Das Bauwesen hat erhebliche Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit, da hierbei große Energie- und Massenströme entstehen und Bauprodukte sowie Gebäude über einen langen Zeitraum auf die Umwelt und Gesellschaft einwirken. Nachhaltige Gebäudestandards, die hinsichtlich des Energieverbrauchs, relevanter Umweltauswirkungen, der Qualität der Innengestaltung sowie der optimalen Nutzung quantifizieren, fanden ihren Ursprung bereits in den 1990iger Jahren und nehmen seither einen größeren Stellenwert am österreichischen Markt ein (TU Wien 2020). Zunehmend auch im Bereich kreislauffähigen Bauens.

3.1 Allgemeines

Dabei zeichnen sich die allgemein gültigen Tendenzen zu unterschiedlichen Systemen ab:

Gebäudezertifikate ermöglichen eine umfassende Bewertung des Gebäudes als Gesamtsystem unter Annahme eines standardisierten Nutzerverhaltens zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Für Investoren, Bauherren und die Öffentlichkeit wird das Thema Nachhaltigkeit transparent und ökonomisch verwertbarer, da Gebäudezertifikate ein gewisses Maß an Sicherheit hinsichtlich des Werterhalts einer Immobilie geben, marketingtechnisch verwertet werden können und sich damit positive Effekte auf die Umwelt darstellen lassen. Zertifizierungssysteme definieren und beschreiben in verständlicher Form Anforderungskriterien und Zielwerte für nachhaltiges Bauen. Die meisten in Österreich befindlichen Gebäudezertifizierungssysteme bewerten die Aspekte Energie, Material, Wasser, Boden, Innenraum und Gebäudebetrieb sowie teilweise bereits die Kreislaufwirtschaft von Baustoffen bzw. Immobilien. Wesentliche Unterschiede liegen in der Methode der Datenaggregierung sowie der Gewichtung der einzelnen Faktoren. Eine einheitliche Systematik kann jedoch anhand des Bearbeitungs- und Bewertungsgegenstands (Wohngebäude, Bürogebäude), der Bewertungsziele (ökologische/ökonomische Kriterien), des Bearbeitungs- und Bewertungsrahmen (zeitlich, räumlich), der Methodik zur Ermittlung (gesetzliche Anforderungen, vereinbarte Grenzwerte), der Zielgruppen (Architekt, Bauherr) sowie der Darstellungsform (tabellarisch, Vektor) getroffen werden. In den letzten Jahren ist die Anzahl an Bewertungs- und Zertifizierungssystemen enorm gestiegen. Neben Standards, Richtlinien und Planungszielen für nachhaltige Gebäude existieren weltweit nun mehr als 600 Methoden zur Nachhaltigkeitsbewertung. Die meisten Systeme orientieren sich an nationalen Vorgaben wie in Österreich beispielsweise der klimaaktiv Gebäudestandard. International haben sich weitere anerkannte Systeme darunter v. a. BREEAM, oder LEED etabliert. In Österreich wie auch in anderen Ländern wurde das Konzept des „Green Building“ zum „Sustainable Building“ weiterentwickelt, wodurch soziale und ökonomische Kriterien in die Gebäudebewertung mit einfließen.

3.2 Übersicht Zertifizierungssysteme

3.2.1 Nationale Gebäudezertifizierungssysteme

Nationale Gebäudezertifizierungen, als Planungs- und Bewertungssysteme, berücksichtigen die Rahmenbedingungen und Anforderungen des österreichischen Bausektors und nehmen daher auf diverse soziale und ökologische Begebenheiten bedacht. Am österreichischen Markt befinden sich derzeit vor allem drei Gebäudebewertungssysteme:

  • TQB – Total Quality Building der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB)

  • Klimaaktiv Gebäudestandard – eine Klimaschutzinitiative des österreichischen Klimaschutzministeriums

  • Gebäudezertifizierung der Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI)

Die Bewertungssysteme sind unterschiedlich, vor allem in Umfang und Ausgestaltung, abhängig von den jeweiligen Zielgruppen, wobei die ersten erwähnten Systeme vergleichbar und aufeinander aufbauend sind. Die Gebäudezertifizierung nach ÖGNI beruht auf einer Adaptierung des DGNB-Systems hinsichtlich österreichischer Normvorgaben.

TQB – Total Quality Building der ÖGNB

Das TQB-System ist ein umfassender Bewertungsrahmen für Wohn- und Dienstleistungsgebäude, der nicht nur ein Gebäudezertifizierungssystem darstellt, sondern auch mittels Checklisten, während der Design-, Planungs- und auch Errichtungsphase zur Qualitätssicherung und Validierung von Nachhaltigkeitskriterien geeignet ist. TQB basiert auf dem Total Quality (TQ) Label zur Gebäudebewertung, dem ältesten im Jahr 1998 entwickelten österreichischen Gebäudebewertungssystem. Aus der Zusammenführung von TQ, Klimaaktiv und dem IBO ÖKOPASS entstand 2010 das Total Quality Building (TQB); (Klimaaktiv 2016). Die aktuellen Bewertungskriterien sind im ÖGNB-Tool online einsehbar. Diese wurden im Jahr 2021 aktualisiert, um sie an das österreichische Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 anzupassen (Leindecker 2021).

Das System beinhaltet die Kategorien (UBA 2014):

  • Standort und Ausstattung

  • wirtschaftliche und technische Qualität

  • Energiebereitstellung und -versorgung

  • Aspekte der Gesundheit

  • Komfort

  • Ressourceneffizienz

Besonders das Kriterium der Ressourceneffizienz stellt eine Verbindung zur Kreislaufwirtschaft dar, da bei der ökologischen Betrachtung des Gebäudes von der Herstellung bis zur Entsorgung die Vermeidung kritischer Stoffe sowie der bevorzugte Einsatz von regionalen und zertifizierten Bauprodukten bewertet werden. Die Einzelkriterien sind mit dem klimaaktiv Gebäudestandard kompatibel, wobei zusätzliche Nachhaltigkeitskriterien in das System aufgenommen wurden, darunter das Risiko am Gebäudestandort, Ausstattungsqualität, Barrierefreiheit, ökologische Baustelle, Brandschutz, Wasserbedarf, Schallschutz und der Entsorgungsindikator (Klimaaktiv 2016). Der Entsorgungsindikator als neues Nachhaltigkeitskriterium berücksichtigt beispielsweise den Primärenergieinhalt an nicht-erneuerbaren Ressourcen, das Treibhauspotenzial (GWP) und das Versäuerungspotenzial (AP) der verbauten Materialien. Bei der Ermittlung wird der gesamte Gebäudeslebenszyklus betrachtet – im Detail die bestehenden Volumina der n Bauteilschichten und -konstruktionen, welche mit den jeweiligen Entsorgungs- und Recyclingeigenschaften gewichtet werden. (Leindecker 2021) Allgemein ist die Einstufung auf Baustoffebene umso schlechter, je höher der Aufwand für den Rückbau und die Verwertung sowie die negativen Auswirkungen für die Entsorgung auf die Umwelt sind. (TU Wien 2020).

Die Bewertung des Gebäudes erfolgt schlussendlich anhand eines Punktesystems mit maximaler Punktezahl von 1.000 (Florit 2011). Als Ergebnis wird die nachhaltige und umweltbezogene Qualität eines Gebäudes anhand eines Zertifikats sicht- und vergleichbar.

Klimaaktiv Gebäudestandard

Der klimaaktiv Gebäudestandard wurde als Selbstdeklarationssystem im Rahmen der Klimaschutzinitiative des österreichischen Klimaschutzministeriums 2005 ins Leben gerufen und seither laufend adaptiert. Das Zertifizierungssystems zielt darauf ab, die Qualität eines Gebäudes in Österreich v. a. hinsichtlich Energieeffizienz und Klimarelevanz mess- und vergleichbar zu machen.

Das System besteht mit einem Maximum von 1000 Punkten aus den Bewertungskategorien:

  • Standort und Ausstattung

  • Energie und Versorgung

  • Baustoffe und Konstruktion

  • Komfort und Raumluftqualität (Figel und Bauer 2022)

Die Kategorien unterteilen sich in Subkriterien, wobei zwischen Muss- und Zusatzkriterien unterschieden wird. Die einzelnen Musskriterien stellen einen klaren Anforderungswert z. B. an den Heizwärmebedarf, den Primärenergiebedarf, die äquivalenten Treibhausgasemissionen sowie den Gesamtenergieeffizienzfaktor für Immobilien dar, welche die baurechtlichen Mindeststandards deutlich unterschreiten.

Seit der letzten Adaptierung der Kriterien im Jahr 2022 wurden sämtliche klimaaktiv Anforderungswerte um rund 25 % ambitionierter festgelegt als die derzeit gesetzlichen Standards lt. OIB RL 6, 2019 bezogen auf den Heizwärmebedarf und den Primärenergiebedarf. Dies entspricht einer Einhaltung der EU-Anforderungen gemäß EU-Taxonomie. Bei klimaaktiv Gebäuden sind auch keine fossilen Energieträger im Neubau sowie in der Sanierung beim Austausch des Wärmeerzeugers mehr vorgesehen.

Hinsichtlich der Kreislaufwirtschaft werden die Subthemen Entsorgung und Kreislauffähigkeit im Kapitel Baustoffe und Konstruktion behandelt. Die relevanten Kriterien sind seit 2017 der Entsorgungsindikator und die Kreislauffähigkeit inklusive Rückbaukonzept, die 2020 neu zum Kriterienkatalog hinzugefügt wurden. Beim Bau eines Gebäudes sind erhebliche Materialressourcen erforderlich, die im Zuge der Bewertung im Rückbaukonzept hinsichtlich stofflicher und abfallwirtschaftlicher Aspekte betrachtet werden sollen (BMK 2022). Da das Kriterium sehr neu ist, gibt es nur wenige Vergleichsgebäude. Sinnvoll ist, ein Rückbaukonzept bereits während der Planungsphase eines Gebäudes zu erstellen. Klimawandelanpassungsmaßnahmen sowie der Einsatz umweltfreundlicher Produkte werden mit erhöhten Punkten berücksichtigt. Außerdem ist der Einsatz von klimaschädlichen Baustoffen in klimaaktiv Gebäuden nicht mehr zulässig.

Der klimaaktiv Gebäudestandard wird laufend nach dem open Source Prinzip weiterentwickelt und steht Anwender:innen kostenlos und frei zur Verfügung. Zu den zertifizierten Gebäuden werden jeweils wesentliche Kennwerte veröffentlicht.

ÖGNI/DGNB

Die ÖGNI (Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft) kooperiert mit der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen sowie auch Deutsches Gütesiegel für nachhaltiges Bauen). In Österreich wird unter Beachtung nationaler Normvorgaben eine Adaptierung des DGNB-Systems zur Zertifizierung von Wohn- und Bürogebäuden, Bildungsgebäuden, Industriegebäuden und Hotels angewendet (ÖGNI 2022). Bewertete Hauptthemen in Anlehnung an das Gebäudebewertungssystem der DGNB:

  • Ökologie

  • Ökonomie

  • soziokulturelle und funktionale Aspekte

  • Technik

  • Prozesse

  • Standort

Die Kriterien werden je nach Gebäudetyp unterschiedlich gewichtet – so erhält jede Systemvariante eine eigene Gewichtungsmatrix, die auf die stoffliche, konstruktive und planerische Ebene sowie eine Produktverantwortung eingeht. Um die notwendigen Nachweise bei der Gebäudebewertung zu verringern, wird die Bewertung basierend auf Regelbauteilen, Bauteile die einen gleichen Aufbau sowie Konstruktion aufweisen, durchgeführt.

Da beim Bewertungssystem von Anfang an der Lebenszyklusgedanke zählte, werden neben ökologischer Aspekte des „green building“ auch ökonomische und sozio-kulturelle Themen miteinbezogen. Zu den zentralen Nachhaltigkeitsaspekten gehören:

  • verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen

  • lebenszyklusorientierte Planung von Gebäuden

  • Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit

  • Verzicht auf kritische Inhaltsstoffe (DGNB 2023)

Seit 2020 werden auch kreislaufrelevante Aspekte vermehrt in der ÖGNI/DGNB verankert bzw. im Zuge der Zertifizierung höher gewichtet. Dabei verbessert sich durch Wiederverwendung, Recycling und Verzicht auf den Einsatz materieller Ressourcen die Bewertung der Ökobilanz des Gebäudes, wobei zirkuläre Lösungen mit Bonuspunkten belohnt werden. Somit kann durch zirkuläre Ansätze in der Planung und Realisierung eines Gebäudes, bereits mehr als ein Drittel des Gesamterfüllungsgrads für eine ÖGNI/DGNB-Zertifizierung erreicht werden. Zu den ÖGNI/DGNB-Kriterien in Neubau und Sanierung:

  • Ökobilanz des Gebäudes

  • Bewertung der Risiken für die lokale Umwelt

  • verantwortungsbewusste Ressourcengewinnung

  • gebäudebezogenen Kosten im Lebenszyklus

  • Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit

  • Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit

Mit dem 2020 eingeführten DGNB-System für nachhaltigen Gebäuderückbau lässt sich erstmals auch die nachhaltige und zirkuläre Umsetzung eines Rückbaus von Gebäuden oder Gebäudeteilen im Rahmen einer Zertifizierung bewerten. Neben der sortenreinen Trennung von Abfällen oder der Wiederverwendung von Materialien, stehen auch Themen wie Gefahrstoffsanierung, Risikobewertung und Kostensicherheit im Fokus. Zu den DGBN-Kriterien im Rückbau zählen die Materialstrombilanz, Gefahrstoffsanierung, Risikobewertung und Kostensicherheit, Werte ausbaufähiger Ressourcen, Verwertung und Entsorgung, sortenreine Trennung und Kreislaufführung sowie Rückbauplanung.

Die Änderungen und Priorisierungen hinsichtlich Kreislaufwirtschaft wurden national durch die ÖGNI noch nicht vollständig umgesetzt.

Die Gebäudebewertung der DGNB/ÖGNI Zertifizierung ist abhängig vom Gesamterfüllungsgrad, d. h. bei 50 % wird das Gütesiegel in Bronze, ab 65 % in Silber und ab 80 % in Gold verliehen.

3.2.2 Internationale Gebäudezertifizierungssysteme

EU GreenBuilding

Das Zertifizierungssystem „EU GreenBuilding“ stellt eine Auszeichnung von Energieeffizienzmaßnahmen im Nichtwohnbau und Dienstleistungssektor dar und gilt so als Anreizsystem für Bauherr:innen und Eigentümer:innen zur Umsetzung rentabler Investitionen. Im Zuge der Zertifizierung müssen

  • 25 % Energieeinsparung im Vergleich zur Bauordnung bei Neubauten bzw.

  • 25 % Einsparung im Vergleich zum Bestand bei Sanierungen nachgewiesen werden

BREEAM – BRE’s Environmental Assessment Method

BREEAM, als eines der ältesten Zertifizierungssystemen aus den 1980iger Jahren, vergibt nach der Prüfung der Gebäudeperformance hinsichtlich einer Reihe ökologischer Faktoren ein Gütesiegel. Bewertet werden die Umweltauswirkungen des Gebäudes auf globaler, regionaler und lokaler Ebene.

Durch das Bewertungssystem können eine Vielzahl an Systemvarianten darunter Wohnhausanlagen, Bürogebäude, Industriebauten, Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Gefängnisse, Hotels, Einfamilienhäuser, Wohnbausanierungen, etc. bewertet werden.

Die Bewertung erfolgt nach 9 Kategorien: Management, Energie, Gesundheit und Komfort, Verschmutzung, Transport, Flächenbedarf, Ökologie, Materialien und Wasser inklusive Untergliederungen. Pro Kategorie werden Punkte vergeben, die durch Kombination und unterschiedlicher ökologischer Gewichtungen einen Gesamtpunktezahl ergeben (Florit 2011).

Im Zuge des Zertifizierungssystems wird kein Fokus auf Kreislaufwirtschaft gesetzt, wobei jedoch einige Subkriterien v. a. hinsichtlich der Materialität relevante Kreislaufwirtschaftsaspekte berücksichtigen.

Gebäude werden anhand der Bewertungsergebnisse in „Good“, „Very Good“, „Excellent“ und „Outstanding“ unterteilt. Die maximal mögliche Punktezahl beträgt 100, für eine Auszeichnung nach dem BREEAM System, müssen 85 % der Kriterien erfüllt sein.

LEED – Leadership in Environmental & Energy Design

LEED, als das verbreitetste Gebäudezertifizierungssystem weltweit, startete 1993 in den USA und ist ein Schwerpunktprogramm des US Green Building Councils (USGBC), unterstützt durch einer breiten Akteursplattform aus der Bauwirtschaft und öffentlichen Hand. Die LEED-Bewertung umfasst eine Reihe von Bewertungssystemen für Planung, Bau, Betrieb und Instandhaltung von ökologischen Gebäuden, Wohngebäuden oder Wohnvierteln und berücksichtigt dabei sowohl energetische als auch ökologische Grundsätze. Die Zielsetzung des Bewertungssystems ist eine Standardisierung im Bereich „Green Building“, um damit „gesünder“ und ressourcenschonender zu bauen, weswegen das System oft von internationalem Investor:innen bevorzugt wird.

Als Bewertungsgrundlage dienen sieben Kategorien inklusive Einzelkriterien unterteilt in eine nachhaltige Landschaftsplanung, Wasser, Energie und Atmosphäre, Materialien und Ressourcen, Innenraumqualität und Innovation und Planungsprozess sowie Regionalität. Als Unterscheidung zum BREEAM Gebäudebewertungssystem muss im Zuge der LEED-Zertifizierung die Einhaltung amerikanischer Richtlinien und Normen nachgewiesen werden.

Um eine LEED-Zertifizierung zu erlangen, müssen die Mindestanforderungen sowie eine bestimmte Anzahl an Punkten erreicht werden. Von den maximal möglichen 110 Punkten kann eine Zertifizierung in vier Stufen erreicht werde, Certified erfordert 40 Punkte, Silver 50 Punkte, Gold 60 Punkte und Platinum 80 Punkte (LEED 2023).

3.3 Bewertung der Kreislaufwirtschaft in Gebäudezertifizierungssystemen

Zur Beurteilung der Kreislauffähigkeit in Gebäudezertifizierungssystemen wählen die Institutionen verschiedene Herangehensweisen. Die Prinzipien nachhaltigen Bauens sind seit 2008 in der internationalen Norm ISO 15392 nach dem Drei-Säulen-Modell (Ökonomie, Ökologie, Soziales) festgeschrieben, wobei in der Nachhaltigkeitsbewertung noch immer große Unterschiede aufgrund der Systemgrenzen bestehen. Die meisten am Markt befindlichen Gebäudezertifizierungssysteme verfolgen den Grundsatz, keine bestimmten Maßnahmen zu fördern, sondern die Gebäudeperformance, d. h. die Leistungsfähigkeit eines Gebäudes über den Lebenszyklus zu verbessern. Dabei sind die wesentlichen Umweltwirkungen, darunter Emissionen und Primärenergiebedarf des zu zertifizierenden Gebäudes in der Ökobilanz abzubilden.

Zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden nach DIN EN 15978, gehören dabei die Einzelmodule Herstellungs- und Errichtungsphase, Nutzungsphase und Entsorgungsphase. Das Potenzial für Wiederverwertung, Rückgewinnung und Recycling liegt laut Norm außerhalb des Gebäudelebenszyklus weshalb es außerhalb der Systemgrenzen im Modul Vorteile und Belastungen bewertet wird.

Bei Anwendung der meisten Gebäudezertifizierungssysteme hat die Bewertung der Ökobilanz anhand der DIN EN ISO 14040 bzw. DIN EN ISO 14044 zu erfolgen. Eine Ökobilanz umfasst demnach vier Elemente, darunter die Definition von Ziel und Untersuchungsrahmen, die Sachbilanz, die Wirkungsabschätzung sowie eine Auswertung. Generell können dabei zwei Grundsätze befolgt werden:

  • medienübergreifende Betrachtung – relevante potenzielle Schadwirkungen auf die Umweltmedien Boden, Luft, Wasser

  • stoffstromintegrierte Betrachtung – Stoffströme, die mit dem betrachteten System verbunden sind (Rohstoffeinsätze und Emissionen aus Ver- und Entsorgungsprozessen, aus der Energieerzeugung, aus Transporten und anderen Prozessen)

Im Unterschied zur Ökobilanz, die sämtliche Umweltwirkungen betrachtet, werden beim CO2-Fußabdruck (Carbon Footprint) und beim Wasserfußabdruck (Water Footprint) nur die jeweilige Umweltwirkung beachtet. Problematisch bei der Durchführung von Gebäude-Ökobilanzen sind häufig die eingeschränkte Verfügbarkeit geeigneter Daten.

Die Durchführung einer Stoffstromanalyse als Verfahren um Stoff- und Materialströme zu erfassen ist im Gegensatz dazu nicht nach internationalem Standard genormt weshalb zahlreiche Methoden, die sich je nach Fragestellung, Erkenntnisinteresse und Untersuchungssystem unterscheiden, zur Anwendung kommen (UBA 2013).

Unterstützt wird die Ökobilanzierung v. a. in der Entwurfsphase mittlerweile häufig durch den Einsatz von Building Information Modeling (BIM)-Werkzeugen. Aktuelle Ansätze konzentrieren sich dazu entweder auf den Einsatz von BIM zusammen mit weiteren Programmen oder als ausschließliche Nutzung für eine automatische Mengenermittlung.

BIM dient zudem als wichtiges Dokumentationswerkzeug durch das Wiederverwendungs- und Recyclingpotenzial von Materialien und Elementen in Bauwerken in der End-of-Life Phase erhöht werden können.

3.4 Aktuelle Entwicklungen

Sowohl national als auch international wird ein erhöhtes Augenmerk auf Kreislaufwirtschaft nach dem Cradle-to-Cradle Prinzip gelegt.

Das Ziel besteht darin, eine „gemeinsame europäische Sprache“ für die gesamte Wertschöpfungskette des Sektors zu schaffen, die zum Aufbau von Datenbanken, zur Versachlichung der Debatte und zur Ergreifung adäquater Maßnahmen beitragen kann (EU Commission 2023).

Wie unter Abschn. 3.2 dargestellt, wurden bestehende (inter-)nationalen Zertifizierungssysteme bereits an die geänderten Anforderungen hinsichtlich Kreislaufwirtschaft angepasst. Der bisherige Fokus dieser Systeme lag v. a. auf der Bewertung der Energieeffizienz und verschiebt sich damit in Richtung Ressourcenschonung.

Die Adaptierung der ÖGNI/DGNB-Kriterien hinsichtlich Kreislaufwirtschaft sowie die Entwicklung des Ressourcenpasses stellen hierfür Beispiele dar. Der Entwurf zum Gebäuderessourcenpass wurde im November 2021 von der Deutschen Bundesregierung angekündigt und 2023 final veröffentlichtet. Es werden dabei Maßnahmen definiert, die eine Grundlage schaffen, um den Einsatz grauer Energie sowie die Lebenszykluskosten verstärkt zu betrachten und so die Kreislaufwirtschaft im Gebäudebereich zu forcieren. Der Ressourcenpass der DGNB orientiert sich am bereits etablierten Energieausweis. Darin sind individuell für jedes Gebäude wesentliche Informationen zum Ressourcenverbrauch, Klimawirkung und Kreislauffähigkeit transparent angegeben und es lassen sich relevante Informationen über zur Verfügung stehende sowie verbaute Ressourcen in verschiedenen Szenarien wie Urban Mining, Sanierung und Abbruch bestmöglich daraus generieren.

Generell ist es notwendig bzw. wird erwartet, dass sich bestehende Zertifizierungssysteme in der Definition von Kriterien und Parameter noch weiter in Richtung Kreislauffähigkeit von Neubauten, Bestandsgebäuden bis hin zu Quartieren entwickeln. Künftig werden Ressourceneinsatz, die Rückbaufähigkeit und Wiederverwendbarkeit als gesamtheitlicher Betrachtungsansatz für die Bauindustrie sowie Immobilienbranche eine zentrale Rolle spielen. Wesentlich beeinflusst wird künftig die Gebäudegestaltung die von der Materialienverfügbarkeit und Rohstoffen als Baustoff und daraus geänderten Produktdesigns abhängen wird.

Eine forcierte Entwicklung in Richtung Ressourcenschonung, Abfallvermeidung und Langlebigkeit von Komponenten und Gebäuden wird damit einen langfristigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.