FormalPara Abstract

While the promotion of professional knowledge plays a major role within teacher education, the epistemic aspects of this knowledge have so far been insufficiently addressed. Especially in models such as the Refined Consensus Model of Pedagogical Content Knowledge (RCM) which describes a differentiation of different facets of pedagogical content knowledge, the corresponding epistemic requirements are only insufficiently considered. Specifically, there are no epistemic aspects relating to the pedagogical forms of knowledge, for which a general systematization of epistemic aspects is still missing. The concept of Nature of Science (NOS) could provide an important perspective for this. More specifically, the Family Resemblance Approach (FRA) according to Erduran et al. (2019) could be a useful approach for this, in which a total of eleven categories for characterizing cognitive-epistemic and socio-institutional dimensions of science can be distinguished. The article proposes such a systematization as the nature of science education and discusses it based on three theses. The nature of the science education is related to professional competencies (Thesis 1), since epistemic aspects of pedagogical content knowledge are only inadequately described by NOS. This knowledge of the nature of science has an impact on school practice (Thesis 2) and should be addressed more explicitly in teacher training (Thesis 3). Even if the nature of science education has so far only been postulated theoretically, such a systematization could do better justice to the complexity of science education and should be further considered.

5.1 Einführung

Der Professionalisierung von Lehrkräften kommt eine zentrale Bedeutung in der universitären Lehrkräftebildung zu. Dabei spielen sowohl kognitive als auch affektive Dimensionen eine wichtige Rolle, die in unterschiedlichen Strukturmodellen definiert werden (Harms & Riese, 2018). Während bisher vor allem fachliche, pädagogische oder fachdidaktische Wissensfacetten sowie deren Zusammenspiel untersucht wurden (Großschedl et al., 2015), spielten epistemische Wissensaspekte bisher nur eine untergeordnete Rolle. So sind in Modellen wie dem Refined Consensus Model of Pedagogical Content Knowledge (RCM) zwar neben dem fachdidaktischen Wissen auch das Fachwissen und das pädagogische Wissen berücksichtigt, dabei werden jedoch epistemische Aspekte bisher nicht einbezogen (Carlson et al., 2019). Jedoch ist auch das professionelle Wissen von Lehrkräften mit epistemischen Voraussetzungen verbunden.

So konnten vorherige Studien aufzeigen, dass Lehrkräfte beispielsweise über epistemische Aspekte des Modellierens – einen zentralen Wissensbereich naturwissenschaftlichen Wissens – Kenntnisse benötigen, um professionell Fachwissen in diesem Bereich anwenden zu können (Erduran et al., 2007). Ebenso verhält es sich mit dem fachdidaktischen Wissen: Auch hier sind bestimmte epistemische Aspekte relevant, welche die Tragweite des Wissens und Methoden zu dessen Generierung betreffen. Bisher fehlt jedoch eine Systematisierung dieser epistemologischen Aspekte der Naturwissenschaftsdidaktiken.

Im vorliegenden Beitrag wird eine solche Systematisierung vorgeschlagen, welche auf der Adaptation des Konzeptes der Nature of Science (NOS) beruht. Während in der Vergangenheit in der Forschung zu NOS vor allem konsensbasierte Ansätze weit verbreitet waren, findet im vorliegenden Beitrag der auf Kategorien basierte Ansatz des Family Resemblance Approach (FRA) nach Erduran et al. (2019) Anwendung, um über eine Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken zu reflektieren. Die in diesem Ansatz vorgegebenen Kategorien lassen sich auf die Naturwissenschaftsdidaktiken übertragen, wodurch epistemische Aspekte wie Ziele, Methoden, aber auch Voraussetzungen für Wissensbestände expliziert und für die Lehrkräftebildung nutzbar gemacht werden können. Die Reflexion bezieht sich dabei vorerst auf die Biologiedidaktik, einige Aspekte dürften aber auch auf andere Naturwissenschaftsdidaktiken zutreffen.

Der Beitrag wurde auf der Tagung im Rahmen eines Posters vorgestellt. Folgende Leitfragen werden aufgegriffen:

  1. 1.

    Welcher Bereich professioneller Handlungskompetenz ist adressiert?

  2. 2.

    Inwiefern bietet das Lehramtsstudium Lerngelegenheiten für die Entwicklung eines adäquaten Verständnisses über Nature of Science?

Um diese Leitfragen zu beantworten, wird ausgehend von einer Definition des FRA und der Beschreibung der Notwendigkeit einer Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken innerhalb von drei Thesen die Anwendung des FRA auf die Naturwissenschaftsdidaktiken diskutiert. Dabei wird das Wissen über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken als Voraussetzung für das professionelle fachdidaktische Wissen im RCM verortet (These 1) sowie über neue Perspektiven durch die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken in Bezug auf das Theorie-Praxis-Verhältnis reflektiert (These 2). Da gerade sozial-institutionelle Aspekte der Natur der Naturwissenschaftsdidaktik bisher eher implizit vermittelt werden, wird mit der letzten These für die Notwendigkeit der expliziten Thematisierung der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken in der Lehrkräftebildung plädiert (These 3). Im abschließenden Fazit werden die Thesen verdichtet und kritisch diskutiert.

5.2 Diskurs

5.2.1 Begründung einer Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken

Die Forschung zu epistemischen Aspekten der Naturwissenschaften die mittels des Konzeptes NOS durchgeführt wurde, blickt auf eine heterogene Tradition zurück, was sich an einer Reihe unterschiedlicher Begrifflichkeiten und Konzeptualisierungen zeigt. Auch wenn im Deutschen schon die Beschreibung als „Natur“, „Wesen“ oder „Kultur“ der Naturwissenschaften diskutierbar ist (Dittmer & Zabel, 2019, S. 96), bezeichnet NOS allgemein das „Verständnis über naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung, über soziale Strukturen innerhalb der Naturwissenschaften und über den epistemischen Status naturwissenschaftlicher Aussagen“ (Heering & Kremer, 2018, S. 105). Dieses Wissen kann daraufhin über konsens- oder kategorienbasierte Ansätze systematisiert werden. Im vorliegenden Beitrag findet mit dem FRA ein kategorienbasierter Ansatz Anwendung.

Der FRA bezieht sich auf unterschiedliche wissenschaftstheoretische und philosophische Forschungslinien, die versuchen, Wissenschaften anhand bestimmter Kategorien zu beschreiben, wobei sich aus der Ähnlichkeit dieser Wissenschaften „Familien“ mit ähnlichen Charakteristiken ergeben (Heering & Kremer, 2018). Dabei werden insgesamt elf Kategorien beschrieben, die sich in eine kognitiv-epistemische (vier Kategorien: Werte und Ziele, wissenschaftliche Praktiken, Methoden und methodologische Regeln und wissenschaftliches Wissen) und eine sozial-institutionelle Dimension (sieben Kategorien: professionelle Aktivitäten, wissenschaftliches Ethos, soziale Zertifikation und Verbreitung, soziale Werte von Wissenschaft, soziale Organisationen und Interaktionen, politische Machtstrukturen und Ökonomie der Wissenschaften) differenzieren lassen (Erduran et al., 2019). Während der FRA bereits zur Systematisierung anderer Disziplinen wie der Ingenieurwissenschaft (Barak et al., 2022) oder der Fachwissenschaft Biologie herangezogen wurde (Reinisch & Fricke, 2022), stellt gerade die sozial-institutionelle Dimension eine interessante Perspektive für das Verständnis der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken dar.

In Anlehnung an die allgemeine NOS-Definition nach Heering & Kremer (2018, S. 105) kann die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken dabei generell als das Wissen über die Erkenntnisgewinnung innerhalb der Naturwissenschaftsdidaktiken, über deren soziale Strukturen und den epistemischen Status ihrer Erkenntnisse verstanden werden. Während NOS also die epistemischen Aspekte des Fachwissens betrifft, bezieht sich die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken nur auf das fachdidaktische Wissen. Dieses kann sich beispielsweise auf die unterschiedlichen Methoden beziehen, mit denen fachdidaktisches Wissen generiert wurde. So zeichnen sich die Naturwissenschaftsdidaktiken durch eigene Methoden wie qualitative Interviews aus, die sich in dieser Form von fachbiologischen Methoden sehr stark unterscheiden. Die epistemischen Aspekte dieser Methoden wie mögliche Widersprüche qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden sind in der NOS nicht konzeptualisiert, da diese Methoden in der naturwissenschaftlichen Forschung keine Relevanz besitzen. Für diese Aspekte ist die Untersuchung der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken notwendig. Während im vorliegenden Beitrag drei konkrete Kategorien des FRA beispielhaft erläutert werden, sind in Tab. 5.1 alle Kategorien mit der Definition nach Erduran et al. (2019) sowie dem möglichen Transfer dieser allgemeinen Kategorien auf die Natur der Naturwissenschaftsdidaktik nach Büssing et al. (2023) beschrieben.

Tab. 5.1 Kategorien des Family Resemblance Approach (FRA) mit Definitionen nach Erduran et al. (2019) und Transfer dieser Kategorien auf die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken nach Büssing et al. (2023)

5.2.2 These 1: Wissen über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken ist Voraussetzung des professionellen Wissens

Die Frage danach, was eine gute Lehrkraft ausmacht, kann aus verschiedenen Perspektiven beantwortet werden. Auch wenn dabei unterschiedliche Paradigmen verfolgt wurden, hat sich in den letzten Jahren der Ansatz der professionellen Kompetenz durchgesetzt (Rothland et al., 2018). Diese wird über unterschiedliche Modelle konzeptualisiert, bei denen vor allem dem professionellen Wissen eine herausgehobene Rolle zukommt, welches in unterschiedliche Facetten wie fachliches, pädagogisches und fachdidaktisches Wissen differenziert wird (Harms & Riese, 2018). Da Studien gerade dem fachdidaktischen Wissen (engl. pedagogical content knowledge; PCK) eine hohe Bedeutung für die Verbesserung des Unterrichts beigemessen haben, stand dieser Bereich besonders im Fokus neuerer Modellierungen (Harms & Riese, 2018).

Das bereits erwähnte RCM stellt eine solche Modellierung dar, in dem das fachliche, pädagogische und fachdidaktische Wissen verortet und in Bezug auf unterschiedliche Ausprägungen unterschieden werden (Carlson et al., 2019). Dabei werden auf der äußersten Ebene relevante Wissensbereiche dargestellt, aus denen sich das fachdidaktische Wissen speist (Abb. 5.1, nach Carlson et al., 2019). Hieraus ergeben sich ein kollektives fachdidaktisches Wissen (engl. collective PCK) als Gesamtheit allen fachdidaktischen Wissens sowie das persönliche fachdidaktische Wissen (engl. personal PCK) einzelner Personen. Während diese Bereiche durch unterschiedliche Verstärker und Filter (engl. amplifiers and filters; Carlson et al., 2019) getrennt sind, manifestiert sich in konkreten Unterrichts-, Planungs- oder Reflexionssituationen das aktivierte fachdidaktische Wissen (engl. enacted PCK).

Abb. 5.1
figure 1

Übersicht über das Refined Consensus Model of Pedagogical Content Knowledge nach Carlson et al. (2019) mit eigener Ergänzung epistemischer Aspekte als Voraussetzungen für die Wissensbereiche

Was im RCM bisher nicht abgebildet ist, sind epistemische Aspekte des fachlichen und fachdidaktischen Wissens. Während epistemische Aspekte des fachlichen Wissens über NOS abgebildet werden können, besitzt das fachdidaktische Wissen eigene epistemische Voraussetzungen, die bisher nicht konzeptualisiert sind, jedoch mittels einer Natur der Naturwissenschaftsdidaktik systematisiert werden können. Zum einen könnte dies einen Rahmen um die anderen Wissensformen darstellen (äußerer grauer Kreis). Andererseits könnten Überzeugungen zur Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken auch als Verstärker oder Filter wirksam sein (Lernkontext).

Im ersten Fall stellt die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken die epistemischen Voraussetzungen der fachdidaktischen Wissensformen dar. Dies bezieht sich beispielsweise auf das Wissen darauf, wie die Vorstellungen von Lernenden erhoben oder wie die fachspezifische Leistungsbeurteilung valide mittels wissenschaftlicher Methoden gewährleistet werden kann. Für das fachliche Wissen würde das biologiespezifische NOS diese Voraussetzungen beschreiben (Reinisch & Fricke, 2022). Neben dieser Zuschreibung erscheint auch eine Filterfunktion der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken möglich, wobei hier eher von Überzeugungen gesprochen werden sollte (im Gegensatz zu Wissen im ersten Fall). So würde beispielsweise in einer konkreten Unterrichtsplanung vor allem das fachdidaktische Wissen abgerufen, welches mit den eigenen Überzeugungen über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken konform ist. Um diese Unterscheidung weiter zu explizieren, wird die Kategorie Methoden und methodische Regeln beispielhaft thematisiert.

Die kognitiv-epistemische Kategorie Methoden und methodische Regeln bezieht sich auf das Wissen darüber, wie Forschende mittels disziplinspezifischer Methoden und methodischer Regeln zu wissenschaftlichen Ergebnissen kommen (Erduran et al., 2019). Dabei sind diese Methoden revidierbar und können mittels verschiedener Vorgehensweisen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (Erduran et al., 2019). Übertragen auf die Naturwissenschaftsdidaktiken können Vorstellungen von Lernenden sowohl mit qualitativen als auch mit quantitativen Methoden erhoben werden (Schrenk et al., 2019). Beide Methoden könnten dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, gerade dann, wenn in einer qualitativen Studie zufällig alle Lernenden eine bestimmte Vorstellung berichten, die sich in der nachfolgenden quantitativen Studie nicht als prävalent zeigt.

Bezogen auf das RCM könnte es sich hierbei zum einen um ein konkretes Wissen handeln, wie Vorstellungen von Lernenden erhoben werden (äußerer Ring). Auf der anderen Seite wäre es möglich, dass sich Überzeugungen zur Tragweite dieser Methoden als Verstärker und Filter auswirken (Lernkontext), also nur dann kollektives Wissen in persönliches Wissen überführt werden würde, wenn die eigenen Überzeugungen dem zu erwerbenden Wissen nicht entgegenstehen. Hieraus ergäben sich unterschiedliche Implikationen, die später diskutiert werden.

5.2.3 These 2: Wissen über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken wirkt sich auf den Transfer mit der Schulpraxis aus

Die zweite These greift die Rolle des Wissens über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken für die Schulpraxis auf. Dies wird besonders an der FRA-Kategorie soziale Zertifikation und Verbreitung deutlich. Die Kategorie beschreibt innerhalb der sozial-institutionellen Dimension die Vorgänge, bei denen wissenschaftliche Erkenntnisse eingeschätzt und verbreitet werden, was vor allem bei Konferenzen und innerhalb der Begutachtung von Artikeln passiert (Erduran et al., 2019). Dabei findet eine Form von sozialer Qualitätskontrolle statt, bei der eine Validierung von wissenschaftlichem Wissen stattfinden kann (Erduran et al., 2019).

Im Vergleich zu den anderen Domänen besitzen die Naturwissenschaftsdidaktiken heterogene Bezüge zu ihrem Praxisfeld, was sich zu anderen Disziplinen wie der Medizin unterscheidet. Dabei findet neben den (angehenden) Lehrkräften auch durch Personal wie Mentor*innen an Schulen eine Einschätzung fachdidaktischer Erkenntnisse statt, bei der gemeinhin der praktischen Nutzbarkeit der Vorrang vor einer theoretischen Kohärenz gegeben wird (Caruso et al., 2022). Auch hier sind Aspekte der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken wirksam, da fachdidaktische Wissensbereiche entweder als relevant beschrieben werden oder nicht. Bisher gibt es jedoch nur wenige Möglichkeiten, diese Einschätzungen fachdidaktischer Erkenntnisse seitens der Praxis explizit zu machen – im Gegensatz zur expliziten Begutachtungspraxis von Forschenden.

Die mögliche Übertragung eines fachdidaktischen Ergebnisses in die Unterrichtspraxis kann einen Hinweis auf die Wirksamkeit des Ergebnisses darstellen, der jedoch meist eher spät und auch nur indirekt zu beobachten ist. Für die Zukunft könnte hier denkbar sein, expliziter die Perspektiven von Lehrkräften zu nutzen („Praxis-TÜV“), um einen gleichwertigen Diskurs zwischen beiden Feldern zu erleichtern – wofür jedoch eine weitere gegenseitige Anerkennung bestimmter Wissensdomänen eine Voraussetzung ist (Wilkes & Stark, 2023).

Neben der sozialen Zertifikation spielt für die Praxis auch die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse eine wichtige Rolle. Dieser zweite Aspekt der FRA-Kategorie kann auf die Verbreitung naturwissenschaftsdidaktischer Ergebnisse in den unterschiedlichen Publikationsformaten bezogen werden, wobei neben den auch in anderen Wissenschaften etablierten begutachteten Zeitschriften eine große Fülle weiterer praxisrelevanter Formate besteht (z. B. Unterricht Biologie). Wissenschaftlich betrachtet spielen begutachtete Publikationen auch in den Fachdidaktiken eine wichtige Rolle (Eilks, 2018). Dennoch bleiben diese für Lehrkräfte entweder aufgrund der abstrakten theoretischen Annahmen oder der nicht vorhandenen Zugänglichkeit durch Bezahlschranken oder englische Sprache häufig unzugänglich. Auch hier wird das Wissen über diese Publikationsformen im Rahmen der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken relevant: Wissen Lehrkräfte überhaupt über die Kulturen Bescheid, in denen entsprechende Erkenntnisse geteilt werden, und können diese nutzen? Kennen Lehrkräfte die Rolle der Begutachtung in der gemeinsamen Wissenskonstruktion der Wissenschaften und schätzen deswegen die Erkenntnisse dieser Publikationen anders ein? Gerade durch die Dynamisierung des Praxistransfers über neue Formate wie Podcasts oder Internetinhalte hat sich auch die Rolle von Publikationen verändert. Die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken könnte Anlass bieten, diese Themen zu explizieren und dadurch der weiteren Forschung zugänglich zu machen.

In der Bilanz zeigt sich, dass Wissen über die Art, wie die Ergebnisse der Naturwissenschaftsdidaktiken eingeschätzt und verbreitet werden, eine wichtige Rolle für den Transfer mit der Praxis spielen, ohne dass dies bisher Teil fachdidaktischer Betrachtungen war. Auch hier hilft das Konzept der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken, Anlässe zur Reflexion zu schaffen, welche auch in der Lehrkräftebildung konkret genutzt werden könnten. Diese Überlegungen könnten ebenfalls Anlass für die universitären Naturwissenschaftsdidaktiken bieten, um über die eigene Rolle zu reflektieren (eher Transfer „mit der“ als „in die“ Praxis).

5.2.4 These 3: Die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken muss in der Lehrkräftebildung expliziert werden

Neben dem Verhältnis von Wissen über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken und dem professionellen Wissen (These 1) sowie der Möglichkeit der Befruchtung von Diskursen wie dem zwischen Theorie und Praxis (These 2) stellt sich die Frage, wie das Wissen über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken erworben wird. In Anlehnung an die Vorgehensweise der NOS wäre es hierbei sinnvoll, über historische Beispiele explizite Reflexion anzuregen (Dittmer & Zabel, 2019). Reflexionsanlässe könnten dabei insbesondere Kurse bieten, bei denen über Charakteristika der Disziplin gesprochen werden kann. Innerhalb der Kurse könnten die anfangs impliziten Werte der Studierenden der Reflexion zugänglich gemacht werden. Gerade hierfür ist die weitere Untersuchung möglicher Methoden für die Lehrkräftebildung notwendig, wobei hier für den Diskurs kognitiv-epistemische und sozial-institutionelle Aspekte voneinander getrennt betrachtet werden müssen.

So sind insbesondere für die kognitiv-epistemischen Aspekte bereits Möglichkeiten der Vermittlung durch Lehrbücher zum Beispiel über Methoden der Naturwissenschaftsdidaktiken vorhanden (Krüger et al., 2014). Die Vermittlung von sozial-institutionellen Aspekten wiederum ist häufig Teil einer Sozialisation mit einer bestimmten (örtlichen) Kultur innerhalb der Naturwissenschaftsdidaktiken. Eine wichtige Sozialisationsinstanz stellt hier das Studium dar, in dem Studierende über unterschiedliche Erfahrungen in und rund um naturwissenschaftsdidaktische Lehrveranstaltungen Wissen und Überzeugungen über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken erwerben. Hierbei ergeben sich unterschiedliche Schwerpunkte an den jeweiligen Standorten, die sich meist an den Forschungsschwerpunkten oder der akademischen Biografie der Forschenden orientieren. Allein dieses Faktum zeigt den sozial-institutionellen Charakter der Naturwissenschaftsdidaktiken auf. Eine spezifische Kategorie, welche diese unterschiedlichen Kulturen verdeutlich, sind die sozialen Werte der Wissenschaften.

Die sozialen Werte der Wissenschaften beschreiben eine FRA-Kategorie, die sich mit den Werthaltungen der entsprechenden Wissenschaft auseinandersetzt, welche sich auf sozialen Nutzen, Freiheit oder andere menschliche Bedürfnisse beziehen können (Erduran et al., 2019). Gerade in Bezug auf das Verhältnis von Forschung und Lehre bestehen in der Biologiedidaktik dabei unterschiedliche Wertsetzungen. Diese schwanken zwischen einer starken Rolle der Lehre und Praxis (Kattmann, 2021) oder einem Fokus auf hochwertige drittmittelgeförderte Grundlagenforschung (Harms, 2021). Eine Übersicht dieser mit der Biologiedidaktik verbundenen sozialen Werte sollte nicht als eine Normierung verstanden werden, sondern bietet vielmehr die Möglichkeit, die bestehende Heterogenität in diesem Feld zu verdeutlichen. Naturwissenschaftsdidaktiken wie die Biologiedidaktik sind sehr unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt, welche sich insbesondere auf die sozial-institutionellen Verfahrensweisen auswirken. Dies sollte auch in der Lehrkräftebildung beachtet werden.

Innerhalb der Lehrkräftebildung werden diese Aspekte bisher nicht explizit thematisiert, weshalb das Erwerben des Wissens um sozial-institutionelle Aspekte häufig nur unzureichend didaktisch aufbereitet ist. Zwar bearbeiten Studierende in fachdidaktischen Veranstaltungen und Abschlussarbeiten fachdidaktische Fragen und erwerben hier ebenfalls Handlungswissen über die Naturwissenschaftsdidaktiken (Büssing et al., 2016). Es ist jedoch unklar, ob sich hieraus ein Bild der Naturwissenschaftsdidaktiken ergibt und wie dieses Bild möglicherweise mit professionellen Kompetenzen zusammenhängt. Auch aus diesem Grund erscheint die weitere Erforschung entsprechender Überzeugungen und Möglichkeiten zu deren Förderung im Rahmen professioneller Kompetenzen notwendig.

5.3 Fazit und Ausblick

Die in diesem Beitrag beschriebenen Thesen haben aufgezeigt, dass Wissen über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken eine Voraussetzung für das professionelle fachdidaktische Wissen sein kann (These 1). Bereits jetzt ist die Rolle des Wissens über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken für den Transfer mit der Schulpraxis deutlich, was sich insbesondere auf die Einschätzung fachdidaktischer Erkenntnisse und deren Verbreitung bezieht (These 2). Zuletzt sollte aus diesen Gründen in der universitären Lehre die explizite Reflexion epistemischer Aspekte der Naturwissenschaftsdidaktiken angeregt werden (These 3). Auch wenn die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken neue Einblicke bieten kann, sind diese insbesondere aufgrund des noch explorativen Status dieses Feldes als vorläufig zu betrachten (Büssing et al., 2023). Aktuell scheinen insbesondere drei weitere Forschungsfragen relevant:

  1. 1.

    Wie ist die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken in den einzelnen Kategorien konkret ausgestaltet?

  2. 2.

    Welche Effekte ergeben sich durch ein adäquates oder weniger adäquates Verständnis der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken?

  3. 3.

    Wie kann das Wissen über die Überzeugungen zur Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken vermittelt werden?

In Bezug auf die erste Forschungsfrage konnten im Rahmen dieses Beitrags drei Kategorien etwas genauer beleuchtet werden, wobei als methodische Herangehensweise theoretische Annahmen aufgrund der Literatur beschrieben wurden. In einem nächsten Schritt erscheint eine empirische Erschließung der einzelnen Kategorien sinnvoll, um die Ausgestaltung der Kategorien zu verdeutlichen. Dabei stellt sich auch die Frage nach der Fokussierung auf einen bestimmten Bereich, wobei zu klären wäre, ob es wirklich um eine Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken oder nicht „nur“ um eine Natur der naturwissenschaftsdidaktischen Forschung handelt. Leitend hierfür ist die Beantwortung der Frage, wie die auf die Naturwissenschaften ausgerichteten Kategorien des FRA sinnvoll auf ebenfalls praxisrelevante Felder wie die Naturwissenschaftsdidaktiken angewendet werden können. Hiermit eng verbunden ist auch die Frage nach den Konsequenzen, die sich aus der Wahl des FRA ergeben, der im Vergleich zu anderen Ansätzen Stärken, aber auch Schwächen besitzt.

Diese Frage nach der Systematisierung wirkt sich auch auf die zweite Forschungsfrage aus, die nach konkreten Effekten des Wissens über die Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken fragt. Hierbei scheint ein pauschales Urteil schwierig, da vielmehr innerhalb konkreter Kategorien zuerst einmal die relevanten Aspekte identifiziert werden müssen, um nachfolgende empirische Studien durchführen zu können. Dabei ist auch die genauere Definition relevanter Personenkreise herausfordernd, da Wissen und Überzeugungen zur Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken sowohl von (angehenden) Lehrkräften selbst, deren Mentor*innen, Forschenden, aber auch von anderen Personenkreisen relevant sein könnten. So werden auch in Berufungskommissionen von Forschenden anderer Disziplinen bestimmte Erwartungen an die Naturwissenschaftsdidaktiken formuliert. Ähnlich verhält es sich mit Politiker*innen, die in den Hochschulgesetz en der Länder ebenfalls über die politische Regelung wie Zugangsvoraussetzungen für Professuren zu einem gewissen Grad Erwartungen an die Naturwissenschaftsdidaktiken, wie die Erwartung von Praxis- oder Forschungserfahrungen, prägen können. Dies wird ebenfalls explizit innerhalb der FRA-Kategorie der politischen Machtstrukturen oder der Ökonomie der Wissenschaften deutlich.

Auch die letzte Forschungsfrage zur Vermittlung von Wissen über die Natur der Naturwissenschaften hängt nicht unerheblichen von der Konzeptualisierung ab. Einen Teil des (deklarativen) Wissens kann man leicht innerhalb von universitären Lehrveranstaltungen adressieren, indem Aktivitäten von Forschenden der Naturwissenschaftsdidaktiken beispielhaft besprochen werden. Doch zeigen neuere Ansätze im Schnittfeld von Forschung und Praxis die Relevanz impliziter Wissensformen auf, die sich im Spannungsfeld von Wissen und Können niederschlägt (Neuweg, 2022). Dieses implizite Wissen wird gerade in den späteren Phasen der Lehrkräftebildung erworben, was eine weitere Herausforderung darstellt. Auch stellt sich hier die Frage, wie fachspezifisch die Förderung stattfinden muss, da einige Aspekte für alle Naturwissenschaftsdidaktiken gelten, andere jedoch fachspezifisch differenziert sein dürften. Letztlich wirft das auch die Frage auf, wie die unterschiedlichen Naturwissenschaftsdidaktiken selbst ihre eigene Natur darstellen. Dabei spielt auch die Sozialisation in den unterschiedlichen Fachverbänden wie der Fachsektion Didaktik der Biologie, der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik oder der Gesellschaft Deutscher Chemiker eine Rolle, in denen unterschiedliche sozial-institutionelle Praktiken verfolgt werden (wie die unterschiedliche Begutachtungspraxis von Tagungsbeiträgen).

Insgesamt scheint das Feld der Natur der Naturwissenschaftsdidaktiken ein noch junges Feld der Forschung zu sein, welches jedoch aufgrund der Bezüge zur Professionalisierung und der Möglichkeit der Befruchtung traditioneller Diskurse wie dem Spannungsverhältnis von Forschung und Praxis interessant erscheint. Dies wurde ebenfalls in den vielen Diskussionen auf der Tagung „Biologiedidaktische Nature of Science-Forschung: Zukunftsweisende Praxis“ deutlich. Dennoch bleiben diese Reflexionen vorläufig, da auch diese Betrachtungen selbst durch eine bestimmte Brille entstanden sind. Der weitere Diskurs, für den auch die Tagung prägend war, muss die weiteren Anwendungsmöglichkeiten und die Tragweite eines solchen neuen Forschungsfeldes aufzeigen.