Ich habe zu zeigen versucht, dass plurale epistemische Autoritäten gegenüber individuellen typischerweise in mehreren Hinsichten eine gewisse Priorität besitzen. Zwar ist es nicht immer möglich, sich auf eine plurale epistemische Autorität zu stützen. Wenn es etwa darum geht, ein ganz konkretes, individuelles Problem zu lösen, wofür bestimmende Urteilskraft seitens der Autorität nötig ist, braucht es direkte Kommunikation mit der Autorität, was häufig nicht oder nur schwer möglich ist, wenn es sich bei der Autorität um eine plurale handelt. Beispielsweise kann ein gewöhnliches Subjekt normalerweise nicht eine ganze wissenschaftliche Gemeinschaft mit der Lösung eines persönlichen Problems beauftragen, so wie es einen individuellen Arzt, Anwalt oder Steuerberater damit beauftragen kann. Gleichwohl gibt es auch in diesen Fällen eine Priorität des Pluralen gegenüber dem Individuellen. So richten sich Subjekte bei der Identifikation geeigneter individueller Autoritäten rationalerweise häufig danach, zu welchen Pluralitäten diese Autoritäten gehören. Das epistemische Vertrauen in die Pluralität ist primär, das in die individuellen Mitglieder derivativ. Zudem sind die epistemischen Güter, auf die die individuellen Autoritäten zurückgreifen und auf die Probleme der Subjekte anwenden, in typischen Fällen sozusagen Gemeinbesitz.

Häufig ist es aber möglich, sich direkt auf eine Pluralität (statt eine individuelle Autorität) zu stützen, also eine wahrheitsindikative Tatsache über eine geeignete Pluralität als Grundlage für die eigene Meinungsbildung zu verwenden statt eine Überzeugung einer individuellen Autorität. In solchen Fällen kommt eine weitere Form von Priorität zum Tragen: nämlich der Umstand, dass geeignete Tatsachen über geeignete Pluralitäten häufig in stärkerem Maße wahrheitsindikativen Charakter besitzen als die Überzeugungen von Individuen. Ein Großteil meiner Überlegungen im dritten Teil dieser Untersuchung war der Frage gewidmet, was es heißt, sich vor diesem Hintergrund auf eine plurale epistemische Autorität zu stützen. Ich habe deutlich zu machen versucht, dass die Herausforderungen, mit denen Subjekte dabei konfrontiert sind, ähnlich denen sind, die wir von der Deferenz gegenüber individuellen Autoritäten her kennen. Insbesondere müssen sie verschiedene Identifikationsprobleme lösen sowie Deferenzprobleme bewältigen. Zu den Identifikationsproblemen gehört die Aufgabe, geeignete plurale Autoritäten als solche zu erkennen. Ob eine Pluralität geeignet ist oder nicht, lässt sich durch Erwägung verschiedener Merkmale der Pluralität abschätzen, die ich den Dimensionen Zusammensetzung, Struktur und Umwelt zugeordnet hatte. Ferner muss festgestellt werden, ob es im Hinblick auf eine bestimmte Proposition von Interesse eine die Pluralität betreffende Tatsache gibt, die als Wahrheitsindikator für die Proposition infrage kommt. Die Feststellung, ob eine solche Tatsache vorliegt, ist, wie ich zu zeigen versucht habe, häufig alles andere als eine triviale Angelegenheit, die aber gleichwohl keine domänenspezifischen Kompetenzen erfordert, also auch für ein Subjekt mit wenig oder keinen Kenntnissen der relevanten Domäne bewältigbar ist. Ob es in einer Pluralität eine Mehrheitsmeinung, einen Konsens oder eine kollektive Überzeugung gibt, dass p, lässt sich prinzipiell durch Anwendung verschiedener Methoden ermitteln. Keine davon ist in dem Sinne perfekt, dass ihre korrekte Anwendung eine sichere Entscheidung darüber, ob die (potentiell) wahrheitsindikative Tatsache vorliegt oder nicht, ermöglichen würde. Die beiden Typen der Unsicherheit bzw. des epistemischen Risikos, die es auch bei der Deferenz gegenüber individuellen Autoritäten gibt, lassen sich somit auch hier nicht restlos beseitigen: Eine als wahrheitsindikativ vermutete Tatsache kann als bestehend erscheinen, obwohl sie es tatsächlich nicht ist (oder vice versa); und die Tatsache kann als wahrheitsindikativ im Hinblick auf die fragliche Proposition erscheinen, obwohl sie es tatsächlich nicht ist (oder vice versa). Für das Deferieren gegenüber individuellen wie pluralen epistemischen Autoritäten gilt daher: Epistemische Autoritäten stellen für das epistemische Verhalten inferiorer Subjekte zweifellos eine unverzichtbare Hilfe dar, eine Wahrheitsgarantie gibt es aber freilich nicht.