2.1 Entstehungsgeschichte und Anwendungsgebiet der EU-Taxonomie

Spätestens seit dem Übereinkommen von Paris (COP21) im Jahr 2015 stehen Staaten und Unternehmen zunehmend vor der Herausforderung, sich damit zu beschäftigen, was nachhaltig ist und was nicht. Dieses wurde von 195 Vertragspartnern unterzeichnet und folgt der Leitlinie, die menschgemachte globale Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen. Als Reaktion darauf hat die Europäische Union, als Vertragspartnerin des Übereinkommens von Paris, die Notwendigkeit des Übergangs zu einer emissionsarmen, ressourcenschonenden Wirtschaft als entscheidend für die Sicherung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft identifiziert. Als wesentlicher Treiber und Schlüssel für die Transformation des europäischen Wirtschaftssystems hin zu mehr Nachhaltigkeit wurde dabei das Finanzsystem identifiziert. Die von der Kommission eingesetzte hochrangige Sachverständigengruppe für ein nachhaltiges Finanzwesen, welche eine umfassende Vision für die Entwicklung einer EU-Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen erstellte, (HLEG 2018) mündete in den „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ (EU-Kommission 2018). Zielsetzung des Aktionsplans: Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umlenken, um ein nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen, finanzielle Risiken, die sich aus dem Klimawandel, der Ressourcenknappheit, der Umweltzerstörung und sozialen Problemen ergeben, zu bewältigen sowie Transparenz und Langfristigkeit in der Finanz- und Wirtschaftstätigkeit zu fördern.

Er beschreibt 10 Handlungsstränge zur Erreichung der ambitionierten Ziele. Zentrale, dringendste Maßnahme war dabei die Forderung nach einem einheitlichen Klassifikationssystem für nachhaltige Tätigkeiten, welches klar, transparent und nach quantitativen Kriterien Nachhaltigkeit festlegt. Der 2019 ins Leben gerufene „European Green Deal“ (EU-Rat 2019a) hat das Ziel, Europa bis 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent zu transformieren. Dies wird von der Initiative „Fit for 55“ (EU-Rat 2019b) umgesetzt. Als Instrument, um den Weg dorthin auch mess-, und kontrollierbar zu machen und den Wandel zur nachhaltigen Nutzung von Ressourcen und dem Schutz des Klimas sowie der sozialen Gerechtigkeit voranzubringen, gibt es die EU-Taxonomie Verordnung (EU-Parlament 2020a). Sie legt nach transparenten und eindeutigen Regeln fest, was nachhaltig ist und was nicht und definiert dazu 6 Umweltziele, nach denen umweltbezogene Nachhaltigkeit quantifiziert wird. Abb. 2.1 und 2.2.

Abb. 2.1
figure 1

Taxonomie Konformität

Abb. 2.2
figure 2

Sechs Umweltziele zur Quantifizierung der Nachhaltigkeit

Der Katalog von der EU-Taxonomie umfasst derzeit rund 100 Wirtschaftstätigkeiten, welche taxonomiefähig sind. Damit diese Wirtschaftstätigkeit als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie ausgewiesen werden kann, muss sie bei Ausübung zu einem dieser 6 Umweltziele einen wesentlichen Betrag leisten sowie die verbleibenden Umweltziele nicht wesentlich beinträchtigen (Do No Significant Harm – DNSH). Die Einhaltung der in den Delegierten Rechtsakten (EU-Kommission 2021a) der EU-Taxonomie festgelegten technischen Bewertungskriterien sowie soziale Mindeststandards, wie die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ vorgibt, werden geprüft. Erst wenn alle diese Anforderungen erfüllt sind, gilt die Ausübung dieser Wirtschaftstätigkeit als EU-Taxonomiekonform.

Für Nicht-Finanzunternehmen erfolgt im Rahmen der EU-Taxonomie die Offenlegung von KPIs, die auf Ebene der Umsätze, Investitions- und Betriebsausgaben ausweisen inwieweit ein Unternehmen, ausgedrückt in Prozent, gemessen jeweils an Gesamt-/umsatz/-investitionsausgaben/-betriebsausgaben, taxonomiefähige sowie taxonomiekonforme Tätigkeiten ausübt. Der standardisierte Bericht ermöglicht den Vergleich von Unternehmen. Anforderungen der Offenlegung sind einem gesonderten Delegierten Rechtsakt (EU-Kommission 2021b) definiert. Die jährliche Verpflichtung zur Veröffentlichung der EU-Taxonomie Informationen als Nachhaltigkeitsbericht betrifft derzeit große, börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern wobei hier das EU-Taxonomie Regulativ auf die sogenannte „Non-Financial Reporting Directive“ (NFRD – Direktive 2014/95/EU) sowie nachhaltige Finanzprodukte die in der sogenannten „Sustainable Finance Disclosure Regulation“ (SFDR – Regulativ (EU) 2019/2088) definiert sind verweist. Aktuell sind bereits rund 11.000 Unternehmen in der EU von dieser verpflichtenden Anwendung der EU-Taxonomie betroffen. Mit der sogenannten „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) (EU-Kommission und Rat 2022a) wird der Anwendungsbereich der EU-Taxonomie wesentlich erweitert und wird schrittweise alle Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern sowie alle börsennotierten (inkl. KMU aber exkl. Mikrounternehmen) und damit mehr als 50.000 Unternehmen umfassen.

Es ist davon auszugehen, dass sämtliche auf Fremdfinanzierung angewiesenen Unternehmen des Europäischen Wirtschaftsraums zumindest indirekt von der EU-Taxonomie betroffen sein werden, da sie an Kreditgeber und Investoren für deren Nachhaltigkeitsberichte Informationen und Daten bereitstellen werden müssen.

2.2 Relevanz für die Immobilienbranche

Für die Immobilienbranche definiert die EU-Taxonomie unter anderem folgende Wirtschaftstätigkeiten:

  • Neubau

  • Renovierung bestehender Gebäude

  • Installation, Wartung und Reparatur von energieeffizienten Geräten

  • Installation, Wartung und Reparatur von Ladestationen für Elektrofahrzeuge in Gebäuden und deren Parkplätzen

  • Installation, Wartung und Reparatur von Geräten für die Messung, Regelung und Steuerung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden

  • Installation, Wartung und Reparatur von Technologien für erneuerbare Energien

  • Erwerb von und Eigentum an Gebäuden

Ob noch weitere Wirtschaftstätigkeiten wie die Ausübung von freiberuflichen Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden relevant sind, ist im Einzelfall zu prüfen. Für die oben genannten Wirtschaftstätigkeiten sind derzeit bereits Anforderungen an die Taxonomie Konformität per Verordnung für die Umweltziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ festgelegt. Die Anforderungen für einen wesentlichen Beitrag zu den anderen 4 Umweltziele, darunter das Umweltziel „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“ sowie die technischen Kriterien wurden Ende Juni 2023 veröffentlicht. In diesem Umweltziel werden für die Immobilienbranche Kriterien für „Bau von neuen Gebäuden“, die „Renovierung von bestehenden Gebäuden“, der „Abriss und Zerstörung von Gebäuden und anderen Bauwerken“, die „Instandhaltung von Straßen und Autobahnen“ sowie die „Verwendung von Beton im Bauwesen“ definiert.

2.3 Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft

Technische Kriterien (EU-Kommission 2023) für dieses Umweltziel wurden Ende Juni 2023 von der Europäischen Kommission veröffentlicht. Im Weiteren liegt der Fokus bei den Kriterien für den wesentlichen Beitrag zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft für den „Bau von neuen Gebäuden“ sowie die „Renovierung von bestehenden Gebäuden“.

2.3.1 Kriterien für Neubau

Anforderungen an den Umgang mit Bau- und Abbruchabfällen

Diese werden gem. dem „EU-Protokoll für Abbruch- und Bauabfälle“ behandelt, wobei mindestens 90 % (nach Gewicht) der auf der Baustelle anfallenden nicht gefährlichen Bau- und Abbruchabfälle (mit Ausnahme von natürlich vorkommendem Material gemäß Kategorie 17 05 04 des durch die Entscheidung 2000/532/EG der Kommission erstellten Europäischen Abfallverzeichnisses) für die Wiederverwendung oder das Recycling vorbereitet werden müssen. Dies ist durch die Einrichtung von Sortiersystemen und durch entsprechende Audits vor dem Abbruch zu ermöglichen. Der Nachweis über die Erfüllung der Anforderung soll unter Bezugnahme auf die Level(s)-Indikatoren Stufe 2.2 (Bau- und Abbruchabfälle und -materialien) mit dem Berichtsformat gem. Stufe 3 für die verschiedenen Abfallströme erfolgen (EU-Kommission 2023).

Anforderungen an die Durchführung einer Ökobilanz

Die Berechnung einer Ökobilanz gem. Level(s) und EN 15978, welche jede Phase des Lebenszyklus abdeckt, ist durchzuführen und die Ergebnisse sind auf Anfrage den Investoren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Anforderungen an Baukonstruktion und -techniken

Die Baukonstruktion und -techniken sind kreislaufwirtschaftsgerecht auszuführen, damit das Gebäude ressourceneffizienter, anpassungsfähiger, flexibler und leichter demontierbar gestaltet ist, um Wiederverwendung und Recycling zu ermöglichen. Der Nachweis der Umsetzung der Anforderung muss unter Bezugnahme auf Level(s)-Indikator 2.3 (Design für Anpassungsfähigkeit) und 2.4 (Design für Rückbau) auf Stufe 2 erfolgen.

Anforderungen an die Nutzung von Kreislaufmaterial oder -produkten

Der Einsatz von Primärrohstoffen wird durch den Einsatz von Sekundärrohstoffen minimiert. Dabei muss sichergestellt werden, dass für die drei schwersten Materialkategorien (gemessen an der Materialmasse in Kilogramm), folgende Anteile an Primärrohstoffen nicht überschritten werden:

  • 70 % in Summe für Beton, Natur- oder Verbundstein

  • 70 % in Summe für Ziegeln, Fliesen, und Keramik

  • 80 % bei biobasierten Materialien

  • 70 % in Summe für Glas und mineralischen Dämmstoffen

  • 50 % bei nicht-biobasierten Kunststoffen

  • 30 % bei Metallen

  • 65 % bei Gips

Sofern keine Informationen über den Einsatz von Sekundärmaterialien vorhanden sind, werden die Materialmassen als Primärrohstoff betrachtet. Wiederverwendete Bauprodukte werden als 100 % Sekundärrohstoff in der Berechnung berücksichtigt. Die Einhaltung von Anforderungen für den Einsatz von Primärrohstoffen wird mithilfe des Levels 2.1 Indikator dargestellt.

Anforderungen an ein digitales Gebäudemodell

Zum Zweck der zukünftigen Wartung, Wiederherstellung und Wiederverwendung werden digitale Gebäudemodelle im As-built erstellt und genutzt, welche Informationen über Materialien und Bauprodukte, beispielsweise gemäß EN ISO 22057:2022, beinhalten um entsprechende Environmental Product Declarations (EPD) zu erstellten. Die digitalen Modelle werden auf Nachfrage Investoren und Betreibern zur Verfügung gestellt. Es wird sichergestellt, dass die digitalen Informationen auch über die Lebenszeit des Gebäudes verfügbar sind, was durch die Nutzung von nationalen Informationssystemen wie ein Materialkataster oder öffentliche Register realisiert werden kann.

2.3.2 Kriterien für Renovierungen

Die Anforderungen sind jenen des Neubaus ähnlich und unterscheiden sich in Details wie folgt dargestellt (EU-Kommission 2023).

Anforderungen an den Umgang mit Bau- und Abbruchabfällen

Die Anforderungen sind jenen des Neubaus gleich sowie eine Forderung nach einer Recyclingquote von 70 %.

Anforderungen an die Durchführung einer Ökobilanz

Die Anforderungen sind jenen des Neubaus gleich.

Anforderungen an Baukonstruktion und -techniken

Die Anforderungen sind jenen des Neubaus gleich.

Anforderungen an den Erhalt des Bestandsgebäudes

Gemessen an der Gesamtoberfläche aller externen Elemente, müssen mindestens 50 % des ursprünglichen Gebäudes beibehalten werden. Für die Berechnung wird auf nationale oder regionale Berechnungsmethoden oder, alternativ, auf die Definition „IPMS 1“ des International Property Measurement Standards zurückgegriffen.

Anforderungen an die Nutzung von Kreislaufmaterial oder -produkten

Die Anforderungen sind jenen des Neubaus gleich wobei abweichende Schwellenwerte, wie folgt, zur Anwendung kommen:

  • 85 % in Summe für Beton, Natur- oder Verbundstein

  • 85 % in Summe für Ziegeln, Fliesen, und Keramik

  • 90 % bei biobasierten Materialien

  • 85 % in Summe für Glas und mineralischen Dämmstoffen

  • 75 % bei nicht-biobasierten Kunststoffen

  • 65 % bei Metallen

  • 83 % bei Gips

Anforderungen an ein digitales Gebäudemodell

Die Anforderungen sind jenen des Neubaus gleich.

2.4 Herausforderungen bei der Implementierung

Die Anforderungen der EU-Taxonomie an die Nachweiseführung sind sehr umfangreich und besonders bei bestehenden Gebäuden ohne entsprechende Daten und Informationen-Verfügbarkeit, sehr herausfordernd. Darüber hinaus stellen einzelne Anforderungen aufgrund von Neuartigkeit und Interpretationsspielraum bei der Auslegung eine Herausforderung dar. So kann, z. B., die Qualität und der Detailgrad eines digitalen Gebäudemodells sehr unterschiedlich sein und muss jedenfalls in der frühen Phase eines Bauprojektes, wie in der Informationsanforderung oder im Lastenheft, durch die Bauherren festgesetzt werden.