Ich habe den Begriff einer epistemischen Autorität über den der epistemischen Superiorität bestimmt. Epistemische Superiorität eines Subjekts gegenüber einer anderen Person kann es bezüglich einer Domäne D in mehreren epistemischen Dimensionen geben: etwa im Hinblick auf die Kenntnis zu D gehörender propositionaler Wahrheiten oder im Hinblick auf das Verstehen von D. Wenn ein Subjekt Bedarf an epistemischen Gütern hat, die eine Autorität besitzt, dann hat es unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen. Insbesondere muss es eine korrekte Autorität als solche identifizieren oder sich gegebenenfalls unter konkurrierenden Autoritäten für die richtige entscheiden. Zudem muss es Zugriff auf den Inhalt der relevanten epistemischen Einstellungen der Autorität erlangen: Es muss z. B. die einschlägigen Überzeugungen der Autorität korrekt identifizieren oder im Falle von Verstehens-Autoritäten die epistemischen Pro-Einstellungen der Autorität zu den relevanten Repräsentationen ermitteln. Auch wenn sich inferiore Subjekte in einer tendenziell ungünstigen Lage befinden, um diese Identifikationsaufgaben zu bewältigen, ist ihre Lage, wie ich zu demonstrieren versucht habe, gleichwohl nicht gänzlich aussichtslos. Zugute kommt ihnen etwa die in unserem System epistemischer Arbeitsteilung inhärente Anreizstruktur. Konkrete Hilfe versprechen zudem die von Goldman benannten Strategien, auch wenn sich Goldmans Überlegungen als in verschiedenen Hinsichten korrekturbedürftig erwiesen haben.

Sind diese Identifikationsaufgaben bewältigt, muss das Subjekt ferner das Deferenzproblem lösen, d. h. es muss Klarheit darüber erlangen, wie genau es sich gegenüber der Autorität verhalten sollte. Ich habe zu zeigen versucht, dass wenig für präemptionistische Antworten auf das Deferenzproblem spricht. Zum einen kann es beispielsweise Situationen geben (persistierende Dissense), in denen das Subjekt rationalerweise an seiner Überzeugung festhalten sollte, obwohl eine Autorität eine andere, inkompatible Überzeugung besitzt. Zum anderen gibt es gute Gründe, davon auszugehen, dass der Präemptionismus in keiner der bisher vorgelegten Varianten eine befriedigende Antwort selbst im Hinblick auf solche Situationen gibt, in denen das Subjekt seine Überzeugung der Autorität anpasst oder schon unabhängig die Meinung der Autorität vertritt (Konversionsfälle und persistierende Übereinstimmungen). Derartige Gründe ergeben sich etwa aus der Überlegung, dass das Subjekt neu gewonnene Überzeugungen in sein eigenes doxastisches Netz integrieren und diese Integration mithilfe von Kontrollgründen überwachen muss. Ferner ist der Präemptionismus aus bestätigungstheoretischen Erwägungen heraus unplausibel. Schließlich trägt der Präemptionismus nicht hinreichend dem Umstand Rechnung, dass inferiore Subjekte und Autoritäten in typischen Fällen Interaktionspartner und insofern wechselseitig voneinander abhängig sind oder – wenn sie keine Interaktionspartner sind – ein Präemptieren aus Gründen des pragmatic encroachment nicht zielführend wäre.

Ich habe mich in diesem Teil der Untersuchung auf individuelle epistemische Autoritäten konzentriert, denen gegenüber zu deferieren in typischen Fällen bedeutet, beispielsweise ihre Überzeugungen zu übernehmen. Im nun folgenden dritten Teil möchte ich mich dem Phänomen zuwenden, dass wir uns in unserer epistemischen Praxis häufig auch auf plurale epistemische Autoritäten stützen. Diesem – in der bisherigen Diskussion zu epistemischer Autorität weitgehend vernachlässigten Phänomen – kommt eine besondere Bedeutung dadurch zu, dass plurale Autoritäten häufig als überlegene epistemische Quellen angesehen werden (d. h. überlegen im Vergleich zu allen verfügbaren individuellen Autoritäten), und zwar – aus Gründen, die noch deutlicher herauszuarbeiten sind – vielfach zu Recht. Eine Herausforderung für die Analyse pluraler Autoritäten ergibt sich daraus, dass plurale epistemische Autoritäten nicht oder nicht im selben Sinne wie individuelle Autoritäten Überzeugungen besitzen. Ich war auf die sich daraus ergebende Notwendigkeit eingegangen, den allgemeinen Begriff einer epistemischen Autorität anders als über den Überzeugungsbegriff zu explizieren. Epistemische Autoritäten mit Überzeugungen sind demnach lediglich Spezialfälle von epistemischen Autoritäten im weiteren Sinn. Eine soziale Pluralität kann als superiore epistemische Quelle in Erscheinung treten, auch wenn sie nicht im engeren Sinn Überzeugungen besitzt. Um diesen Fall modellieren zu können, habe ich auf den allgemeineren Begriff eines Wahrheitsindikators zurückgegriffen.