Die Hauptziele der Untersuchung bestehen darin, das Konzept einer pluralen epistemischen Autorität in die sozialepistemologische Debatte über epistemische Autorität einzuführen, die Relevanz pluraler Autoritäten für unsere epistemischen Praktiken deutlich zu machen und zu untersuchen, was genau es heißt, sich auf eine plurale Autorität epistemisch zu stützen. Die Grundidee besteht darin, plurale epistemische Autoritäten über den Begriff eines Wahrheitsindikators zu charakterisieren. Wenn man sich auf eine individuelle epistemische Autorität stützt, dann verwendet man typischerweise deren Überzeugungen als Indikatoren dafür, dass die Sachverhalte, auf die sich diese Überzeugungen beziehen, tatsächlich bestehen. Daher ist es normalerweise rational, wenn eine epistemische Autorität glaubt, dass p, ebenfalls p zu glauben. Von dieser Beschreibung der Sachlage lässt sich nun ein generalisiertes Konzept eines Wahrheitsindikators gewinnen und auf plurale Autoritäten anwenden. In generalisierter Formulierung ist ein Wahrheitsindikator eine geeignete Tatsache über eine epistemische Autorität, deren Bestehen das Bestehen einer anderen Tatsache (einer Tatsache „in der Welt“) anzeigt. Bei „klassischen“ individuellen epistemischen Autoritäten sind das Tatsachen der Form epistemische Autorität EA glaubt, dass p, durch die das Bestehen der Tatsache p angezeigt wird. Soziale Pluralitäten können nun in ganz ähnlicher Form Tatsachen aufweisen, deren Bestehen das Bestehen anderer Tatsachen anzeigen kann. Zu solchen Tatsachen gehören Tatsachen wie die, dass es in der Pluralität P einen Konsens darüber gibt, dass p wahr ist. Darüber hinaus kommen noch weitere Typen von Tatsachen infrage, etwa die Tatsache, dass eine Mehrheit der Mitglieder von P der Überzeugung ist, dass p (diese Tatsache fällt nicht mit derjenigen zusammen, dass es in P einen Konsens bezüglich p gibt, da der Begriff eines Konsenses nicht mit dem einer Mehrheitsmeinung identifiziert werden muss). Wenn man sich beispielsweise auf die Tatsache stützt, dass es in einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft einen Konsens oder eine Mehrheitsmeinung in einer bestimmten Frage gibt (etwa dass Impfen keinen Autismus verursacht, dass es einen Klimawandel gibt oder dass die Erde keine Scheibe ist), und daraufhin selbst eine entsprechende Meinung ausbildet, dann verwendet man diesen Konsens bzw. diese Mehrheitsmeinung als Wahrheitsindikator. Genauer: Man verwendet die Tatsache, dass es den fraglichen Konsens bzw. die Mehrheitsmeinung gibt, als Indikator dafür, dass der Sachverhalt, auf den sich der Konsens bzw. die Mehrheitsmeinung bezieht, tatsächlich besteht.

Im Einzelnen ist die Untersuchung wie folgt gegliedert. Auf die (den ersten Teil ausmachende) Einleitung folgen drei Hauptteile, die den Kern der Arbeit darstellen. Zunächst sollen in Teil II (der die Kapitel 4 bis 10 umfasst) grundlegende Klärungen erreicht werden, die das Konzept epistemischer Autorität ganz allgemein betreffen. Dazu greife ich bestehende sozialepistemologische Debatten auf, die sich bislang primär auf individuelle epistemische Autoritäten konzentriert haben. Die Auseinandersetzung mit diesen Debatten dient einerseits dazu, gewisse Grundlagen zu erarbeiten, auf denen dann im dritten Teil die Theorie pluraler epistemischer Autoritäten entwickelt werden kann. Dabei soll aber bereits der zweite Teil nicht nur eine bloße Rekapitulation des in den Debatten erreichten Diskussionsstands liefern. Vielmehr möchte ich an den verschiedensten Stellen in diese Debatten eingreifen und eigene Positionen entwickeln. Ich werde zunächst in Kapitel 4 unser System epistemischer Arbeitsteilung charakterisieren und deutlich machen, dass epistemischer Autorität ihre primäre Funktion und Relevanz dadurch zukommt, dass sie innerhalb dieses Systems eine bestimmte Rolle spielt. Sowohl individuelle als auch institutionelle Akteure (etwa Behörden, Gerichte oder Organisationen) haben in vielfältigen Hinsichten Bedarf an Wissen und anderen epistemischen Gütern, über die sie nicht unmittelbar selbst verfügen. Daraus ergibt sich für sie die Notwendigkeit, sich an Akteuren zu orientieren, die diese Güter bereitstellen – an epistemischen Autoritäten. In Kapitel 5 vertiefe ich die bereits (in Kapitel 2 der Einleitung) vorgenommene Verortung des Problems epistemischer Autorität im Kontext angrenzender sozialepistemologischer Debatten. Ich hatte die (herkömmliche) Debatte zu epistemischer Autorität bereits als zur ersten der drei von Goldman unterschiedenen sozialepistemologischen Strömungen gehörend charakterisiert; noch offen ist allerdings, in welcher Beziehung sie zu den anderen, ebenfalls zur ersten Strömung gehörenden Debatten steht. Dies soll in Abschnitt 5.1 geklärt werden, wobei ein besonderes Augenmerk insbesondere auf das Verhältnis zwischen epistemischer Autorität und Testimonialität gelegt werden soll. In Abschnitt 5.2 identifiziere ich dann drei Kernprobleme, die in der erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung mit epistemischer Autorität meines Erachtens zentrale Relevanz besitzen: das Definitions-, das Identifikations- und das Deferenzproblem. Die drei folgenden Kapitel sind dann der genaueren Erörterung dieser drei Probleme gewidmet.

Das Definitionsproblem (Kapitel 6) besteht in der Frage, wie der Begriff „epistemische Autorität“ definiert und gegen verwandte Begriffe (insbesondere den Experten- bzw. den Expertisebegriff) abgegrenzt werden kann. Ich werde dafür plädieren, den Begriff über den (freilich seinerseits zu klärenden) Begriff epistemischer Superiorität zu explizieren. In erster Annäherung lässt sich epistemische Autorität als dreistellige Relation zwischen einer epistemisch superioren Person (der Autorität), einem Subjekt (der Person, für die erstere eine Autorität ist) sowie einer thematischen Domäne charakterisieren. Ein Experte ist demgegenüber eine Person, die in Bezug auf eine thematische Domäne epistemisch superior gegenüber den meisten Personen der fraglichen Gemeinschaft ist. Eine Konsequenz dieser Bestimmung ist, dass Experten zwar häufig als epistemische Autoritäten in Erscheinung treten, es sehr wohl aber auch möglich ist, dass ein Nicht-Experte eine epistemische Autorität ist, während in anderen Situationen womöglich selbst ein Experte keinen Autoritätsstatus besitzt. Der Begriff epistemischer Superiorität seinerseits lässt sich wiederum auf verschiedene Weisen spezifizieren – etwa im Hinblick auf propositionale Kenntnisse (auf diesen Aspekt werde ich mich weitgehend konzentrieren) oder im Hinblick auf Verstehen (darauf komme ich in Kapitel 9 genauer zu sprechen). Ferner werde ich zur Vorbereitung auf die im dritten Teil anzustellenden Überlegungen zu pluralen Autoritäten eine generalisierte begriffliche Bestimmung von „epistemische Autorität“ vornehmen, die sich in der bereits angedeuteten Weise des Begriffs eines Wahrheitsindikators bedient und auch auf nicht-personale Entitäten anwendbar ist, die nicht über Überzeugungen verfügen (insgesamt konzentriere ich mich aber in Teil II weitgehend auf den Spezialfall „klassischer“ individueller epistemischer Autoritäten mit Überzeugungen).

Das Identifikationsproblem (Kapitel 7) besteht darin, wie es ein Subjekt mit keinen oder geringen Kenntnissen einer thematischen Domäne D schaffen kann, eine epistemische Autorität für D korrekt zu identifizieren. Dieses Problem besitzt eine besondere Brisanz deshalb, weil einerseits gerade Subjekte mit geringen oder keinen eigenen Kenntnissen von D epistemische Autoritäten nötig haben (denn wenn ein Subjekt selbst bereits „aus erster Hand“ ausreichende Kenntnisse von D hat, braucht es typischerweise ja keine Autorität). Andererseits scheinen sich gerade solche Subjekte in einer schlechten Position zu befinden, echte Autoritäten als solche zu identifizieren und von jenen zu unterscheiden, die lediglich fälschlicherweise vorgeben, Autoritäten zu sein. Sowohl „echte“ als auch „falsche“ Autoritäten treten mit dem Anspruch auf, umfassende Kenntnisse über D zu besitzen. Wenn diese vermeintlichen Kenntnisse aber im Widerspruch stehen, findet sich das Subjekt in einer Situation wieder, die Ähnlichkeiten mit der von Goldman untersuchten „novice/2-expert“-Konstellation besitzt. Wie soll es sich in so einer Situation verhalten, da es die vermeintlichen Kenntnisse der mutmaßlichen Autoritäten ja schwerlich direkt mit den tatsächlichen Wahrheitswerten der zu D gehörenden Propositionen vergleichen kann? Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Selbst wenn ein Subjekt eine echte Autorität als solche korrekt identifiziert hat, muss es darüber hinaus auch deren Überzeugungen korrekt identifizieren (denn es könnte ja beispielsweise sein, dass eine Autorität zwar umfassende Kenntnisse über D hat, diese aber nicht zu teilen bereit ist oder systematisch falsch kommuniziert). Das Identifikationsproblem hat also letztlich zwei Dimensionen: Zum einen betrifft es die Identifikation echter epistemischer Autoritäten, zum anderen die Identifikation von deren Überzeugungen.

Das dritte der drei Kernprobleme, das Deferenzproblem (Kapitel 8), lässt sich schließlich wie folgt charakterisieren. Unter der Voraussetzung, dass ein Subjekt eine epistemische Autorität und deren Überzeugungen tatsächlich korrekt identifiziert hat: Wie soll es sich der Autorität und ihren Überzeugungen gegenüber verhalten? Es dürfte wenig kontrovers sein, dass ein gewisses Maß an „Deferenz“ typischerweise rational geboten ist. Mit anderen Worten: Es ist typischerweise vernünftig, sich in seinem eigenen epistemischen Verhalten nach einschlägigen epistemischen Autoritäten zu richten und beispielsweise zu glauben, dass p, sofern die Autorität ihrerseits p glaubt. Wie ich deutlich machen möchte, gilt dies aber nicht ohne jede Einschränkung. Zum einen kann es auch untypische Situationen geben, in denen eine Übernahme der Überzeugung der Autorität nicht rationalerweise geboten ist. Zum anderen gilt auch für die typischen Situationen, dass eine unkritische Haltung gegenüber der Autorität keineswegs rational ist. In diesem Zusammenhang wende ich mich insbesondere gegen sogenannte präemptionistische Thesen, wie sie zuletzt von einer Reihe von Erkenntnistheoretikern vertreten wurden. Während solche Thesen verlangen, dass ein Subjekt (zumindest unter bestimmten Bedingungen) die Tatsache, dass eine Autorität p glaubt, als präemptiven Grund behandeln soll (d. h. als Grund, der alle anderen für p relevanten Gründe des Subjekts ersetzt), möchte ich deutlich machen, dass vernünftiges epistemisches Verhalten gegenüber Autoritäten voraussetzt, dass das doxastische System des Subjekts nicht in dieser Form suspendiert wird.

Epistemische Superiorität kann sich, wie gesagt, auf mehrere epistemische Dimensionen beziehen. Häufig – aber nicht zwangsläufig – ist eine Autorität für propositionale Wahrheiten aus Domäne D zugleich (sozusagen in Personalunion) eine Autorität im Hinblick auf das Verstehen von D. Das Verstehen ist eine weitere wichtige Dimension, der zu Recht in der jüngeren Diskussion verstärkt Aufmerksamkeit gezollt wird. Viele Fragen sind in diesem Zusammenhang allerdings bislang nur unzureichend geklärt. Beispielsweise fehlt es bislang an einer umfassenden Anbindung an die umfangreiche Diskussion darüber, wie Verstehen eigentlich zu definieren ist. Eine solche Anbindung stelle ich in Kapitel 9 her. Ich entwickle hier ein Definitionsschema für den Begriff des Verstehens, untersuche, worin genau epistemische Superiorität im Hinblick auf Verstehen besteht, und gehe der Frage nach, worin ein Verstehens-Transfer zwischen einer Autorität und einem Subjekt besteht und welche epistemischen Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Tugenden ein solcher Transfer auf beiden Seiten voraussetzt. Eine Zusammenfassung (Kapitel 10) beschließt den zweiten Teil.

Im dritten Teil (der die Kapitel 11 bis 18 umfasst) soll es dann auf Basis der im zweiten Teil erreichten Klärungen speziell um plurale epistemische Autoritäten gehen. Zunächst (Kapitel 11) führe ich mit der nötigen Ausführlichkeit den Begriff einer sozialen Pluralität ein, um daran anschließend den einer pluralen epistemischen Autorität einzuführen. Den Ausdruck „soziale Pluralität“ verwende ich als Sammelbezeichnung für alle Vielheiten von Menschen. Darunter fallen die verschiedensten Formen von Kollektiven, aber auch Mengen und Klassen (damit meine ich Vielheiten von Menschen, die bestimmte Eigenschaften teilen). Immer, wenn wir uns auf mehrere Menschen als irgendwie zusammengehörig beziehen (sei es aus der „Innenperspektive“ unter Verwendung der ersten Person Plural, sei es aus der „Außenperspektive“ unter Verwendung der zweiten oder dritten Person Plural oder eines Eigennamens der Pluralität), beziehen wir uns auf eine soziale Pluralität. Soziale Pluralitäten können in verschiedenen Hinsichten epistemisch und epistemologisch relevant werden. Manchen Pluralitäten schreiben wir etwa epistemische Einstellungen zu (wir sagen z. B., dass diese oder jene Gruppe glaubt, dass p), manche Pluralitäten haben epistemische Ziele, wiederum andere stellen die Relata epistemischer Relationen dar. Wenn eine Pluralität als epistemische Autorität für ein Subjekt in Erscheinung tritt, dann ist das ein Beispiel für diesen letzteren Fall (da epistemische Autorität eine spezielle epistemische Relation bezeichnet). Eine Pluralität als epistemische Autorität zu behandeln, läuft, wie schon angedeutet, darauf hinaus, geeignete Tatsachen über die Pluralität als Wahrheitsindikator zu verwenden – beispielsweise die Tatsache, dass es einen Konsens in der Pluralität gibt, dass p, als Indikator dafür, dass p wahr ist.

Nun hat nicht jeder Konsens in jeder beliebigen sozialen Pluralität gleichermaßen gute wahrheitsindikative Eigenschaften (und das gilt selbstverständlich für alle anderen als Wahrheitsindikatoren infrage kommenden Tatsachen gleichermaßen). Das ist im individuellen Fall nicht anders: Die Überzeugungen mancher Individuen sind wahrheitsindikativ (das gilt insbesondere für Überzeugungen epistemischer Autoritäten), die Überzeugungen anderer Individuen sind es nicht (beispielsweise die Überzeugungen von Individuen, die fälschlicherweise von sich behaupten, epistemische Autoritäten zu sein). In ähnlicher Weise sind beispielsweise Konsense in einschlägigen wissenschaftlichen Gemeinschaften häufig wahrheitsindikativ, während es Konsense in nicht-wissenschaftlichen Gemeinschaften häufig nicht sind (falls es beispielsweise einen Konsens unter den Mitgliedern der Flat Earth Society geben sollte, dass die Erde eine Scheibe ist, hat dieser Konsens sicherlich andere wahrheitsindikative Eigenschaften als der Konsens in der geowissenschaftlichen Gemeinschaft, dass sie annähernd kugelförmig ist). Manchmal ist der in einer Jury erreichte Konsens, dass der Verdächtige X der Täter ist, wahrheitsindikativ, manchmal ist er es nicht. Welche Faktoren sind dafür verantwortlich, dass die – wie ich sagen möchte – „potentiell wahrheits indikativen Tatsachen“ manchmal tatsächlich wahrheits indikativ sind, manchmal dagegen nicht? Dieser Frage gehe ich in Kapitel 12 nach. Diese Überlegungen führen uns weit in die dritte der von Goldman unterschiedenen Strömungen der Sozialepistemologie („systems-oriented (SYSOR) social epistemology“). Eine Schwierigkeit besteht in diesem Zusammenhang allerdings darin, dass die relevanten Faktoren sehr heterogen sind – gerade auch angesichts der Vielfalt infrage kommender sozialer Pluralitäten – und in vollem Umfang nur durch empirische Untersuchungen identifiziert werden können, die ich hier nicht unternehmen kann. Allerdings können wir zumindest eine Systematik der relevanten Faktoren entwickeln und auf Grundlage bereits existierender Analysen einige mehr oder weniger allgemeingültige Faktoren benennen. Insbesondere werde ich eine Systematik vorschlagen, der zufolge die Faktoren in drei große Bereiche fallen bzw. Dimensionen betreffen, die ich „Zusammensetzung“, „Struktur“ und „Umwelt“ nenne. Demzufolge ist die „epistemische Performance“ einer Pluralität abhängig davon, 1. aus welchen Mitgliedern sie besteht (welche Eigenschaften die Mitglieder aufweisen usw.), 2. wie die Pluralität organisiert ist (d. h. welche Interaktionen und sonstige Beziehungen zwischen den Mitgliedern durch die Struktur der Pluralität begünstigt oder verhindert werden) und 3. wie die Umwelt der Pluralität beschaffen ist (dazu zähle ich sowohl die soziale wie die natürliche Umgebung, sofern diese einen Einfluss auf die epistemische Performance der Pluralität hat). Beispielsweise ist die epistemische Performance einer typischen wissenschaftlichen Gemeinschaft deshalb so gut, weil sie in der Regel aus weit überdurchschnittlich kompetenten Mitgliedern besteht, die zugleich ein gewisses Maß an sozialer und epistemischer Diversität aufweisen, und weil sie durch bestimmte Anreizmechanismen und andere institutionelle Reglements strukturiert ist, die einen kritischen, erkenntnisförderlichen Diskurs begünstigen. Allerdings kann es bestimmte Umwelteinflüsse geben, die die Qualität der epistemischen Performance der Gemeinschaft beeinträchtigen (beispielsweise allgemein geteilte gesellschaftliche Tabus, Zeitgeistphänomene, religiöse, wirtschaftliche oder politische Einflussnahmen und dergleichen mehr).

Vor diesem Hintergrund ist es offenbar geboten, sich auf solche Pluralitäten zu stützen, in denen die zu den drei besagten Dimensionen gehörenden Faktoren in einer bestimmten einschlägigen Weise realisiert sind. Man sollte sich auf solche Pluralitäten stützen, die auf epistemisch günstige Weise zusammengesetzt sind, die in günstiger Weise strukturiert sind und deren Umwelt günstige Rahmenbedingungen bereitstellt. Und man sollte sich nicht auf solche Pluralitäten stützen, in denen diese Voraussetzungen nicht realisiert sind. Das Problem ist, wie ein Subjekt, das eine epistemische Autorität nötig hat, erkennen kann, ob diese Bedingungen realisiert sind. Dies ist sozusagen die plurale Entsprechung zu dem in Teil II diskutierten Identifikationsproblem. Genauer: Es ist die Entsprechung des ersten Teils des Identifikationsproblems (die Identifizierung einer – individuellen oder nun eben pluralen – epistemischen Autorität als solcher); diesem pluralen Identifikationsproblem widme ich mich in Kapitel 13.

Auch der zweite Teil des Identifikationsproblems hat eine Entsprechung (die in Kapitel 14 thematisiert wird). Während das Subjekt im individuellen Fall auch noch die Überzeugungen der Autorität identifizieren muss, muss es im pluralen Fall das Vorliegen der einschlägigen wahrheitsindikativen Tatsachen feststellen. Es muss feststellen, ob es tatsächlich in Bezug auf die es interessierende Proposition eine Mehrheitsmeinung, einen Konsens o.ä. in der Pluralität gibt, die es als epistemische Autorität identifiziert hat. Ich werde dafür argumentieren, dass auch ein Subjekt, das keine oder nur geringe inhaltliche Kenntnisse der thematischen Domäne D besitzt, für die die Pluralität eine epistemische Autorität ist, gewisse Ressourcen besitzt, um beide Identifikationsprobleme zu lösen. Zwar ist diese Lösung nicht trivial; allerdings erfordert sie keine Kenntnisse von D. Es sind vielmehr im weitesten Sinn soziologische Erwägungen, die das Subjekt anstellen muss. Es muss sich Fragen stellen wie: Wie ist die Pluralität zusammengesetzt? Wie ist sie organisiert? Gibt es einen Konsens unter den Mitgliedern hinsichtlich der fraglichen Proposition und wie ist er zustande gekommen? All diese Fragen sind ihrem Wesen nach keine domänenspezifischen Fragen, so dass ihre Beantwortung auch keine domänenspezifischen Kompetenzen voraussetzt.

In Kapitel 15 gehe ich dann auf die plurale Entsprechung des in Teil II diskutierten Deferenzproblems ein. Viele der dort gewonnenen Einsichten – etwa hinsichtlich präemptionistischer Auffassungen – lassen sich unschwer auf den pluralen Fall übertragen. Allerdings gibt es auch gewisse Besonderheiten. Eine interessante Besonderheit ist etwa, dass ein Subjekt selbst Mitglied einer Pluralität sein kann, die für es autoritären Status besitzt. Beispielsweise kann es sein, dass ein Mitglied einer bestimmten Pluralität individuell glaubt, dass p, es aber in der Pluralität eine überwältigende Mehrheitsmeinung zugunsten von non-p gibt. Wie sollte sich das Mitglied in einer solchen Situation verhalten, wenn es einerseits der Meinung ist, dass der Pluralität der Status einer epistemischen Autorität zukommt, während es andererseits aber auch der Meinung ist, gute Gründe für seine individuelle Meinung zugunsten von p zu haben? (Es ist dies eine Situation, in der sich etwa wissenschaftliche „Außenseiter“ – Vertreter vom Mainstream abweichender, heterodoxer Positionen – nicht selten wiederfinden.)

Kapitel 16 stellt schließlich eine Parallele zu Kapitel 9 aus Teil II dar. Ich untersuche hier die Frage, inwiefern auch soziale Pluralitäten als Verstehens-Autoritäten in Erscheinung treten können. Dazu diskutiere ich zunächst, inwiefern soziale Pluralitäten überhaupt geeignete Objekte für die Zuschreibung von Verstehen sein können. Während die Frage, inwiefern wir Pluralitäten doxastische Zustände oder Wissen zuzuschreiben berechtigt sein können, bereits umfassend diskutiert wurde (sie steht im Mittelpunkt der zweiten von Goldmans drei Strömungen der Sozialepistemologie), ist kollektives Verstehen noch kaum untersucht worden. Die Tatsache, dass wir durchaus natürlicherweise und alltäglich Äußerungen der Form „Gruppe G versteht Phänomen X“ oder „Wir verstehen, warum p“ tätigen, spricht allerdings dafür, dass Pluralitäten nicht weniger Verstehen zugeschrieben werden kann als Wissen oder doxastische Zustände. Nun muss eine Pluralität, der wir Verstehen zuzuschreiben berechtigt sind, noch keine Verstehens-Autorität sein, von der ein Subjekt Verstehen erwerben kann. Vor diesem Hintergrund gehe ich im zweiten Teil des Kapitels auf die Frage ein, was es für eine Pluralität heißt, eine Verstehens-Autorität zu sein, und was es heißt, dass ein Transfer von Verstehen zwischen einer pluralen epistemischen Autorität und einem Subjekt stattfindet.

In Kapitel 17 führe ich verschiedene in der Untersuchung entwickelte Argumente noch einmal zusammen und versuche, die systematische Relevanz pluraler epistemischer Autoritäten für unsere epistemischen Praktiken zu begründen. Insbesondere möchte ich für die These argumentieren, dass es mehrere Hinsichten gibt, in denen die epistemische Autorität von Pluralitäten prioritär gegenüber der von Individuen ist. Zum einen besitzen soziale Pluralitäten häufig eine höhere epistemische Autorität als Einzelindividuen. Vor diesem Hintergrund ist es häufig durchaus eine rationale Strategie, sich etwa auf einen Konsens oder eine Mehrheitsmeinung in einer geeigneten Pluralität (etwa einer wissenschaftlichen Gemeinschaft) zu stützen statt auf ein Einzelindividuum (beispielsweise ein individuelles Mitglied der wissenschaftlichen Gemeinschaft), so groß dessen Expertise auch sein mag. Zweitens gibt es eine gewisse Priorität der epistemischen Autorität von Pluralitäten insofern, als das Vertrauen in individuelle epistemische Autoritäten in einem bestimmten Sinn typischerweise derivativ oder parasitär zum Vertrauen in die Pluralitäten ist, deren Mitglieder sie sind. Wenn wir beispielsweise (im Rahmen der Bewältigung des Identifikationsproblems) abwägen, welche Individuen wir als epistemische Autoritäten ansehen sollten, dann greifen wir häufig auf formale Qualifikationen der Individuen wie etwa akademische Abschlüsse, wissenschaftliche Preise, Publikationslisten und dergleichen als Entscheidungsgrundlage zurück. Wie ich zeigen möchte, besitzen derartige Kriterien Aussagekraft aber nur in dem Maße, in dem die Pluralität, deren Mitglieder die fraglichen Individuen sind, selbst epistemisch vertrauenswürdig ist. Denn es sind ja typischerweise andere Mitglieder der fraglichen Pluralitäten, die akademische Abschlussarbeiten bewerten, die für wissenschaftliche Preise nötigen Gutachten erstellen oder Publikationen einem Peer Review unterziehen. In Abhängigkeit davon, wie man die Zuverlässigkeit dieser Pluralitätsmitglieder bei der Bewältigung dieser Aufgaben insgesamt einschätzt, besitzen diese Kriterien einen Wert oder keinen Wert bei der Bewältigung des Identifikationsproblems. Eine dritte Hinsicht, in der es eine Priorität der epistemischen Autorität von Pluralitäten gibt, besteht darin, dass auch dann, wenn wir individuelle epistemische Autoritäten in einer bestimmten Frage konsultieren, diese häufig lediglich Vermittler von etwas sind, was ich „epistemische Kollektivgüter“ nenne. Die individuelle Autorität vermittelt uns nicht Wissen, das sie im eigentlichen Sinn selbst besitzen würde. Vielmehr vermittelt sie uns Wissen, das in einem genuinen Sinn einen Besitz der Pluralität darstellt, deren Mitglied sie ist. Wissenschaftler machen das sprachlich häufig dadurch kenntlich, dass sie Formulierungen wie „Wir wissen, dass p“ verwenden, wobei sich dieses „wir“ auf ihre wissenschaftliche Fachgemeinschaft bezieht. Der kollektive Charakter des Wissens betrifft dabei häufig nicht nur die Genese des Wissens, ergibt sich also nicht nur daraus, dass die Erkenntnis Resultat eines gemeinschaftlichen Unternehmens war. Vielmehr ist auch die Geltung oder Rechtfertigung insofern betroffen, als kein Einzelwissenschaftler die fraglichen Propositionen allein umfassend rechtfertigen könnte, sondern darauf vertrauen muss, dass unterschiedliche Teile der Rechtfertigung von verschiedenen anderen Mitgliedern der Gemeinschaft gerechtfertigt werden können, die ihrerseits wiederum in ähnlicher Weise nicht ohne ein gewisses epistemisches Vertrauen in ihre „Peers“ auskommen. Eine Zusammenfassung der Überlegungen des dritten Teils erfolgt schließlich in Kapitel 18.

Teil IV umfasst zwei ausführliche exemplarische Einzelanalysen, deren primäres Ziel zum einen darin besteht, etwas anschaulicher zu machen, wie ein Sich-Stützen auf plurale epistemische Autoritäten konkret vonstattengehen kann, und zum anderen darin, den einen oder anderen bis dahin noch nicht hinreichend beleuchteten systematischen Punkt noch genauer herauszuarbeiten. Dazu komme ich in Kapitel 19 noch einmal auf den ganz zu Beginn bemühten Fall der Eltern zurück, die überlegen, ob sie ihr Kind impfen lassen sollen, bzw. genauer: ob sie eine bestimmte, das Impfen betreffende Proposition („Die MMR-Impfung kann Autismus hervorrufen“) glauben sollten oder nicht. In unterschiedlichen sozialen Pluralitäten gibt es diesbezüglich divergierende Konsense oder Mehrheitsmeinungen. Welche davon haben wahrheitsindikativen Charakter? Sollten die Eltern die vakzinologische oder die impfkritische Gemeinschaft als epistemische Autorität behandeln? Welche Formen von Recherchen sollten sie anstellen, um dies zu entscheiden? Und welcher Recherchen bedarf es, um festzustellen, ob es überhaupt Konsense, Mehrheitsmeinungen oder dergleichen zugunsten oder zuungunsten der fraglichen Proposition in diesen Pluralitäten gibt?

In Kapitel 20 werde ich dieser Beispielanalyse eine weitere an die Seite stellen, in der eine Anwendung des in dieser Arbeit entwickelten Ansatzes auf die Corona-Krise erfolgen soll. In der Politik und im öffentlichen Diskurs hat man sich häufig auf „die Wissenschaft“ berufen, um bestimmte Einschätzungen der von Covid-19 ausgehenden Gefahr sowie der Maßnahmen, die zu ihrer Bewältigung beschlossen wurden, zu begründen. Mit Slogans wie dem des „Follow the Science“ wurde dafür geworben, diese Maßnahmen zu unterstützen und zu befolgen. Man kann diese verbreitete Praxis als Versuch rekonstruieren, sich zur Einschätzung der Gesamtsituation und zur Bewältigung der mit ihr einhergehenden Herausforderungen auf die plurale epistemische Autorität der Wissenschaft bzw. der relevanten wissenschaftlichen Communities zu stützen. Es fragt sich aber, ob Politik und Öffentlichkeit beim Rekurs auf „die Wissenschaft“ in epistemisch angemessener Weise vorgegangen sind und ein hinreichendes Bewusstsein für die verschiedenen Identifikationsaufgaben und die mit ihnen verbundenen Schwierigkeiten an den Tag gelegt haben. Das Kapitel ist einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Fragen gewidmet und wird dabei zu überwiegend negativen Antworten gelangen.