1 Epistemische Autorität und Testimonialerkenntnis

Trotz der großen Bedeutung sozialer Erkenntnisquellen sowohl für unsere öffentliche als auch unsere private epistemische Praxis (wahrscheinlich sind ein großer Teil der Erkenntnisse, die wir über die Welt besitzen, Erkenntnisse „aus zweiter Hand“) hat die Erkenntnistheorie – mit Ausnahme einiger klassischer Autoren wie Locke, Hume oder Reid – dieses Thema lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich die soziale Erkenntnistheorie als eigenständige Subdisziplin entwickelt und versucht, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren. Die Debatte über epistemische Autorität lässt sich als ein spezieller Strang innerhalb der sozialen Erkenntnistheorie betrachten, der insbesondere zu Goldmans erster Strömung gezählt werden kann („individual doxastic agents (IDAS) with social evidence“, vgl. die Typologie in Kapitel 2). Maßgebliche Impulse hat diese Debatte durch das Buch Epistemic Authority: A Theory of Trust, Authority, and Autonomy in Belief von Linda Zagzebski (2012) erhalten,Footnote 1 an das sich eine intensive Diskussion angeschlossen hat.Footnote 2 Diese Debatte ist verwandt mit anderen Diskussionssträngen, die ebenfalls zu Goldmans erster sozialepistemologischer Strömung gehören, die, obgleich es verschiedene Wechselbeziehungen gibt, von der Diskussion über epistemische Autorität unterschieden werden sollten. In diesem Abschnitt soll es um eine solche Abgrenzung gehen.

Die zwei wichtigsten der besagten Diskussionsstränge sind die zu den Themen Testimonialerkenntnis und Experten/Expertise. Auf die Frage, was Experten mit epistemischen Autoritäten gemeinsam haben und was sie voneinander unterscheidet, werde ich in Abschnitt 6.3 noch genauer eingehen. Grob gesagt lautet die Antwort: Experten treten in der Tat häufig als epistemische Autoritäten in Erscheinung, aber sie sind nicht notwendigerweise epistemische Autoritäten, während umgekehrt epistemische Autoritäten auch nicht notwendigerweise Experten sein müssen.

Was die Debatte über Testimonialerkenntnis betrifft, so ist das dort verhandelte Thema sowohl weiter als auch – in einem anderen Sinne – enger als das in der Debatte über epistemische Autorität verhandelte. Es ist insofern weiter, als es bei der Debatte über Testimonialerkenntnis nicht unbedingt um einen kommunikativen Akt zwischen einem epistemisch superioren und einem inferioren Akteur handelt. Von „Testimonialerkenntnis“ zu reden lässt offen, wie groß der „epistemische Abstand“ zwischen den Kommunikationspartnern ist. Natürlich setzt jeder Fall von testimonialem Transfer eine gewisse epistemische Asymmetrie voraus: Die testimoniale Quelle muss beispielsweise etwas wissen, was der Empfänger nicht bereits selbst schon weiß; andernfalls kann dieser ja nichts auf testimoniale Weise von jener lernen. Damit ein Fall von Testimonialerkenntnis vorliegen kann, genügt aber bereits eine Proposition, die die Quelle weiß, der Empfänger aber nicht (jedenfalls nicht vor dem testimonialen Kommunikationsakt). Wenn man es aber mit einer epistemischen Autorität zu tun hat, dann liegt demgegenüber eine besonders ausgeprägte epistemische Asymmetrie vor: Die Autorität hat (zumindest im Hinblick auf die relevante thematische Domäne) einen erheblichen epistemischen Vorsprung gegenüber demjenigen, für den sie eine Autorität ist, was etwa bedeuten kann, dass sie den Wahrheitswert von sehr viel mehr Propositionen kennt als dieser, oder dass es sich um Wissen handelt, das für ihn semantisch oder justifikatorisch esoterischen Charakter besitzt.Footnote 3

Das in der Debatte über Testimonialerkenntnis verhandelte Thema ist in einem anderen Sinn aber auch enger als das in der Debatte über epistemische Autorität verhandelte. Der paradigmatische Fall von Testimonialität besteht, wie Pritchard hervorhebt, in einem intentionalen Überzeugungstransfer von einer Person zu einer anderen („intentional transfer of a belief from one agent to another, whether in the usual way via a verbal assertion made by the one agent to the other, or by some other means, such as through a note“, Pritchard 2004, 326). Nun gibt es engere und weitere Definitionen dessen, was ein testimonialer Akt ist (vgl. etwa Lackey 2006b), aber alle verlangen das Vorhandensein eines geeigneten Kommunikationsakts. Demgegenüber kann man sich in seinem epistemischen Verhalten auf eine epistemische Autorität stützen, auch ohne dass es eine solche Form von Kommunikation gegeben haben muss. Wenn ich beispielsweise als medizinischer Laie beobachtet habe, dass eine befreundete Kinderärztin ihre eigenen Kinder impft, aufgrund dieser Beobachtung auf ihre Überzeugung schließe, dass diese Impfungen sicher sind, und die Tatsache, dass sie diese Überzeugung hat, schließlich ein Grund für mich ist, diese Überzeugung meinerseits auszubilden, dann ist die Kinderärztin für mich eine epistemische Autorität in dieser Hinsicht, auf die ich mich in meiner Urteilsbildung stütze, auch ohne dass es einen „intentionalen Überzeugungs-Transfer“ gegeben haben müsste.

Freilich mag die häufigste Form der Interaktion mit epistemischen Autoritäten durchaus testimonialen Charakter haben. Typischerweise wird man einfach mit der Kinderärztin reden und die eigenen Überzeugungen auf diese Weise bilden. Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einen zumindest etwas genaueren Blick auf die Struktur der traditionellen epistemologischen Debatte über Testimonialität werfen, um daraufhin eine Positionierung im Hinblick auf die anzustellenden Überlegungen über epistemische Autoritäten vornehmen zu können.

Im Mittelpunkt der klassischen epistemologischen Debatte über Testimonialität steht die Frage, auf welche Weise testimonial erworbene Überzeugungen gerechtfertigt werden können. In diesem Zusammenhang ist es üblich, zwischen einer reduktionistischen Herangehensweise (deren locus classicus Hume (1748) ist) und einer anti-reduktionistischen Herangehensweise (deren locus classicus Reid (1764) ist) zu unterscheiden. Vertreter der letzteren gehen davon aus, dass Testimonialität eine Erkenntnisquelle ist, die in einem bestimmten Sinn nicht auf nicht-testimoniale Quellen reduzierbar ist. Das bedeutet, dass ein Empfänger einer testimonialen Kommunikation eine Rechtfertigung besitzt, den kommunizierten Inhalt zu glauben, allein aufgrund des Umstands, dass er Empfänger eines testimonialen Kommunikationsaktes ist. Auch in einer (hypothetischen) Situation, in der er nichts über die testimoniale Quelle wüsste, besäße er eine solche Rechtfertigung. Anti-Reduktionisten vergleichen Testimonialerkenntnis gerne mit Wahrnehmungserkenntnis: Wenn man wahrnimmt, dass p, dann besitzt man einen Grund, p zu glauben, auch wenn man weder grundsätzlich die Zuverlässigkeit von Wahrnehmungserkenntnis rechtfertigen kann, noch speziell die Zuverlässigkeit des beteiligten Wahrnehmungsorgans in der fraglichen Situation. In ähnlicher Weise hat man Anti-Reduktionisten zufolge als Empfänger eines testimonialen Aktes einen Grund, den kommunizierten Inhalt zu glauben, auch wenn man weder die Zuverlässigkeit von Testimonialität im Allgemeinen noch die der fraglichen testimonialen Quelle im Besonderen rechtfertigen kann.

Reduktionisten wenden sich mit dem Vorwurf gegen den Anti-Reduktionismus, dieser sei eine philosophische Legitimation für Leichtgläubigkeit (vgl. etwa Fricker 1994). Sie behaupten demgegenüber, dass man nur dann gerechtfertigt ist, den Inhalt einer bestimmten testimonialen Kommunikation zu glauben, wenn man die Zuverlässigkeit von Testimonialerkenntnis überhaupt rechtfertigen kann oder zumindest die Zuverlässigkeit der konkreten Quelle, von der man die Information übernimmt. In diesem Sinne kann man einen globalen und einen lokalen Reduktionismus unterscheiden. Der erste verlangt, dass ein Empfänger die epistemische Zuverlässigkeit von Testimonialität insgesamt rechtfertigen können muss. Das könnte im Prinzip vielleicht dadurch geschehen, dass er hinreichend viele Beispiele testimonialer Akte daraufhin untersucht, ob sie ihm zu wahren Überzeugungen verhelfen, um dann induktiv zu verallgemeinern und zu schlussfolgern, dass testimoniale Akte grundsätzlich zuverlässig sind. Der globale Reduktionismus ist einigen bekannten Einwänden ausgesetzt, beispielsweise dem, dass Kinder bereits früh darauf angewiesen sind, Informationen von den Erwachsenen testimonial zu übernehmen, ohne die Zuverlässigkeit von Testimonialerkenntnis in der vom globalen Reduktionismus geforderten Weise rechtfertigen zu können, oder dem Einwand, dass testimoniale Kommunikation eine viel zu heterogene Kategorie darstellt, um sinnvolle Generalisierungen vornehmen zu können. Auskünfte darüber, was man zum Frühstück gegessen hat, über das eigene Alter und Gewicht, über seine Vorstrafen, über die Leistungen der eigenen Kinder, über die Uhrzeit, über das Aussehen des Partners oder über den Charakter eines politischen Gegners – all diese testimonialen Akte sind sehr unterschiedlich und in sehr unterschiedlichem Maße zuverlässig (während Auskünfte über die Uhrzeit oder darüber, was man zum Frühstück hatte, sehr zuverlässig zu sein pflegen, tendieren Auskünfte über die Leistungen der eigenen Kinder oder über den Charakter des politischen Gegner dazu, unzuverlässig zu sein, wohingegen wiederum Auskünfte über Alter, Gewicht und Vorstrafen typischerweise sehr unterschiedlich zuverlässig sind, je nachdem, wer die Auskünfte unter welchen Umständen gibt) (vgl. Lackey 2006a, 162). Dieses Problem zumindest vermeidet der lokale Reduktionismus, dem zufolge vom Empfänger einer testimonialen Kommunikation nur verlangt werden sollte, die Zuverlässigkeit der jeweiligen Quelle rechtfertigen zu können, nicht aber die von Testimonialerkenntnis ganz allgemein. Diese Rechtfertigung könnte etwa so aussehen, dass der Empfänger Informationen über die Quelle und die konkrete kommunikative Situation heranzieht und überlegt (oder zumindest entsprechende Überlegungen anstellen könnte), ob die von der Quelle in der gegebenen Situation behauptete Proposition wahrscheinlich wahr ist. Für diese Einschätzung sind insbesondere Informationen zweierlei Typs relevant: Informationen über die Kompetenz des Sprechers und Informationen über seine Aufrichtigkeit. Denn die Mitteilung einer Person besitzt offenbar nur in dem Maße Wert für mich, in dem die Person etwas von der Sache versteht, über die sie berichtet (das betrifft den Kompetenzaspekt), und in dem sie ihre wirklichen Überzeugungen kommuniziert. Man kann wenig epistemischen Gewinn aus einer Mitteilung ziehen, deren Quelle zwar aufrichtig ist, aber nur falsche Überzeugungen über die kommunizierten Sachverhalte besitzt. Dasselbe gilt für den Fall, dass die Quelle zwar wahre Überzeugungen besitzt, diese aber nicht aufrichtig mitteilt.

Die Informationen über die Quelle und die Kommunikationssituation können übrigens durchaus ihrerseits wiederum testimonialer Herkunft sein. Wenn mir beispielsweise eine Person P1 etwas über ihre Vorstrafen erzählt, ich aber P1 nicht gut kenne und auch wenig Erfahrung mit der Thematik habe, dann kann ich zur besseren Beurteilung der Situation unter Umständen Informationen heranziehen, die mir andere, von mir als zuverlässig eingeschätzte Personen gegeben haben (P2 könnte etwa aufschlussreiche Informationen über P1 besitzen und mir mitteilen; P3 könnte mir Erklärungen darüber geben, was es generell mit Vorstrafen auf sich hat usw.). Was Reduktionisten allerdings verlangen, ist, dass die Kette dieser Rechtfertigungen irgendwann ein nicht-testimoniales Ende findet. Ich muss also letzten Endes nicht-testimonial (also durch Verwendung eigener Wahrnehmung, Schlussfolgerung usw.) rechtfertigen können, dass P2 und P3 (oder weitere Personen, auf die ich mich wiederum zur Einschätzung von deren Reliabilität stütze) zuverlässig sind.

Neben diesen klassischen Positionen sind in jüngerer Zeit noch weitere Ansätze aufgekommen, die sich als radikale Alternative zu diesen verstehen. Sowohl anti-reduktionistische als auch (global oder lokal) reduktionistische Theorien lassen sich nämlich als evidentielle Ansätze auffassen, also als Ansätze, denen zufolge die Rechtfertigung seitens des Empfängers letztlich evidentieller Natur ist. Anti-Reduktionisten und Reduktionisten unterscheiden sich lediglich darin, ob die Tatsache, dass dem Empfänger die Proposition p testimonial mitgeteilt wurde, apriorisch als Evidenz für p gelten kann (was Anti-Reduktionisten behaupten) oder nur unter der Bedingung, dass der Empfänger dies induktiv rechtfertigen kann (wie Reduktionisten es behaupten). Der Zusicherungs-Ansatz (assurance view) bestreitet dagegen diese gemeinsame Grundlage und versteht sich als nicht-evidentieller Ansatz (vgl. etwa Faulkner 2007; vgl. ferner Hinchman 2005 und Moran 2005). Seine Grundidee lautet, dass testimoniale Sprechakte nach dem Vorbild von Versprechungen analysiert werden sollten. Wenn ein Sprecher gegenüber einem Kommunikationspartner behauptet, dass p, dann legt er sich gegenüber diesem darauf fest, dass p, und übernimmt die Verantwortung dafür, dass p wahr ist. Dieser Verantwortungsübernahme steht aufseiten des Empfängers das Vertrauen gegenüber, das dieser in den Sprecher investieren muss. Wenn der Empfänger dem Sprecher vertraut und ihm glaubt, sich die Proposition im Nachhinein aber doch als falsch erweisen sollte, dann ist es legitim für ihn, dem Empfänger mit Vorwürfen zu begegnen, ärgerlich auf ihn zu sein usw. (ähnlich wie bei einem enttäuschten Versprechen; im Anschluss an Strawson (1962) ist in diesem Zusammenhang häufig von „reactive attitudes“ die Rede). Es ist dieses Wechselspiel zwischen Verantwortungsübernahme und Vertrauen, auf das der Zusicherungs-Ansatz die Genese der Rechtfertigung für testimoniale Überzeugungen zurückführt. Der Empfänger ist demzufolge gerechtfertigt, die testimonial übernommene Überzeugung zu haben, wenn er dem Sprecher vertraut und dieser auf geeignete Weise die Verantwortung für die Wahrheit der Überzeugung übernommen hat.

Vertretern des Zusicherungs-Ansatzes ist meines Erachtens zugutezuhalten, dass sie unsere Sensibilität für die komplizierte Struktur der testimonialen Situation, das komplexe Zusammenspiel von wechselseitigen Erwartungen, Verantwortungsübernahme und Vertrauen geschärft haben. Gleichwohl scheint mir der Ansatz einige entscheidende Limitierungen aufzuweisen. Der epistemische Mechanismus, durch den der Empfänger eine Rechtfertigung für seine testimonial erworbene Überzeugung erwirbt, scheint für den Zusicherungs-Ansatz in erster Linie darin zu bestehen, dass das Vertrauen, das der Empfänger in die Quelle investiert, die Motivation für diese erhöhen kann, die Wahrheit zu sagen (vgl. Faulkner 2007). Die Idee ist: Quellen, denen vertraut wird, fühlen sich (sofern sie sich dessen bewusst sind, dass ihnen vertraut wird) stärker verpflichtet, die Wahrheit zu sagen, als Quellen, denen nicht vertraut wird. Diese Verpflichtung stellt eine Motivation für sie dar, tatsächlich die Wahrheit zu sagen (oder das, was sie für die Wahrheit halten – auf diese Komplikation gehe ich sogleich ein). Somit erhöht eine Investition von Vertrauen die Zuverlässigkeit des testimonialen Austausches, seine Reliabilität als Erkenntnismethode.Footnote 4 Einen solchen Mechanismus, der die Investition von Vertrauen und die Reliabilitätssteigerung des testimonialen Erkenntniserwerbs miteinander verbindet, mag es zwar in gewisser Hinsicht geben. Ich möchte aber die folgenden kritischen Punkte zu bedenken geben:

Erstens betrifft dieser Mechanismus offenbar nur den Aufrichtigkeits-, nicht aber den Kompetenzaspekt. Wenn man einer kompetenten Quelle Vertrauen entgegenbringt, dann erhöht man zwar dadurch vielleicht tatsächlich die Wahrscheinlichkeit, dass sie dadurch motiviert ist, aufrichtig ihre Überzeugungen zu kommunizieren und damit dem Empfänger die Wahrheit mitzuteilen. Wenn man aber einer inkompetenten Quelle Vertrauen entgegenbringt, dann erhöht man dadurch bestenfalls die Chance, dass sie wahrhaftig ihre falschen Überzeugungen mitteilt, nicht aber die Chance, dass sie ihre Überzeugungen korrigiert. Auch inkompetente Personen können ja testimoniale Verantwortung übernehmen, d. h. Personen, die Propositionen aus der fraglichen thematischen Domäne nicht korrekt ihre Wahrheitswerte zuweisen können. Man denke etwa an eine Person mit überwiegend inkorrekten Überzeugungen über einen bestimmten Bereich (Kreationisten, Esoteriker oder sog. Flacherdler mögen als Beispiele infrage kommen), die aber gleichwohl überzeugt ist, sich in der fraglichen Domäne gut auszukennen. Eine solche Person kann sich durchaus wohlmeinend an andere Personen wenden und ihnen mit besten Absichten mitteilen, was sie für richtig hält. Eine falsche Überzeugung, die man für Wissen hält, ist subjektiv (also aus der Perspektive der Person, die die Überzeugung hat) ununterscheidbar von echtem Wissen. Auf der anderen Seite wird auch der Empfänger durch die Investition von Vertrauen nicht in die Lage versetzt, zu entscheiden, ob es sich um eine kompetente oder eine inkompetente Quelle handelt, der er da Vertrauen schenkt. Es gibt zwar zweifellos häufig Indizien, die es rational erscheinen lassen, der einen Person zu vertrauen anstelle der anderen. Doch diese heranzuziehen soll dem Zusicherungs-Ansatz ja gerade nicht erforderlich sein. Es macht gerade den nicht-evidentiellen Charakter dieses Ansatzes aus, dass er die Rolle solcher Indizien verneint. Es muss zudem bedacht werden, dass der Empfänger, wenn er es mit einer inkompetenten Quelle zu tun hat, seine epistemische Position durch die Investition von Vertrauen tendenziell sogar verschlechtert. Wenn p wahr ist und die inkompetente Quelle non-p glaubt, dann erhöht der Empfänger durch sein Vertrauen (sofern der besagte Mechanismus der Motivationssteigerung existiert und greift) offenbar die Wahrscheinlichkeit, dass die Quelle ihm – ihren Überzeugungen entsprechend – non-p mitteilt. Damit erhöht der Empfänger aber die Wahrscheinlichkeit, eine falsche Information zu bekommen. Vor diesem Hintergrund wäre zu fragen, ob nicht in the long run die positiven Effekte, die die Strategie des Vertrauen-Investierens mit sich bringt, wenn man es mit kompetenten Quellen zu tun hat, schlicht aufgewogen werden durch die nachteiligen Effekte, die die Strategie mit sich bringt, wenn man es mit inkompetenten Quellen zu tun hat.

Zweitens ist zwar – wie ich bereits eingeräumt hatte – dem Zusicherungs-Ansatz zugutezuhalten, dass er unsere Sensibilität für die intersubjektive Dynamik zwischen testimonialen Quellen und testimonialen Empfängern geschärft hat. Es ist in der Tat wichtig zu sehen, dass ein Empfänger eine Quelle nicht zunächst (d. h. vor der eigentlichen Informationsübermittlung) auf ihre Vertrauenswürdigkeit hin einschätzt, um danach (wenn diese Einschätzung abgeschlossen ist), den testimonialen Austausch zu initiieren. Vielmehr vermag der Empfänger diesen Austausch durch sein Verhalten in bestimmten Hinsichten so zu beeinflussen, dass es seiner epistemischen Position zugutekommt. Die Vertrauenswürdigkeit der Quelle ist keine gegebene Größe, sondern kann ein Stück weit durch geeignete Maßnahmen durch den Empfänger beeinflusst werden – und zwar zum Positiven wie zum Negativen.Footnote 5 Vertreter des Zusicherungs-Ansatzes konzentrieren sich aber in meines Erachtens unverhältnismäßigem Maße auf die möglichen positiven Effekte des Vertrauens. Denn selbst wenn wir das gerade diskutierte Problem der inkompetenten Quellen beiseitelassen und uns auf kompetente Quellen konzentrieren, so müssen wir feststellen, dass es zweifellos zumindest manchmal vorkommen kann, dass die Investition von Vertrauen nicht nur keinen, sondern sogar einen negativen Effekt hat – man denke etwa an einen raffinierten Verkäufer, der das Vertrauen seines Kunden bemerkt und, dieses Vertrauen ausnutzend, dem Kunden besonders unvorteilhafte Geschäfte aufschwatzt (d. h. unvorteilhaft für den Kunden und vorteilhaft für den Verkäufer).Footnote 6 Überdies ist Vertrauen nicht die einzige Größe, die die Dynamik eines testimonialen Austausches mit Auswirkung auf ihr epistemisches Ergebnis beeinflussen kann. Statt Vertrauen zu investieren könnte der Empfänger die Quelle zum Beispiel auch bedrohen und damit ihre Motivation, ihren Überzeugungen gemäß zu antworten, erhöhen (freilich können sich auch Bedrohungen unter Umständen wiederum genauso gut negativ auf die Aufrichtigkeit auswirken). Ähnliches gilt für Sympathiebekundungen, Beschwörungen, Schmeicheleien und vieles andere.

Drittens erscheint fraglich, ob der Zusicherungs-Ansatz mit der Betonung derartiger Effekte tatsächlich das Feld der bisherigen Debatte verlässt und einen radikal neuen, nicht-evidentiellen Ansatz vorschlägt, der nicht durch die reduktionistischen oder die anti-reduktionistischen Strategien im klassischen Sinn abgedeckt ist. Denn ein Reduktionist kann ja beispielsweise geltend machen, dass Vertrauen und die übrigen kommunikativen Strategien (Bedrohungen usw.) manchmal bewusst und strategisch oder vielleicht manchmal auch eher unbewusst und implizit einsetzt werden, in jedem Fall aber im Wissen um ihre Wirkung. Und dem Wissen um derartige Wirkungszusammenhänge scheinen evidentielle Gründe zugrunde zu liegen. Ein Vergleich mag das deutlicher machen: Ich kann evidentiell gestütztes Wissen darüber haben, dass ein bestimmter physikalischer Wirkungszusammenhang besteht (Ursache U führt unter den und den Bedingungen zu Wirkung W), und dieses Wissen instrumentell einsetzen (wenn ich W erreichen will, führe ich U herbei). In einem ähnlichen Sinn kann ich evidentiell gestütztes Wissen darüber haben, dass man mit einem bestimmten Kommunikationsverhalten eine bestimmte Wirkung erzielen kann, und dieses Wissen instrumentell einsetzen – etwa zur Erhöhung der Wahrhaftigkeit einer testimonialen Quelle. Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Wir hatten gesehen, dass die verschiedenen Kommunikationsstrategien unterschiedlich effektiv sind je nach Situation. Die Investition von Vertrauen kann manchmal die Motivation der Quelle, aufrichtig zu antworten, erhöhen; wenn man es aber z. B. mit einem raffinierten Verkäufer zu tun hat, kann Vertrauen eher kontraproduktiv sein. Auch durch Bedrohungen kann man manchmal die Aufrichtigkeit einer Quelle erhöhen, manchmal können Bedrohungen aber auch trotzige Gegenreaktionen auslösen und die Motivation der Quelle erhöhen, nicht aufrichtig zu antworten. Was man als Empfänger braucht, ist eine letztlich evidentiell gestützte Sensibilität dafür, bei welchen Quellen und bei welchen Situationstypen welche Kommunikationsstrategien effektiv sind. Kurzum: Wenn die Kommunikationsstrategien nicht mit einem offenen Auge für den konkret vorliegenden evidentiellen Gesamtkontext eingesetzt werden, erweisen sie sich als nicht- oder kontraproduktiv.Footnote 7

Ich habe diesen knappen Überblick über die zentralen Positionen in der Testimonialitätsdebatte nicht gegeben, um eine ausführliche Auseinandersetzung mit ihnen einzuleiten, sondern um im Folgenden – zumindest kurz – ihre Relevanz für die anschließenden Überlegungen zur Frage der epistemischen Autorität zu skizzieren. Viele meiner folgenden Ausführungen werden, wenn man sie vom Standpunkt der Testimonialitätsdebatte aus betrachtet, einen reduktionistischen Eindruck erwecken. Insbesondere werde ich ausführlich erörtern, welche Evidenzen Subjekte heranziehen können, um echte epistemische Autoritäten von falschen, lediglich vermeintlichen unterscheiden zu können. Eine solche Strategie erfordert aber nicht, den testimonialen Anti-Reduktionismus rundweg abzulehnen. Denn man kann den Anti-Reduktionismus auch schwach interpretieren, so dass er besagt, dass der Empfänger eines testimonialen Kommunikationsakts qua Empfänger einen schwachen Pro-tanto-Grund erwirbt, die übermittelte Proposition zu glauben. Ein solcher Grund mag vor der Abwägung von Evidenzen für und wider die Glaubwürdigkeit der Quelle vielleicht noch keine besonders starke oder gar hinreichende Rechtfertigung sein, aber er könnte etwas sein, was zumindest schwach für die Wahrheit der Proposition spricht; etwas, was es zumindest ein Stück weit rational macht, die Proposition zu glauben. Ein solcher schwacher Anti-Reduktionismus mag vernünftig sein oder nicht – ich möchte dem hier nicht weiter nachgehen. Entscheidend ist, dass auch wenn er zutreffen sollte, es häufig vielfältige Evidenzen für oder wider die Glaubwürdigkeit einer testimonialen (oder sonstigen) epistemischen Quelle gibt, die zu ignorieren meines Erachtens unvernünftig und epistemisch untugendhaft wäre. Dabei kann es sich um Evidenzen handeln, die den besagten Pro-tanto-Grund (falls es ihn gibt) aufwiegen, so dass der Empfänger nach ihrer Abwägung zu dem Schluss kommen sollte, dass er die Proposition doch nicht glauben sollte. Umgekehrt kann es sich auch um Evidenzen handeln, die für die Zuverlässigkeit der Quelle sprechen, so dass sie den Pro-tanto-Grund (falls es ihn gibt) verstärken und es rational machen können, die übermittelte Proposition zu glauben.

Gerade wenn es um die Auseinandersetzung mit epistemischen Autoritäten geht, wäre ein Ignorieren derartiger Evidenzen besonders fatal, denn gegenüber epistemischen Autoritäten wird häufig ein besonders hohes Maß an Deferenz empfohlen: Da sie sich in der fraglichen thematischen Domäne erheblich besser auskennen als man selbst, sollte man ihnen auch Dinge glauben, die unglaubwürdig, fantastisch oder absurd erscheinen (ich gehe auf diesen Aspekt in Kapitel 8 näher ein). Nun geben manche Personen (teilweise mit, teilweise ohne Vorsatz) aber auch fälschlicherweise vor, epistemische Autoritäten zu sein. Deren unglaubwürdig, fantastisch oder absurd erscheinenden Behauptungen sollte man freilich keinen Glauben schenken. Ein zentrales Problem für die Epistemologie epistemischer Autorität besteht vor diesem Hintergrund darin, wie Subjekte ohne Spezialkenntnisse der fraglichen thematischen Domäne echte Autoritäten als solche korrekt identifizieren können. Der Anti-Reduktionismus macht in dieser Beziehung kein plausibles Angebot (und der Zusicherungs-Ansatz erst recht nicht). Vielleicht hat er recht mit der Behauptung, dass Testimonialität mit einer Art schwachem Pro-tanto-Grund verbunden ist. Aber das hilft uns nicht weiter, da der testimoniale Empfänger dann einen solchen Grund ganz unabhängig davon hätte, ob er es mit einer echten oder einer falschen Autorität zu tun hat. Wir stehen somit vor der Aufgabe zu erörtern, welche Evidenzen ein Subjekt verwenden kann, um echte epistemische Autoritäten als solche identifizieren und von falschen, lediglich vermeintlichen unterscheiden zu können. Dieses „Identifikationsproblem“ (wie ich es nennen möchte) ist eines von drei epistemologischen Kernproblemen, die sich im Zusammenhang mit dem Thema epistemische Autorität stellen und denen ich mich im Folgenden genauer zuwenden möchte.

2 Drei erkenntnistheoretische Kernprobleme

Philosophische Debatten sind (nicht anders als die Debatten anderer Disziplinen) durch etwas gekennzeichnet, was man „epistemische Pfadabhängigkeiten“ nennen könnte: Arbeiten, die die Debatten angestoßen haben, nehmen auf diese einen prägenden Einfluss dadurch, dass sie bestimmte Schwerpunktsetzungen vornehmen, bestimmte Zuspitzungen machen oder bestimmte begriffliche Unterscheidungen treffen, obwohl auch andere Schwerpunktsetzungen, Zuspitzungen oder Unterscheidungen der Sache nach möglich und vielleicht nicht weniger gerechtfertigt gewesen wären. So hat die sozialepistemologische Debatte über Experten und Expertise entscheidende Impulse durch Goldmans Aufsatz „Experts: Which Ones Should You Trust?“ erhalten (Goldman 2001), in dem insbesondere die Frage erörtert wird, was Personen mit keiner oder geringer Expertise hinsichtlich einer bestimmten thematischen Domäne in die Lage versetzen könnte, echte Experten in dieser Domäne als solche zu erkennen und von jenen zu unterscheiden, die lediglich fälschlicherweise vorgeben, Experten zu sein. Während sich nun die an Goldmans Arbeit anschließende Debatte über Expertentum in starkem Maße um diese Frage gedreht hat, spielt die parallele Fragestellung, wie man echte epistemische Autoritäten von lediglich vorgeblichen unterscheiden kann, in der Debatte über epistemische Autorität nur eine sehr untergeordnete Rolle. Im Unterschied zu Goldman hat nämlich Zagzebski in ihrem Buch Epistemic Authority: A Theory of Trust, Authority, and Autonomy in Belief (Zagzebski 2012), das wie gesagt als entscheidende Pionierarbeit für diese Debatte angesehen werden kann, diese Fragestellung weitgehend ausgeblendet. Stattdessen ist ihre Präemptionsthese in den Mittelpunkt der Debatte gerückt, die man als Antwort auf die Frage ansehen kann, wie genau Subjekte gegenüber epistemischen Autoritäten deferieren sollten, d. h. welches epistemische Verhalten diesen gegenüber rational geboten ist. Dies ist wiederum eine Frage, die in den Debatten über Experten und Expertise eher unterbelichtet geblieben ist.

Nun scheinen aber der Sache nach beide Fragestellungen für beide Themenbereiche gleichermaßen einschlägig zu sein. Ob man nun über Experten oder epistemische Autoritäten spricht, in jedem Fall ist es eine relevante Frage, wie man als Nicht-Experte bzw. Nicht-Autorität echte Experten bzw. Autoritäten identifizieren kann, und in jedem Fall gilt es zu klären, wie sich Nicht-Experten bzw. Nicht-Autoritäten gegenüber Experten bzw. Autoritäten epistemisch verhalten sollten. Wenn ich im Folgenden einige der zentralen epistemologischen Probleme, die den Begriff „epistemische Autorität“ betreffen, genauer erörtere, werde ich mich vor diesem Hintergrund nicht nur mit den Vorarbeiten beschäftigen, die explizit zu diesem Begriff vorliegen, sondern werde ein Stück weit auch die Debatte über Experten und Expertise im Blick haben, da manche Probleme hier bereits ausführlicher und mit größerer Klarheit bearbeitet wurden.

Genauer gesagt werde ich in den folgenden Kapiteln auf drei zentrale Probleme eingehen, die im Zusammenhang mit dem Thema epistemische Autorität relevant sind. Neben den bereits gerade angesprochenen Fragestellungen, die ich das „Identifikations-“ und das „Deferenzproblem“ nenne, sollte zunächst das „Definitionsproblem“ diskutiert werden. Dieses betrifft die Frage, wie der Begriff einer epistemischen Autorität überhaupt definiert und gegen angrenzende Begriffe wie den eines Experten abgegrenzt werden kann (Kapitel 6).Footnote 8 Das Identifikationsproblem lautet dann: Wie kann man eine epistemische Autorität und ihre einschlägigen Überzeugungen korrekt identifizieren? (Kapitel 7) Das Deferenzproblem besteht schließlich in der Frage, wie genau man sich epistemischen Autoritäten gegenüber rationalerweise verhalten sollte (Kapitel 8).Footnote 9 Zu jedem dieser Probleme werde ich mich mit einigen wichtigen in der Literatur gemachten Vorschlägen kritisch auseinandersetzen und eigene Positionen dazu stark machen. Der Fokus wird dabei zunächst auf individuellen epistemischen Autoritäten liegen, was einfach dem Umstand geschuldet ist, dass sich die Debatte maßgeblich auf diese konzentriert hat. Ich werde aber auch in den folgenden Kapiteln bereits ein Auge auf die im dritten Teil der Untersuchung genauer zu analysierenden pluralen epistemischen Autoritäten haben, indem ich überlege, ob bzw. inwiefern meine Überlegungen auch auf diese anwendbar sind bzw. welche Modifikationen dafür eventuell nötig sind.