Im Lebensalltag von Verbraucher:innen sind nahezu alle Aktivitäten mit dem Handeln auf dem Markt verbunden (Piorkowsky 2011). Verbraucher:innen interagieren dabei als Wirtschaftssubjekte mit anderen Wirtschaftsobjekten bzw. Akteur:innen wie Unternehmen oder Behörden. In Zuge dieses Kapitels werden kooperative Marktgeschehen betrachtet, welche die Verbraucherinformatik hinsichtlich der Nachfrager- wie auch der Anbieterperspektive betrachten werden.

Zunächst wird analog einer volkswirtschaftlichen Gliederung die mikroökonomische Perspektive der privaten Haushalte von Verbraucher:innen betrachtet. Diese Perspektive hat zum Ziel, die im Haushalt (sowohl räumlich als auch organisatorisch) stattfindenden Praktiken und Arbeitsleistungen zu erörtern und daraus resultierende Technikunterstützung zu ergründen.

Darauffolgend wird eine makroökonomische Perspektive plattformökonomische Marktmechanismen erklären, die das Angebot und die Vermittlung von Gütern und Leistungen betreffen. In dem Zuge werden Effekte durch Plattformgeschäfte erläutert.

FormalPara Lernziele

Im Rahmen dieses Kapitels werden Ihnen folgende Inhalte vermittelt:

  • Sie lernen, wie digitale Technologien die Arbeit im privaten Haushalt verändern und wie Plattformen eine Rolle im Vertragsmanagement und bei Informationsprozessen im Haushalt spielen können.

  • Sie lernen die makroökonomischen Faktoren kennen, die digitale Märkte beeinflussen, wie z. B. die Bedeutung von digitalen Gütern, Skaleneffekten, Netzwerkeffekten und Lock-in-Effekten.

3.1 Mikroökonomische Perspektive: Digitale Haushalte

Die Perspektive der Akteure innerhalb eines Marktes ist die mikroökonomische Perspektive des Privathaushalts von Verbraucher:innen. Im Haushalt wirtschaften Verbraucher:innen als Wirtschaftssubjekt allein oder als Zusammenschluss mehrerer Personen, wie in Familien oder Wohngemeinschaften, zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung.

Haushalt und Ökonomik

Der Begriff Ökonomik (von griechisch: oikos = Haus/Haushalt und nomos = Gesetz/Brauch) beschreibt ursprünglich die Lehre von der rechten Haushaltsführung. Er wird heute als Fachbegriff für die gesamte Disziplin der Wirtschaftswissenschaften (inkl. der Perspektive der Unternehmen, Staaten und Haushalte) verwendet. Ihren Ursprung haben die modernen Wirtschaftswissenschaften jedoch im wirtschaftenden Haushalt im antiken Griechenland. So ist die Oikonomikos als eine der ältesten Schriften der Ökonomik bekannt. Der Autor Xenophon (430–355 v. Chr.) beschreibt darin die rechte Hauswirtschaft und Agrarwirtschaft eines Landguts in der damals üblichen Dialogform (Piekenbrock und Hennig 2013).

Umgangssprachlich bezeichnet man mit dem Begriff Haushalt im 21. Jahrhundert zumeist die physische Wohnumgebung. Der Haushalt ist hier der Ort der Regeneration der Arbeitskraft oder der Ort, an dem die Bedürfnisse von Verbraucher:innen durch Konsum realisiert werden. Als Ort kann dort auch die Zusammenkunft von Menschen, wie Familie oder Freund:innen, stattfinden. In Wohnbereichen befinden sich zum Beispiel gemütliche Sitzflächen; auch in privaten Außenbereichen, wie im Garten oder auf einem Balkon, finden Zusammenkünfte statt. Einen Raum für die Essenszubereitung realisiert die Küche, ein Raum realisiert das Schlafen, das Badezimmer befriedigt andere Grundbedürfnisse. Wohnumgebungen mit Hobbybereichen, wie Werkstatt, Fitnessräumen, Pools im Garten etc. realisieren zudem individuelle Bedürfnisse bis hin zur Selbstverwirklichung (vgl. nachfolgend die Bedürfnisbefriedigung).

Bedürfnisbefriedigung

Das allgemeine Ziel von Haushalten ist das Streben nach Bedürfnisbefriedigung und Nutzenmaximierung, wie es oben räumlich in der Wohnumgebung illustriert ist. Ein Bedürfnis kann als Endzweck jeglichen wirtschaftlichen Handelns verstanden werden. Die dahinterliegende Motivation menschlichen Handelns ist damit die Regulation eines Mangelempfindens (vgl. Abschn. 2.2. in diesem Buch).

Die Bedürfnisbefriedigung wird im Haushalt unter Einbeziehung von „Marktgüter[n] und -leistungen, eigene[r] Zeit und andere[n] Faktoren“ (Becker 1982) hergestellt. So handeln Verbraucher:innen innerhalb ihres Haushalts so, dass sie ihre Situation entweder verbessern oder eine Verschlechterung vermeiden (Becker 1976). Ein Bedürfnis, das bei Verbraucher:innen mit einer Kaufkraft verbunden ist, bezeichnet man in der Ökonomik als Bedarf.

Theorie des Haushalts

In den Wirtschaftswissenschaften wird in der Theorie des Haushalts der Begriff als Wirtschaftseinheit verwendet, die das Marktgeschehen von (einzelnen oder gemeinsam mehreren) Verbraucher:innen auf Grundlage modelltheoretischer Annahmen (wie z. B. Rational Choice, siehe Abschn. 2.1) beschreibt (Piorkowsky 2011, S. 75). Innerhalb dieser Wirtschaftseinheit werden Güter und Dienstleistungen beschafft, gebraucht oder verbraucht. Der Haushalt wird als Ende einer Wertschöpfungskette betrachtet, die sich auf diesen Endzweck ausgerichtet hat. Die Wertschöpfung – also Produktion – der Güter und Dienstleistungen für Haushalte geschieht wiederum innerhalb und durch Unternehmen. Diese veredeln zum Zwecke der Gewinnmaximierung Rohstoffe mit anderen Produktionsfaktoren. Daraus lässt sich ein gemeinsamer Mehrwert schöpfen, und die entstandenen Güter und Dienstleistungen werden auf dem (Konsum-)Markt angeboten.

Diese Sichtweise wird auch die Theorie des Unternehmens genannt. Haushalte und Unternehmen treffen sich als zwei zentrale Marktakteure in der Theorie des Marktes, in der Prinzipien wie Angebot und Nachfrage beschrieben werden (vgl. Abb. 3.1). Hierbei sind Unternehmen allgemein Produzent:innen, die Konsumgüter anbieten und gleichzeitig Arbeit nachfragen; Haushalte, bestehend aus handelnden Verbraucher:innen (auch Konsument:innen genannt), fragen diese produzierten Güter nach und bieten wiederum Arbeit an. Neben privaten Haushalten, in denen Verbraucher:innen privat wirtschaften, gibt es auch öffentliche Haushalte (z. B. Staaten), in denen Verbraucher:innen gemeinsam öffentlich wirtschaften. Der Staat kann in diesem Bild sowohl als Konsument als auch als Produzent von Wirtschaftsleistungen sowie als Regulator (Staatseingriffe durch Gesetzgebung, Subvention etc.) im Markt auftreten.

Abb. 3.1
figure 1

Zusammenspiel von Haushalts-, Unternehmens- und Markttheorie

Konsum und Budget

Um nun Güter (wie Lebensmittel, Möbel, Smartphones, Wohnraum etc.) oder Dienstleistungen (Mobilfunkverträge, Handwerkerleistungen etc.) zur Bedürfnisbefriedigung zu erlangen, tauschen Haushalte diese gegen eine Entlohnung – ausgeprägt in Arbeit, Boden oder Kapital (Piekenbrock und Hennig 2013). Die Entlohnung wird erwirtschaftet, indem Arbeit auf dem Arbeitsmarkt angeboten (oder mit Investitionsgütern gearbeitet) wird; Konsumgüter werden auf dem Konsumgütermarkt mit dem erwirtschafteten Kapital (zumeist in Form von Geld als Tauschmittel) nachgefragt.

Die Theorie ist, dass je nach Budget (Arbeit, Boden, Kapital) Verbraucher:innen sich demzufolge mehr oder weniger Konsum leisten und sich in der Maslowschen Bedürfnistheorie von Defizit- zu Wachstumsbedürfnissen hocharbeiten können. Wo zunächst die Befriedigung von Grund- und Sicherheitsbedürfnissen gedeckt werden muss, kommen soziale und individuelle Bedürfnisse bis hin zur Selbstverwirklichung hinzu (Maslow 1943; Poston 2009). Dieses Budget ist in der Theorie knapp und bedarf einer guten Verteilung, um Güter in der richtigen Priorität einzutauschen. So sind Lebensmittel grundlegend wichtig, um das Überleben zu sichern. Auch Wohnraum zum Schlafen, Wohnen etc. ist zunächst sicherzustellen. Erst an nachgelagerten Stellen kommen dann Konsumgüter von individueller und weniger obligatorischer Natur, wie Computerspiele zur Freizeitgestaltung, teure Autos oder der eigene Pool im Garten (vgl. Abb. 3.2). Haushalte müssen so einen finanziellen Spielraum schaffen und mit diesem wohlüberlegt handeln, um ein Optimum in der Bedürfnisbefriedigung zu erwirtschaften.

Abb. 3.2
figure 2

Beispiel einer App zur Analyse der Transaktionen von Bankkonten

Vergleichsplattformen

Bezüglich der Nutzenmaximierung in der Bedürfnisbefriedigung sind Verbraucher:innen bestrebt, stets den optimalen Mix aus Preis und Leistung zu finden. Im Zuge der Verbreitung des Internets haben sich in diesem Kontext Vergleichsplattformen etabliert, die Verbraucher:innen nutzen können, um jeweils das beste Angebot zu finden. So vergleichen Verbraucher:innen beispielsweise Versicherungen, Mobilfunkverträge oder gar Gebrauchtwagen über solche (Vermittlungs-)Plattformen.

Motiviert durch verhaltensökonomische Schwächen von Verbraucher:innen bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung im Kontext komplexer Güter oder Dienstleistungen bietet es sich an, durch persönliche Präferenzen mit gewichteten Listen Kaufentscheidungen zu unterstützen. Unternehmen und Verbraucher:innen treffen sich auf solchen Plattformen, die in der Theorie das Angebot des Konsummarktes abbilden (in der Praxis gibt es Vergleichsplattformen, die Angebote nach eigenen Vorteilen auswählen oder ausschließen) (verbraucherschutz.com 2020).

Die markttheoretische Funktionsweise von solchen Plattformökonomien mit immateriellen oder digitalen Gütern wird nachfolgend in Abschn. 3.2 besprochen.

Selbstkontrolle:

  • Welche Marktakteure treffen sich in der Markttheorie und in der Praxis auf Vergleichsplattformen?

  • Mithilfe welcher zwei „Stellschrauben“ können Verbraucher:innen ihren Nutzen maximieren und damit ihre Bedürfnisse optimal befriedigen?

Probieren Sie es aus: Wie identifizieren Sie die beste Private Haftpflichtversicherung für sich?

Haushaltsbücher

Zur Verwaltung des Budgets beziehungsweise der Einnahmen und Ausgaben setzen Haushalte in der Praxis oft Haushaltsbücher ein (vgl. Abschn. 3.1.2). Sie dienen zum einen der Überwachung

  • des monatlich gebundenen Budgets (durch wiederkehrende Ausgaben wie Miete oder Versorgungsverträge wie Strom, Gas, Wasser, Mobilfunk etc.),

  • bereits getätigter Ausgaben (für Einkäufe wie Lebensmittel, Kleidung etc.)

  • und des noch zur Verfügung stehenden Budgets.

Im Vergleich zu Unternehmen, in denen für manche Rechtsformen (z. B. GmbH) die Buchführung gesetzlich vorgeschrieben ist, steht es privaten Haushalten frei, Buch zu führen. In der Praxis führten bereits im Jahr 2000 zwar nur 27 % der Haushalte in Deutschland regelmäßig Buch (Piorkowsky 2000). Die technische Evolution von Computer, Smartphone & Co bietet jedoch seit einigen Jahrzehnten die Möglichkeit, digitale Haushaltsbücher durch Computerprogramme unterstützt durchzuführen (vgl. Abschn. 3.1.2). In den letzten Jahren sind Apps hinzugekommen, die die Transaktionen auf dem privaten Konto von Verbraucher:innen analysieren und anhand dessen monatlich wiederkehrende Ausgaben erkennen und somit ein freies Budget ermitteln und visualisieren. Ein in Deutschland bekannt gewordener Anbieter ist bis dato beispielsweise Finanzguru.de.

Sparverhalten und Investitionen

Den finanziellen Spielraum begrenzt zunächst die Entlohnung, die eine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt (oder ein:e Unternehmer:in mit seinem:ihrem Unternehmen) erwirtschaften kann. Das vorherrschende industrialisierte Modell ist Lebenszeit gegen Geld (Geld pro Zeiteinheit). Das berühmte Zitat von John D. Rockefeller, der als einer der ersten Milliardäre bekannt geworden ist, macht zudem einen zweiten Faktor deutlich: „Lieber eine Stunde über Geld nachdenken, als eine Stunde für Geld zu arbeiten.“

Das gerne von Finanz-, Bank- und Anlageberatern gewählte Zitat beschreibt im Kern die beiden wesentlichen Stellschrauben von Haushalten in einer Einnahmen- und Ausgabenbetrachtung. Das Zitat motiviert überspitzt neben der Erhöhung des Budgets eines Haushalts durch Erwerbsarbeit auch die Betrachtung der Konsumausgaben sowie Investitionen. Deutlich macht das Zitat, dass Verbraucher:innen ihren finanziellen Spielraum erhöhen oder durch Optimierungen in den Ausgaben verbessern können.

Haushalte können ihr Kapital vermehren, indem sie Investitionsgüter anschaffen, die ihren Wert auf dem Markt im Laufe der Zeit (passiv) erhöhen oder regelmäßige Einnahmen durch Nutzung anderer Haushalte generieren. In der Finanzliteratur wird dabei häufig auch von passivem Einkommen gegenüber dem aktiven Einkommen (aktiv im Sinne von aktiver Erwerbsarbeit) gesprochen. Investitions- und Anlagegüter sind bei Verbraucher:innen häufig, z. B.

  • Immobilien,

  • Wertpapiere und Anleihen (Aktien, Fonds, Staatsanleihen, Währungen),

  • Rohstoffe,

  • Private Equity oder

  • besondere Güter, die an Wert gewinnen, wie Sammlerstücke.

Darüber hinaus kann auch ein eigenes Auto, das man Dritten zur Mitnutzung anbietet und dafür ein Entgelt erhält, zu passivem Einkommen führen. Fortschritte in der Fahrzeugvernetzung und dem autonomen Fahren stellen in Zukunft interessante Geschäftsmodelle dar, die das Auto zur Mobilitätsdienstleistung transformieren. Bereits seit einigen Jahren ist absehbar, dass Eigentümer:innen eines Tesla das Fahrzeug vermieten können, wenn es unbenutzt ist (Teece 2018). Autonome Fahrzeuge könnten in Zukunft jedoch auch Fahrten an Stelle von Taxifahrer:innen anbieten und damit einen Autokauf zunehmend unattraktiver machen (Pakusch et al. 2018).

Monatlich überschüssiger Spielraum durch Konsumverzicht oder Konsumreduzierung durch Sparverhalten kann so das Budget für Investitions- und Anlagegüter darstellen. Überschüssige Geldmittel können zunächst bei Banken gesammelt und in (Spar-)Konten angelegt werden. Hier werden die Geldmittel für einen Konsum zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben. Dabei bieten Banken üblicherweise Zinsen an, um eine Wertsteigerung des dort abgelegten, gegebenenfalls sogar zeitweise gebundenen Kapitals (Laufzeitkonten) anzubieten. Verbraucher:innen müssen an der Stelle jedoch damit rechnen, dass nicht oder nur schwach verzinstes Kapital mit der Zeit an Kaufkraft verliert, wenn Inflationseffekte auf Währungen wirken. Wird Kapital auf einem Sparkonto beispielsweise mit drei Prozent jährlich verzinst, wohingegen die jährliche Inflation jedoch vier Prozent beträgt, verliert das Kapital auf dem Sparkonto eine reale Kaufkraft von einem Prozent – ein:e Verbraucher:in kann damit dann weniger Konsum eintauschen. In einem weiteren Schritt sind Investitions- und Anlagegüter in ihrer Art spekulativ und bedürfen einer sorgsamen Recherche und Auswahl, versprechen jedoch eine erheblich höhere Wertzunahme oder Verzinsung. Die verschiedenen Investitions- und Anlagegüter sind in dem Zuge in ihrer Beschaffenheit, der Höhe des mindestens zu bindenden Kapitals und der Wartung (meint Betreuung oder Instandhaltung eines Gutes) unterschiedlich. So ist es aufwendiger, eine Immobilie zu erwerben und zu betreiben, als Wertpapiere oder Anleihen zu erwerben und zu halten.

Fallbeispiel Robo-Advisory

Verbraucher:innen können durch Investitionen und Anlagegüter ihren finanziellen Spielraum zur Bedürfnisbefriedigung erhöhen. Doch haben Verbraucher:innen auch Arbeit im Zuge dieses Finanzmanagements. Welche Wertpapiere, Anleihen oder Rohstoffe gekauft werden sollen, bedarf einer sorgfältigen Strategie, Recherche, Expertise und Verwaltungsarbeit, die Verbraucher:innen dafür leisten müssen.

Künstlich intelligente Assistenten, sog. Robo-Advisor, bieten Verbraucher:innen eine Unterstützung im Finanzmanagement an. Dabei können Verbraucher:innen mit diesen als Chatbots interagieren. Sie erhalten so anstelle der sonst menschlichen Beratungsleistung von Anlageberater:innen eine künstlich intelligente Beratung. Recherche, Portfolioauswahl und damit Expertise liefern Robo-Advisor im Dialog. Gestatten Verbraucher:innen zudem mehr Autonomie und Handlungsspielraum, so können Robo-Advisor auch selbstständig das Finanzportfolio verändern bzw. Vermögenswerte kaufen und verkaufen (Naveed et al. 2022).

Selbstkontrolle:

  • Bei welchen Investitions- und Anlagegütern können Robo-Advisor die Arbeit von Verbraucher:innen unterstützen?

  • Welche Vor- und Nachteile könnten Verbraucher:innen durch die Nutzung von Robo-Advisory erfahren?

Verträge

Die oben beschriebenen wiederkehrenden Ausgaben sind in der Regel sogenannte Laufzeitverträge, die der deutsche Gesetzgeber Dauerschuldverhältnisse nennt. Diese Laufzeitverträge werden zu Beginn des Vertragsverhältnisses abgeschlossen und laufen in der Regel bis zur Kündigung durch eine Vertragspartei immer weiter.

Im Lebensraum von Verbraucher:innen ist mit fast jeder menschlichen Aktivität ein wirtschaftliches Handeln verknüpft (Piorkowsky 2011). Im (Aus-)Handeln (von Konditionen) auf dem Markt und Schließen von Vereinbarungen gehen Verbraucher:innen Verträge ein. Verträge regeln dabei die Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen zwei Parteien, die einen Güteraustausch vorsehen (Arndt 2007). In der Markttheorie sind auf dem Konsumgütermarkt Unternehmen als produzierende Wirtschaftssubjekte in der Rolle eines Anbieters. Verbraucher:innen gehen mit der Inanspruchnahme dieser produzierten Güter/Leistungen ein Vertragsverhältnis mit dem Anbieter ein. Dabei kann einfach zwischen einem einmaligen Kauf (Kaufvertrag) und dem Bezug von wiederkehrenden Leistungen unterschieden werden (Laufzeitvertrag). Kauft ein:e Verbraucher:in Lebensmittel im Supermarkt oder Kleidung in einem Bekleidungsgeschäft ein, so tätigt er:sie ein Rechtsgeschäft, das auf einem Kaufvertrag beruht. Die Entlohnung (Geld) wird dem Geschäft gegen den Einkauf getauscht. Leistungen wie Mobilfunkverträge, Gas, Wasser, Strom, Mietobjekte (wie ein Haus/eine Wohnung) sind hingegen Laufzeitverträge auf zunächst unbestimmte Zeit.

Ein Kaufvertrag gilt nach der Transaktion als abgeschlossen. Aus diesem Vertrag resultiert, dass das Gut oder die Leistung in entsprechender Qualität geliefert wurde. Sollte es Qualitätsmängel geben, sind Ansprüche für Verbraucher:innen beispielsweise gesetzlich oder explizit im Vertrag geregelt. Gesetzliche Ansprüche sind bspw. in der gesetzlichen Gewährleistung geregelt, wonach Verbraucher:innen bei Mängeln innerhalb von 12 Monaten nach Kauf einen Anspruch auf Nachbesserung haben (§ 437 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der Bundesrepublik Deutschland).

Bei Laufzeitverträgen wird eine kontinuierliche (Dienst-)Leistung mit kontinuierlicher Qualität erbracht. Mieter:innen von Wohnungen haben bei Qualitätsmangel bestimmte Rechte, wie beispielsweise eine Mietminderung (§ 536 ff. BGB). Auch bei zu langsamer Internetgeschwindigkeit können Verbraucher:innen bei Internetverträgen Nachbesserung fordern (§ 57 Telekommunikationsgesetz). Laufzeitverträge haben zumeist eine unbestimmte Dauer, aber bestimmte Kündigungsfristen. Bei Mobilfunkverträgen sind Mindestvertragslaufzeiten (MVLZ) ebenfalls üblich. So kann ein:e Verbraucher:in das Vertragsverhältnis nicht innerhalb dieser Zeit (Mindestlaufzeiten sind üblich i. H. v. 6, 12 oder 24 Monaten) verlassen und ist den vereinbarten Geldbetrag – auch bei Nichtnutzung – weiterhin schuldig.

Fairness

Bekannterweise machen sich beispielsweise Fitnessstudios dieses Prinzip der MVLZ zunutze und errechnen mit einem gewissen Anteil an Nichtnutzung ihre Geschäftsmodelle. Demnach schließt eine Vielzahl von Verbraucher:innen Laufzeitverträge zur Nutzung eines Fitnessstudios zu Beginn eines Kalenderjahres mit guten Neujahrsvorsätzen ab – so ist in es in den Monaten Januar bis März voller in Fitnessstudios – und nutzen diese Leistung im Laufe des Jahres immer seltener. Diesen Effekt des „Fischens“ nach solchen Kunden haben die Wirtschaftsnobelpreisträger Akerlof und Shiller beschrieben (Akerlof und Shiller 2015). Danach kann es ein lukratives Geschäft sein, Verbraucher:innen so zu beeinflussen, dass sie Vertragsverhältnisse eingehen, deren Leistungen sie kaum in Anspruch nehmen, jedoch dennoch dafür zahlen. Vor allem Mobilfunkverträge (mit Endgerät), die sich nach der MVLZ automatisch (der Gesetzgeber nennt das „stillschweigend“ – also ohne vorherige Zustimmung) um weitere Monate mit einer erneuten MVLZ verlängern, sind bis vor einiger Zeit gängige Praxis bei Telekommunikationsanbietern gewesen. Der Gesetzgeber hat diese Praxis jedoch mit dem Gesetz über Faire Verbraucherverträge vom August 2021 zugunsten der Verbraucher:innen eingeschränkt. Den Symptomen solcher „unfairen“ Praktiken von Anbietern gegenüber Verbraucher:innen begegnen Drittanbieter:innen und Verbraucher:innen gemeinsam mit Softwarelösungen und Plattformen zum Management von (vor allem Laufzeit-)VerträgenFootnote 1 oder beispielsweise zur Inanspruchnahme von Rechten gegenüber Fluggesellschaften bei Flugverspätungen.

Fallbeispiel Fluggastentschädigung

Verbraucher:innen, die in der Europäischen Union Flugleistungen in Anspruch nehmen, haben nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ein Recht auf eine Entschädigung bei verspäteten Flügen. Die Entschädigung richtet sich nach dem Grund für die Verspätung und der Dauer der Verspätung.

Das Durchsetzen des eigenen Rechts auf eine monetäre Entschädigung oder Betreuung durch die Fluggesellschaft bedeutet für Verbraucher:innen mitunter erhebliche Arbeit und Kompetenzen. Die Fluggesellschaften sind bestrebt, so geringe Erstattungen wie möglich zu zahlen, und erschweren den Verbraucher:innen so den Zugang dazu (Gnutzmann und Śpiewanowski 2021).

Im Internet gibt es bereits zahlreiche Anbieter:innen wie rightnow.de oder flightright.de, die Verbraucher:innen dabei mit Kompetenz und Ressourcen unterstützen. Oft treten Verbraucher:innen darüber ihre Ansprüche und Durchsetzung gar ganz ab und damit auch einen prozentualen Anteil der Entschädigungssumme.

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie, welche unfairen Methoden Unternehmen bei Verbraucher:innen in bestehenden Vertragsverhältnissen am Beispiel von Fitnessstudios oder Fluggastentschädigung anwenden.

  • Vergleichen Sie die Situation, in der sich Verbraucher:innen in Verträgen befinden, mit den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie aus Abschn. 2.1.1.3.

Transaktionskosten

Verbraucher:innen haben im Handeln und Tätigen von Geschäften beziehungsweise mit der Durchführung von sogenannten Transaktionen Arbeit. Wie zuvor bereits thematisch tangiert, müssen sich Verbraucher:innen im Rahmen ihrer Nutzenmaximierung über Produkte oder Dienstleistungen informieren, das beste Preis-Leistungs-Verhältnis mehrerer Anbieter:innen identifizieren, Verträge studieren und schließen sowie diese überwachen und ggf. kündigen. Das bereitet Verbraucher:innen Aufwand, was als Transaktionskosten bezeichnet wird. In der Neue Institutionenökonomik (NIÖ) versteht man „[u]nter Transaktionskosten […] die mit dem Güteraustausch einhergehenden Koordinationskosten, z. B. Kosten der Information, des Vertragsabschlusses, der Durchsetzung von Vertragsansprüchen usw.“ (Piekenbrock und Hennig 2013, S. 76). In der Praxis ist es eine büroähnliche Tätigkeit, die durchgeführt werden muss, um einen Haushalt und ein Leben am Laufen zu halten (Emens 2020, 2015).

Hausarbeit, Haushaltsproduktion und Prosumer

Mit der Trennung zwischen Berufs- und Privatleben hat sich auch die Trennung von Arbeit (eng verbunden mit einem ausgeübten Beruf) und Freizeit etabliert. Der Begriff Freizeit ist in unserer Vorstellung zunächst mit genießerischen, freiwilligen Tätigkeiten belegt, die deutlich unterschieden von Arbeit stattfinden. Die Bedürfnisbefriedigung steht hier im Vordergrund. In der modernen Angestelltengesellschaft des 21. Jahrhunderts hat sich daher auch der Begriff der Work-Life-Balance geprägt. So gilt weitläufig der Haushalt als Ort der Freizeit.

Gleichwohl gibt es im Haushalt allgemein Arbeit zu erledigen, die im Volksmund als Hausarbeit bezeichnet wird. Putzen, Kochen, Waschen sind physische Tätigkeiten, auf die Verbraucher:innen gerne verzichten würden, soweit sie können. Daher stellen viele Haushalte auch Haushaltshilfen beziehungsweise Reinigungskräfte ein. Diese Form der Arbeit wird zunächst nicht als Teil des Volkseinkommens bzw. Bruttoinlandsprodukt gezählt. Diese innerhalb von Haushalten unbezahlte Arbeit findet oft keine Beachtung in der Betrachtung einer Volkswirtschaft, was feministische Gruppen kritisieren. Dennoch dienen private Haushalte nicht nur der Regeneration einer Arbeitskraft (in Unternehmen als „Humankapital“ bezeichnet), sondern werden durch diese Hausarbeit ebenfalls reproduziert.

In der vorindustriellen Zeit war es eine gängige Konstellation, dass Familien einen Betrieb und eine Haushaltsproduktion in der Volkswirtschaft dargestellt haben. Bauern- und Handwerksfamilien haben gemeinsam an der eigenen Bedürfnisbefriedigung gearbeitet, indem sie Güter für sich selbst hergestellt und Überschüsse für Güter und Dienstleistungen ausgegeben haben, die sie selbst nicht herstellen konnten. Es gab keine Teilung zwischen Erwerbsarbeit und der übrigen Zeit, sondern eine Trennung zwischen jeglicher Arbeit und Freizeit, obgleich es den Schweinestall auszumisten oder die Betten zu machen galt. In einem kommenden nachindustriellen Zeitalter hin zu einem Informationszeitalter zeigen sich Trends der Selbstversorgung in Privathaushalten – seien es eigene Hühner im Garten oder Photovoltaikanlagen zur Energiegewinnung auf dem Dach. Ein damit einhergehender Trend ist Do-it-yourself (DIY), wobei Verbraucher:innen selbst Produkte herstellen, indem sie z. B. eigene Möbel entwerfen und dafür notwendige Produktionsgüter in Baumärkten beschaffen.Footnote 2 Diese Rückkehr zur Bedürfnisbefriedigung durch Eigenproduktion und der Verkauf von Überschüssen wird auch als Rückkehr des Prosumers bezeichnet (Toffler 1980; Ritzer und Jurgenson 2010). Der Begriff Prosumer ist eine Kombination der Begriffe Konsument:in und Produzent:in (engl. consumer; producer).

Marktkompetenzen

Verbraucher:innen müssen nicht nur Arbeit in ihrem alltäglichen Handeln auf dem Markt investieren, sondern müssen auch kompetent agieren und sich somit notwendige Kompetenzen aneignen.

Wer in einem Unternehmen angestellt ist, um Arbeit zu erledigen, wird zumeist vom Betrieb, von Industrie- und Handwerkskammern, Hochschulen etc. theoretisch und praktisch dafür ausgebildet, um rechtlich und wirtschaftlich kompetent innerhalb oder außerhalb des Unternehmens zu handeln. Eine vergleichbare Ausbildung für Verbraucher:innen gibt es weitestgehend nicht.

Schulen vermitteln in ihrem Bildungsauftrag zwar zum einen erzieherisch Benimmregeln, sprachliche und mathematische Fähigkeiten. Zum anderen wird in unterschiedlicher Ausprägung im Unterrichtsfach „Hauswirtschaft“ auch beispielsweise Kochen gelehrt. Jedoch erlernen Menschen Praktiken und Kompetenzen in der Haushaltsführung primär dadurch, dass sie in einen Haushalt hineingeboren werden und mit den wirtschaftlichen Entscheidungen der Eltern oder Erziehungsberechtigten aufwachsen (Piorkowsky 2011, S. 68).

In der Informationspolitik von Verbraucherzentralen wird dabei Verbraucherbildung verfolgt. Der Maxime folgend, dass gut informierte Verbraucher:innen kompetente Entscheidungen treffen, werden den Verbraucher:innen Berichte, Vergleiche und Nachrichten über Produkte und Anbieter zur Verfügung gestellt.

3.1.1 Arbeit im Haushalt: Aufgabenerledigung und Haushaltsmanagement

Arbeit, oft als Erwerbsarbeit am Arbeitsmarkt verstanden, wird in den heutigen industriell geprägten Gesellschaften vorwiegend als Tätigkeit gesehen, mit der man an „Arbeitstagen“ sein Geld für den Haushalt verdient. Einige Autor:innen sind der Meinung, dass Hausarbeit als unproduktive Arbeit gesehen wird, die keinen Wert erschaffe und somit auch keine Arbeit sei (Huws 2021). Mit der Phrase „Work-Life-Balance“ möchte man heutzutage die Herausforderung beschreiben, ein Gleichgewicht zwischen der eigenen Erwerbstätigkeit und dem Privatleben herzustellen. So gilt das Privatleben („Life“) als unterschieden von der Erwerbsarbeit („Work“). Karl Marx und Friedrich Engels bezeichnen Arbeit hingegen als zielgerichtete Tätigkeit, die dazu dient, das eigene Überleben und die Bedürfnisbefriedigung zu sichern (Marx und Engels 1962). Hausarbeit ist jedoch ebenfalls eine (unfreiwillige) Arbeit, die es zu erledigen gilt und die eine wesentliche Komponente des menschlichen Arbeitsspektrums darstellt (Hesse und Judt 1996).

Begriff

Der Begriff der Hausarbeit bezieht sich auf die Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die innerhalb eines Haushalts ausgeführt werden, um dessen Funktionieren zu gewährleisten. Ihr Ziel ist die Versorgung der Haushaltsangehörigen (Witzig 2020). Sie umfasst ein breites Spektrum von Tätigkeiten, darunter die physische Beschaffung bzw. den Einkauf, die Reparatur und Instandhaltung des Wohnumfelds, Kochen und Putzen, Erziehung und Pflege (DeVault 1987; Hochschild 1989; Mederer 1993), aber auch kognitive, administrative und finanzielle Tätigkeiten wie das Haushalts- und das Finanzmanagement (Daminger 2019; Emens 2020; Piorkowsky 2011).

Wert der Hausarbeit

Hausarbeit wird jedoch zumeist als unproduktive, unbezahlte, mit keinem nominellen Wert bezifferte Arbeit in einer Volkswirtschaft gesehen. Sie stellt allerdings tatsächliche ökonomische Kosten dar und reproduziert aktiv den Haushalt (Hesse und Judt 1996). Sie ist unsichtbarer Teil der Wirtschaftsleistung eines Landes, wird jedoch in der Regel nicht in wirtschaftlichen Kennzahlen wie dem Bruttoinlandsprodukt erfasst (Ostwald und Sesselmeier 2011). Hausarbeit gilt gesellschaftlich gegenüber der Erwerbsarbeit als abgewertet (DeVault 1987). Gleichwohl wird der Wert von Hausarbeit sichtbar, wenn man diese Tätigkeiten an Dienstleister auslagert, wie es bei der Reinigung (bzw. Putzen) der Wohnräume oft der Fall ist. Zahlt man einer Reinigungskraft Geld, stellt dies für die Reinigungskraft Erwerbsarbeit dar, wo es aus Perspektive des beauftragenden Haushalts eigene Hausarbeit wäre. Dabei findet Hausarbeit in der Betrachtung von Work-Life-Balance stets in der Freizeit statt, wo sie uns von der Regeneration oder freiwilligen Hobbys abhält, die wir um ihrer selbst willen aus Freude betreiben.

Aufwand von Hausarbeit

In der Forschung sind nur wenige Daten darüber vorhanden, wie viel Aufwand Menschen mit der Ausführung von Haushaltsaktivitäten haben. Erhebungen von Zeitaufwendungen basieren hauptsächlich auf Methoden wie Fragebögen oder das Führen eines Zeittagebuchs (Winkler und Ireland 2009). So erfassen nationale oder multinationale Studien in regelmäßigen Zeitbudgeterhebungen Tätigkeiten, mit denen Verbraucher:innen täglich ihre Zeit verbringen. Eine der bekanntesten Tagebuchstudien ist der American Time Use Survey (ATUS). Der ATUS ist eine Erhebung des US-Büros für Statistik, in dem 8100 US-Bürger:innen 2022 danach gefragt wurden, wie viel Zeit sie jeweils auf eine der 17 Hauptkategorien (bestehend aus mehreren Unterkategorien) verbracht haben (vgl. Abb. 3.3).

Abb. 3.3
figure 3

Zeiten von primären Aktivitäten von US-Bürger:innen im American Time Use Survey

Abb. 3.1 listet die primären Aktivitäten getrennt nach Geschlechtern auf. Demnach verbringen Verbraucher:innen durchschnittlich fast zwei Stunden täglich mit Haushaltsaktivitäten, wobei dies bei 85 % der Frauen und 70 % der Männer der Fall ist (U.S. Department of Labor 2023). Bei solchen Zeitbudgeterhebungen ist jedoch zu kritisieren, dass hier nur primäre Aktivitäten erfasst werden, obwohl Haushaltstätigkeiten auch häufig parallel zu anderen Aktivitäten durchgeführt werden (bspw. private E-Mails oder Terminvereinbarungen am Arbeitsplatz) und manche Aktivitäten nicht dem Haushalt zugeordnet wurden, dennoch aber zu den Haushaltsaufgaben zählen, wie Telefongespräche, E-Mails und Briefe schreiben, Einkaufen etc. (Winkler und Ireland 2009). Des Weiteren werden die subjektive Wahrnehmung der Zeitaufwendung, die Bedeutung von Aktivitäten, die wahrgenommene Arbeitsqualität und die physiologischen und kognitiven Kosten der Haushaltsarbeit nicht erfasst (Habib et al. 2010; Moreno-Colom 2017).

Fallbeispiel Kalender

Führt ein:e Verbraucher:in seinen:ihren Kalender, wird er:sie dort womöglich einen beruflichen Kalender und einen privaten Kalender(-teil) unterscheiden. Die Termine im Rahmen der Hausarbeit würden womöglich im privaten Teil des Kalenders vermerkt. Kaye et al. (2014) haben beobachtet, dass Verbraucher:innen oft berufliche wie private Termine in einem Kalender integrieren. Es ist also zu diskutieren, wie sinnvoll es ist, das eigene Leben dahingehend zu separieren. Mit der Perspektive der Hausarbeit würden sowohl private Arbeit als auch Termine für Hobbys im gleichen Kalender stehen.

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie die Herausforderungen in der Wahrnehmung und Wertschätzung von Hausarbeit von Verbraucher:innen in der Gesellschaft.

  • Vergleichen Sie das Wesen der Erwerbsarbeit am Arbeitsmarkt mit Hausarbeit.

  • Wie können Arbeitszeiten von Hausarbeit erfasst werden, und was ist dabei schwierig?

Rationalisierung von Hausarbeit

Diverse Arbeiten zum Verständnis und zum Versuch einer Rationalisierung der Hauswirtschaft folgten seit Xenophon (vgl. Abschn. 3.1; vgl. auch Abschn. 1.3). Als eine der berühmtesten deutschen Haushaltsexpertinnen gilt Erna Meyer, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik wissenschaftliche Aufarbeitungen der Wohnung als Arbeitsstätte der Hausfrau (Meyer 1928) oder Handbücher zur wirtschaftlichen Haushaltsführung veröffentlichte (Meyer 2021).

Ein prominentes Beispiel für den Versuch, arbeitswissenschaftliche Systematisierungen auf den Privathaushalt zu übertragen, ist die Frankfurter Küche, die als „Werkstatt der Hausfrau“ unter ergonomisch-arbeitswissenschaftlichen Kriterien 1926 von der Architektin Schütte-Lihotzky gestaltet wurde (Kuhn 1998). Auch wurden Techniken für die Hauswirtschaft bei der Buchhaltung und dem Erfassen von Finanzen entwickelt (Hawkins und Bischoff 2003) (vgl. Abschn. 3.1.2).

Arbeitsteilung im Haushalt

In Mehrpersonenhaushalten, wie Wohngemeinschaften oder Familien, wird die Aufgabenerledigung zumeist unter den Haushaltsmitgliedern – bei Familien mit Kindern primär zwischen den Eltern – aufgeteilt (Witzig 2020). Es war insbesondere die feministische Forschung, die darauf aufmerksam gemacht hat, dass der häusliche Kontext durchzogen ist von Arbeit, die meist ungleich verteilt ist (Hochschild 1989; Mederer 1993). Es gibt zahlreiche Studien über Hausarbeit als unsichtbare, ungleich verteilte und unbezahlte Arbeit (Baxter und Tai 2016; Bittman und Wajcman 2000; Ciciolla und Luthar 2019; Daminger 2019; Emens 2015; Hochschild 1989; Mederer 1993; Schneider und Hastings 2017). Was vor einigen Jahrzehnten einfach als Zuständigkeitsbereich der (nicht erwerbstätigen) Hausfrau abgewertet gesehen wurde, stellt in heutigen Gesellschaften zunehmend eine praktische Herausforderung vor allem für Doppelverdienerhaushalte dar. Denn bei Vollzeitbeschäftigung beider Partner in einem Zweipersonenhaushalt oder einer Familie werden Haushaltsaufgaben und Kinderbetreuung mehr von Frauen durchgeführt als von Männern, auch wenn der Trend rückläufig ist (Coltrane 2000). Diese ungerechte Überbelastung hat Hochschild als „Second Shift“ bezeichnet, bei der erwerbstätige Frauen nach ihrer Arbeit (erste Schicht) zu Hause (in einer zweiten Schicht) noch Haushaltsarbeit und Kinderbetreuung erledigen müssen (Hochschild 1989).

Haushaltsmanagement

Kochen, Putzen, Waschen“ als Hausarbeit sind sichtbare physische Arbeiten im Haushalt. Jeder hat sie zumindest schon einmal bei anderen Haushaltsmitgliedern (bspw. den Eltern) beobachtet, wenn nicht selbst durchgeführt. Zum Beispiel werden im Zuge der Ernährung der Haushaltsmitglieder zur Befriedigung des Grundbedürfnisses „Essen“ Lebensmittel eingekauft, das Essen wird zubereitet, und danach wird aufgeräumt (bzw. abgespült) usw. Wie werden diese Tätigkeiten jedoch organisiert? Wer oder was plant am Beispiel „Essen“ die Mahlzeiten und welche Lebensmittel dafür nötig sind?

Das Antizipieren, Identifizieren, Entscheiden und Überwachen der physikalischen Aufgabenerledigung hat auch eine kognitive Dimension von Arbeit, die oft vernachlässigt wird (Daminger 2019). Die kognitive Arbeit zur Führung eines Haushalts und eines Lebens ist eher von administrativer Natur (Emens 2015). Sie wird in der Literatur als Haushaltsmanagement (Hochschild 1989; Winkler und Ireland 2009) oder Life Admin bezeichnet (Emens 2020). Emens definiert den vor allem im angloamerikanischen Raum durch Ratgeber, Bücher oder YouTubeFootnote 3 Tutorials bekannt gewordenen Begriff „Life Admin“ als „Büroarbeit – sowohl Management- als auch Sekretariatsarbeit –, die nötig ist, um ein Leben oder einen Haushalt zu führen. Beispiele dafür sind das Ausfüllen von Papierkram, das Erstellen von Einkaufslisten, die Koordination von Terminen, der Versand von Paketen und die Bearbeitung von medizinischen Angelegenheiten und Sozialleistungen“ (Emens 2015; übersetzt aus dem Englischen).

Die Ausübung solcher Tätigkeiten wird aufgrund ihrer unsichtbaren Art von anderen Haushaltmitgliedern in der Regel nicht wahrgenommen, was ihre gerechte Verteilung und Artikulation ebenfalls erschwert. Bei den Tätigkeiten handelt es sich um – überwiegend banale – geistige, büroähnliche Aufgaben (Emens 2015), die Ähnlichkeiten (wenn auch teilweise erhebliche Unterschiede) zu administrativen Bürotätigkeiten im Tagesgeschäft von Unternehmen aufweisen. In Tab. 3.1 stellt Daminger (2019) eine Aufstellung von Handlungsdomänen des kognitiven Haushaltsmanagements zur Verfügung. Darin zählt sie Beispiele wie die Planung von Mahlzeiten oder die Koordination von Putzaufgaben auf.

Tab. 3.1 Beispiele für kognitive Haushaltsarbeit. (Auszug aus Daminger 2019)

Organisationsgerichtete Hausarbeit

Der philosophisch publizierende ehemalige katholische Priester Illich verwendet in einer vergleichbaren Argumentation den Begriff „Schattenarbeit“ und treibt ihn auf die Spitze als eine Form der Sklavenarbeit in der erzwungenen Interaktion mit Organisationen (vgl. Behörden, aber auch private Unternehmen) (Illich 1980). Die US-Regierung (2015) hat sich selbst das Ziel erklärt, den durch Behörden verursachten Verwaltungsaufwand für Verbraucher:innen (und Unternehmen) zu reduzieren. Demnach wurde im Jahr 2014 von Behörden ein geschätzter Verwaltungsaufwand von 9,43 Mrd. Stunden verursacht.

In der organisationsgerichteten Hausarbeit kooperiert man, wie in Abb. 3.4 zu sehen, entweder mit öffentlichen (damit sind Behörden gemeint) oder privaten Organisationen (z. B. Unternehmen) in unterschiedlichen Themenfeldern oder Wirtschaftssektoren (wie im Gesundheitsbereich, bei Vermögenswerten, Steuern, Konsumgütern usw.) Verbraucher:innen erledigen dabei auch Arbeitstätigkeiten in Querschnittsbereichen

  • wie dem Finanzmanagement, durch Buchführung, Dokumentenmanagement und

  • der Aufbewahrung und Ablage (Dokumentation) von Rechnungen, Belegen oder sonstigen wichtigen Haushaltsdokumenten oder

  • gehen in die Problemlösung mit Anbieter:innen, sollten vereinbarte Leistungen mangelhaft sein (vgl. Abb. 3.4).

Abb. 3.4
figure 4

Kategorisierung der Aktivitäten des Haushaltsmanagements

Fallbeispiel Vertragsmanager

Die ständige Überwachung und Steuerung ihrer unzähligen (Laufzeit-)Verträge bereiten Verbraucher:innen Arbeit im Vertragsmanagement. Seit einigen Jahren gibt es bereits Anbieter von Portalen/Apps, die Verbraucher:innen dabei helfen, ihre Verträge und damit einhergehende Fristen usw. elektronisch zu administrieren. Beispielsweise bietet das Unternehmen Aboalarm.de einen Kündigungsservice an, durch den Verbraucher:innen bei der rechtssicheren Kündigung unterstützt werden. Wo Verbraucher:innen die Durchsetzung einer Kündigung erschwert wird, begründet Aboalarm damit sein Geschäftsmodell. Der Dienst verlangt dafür ein Entgelt, das schwer zu erfassende Transaktionskosten von Verbraucher:innen real werden lässt (Dethier et al. 2022).

Selbstkontrolle:

  • Überlegen und beschreiben Sie ein anderes Beispiel für Transaktionskosten von Verbraucher:innen.

Vertragsmanagement

Man könnte nahezu alle (privatwirtschaftliche) organisationsgerichtete Arbeit als Vertragsarbeit bezeichnen. Indem Verbraucher:innen organisationsgerichtet handeln, werden Vereinbarungen getroffen (Verträge geschlossen) oder auf deren Basis interagiert. Die adäquate Administration von Verträgen gerät in der heutigen Gesellschaft zunehmend in den Fokus der Verbraucherunterstützung. Der Trend geht heutzutage dahin, dass sich jegliche (physikalische) Produkte in Dienstleistungsgeschäftsmodelle transformieren lassen. Das Phänomen, auch als Every-thing-as-a-Service (XaaS) bekannt, hält bereits Einzug in diverse digitale Konsumgüter, wie bei Musik und Film. Wo Musik oder Filme nicht mehr gekauft werden, treten an diese Stelle Mietmodelle von bekannten Anbietern wie Spotify, Apple Music oder Amazon Prime Music sowie Netflix, Amazon Prime Video oder Disney Plus usw. Im Zuge dessen gehen Verbraucher:innen immer mehr Laufzeitverträge mit diversen Organisationen ein (vgl. Abb. 3.5), die sie überwachen und verwalten müssen. Dieser Teil des Haushaltsmanagements erfordert eine stetige mentale Arbeit sowie ausreichende Marktkompetenzen und führt zu einer kontinuierlichen Belastung der Verbraucher:innen. Hinzu kommt, dass Unternehmen Geschäftsvorgänge wie Kündigungen, Beschwerden oder Erstattungen in der Interaktion erschweren, sodass negative Konsequenzen für das Unternehmen vermindert werden. Diese Mehrarbeit scheuen Verbraucher:innen in ihrem Handeln (vgl. Fallbeispiel Fluggastentschädigung zuvor oder nachfolgendes Fallbeispiel Vertragsmanager)

Abb. 3.5
figure 5

Verbraucher in Kooperation mit diversen Organisationen

3.1.2 Informationsprozesse im Haushalt

Im Rahmen der Organisation und Kooperation innerhalb des Haushalts und mit außenstehenden Unternehmen oder Behörden lassen sich ausgebildete Informationsprozesse, die durch alltägliche Praktiken ausgeübt werden, in Privathaushalten beobachten.

Methodik der ethnomethodologischen Forschung

Zur empirischen Erhebung von Praktiken und Vorgängen im Haushalt sind unterschiedliche methodische Vorgehen möglich. Zum einen können die Praktiken der Verbraucher:innen durch qualitative Interviews erhoben werden. Zum anderen können im Rahmen ethnomethodologischer Forschungen durch die Begleitung der Untersuchungspersonen während der Durchführung ihrer Praktiken vor Ort untersucht werden. Dabei können Feldnotizen, Fotos sowie Transkripte der artikulierten Inhalte erhoben werden (Garfinkel 1986). Nachfolgend werden häusliche Ordnungssysteme und die Haushaltsbuchführung anhand empirischer Studien vorgestellt, von denen einige ethnomethodologisch orientiert durchgeführt worden.

Selbstkontrolle:

  • Welche Herausforderungen gibt es in der empirischen Erforschung von Hausarbeit bei Verbraucher:innen hinsichtlich der Sichtbarkeit?

Häusliche Ordnungssysteme

Verbraucher:innen organisieren sich innerhalb des Haushalts durch mannigfaltige Ordnungssysteme. So gibt es empirische Untersuchungen, in denen deutlich wird, wie Wandkalender oder andere Zettel oder Haftnotizen für den Informationsaustausch oder zur Aufbewahrung verwendet werden (vgl. Abb. 3.6). Wandkalender können auch Taschen haben, in die beispielsweise Briefe oder Belege eingefügt werden. Auch sammeln Verbraucher:innen zum Beispiel aktuelle Themen an einem zentralen Ort im Haus, um auf diese Weise die Übersicht über laufende Prozesse und Ereignisse zu behalten (Vyas et al. 2016). Die persönlichen Finanzen können auf unterschiedliche Weisen organisiert werden, wie Bargeld in Gläsern, Dokumente (wie z. B. Rechnungen) in Aktenordnern oder angepinnt am Kühlschrank oder Excel-Tabellen mit Ein- und Ausgabenübersicht (vgl. Abb. 3.7).

Abb. 3.6
figure 6

Verschiedene Ordnungssysteme. (Vyas et al. 2016)

Abb. 3.7
figure 7

Beispiele für unterschiedliche Finanzsysteme im Haushalt. (Vyas et al. 2016)

Betrachtet man den Prozess der Rechnungsbearbeitung, lassen sich hier diverse Aktivitäten beobachten, die Verbraucher:innen zur Koordination praktizieren. Wenn Verbraucher:innen Rechnungen empfangen, dann überprüfen sie den Eingang (z. B. Briefkasten, E-Mail-Postfach, etc.) regelmäßig innerhalb von Stunden oder Tagen. Wenn sie die Rechnungen öffnen, können sie diese sofort bearbeiten oder erstmal an einen Ort legen, wo sie zur Bearbeitung aufbewahrt werden (vgl. Abb. 3.8). Das kann zum Beispiel ein möglichst auffälliger Ort wie der Küchentisch oder eine Kommode im Flur sein. Überprüfen und bezahlen Verbraucher:innen ihre Rechnungen, archivieren sie diese danach in unterschiedlichen Systemen von akkurat strukturierten Aktenordnern bis hin zu unsortierten Stapeln in Schubladen, wo sie dann Jahre bis Jahrzehnte aufbewahrt werden (vgl. Abb. 3.9).

Abb. 3.8
figure 8

Rechnungsprozess bei Verbraucher:innen

Abb. 3.9
figure 9

Archive von Verbraucher:innen

Rechnungen verstanden als Boundary Objects

Rechnungen stellen ein gutes Beispiel für Boundary Objects (dt.: Grenzobjekt) dar. Als Konzept aus den Sozialwissenschaften beschreibt es Objekte, die zwischen verschiedenen Gemeinschaften (oder auch Interessengruppen) ausgetauscht werden (wie bspw. Unternehmen und Verbraucher:innen). Das Konzept berücksichtigt, dass diese Objekte in mehreren Gemeinschaften verwendet werden, aber so flexibel interpretierbar sind, dass sie von jeder Gemeinschaft anders verstanden und angewendet werden können. Diese Objekte ermöglichen die Kommunikation und Kooperation zwischen verschiedenen sozialen Welten, ohne dass es zu einem Identitätsverlust der einzelnen Gemeinschaft kommt. Boundary Objects können Artefakte, Dokumente, Terminologien oder Methoden sein, die in unterschiedlichen Kontexten verwendet werden. Dieses Konzept wurde von Susan Leigh Star und James R. Griesemer in ihrer Arbeit zur Koordinierung heterogener wissenschaftlicher Forschungsgemeinschaften eingeführt (Star und Griesemer 1989). Seitdem hat es sich in den Bereichen Wissenschafts- und Technologiestudien, Organisationsforschung und Design weit verbreitet und ist zu einem Schlüsselbegriff in der interdisziplinären Forschung geworden (Carlile 2002).

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie, wie und zu welchem Zweck sich häusliche Ordnungssysteme bilden.

  • Welche Tätigkeiten des Haushaltsmanagements können die dargestellten Ordnungssysteme konkret begleiten?

  • Welche unterschiedlichen Bedeutungen können Rechnungen für Verbraucher:innen und für Unternehmen haben?

Haushaltsbuchführung

Auch in der Haushaltsbuchführung greifen Verbraucher:innen auf mehrere Techniken zurück. Sie sammeln zum Beispiel Rechnungsbelege als eine Art der Dokumentation in (a) Kalendern oder (b) Notizbüchern, wie oben bereits beschrieben. Auch können (c) Briefumschläge dafür genutzt werden. Die (d) Scheckbuchmethode sieht vor, dass Transaktionen aufgelistet werden, in denen Ausgaben durchgeführt werden. Natürlich sind heutzutage ebenso (e) Computerprogramme ein probates und gut ausgereiftes Mittel, das neben vielen anderen Funktionen aktuelle Kalkulationen bis hin zu Prognosen tätigen kann (vgl. Fallbeispiel Vertragsmanager in Abschn. 3.1). Wie jedoch können diese Praktiken digitalisiert werden, und was gilt es dabei zu beachten?

3.1.3 Digitalisierung von Haushaltspraktiken

Die Praktiken, die sich Verbraucher:innen in der Bewältigung von Arbeit im Haushalt aneignen, werden zunehmend von Technik beeinflusst und verändert. Der Entwurf der modernen Einbauküche durch das Design der Frankfurter Küche ist ein historisches Beispiel. Wie der Staubsauger das Reinigen von Böden und anderen Oberflächen durch einen Besen abgelöst hat, so unterstützen nunmehr intelligente Haushaltsgeräte die Haushaltsarbeit von Verbraucher:innen.

Smart Home für Hausarbeit

Was der Staubsauger für den Besen war, ist nun der Staubsaugerroboter (oder Saugroboter) für den Staubsauger. Vernetzt im Internet der Dinge (IoT) und ausgestattet mit diversen Sensoren, erledigt er die Reinigungsleistung von allein durch autonome Saug- und Wischvorgänge. Das smarte physische Haushaltsgerät ist dabei entweder über den häuslichen Internetanschluss oder über eine eigene eingebaute SIM-Karte mobil (wie das häufig bei neuen Fahrzeugen der Fall ist) mit dem Internet verbunden. Über das Internet können Verbraucher:innen das Gerät ortsunabhängig und intelligent (z. B. von ihrem Smartphone) steuern. Ein Smart Home Hub, auch „Basisstation“ oder „Gateway“ genannt, kann unterschiedliche Haushaltsgeräte und andere smarte Gegenstände untereinander verbinden und mit Zeitplänen bzw. Routinen oder Wenn-Dann-Regeln (engl.: „If-this-than-that“) verwalten. Wenn-Dann-Regeln sorgen für eine situationsbasierte Steuerung. Sollte beispielsweise der Wind im Garten zu stark wehen und eine eigene kleine smarte Wetterstation dies mit ihren Sensoren erfassen, könnte als Folge eine intelligent gesteuerte Markise zum Schutz vor Beschädigung eingefahren werden.

Haushaltsgeräte, die die physische Hausarbeit von Verbraucher:innen unterstützen, sind bereits vielfältig. Neben dem Saugroboter unterstützen

  • Rasenmähroboter das Rasenmähen,

  • smarte Küchenmaschinen wie ein Thermomix, ein vernetzter Wasserkocher oder eine vernetze Kaffeemaschine die Küchenarbeit oder

  • smarte elektrische Zahnbürsten das akkurate Zähneputzen.

Durch den Einzug von Maschinen werden so körperliche Tätigkeiten von Menschen entweder unterstützt oder gar ganz autonom übernommen. Eine smarte Kaffeemaschine kann Verbraucher:innen morgens selbstständig den Kaffee bereitstellen. Eine smarte Zahnbürste kann den Reinigungsprozess der Zähne unterstützen oder sogar optimieren, sodass sich womöglich etablierte Praktiken anpassen. Fragen, die sich Verbraucher:innen stellen, wenn sie das Haus verlassen, wie „Habe ich den Backofen ausgeschaltet?“, erübrigen sich mit einem smarten Backofen und dem Fernzugriff darauf via Smartphone.

Moneywork

In der Forschung oft als Moneywork bezeichnet, werden Praktiken mit persönlichen Finanzen beschrieben. Diese finanzenorientierten Praktiken sind im Gegensatz zu den körperlichen Tätigkeiten der Hausarbeit eher mentaler Natur. Sie sind oft durch mentale Modelle im Kopf von Verbraucher:innen ausgeprägt, die sich jedoch physisch in prozessartigen Abläufen und wohlgestalteten Ordnungssystemen zeigen (Mai et al. 2020). Verbraucher:innen rechnen nicht rational, sondern sortieren ihre Budgets Nutzungskategorien zu und gehen je nach Kontext unterschiedlich damit um, wie das nachfolgende Beispiel illustriert: „100 € für ein Abendessen im Urlaub. Kein Problem. Man gönnt sich ja sonst nichts. Aber 100 € für ein Mittagessen in der Kantine? Auf keinen Fall.“

Die Verhaltensökonomik bezeichnet das Phänomen von mentalen Modellen bei der Verteilung von Geld auch als mentale Buchführung (engl. „mental accounting“) (vgl. Fallbeispiel). Die hier bei den Ausgaben noch hinzukommenden Ankereffekte sorgen zudem für eine unterschiedliche Wahrnehmung der Wertigkeit von Preis und Leistung. Der Ankereffekt bezeichnet die Orientierung eines initialen Wertes, der eine Entscheidung beeinflusst (vgl. Abschn. 2.1.1.3).

Zuvor wurde beschrieben, wie Verbraucher:innen physische Gegenstände wie Kalender oder die Tür des Kühlschranks in diese Ordnungssysteme einbeziehen und somit Orten des Wohnbereichs eine Funktion in ihrem Finanzmanagement geben (vgl. Abschn. 3.1.2). Solche Studien der Mensch-Computer-Interaktion zeigen, dass Finanzmanagement nicht nur das Addieren oder Subtrahieren von Zahlen, sondern eine soziale Aktivität ist. Zum Beispiel wurden Effekte und Herausforderungen beim Umgang mit mobilen und bargeldlosen Zahlungssystemen untersucht (Ferreira et al. 2015; Pritchard et al. 2015). Auch Studien über ältere Verbraucher:innen (Millen et al. 2015), solche mit niedrigen Einkommen (Mehmood et al. 2019) oder schlechter mentaler Gesundheit (Barros Pena et al. 2021) geben Einblicke in menschliches Verhalten in ihrem alltäglichen Handeln. Diese Studien zeigen, dass Verbraucher:innen eine Vielzahl von Emotionen im Umgang mit Geld haben und dieses materielle Geld eine „menschliche“ Seite besitzt (Kaye et al. 2014).

Informationstechnik, die diese mentalen Praktiken unterstützen will, muss – wie ein physischer, technischer Gegenstand auch – sorgfältig bei Verbraucher:innen evaluiert und anhand deren mentalen Modellen bzw. aktuellen Praktiken entwickelt werden. Auch die soziale Komponente sollte – wie oben erwähnt – beachtet werden. Arbeitsplatzstudien zeigen, dass es im besten Fall nichts bringt, Arbeitsprozesse ohne die menschliche Perspektive zu digitalisieren. Im schlechtesten Fall behindert es Prozesse sogar (Sellen und Harper 1995). Verbraucher:innen hingegen haben zumeist keine Vorgesetzten, die ein neues Computerprogramm/eine App zur Steuererklärung oder eine Excel-Schablone zur Buchführung vorgeben. Verbraucher:innen agieren freiwillig und nutzen lediglich die Technik, die ihnen nützlich und einfach erscheint (vgl. TAM aus Abschn. 2.1.1.2) und so eine Erleichterung bietet. Technologieakzeptanz ist damit ein entscheidender Faktor in der Unterstützung von Haushaltspraktiken.

Mentale Buchführung und mentale Konten

„Die mentale Buchführung ist die Gesamtheit der kognitiven Operationen, die von Einzelpersonen und Haushalten verwendet werden, um ihre finanziellen Aktivitäten zu organisieren, zu bewerten und im Auge zu behalten“ (Thaler 1999). Einnahmen und Ausgaben werden in Kategorien und für einen Nutzungszweck eingeteilt. Ausgaben werden durch Budgetgrenzen limitiert, sodass man für sein Mittagessen nicht unverhältnismäßig zu viel Geld ausgibt, aber im Urlaub das Budget etwas erhöht. Die mentalen Konten werden regelmäßig (täglich wöchentlich, jährlich usw. bilanziert). Die mentale Buchführung beeinflusst (Kauf-)Entscheidungen von Verbraucher:innen erheblich (Thaler 1999).

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie, welche mentalen und welche faktischen Konten Sie persönlich führen.

Reale Konten bei Kreditinstituten oder in Form von Investitions- und Anlagegütern gehören neben mentalen Konten ebenfalls zur Hausarbeit und damit zum kognitiven Haushaltsmanagement. Verbraucher:innen stehen hier vor der Herausforderung, stets gut informierte Entscheidungen zu treffen, welche Anlageform die optimale Nutzenmaximierung zur Folge hat (vgl. Abschn. 3.1, Sparverhalten und Investitionen). Damit verbundene Hausarbeit adressieren seit Kurzem sog. Robo-Advisor.

Paperwork

Umgangssprachlich als Papierkram (engl. Paperwork) bezeichnet, lassen sich alle formular- oder dokumentenorientierten Tätigkeiten von Verbraucher:innen beschreiben. Wie im Haushaltsmanagement zuvor bereits erörtert, beinhaltet das administrative Haushaltsmanagement zumeist auch Paperwork, wie das Pflegen von (Einkaufs-)Listen, Anträge bei einer Behörde, das Ablegen einer Rechnung etc. (vgl. Abb. 3.8). Mit administrativen mentalen Praktiken verbundenes Paperwork, wie auch Moneywork, werden bei Verbraucher:innen zunehmend von App-Anbietern digitalisiert und zudem zu automatisieren versucht.

Wo ein Saugroboter Verbraucher:innen das Staubsaugen abnimmt und die (zeitgesteuerte) Routine im Smart Home (Hub) den Putzplan des Roboters umsetzt, können Apps für Dokumentenarbeit Verbraucher:innen eine mentale Belastung abnehmen. Bis vor einigen Jahren mussten Verbraucher:innen aufpassen, dass sich Laufzeitverträge nicht automatisch verlängern. Dafür haben sie sich zum Beispiel Erinnerungen in Kalendern eingetragen. Nun können Apps Verbraucher:innen dabei unterstützen, indem die Apps Verfahren des Lesens und Interpretierens von Texten anwenden und Verbraucher:innen an Fristen in Rechnungen oder Verträgen erinnern. Dafür müssen Verbraucher:innen ihre papierbasierten Artefakte (bspw. mit dem Smartphone) einscannen oder alle digitalen Artefakte einer solchen App sammeln. Dokumente jeglicher Art, wie Rechnungen, aber auch Verträge, Zeugnisse usw. werden so digital verfügbar gemacht und langfristig abgelegt. Ein in Deutschland bekannter Anbieter einer solchen Dokumentenverwaltung ist beispielsweise fileee.com. Weitere Funktionen wie die elektronische Volltextsuche, mobiler Zugriff oder geringe Lagerungskosten gehen dabei mit digitalen Systemen einher.

VRM

Im Abschn. 3.1 im Unterabschnitt „Fairness“ wurden Laufzeitverträge diskutiert, die zum Nachteil für Verbraucher:innen werden können (vgl. Phishing for Fools). Hierbei ist zu beobachten, dass sich Lösungen auf dem Markt platzieren, die Verbraucher:innen beim Umgang mit solchen Herausforderungen unterstützen. Ein solches Angebot lässt sich aktuell in diversen Themenbereichen erkennen (Finanzen: finanzguru.de; Recht: rightnow.de; Paperwork: fileee.com; etc.). In Bezug auf Paperwork mit organisationsgerichteter Interaktion werden solche Angebote dem Konzept des Vendor Relationship Managements (VRM) zugeordnet (Searls 2012). Dieses Konzept wird als eine Sammlung von Werkzeugen (Tools) verstanden, die Verbraucher:innen bei der Erledigung ihrer Papierarbeiten in einer digitalisierten und elektronisch vernetzten Weise unterstützen (Mitchell et al. 2008). VRM-Tools werden allgemein als Mittel des Empowerments sowie der Arbeitsentlastung von Verbraucher:innen im Handeln auf dem Markt verstanden (Alvarez 2017; Dethier et al. 2022). Mitchell et al. (2008) kritisieren aktuelle Marketingmaßnahmen von Unternehmen gegenüber Verbraucher:innen als ein Raten von Bedarfen und ein Arbeiten auf Basis von Vermutungen. VRM-Software oder -Plattformen könnten in den Händen der Verbraucher:innen als Medium zu einer bedarfsgerechten Interaktion mit ihren Anbieter:innen (und umgekehrt) dienen. Durch eine elektronisch vernetzte Interaktion besteht das Potenzial, Kundenbedürfnisse im Dialog effektiver zu erfüllen und die Art und Weise der Geschäftsabwicklung zu verbessern (Levine et al. 2000).

Da Unternehmen in der Regel ihre Prozesse und Abläufe ohnehin systematisiert und professionalisiert haben, bedeuten VRM-Systeme vor allem eine deutliche Steigerung in der Unterstützung von Verbraucher:innen. Sie reichern einseitig digitalisierte Vertriebs- und Serviceprozesse zu einer plattformökonomischen Interaktion an (Alvarez 2017; Narayanan et al. 2012; Niwa und Nishi 2017). So kann eine solche Plattformunterstützung auf beiden Seiten – Anbieter:innen und Verbraucher:innen – Effizienzgewinne beim Vertragsmanagement, bei der Kommunikation sowie beim Kaufprozess und Service bringen (Mitchell et al. 2008).

Mit Blick auf den digitalen Markt sind auch Vergleichsplattformen als VRM-Tools zu klassifizieren, die in der Herausforderung einer Informationsbeschaffung, Abwicklung und sonstigen Interaktion unterstützen (vgl. Fallbeispiel Vergleichsplattform aus Abschn. 3.1).

Kritik an Digitalisierung

Kaye et al. (2014) kritisieren, dass die Rationalisierung der Digitalisierung und Optimierung von Haushaltsprozessen in Bezug auf Papierkram die gelebte Erfahrung der Menschen mit Finanzmanagement vernachlässigt. Zwar sind analoge, papierbasierte Prozesse mit höheren Kosten für die Bereitstellung, Lagerung und den Abruf verbunden als digitale Systeme, dennoch dürfen aktuelle Arbeitspraktiken nicht wegen der Einschränkungen eines Mediums kritisiert werden (Turner 2003). Solche Praktiken müssen insofern verstanden werden, wie beispielsweise Papier als Medium als Informations- und Kommunikationsartefakt dient (Sellen and Harper 2003). Schmidt und Wagner (2004) betonen zudem, dass häusliche Ordnungssysteme lebendig durch Zusammenarbeit geschaffen und aufrechterhalten werden, sodass es hier keine starren Strukturen und Prozesse gibt. In ihrer Studie über die Nutzung von Bankdienstleistungen durch ältere Menschen fanden Vines et al. (2011) ebenfalls heraus, dass diese häufig Papierschecks verwenden, um ihre Ausgaben nachzuvollziehen und ihre Finanzen zu organisieren. Mit der fortschreitenden Digitalisierung des Geldes, die zwar die Transaktionen effizienter macht, verschwinden jedoch auch bestehende Kulturtechniken mit Papierschecks, was ein Problem für ältere Generationen darstellen kann, die dadurch möglicherweise einen Teil der Kontrolle über ihre persönlichen Finanzen verlieren (Dolata und Schwabe 2017).

Intermediäre

VRM-Tools oder VRM-Anbieter treten oft als ein Intermediär auf, der zwischen Anbieter:innen und Verbraucher:innen vermittelt (Dethier et al. 2022; Mitchell et al. 2008). Es gibt eine lange Tradition von Unternehmen, die als Vermittler für Verbraucher:innen oder Haushalte fungieren, indem sie Personal und menschliche Unterstützung als Bürodienstleistung – z. B. bekannt als Family Office – bereitstellen (Canessa et al. 2018; Dunn 1980). Früher neigten Family Offices dazu, nur einer Familie zu gehören und für diese zu arbeiten, aber im Laufe der Zeit haben sich Geschäftsmodelle mit Multi-Client-Strategien entwickelt (Newton 2002). Intermediäre übernehmen allgemeine Paperwork-Tätigkeiten, können sich jedoch auch auf Themenbereiche spezialisieren. Verbraucher:innen können also auch das Haushaltsmanagement (teilweise) an Dienstleister auslagern oder durch Software/Plattformen unterstützen lassen, wie es in Bereichen der körperlichen Hausarbeit bei Haushaltshilfen, Reinigungskräften oder Pflegekräften oft in Anspruch genommen wird.

Der Mythos des papierlosen Büros

Die Digitalisierung von Papierarbeit ist ein gutes Beispiel für die oft überzogenen Erwartungen an Digitalisierung. Vor knapp 20 Jahren ist man davon ausgegangen, dass das papierlose Büro die Arbeitswelt revolutionieren und Papier aus dem Arbeitsalltag verdrängen wird. Diese Entwicklung ist jedoch bis heute nicht zu beobachten, da Menschen in vielen Tätigkeitsbereichen lieber mit Papier arbeiten. Zwar nimmt der geschäftliche Bedarf an Papier ab, dennoch lässt sich in vielen Kollaborationsformen in Büros wieder eine Renaissance von Papier entdecken. Aufgrund seiner materiellen Beschaffenheit ist es möglich, mit Papier besser zusammenzuarbeiten und es leicht physisch in der Wohnumgebung zu platzieren. Zum Beispiel können mit Haftnotizen am Kühlschrank Erinnerungen für alle Haushaltsmitglieder sichtbar gemacht werden (Briscoe 2022).

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie Chancen und Gefahren der Digitalisierung von Arbeitspraktiken der Verbraucher:innen.

  • Welche Vorteile haben digitale Artefakte und Systeme für Verbraucher:innen?

  • Welche Vorteile hat Papier in der Interaktion und Zusammenarbeit im Haushalt?

  • Welchen Unterschied sehen Sie in der vollständigen Auslagerung von Praktiken an Dienstleister:innen oder Roboter und in der Technikunterstützung von Praktiken, die Verbraucher:innen weiterhin selbst durchführen?

  • Vergleichen Sie die Praktik der Rechnungsbearbeitung aus Abschn. 3.1.2 mit der Digitalisierung von Paperwork durch das Scannen von Rechnungen durch Apps. Welche Beobachtungen sollten bei der Entwicklung einer solchen App berücksichtigt werden?

Empowerment

In den Verbraucherwissenschaften besteht Konsens darüber, dass Verbraucher:innen gegenüber Unternehmen (bzw. Organisationen) schwächer und damit benachteiligt sind (Dethier et al. 2022). Mangelnde Marktkompetenzen, gescheute oder unprofessionelle Arbeit im Haushalt (vgl. Transaktionskosten Abschn. 3.1) sind neben vielen anderen Aspekten der Verhaltensökonomik oder Markttheorie als Gründe anzuführen. Effekte aus Herausforderungen der Informationsökonomie und Entscheidungstheorie (vgl. Abschn. 2.1.1.3) prägen das Verhalten der Verbraucher:innen und verhindern rationales, professionelles Handeln. Professionelle Dienstleister bzw. Intermediäre sowie VRM-Tools hingegen können durch ihre spezialisierte Expertise und emotionsloses Handeln eine rationalisierte Arbeitsweise fördern. Verbraucher:innen werden so durch die Intermediäre befähigt und damit auf dem Markt gestärkt (engl. (to) empower). Verbraucherschutz wird in Kap. 4 dieses Buches näher erörtert.

3.2 Makroökonomische Perspektive: Digitale Märkte

Neben der mikroökonomischen Perspektive von Haushalten gibt es auch eine Perspektive des Marktes, auf dem sich Haushalte und Unternehmen treffen (vgl. Markttheorie aus Abschn. 3.1). Die (Konsum-)Märkte digitalisieren sich zunehmend in jeglichen Lebensbereichen der Verbraucher:innen. Dies geschieht häufig mithilfe digitaler Märkte, auf denen sowohl physische als auch rein digitale Güter ausgetauscht werden. Diese digitalen Märkte stellen aus technischer Sicht Plattformen dar, auf denen Menschen oder Organisationen miteinander interagieren. Sie kommunizieren, handeln, tauschen aus. Immer mehr Plattformunternehmen erscheinen auf den Märkten und sind bestrebt, digitale Lösungen sowie weitreichende Vernetzungen zu ermöglichen. Sie sind häufig disruptiv, d. h., sie verdrängen oder ersetzen traditionelle Märkte. Das zunehmende Angebot solcher Plattformdienste verändert das Wirtschaften von Unternehmen und dringt mehr und mehr in den Alltag, das Leben und Arbeiten von Verbraucher:innen ein.

Eine Vielzahl von digitalen „Alltagshelfern“ sind beispielsweise:

  • Facebook und WhatsApp, um mit unseren Freund:innen in Kontakt zu bleiben,

  • Navigation im Internet über Suchmaschinen wie Google,

  • Einkauf von alltäglichen Gegenständen über Amazon,

  • Essensauswahl und Bestellung über Lieferando,

  • Fahrdienste über FREENOW oder UBER

  • Reiseplanung mit booking.com,

  • Musikkonsum über Spotify oder Amazon Music,

  • Hörbücher bei Audible,

  • die neuesten Serien und Filme über Netflix,

  • Tutorials für Gartenarbeit auf YouTube,

  • Wohnungssuche über ImmoScout24,

  • Privatkäufe und Verkäufe auf Kleinanzeigen,

  • berufliche Vernetzung über LinkedIn,

  • Videokonferenzen mit Kolleginnen und Kollegen über Zoom oder WebEx.

Oft lassen sich monopolähnliche Strukturen auf digitalen Märkten beobachten, bei denen sich ausgewählte Unternehmen gegen den Wettbewerb durchsetzen (siehe Abschn. 3.2.3). Warum jedoch ist das so?

Im folgenden Kapitel soll betrachtet werden, was die Eigenschaften von Plattformökonomien sind und inwiefern diese sich von der traditionellen Wirtschaft unterscheiden.

Traditionelle vs. plattformbasierte Geschäftsmodelle

Traditionelle Geschäftsmodelle schaffen dadurch Wert, dass ihre Produkte von Konsument:innen gekauft und genutzt bzw. ihre Dienstleistungen von Konsument:innen in Anspruch genommen werden. Plattformbasierte Geschäftsmodelle hingegen schaffen ihren Wert dadurch, dass zwischen Marktteilnehmer:innen vermittelt wird. Eine Plattform besitzt und verarbeitet dabei nicht die klassischen Produktionsfaktoren, sondern bietet eine Infrastruktur, die Transaktionen mittels Vermittlung der Marktseiten ermöglicht. Die Stärke der Plattformökonomie liegt in ihrer Fähigkeit, Handelsbarrieren zu beseitigen, indem sie den verstärkten Informationsaustausch zwischen verschiedenen Akteur:innen und die Verbreitung von Daten zu ihrem Vorteil nutzt. Dadurch entsteht ein sehr viel offeneres Wirtschaftssystem mit einer sehr viel größeren Beteiligung der Nutzer:innen (Clement et al. 2019).

Historie der Plattformökonomie

Marktplatz- bzw. Plattformbetreiber hat es bereits lange vor der Verbreitung des Internets und der Digitalisierung der Märkte gegeben. So sind auch Warenkaufhäuser nichts anderes als Intermediäre, die einen physischen Raum schaffen, auf dem verschiedene Anbieter:innen und Nachfrager:innen zusammentreffen können. In der Realwirtschaft unterliegen diese Plattformen jedoch räumlichen und zeitlichen Restriktionen. Diese Restriktionen wurden durch die vielen technischen Entwicklungen und die weltweite Vernetzung über das Internet überwunden. Dabei war die Digitalisierung der größte Treiber der „Plattformisierung“. Mit der Verbreitung des Internets entstand in den 1990er-Jahren ein regelrechter Hype um neu gegründete Unternehmen, die auf den vermeintlichen Erfolgszug aufspringen wollten. Viele dieser Dotcom-Unternehmen wiesen jedoch kein funktionierendes Geschäftsmodell auf. Der Wert, den sich die professionellen Investor:innen und privaten Anleger:innen erhofften, war nicht vorhanden, und die Dotcom-Blase platzte im März 2000. Nur einige Unternehmen, die eine Vision und ein innovatives Geschäftsmodell (also ein technisch neuartiges, revolutionäres Geschäftsmodell) entwickelt hatten, konnten sich auch nachhaltig etablieren.

Eine wesentliche und folgenreiche Entwicklung der Internet-Ökonomie sind die sozialen Netzwerke. Anders als beispielsweise Handelsplattformen, deren Geschäftsmodell sich zunächst nicht wesentlich vom Geschäftsmodell auf realen Märkten unterschied, ist das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke innovativ und disruptiv. Menschen können sich auf einer digitalen Plattform unabhängig von Ort und Zeit vernetzen. Je mehr Nutzer:innen auf der Plattform angemeldet sind, desto attraktiver ist diese für neue Nutzer:innen, da die Zahl möglicher Interaktionen steigt (direkter Netzwerkeffekt). Solange sich lediglich Privatpersonen z. B. auf Facebook bewegten, die sich befreunden und miteinander kommunizieren konnten, handelte es sich bei dem sozialen Netzwerk um einen klassischen einseitigen Markt. Da die Nutzung für die Mitglieder kostenlos war, war dieses Geschäftsmodell für die Plattformbetreiber nicht profitabel. So wurden die Plattformen für werbetreibende Kunden geöffnet. Werbetreibende Unternehmen profitieren von der großen Reichweite der sozialen Netzwerke und deren detaillierten Nutzer:innenprofilen, die ihnen erlauben, Werbung zielgerichtet zu verteilen. So entwickelten sich die einseitigen digitalen Plattformen zu mehrseitigen Märkten (Clement et al. 2019).

Im Folgenden soll auf mögliche Erscheinungsformen anhand von Beispielen eingegangen werden. Da es eine Vielzahl von Geschäftsmodellen gibt und nicht alle abgebildet werden können, folgt eine Übersicht mit Merkmalen und möglichen Ausprägungen in Tab. 3.2. Dabei werden die unterschiedlichen Ausprägungen von Geschäftsbeziehungen, die verschiedenen Güterarten, mögliche Akteur:innen, die Transaktionsformen und Preismechanismen vorgestellt.

Tab. 3.2 Merkmale und Ausprägungen von Geschäftsmodellen der Plattformökonomie

3.2.1 Digitale Güter

In der Plattformökonomie können wir die Vermarktung einer Vielzahl von Güterarten beobachten. Diese reichen von physischen Gütern wie z. B. Möbeln, Elektronik und Immobilien bis zu digitalen Gütern wie Software, Audiodaten, Videodaten und Textdokumenten. Ein interessanter Aspekt bei digitalen Gütern ist, dass diese sich nicht abnutzen, sondern vielfach teilbar sind, ohne an Wert zu verlieren. Dadurch entstehen in der digitalen Ökonomie neue Geschäftsmodelle, wie z. B. das Streaming von Audio- und Video-Inhalten als moderne und digitalisierte Form des Video- und Musikverleihs. Nach Clement et al. werden digitale Güter wie folgt beschrieben: „Digitale Güter sind immaterielle Mittel zur Bedürfnisbefriedigung, die aus Binärdaten (0, 1) bestehen und sich mit Hilfe von Informationstechnologie entwickeln, vertreiben oder anwenden lassen“ (Clement et al. 2019). Dazu gehören unter anderem:

  • Digitalisierbare Produkte, z. B. Nachrichten, Zeitschriften, Bücher, Software, Computerspiele, Musik, Videos, Online-Beratungen, E-Learning-Angebote

  • Digitale Duplikate physischer Produkte, z. B. Bankschecks, Konzertkarten und Fotos

  • Digitale Dienstleistungen, z. B. Kommunikations-, Informationsdienst- und Vermittlungsleistungen oder digitale Fernsehprogramme

Jedoch gibt es auch verschiedene Digitalisierungsgrade bei den Ausprägungen digitaler Güter, die nach den Kriterien Produktion, Produkt, Distribution differenziert worden sind (siehe Abb. 3.10) (Choi et al. 1997).

Abb. 3.10
figure 10

Digitalisierungsgrade von Gütern (Clement et al. 2019); all rights reserved

So gibt es rein digitale Güter, die digital produziert, gespeichert und vertrieben werden, wie z. B. eine Textverarbeitungssoftware, die nur per Download angeboten wird. Es gibt aber auch viele Mischformen, weil z. B. Musik auch analog produziert und vertrieben werden kann. In der folgenden Tabelle werden wesentliche Unterschiede zwischen materiellen und digitalen Gütern zusammengefasst (Tab. 3.3).

Tab. 3.3 Gegenüberstellung von Eigenschaften materieller und digitaler Güter (Clement et al. 2019)

Eine weitere Güterart, die durch Plattformen neuen Aufschwung gewonnen und zu innovativen Geschäftsmodellen geführt hat, ist die Vermittlung von Dienstleistungen. Zum Beispiel hat die Digitalisierung erheblich dazu beigetragen, dass sich Konzepte wie Crowd Funding etablieren konnten. Durch die große Reichweite, die viele Plattformen haben, ist es möglich, einzelne Akteure mit Mikrokrediten zu unterstützen. Ein weiteres Beispiel ist das Crowd Working, in dessen Rahmen kleine Aufgaben wie z. B. Entwicklungsleistungen auf Plattformen eingestellt werden können, die von sogenannten Clickworkern gegen ein Entgelt verrichtet werden.

3.2.2 Mehrseitige Märkte

Von mehrseitigen Märkten spricht man, wenn auf einem Markt zwei Marktseiten (zweiseitiger Markt) oder mehrere Marktseiten (mehrseitiger Markt) zusammenkommen, um Transaktionen miteinander zu tätigen. Das können z. B. wie bei Amazon Verkäufer:innen und Käufer:innen von Produkten sein (zweiseitiger Markt) oder wie bei YouTube Inhaltsanbieter:innen, also die Produzent:innen von Videos, die Rezipient:innen sowie die werbetreibenden Unternehmen, deren Anzeigen vor oder während der Videos eingeblendet oder abgespielt werden (mehrseitiger Markt). Die unterschiedlichen Marktteilnehmer:innen verfolgen verschiedene, sich ergänzende Interessen, sind also komplementär. Über die digitale Plattform werden sie miteinander vernetzt. Deshalb gehören digitale Plattformen auch zu den Netzwerkgütern. Grundsätzlich gilt auf digitalen Plattformen: Je mehr Nutzer:innen auf einer Plattform sind, desto größer ist der Nutzen für alle Beteiligten. Diese sogenannten Netzwerkeffekte wirken auf digitalen Plattformen vor allem auf indirekte Weise. So haben Kaufinteressent:innen auf einer Handelsplattform keinen direkten Vorteil, wenn es dort viele weitere Kaufinteressent:innen gibt. Vielmehr sind es die unterschiedlichen komplementären Marktseiten, die sich gegenseitig beeinflussen. Erst wenn den Kaufinteressent:innen ausreichend Verkäufer:innen gegenüberstehen, steigt der Nutzen. Der Nutzen der einen Marktseite hängt also davon ab, wie viele Teilnehmer:innen auf der anderen Marktseite aktiv sind. Diese Art der gegenseitigen Abhängigkeit wird entsprechend als indirekter Netzwerkeffekt bezeichnet (vgl. Abb. 3.11). Beispielsweise wird eine Handelsplattform wie Amazon für Käufer:innen umso interessanter, je mehr Anbieter:innen auf dem Marktplatz zu finden sind. Denn so haben die Kund:innen eine größere Auswahl und können Vorteile hinsichtlich des Preises und ggf. auch der Qualität der Produkte erwarten. Gleichzeitig steigt der Wert der Plattform auch für die Anbieter:innen, wenn mehr potenzielle Käufer:innen auf dem Marktplatz unterwegs sind. Der Intermediär, also der Plattformbetreiber, ist die Instanz, welche die unterschiedlichen Marktseiten zusammenbringt, den Markt entwickelt und koordiniert und die Plattform so gestaltet, dass sie für die jeweiligen Marktseiten attraktiv ist.

Abb. 3.11
figure 11

Zwei- und mehrseitige Märkte

Wie auf realen Märkten herrschen auch auf digitalen Märkten Informationsasymmetrien. Insbesondere beim Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen verfügen die Verkäufer:innen i. d. R. über einen größeren Informationsstand hinsichtlich des Produkts bzw. des Dienstes als die Interessent:innen. Die Interessent:innen haben im Gegensatz zum realen Markt nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Ware vor dem Kauf zu inspizieren. Dadurch können sich bei Interessent:innen erhebliche Unsicherheiten ergeben, welche die Transaktion negativ beeinflussen. Je nachdem, ob es sich bei Gütern um Such-, Erfahrungs- oder ein Vertrauenseigenschaften handelt, ist das Bewertungsrisiko für die Nachfragenden kleiner oder größer. Sucheigenschaften sind im Voraus einfach zu beurteilende Produkteigenschaften (z. B. Farbe, Größe, Speicherplatz), Erfahrungseigenschaften lassen sich erst nach dem Kauf bewerten (z. B. Benutzerfreundlichkeit), und Vertrauenseigenschaften lassen sich auch nach dem Kauf nicht bewerten (z. B. die Einhaltung von Datenschutz oder verantwortungsvolle Produktionsbedingungen). Für das Beispiel eines Smartphone-Kaufs wären die Leistungsspezifikationen wie RAM und Displaygröße Sucheigenschaften, die Benutzerfreundlichkeit eine Erfahrungseigenschaft und der Einsatz nachhaltiger Rohstoffe bei der Herstellung eine Vertrauenseigenschaft.

Digitale Plattformen setzen unterschiedliche Instrumente ein, um diese Problematik zu adressieren und die Unsicherheiten aufseiten der Interessent:innen zu reduzieren. Zunächst empfehlen sie den Verkäufer:innen oftmals, umfangreiche Informationen über sich selbst und die Produkte preiszugeben, integrieren Reputationssysteme in ihre Plattform und bieten kundenorientierte Möglichkeiten in Form von Rückgaberechten und kostenlosen Retouren (vgl. Vergleichsplattform in Abschn. 3.1). In Tab. 3.4 werden Beispiele für mehrseitige Märkte aufgeführt).

Tab. 3.4 Beispiele für mehrseitige Märkte

Anders als auf einseitigen Märkten bestimmt auf mehrseitigen Märkten nicht der Preis des Produkts das Marktergebnis. Vielmehr ist hier die Struktur der Preise auf den jeweiligen Marktseiten entscheidend. Denn häufig ist auf mehrseitigen Märkten eine Marktseite wertvoller als die andere. In der Regel sind dies die Konsument:innen, um deren Aufmerksamkeit gekämpft werden muss, da sie schnell zu konkurrierenden Plattformen ausweichen können oder sich ohne die Hilfe eines Intermediärs direkt an die Unternehmen wenden können. Diese wertvolle Marktseite wird von der anderen Marktseite subventioniert und kann die Plattform häufig unentgeltlich nutzen. So müssen beispielsweise die Interessent:innen bei ImmoScout24 keine Registrierungs- oder Nutzergebühr zahlen, während die Anbieter:innen von Immobilien für das Inserieren etwas bezahlen müssen.

Bei der Neuentwicklung einer Plattform steht der Plattformbetreiber der Herausforderung gegenüber, nicht nur eine, sondern gleich zwei oder mehrere Marktseiten vom Nutzen der Plattform zu überzeugen. Für ihn stellt sich dabei die Frage, welche Marktseite er als Erstes entwickeln und auf seine Plattform holen sollte. Dafür muss der Intermediär mitunter große Anstrengungen unternehmen, um einen florierenden Austausch zwischen den Marktseiten zu etablieren. Und auch wenn die Plattform zunächst von den Nutzer:innen angenommen wird und sich positiv entwickelt, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Erfolg von Dauer ist. Die Nutzer:innen müssen nicht nur im frühen Zeitraum der Marktentwicklung vom Nutzen der Plattform überzeugt werden, sondern auch langfristig eine Vorteilhaftigkeit erkennen. Der Intermediär muss sich also mit unterschiedlichen Koordinierungsproblemen befassen:

Henne-Ei-Problem

Auf Plattformmärkten besteht eine wechselwirksame Abhängigkeit der komplementären Marktseiten in Hinblick auf den eigenen Nutzen (indirekte Netzwerkeffekte). In der Anfangsphase einer Plattform, nachdem diese programmiert und für die Nutzer:innen freigegeben wurde, befindet sich noch keine der Marktseiten auf der Plattform. Da die Plattform für die eine Marktseite nur dann interessant ist, wenn bereits genügend Vertreter:innen der anderen Marktseite auf der Plattform vorhanden sind, ergibt sich für den Intermediär eine zentrale Herausforderung. Eine neue Handelsplattform, z. B. für gebrauchte Hochzeitskleidung, ist für potenzielle Käufer:innen nur dann interessant, wenn bereits Angebote auf der Plattform zu finden sind. Besuchen sie die Webseite und finden keine Kleider oder Accessoires, verlassen sie die Webseite und setzen ihre Suche auf anderen Portalen oder in anderen Shops fort. Aber auch die Anbieter:innen von gebrauchter Hochzeitskleidung scheuen den Aufwand, ihre Produkte auf einer neuen Plattform anzubieten, die bei potenziellen Interessent:innen noch nicht bekannt ist. Der Plattformbetreiber muss sich demnach oft entscheiden, welche Marktseite er zuerst entwickelt, ohne die andere Marktseite dabei außer Acht zu lassen.

Kritische-Masse-Problem

Die Anzahl der bereits aktiven Nutzer:innen der einen Marktseite bestimmt den Nutzen für neue Nutzer:innen der komplementären Marktseite. Diese installierte Basis determiniert, mit wie vielen Partner:innen Transaktionen möglich wären. Je größer diese Zahl ist, desto höher ist auch der Nutzen für die Plattformnutzer:innen. Je mehr Anbieter:innen es bereits auf der Plattform für gebrauchte Hochzeitskleidung gibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für Interessent:innen, ein passendes Produkt zu finden, und desto größer ist der Wettbewerb unter den Anbieter:innen und entsprechend niedrig der Preis. Der Intermediär muss also eine gewisse Zahl an Marktteilnehmer:innen auf allen Marktseiten entwickeln. Während er zunächst um jede:n einzelne:n Marktteilnehmer:in werben muss, nimmt mit steigender installierter Basis der Aufwand, zusätzliche Nutzer:innen auf die Plattform zu bringen, ab. Ab einer gewissen Menge an Marktteilnehmer:innen muss er kaum eigene Anstrengungen unternehmen, um neue Nutzer:innen hinzuzugewinnen. Denn ist diese kritische Masse erreicht, kann sich eine sich selbst verstärkende Eigendynamik einwickeln: Neue Interessent:innen kommen aufgrund von Nutzer:innenempfehlungen, der steigenden Bekanntheit oder des wachsenden Angebots hinzu, ebenso neue Anbieter:innen, die eine Chance sehen oder Druck verspüren, ihre Produkte oder Dienstleistungen auch über die Plattform anzubieten, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Gleichgewichtsproblem

Auf einem gut etablierten Markt regulieren sich die komplementären Marktseiten grundsätzlich gegenseitig. Gibt es mehr Anbieter:innen als Nachfrager:innen auf einer Plattform, kommt es aufgrund des Überangebots unter den Anbieter:innen zu einem verstärkten Wettbewerb. In der Folge sinken die Preise, was wiederum neue Nachfrager:innen auf die Plattform lockt. Übertrifft die Zahl der Nachfrager:innen die der Anbieter:innen, signalisieren hohe Verkaufspreise anderen Anbieter:innen gute Absatzchancen. Es kann sich also ein stabiler Prozess des Auspendelns von Angebot und Nachfrage ergeben. Der Plattformbetreiber muss darauf achten, dieses Gleichgewicht zu erhalten. Einem Ungleichgewicht in Form eines Überhangs auf einer der Marktseiten muss er zwingend entgegensteuern. Ein Überhang auf der Anbieter:innenseite kann z. B. dazu führen, dass zwar die Preise sinken, dies den Nachfrager:innen jedoch eine mangelnde Qualität signalisiert, sodass keine Transaktionen zustande kommen (Abb. 3.12).

Abb. 3.12
figure 12

Marktverlauf bei Ungleichgewicht (Clement et al. 2019); all rights reserved

3.2.3 Winner-takes-it-all

In der digitalen Ökonomie lässt sich häufig beobachten, dass starke Unternehmen zunehmend an Marktmacht gewinnen und schwache Unternehmen an Bedeutung verlieren. Dieses Phänomen wird in der Literatur als „The Winner takes it all“ bezeichnet. Verantwortlich für diese Art der Gewinnermärkte sind vornehmlich drei Effekte. Konkret sind dies die Skaleneffekte, Lock-in-Effekte und Netzwerkeffekte sowie die Interaktion dieser Effekte miteinander. Diese Effekte sind jeweils selbstverstärkend und werden in der Literatur auch als „Ringe der Marktmacht“ bezeichnet (siehe Abb. 3.13).

Abb. 3.13
figure 13

Ringe der Marktmacht

Dieses Phänomen der Marktkonzentration unterscheidet sich signifikant von dem Wettbewerb auf klassischen Märkten: Doch warum ist das so? Auf den ersten Blick sind solche Marktentwicklungen nicht naheliegend, weil die Marktzutrittsvoraussetzungen auf digitalen Märkten wesentlich niedriger sind als zum Beispiel in der Industrie, wo zunächst große finanzielle und organisatorische Investitionen getätigt werden müssen, um überhaupt am Wettbewerb teilzunehmen. Wesentlich günstiger ist es, einen Online-Handel zu eröffnen, da keine Mieten notwendig sind und unter Umständen auch viel weniger Personal benötigt wird. Hohe Investitionskosten, die in der Realwirtschaft den Markteintritt erschweren, sind in der digitalen Wirtschaft zunehmend variabel, wie beispielsweise die Kosten für eine Cloud-basierte Buchführungssoftware. Wenn jeder relativ einfach in einen Wettbewerb treten und sehr kostengünstig mit einem Online-Unternehmen Geld verdienen kann, warum scheitern sehr viele Internetunternehmen?

Tatsächlich ist gerade dieser Faktor entscheidend für das „The-Winner-takes-it-all“-Phänomen. Der Wettbewerb ist nicht mehr regional abgegrenzt, es gibt einen enormen Preisdruck, da neue Marktteilnehmer:innen unter Umständen mit sehr großen Firmen konkurrieren müssen. Durch die fehlenden regionalen Abgrenzungen haben Nutzer:innen die freie Wahl, welchen Dienst sie nutzen möchten und wo sie ihre Produkte kaufen. Die stärksten Wettbewerber:innen dominieren immer den Markt (Abb. 3.14). Doch wie genau funktionieren diese Ringe der Marktmacht, und warum sind sie so mächtig?

Abb. 3.14
figure 14

Wettbewerb auf Gewinnermärkten (Clement et al. 2019); all rights reserved

3.2.3.1 Netzwerkeffekte

Bei vielen Gütern führt eine steigende Verbreitung zu einem sinkenden Wert. Jedoch ist das bei digitalen Gütern aufgrund von Netzwerkeffekten meist genau andersherum, dort steigt der Wert eines Gutes mit zunehmender Verbreitung. Dies lässt sich anhand eines sozialen Netzwerks wie Instagram gut darstellen: Je mehr Menschen diese Plattform nutzen, umso größer ist der Wert für die einzelnen Teilnehmer:innen des gesamten Netzwerks. Tritt ein:e neue:r Nutzer:in in das Netzwerk ein, erhöht sich nicht nur für ihn:sie, sondern auch für die bisherigen Nutzer:innen der Nutzen; sie profitieren von dieser Aktion, da sie nun mehr Kommunikationsmöglichkeiten haben, jedoch ohne dass sie etwas dafür tun. In diesem Fall spricht man deshalb von positiven Externalitäten bzw. positiven externen Effekten und, da sie in Netzwerken auftreten, von positiven Netzwerkeffekten. Netzwerkeffekte kann man sich als einen selbstverstärkenden Kreislauf vorstellen, denn je mehr Nutzer:innen sich einer Plattform anschließen, umso höher steigt der Wert der Plattform und umso attraktiver wird diese für neue Nutzer:innen. Hinzu kommt, dass immer größer werdende Netzwerke sich defacto zu Standards entwickeln können und durch eine Standardisierung der Wert eines Netzwerks weiter ansteigt, da kleinere getrennte Netzwerke sich zu einem großen zusammenschließen.

Netzwerkeffekte lassen sich in direkte und indirekte Netzwerkeffekte unterscheiden. Das oben angeführte Instagram-Beispiel beinhaltet sowohl direkte als auch indirekte Netzwerkeffekte. Durch eine steigende Nutzerzahl profitieren alle Nutzer:innen direkt, da die Kommunikationsmöglichkeiten unter den Nutzer:innen zunehmen (positiver direkter Netzwerkeffekt). Gleichzeitig lässt sich aber auch ein positiver indirekter Netzwerkeffekt beobachten, weil ebenfalls eine andere Gruppe profitiert, die Werbetreibenden. Betrachten wir Instagram als Plattformbetreiber bzw. Intermediär und die zwei weiteren Marktakteure Nutzer:innen und Werbetreibende, dann sehen wir, dass diese sich gegenseitig ebenfalls beeinflussen. Denn wenn die Nutzergruppe wächst, wird es für Werbetreibende attraktiver, auf dieser Plattform Werbung zu schalten. Andersherum könnte aber für die Nutzer:innen der Wert sinken, wenn zu viel Werbung auf der Plattform erscheint. In diesem Fall läge ein negativer indirekter Netzwerkeffekt vor. Wir können also festhalten, dass bei direkten Netzwerkeffekten der Wert sich bei steigender Nutzerzahl auf dieselbe Gruppe auswirkt und bei indirekten Netzwerkeffekten auf eine komplementäre Gruppe.

3.2.3.2 Skaleneffekte

Die Produktion von digitalen Gütern ist durch geringe variable Kosten bzw. geringe Grenzkosten im Vergleich zu den hohen Fixkosten gekennzeichnet. Aufgrund der geringen variablen Kosten durch leichte Reproduktion erleben wir in der digitalen Ökonomie eine wesentlich stärkere Kostendegression bei steigender Ausbringungsmenge als in der Realwirtschaft. Kostendegression bedeutet, dass die Stückkosten eines Gutes mit jeder produzierten oder in dem Fall verteilten Einheit sinken.

Dieser Effekt wird Skaleneffekt genannt. Genau wie der Netzwerkeffekt wirkt der Skaleneffekt selbstverstärkend und kann dadurch zu einer dominanten Marktstellung und letztendlich zu einem Monopol führen. Durch eine hohe Ausbringungsmenge sinken die Stückkosten, was es dem Unternehmen ermöglicht, die Preise zu senken und günstiger als der Wettbewerb zu produzieren. Dadurch wird die Marktdominanz ausgebaut und führt in der Folge dazu, dass man noch mehr produzieren und die Stückkosten weiter senken kann.

In Abb. 3.15 wird dargestellt, wie die Kosten im Vergleich zu klassischen physischen Gütern verlaufen. In beiden Fällen haben wir hohe Fixkosten zu Beginn, was bei einer geringen Ausbringungsmenge zu verhältnismäßig hohen Stückkosten führt. Mit steigender Menge sieht man in der Abbildung aber sehr gut, dass die Kostendegression bei digitalen Gütern wesentlich stärker ist. Der Grund dafür liegt in der einfachen und kostengünstigen Reproduktion von digitalen Gütern. So kann zum Beispiel Software in Sekunden kopiert werden, ohne dass dabei signifikante Kosten entstehen. Bei physischen Gütern ist das nicht der Fall; dort haben wir weiterhin Materialkosten und Fertigungskosten, was sich in wesentlich höheren variablen Kosten niederschlägt. Je höher die Fixkosten im Verhältnis zu den variablen Kosten sind, umso stärker ist die Stückkostendegression (vgl. Abb. 3.15). Aus diesem Grund tendieren die Grenzkosten bei digitalen Gütern gegen null.

Abb. 3.15
figure 15

Kostenverläufe bei physischen und digitalen Gütern im Vergleich (Clement et al. 2019); all rights reserved

3.2.3.3 Lock-in-Effekte

Der Lock-in-Effekt ist ein Kundenbindungseffekt. Nutzer:innen können aus unterschiedlichen Gründen in einem System „eingeschlossen“ (Lock-in) sein und Wechselbarrieren verspüren. Auch der Lock-in-Effekt ist ein sich selbst verstärkender Effekt, da mit zunehmender Integration der Anwendungen und Nutzungspraktiken auch die Wechselkosten steigen. Mit steigenden Wechselkosten sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Systemwechsels, und gleichzeitig steigt die Bindung an das bisherige System. In vielen Fällen passiert das auch mit der Dauer, die man in einem System verbringt. Lock-in Effekte können auch künstlich, beispielsweise durch Verträge, geschaffen werden. Bekannt sind solche vertraglichen Lock-ins durch Abonnements, die über eine bestimmte Laufzeit gehen und nur mit großem Vorlauf gekündigt werden können (vgl. Verträge in Abschn. 3.1). Auch Vertragsbestandteile innerhalb von Vertragsbündeln können künstliche Wechselbarrieren erzeugen. Möchte man die eine Leistung behalten, die andere jedoch nicht, muss man sich für oder gegen beide Leistungen aussprechen und kann diese nicht separat nutzen. Dadurch werden Hürden für einen Wechsel aufgebaut, damit Kund:innen möglichst in einem System bleiben. Gleichzeitig kann das aber viele Nutzer:innen abschrecken und dazu führen, dass potenzielle Kund:innen kein Abonnement abschließen.

In der Plattformökonomie können Lock-in-Effekte z. B. dadurch entstehen, dass viele Anwendungen in ein Plattform-Ökosystem integriert werden, sodass die Nutzer:innen keinen Anreiz haben, Anwendungen von anderen Anbieter:innen zu nutzen. Unter Anwendungen sind sowohl einzelne Aktivitäten auf Plattformen als auch eigenständige Softwarelösungen zu verstehen. Wenn wir das Beispiel Apple nehmen, so ist es für die Nutzer:innen meist sinnvoll, sämtliche Apple-Produkte zu nutzen, weil diese miteinander kompatibel sind und die Nutzer:innen bereits an die Benutzeroberflächen von Apple gewöhnt sind. Gleichzeitig vermittelt Apple einen gewissen Lifestyle, und die Auseinandersetzung mit Produkten anderer Anbieter:innen wird obsolet. Dies ist ein Beispiel für einen aus Anbieter:innensicht gelungen Lock-in-Effekt, denn die Nutzer:innen sind schon so stark in das Apple-Ökosystem integriert, dass es sehr aufwendig wäre, die Anbieter:in zu wechseln. Dieser Aufwand wird auch als Wechselkosten bezeichnet und meint alle Kosten, sowohl tatsächlich anfallende Kosten als auch Opportunitäts- und Transaktionskosten, die bei einem Umstieg auf andere Produkte entstehen würden (vgl. Transaktionskosten in Abschn. 3.1). Das können Recherchen, Schulungen, Vertragsarbeit, Datenmigration oder die Kosten für neue Hard- und Software sein.

3.2.4 Die Rolle von Vertrauen auf digitalen Märkten

In der Literatur gibt es keine einheitliche Definition von Vertrauen, jedoch wird darunter im Allgemeinen ein multidimensionales sozialpsychologisches Konstrukt verstanden (Hawlitschek et al. 2016; Ter Huurne et al. 2017). So verstehen Hawlitschek et al. Vertrauen als die Erwartung und Verpflichtung, dass ein Austausch in der Zukunft stattfinden wird. Im Folgenden wird mit der Definition von Ter Huurne et al. gearbeitet:

„[Vertrauen ist] die Bereitschaft einer Partei, für die Handlungen einer anderen Partei anfällig zu sein, basierend auf der Erwartung, dass die andere Partei eine bestimmte, für den Vertrauensgeber wichtige Handlung ausführen wird, unabhängig von der Fähigkeit, diese andere Partei zu überwachen oder zu kontrollieren.“ (Ter Huurne et al. 2017)

Vertrauen ist besonders wichtig in potenziell riskanten und unsicheren Situationen, in denen die Parteien voneinander abhängig sind (McKnight und Chervany 2001). Solche Situationen sind typisch für beispielsweise die Sharing Economy, da durch die internetbasierte Vermittlung die üblichen Mechanismen zur Entwicklung sozialer und wirtschaftlicher Bindungen, die das Entstehen von Vertrauen fördern, wegfallen. Neben dem Vertrauen in andere Nutzer muss auch Vertrauen in die Plattform und das angebotene Produkt aufgebaut werden (Hawlitschek et al. 2016).

Um Vertrauen gegenüber Unbekannten aufzubauen, bieten Reputationssysteme einen wichtigen Vertrauensmechanismus (Ert et al. 2016; Ter Huurne et al. 2017). Daher sind Reputationssysteme heute i. d. R. ein integraler Bestandteil bei Sharing-Economy-Plattformen wie z. B. Uber oder AirBnb – vor allem bei sogenannten Peer-to-Peer-Sharing-Plattformen (kurz P2P-Sharing), auf denen Privatpersonen miteinander in Transaktion treten und Privateigentum teilen. Da dort zum Teil sehr wertvolle Besitztümer wie Autos mit fremden Personen geteilt werden, sind vertrauensbildende Systeme von zentraler Bedeutung. Eine weitere Möglichkeit, das Vertrauen zu fördern, liegt in der Bereitstellung von Informationen über die Produkte oder Services sowie über die Personen selbst. Auf P2P-Sharing-Plattformen ist es daher üblich, einige persönliche Daten offenzulegen. Betrachten wir das Beispiel des privaten Fahrzeugverleihs über eine P2P-Carsharing-Plattform. Hier haben Nutzer:innen (sowohl Autobesitzer:innen als auch -nutzer:innen) i. d. R. eine Profilseite mit Fotos und einer textbasierten Selbstbeschreibung. Darüber hinaus werden bestimmte Angaben häufig vorab vom Plattformbetreiber überprüft (z. B. eine Identitätsprüfung oder eine Führerscheinprüfung bei Carsharing-Plattformen). Im folgenden Fallbeispiel soll eine algorithmusbasierte Bewertung mit dem Namen Trust Score als beispielhafte digitale Lösung für den Vertrauensaufbau im P2P-Carsharing aufgezeigt und erläutert werden.

Trust Score

Vertrauen ist das Bindemittel der Sharing Economy. Das gilt vor allem für das Peer-to-Peer-Carsharing (P2P-Carsharing), bei dem man ein wertvolles Gut einem:r Fremden in der Hoffnung überlässt, dass man es unversehrt zurückzubekommt. Heutzutage sind Bewertungen anderer Nutzer:innen ein wichtiger Mechanismus zur Schaffung von Vertrauen. Um die Akzeptanz von Peer-to-Peer-Carsharing zu fördern, eröffnet die Technologie der vernetzten Autos neue Möglichkeiten, die Vertrauensbildung zu unterstützen, z. B. durch Hinzufügen von algorithmusbasierten Bewertungen zu den Nutzerprofilen, die auf dem Fahrverhalten beruhen. Die Erhebung solcher Daten stellt jedoch einen Eingriff in die Privatsphäre der Mieter:innen dar. Gleichzeitig haben algorithmusbasierte Bewertungen das Potenzial, einige Probleme traditioneller Reputationssysteme zu lösen. Dies gilt insbesondere für die Verzerrung von Nutzer:innenbewertungen durch (soziale) Vorurteile.

figure a

Im Rahmen einer Fokusgruppenstudie sowie einer Design Case Study wurde das Interesse der Fahrzeugvermieter:innen, die Bereitschaft zur Teilung von Fahrverhaltensdaten der Fahrzeugmieter:innen sowie das Verständnis von algorithmusbasierten Bewertungen untersucht. Darauf aufbauend ist in Participatory-Design Workshops ein Clickable Prototype einer Carsharing-App inklusive algorithmusbasierter Bewertung mit Nutzer:innen entwickelt worden. Die Evaluation mit den Nutzer:innen hat gezeigt, dass es verschiedene Präferenzen bei der Ausgestaltung von algorithmusbasierten Bewertungen gibt und diese Präferenzen im Design berücksichtigt werden sollten. (Bossauer et al. 2020; Neifer et al. 2023)

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie Chancen und Gefahren der Digitalisierung von Fahrverhalten.

  • Welche Auswirkungen kann ein Trust Score auf das Vertrauen von Fahrzeugbesitzer:innen haben?

  • Was sind Unterschiede zu gängigen Reputationssystemen im Carsharing?

  • Wie fair wäre ein digitaler Trust Score für die Berechnung von Versicherungsprämien?

3.2.5 Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurde zunächst der Privathaushalt und insbesondere die darin stattfindende Hausarbeit im Wirtschaften von Verbrauchenden besprochen. Verbraucher:innen haben in der täglichen Bedürfnisbefriedigung und Instandhaltung ihres Wohnumfelds Arbeit zu erledigen, die sie neben einer Erwerbsarbeit in der Freizeit durchführen. Die Erfassung von Zeitaufwendungen im Haushalt ist eine Herausforderung für die Forschung. Die Rationalisierung und Professionalisierung von Hausarbeit haben bereits eine lange historische Bedeutung. Physische – also körperliche – Hausarbeit und mentale administrative Arbeit sind in ihrer Art verschieden und für andere unterschiedlich sichtbar. Eine Automatisierung durch Technisierung der körperlichen Hausarbeit übernehmen heute schon Roboter und andere intelligente Haushaltsgeräte. Es ist möglich, geistige, mentale Arbeit im Haushalt zu digitalisieren und durch Software zu unterstützen. Indem Intermediäre und digitale Werkzeuge Verbraucher:innen in ihrer Arbeit unterstützen, sorgen sie für Professionalisierung und Rationalisierung und haben folglich das Potenzial eines Empowerments. Die Gestaltung solcher Unterstützungssysteme sollte jedoch zentral an Verbraucher:innen und ihren aktuellen (Informations-) Praktiken ausgerichtet werden.

Des Weiteren wurde das Konzept digitaler Märkte, digitaler Güter und Plattformen in der Internet-Ökonomie ausgeführt und das Phänomen der Gewinnermärkte erläutert. Dafür wurden einige Beispiele für Plattformen aufgezeigt und mit Alltagspraktiken von Verbraucher:innen verknüpft. Digitale Dienste begleiten uns täglich in unterschiedlichsten Lebenskontexten, und wir verbringen immer mehr Zeit auf unterschiedlichsten Plattformen. Durch den zunehmenden Konsum und die besonders schnelle Dynamik auf digitalen Märkten können Plattformbetreiber:innen schnell eine dominante Marktposition aufbauen. Im Wesentlichen lassen sich Gewinnermärkte wie folgt charakterisieren:

  • Auf digitalen Märkten ist aufgrund von Netzwerkeffekten, Lock-ins und ausgeprägten Skaleneffekten häufig eine ungleiche Verteilung des Erfolgs zu beobachten.

  • Dadurch können quasimonopolähnliche Marktstrukturen entstehen.

  • Diese Marktstellung als Quasimonopolist ist jedoch nicht beständig.

  • Aufgrund der Beschaffenheit digitaler Güter entsteht ein hoher Innovationsdruck (mit kurzen Produktzyklen und ständigen Produktneuerungen).

  • Digitale Infrastrukturen lassen sich leichter ersetzen als physische Infrastrukturen.

  • Ein Quasimonopolist muss seine Konkurrenz ständig im Auge behalten und Wettbewerbsvorteile ausbauen, um seine Marktposition zu erhalten.

Aufgrund der dominanten Position von Plattformen auf digitalen Märkten spielt Vertrauen eine wichtige Rolle. Dazu zählt nicht nur das Vertrauen der Verbraucher:innen in eine Plattform, sondern auch das Vertrauen zwischen den einzelnen Marktakteur:innen auf mehrseitigen Märkten. Gerade weil die digitale Welt in weiten Teilen anonymer ist, braucht es Mechanismen für einen Vertrauensaufbau. Dazu gehören Bewertungs- und Reputationssysteme. Als ein Fallbeispiel wurde der Trust Score im Kontext von Peer-to-Peer Carsharing angeführt.

3.3 Übungen

  1. 1.

    Wie kann Informationstechnologie Verbraucher:innen bei dem rechten Haushalten zur Bedürfnisbefriedigung unterstützen? a) Erläutern Sie einige Beispiele aus dem Buch. b) Überlegen Sie sich ein eigenes Beispiel.

  2. 2.

    Diskutieren Sie, inwiefern eine Trennung von Privatleben und Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund von Hausarbeit sinnvoll oder unrealistisch sein kann.

  3. 3.

    Erarbeiten Sie, inwiefern Transaktionskosten Verbraucher:innen davon abhalten können, das beste Preis-Leistungs-Angebot einzukaufen oder bei Mängeln eine Kompensation einzufordern.

  4. 4.

    Beschreiben Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten von: a) Erwerbsarbeit und Hausarbeit und b) körperlicher und kognitiver administrativer Hausarbeit.

  5. 5.

    Beschreiben Sie, warum eine Rationalisierung der Hausarbeit bei Verbraucher:innen schwer sein kann und wer oder was Verbraucher:innen konkret dabei helfen kann.

  6. 6.

    Übertragen und diskutieren Sie das Konzept der mentalen Modelle auf Paperwork-Aktivitäten.

  7. 7.

    Wo ist die Digitalisierung von kognitiver Hausarbeit sinnvoll, und wo sind ihr Grenzen gesetzt?

  8. 8.

    Diskutieren Sie kritisch, inwiefern Vendor-Relationship-Management (VRM)-Systeme und Intermediäre Markteffizienz fördern können?

  9. 9.

    Erläutern Sie die Digitalisierungsgrade von digitalen Gütern anhand von zwei Beispielen.

  10. 10.

    Nennen Sie fünf Unterschiede zwischen materiellen und digitalen Gütern.

  11. 11.

    Nennen und beschreiben Sie jeweils ein Beispiel für direkte und indirekte Netzwerkeffekte.

  12. 12.

    Überlegen Sie sich ein Beispiel für Intermediation und erläutern Sie die Rolle eines Intermediärs.

  13. 13.

    Beschreiben Sie, warum Reputationssysteme auf digitalen Märkten wichtig sind.

  14. 14.

    Erläutern Sie ein Beispiel für einen Lock-in-Effekt.

  15. 15.

    Warum wirkt der Winner-takes-it-all-Effekt auf digitalen Märkten stärker als auf traditionellen Märkten?

  16. 16.

    Was sind die Herausforderungen auf mehrseitigen Märkten? a) Nennen Sie jeweils ein Beispiel. b) Versetzen Sie sich in das Unternehmen Lieferando und argumentieren Sie, welche Marktseite Sie zuerst aufbauen würden.