Im vorigen Kapitel haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, welche Faktoren dafür verantwortlich sind, dass eine Pluralität einen zuverlässigen epistemischen Output zu generieren imstande ist, während andere Pluralitäten es nicht sind. Ob diese Faktoren in einem konkreten Fall vorliegen und wirksam sind, ist aber nicht unbedingt offensichtlich. Ein Subjekt, das sich in seiner Überzeugungsbildung auf eine plurale epistemische Autorität stützen will, steht vor diesem Hintergrund vor der Herausforderung, einzuschätzen, wann eine Pluralität eine echte epistemische Autorität darstellt und wann nicht. In diesem Kapitel möchte ich untersuchen, ob bzw. in welchem Maße es dazu imstande ist. Das Problem, mit dem wir dabei konfrontiert sind, ist das Gegenstück zum ersten Teil des Identifikationsproblems, mit dem wir uns in Kapitel 7 beschäftigt hatten. Ich hatte dort zum einen auf die Anreizstruktur unseres allgemeinen Systems epistemischer Arbeitsteilung hingewiesen und zum anderen die von Goldman vorgeschlagenen Methoden zur Identifikation von Experten diskutiert. Es scheint mir eine sinnvolle Vorgehensweise zu sein, zunächst zu überlegen, inwieweit diese Überlegungen auf den pluralen Fall übertragbar sind.

Was die Anreizstruktur betrifft, so scheinen zumindest einige Pluralitäten grundsätzlich auf ganz ähnliche Weise in unser System epistemischer Arbeitsteilung eingebettet zu sein wie Individuen. Sicherlich sind nicht alle Pluralitäten in das System eingebettet, aber in diesem Punkt gibt es keine entscheidende Differenz zum individuellen Fall, denn wie wir gesehen hatten, sind ja auch nicht alle Individuen in das System eingebettet. Für den Spezialfall, dass Gruppen Quellen testimonialer Akte sind, hat Tollefsen (2007, 308) in diesem Sinne betont:

There are [...] significant incentives for groups to tell the truth despite the fact that many groups have interests that might lead one to be skeptical of their claims. Consider the incentives in place for corporations to speak truly about the ways in which they make their products and the impact their production has on the environment and on consumer’s health. Tobacco companies can no longer hide the truth about the effects of cigarette smoking on the health of the smoker. Scientific groups, too, have incentives for speaking the truth, and the review process provides a process that insures the testimony we receive from groups has a certain level of reliability.

Diese Anreizstruktur gilt sicherlich nicht allumfassend. In Kapitel 7 hatten wir gesehen, dass es Individuen geben kann, die aus unterschiedlichsten Gründen keine Anreize haben, ihre Kenntnisse mit anderen zu teilen. In ganz ähnlicher Weise kann es auch Pluralitäten geben, die keine entsprechenden Anreize haben. Man könnte sich etwa eine Art Geheimbund vorstellen, innerhalb dessen Wissen zu einer bestimmten Domäne D akkumuliert wird, das aber nur intern kommuniziert wird, nicht an Personen außerhalb des Geheimbunds. Falls es außerhalb des Geheimbunds keine sonstigen Personen oder Pluralitäten geben sollte, die sich mit D befassen, liefe das darauf hinaus, dass D zumindest temporär zu einer Art „kognitiven Insel“ wird, d. h. einem thematischen Bereich, über den zwar Wissen existiert, auf das Personen ohne eigene Kenntnisse aber nicht zugreifen können.Footnote 1

Auch wenn derartige (temporäre) „kognitive Inseln“ existieren mögen, dürften viele andere Bereiche nicht derart abgeschottet sein. Viele plurale epistemische Autoritäten sind auf die eine oder andere Art und Weise in unser System epistemischer Arbeitsteilung integriert. In Bezug auf diese stellt sich die Frage, inwiefern Goldmans Methoden auf sie anwendbar sind. Seine erste Methode – die Berücksichtigung der Qualität der argumentativen, dialektischen Performance – dürfte nur mit Einschränkungen im Fall pluraler epistemischer Autoritäten anwendbar sein. Zum einen setzt die Methode voraus, dass es überhaupt ein kommunikatives Verhalten seitens der Pluralität gibt, das auf seine Qualität hin beurteilt werden kann, und viele plurale epistemische Autoritäten zeigen ein derartiges Verhalten gar nicht. Zum anderen ist dieses Verhalten, selbst wenn eine Pluralität kommunikatives Verhalten an den Tag legt, nicht unbedingt mit dem Verhalten einer Einzelperson vergleichbar. Beispielsweise dürfte die Kommunikation mit oder zwischen Pluralitäten sozusagen „träger“ vorangehen als die zwischen Einzelindividuen. Denn wie kommuniziert man mit einer Pluralität? Vielleicht dadurch, dass man eine schriftliche Anfrage an einen Sprecher der Pluralität richtet, der die Anfrage dann unter Umständen in die internen Kommunikationskanäle weiterleitet, um schließlich ein Ergebnis zu erhalten und an den Fragenden zurückzugeben. Wenn eine besondere Schnelligkeit des Erwiderns auf Einwände bereits im individuellen Fall ein problematisches Indiz für epistemische Überlegenheit ist, dann ist sie im kollektiven Fall praktisch unbrauchbar. Wenn man auf eine Anfrage schnell eine Antwort erhält, dann deutet das vielleicht auf eine gute Erreichbarkeit des Sprechers oder auf eine reibungslose interne Kommunikation in der Pluralität hin, aber ein Kriterium für epistemische Überlegenheit ist es wohl kaum. Ganz unmöglich ist eine sinnvolle Bewertung des kommunikativen Verhaltens einer Pluralität indes nicht. So bemerkt Tollefsen in ihrem gerade erwähnten Beitrag über Gruppen-Testimonialität: „When a corporation protests too much or too quickly we might think such behavior is a sign of a cover-up and question the legitimacy of certain statements issued by the corporation.“ (Tollefsen 2007, 306)

Bevor ich auf die zweite Goldmansche Methode zu sprechen komme, möchte ich mich zunächst der dritten zuwenden. Diese Methode, die wir im individuellen Fall als eher aussichtsreich charakterisiert hatten, scheint sich besonders schlecht auf den pluralen Fall übertragen zu lassen. Denn was könnte eine Entsprechung zu formalen Qualifikationen sein, die Pluralitäten erwerben können? Individuen erwerben akademische Abschlüsse, gewinnen wissenschaftliche Preise, verfassen Publikationen oder sind bei Institutionen angestellt; für Pluralitäten lässt sich das, von einigen Ausnahmen abgesehen, kaum sagen (zu den Ausnahmen gehört, dass manchmal ein ganzes Forscherteam eine Publikation in Koautorschaft verfasst oder als Team einen Preis gewinnt). Dennoch gibt es auf pluraler Ebene eine wichtige Entsprechung zu dieser Methode. Wir hatten die formalen Qualifikationen als geronnene Reputation oder geronnene Anerkennung charakterisiert. Man kann daran, ob jemand gute bzw. viele formale Qualifikationen besitzt, darauf schließen, ob er von bestimmten relevanten anderen Personen anerkannt oder angesehen wird als jemand, der sich durch eine gewisse epistemische Qualität auszeichnet. Ähnliche Qualitätsausweise gibt es auch in Bezug auf Pluralitäten. Pluralitäten können nämlich Teil größerer Strukturen, größerer Pluralitäten sein, und die Tatsache, dass sie dies sind, die Tatsache, dass sie von der größeren Struktur oder Pluralität als Teil anerkannt werden, kann als Indiz für ihre epistemische Qualität angesehen werden, unter der Voraussetzung freilich, dass Grund zu der Annahme besteht, dass die größeren Strukturen/Pluralitäten ihrerseits epistemische Qualität besitzen. Man denke etwa daran, welchen Unterschied es macht, ob eine Gemeinschaft als wissenschaftliche Community anerkannt wird, ob sie unter dem Dach der Universität geduldet wird, ob ihre Ergebnisse in anderen Disziplinen verwendet werden usw. oder nicht. Für die Gemeinschaft der Astrologen, Alchimisten oder Kreationisten gilt es nicht, für die der Astronomen, Chemiker oder Evolutionsbiologen gilt es. Zagzebski macht in diesem Zusammenhang die folgende erhellende Bemerkung:

Take the example of the belief that there is human-caused global warming. Most academics of my acquaintance believe it, although they typically lack sufficient evidence to believe it. They believe it because they trust the experts who have come to that conclusion – good academics like themselves. Even if the climate change experts are in a different academic field, there is a Ioosely structured community in which we participate – the community of scientific and university scholars. My neighbors are skeptical of human-caused global warming for a parallel reason. They distrust the community of academics because they believe that academics tend to be driven by a political agenda, one they do not share. For both sides, epistemic trust or distrust in others is the most significant reason for the belief. (Zagzebski 2012, 98)

Wenn man also grundsätzliches Vertrauen in die Wissenschaft, die Akademie, die Universität hat, dann lässt sich – bei aller Verschiedenheit der wissenschaftlichen Disziplinen und Fachkulturen und trotz der Nicht-Existenz von so etwas wie einer einheitlichen Sprache der Wissenschaft – die Tatsache, dass eine Gemeinschaft als zur Wissenschaft gehörig akzeptiert wird, als Indiz für die epistemische Qualität dieser Gemeinschaft betrachten. Natürlich stellt sich hier die Frage, wieso man überhaupt epistemisches Vertrauen in die Wissenschaft allgemein hat oder nicht hat (ein empirisch signifikanter Faktor ist sicherlich, ob man selbst dazu gehört oder nicht, aber das ist natürlich noch kein normativ gültiger Grund). Zudem gibt es allerlei Grenzfälle, bei denen die Beurteilung schwierig sein kann. Beispielsweise entstehen ständig neue wissenschaftliche specialties, die noch nicht oder nicht vollständig institutionalisiert sind. Umgekehrt ist auch die Exklusion eines Fachs aus dem akademischen System, die Einstufung des Fachs als Pseudowissenschaft, ein Prozess, der sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt.

Nun zur zweiten Methode zur Identifikation geeigneter pluraler epistemischer Autoritäten: der Berücksichtigung weiterer Quellen. Die Übertragbarkeit dieser Methode auf den pluralen Fall scheint auf der Hand zu liegen. Wenn das Subjekt mit einer Situation konfrontiert ist, in der eine als Wahrheitsindikator verwendete Tatsache über eine Pluralität P1 die Wahrheit von p anzeigt, während eine als Wahrheitsindikator verwendete Tatsache über Pluralität P2 die Falschheit von p anzeigt, dann dürfte es hilfreich sein, weitere Pluralitäten zu finden, die in vergleichbarer Weise entweder p oder non-p anzeigen. Die Überlegungen, die wir (in Abschnitt 7.1) zu Unabhängigkeit und Metaexpertise angestellt haben, lassen sich ebenfalls mutatis mutandis auf den pluralen Fall übertragen. Wenn Pluralität P3 etwas ist, was Goldman „non-discriminating reflector“ von entweder P1 oder P2 nennt,Footnote 2 dann scheint das Anzeigen der Wahrheit oder Falschheit von p durch P3 keinen zusätzlichen evidentiellen Wert zu haben. Das gilt allerdings nicht, wenn davon auszugehen ist, dass es in P3 so etwas wie Metaexpertise, oder ein Äquivalent dazu, gibt, d. h. wenn P3 auf eine reliable Weise an die andere Pluralität gekoppelt ist.

Beispiele lassen sich etwa im Zusammenhang mit den soeben diskutierten interdisziplinären Beziehungen innerhalb der Wissenschaft finden. Angenommen, p sei eine Proposition, die die Grundlagen der Physik betrifft, und es gebe in der Gemeinschaft der Physiker eine Mehrheitsmeinung, eine Kollektiv-Überzeugung oder einen Konsens, dass p wahr ist. Weiter angenommen, es gebe auch in der Gemeinschaft der Chemiker eine Mehrheitsmeinung o.dgl., dass p wahr ist, wobei die Chemiker in diesem Fall aber einfach das Ergebnis der physikalischen Forschung übernehmen, ohne selbst die Wahrheit von p mit eigenen Mitteln direkt eruieren zu können. Die Gemeinschaft der Chemiker ist in diesem Fall eine Art „non-discriminating reflector“ gegenüber der der Physiker; dennoch kann die Tatsache, dass es eine Mehrheitsmeinung o.dgl. unter den Chemikern gibt, als zusätzliche Evidenz (oder Meta-Evidenz) für die Wahrheit von p betrachtet werden. In dem Maße, in dem die Chemie auf die Physik aufbaut – oder besser: in dem Maße, in dem sich die Annahme, die Chemie baue auf die Physik auf, bewährt und sie erstere zu epistemischen Erfolgen verholfen hat –, gibt es gute Gründe für die Chemiker, bestimmte Ergebnisse aus der Physik einfach zu übernehmen und als gegeben vorauszusetzen.Footnote 3 Ihre Erfolge, die sie wiederum selbst einschätzen können, geben den Chemikern in dieser Hinsicht recht und lassen ihr Vertrauen gerechtfertigt erscheinen.

Die vierte Methode – die Berücksichtigung nicht-epistemischer Interessen und Biases – ist meines Erachtens ebenfalls auf den pluralen Fall übertragbar, muss aber in einigen entscheidenden Punkten modifiziert werden. Wie wir im vorherigen Kapitel gesehen hatten, beruht ein Hauptargument wissenschaftlicher Pluralisten auf der Idee, dass nicht-epistemische Interessen und Biases seitens der individuellen Wissenschaftler einerseits unausweichlich sind, andererseits aber auch weniger schädlich für die Objektivität und den epistemischen Erfolg der Wissenschaft, als häufig angenommen wurde. Wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft nämlich hinreichend diversifiziert ist, dann heben sich die einzelnen Interessen und Verzerrungen sozusagen wechselseitig auf (und hier liegt einer der Gründe, wieso eine Gemeinschaft manchmal eine bessere epistemische Quelle ist als ein Individuum). Die entscheidende Frage ist freilich: Ist die Pluralität in hinreichendem Maße diversifiziert oder gibt es in ihr etwas, was ich „kollektive Einseitigkeiten“ („collective biases“) genannt habe? Dabei habe ich Situationen vor Augen, in denen bestimmte theoretische oder methodische Ansätze nicht verfolgt werden, obwohl sie prinzipiell epistemischen Wert besitzen (oder Situationen, in denen sie weniger stark oder stärker verfolgt werden, als ihr epistemischer Wert rechtfertigen würde). Aber kann ein wenig oder gar nicht mit einem Forschungsfeld vertrauter Laie den Grad einschätzen, in dem dieses Feld epistemisch diversifiziert ist? Und selbst wenn ihm bewusst sein sollte, dass bestimmte Forschungsansätze zu dem Thema nicht verfolgt werden, kann er dann beurteilen, ob die Nicht-Berücksichtigung dieser Ansätze epistemisch gerechtfertigt ist? Kann er beispielsweise wirklich selbst (also ohne wiederum auf die Einschätzung von einschlägigen Experten zurückgreifen zu müssen) beurteilen, dass kreationistische oder Intelligent-Design-Ansätze keinen hinreichenden epistemischen Wert haben, um in der evolutionsbiologischen Gemeinschaft ernst genommen zu werden? Ich denke, man kann diese Fragen ohne Umschweife verneinen. Der „direkte“ Weg zur Identifikation von kollektiven Einseitigkeiten dürfte damit für die Subjekte versperrt sein.

Es bleiben indirekte Wege. Ähnlich wie ein Subjekt im Rahmen gewisser Grenzen beurteilen kann, ob eine individuelle epistemische Autorität durch nicht-epistemische Interessen beeinflusst ist, kann es womöglich beurteilen, ob eine Gemeinschaft so stark von bestimmten Interessen beeinflusst ist, dass ein verzerrender Effekt für die plurale epistemische Autorität der Gemeinschaft vermutet werden kann. Kein Zweifel, auch das setzt ein gewisses Maß an Vertrautheit mit der fraglichen Gemeinschaft voraus. Aber – und das ist das Entscheidende – es handelt sich um eine Vertrautheit in einem eher soziologischen Sinn. Es ist sicher notwendig, dass das Subjekt sich mit ökonomischen, historischen, politischen Zusammenhängen usw. auseinandersetzt, aber es braucht nicht unbedingt ein hohes Maß an Vertrautheit mit der in der fraglichen Gemeinschaft geführten Fachdebatte.

Eine Kenntnis der speziellen Soziologie der Gemeinschaft ist auch von Vorteil für eine Einschätzung der in ihr realisierten sozioökonomischen Diversität, die, wie wir gesehen haben, einen gewissen indirekten Einfluss auf die epistemische Diversität besitzt. Ferner sind Kenntnisse der Soziologie der Gemeinschaft vorteilhaft, um die in ihr wirksamen Anreiz-, Grenzmanagement- oder Überzeugungs-Aggregations-Mechanismen beurteilen zu können. Gibt es in der Gemeinschaft Anreize zur Förderung epistemischer Diversität oder wird die Diversität durch bestimmte Anreize eher gehemmt? Findet ein hohes Maß an Selektion statt, durch das relevante Bevölkerungsgruppen keinen oder nur geringen Zugang zur Gemeinschaft besitzen? Usw.

Auch Goldmans fünfte Methode – die Orientierung an der Erfolgsbilanz der Autorität – ist, ebenfalls wieder mit Modifikationen, im pluralen Fall anwendbar. Zwar betont Wilholt (2016, 221) zu Recht, dass viele Forschergruppen verhältnismäßig kurzlebig sind (manche gibt es nur für die Dauer eines einzigen Experiments), und für eine Erfolgsbilanz gar nicht lange genug existieren. Auch medizinische Konsenskonferenzen, Geschworenenjurys und viele andere Pluralitäten haben eine sehr viel kürzere „Lebensdauer“ als individuelle Personen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Pluralitäten, die deutlich länger existieren können, etwa wissenschaftliche Gemeinschaften. Das eröffnet dem Subjekt die Möglichkeit, durch ein Studium der Wissenschaftsgeschichte bzw. allgemein der Geschichte der fraglichen Pluralität so etwas wie eine Erfolgsbilanz zu erstellen, wobei das Verfahren grundsätzlich, wie von Goldman vorgeschlagen, in einer Untersuchung von Propositionen besteht, zu denen es zu einem früheren Zeitpunkt, als sie noch esoterisch waren, epistemische Outputs von der Pluralität gab, und die später ihren esoterischen Charakter verloren haben. Auch zu diesem Aspekt hat Tollefsen in ihrem Aufsatz zu Gruppen-Testimonialität Erhellendes beigetragen:

Monitoring of the speaker may also come in the form of keeping track of the statements of various groups and comparing their reliability with past testimony. If the American Civil Liberties Union (ACLU) has been reliable in the past about a certain issue then we would predict that they would be reliable on the current issue on which they offer testimony. Again, I do not have to monitor a single member of the ACLU to assemble such a track-record. (Tollefsen 2007, 306)

Gerade bei wissenschaftlichen Gemeinschaften, die teilweise jahrhundertealt sein können, ergibt sich allerdings das Problem, dass ihre epistemische Performance sich im Laufe der Zeit gravierend verändern kann. Es dürfte unangemessen sein, beispielsweise heutigen medizinischen Gemeinschaften aufgrund der Misserfolge der mittelalterlichen Medizin das Vertrauen zu entziehen. Es scheint bei der Anwendung dieser Methode also ein gewisses Augenmaß nötig zu sein bzw. eine Gewichtung vergangener Erfolge oder Misserfolge je nachdem, wie lange sie zurückliegen. Ebenfalls berücksichtigt werden könnten tiefgreifende Brüche (z. B. so etwas wie Revolutionen im Sinne Kuhns), durch die sich die epistemische Performance einer Gemeinschaft in relativ kurzer Zeit stark verändert haben kann (man denke etwa an die durch Semmelweis angestoßenen Veränderungen in der Medizin; vgl. dazu Gillies 2005).Footnote 4 Auch hier sind gewisse wissenschaftshistorische Kenntnisse seitens des Subjekts gefragt, aber nicht unbedingt Kenntnisse jenes Typs, den wir als „esoterisch“ bezeichnet hatten.

Wir können festhalten, dass die Identifikation geeigneter pluraler epistemischer Autoritäten im Allgemeinen bis zu einem gewissen Grade auch für Subjekte möglich sein dürfte, die sich wenig oder gar nicht mit der thematischen Domäne auskennen. Wie im individuellen Fall kommt den Subjekten dabei ein Stück weit die unserem System epistemischer Arbeitsteilung inhärente Anreizstruktur zugute. Zudem können Goldmans Methoden mit gewissen Modifikationen auf den pluralen Fall angewandt werden. Was die Subjekte zu deren Anwendung in jedem Fall allerdings brauchen, sind gewisse Kenntnisse der Soziologie der fraglichen Pluralität(en).