Digitale Produkte und Dienstleistungen spielen eine immer zentralere Rolle im Leben der Verbraucher:innen. So haben mobile Geräte mit Internetzugang Einzug in fast alle Lebensbereiche gehalten. Apps verwalten unsere Finanzen, dienen zur Kommunikation mit dem:der Ärzt:in, schließen die Haustüre auf und zu oder messen, wie viele Schritte wir am Tag gelaufen sind. In bestimmten Produktsegmenten wird es immer schwieriger, ein Gerät zu finden, das nicht auf irgendeine Art und Weise „smart“ und mit Internetzugang verbunden ist. Auch die Übertragung und die Art und Weise des Medienkonsums haben sich geändert. Statt linearem Fernsehen und der Plattensammlung im Regal werden Filme und Musik heute per Internet als Stream konsumiert. Durch die dabei anfallenden Daten werden neue Geschäftsmodelle möglich, die auf Analysen und Empfehlungsalgorithmen basieren und häufig werbefinanziert werden – mit Folgen für die Souveränität der Verbraucher:innen sowie für ihre Privatsphäre und Sicherheit. Nicht zuletzt haben die Nutzung und Funktionsweise digitaler Dienste auch Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft, wie aktuelle Debatten rund um Fake News und die Rolle digitaler Tools für die „Große Transformation“ illustrieren (Göpel 2016).

Die Verbraucherinformatik ist ein Forschungsthema, das sich mit der Anwendung von Informationstechnologie im Alltag der Verbraucher:innen beschäftigt (Stevens et al. 2019). Sie umfasst die Bereiche des Konsums in seinen mannigfaltigen Formen sowie der Hausarbeit und das Agieren der Verbraucher:innen auf digitalen Märkten. Mit dem Aufkommen neuer Technologien und der fortschreitenden Digitalisierung spielt die Verbraucherinformatik eine immer größere Rolle im alltäglichen Leben der Menschen. Ziel dieses Lehrbuchs ist es, diese Veränderungen, die sich aus der Digitalisierung des Konsums für die Verbraucher:innen ergeben, systematisch aufzuarbeiten, aktuelle Forschungsansätze und Theorien darzustellen und an Anwendungsbeispielen zu illustrieren. Es richtet sich vor allem an Studierende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie der angewandten Informatik und will einen Überblick über relevante wissenschaftlichen Theorien, Methoden und Anwendungsfelder vermitteln.

1.1 Lernziele und didaktisches Konzept

Die Kapitel des Buches sind jeweils so aufgebaut, dass sie aus sich heraus verständlich sind und kein spezielles Vorwissen zum Verständnis erfordern. Hintergründe wie die historische Entwicklung oder Ethik werden dabei kurz eingeführt, um als Basis für die Auseinandersetzung mit dem Kernthema „digitaler Konsum“ zu dienen. Jedes Kapitel enthält Textboxen mit vertiefenden Praxisbeispielen und Fragen zur Selbstreflexion des Gelernten und schließt mit Übungen zur Wiederholung und Selbstkontrolle des Inhalts der einzelnen Kapitel ab.

Das Buch ist wie folgt aufgebaut:

Kap. 1 bietet nach einer kurzen thematischen Einleitung und Einordnung der Verbraucherinformatik zunächst eine Übersicht über die historische Entwicklung des (digitalen) Konsums. Dabei sollen zum einen zentrale Grundbegriffe und Themen vermittelt werden; zum anderen soll den Leser:innen ein Überblick über das von der Verbraucherinformatik besonders in den Blick genommene Phänomen des digitalen Konsums gegeben werden.

Kap. 2 widmet sich den theoretischen Grundlagen der Verbraucherinformatik mit einem Fokus auf verschiedenen Konsumtheorien. Dabei werden anhand von Beispielen aus dem Feld der Digitalisierung verschiedene Sichtweisen aus den Wirtschaftswissenschaften, der Psychologie und den Sozialwissenschaften vermittelt und deren jeweilige Stärken und Grenzen diskutiert. Dabei werden auch Aspekte der Consumer Culture im Rahmen der Digitalisierung des Privaten angerissen.

Kap. 3 widmet sich der Digitalisierung der Haushalte und Märkte aus einer vornehmlich wirtschaftsinformatischen Perspektive. Dabei werden Effekte und Phänomene diskutiert, die sich aus der Digitalisierung des Konsums für die Beziehungen zwischen Anbieter:innen und Kund:innen ergeben. Ein besonderer Fokus liegt hier auf dem Themenbereich der digitalen Hauswirtschaft, also den Praktiken von Verbraucher:innen bei der Verwaltung ihrer Haushalte.

Kap. 4 greift die in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Themen und Effekte auf und analysiert diese unter dem Thema des Verbraucherschutzes, vor allem in Bezug auf IT-Sicherheit und Schutz der Privatsphäre. Dabei gibt das Kapitel einen Überblick über die Herausforderungen von Verbraucher:innen beim Schutz ihrer Daten und der Vermeidung von Online-Betrug und stellt Ansätze vor, wie diese besser dabei unterstützt werden können.

Kap. 5 beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Aspekten der Digitalisierung, vor allem Fragen der Fairness und Nachhaltigkeit von digitalen Produkten und Dienstleistungen. Neben einer grundsätzlichen Einführung in ethische Fragen und Konzepte im Zusammenhang der Verbraucherinformatik werden hier vor allem auch praktische Ansätze zur Behandlung ethischer Fragestellungen im Rahmen der Bewertung und Gestaltung behandelt sowie die Sharing Economy als besonders hervorstechendes Nachhaltigkeitsthema diskutiert.

Kap. 6 schließlich gibt eine Einführung in Ansätze der Gestaltung digitaler Systeme und geht der Frage nach, wie Konsument:innen sinnvoll in die Entwicklung neuer Lösungen mit einbezogen werden können. Dabei werden neben allgemeinen Ansätzen aus dem Design auch spezielle, für die Verbraucherinformatik besonders wichtige Ansätze der partizipativen Gestaltung behandelt. Zur Illustration werden dazu zwei Fallstudien aus der Verbraucherinformatik tiefergehend vorgestellt.

Lernziele

Im Rahmen dieses Kapitels werden Ihnen folgende Inhalte vermittelt:

  • Sie erhalten einen Einblick in die neue Disziplin der Verbraucherinformatik und lernen zentrale Begriffe und Konzepte kennen.

  • Zudem erhalten sie einen Überblick über die Entwicklung des digitalen Konsums sowie die Auswirkungen auf die Verbraucher:innen.

1.2 Thematische Einordnung

Trotz der vielseitigen Veränderungen, Potenziale und Gefahren der Digitalisierung im Privatbereich ist das Thema „digitaler Konsum“ bisher nur wenig systematisch erforscht worden. Insbesondere die Fragen nach den Auswirkungen und Bedingungen digitaler Konsumpraktiken, also der routinisierten Handlungsweisen von Konsument:innen im Umgang mit digitalen Produkten einschließlich ihrer sozialen und individuellen Bedeutungen, benötigter Kompetenzen sowie technischer und ökonomischer Bedingungen (und Gefahren), sind bisher nur fragmentarisch untersucht worden (Stevens et al. 2019). Hier hat sich die Verbraucherinformatik in den letzten Jahren als Begriff für eine neue Forschungsdisziplin an der Schnittstelle zwischen (Wirtschafts-)Informatik und Verbraucherwissenschaften etabliert. Sie versteht sich als „die systematische, methodisch geleitete Untersuchung und Gestaltung von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Unterstützung der Haushaltsökonomien und Alltagspraktiken von Verbraucher:innen sowie deren Aneignung und sozialer Einbettung“ (Stevens et al. 2019). Dabei werden Konzepte und Theorien der Informatik mit Ansätzen der Verbraucherwissenschaften kombiniert, um die Lebenswelten von Verbraucher:innen vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung des Privaten zu untersuchen.

Zwar beschäftigt sich eine Vielzahl von Forschungsdisziplinen bereits mit Fragen zur Auswirkung und Gestaltung von digitalen Produkten und Märkten, es fehlt aber bisher an einer systematischen Erforschung von computerunterstützten Praktiken im privaten Kontext. So betrachtet die Wirtschaftsinformatik beispielsweise Verbraucher:innen durchaus in der Rolle des Kunden von Unternehmen, die mit verschiedenen Unternehmens-IT-Systemen wie eCommerce-Systemen (Chaffey 2007), Customer-Relationship-Management (Chen und Popovich 2003) und Produktinformationssystemen (Schoenheit 2004) interagieren. Durch den Fokus auf die Unternehmen bleibt die Erfassung der Verbraucher:innen jedoch fragmentiert. Im Zentrum steht der Kaufakt, bei dem Alltagspraktiken von Verbraucher:innen nur dann relevant sind, wenn sie direkt oder indirekt mit dem Kaufakt verbunden sind. Zudem blendet der Blick auf die Nutzung von Systemen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der Konsument:innen aus. Dadurch entstehen bei der Gestaltung der Digitalisierung des Privaten notwendigerweise Medienbrüche und Fragmentierungen, die immer wieder zu Problemen führen können (Stevens et al. 2019). Ferner werden Fragen des digitalen Verbraucherschutzes nicht oder nur marginalisiert behandelt. Die Erkenntnisse der Verbraucherinformatik können somit die unternehmensfokussierte Perspektive der Wirtschaftsinformatik dahingehend erweitern, dass bei der Entwicklung und Gestaltung digitaler bzw. digital gestützter Produkte und Prozesse die beteiligten menschlichen Individuen ganzheitlich betrachtet und nicht primär auf ihre Rollen als Mitarbeitende oder Kund:innen reduziert werden.

Im Forschungsfeld der Human-Computer-Interaktion (HCI) werden Verbraucher:innen dagegen vor allem in ihrer Rolle als Endnutzer von Computeranwendungen, Software, Websites, mobilen Apps und anderen digitalen Produkten oder Dienstleistungen thematisiert (Buxton 2007). Hierbei stehen der Nutzungskontext und die Gestaltung des Nutzungserleben im Vordergrund. Die Methoden der nutzerzentrierten Entwicklung hat dabei viele Erkenntnisse der HCI-Forschung aufgegriffen, um digitale Systeme so zu gestalten, dass sie effizient und angenehm für die Verbraucher sind sowie ein positives Nutzungserlebnis bieten (Norman 2013). In weiten Teilen der HCI-Forschung wird der marktwirtschaftliche Kontext und sein Einfluss auf die Produktgestaltung und Konsumpraktiken jedoch ausgeblendet. Die Verbraucherinformatik erweitert die Perspektive der HCI-Forschung, indem sie den Einfluss von Märkten und wirtschaftlichen Faktoren auf die Gestaltung von Produkten und Benutzeroberflächen berücksichtigt. So dient z. B. die Gestaltung von Empfehlungssystemen nicht allein dem Bedürfnis des Nutzers, möglichst effizient Informationen und Produkte zu finden, sondern auch dazu, die Nutzungsdauer zu erhöhen, um auf diese Weise mehr und effizienter Werbung zu schalten.

Die Verbraucherforschung (Kenning et al. 2017) sowie die Sozial- und Kulturwissenschaften (Hirschfelder et al. 2015; König 2008; Lamla 2010) beschäftigen sich dagegen mit der Lebenswirklichkeit und Alltagspraxis von Konsument:innen, auch im Zusammenhang mit der Rolle der Technik. Hier werden digitale Produkte und Dienstleistungen sehr umfassend auf ihre gesellschaftlichen Folgen erforscht (Koch 2015; Hengartner 2012). Die Verbraucherwissenschaften haben ihre Wurzeln in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, darunter Wirtschaft, Psychologie, Soziologie, Marketing und Anthropologie. Die gestaltungsorientierte Auseinandersetzung mit Digitalisierung stellt demgegenüber für die Verbraucherforschung ein neues Feld dar. Bedingt durch ihre Ursprünge werden die Effekte und Auswirkungen der Digitalisierung auf das Verbraucherverhalten analysiert, aber meist nicht als zu gestaltender Gegenstand verstanden. In dieser Hinsicht ergänzt die Verbraucherinformatik die existierenden verbraucherwissenschaftlichen Ansätze, indem sie sich auch als eine Gestaltungswissenschaft versteht, die von der Wirtschaftsinformatik und der HCI gleichermaßen beeinflusst ist (Stevens et al. 2019).

Aus den genannten Bezügen zu bestehenden Forschungsrichtungen wird deutlich, dass die Verbraucherinformatik kein originär neues Feld darstellt. Sie zeichnet sich innerhalb der Informatik jedoch dadurch aus, dass sie einen konsequenten Perspektivwechsel vollzieht und die Verbraucher:innen bzw. die Haushalte in das Zentrum ihres Erkenntnis- und Gestaltungsinteresses stellt. Diese werden nicht vornehmlich als Kund:innen von Unternehmen oder als Nutzer:innen von digitalen Produkten verstanden, sondern vor dem Hintergrund ihrer (individuellen und kollektiven) Lebenswelten analysiert. Sie greift damit die interdisziplinäre und umfassende Vorgehensweise der Verbraucherforschung auf (Hagen et al. 2011; Kenning et al. 2017; Nessel et al. 2018) und erweitert diese durch eine systematische Analyse und Gestaltung der digitalen Systeme in Privathaushalten und des digitalen Konsums.

Neben verschiedenen Anwendungsfeldern, bei denen Digitalisierung eine besondere Rolle in der Lebenswelt der Verbraucher:innen spielt – hier sind vor allem Wohnung und Haushalt, Mobilität, Ernährung/Gesundheit und Finanzen/Haushalt zu nennen –, sind in der Verbraucherinformatik vor allem zwei Querschnittsfelder bedeutsam: zum einen die Frage nach der digitalen Souveränität von Verbraucher:innen vor dem Hintergrund der Digitalisierung sowie entsprechenden Fragen des Verbraucherschutzes, und zum anderen das Thema Nachhaltigkeit in all seinen komplexen Fragestellungen in Bezug auf die Bedingungen, Folgen, und Möglichkeiten für die anstehenden Herausforderungen der großen Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft (siehe Abb. 1.1). Die technischen Grundlagen, deren Entwicklung in diesem Kapitel nur kurz skizziert werden soll, sowie die Konsumtheorien, die in den nachfolgenden Abschnitten vorgestellt werden, dienen dabei zur Fundierung des Fachs.

Abb. 1.1
figure 1

Überblick über Anwendungsfelder und Querschnittsthemen der Verbraucherinformatik

1.3 Historische Entwicklung

Der Konsum ist so alt wie die Menschheitsgeschichte. Die maßgeblichen Anfänge finden sich schon in der Etablierung des Ackerbaus und der Viehzucht sowie der darauf einsetzenden Vermögensbildung, des Handels und der zunehmend ausgeprägten Arbeitsteilungen und Ausbildung von Rechtssystemen (Reichholf 2010).

Der:Die moderne Verbraucher:in in der heutigen Form existiert aber erst durch die arbeitsteilig verfasste Industrie- und Konsumgesellschaft im Zuge der Ausdifferenzierung des modernen Wirtschaftssystems (König 2008), bei der Produktion, Distribution und Konsumption zunehmend eigenständige Bereiche darstellen. Diese Ausdifferenzierung zeigt sich u. a. auch in der Definition von Verbraucher:in im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), wo er:sie als ein Rechtssubjekt mit spezifischen Rechten und Pflichten aufgefasst wird:

„Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.“ (BGB, § 13)

Die Ausdifferenzierung hat durch die industrielle Revolution einen großen Schub erfahren und fand ihren Höhepunkt im Taylorismus bzw. Fordismus, bei dem Fabrikarbeitende nur noch einzelne eng umrissene Tätigkeiten ausübten (Kieser 1993). In der vorindustriellen Zeit wurde dagegen noch ein Großteil der Waren im eigenen Heim produziert (Dean et al. 2004). Zwar waren diese produzierten Teile meist für den kommerziellen Verkauf bestimmt, aber die Gegenstände wurden auch zur eigenen Verwendung hergestellt. Zudem gab es durch die starke Überlagerung von Wohnen und Arbeiten keine so deutliche Ausdifferenzierung zwischen Arbeit und Privatheit (Ariès et al. 1991). In den arbeitsteilig agierenden Gesellschaften sinkt dagegen der Grad der Autarkie heimischer Gemeinschaften, auch wenn deren produktiver Charakter nie vollständig verschwunden ist und im 21. Jahrhundert gerade durch das sogenannte ProsumingFootnote 1 eine Renaissance erlebt (Hellmann 2010).

Der:Die moderne Verbraucher:in ist in vielerlei Hinsicht mit dem:der modernen Arbeiter:in entstanden. So hat zum Beispiel die Logik des rationalen Wirtschaftens der Fabrikarbeit (Taylor 2004) unter dem „Leitgedanken einer rationalen Wirtschaftsgestaltung“ auch Eingang in die Hauswirtschaft gefunden, bei der Hausarbeit zum Objekt der systematischen Prozess- und Arbeitsplatzoptimierung gemacht wurde (Rutherford 2010). Ein prominentes und gut dokumentiertes Beispiel hierfür stellt z. B. die Frankfurter Küche dar, bei der versucht wurde, die Küche als „Werkstatt der Hausfrau“ nach ergonomisch-arbeitswissenschaftlichen Kriterien zu gestalten (Kuhn 1998). Doch im Gegensatz zur Fabrikarbeit ist die Hausarbeit in höherem Maße selbstbestimmt und weit weniger durch formale Regelungen wie Tarifverträge, Arbeitsschutzgesetze, Zielvereinbarungen etc. festgelegt.

Durch die starke Trennung von Berufs- und Privatleben zeichnete sich das eigene Heim zunehmend durch seine Funktion aus, die bei der Lohnarbeit verausgabte Arbeitskraft zu regenerieren. Der private Konsum wurde hierbei maßgeblich hinsichtlich der Befriedigung physiologischer Elementarbedürfnisse wie Nahrung, Schlaf, Wärme etc. verstanden (Eder 2006). Mit Einsetzen der Massenkonsum- und Überflussgesellschaft in den westlichen Nationen haben sich zuvor elitäre Konsumpraktiken in der Breite etabliert, wobei gleichzeitig Fragen der Freizeitgestaltung, der Mode und des Stils in den Vordergrund rückten (Bocock 2008). Diese Praktiken zielen dabei nicht mehr auf die Elementarbedürfnisse ab. Vielmehr erfüllen sie eine Reihe sozialpsychologischer Funktionen und werden durch diese geprägt. In diesem Zusammenhang spricht Bocock (2008) auch vom symbolischen Konsum, also dem Bewusstsein für Stil und dem Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

Das moderne Wirtschaftsleben hat jedoch nicht nur Konsummuster verändert, es verlangt den Verbraucher:innen auch neue Kompetenzen ab, wie z. B. sich effizient über den Markt zu informieren, Preise auszuhandeln, Waren günstig einzukaufen und Vertrauensnetzwerke aufzubauen und zu pflegen (Friederici 2002). In Anerkennung dieser Tatsache tritt beim neuen Leitbild der mündigen Verbraucher:in (Strünck 2011) deshalb auch das Informiertsein als eigenständige Kompetenz dem handwerklichen Können gegenüber. Aufgrund mannigfaltiger Informationsasymmetrien sind die Verbraucher:innen gegenüber Hersteller:innen bzw. Händler:innen jedoch meist in einer schwächeren Position, woraus sich auch ein besonderer Schutzbedarf ableitet, der seinen Niederschlag in diversen Verbraucherschutzgesetzen und Verbraucherinformationsverordnungen findet. Diese Themen werden auch ausführlich in Kap. 3 behandelt.

1.4 Digitale Transformation von Konsumpraktiken

Auch wenn das Forschungsfeld der Verbraucherinformatik neu ist, besitzt der Forschungsgegenstand – die Digitalisierung von Konsumpraktiken – eine lange Historie (siehe Abb. 1.2). Sie hängt stark mit technischen Entwicklungen zusammen, lässt sich jedoch nicht darauf reduzieren. Vielmehr kann man von einer nicht-linearen Co-Evolution von Mensch, Technik und Gesellschaft sprechen. Im Folgenden sollen daher anhand von ausgewählten Beispielen die historischen Entwicklungen des Forschungsgegenstands der Verbraucherinformatik nachgezeichnet werden.

Abb. 1.2
figure 2

Ein grober Überblick über zentrale Eckpunkte der Digitalisierung des Konsums

Für die Verbraucherinformatik sind insbesondere die Entwicklung und die Aneignung digitaler Produkte und Dienstleistungen durch die Verbraucher:innen bedeutsam. Hierbei lassen sich verschiedene, sich gegenseitig beeinflussende Stränge erkennen, die im Folgenden umrissen werden sollen. Dabei fokussieren wir auf grobe Entwicklungsmuster und erheben keinen Anspruch auf historische Vollständigkeit.

Digitaler Konsum

Unter Digitalisierung des Konsums wird im Allgemeinen das Nutzen von digital vermittelten Gütern oder Dienstleistungen verstanden. Der Begriff der Digitalisierung subsumiert dabei alle Formen technisch vernetzter digitaler Kommunikation.

Ein Beispiel für die Veränderungen, die sich im Rahmen der Digitalisierung von Gütern und Diensten in Bezug auf den Konsum abzeichnen, ist die heute gängige Nutzung von Streaming-Diensten für Musik. Einen Zwischenschritt für die Digitalisierung des Dreiklangs Produktion-Distribution-Konsumption stellt hier die Compact Disc (CD) dar, bei der Musik zwar digital, aber auf physischen Datenträgern vertrieben wurde (Bender 2022).

Übung:

  • Reflektieren Sie, wie sich die Art ihres Musikhörens in den letzten 30 Jahren verändert hat.

  • Wie wirkt sich die Digitalisierung im Bereich Musik auf technische Entwicklungen, rechtliche Normen und Konsumpraktiken aus?

  • Welche anderen privaten Lebensbereiche sind von der Digitalisierung betroffen?

Die folgenden Unterkapitel zeichnen die Evolution der Digitalisierung des Konsums anhand der zeitlichen Entwicklung nach. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind die Abschnitte jedoch auch thematisch fokussiert.

1.4.1 Digitale Consumer Electronics: Apple, Atari und die Medienkonvergenz

Einen wesentlichen Einfluss auf den digitalen Konsum hatte die Entwicklung des PCs, bei der Universalrechner zur Nutzung durch Einzelpersonen angepasst wurden. Während in der Arbeitswelt zunächst Großrechner im Mittelpunkt standen, ermöglichte die zunehmende Miniaturisierung seit den späten 1970ern auch die Nutzung als Heimcomputer (Abbate 1999). Zu den ersten Computern für den Verbrauchermarkt gehörten der Apple II sowie der Commodore PET (Tomczyk 1984). In Europa war vor allem der Commodore C64 verbreitet, der seit 1983 als Spiele- und Lerngerät vor allem für Schulkinder beworben wurde (Bagnall und Kretzinger 2010). Mit der Entwicklung des IBM-PCs in den 1980er-Jahren sowie vor allem günstiger IBM-kompatibler „Klone“ setzten sich diese in den 1990ern als „Multimedia-PCs“ auch in Haushalten durch (Ng 2012).

Daneben ist der Bereich der Unterhaltungselektronik (engl. „consumer electronics“) für die Verbraucherinformatik bedeutsam. Analoge Geräte wie Radio und Fernseher sowie Ton- und Bildaufnahmegeräte gehörten seit den 1970er-Jahren immer mehr zur Standardausstattung von Privathaushalten und werden seit den 1990ern zunehmend digitalisiert, z. B. durch die Einführung von digitalen Speichermedien sowie digitale Rundfunk- und Fernsehübertragung (Chandler 2005).

Computerspiele haben sich spätestens in dieser Zeit als breitenwirksames Unterhaltungsgenre etabliert (Ng 2012). Dies umfasst PC-Spiele wie Solitär, das ab der dritten Version von Microsoft Windows standardmäßig auf dem Betriebssystem installiert war. Ein anderes Beispiel stellt der Flugsimulator dar, der ursprünglich in den 1980er-Jahren für den Apple II entwickelt, später von Microsoft gekauft und bis heute weiterentwickelt wurde. Darüber hinaus spielen Spielekonsolen eine wichtige Rolle, wie etwa das Atari Video Computer System, das seit den späten 1970ern angeboten wurde (Tomczyk 1984). Laut Umfragen betrug im Jahr 2021 der Umsatz der Gaming-Branche 9,8 Mrd. EURFootnote 2; ferner gaben 50 % aller Deutschen ab 16 Jahren an, zumindest gelegentlich Computerspiele zu spielen.Footnote 3 Neben Spielen setzten sich in dieser Zeit auch zunehmend erste Formen von Anwendungssoftware wie Text-, Tabellen- sowie Grafikverarbeitung auch im privaten Bereich durch (Abbate 1999).

1.4.2 Das Internet als kommerzielle Plattform

Das Internet wurde in den 1960er-Jahren vom amerikanischen Verteidigungsministerium initiiert, um ein weltumspannendes, ausfallsicheres Computernetz zu etablieren (Leiner et al. 2009). Dieser Ursprung zeigt sich heute noch in der dezentralen Architektur des Internets, die einen weltweiten Ausfall des Internets unwahrscheinlich macht.Footnote 4

Mit dem Internet wurde zugleich die Hoffnung einer egalitären, nicht-kommerziellen Gemeinschaft verbunden (Snellen et al. 2012). Diese findet sich zum Beispiel heute noch in der Forderung nach Netzneutralität wieder (Ufer 2010). Parallel dazu fand die Kommerzialisierung des Internets statt. Die Verbreitung von privaten Internetzugängen sowie die zunehmende Multimedia-Fähigkeit von Computern bzw. die Digitalisierung von Haushaltsgeräten bildeten die technische Grundlage für neue Geschäftsmodelle und die Etablierung neuer Konsumformen (Ng 2012). Heute ist das Internet, bis auf wenige Ausnahmen vor allem im globalen Süden, weltweit etabliert (siehe Abb. 1.3).

Abb. 1.3
figure 3

Anzahl der Internetnutzer pro Land im Jahr 2017, Abbildung by Our World In Data is licensed under CC BY 3.0 (https://openverse.org/image/a545973f-bd90-45b8-9998-faf741d6601d)

Die Notwendigkeit, sich in einem zunehmenden Angebot von Webseiten zu orientieren, führte dabei zur Entwicklung von zunächst Webverzeichnissen und -Katalogen wie Lycos, die jedoch schnell von Suchmaschinen wie Yahoo und Google abgelöst wurden (Van Couvering 2008). Diese Dienste wurden den Nutzenden kostenlos zur Verfügung gestellt und durch das Einblenden von Werbung querfinanziert. Im Verlauf der 1990er-Jahre und insbesondere seit den 2000ern entwickelte sich das Internet bzw. das World Wide Web dabei zunehmend zu einem Massenprodukt, das immer mehr auch in privaten Kontexten genutzt wurde (Cohen-Almagor 2013). Besondere Treiber waren hier der starke Verfall der Speicherkosten sowie der Ausbau der Netzkapazitäten. Die Einführung von DSL-Anschlüssen mit entsprechenden Flatrate-Angeboten boten gegenüber den vorher gängigen analogen und digitalen ISDN-Anschlüssen höhere und für die Konsument:innen erschwingliche Übertragungsraten. Hierdurch wurden neue, internetbasierte Multimedia-Anwendungen möglich, die die Grundlage der heutigen Audio- und Video-Streaming-Angebote darstellten und zunehmend die Verlagerung von digitalen Diensten wie z. B. Telefonie per Voice-over-IP begünstigten (Mack 2020).

Da die ersten Webangebote in der Regel kostenlos waren, entwickelten sich in dieser Zeit auch die ersten Ansätze einer sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie, bei der finanzielle Einnahmen durch das Anzeigen von Werbung und damit indirekt durch das Sammeln von „Klicks“ auf Werbebanner und Links erzeugt wurden. Im Kern geht es dabei um die Frage nach dem Umgang mit der (limitierten) Aufmerksamkeit der Nutzenden aus einer ökonomischen Wertschöpfungslogik (Pscheida 2017).

Im Weiteren trat die Sammlung von Nutzerdaten hinzu, um Webangebote zu personalisieren und damit effektiver zu gestalten. Diese führte zu immer mehr personalisierten und leicht zugänglichen Informationsangeboten (Franck 1998). In der Folge wich der Schwerpunkt von der Aufmerksamkeitsökonomie hin zu Datenökonomien und deren wissenschaftlicher Untersuchung (Zuboff 2018).

1.4.3 eCommerce und die Distribution digitaler Güter

Mit der Entwicklung der Computer entstanden immer mehr auch digitale Güter wie zunächst vor allem Software oder später digital-gespeicherte Musik oder Filme (für eine genauere Erläuterung siehe Kap. 3). Anfänglich etablierte sich die Distribution digitaler Güter für Privatpersonen über den Buchhandel, die in Form von Software auf Diskette oder als Listing in Zeitschriften zum Selberabtippen angeboten wurden. Parallel wurden sie über Spezialgeschäfte und Versandhandel vertrieben. Daneben wurden Software und später auch digitalisierte Musik und Filme bereits frühzeitig über digitale Netze und ein elektronisches schwarzes Brett (engl. „bulletin board system, siehe Abb. 1.4) verfügbar (Rafaeli 1984). Andere Verbreitungswege waren das Übertragen von digitalen Daten per CD-Beilagen von Zeitschriften, per Modems über analoge Telefonnetze bzw. vor allem auch das (illegale) Tauschen von Disketten in Form sogenannter Raubkopien, aber auch legaler Tauschformate wie z. B. Shareware. Um der Verbreitung illegaler Kopien entgegenzuwirken, setzten die Hersteller vermehrt auf Kopierschutzmaßnahmen wie das Digital Rights Management (DRM), um deren Umgehung sich wiederum eine regelrechte Cracker-Szene entwickelte (d. h. Menschen, die solche Kopierschutzmaßnahmen aushebeln) (Levy 1994). Heutzutage findet die Distribution digitaler Medien vorwiegend über das Internet statt.

Abb. 1.4
figure 4

Konzeptionelle Darstellung von einem Bulletin Board System aus den 1990er-Jahren (links), einer moderneren Social Web Site (Mitte) und einer mobilen Webanwendung (rechts, eigene Abbildung)

Im Zuge der genannten Entwicklungen verbreiteten sich auch zunehmend weitere Formen des digitalen Konsums in Form von eCommerce-Anwendungen (Ariguzo et al. 2006). So wurden bereits früh digitale Formen von Kleinanzeigen eingerichtet, die den klassischen gedruckten Kleinanzeigen in Zeitschriften Konkurrenz machten. Auch professionelle Angebote zum Kauf- und Verkauf von Konsumgütern verbreiteten sich schnell, etwa in Form von eBay und Amazon. Spielten hier zunächst Güter wie Bücher eine starke Rolle, so weitete sich der Onlinehandel schnell auch auf weitere, gut im Versandhandel anzubietende Produkte wie Unterhaltungselektronik, Kosmetika, Kleidung, Schuhe usw. aus (Ahuja et al. 2003). Mittlerweile werden sogar Möbel und frische Lebensmittel online angeboten und immer stärker auch nachgefragt – ein Trend, der sich vor allem durch die COVID-19-Pandemie seit dem Jahr 2020 noch verstärkte (Nicewicz und Bilska 2021).

Auch digitale Güter verbreiteten sich schnell, zunächst vor allem in Form von Musik, ermöglicht durch die Erfindung der MP3-Kompression. Hier entwickelten sich auch neue Formen von digitalen Peer-to-Peer-Märkten, wie etwa über die Plattform Napster bzw. später BitTorrent und PirateBay (Schwarz 2013). Durch die steigenden Bandbreiten bei den Internetanschlüssen sowie immer bessere Kompressionsverfahren auch für Videodaten wurden dabei neben Musik immer mehr auch andere Medien wie vor allem Filme und Computerspiele geteilt. Trotz intensiver Bemühungen, der Verbreitung von unlizenzierten Inhalten rechtlich entgegenzuwirken, dauerte es bis in die späten 2000er-Jahre, bis sich kommerzielle Angebote für den Kauf digitaler Medien als Download bzw. per Streaming durchsetzen konnten (Spilker und Colbjørnsen 2020). Wichtige Meilensteine waren hier die Angebote von Apples iTunes für Downloads sowie von Spotify für Musikstreaming, Netflix für Filme und Serien sowie die Plattform Steam für Computerspiele.

Binge Watching

Mit der Digitalisierung des Medienkonsums gehen auch Veränderungen des Nutzungsverhaltens von Konsument:innen einher.

Ein Beispiel dafür ist das Phänomen des „Binge Watching“, bei dem Konsument:innen mehrere Folgen einer Serie am Stück anschauen. Diese Form des Medienkonsums wird vor allem durch Video-Streaming-Dienste begünstigt, da hier im Gegensatz zum klassischen Fernsehen die Zuschauer:innen selbst ihr Programm gestalten können und nicht an die Sendepläne der Medienanbieter gebunden sind (Shim und Kim 2018).

Hierbei handelt es sich um ein nicht intendiertes Phänomen, das aber von der Medienbranche aufgegriffen wurde und in die Gestaltung der Medienangebote einfließt.

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie, welche Folgen das „Binge Watching“ für die Verbraucher:innen haben könnte.

  • Sind diese Effekte immer positiv?

  • Welche weiteren neuen Konsumpraktiken entwickeln sich im Zuge der Digitalisierung, z. B. durch die Verbreitung von Smartphones?

Neben den Schwierigkeiten, die Inhalte per DRM gegen das Weiterverbreiten abzusichern, stand der Akzeptanz solcher Angebote lange Zeit auch das Fehlen von komfortablen und sicheren Bezahlmöglichkeiten im Internet entgegen. Dies änderte sich mit der Popularisierung von Bezahldiensten wie z. B. PayPal, das vor allem durch dessen Übernahme durch eBay und die damit einhergehende Integration in die Auktionsplattform seit Mitte der 2000er-Jahre zunehmend an Popularität gewann (Soni 2022).

Neben Innovationen hinsichtlich digitaler Bezahldienste oder Online-Banking digitalisieren sich mittlerweile zunehmend auch die Hauswirtschaft und die private Haushaltsführung (Dethier et al. 2022). Bisher papierbasiert geführte Haushaltsbücher oder Terminkalender formieren sich im Outlook-Kalender, Kommunikation verlagert sich auf elektronische Wege (bspw. E-Mail), und es entsteht Software für spezielle Haushaltsaufgaben. Bereits im Jahr 1996 begann das Projekt ELSTER für eine elektronische Steuererklärung. Erste Software-Clients für Anwender entstanden im darauffolgenden Jahr, um die eigene Steuererklärung elektronisch zu erstellen. Damals wurden die papierorientierten Formulare zunächst nur als elektronische Repräsentanz ausgefüllt und ausgedruckt. Heute sind Steuer-Apps und Anwendungen mit benutzerfreundlicheren Dialogen ausgestattet, bei denen bestimmte Felder automatisch ausgefüllt und Plausibilitäts-Checks durchgeführt werden sowie kontextualisierte Hilfestellungen angeboten werden.

1.4.4 Das Internet als sozialer Raum

Durch günstiger werdende Speicherkosten wurden neue Geschäftsmodelle möglich, die darauf aufbauen, von Nutzer:innen selbst erstellte Inhalte zu speichern, zu aggregieren und zu verwerten. Dies bildete die technische Grundlage für das sogenannte Social Web. Obwohl die Möglichkeit der Bearbeitung von Webseiten durch die Besucher:innen bereits von Anfang an Prinzip des World Wide Web war (Gillies und Cailliau 2000), setzte sich das Prinzip der nutzergenerierten Inhalte erst in den 2000ern unter dem Schlagwort Web 2.0 durch (O’Reilly 2005). Neben den bereits erwähnten Speicherkosten waren dabei auch Weiterentwicklungen der Web-Technologien zuträglich, wie etwa die Verbreitung von AJAX, XML und HTML5, das dynamischere Webseiten ermöglichte, und die Gestaltung von Webanwendungen, deren Nutzungserlebnisse stärker an Desktop-Applikationen orientiert waren.

Im Zusammenhang mit dem Web 2.0 entwickelte sich eine ganze Reihe von sozialen Webseiten, auf denen Nutzer:innen selbst erstellte Inhalte teilen bzw. mit diesen interagieren konnten. Prominente Beispiele sind neben Wikipedia und YouTube auch frühe Beispiele für soziale Netzwerke wie MySpace oder Facebook. Insgesamt zeichnete sich hier zunehmend die Bedeutung von in der Regel werbefinanzierten Plattformen für das Internet ab, auf denen Nutzer:innen und Unternehmen ihre Inhalte zur Verfügung stellen und mit Konsument:innen in Kontakt treten können (Parameswaran und Whinston 2007). In Bezug auf die soziale Funktion des Webs führten solche Dienste auch dazu, dass vermehrt Interaktionen und Kommunikation zwischen Besuchern einer Webseite ermöglicht wurde. Dies umfasst neben Kommentarfunktionen für Artikel auch den direkten Austausch per integrierten Nachrichtendiensten, Foren oder Chaträumen oder die Verknüpfung von Nutzer:innen per „Following“ oder Freundschaftsanfrage bzw. das Weiterleiten von Inhalten durch „Teilen“ oder die Verknüpfung über RSS Feeds (Horster 2022). Dabei stieg die durchschnittliche Zeit der Nutzungen solcher Medien in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts stark an (siehe Abb. 1.5).

Abb. 1.5
figure 5

Zeit, die Nutzer:innen in den USA auf Social-Media-Seiten verbringen. Beachten Sie vor allem die Zunahme mobiler Nutzungsformen. Lizensiert als CC-BY Our World in Data, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=86931325

Hervorzuheben ist hier, dass das Web 2.0 nicht nur Konsument:innen, sondern auch den Unternehmen neue Kontaktmöglichkeiten eröffnet hat, die sich auch auf das Marketing und die Kundenansprache ausgewirkt haben. Die steigende Bedeutung von nutzergenerierten Inhalten veränderte neben den Marktbedingungen für Anbieter:innen auch deren Verhältnis zu ihren Kund:innen (Clement et al. 2019b). Für den digitalen Konsum bedeutete dies einerseits ein zunehmendes Angebot von zumeist kostenlosen Inhalten; auf der anderen Seite führte diese Entwicklung jedoch auch zu einer starken Zunahme von Daten-Tracking der Konsument:innen mit dem Ziel, individualisierte Werbung anzeigen zu können (Zuboff 2018). Darüber hinaus entwickelten sich in diesem Zusammenhang auch neue Nutzungskulturen und Phänomene, die weiter unten noch unter den Schlagworten Peer-to-Peer bzw. Sharing Economy und Influencer:innen zu besprechen sein werden. Zunächst sollen jedoch die technischen Entwicklungen im mobilen Bereich behandelt werden.

1.4.5 Das mobile Internet und persönliche Assistent:innen

Einen Meilenstein in der Kulturgeschichte mobiler elektronischer Medien bildet der 1979 erschienene Sony Walkman. Dieser wurde sowohl als Ausdruck eines neuen urbanen und individualistischen Lebensgefühls als auch einer Verrohung der Sitten betrachtet, da er erlaubte, sich jederzeit aus der Gemeinschaft auszuklinken und seinen eigenen „Sound“ zu hören (Du Gay et al. 2013).

Während bis in die 2000er-Jahre hinein digitaler Konsum vorwiegend auf dem „Multimedia“-PC stattfand, führte die Entwicklung des iPods im Jahr 2001 sowie insbesondere die Einführung des iPhones im Jahr 2007 dazu, dass sich Konsumenten andere Wege des digitalen Konsums eröffneten. Zwar hatte es bereits in den 1990ern erste Vorläufer in Form von „Personal Digital Assistants“ (PDAs) mit bspw. Windows-CE-Betriebssystem und Stifteingabe gegeben, die jedoch eher als digitales Adressbuch und Kalender genutzt wurden und nur sehr eingeschränkte Web- und Multimediafähigkeiten aufwiesen (Kjeldskov 2014). Auch die bereits seit den 1990ern immer verbreiteteren Mobiltelefone hatten zwar bereits teilweise „Smartphone“-Fähigkeiten, blieben aufgrund der kleinen Bildschirme und unkomfortablen Bedienbarkeit mittels Tasten oder Mini-Tastaturen jedoch auf bestimmte Bereiche wie einfaches Browsen oder E-Mail-Empfang beschränkt (prominente Beispiele sind hier etwa Symbian-OS oder Blackberry).

Dies änderte sich mit der Verbreitung von größeren, Touchscreen-basierten Smartphones und Tablets mit iOS- oder Android-Betriebssystemen, die gezielt auf die Bedienung mit dem Finger optimiert sowie mit WiFi bzw. mobilen Internetverbindungen und vollwertigen Browsern ausgestattet wurden und somit einen mit PCs vergleichbaren Zugriff auf das Internet gestatten. Der Einfluss dieser Hard- und Softwarerevolution auf den Alltag von Konsument:innen dürfte schwer zu überschätzen sei, und wurde in seiner Tragweite beispielsweise mit der Einführung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern im ausgehenden Mittelalter verglichen (Feldman 2002). Auf jeden Fall stellte die Einführung von Smartphones eine Revolution für den digitalen Konsum dar, was sich in einem stetig steigenden Angebot von mit den Smartphones kompatiblen Apps abzeichnete. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang vor allem Location-based Services, also Dienstleistungen die mobil und ortsbezogen angeboten werden können und somit neue Formen des Konsums, aber auch des Nutzertrackings ermöglichen (Junglas und Watson 2008).

Eine weitere wichtige Rolle in diesem Bereich spielen Spielekonsolen, die sich parallel zur Entwicklung des PCs zunehmend in Privathaushalten verbreiteten. Waren frühe Vertreter wie das Atari 2600 sowie das Nintendo Entertainment System (NES) und deren Nachfolger seit den 1970er-/80er-Jahren schon sehr verbreitet, so führte spätestens die Einführung der Sony Playstation Mitte der 1990er-Jahre bzw. der Microsoft Xbox in den frühen 2000ern dazu, dass neben Spielen immer mehr auch andere digitale Inhalte wie Musik und Filme auf solchen Geräten abgespielt werden konnten. Spätestens mit dem Anschluss an das Internet und die damit einhergehende Verfügbarkeit von Streamingdiensten rückten damit diese Geräte immer stärker auch in die Nähe von anderer Wohnzimmer-Unterhaltungselektronik wie DVD-Player und Festplattenrekorder (Wolf 2008). Parallel dazu entwickelten sich auch ein umfangreicher Markt von Handheld-Spielkonsolen sowie ein beständig wachsender Markt für Handyspiele.

1.4.6 Das Internet der Dinge und smarte Geräte

Zeichnete sich die Frühzeit durch Großrechner und Desktop-PCs aus, so wurden durch Miniaturisierung und Preisverfall Computerchips ab den 1990ern immer mehr auch in Alltagsgegenstände eingebaut und diese mit dem Internet vernetzt. Dies wurde einerseits durch die Bluetooth-Technologie ermöglicht, durch die drahtlose Rechner und externe, „smarte“ Komponenten (wie etwa Energie-Sensoren, Thermostate oder Küchengeräte, siehe Abb. 1.6) verbunden werden. Auf kürzere Distanzen konnten mit RFID (Radio-Frequency Identification) massenhaft nicht-digitale Waren und Geräte vernetzt und digital erfasst werden (Nath et al. 2006).

Abb. 1.6
figure 6

Anwendungsbereiche für Home Automation

In der Informatik wurden solche Entwicklungen bereits früh unter Stichworten wie „Ubiquitous Computing“ (Allgegenwärtige Computer) bzw. „Internet of Things“ (Internet der Dinge) diskutiert (Weiser 1991). Hierbei verlagerte sich die Computertechnik durch die zunehmende Verbreitung und auch die mobile Nutzbarkeit immer stärker vom Schreibtisch in den Alltag.

Context Collapse

Menschliche Lebensbereiche werden zunehmend digitalisiert, und digitale Medien durchdringen immer mehr den Alltag. Hierdurch verschwimmen die Grenzen zwischen verschiedenen Nutzungskontexten, was auch als „Context Collapse“ bezeichnet wird (Palen 1999).

Ein Beispiel ist die Tendenz, berufliche und private Kontakte in sozialen Medien und Messenger-Diensten zu vermischen. So ist man auf Facebook nicht nur mit Freund:innen, sondern auch mit Kolleg:innen und dem:der Chef:in vernetzt. Auf dem Smartphone ist z. B. neben Spielen auch die Gesundheits-App der Krankenkasse installiert. Hierdurch wird es für den Einzelnen schwieriger, die verschiedenen Bereiche klar voneinander abzutrennen.

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie, welche Folgen der Context Collapse auf den digitalen Konsum von Verbraucher:innen haben könnte.

  • Welche Kompetenzen benötigen die Verbraucher:innen, um damit selbstbestimmt umzugehen?

  • Was bedeutet es eigentlich unter diesen Bedingungen, „mit einem Computer“ zu interagieren?

Mit der Verbreitung von kostengünstigen Sensoren entstanden auch neue Möglichkeiten, datenbasierte Dienste und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Besonders die Werbebranche hat ein großes Interesse an der Auswertung der Daten, um Einsichten in das Verhalten und die Präferenzen von Kund:innen zu gewinnen (Erevelles et al. 2016). Dies ermöglicht es, individualisierte und damit zielgerichtetere Werbung anzuzeigen, was jedoch mit Blick auf die Implikationen für die Privatsphäre der Nutzer:innen zunehmend kritisch bewertet wird (Bala und Schuldzinski 2016). Denn aufklärende AGBs und Datenschutzhinweise sind häufig schwer verständlich und wenig zugänglich gestaltet. Maßnahmen wie Formulierungen von Zwecken der Datenverarbeitung oder die Erklärung der Verbraucher:innenrechte können ihre eigentliche Schutzfunktion dadurch nicht voll entfalten (Jakobi et al. 2020).

Die breite Verfügbarkeit von Daten sowie auch von Cloud-Diensten, die skalierbare Rechenleistung mit einfachen Programmierschnittstellen zur Verfügung stellen, gab jedoch auch der Entwicklung von Anwendungen auf der Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) einen Schub. Hierbei werden zunehmend Machine-Learning-Verfahren eingesetzt, die Daten automatisiert kategorisieren, Muster erkennen und Vorhersagen treffen (Miklosik und Evans 2020). Auf dieser Basis hat sich eine breite Palette an „KI-basierten“ Anwendungen auch im Konsument:innenbereich entwickelt, wie etwa Sprachassistenten, die Sprache mittels Machine Learning in Text umwandeln und analysieren, um den „Intent“, d. h. die Absicht des Nutzenden, zu identifizieren und entsprechend zu reagieren (Janarthanam 2017). Andere für die Verbraucherinformatik relevante Anwendungsbereiche stellen z. B. die intelligente Heimautomatisierung, eHealth sowie personalisierte Empfehlungssysteme dar. Ein prominentes Beispiel stellt die Empfehlung von Waren, Filmen und Musik auf Basis vergangener Kauf- und Hörgewohnheiten dar (Smith und Linden 2017).

Die entsprechenden Technologien setzen sich im Konsumentenbereich vor allem im Umfeld sogenannter „Smart Home“-Anwendungen durch (Wilson et al. 2015). Beispiele sind hier vor allem intelligente Thermostate und Sensoren für die Heizungssteuerung, Energiemess- und Steuergeräte sowie Anwendungen für das Steuern von Licht. Weitere bedeutsame Entwicklungen sind sogenannte Wearables wie z. B. FitBit-Fitnesstracker, die mittels spezieller Sensoren und Algorithmen bestimmte Funktionen für die Nutzer:innen bereitstellen können und häufig mit dem Smartphone gekoppelt werden.

Seit 2010 fließt die Forschung zum Natural Language Processing (Taulli 2023a) in die Entwicklung von Konsumgütern ein. Mit der Vorstellung des Apple iPhone 4s wurde z. B. auch der Sprachassistent Siri vorgestellt. Es folgten weitere Sprachassistenten wie Amazon Alexa und Google Assistant, die mittels Spracherkennung Konsument:innen bestimmte Dienste und komfortable Bedienung ihres Smart Homes sowie Zugriff auf weitere digitale Services mittels „Skills“ (das Sprachassistentenäquivalent von Apps) ermöglichen. Mit der Veröffentlichung von ChatGPT verändert eine neue Generation von Sprachassistenten auf Basis von Large Language Models (LLM) (Taulli 2023b) die Alltagspraktiken von Verbraucher:innen.

1.4.7 Prosumption, Gig-Worker und Plattformökonomien

Die neuen soziotechnischen Infrastrukturen des Internets, des Web 2.0 und der digitalen Bezahldienste haben zu neuen Möglichkeiten für Privatpersonen geführt, ihre Ressourcen, Güter und Dienstleistung über das Internet anzubieten. Diese aktive Rolle von Verbraucher:innen, nicht nur Kund:innen, sondern auch Anbieter:innen zu sein, wird in der Literatur auch als Prosumption, Peer-to-Peer Economy oder Sharing Economy bezeichnet (Sutherland und Jarrahi 2018). Die gemeinsame Nutzung von Gütern, also kollaborativer Konsum, ist an sich kein neues Phänomen, allerdings haben sich durch die Digitalisierung ganz neue Formen, auch über lokale Gemeinschaften hinweg, ergeben (Wherry und Woodward 2019). Zwar gab es Formen der Prosumption bereits vor der Digitalisierung (z. B. auf Flohmärkten, Autoverleih über schwarze Bretter etc.), jedoch konnten durch die Digitalisierung Transaktionskosten stark gesenkt werden, sodass sich digitale Vermittlungsplattformen wie eBay, Airbnb oder Uber etablieren konnten.

Diese Entwicklungen werden jedoch kontrovers diskutiert. Die Prosumption trägt zur Emanzipierung der Konsument:innen bei, ferner kann das Teilen von Ressourcen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Die Marktmacht und die Netzwerkeffekte von Vermittlungsplattformen werden jedoch auch kritisch bewertet (Bødker et al. 2020), da hierdurch die Vermittler:innen die Regeln sowohl für die privaten Anbieter:innen als auch für die privaten Nutzer:innen weitgehend diktieren können (Clement et al. 2019b).

Die Sharing Economy aus Nachhaltigkeitssicht

Große Anbieter von Sharing-Economy-Dienstleistungen, wie Uber und Airbnb, konkurrieren mit klassischen Dienstleistungsgewerben wie Taxis oder Hotels. Da die neuen Dienste durch Wagniskapital oft billiger angeboten werden können und durch innovative digitale Werkzeuge für Verbraucher:innen zudem komfortabler sind, können so bestehende Strukturen teilweise verdrängt werden.

So wird etwa beklagt, dass Uber die Taxibranche in den USA geschädigt und die Arbeitsbedingungen für Fahrer:innen letztlich verschlechtert und zu mehr Verkehr in den Städten geführt hat (Berger et al. 2018). Andere Effekte betreffen beispielsweise Anbieter wie Airbnb, wo Wohnungsbesitzer:innen ihre privaten Apartments als Ferienwohnungen vermieten, sie so dem in Ballungsräumen oft knappen Wohnraum für Ansässige entziehen und die Mietpreise nach oben treiben (Duso et al. 2020). Dem eigentlich positiven Effekt durch die Digitalisierung ermöglichter flexibler und kostengünstiger Angebote für Konsument:innen stehen so auch negative Auswirkungen gegenüber.

Ein großes Problem ist dabei, dass noch nicht klar ist, ob sich die Sharing-Plattformen auch langfristig profitabel betreiben lassen, wenn das Wagniskapital nicht mehr zur Verfügung steht; wenn die Kosten steigen und sich der Service verschlechtert, könnten langfristig die negativen Effekte überwiegen.

Selbstkontrolle:

  • Reflektieren Sie, welche Interessenkonflikte zwischen Plattformanbietenden und Verbrauchenden, Plattformbetreibenden und Dienstleistenden (den Gig-Workern) auftreten können.

  • Welche neuen Geschäftsmodelle werden für Anbietende durch digitale Plattformen möglich?

  • Welche Gefahren ergeben sich hier für Verbraucher:innen, und wie können Sie unterstützt werden?

Kritiker wie Schor (2021) sprechen deshalb auch von einer Gig Economy, Plattformökonomie oder auch Auftragsarbeit, die nicht auf gemeinwohlorientierter Prosumption, sondern auf einem neuen Arbeitsmodell beruht, das auf kurzfristigen und flexiblen Beschäftigungsverhältnissen basiert. Bei diesen prekären Arbeitsformen kommt es zu einer starken Abhängigkeit und Benachteiligung der Anbieter:innen von Ressourcen, die als Gig-Worker nur schlecht verdienen und wenige Rechte haben, während die Plattformbetreibenden durch die Skaleneffekte eine große Marge einfahren können.

Weitere negative Effekte im Zusammenhang mit der Macht der Plattformen ist die Entstehung eines sogenannten Überwachungskapitalismus (Zuboff 2018), bei dem die Kund:innen digitaler Diensten der Macht und Manipulation durch Plattformbetreibende ausgesetzt werden. So wird Plattformbetreibern unter anderem vorgeworfen, ihre Produkte absichtlich immer weiter zu verschlechtern, um Kosten zu sparen und durch Werbung und gesponsorte Inhalte ihre Profitabilität zu erhöhen. Durch die Abhängigkeiten, die Plattformen erzeugen können, wird es Verbraucher:innen dabei schwer gemacht, den Diensteanbieter zu wechseln (siehe auch Kap. 3).

Insgesamt sind Effekte der Ökonomisierung des privaten Sektors durch die Digitalisierung ambivalent und die Vorteile der Digitalisierung oft nur kurzfristiger Natur, wobei sie langfristig sogar dem Gemeingefüge schaden können (Bala und Schuldzinski 2016). Hierbei ist ein wiederkehrendes Muster der Digitalisierung zu erkennen, bei der neue technische Möglichkeiten zu neuen Konsumpraktiken und Geschäftsmodellen führen, die zum Teil negative Auswirkungen haben. In Reaktion kommt es zu gesellschaftlichen Aushandlungen und rechtlichen Anpassungen, um die negativen Folgen der Digitalisierung einzuhegen.

1.5 Zusammenfassung

Wie das vorangegangene Kapitel gezeigt hat, nehmen digitale Dienste und Güter eine zunehmend zentrale Rolle im Alltag von Verbraucher:innen ein. Spätestens mit dem Erfolg der großen Plattformen wie Facebook, Amazon und Google haben wir es dabei mit einem Massenphänomen zu tun, das in seiner Größe und Relevanz bisherige Konsumgüter weit in den Schatten stellt. Eigentlich müsste man in diesem Sinne von einem „Hypermassenkonsum“ sprechen, da die digitalen Produkte von teilweise Milliarden Nutzer:innen weltweit genutzt werden und der somit klassischen Massenkonsum weit übertrifft.

Hier zeigen sich Effekte des digitalen Konsums, die in Zukunft immer wichtiger werden dürften und daher für die Verbraucherinformatik eine besondere Relevanz als Querschnittsthemen innehaben: Das sind einerseits der digitale Verbraucherschutz (Boden et al. 2021) und andererseits Nachhaltigkeit (Pakusch et al. 2018). So stellt digitale Technik mittlerweile auch einen starken Anreiz für die Übernutzung knapper und wertvoller Ressourcen dar. Beispiele sind etwa der hohe Energiebedarf für das Streaming von Filmen und Musik sowie auch durch Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum, deren Energieverbrauch dem ganzer Staaten entspricht (De Vries 2018). Während die Digitalisierung durchaus einen wichtigen Treiber für gesellschaftliche Transformation darstellt, zeigt sich bei der Diskussion der Sharing Economy, dass solche Lösungen zweischneidig sein können. Dabei erzeugt die Werbefinanzierung durchaus weitere Probleme, da in sozialen Netzen gerade solche Inhalte interessant sind, die besonders kontrovers diskutiert werden und daher eine starke Reichweite erzielen, was angesichts des Diskurses um Fake News, Wissenschaftsskepsis und Wahlbeeinflussung ein großes Problem unserer Zeit darstellt (Zuboff 2018).

In der Geschichte der Angewandten Informatik hat sich mit dem Siegeszug des PCs in den Büros und Firmen in den 1980er- und 1990er-Jahren eine Bewegung herausgearbeitet, die der Macht der Gestaltenden von digitalen Technologien einen demokratischen Gegenpol gegenüberstellt: die sogenannte beteiligungsorientierte Gestaltung, bei der Nutzer:innen in wichtige Designentscheidungen, die ihre eigene Arbeits- und Lebenswelt betreffen, mit einbezogen werden (Ehn 1993; Liegl et al. 2016). Angesichts der zuvor nachgezeichneten Entwicklungen und tiefgreifenden Effekte ist es fraglich, wie solche Ansätze in unserer heutigen Welt tragfähig gemacht werden können (siehe Kap. 5 und 6). Technik wird überwiegend von großen Konzernen entwickelt, bei der Nutzer:innen allenfalls durch das Nicht-Nutzen bzw. die oft unbemerkte Teilnahme an A-/B-Tests in das Design mit einbezogen werden. Angesichts der tiefgehenden Bedeutung der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft ist diese Entwicklung problematisch und stellt auch Herausforderungen für den Verbraucherschutz dar, der Macht der Plattformen und großen Unternehmen etwas entgegenzusetzen (Bannon et al. 2018).

Hier braucht es neben neuen Ansätzen für die Unterstützung von Verbraucher:innen auch strukturelle Ansätze, die sich etwa mit besseren Standards für Technik sowie auch entsprechender Regulierung auseinandersetzen.

1.6 Übungen

  1. 1.

    Erläutern Sie, wie die Industrialisierung zur Herausbildung des modernen Verbrauchers beigetragen hat.

  2. 2.

    Welches sind die wichtigsten Kompetenzen von Verbraucher:innen? Wie haben sich diese ggf. im Laufe der skizzierten Entwicklung verändert?

  3. 3.

    Was sind die wichtigen beiden Querschnittsfelder der Verbraucherinformatik, und wodurch entstehen diese?

  4. 4.

    Welche Wirkung hatte die Entwicklung des Internet of Things auf die Verbreitung von KI-Anwendungen?

  5. 5.

    Warum spielen Plattformen eine zentrale Rolle in der Internet-Ökonomie?

  6. 6.

    Welche Rolle hatte die Erfindung des Smartphones auf den digitalen Konsum? Erläutern Sie diese anhand eines selbst gewählten Beispiels.

  7. 7.

    Was sind die positiven und negativen Sichtweisen auf Prosumption als neue Konsumform?

  8. 8.

    Wie veränderte sich das Internet durch die Entwicklung von AJAX und der Möglichkeit, dort interaktivere Nutzungserlebnisse zu ermöglichen?

  9. 9.

    Wie wurde Software vor der Entwicklung des Internets getauscht und verbreitet? Wie hat sich dies durch die Verbreitung von Plattformen verändert?

  10. 10.

    Welche Rolle spielt Werbefinanzierung für die derzeitige Ausgestaltung des Internets? Was versteht man diesbezüglich unter dem Begriff des Überwachungskapitalismus?