Stelle Haarrisse, die schließlich zum Bruch führen.

3.3.4.3.6 Aussplitterung durch Drehbewegung

Aussplitterungen durch Drehbewegung entstanden im Experiment bisher nur beim Bohren von Löchern mit Spitzen, die flach angeschliffen waren. Durch die einseitige mechanische Belastung bei der Drehbewegung kommt es zu einem Gewaltbruch. Die Bruchfläche liegt in Drehrichtung, da der größte Druck an der Spitze des Werkzeuges ausgeübt wird (Abb. 3.62). Aufgrund der Lage der Bruchfläche kann auch bei den Artefakten die Drehrichtung bestimmt werden. Der Bruch entsteht schon nach wenigen Drehungen, verändert sich im weiteren Verlauf aber kaum mehr. Meist bildet sich eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Eckspitze (Abb. 3.62). Der Bruch beeinträchtigt die Funktionsweise des Werkzeuges nicht.

3.3.4.3.7 Bruch durch zu hartes Material

Brüche und Aussplitterungen, die durch einen härteren oder gleich harten Werkstoff entstehen, sind sehr leicht zu bestimmen. Bevor es zum Bruch kommt, sind bereits deutliche Deformierungen im Arbeitsbereich zu erkennen, ähnlich wie die Druckstellen an den Gelenkrollen. Wird der Druck zu groß, splittern genau diese Stellen aus. Dabei verläuft die Bruchfläche stark transkristallin. (Abb. 3.63).

Abb. 3.63
figure 63

Aussplitterung durch zu hartes Material. Dabei wird der Arbeitsbereich des Werkzeuges sehr stark beansprucht. Meist muss das Werkzeug nach kürzester Zeit nachgeschliffen werden

Es gibt verschiedene Ursachen für einen Splitterbruch. Er kann entweder durch die Bearbeitung von Geweih oder durch die Bearbeitung von trockenem Hartholz entstehen. Splitterbrüche können aber auch bei der Bearbeitung von Grünholz auftreten, wenn sich ein Astansatz im Holz befindet, der herausgearbeitet werden muss. Astansätze sind deutlich härter als das sie umgebende Splint- oder Kernholz und stellen deshalb eine höhere Belastung für das Werkzeug dar.

Durch das Wissen, wie Splitterbrüche entstehen, könnten sie durch den Benutzer eigentlich leicht vermieden werden. Überraschenderweise treten solche Brüche jedoch im archäologischen Material recht häufig auf.

3.3.4.3.8 Bruch bei der Herstellung

Oft entstehen Brüche bereits bei der Herstellung der Werkzeuge. Handelt es sich um einen Herstellungsbruch, ist die Ursache am Knochen zu erkennen, wie die Sägerille oder auch Hiebspuren. Zudem sind diese Brüche oftmals überprägt von Schleifspuren. Deshalb ist ein solcher Bruch leicht zu bestimmen.

3.3.4.3.9 Brüche aus dem archäologischen Material mit unbekannter Ursache

Der Vergleich mit dem archäologischen Material ergab, dass es weitaus mehr Brüche gibt, als bisher experimentell bestimmt werden konnten. Aufgrund des Aussehens der Brüche und des Vergleichs mit den bekannten Brüchen wurden diese nach möglichen allgemeinen Ursachen zusammengefasst. Bei den nachfolgenden Bestimmungen handelt es sich deshalb um Annahmen, die auf dem Wissen über die zuvor erläuterten Brüche basieren:

  • Bruch durch Druck: Darunter werden alle Brüche zusammengefasst, bei denen deutlich sichtbar ist, dass die Ursache ein starker Druck war.

  • Bruch durch Hebelwirkung oder Tritt: Hierbei handelt es sich um Brüche, die dem Schäftungsbruch stark ähneln, aber sehr viel geradliniger sind. Als mögliche Ursachen kommen eine Hebelwirkung, beispielsweise durch Abschälen von Rinde, oder ein Tritt infrage.

  • Bruch durch Verbiss: Verbiss durch Caniden führt häufig zu einem Zersplittern der Knochenwerkzeuge. Diese Brüche lassen sich jedoch in den meisten Fällen sehr leicht bestimmen, da stets Verbissspuren zu erkennen sind (Abb. 3.64).

  • Bruch durch unsachgemäßen Gebrauch: Brüche können natürlich auch durch eine falsche Handhabung entstehen, d. h. die Benutzung an einem viel zu harten Material oder eventuell auch einfach durch gewaltsamen Gebrauch. Da hier hauptsächlich Persönlichkeit, Geschicklichkeit und Erfahrung des Menschen ausschlaggebend ist, der das Werkzeug benutzt, kann die Art und die Weise der Benutzung und des Bruches nicht mehr oder nur sehr schwer ermittelt werden.

  • Bruch durch Brand: Sind Knochenwerkzeuge Hitze ausgesetzt, werden sie schnell spröde. Liegen sie zudem direkt im Feuer, zersplittern sie sehr leicht. Aus diesem Grund findet man auch kaum vollständige Artefakte, die flächig starke Brandspuren aufweisen.

  • Bruch unbestimmt, aber nicht durch Brand entstanden: Hier werden alle Brüche zusammengefasst, die nicht näher bestimmt werden können. Hierzu zählen auch Artefakte, die völlig zersplittert sind, d. h. es sind nur noch kleine oder einzelne Bruchstücke vorhanden. Diese Brüche muss eine große Krafteinwirkung verursacht haben, die nicht näher bestimmt werden kann.

Abb. 3.64
figure 64

Bruch durch Verbiss. Bei vielen Artefakten konnte festgestellt werden, dass sie durch Canidenverbiss gebrochen sind. (Maßstab 1 cm)

Tab. 3.5 Darstellung der Spuren an archäologischen Artefakten und Repliken der jeweiligen Typen. Die an den Knochenartefakten bestimmten Spuren stimmen nicht unbedingt mit den Herstellungs- und Gebrauchsspuren an den Repliken überein. Dies bedeutet, dass die Artefakte z. T. auch für andere Werkstoffe oder Aktionen verwendet wurden. AB = Arbeitsbereich, Ssp = Schleifspuren

3.4 Vergleich der Spuren an den Repliken mit den Spuren an den archäologischen Knochenartefakten

Bei der Verwendung der nachgebauten Typen wurde auf eine möglichst lange und vielfältige Verwendung geachtet (Tab. 3.6), d. h. dass die Werkzeuge auch bei verschiedenen Werkstoffen zum Einsatz kamen. So ist gewährleistet, dass die Gebrauchsspuren ausreichend Zeit hatten sich zu entwickeln.

Um die Spuren an den Artefakten mit den Herstellungs- und Gebrauchsspuren der Repliken vergleichen zu können, wurden diese in Tabelle 3.5 gegenübergestellt. Dafür werden für jeden nachgebauten Typ und dem archäologischen Pendant die beobachteten Spuren stichwortartig gelistet, wobei darauf geachtet wurde, gleichbleibende Beschreibungen zu verwenden, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Zudem werden für jeden Typ der angenommene und schließlich der bearbeitete Werkstoff bzw. die ausgeführte Bewegung gegenübergestellt. Vergleicht man nun die Spuren, die an den archäologischen Artefakten der jeweiligen Typen beobachtet werden konnten, mit denen an den Repliken, die durch die Verwendung mit einem bestimmten Werkstoff entstanden sind, stellt man schnell fest, dass die direkten und indirekten Gebrauchsspuren nicht unbedingt übereinstimmen. Dies war zu erwarten, da nur bestimmte Werkstoffe und auch bestimmte Werkzeuge ausgewählt worden waren. Dennoch zeigen die Ausnahmen, wie die Rippenhechel, dass die Funktionsannahmen durchaus stimmen können. Oftmals zeigt sich, dass die einzelnen Typen viel mehr Funktionen gehabt haben müssen, als angenommen. Dies führt zu dem Schluss, dass die Typologie nicht entsprechend erweitert werden kann, da die Aktionszuordnung kaum von der Morphologie des Werkzeuges abhängig ist. Die Werkzeuge müssen deshalb in neue funktionale Kategorien eingeteilt werden.

Tab. 3.6 Die unterschiedlichen Handhabungsarten der Knochenwerkzeuge können bestimmten Werkstoffen zugeordnet werdenwe

3.4.1 Ergebnis – Die Aktionsgruppen

Die Analyse der Gebrauchsspuren anhand des systematisierten Datenblattes (Tab. 3.3) machte aufgrund der großen Ähnlichkeit der direkten Gebrauchsspuren sehr schnell deutlich, dass der entsprechende Werkstoff nicht unmittelbar bestimmt werden kann. Stattdessen ist durch das Zusammenspiel von direkten und indirekten Gebrauchsspuren die Funktionsweise bzw. Handhabung ableitbar. So lassen sich Gruppen von verschiedenen Werkstoffen bilden, bei deren Bearbeitung dieselbe Bewegung oder Aktion der Werkzeuge zugrunde liegt. Die Werkzeuge also auf dieselbe oder zumindest auf eine sehr ähnliche Weise gehandhabt werden (Abb. 3.65 und Tab. 3.6). So beinhaltet die Gruppe Schaben die Werkstoffe Rinde, Holz, Fleisch/Knochen und Leder. Bei all diesen Werkstoffen wird das Werkzeug in einer schabenden Bewegung geführt. Beispielsweise wird die äußere Rinde entfernt oder die Oberfläche eines Werkstoffs durch Schaben versäubert. Ähnlich verhält es sich bei Leder und Rohhaut. Diese werden durch Schaben weich. Bei allen Aktionsgruppen gilt zudem die Formel „form follows function“. Aufgrund dessen können die einzelnen Gruppen teilweise noch weiter eingegrenzt werden. Beispielsweise versteht es sich von selbst, dass die Spitzen in der Stechen-Gruppe nicht zur Bearbeitung von Holz oder Geweih, sondern zur Bearbeitung von Leder oder Rinde verwendet werden. Auch zusätzliche direkte oder indirekte Gebrauchsspuren können innerhalb einer Gruppe den Werkstoff weiter eingrenzen. So treten in der Reiben-Gruppe feine Querrillen nur beim Polieren von Keramik auf. Dieses Beispiel zeigt auch, dass es zum Teil möglich ist, die Gruppe bis auf einen bestimmten Werkstoff einzugrenzen.

Abb. 3.65
figure 65

Die Aktionsgruppen. Dargestellt sind die Bewegungen, die in der Aktionsgruppe ausgeführt werden und die Werkstoffe, die diese Gruppen beinhalten

Die einzelnen Aktionsgruppen werden also durch das Zusammenspiel von direkten und indirekten Gebrauchsspuren gebildet. Anhand der Ergebnisse aus den Experimenten wurde ein Bestimmungskatalog entwickelt, der aufgrund definierter Merkmale eine Zuordnung zu einer Aktionsgruppe ermöglicht. Dabei spielt vor allem das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein sowie die Ausprägungsstärke der verschiedenen Merkmale eine große Rolle. So sind Bruchstellen in allen Bereichen des Werkzeugs immer ein Hinweis auf die Gruppe Stechen/Schlagen, wogegen Handglanz an der Basis immer auf eine bruchschonende Handhabung wie in den Gruppen Schaben oder Streichen/Reiben hindeutet (siehe elektronisches Zusatzmaterial, Kap. A).

Die verschiedenen Werkzeuge in den festgelegten Aktionsgruppen kommen bei unterschiedlichen Werkstoffen zum Einsatz (Tab. 3.6) und implizieren jeweils eine bestimmte Bearbeitung der Materialien.

Im Folgenden sollen die einzelnen Aktionsgruppen, die bisher abgegrenzt werden konnten, detailliert vorgestellt werden. Eine Verifizierung der verschiedenen Gruppen durch statistische Verfahren ist aufgrund der geringen Stichprobenzahl nicht möglich. Für eine statistische Auswertung müssten die verschiedenen Merkmale so stark vereinfacht werden, dass wichtige Informationen verloren gehen würden, wie ob an der Arbeitskante noch Schleifspuren sichtbar sind. Diese Informationen sind jedoch für die Zuordnung der Werkzeuge zu den Aktionsgruppen unerlässlich. Aus diesen Gründen kann die vorliegende Arbeit kein endgültiges Ergebnis zur Bestimmung von Gebrauchsspuren anbieten, da ihr lediglich eine kleine Menge an bearbeiteten Werkstoffen und Knochenwerkzeugen zugrunde liegt. Vielmehr soll mit dem erarbeiteten und am Ende der Arbeit angehängten Bestimmungskatalog ein Werkzeug zur Bestimmung der Gebrauchsspuren geliefert werden, das bei Verwendung auch durch andere Forscher immer weiter optimiert werden kann.

3.4.1.1 Streichen/Reiben/Rippen

Zur Streichen/Reiben/Rippen-Gruppe zählen das Verstreichen und Polieren von Keramik, das Rippen von Pflanzenfasern wie Lein, sowie das Verschmieren von Birkenpech.

Beim Streichen/reiben wird das Werkzeug mit leichtem Druck über den Werkstoff gezogen. Die Ziehrichtung erfolgt in Längs- oder Querrichtung des Werkzeugs von der Schneide weg (Abb. 3.66). Deshalb bleibt die Schneide meist scharf. Im Arbeitsbereich entstehen der Bewegungsrichtung entsprechend auf der Oberfläche des Knochens feine Quer- oder Längsrillen, durch die die Arbeitsrichtung bestimmt werden kann. Sie sind aufgrund ihres kleineren Querschnittes und des unregelmäßigen Verlaufs nicht mit Schleif- oder Schnittspuren zu verwechseln. Schleifspuren sind aufgrund des Abriebs kaum oder nicht mehr sichtbar. Die Oberfläche im Arbeitsbereich wird zudem durch die streichende oder reibende Handbewegung poliert. Aufgrund der schlagdrucklosen Handhabung entstehen bei dieser Arbeit keinerlei Bruchstellen. Weisen die Werkzeuge dennoch Bruchstellen auf, handelt es sich um Herstellungsbrüche oder um Brüche, die andere Ursachen haben, wie eine Fehlbenutzung. Durch die Führung des Werkzeuges direkt mit der Hand kann nach längerer Benutzung am Schaft und je nach Größe des Werkzeuges auch an der Basis Handglanz entstehen.

Abb. 3.66
figure 66

Die beim Streichen, Reiben und Rippen ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

Eine Untergruppe ist Rippen, denn es liegt eine ähnliche Bewegung zugrunde. Die Merkmalsausprägungen unterscheiden sich jedoch deutlich von Streichen und Reiben. Es treten zum Teil deutliche Verrundungen der Schleifspuren auf, und durch die harten Silikate in den Zellwänden der Pflanzen entstehen Rillen in Zugrichtung (meist Längsrillen), deren Stärke von der Nutzungsdauer abhängig ist.

3.4.1.2 Schaben

Die entgegengesetzte Handhabung von Streichen ist Schaben. Schabende Bewegungen kommen hauptsächlich bei der Bearbeitung von Rinde, Holz, Fleisch/Knochen und Leder zum Einsatz. Hierbei wird das Werkzeug schabend über den Werkstoff geführt. Dadurch ist die Schneidekante ständig in Kontakt mit dem Werkstoff und wird durch den ausgeübten beständigen Druck und die Reibung verrundet. Zudem wird beim Schaben z. T. nicht nur die Schneidekante, sondern der gesamte untere Arbeitsbereich über den Werkstoff geschoben. Deswegen sind Schleifspuren schon nach kurzer Benutzungsdauer auf dieser Seite kaum oder nicht mehr sichtbar. Durch den gleichmäßig ausgeübten Druck entstehen weder im Arbeitsbereich noch an der Basis Ausbrüche. Auch sind an der Basis keinerlei Druckstellen zu beobachten. Bei der Bewegung des Schabens sind die meisten Schäftungsarten eher hinderlich, einzig Griffschäftungen kämen in Frage. Aber selbst bei diesen wird das Werkzeug kurz oberhalb des Arbeitsbereiches gehalten, um genug Druck von oben auf die Schneidekante zu bringen. Wenn dieser Druck nicht ausreichend vorhanden ist, kann das Werkzeug kein Material abnehmen, da es über alle Erhebungen rutscht, ohne sie abzuschaben. Die Schubkraft wird von der Basis aus erzeugt (Abb. 3.67). Es gibt aber auch die Möglichkeit, das Werkzeug „schwingend“ zu benutzen, indem man streichend beginnt und schabend endet. Da die Werkzeuge direkt an ihrem Schaft gegriffen werden, entsteht dort auch der stärkste Glanz. Ist auch an der Basis Glanz zu erkennen, wurde das Werkzeug ohne Griffschäftung direkt geführt. Wurde das Werkzeug schwingend benutzt, sind im oberen Arbeitsbereich die Schleifspuren immer noch deutlich sichtbar. Nur im Bereich direkt über der Schneidekante sind keine Schleifspuren mehr zu erkennen.

Abb. 3.67
figure 67

Die beim Schaben ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

Abb. 3.68
figure 68

Die beim Spalten ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

3.4.1.3 Spalten

Spaltende Bewegungen kommen bei der Gewinnung von Pflanzenfasern wie Brennnesseln zum Einsatz. Auch dünne oder hohle Äste, wie die des Holunders, können so aufgespalten werden (Abb. 3.68). Bei dieser Bewegung kommt die Schneidekante nur beim Ansetzen des Spaltvorgangs mit dem Werkstoff in Kontakt, weshalb sich hier, abgesehen von einer leichten Verrundung der Schleifspuren, kaum Spuren feststellen lassen. Nach dem Ansetzen wird der Werkstoff durch die Kante zwischen Arbeitsbereich und Schaft aufgespalten. Der Werkstoff reibt an dieser Kante entlang, weshalb sie stark verrundet und daher keinerlei Schleifspuren mehr aufweist. Durch die ständige Reibung entstehen ein starker, sehr glatter Glanz und feine Längsrillen. Aufgrund des geringen und gleichförmigen Drucks kommt es zu keinen Ausbrüchen oder Druckstellen. Am Schaft und an der Basis kann ähnlich wie bei Drehen/Bohren je nach Dauer der Benutzung Handglanz beobachtet werden, der – anders als bei Drehen/Bohren – an Schaft und Basis etwa gleich ausgeprägt ist.

3.4.1.4 Drehen/Bohren

Vor allem bei Leder und Rinde kommt die drehende oder bohrende Bewegung zum Einsatz, wobei Bohren nur bei festeren Materialien wie Rinde möglich ist. Auch Weichholz kann mit Knochenwerkzeugen gebohrt werden.

Abb. 3.69
figure 69

Die beim Drehen und Bohren ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

Beim Drehen oder Bohren wird das Werkzeug um die eigene Achse gedreht, während es im Werkstoff steckt. Dabei kommt bis zu 1 cm des Arbeitsbereiches in Kontakt mit dem Werkstoff. In diesem Bereich entsteht Glanz, und die Schleifspuren sind bei langer Verwendung kaum mehr zu erkennen. Stattdessen entstehen feine Querrillen. Das Werkzeug wird mit gleichbleibendem Druck im Werkstoff gedreht. Der Druck wird von der Basis her ausgeübt, die in der Handfläche liegt. Deshalb entsteht hier auch der meiste Handglanz. Die Finger, die den Schaft festhalten, wechseln ständig die Position, um das Werkzeug zu rotieren lassen (Abb. 3.69). Der Glanz entsteht hier erst nach einer gewissen Nutzungszeit, ist aber aufgrund des höheren Griffdruckes auch stärker ausgeprägt. Nach ca. 20 Arbeitsstunden ist das Werkzeug regelrecht abgegriffen.

Ist der Arbeitsbereich des Werkzeuges flach und nicht rund angeschliffen, wurde es zum Bohren von Löchern genutzt. Hierbei entstehen charakteristische starke Ausbrüche an der Schneidespitze, die zudem die Drehrichtung des Werkzeuges anzeigen (Vgl. Abschn. 3.3.4.3).

3.4.1.5 Ritzen

Diese Art der Handhabung spielt vor allem bei Leder und Keramik eine Rolle, aber auch bei Rinde und Holz.

Abb. 3.70
figure 70

Die beim Ritzen ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

Beim Ritzen wird das Werkzeug mit gleichbleibendem Druck, der je nach Festigkeit des Werkstoffs etwas stärker oder schwächer ausfällt, in den Werkstoff gedrückt und darüber gezogen (Abb. 3.70). Durch diese Art der Verwendung entstehen ausschließlich an der Schneidekante oder der Spitze im Bereich von 1 mm direkte Gebrauchsspuren. Im oberen Arbeitsbereich, der nicht mit dem Werkstoff in Berührung kommt, finden sich dementsprechend keinerlei Veränderungen. Durch die gleichbleibende schleifende Bewegung des Werkzeugs wird dieses in der Regel nicht stumpf. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen, bei denen beide Male die Spitze stumpf wird: zum einen beim Einritzen von Verzierungen in Keramik, wobei die Spitze durch die stark schmirgelnde Konsistenz des Tones gleichmäßig verrundet und deutlichen Glanz aufweist, zum anderen beim Anritzen von Leder auf einer harten Unterlage, wie einem Lehmfußboden. Hierbei entsteht durch die harte Unterlage ebenfalls eine stumpfe Arbeitskante, wobei deutlich Rillen in Führungsrichtung zu erkennen sind. Sie sehen aus wie bereits verrundete Schleifrillen.

Die Spitzen aller Werkzeuge weisen leichten Glanz auf. Wie bei Streichen/Reiben entstehen keinerlei Ausbrüche oder Druckstellen. Je nach Form und Handhabung des Werkzeugs entsteht am Schaft und an der Basis Handglanz, wobei er am Schaft immer stärker ausgeprägt ist. Diese Werkzeuge zeigen nie Schäftungsspuren.

Abb. 3.71
figure 71

Die beim Stechen ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

Abb. 3.72
figure 72

Die beim Schlagen ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

3.4.1.6 Stechen/Schlagen

Stechen und Schlagen ist wohl die größte der bisher beschriebenen Aktionsgruppen, da diese Bewegungen auch am häufigsten zum Einsatz kommen (Abb. 3.71 und 3.72). Zu dieser Gruppe zählen vor allem Werkstoffe wie Holz, Geweih, Rinde und Leder. Die Werkzeuge weisen meist eine querstehende Arbeitskante auf, wobei die Werkzeuge für Leder und für Rinde mitunter auch eine Spitze haben können.

Beide Handhabungen sind charakterisiert durch einen schlagartigen starken Druck auf das Werkzeug. Vermehrte und größere Bruchstellen vor allem im Arbeitsbereich und an der Basis sind deshalb keine Seltenheit. Je nach Stärke des Drucks kann sich der Bruch auch bis in den Schaft ziehen. Durch den plötzlichen starken Impuls wird die Schneide in den Werkstoff gepresst und durchtrennt dabei die Fasern. Bei Stechen ist diese Bewegung zielgerichtet, denn das Werkzeug wird an die Stelle gesetzt, die durchtrennt werden soll. Bei Schlagen dagegen ist die Bewegung diffus, da das Werkzeug in der Bewegung auf den Werkstoff trifft. Der Arbeitsbereich der Werkzeuge dringt deshalb nur wenige Millimeter tief in den Werkstoff ein. Die Schleifspuren bleiben immer sichtbar, zeigen aber schon nach kurzer Benutzung Verrundungen an den Kanten. Nach längerem Arbeiten wird die Schneide stumpf. Durch das ständige Nachschärfen werden die direkten Gebrauchsspuren regelmäßig beseitigt. Nur bei der Bearbeitung von Leder und Rinde, wo nur selten nachgeschärft werden muss, verschwinden die Schleifspuren nach längerem Gebrauch im vorderen Arbeitsbereich. An allen Werkzeugen finden sich im Basisbereich starke Druckstellen, die je nach Stärke auch ausgebrochen sein können. Ob mit dem Werkzeug eher stechende oder schlagende Bewegungen ausgeführt wurden, kann nur anhand bestimmter indirekter Gebrauchsspuren einwandfrei geklärt werden. So wurden Werkzeuge, die am Schaft Handglanz aufweisen, ausschließlich stechend genutzt, wogegen bei Werkzeugen, die Schäftungsglanz aufweisen, eher Schlagen vermutet werden kann. Fehlen diese beiden indirekten Spuren oder sind diese Spuren nicht stark genug ausgeprägt, kann die Bewegung nicht differenziert werden.

Sind bei der Aktionsgruppe Stechen/Schlagen sehr starke Aussplitterungen im Arbeitsbereich zu erkennen, wurde mit diesem Werkzeug zu hartes Material wie Geweih oder trockenes Hartholz bearbeitet.

3.4.1.7 Schneiden

Beim Schneiden wird das Werkzeug kontrolliert mit einer geradlinigen Vor- und Rückwärtsbewegung durch den Werkstoff geführt (Abb. 3.73). Die Experimente haben gezeigt, dass alle Messer aus Knochen schnell stumpf werden und sehr häufig überschliffen werden müssen, weshalb sich keinerlei direkte Gebrauchsspuren bilden können. Die einzige Veränderung, die beobachtet werden kann, ist eine Veränderung der Oberfläche durch Fruchtsäure. Da mit Silexklingen viel einfacher und effizienter geschnitten werden kann, ist die Verwendung von Silex für Schneidearbeiten wahrscheinlicher.

Die messerartigen Werkzeuge aus Knochen, die im archäologischen Fundmaterial immer wieder auftauchen, wurden wahrscheinlich nicht zum Schneiden verwendet, sondern zum Rippen von Pflanzenfasern oder als Abstandshalter beim Weben. Dies ist allerdings noch nicht genügend untersucht und muss als Hypothese stehenbleiben.

Abb. 3.73
figure 73

Die beim Schneiden ausgeführte Bewegungen. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

3.4.1.8 Kämmen

Das Kämmen kommt vor allem bei der Bearbeitung von pflanzlichen Fasern zum Einsatz. Als pflanzliche Fasern wurden bei den Experimenten Brennnessel, Lein und Bast verarbeitet.

Anders als beim Streichen fährt beim Kämmen das Werkzeug durch den Werkstoff hindurch (Abb. 3.74). Die Bewegung ist aber bei beiden Arbeitsgängen identisch. Das Werkzeug wird jeweils in eine Richtung durch den Werkstoff geführt. Im Gegensatz zum Streichen muss jedoch kaum Druck ausgeübt werden. An der Kammseite entsteht ein deutlicher Glanz und Politur. Schleifspuren sind an dieser Seite schon nach kurzer Benutzung nicht mehr sichtbar und die Arbeitskante wird stumpf. Auf der rückwärtigen Seite entstehen dagegen kaum Veränderungen, vorausgesetzt, das Werkzeug wird nicht gedreht. Falls es gedreht wird, zeigen beide Seiten dieselben Abnutzungen. Da ohne jeglichen Druck gearbeitet werden kann, finden sich keine Ausbrüche oder Druckstellen an den Werkzeugen. Die Werkzeuge zum Kämmen werden aus mehreren einzelnen gleichgebauten Teilen zusammengesetzt, weshalb Schäftungsspuren durch Knochenglanz und durch Wicklung im mittleren Bereich des Schafts beobachtet werden können.

Die starke Abnutzung des Arbeitsbereichs der Werkzeuge, mit denen pflanzliches Material verarbeitet wurde, entsteht wahrscheinlich durch in den Zellwänden eingelagerte Silikatkristalle.

Möglicherweise schließt die Aktionsgruppe Kämmen auch die Verarbeitung von Wolle mit ein. Experimente hierzu wurden nicht durchgeführt, es ist aber anzunehmen, dass hierbei die direkten Gebrauchsspuren aufgrund der anderen Oberflächenbeschaffenheit von Wolle anders aussehen dürften.

Abb. 3.74
figure 74

Die beim Kämmen ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)

3.4.1.9 Drücken

Das Drücken kam experimentell bisher nur bei der Bearbeitung von Silex zum Einsatz. Bei der Handhabung des Drückens wird das Werkzeug mit starkem gleichmäßigem Druck auf den Rand des Werkstoffs gedrückt, um Material abzunehmen (Abb. 3.75). Dabei kratzt die Schneidekante über den Rand des meist harten Werkstoffs. Somit kommt nur der vorderste Arbeitsbereich in Kontakt mit dem Werkstoff, weshalb sich auch nur dort direkte Gebrauchsspuren finden. Im restlichen Arbeitsbereich entstehen selbst nach längerem Gebrauch keinerlei Veränderungen. Die Spitze weist starke parallele Rillen auf, die wie Silexschnitzspuren aussehen. Einziger Unterschied ist, dass sie beim Drücken kreuz und quer verlaufen. Aufgrund des gleichmäßig ausgeübten Drucks, der ohne schlagende Kräfte wirkt, finden sich keinerlei Druckstellen oder Ausbrüche. Bei langem Gebrauch entsteht im Griffbereich am Schaft und gegebenenfalls an der Basis Handglanz.

Abb. 3.75
figure 75

Die beim Drücken ausgeführte Bewegung. (Schwarzer Pfeil = Bewegungsrichtung; Roter Pfeil = Druckrichtung)