FormalPara Koordinierende Leitautorin:

Jill Jäger1

FormalPara Leitautor_innen:

Ika Darnhofer2, Karin Dobernig3, Claudia Kettner-Marx4, Georg Leitinger5, Ina Meyer4, Markus Scharler1, Franz Sinabell4, Gerlind Weber1

FormalPara Beitragende Autor_innen:

Michael Getzner6, Markus Mailer6, Helga Pülzl2,7, Eva Schulev-Steindl2, Andreas Voigt6, Bernhard Wolfslehner2,7 Elisabeth Worliczek8

FormalPara Review-Editoren:

Alois Leidwein9, Andreas Windsperger10

FormalPara Nachwuchswissenschafterin:

Paula Bethge2

FormalPara Zitiervorschlag:

Jäger, J., Darnhofer, I., Dobernig, K., Kettner-Marx, C., Leitinger, G., Meyer I., Scharler, M., Sinabell, F., Weber, G. 2024: Kapitel 6 Landnutzungsentscheidungen: Klimawandelrelevante Strategien, Steuerungsinstrumente und Managementansätze. In: APCC Special Report: Landnutzung und Klimawandel in Österreich (APCC SR Land). [Jandl, R., Tappeiner, U., Foldal, C. B., Erb, K.-H. (Hrsg.)]. Springer Spektrum. Berlin/Heidelberg. S. 339–380.

1

Privat

2

Universität für Bodenkultur Wien

3

Fachhochschule Wiener Neustadt

4

Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung

5

Universität Innsbruck

6

Technische Universität Wien

7

European Forest Institute

8

Climate Change Centre Austria

9

Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH

10

Institut für Industrielle Ökologie

6.1 Einleitung

Landnutzungsentscheidungen werden unter anderem auf Grund der Knappheit der Landfläche bzw. der Knappheit des Bodens und der vom Boden zur Verfügung gestellten Leistungen (z. B. bereitstellende, regulierende und kulturelle Ökosystemleistungen; Box 1.2 Abschn. 3.5) getroffen. Bei vielen Entscheidungen können nicht alle Nutzungsansprüche erfüllt werden. Die Entscheidungen werden individuell (z. B. durch Wahl des Wohnstandorts) und kollektiv (z. B. Ressourcen-, Energie- und Infrastrukturpolitik) getroffen. Auch die Unterlassung flächensparender oder klimafreundlicher Entscheidungen und das Dulden umweltkontraproduktiver Subventionen können die Landnutzung beeinflussen.

Die knappe Ressource Land weist aus ökonomischer Sicht besondere Eigenschaften auf (Alexander, 2014; Cheshire, 2013 u. a.) Nichtvermehrbarkeit, Heterogenität hinsichtlich der spezifischen Standort- und Lageeigenschaften, externe Effekte einzelner Bodennutzungen, öffentliche Güter hinsichtlich verschiedener Flächeneigenschaften (Ökosystemleistungen des Bodens als Kohlenstoffsenke, Lebensraum/Habitat, Nährstoff- und Wasserspeicher, u. a. m.).

Der Handlungsrahmen für Landnutzungsentscheidungen reicht von globalen Prozessen (z. B. den Nachhaltigkeitszielen – SDGs), zu Entscheidungen auf EU-Ebene bis hin zu Entscheidungen, die lokal getroffen werden. Dazu gibt es sehr unterschiedliche Zeithorizonte, z. B. Klimaziele für das Jahr 2050, Nachhaltigkeitsziele für 2030, EU-Biodiversitätsziele für 2030.

Die Entscheidungsfindung bzgl. der Landnutzung in Österreich wird wesentlich durch die hierarchische Struktur politischer Machtausübung beeinflusst: ausgehend vom Stufenbau der Rechtsordnung, der Kompetenzverteilung zwischen den Gebietskörperschaften, den historischen, naturräumlichen und rechtlich-ökonomischen Vorgaben werden Flächen für eine bestimmte Nutzung grundsätzlich gewidmet (z. B. Land- und Forstwirtschaft, Infrastruktur, Siedlungs- und Gewerbegebiete). Die mögliche Art der Bewirtschaftung und die Intensität der Nutzung werden auf Basis einer Reihe von Fachmateriengesetzen und durch die Raumplanung bestimmt. Hierbei spielen die vielfältigen Instrumente des öffentlichen Sektors (des Staates) eine wichtige Rolle (Schönbäck, 1991).

Eine Reihe von Organisationen sind am öffentlichen Diskurs beteiligt, in dem ausverhandelt wird, welche Landnutzung und welche Produktionsmethoden als „wünschenswert“ erachtet werden, und damit auch, welche politischen Maßnahmen beschlossen werden. Dazu gehört in erster Reihe die Landwirtschaftskammer, die im Rahmen der Interessensvertretung als einer der vier Sozialpartner agiert und für die Beratung der Landwirt_innen zuständig ist (Ackerl et al., 2017; Lorenz, 2019). Am Diskurs beteiligen sich auch weitere Akteure: politische Organisationen sowie Verbände und Vereine aus den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Ernährung, Tourismus, und Kultur.

Dieses Kapitel untersucht das komplexe Bild der Landnutzungsentscheidungen. Die Komplexität und entstehende Konflikte werden in Abschn. 6.2 diskutiert. Danach stehen die Handlungsrahmen auf globaler, europäischer und österreichischer Ebene im Fokus (Abschn. 6.3). Die staatlichen Instrumente bzgl. Landnutzungsentscheidungen in Österreich sind im Detail in Abschn. 6.4 beschrieben. Weitere, nicht staatliche bzw. nicht marktwirtschaftliche Ansätze, die zu klimarelevanten Landnutzungsentscheidungen führen können, sind in Abschn. 6.5. diskutiert. Abschn. 6.6 beschreibt die Rolle von Raumplanung bei klimarelevanten Landnutzungsentscheidungen und präsentiert auch eine Reihe von Lösungen zu gegenwärtigen Problemen. Abschn. 6.7 beschreibt Forschungsbedarf bezüglich Szenarienansätzen für die Entwicklung von Landnutzungsstrategien. Die Schlussfolgerungen in Abschn. 6.8 fassen wesentliche Aussagen des Kapitels zusammen. Wichtige Begriffe, die in diesem Kapitel verwendet werden, sind in der Box 6.1 definiert.

Box 6.1 Definitionen

„Strategien“ umfassen einen längerfristigen Handlungsrahmen, enthalten ein (z. B. politisch vorgegebenes) zumeist wesentliches Ziel, einen Zeitrahmen zur Zielerreichung und mögliche (raum- und akteur_innenbezogene) Instrumente und Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen.

„Instrumente“ sind konkrete staatliche oder planerische Entscheidungsrahmen und Mittel zur Umsetzung politischer Ziele (z. B. Steuern, Ver- und Gebote, Subventionen, Informations- und Partizipationsinstrumente).

„Maßnahmen“ sind technisch-naturwissenschaftliche, wirtschaftliche oder organisatorische Eingriffe und Handlungen, um bestimmte Ziele erreichen zu können (z. B. Finanzierung von Altbaurenovierung für eine Reduktion des Energieverbrauchs, finanzielle Anreize für die Umstellung auf ökologischen Landbau).

6.2 Landnutzungsentscheidungen, Barrieren und Interessenkonflikte

Planungs- und Nutzungsentscheidungen in der Raumentwicklung und Landnutzung sind aus ökonomischer Perspektive Allokationsentscheidungen: Das Zusammenspiel der Vielfalt an Beteiligten (insb. private Haushalte, Unternehmen, öffentlicher Sektor) ergibt eine bestimmte Allokation (Zuweisung) der knappen Ressource Land einschließlich der mit dem Boden verbundenen Ökosystemleistungen zu verschiedenen Verwendungszwecken (z. B. Gerber et al., 2018). Über den internationalen Handel mit Gütern und Produkten, deren Erzeugung Landfläche in anderen Ländern in Anspruch nimmt, wie etwa Lebensmittel, natürliche Fasern (wie Wolle, Baumwolle) und Holz, wird ebenso Einfluss auf internationale Landnutzungsentscheidungen genommen (Fuchs et al., 2020; siehe auch die Diskussion um indirekte Landnutzungsänderungen im Bereich der Produktion von Bioenergie in den Abschn. 3.2.2 und 5.2).

Landnutzungsentscheidungen zeigen eine langfristige Strukturwirkung und Trägheit in Hinblick auf Änderungen im Sinne der Emissionsminderung und Anpassung, die sich insbesondere aus Pfadabhängigkeiten ergeben (Lock-in-Effekte; z. B. Sherry, 2016). Die Langlebigkeit von Strukturen (z. B. Siedlungen, Verkehrs- und Energieinfrastruktur) resultiert technisch und ökonomisch aus den hohen Anfangsinvestitionen zur Errichtung von Kapitalstöcken, den damit verbundenen versunkenen Kosten und den Netzwerk- und Größenvorteilen. Eine Überwindung und Änderung bestehender Landnutzungsstrukturen, insbesondere auch im Bereich der Energieversorgung, ist durch den Lock-in-Effekt (Pfadabhängigkeit) aus ökonomischen Gründen erschwert (Unruh, 2000). Neben den technisch-ökonomischen Lock-in-Wirkungen erschweren verhaltensbezogene und institutionelle Pfadabhängigkeiten (Seto et al., 2016) einen raschen Umbau des auf fossilen Energieträgern basierenden Wirtschaftssystems und konservieren die in der Vergangenheit langfristig entstandenen Landnutzungsstrukturen. Dies gilt auch für die Persistenz der in den unterschiedlichen Nutzungstypen jeweils vorherrschenden Managementansätze, etwa für die Landwirtschaft und die Frage, ob konventionelle (intensive) oder nachhaltige (extensive) Bewirtschaftung erfolgt bzw. erfolgen soll. Rigiditäten in Form von Markt- und Institutionenversagen verhindern, dass die externen Umweltkosten auch nur annähernd eingepreist werden. So senden die Marktpreise (weiterhin) die falschen Knappheitssignale aus und zementieren eine suboptimale Angebots- und Nachfragestruktur (Dasgupta, 2021; Stern, 2006). Nicht nur der Landnutzungstyp, sondern auch die Intensität der Landnutzung beeinflusst somit die Umweltauswirkungen durch Landnutzungsentscheidungen. Die Wahl der Produktionsverfahren und Bewirtschaftungsmethoden wirkt sich auf die Intensität der Landnutzung und damit den Ausstoß an Treibhausgasen bzw. die Sequestrierungsleistung der Ökosysteme aus (Abschn. 3.2). Zum Beispiel Maßnahmen im Bereich der Effizienzsteigerung des Düngemitteleinsatzes in der konventionellen Landwirtschaft oder die Ausweitung des ökologischen Landbaus verringern Treibhausgasemissionen (Bogestrand et al., 2013; OECD, 2007; Abschn. 2.2).

Barrieren der Umsetzung von ressourcenschonenden oder emissionsvermindernden Maßnahmen liegen häufig in einem höheren Arbeits- oder Kapitaleinsatz, der die Produktionskosten erhöht, sowie in der geringeren Flächenproduktivität. Im Biolandbau beispielsweise beinträchtigen die spezifischen Input- und Output-Faktoren die Konkurrenzfähigkeit gegenüber konventionell erzeugten Agrarprodukten. Öffentliche Förderungen im Rahmen der Europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) durch österreichische Agrarumweltprogramme (ÖPUL) sollen die einzelwirtschaftlichen Nachteile klimaschonender Praktiken, die durch die Persistenz des Marktversagen weiterhin bestehen, ausgleichen und die Bereitstellung von öffentlichen Gütern, wie klima-resiliente Böden, Mitigation, Biodiversität und andere landbasierte Ökosystemleistungen, finanziell unterstützen.

Entscheidungen, wie Land und Boden benutzt werden sollen, sind klimarelevant und haben langfristige Auswirkungen auf den Klimaschutz (Mitigation), die Biodiversität und die Resilienz (Box 6.2) der unterschiedlichen Sektoren (Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Naturschutz, Siedlungen, Verkehrswege, Tourismus usw.). Im Prozess der Entscheidungsfindung werden einzelwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Interessenkonflikte deutlich, auch weil heutige Landnutzungsentscheidungen langfristige Konsequenzen haben können, die insbesondere auch die nachfolgenden Nutzer betreffen (Mostegl et al., 2019). Ein Beispiel eines klimarelevanten Interessenkonfliktes ist in Box 6.3 beschrieben.

Box 6.2 Konfliktfelder bei Klimawandelanpassung

Jiricka-Pürrer und Wachter (2019) analysierten die österreichische Klimawandelanpassungsstrategie sowie einige Anpassungsstrategien der Bundesländer und begleitende Forschungsberichte und zeigen vielfältige Konfliktfelder auf, in denen Ziel- und Nutzungskonflikte durch bzw. im Umgang mit dem Klimawandel entstehen können. Jiricka-Pürrer und Wachter (2019) identifizieren drei Konfliktkategorien:

  • Konflikte, die sich aus der gegenwärtigen Landnutzungskonkurrenz ergeben und durch den Klimawandel verstärkt werden

  • Konflikte, die sich aus Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel ergeben bzw. bestehende Konflikte verstärken

  • Konflikte, die sich aus Klimaschutzmaßnahmen ergeben

Typische Konfliktbereiche bei Klimawandelanpassung sind:

  • Die längerfristige Anpassung an Hitze/Trockenheit durch veränderte Artenwahl in der Land- und Forstwirtschaft kann den Naturschutzzielen entgegenwirken.

  • Die Schaffung von Retentionsräumen (Hochwasserschutz) kann zu Nutzungskonflikten mit anderen Interessen der Raumplanung oder Reduktion landwirtschaftlich nutzbarer Flächen führen (Hohenwallner et al., 2015).

  • Der mögliche Bedarf zu Rückwidmungen kann bestehende Flächenkonflikte verschärfen (Land Vorarlberg, 2015).

  • Raumbedarf für aktiven und passiven Hochwasserschutz kann Auswirkungen auf Bauen und Wohnen haben (Land Steiermark, 2017).

Jiricka-Pürrer und Wachter (2019) untersuchten auch Vorschläge zur Konfliktlösung. Die Lösungen betreffen verschiedene Planungsebenen, je nach Konfliktbereich und Problemstellung. Die Raumplanung ist auf Grund ihrer koordinierenden Funktion hier sehr wichtig (Birngruber et al., 2011; siehe Kap. 7). Aber auch die Fachplanung (Schutzwasserwirtschaft, Naturschutzplanung, Energiewirtschaft, Gefahrenzonenplanung etc.) spielt eine wesentliche Rolle. Die Koordination zwischen den für nationale Anpassungsstrategien zuständigen Abteilungen ist wichtig, um Interessenkonflikte zu vermeiden und durch rechtliche Vorgaben, Planungsinstrumente oder Anreize gegen sie anzugehen (Biesbroek et al., 2010). Eine sektorenübergreifende Anpassung kann Fehlanpassung und Konflikte vermeiden (Heidrich et al., 2016; Aguiar et al., 2018) [robuste Evidenz, hohe Übereinstimmung]. Die Zeitdimension muss auch betrachtet werden. Während zahlreiche Anpassungsmaßnahmen kurz- bis mittelfristig umgesetzt werden können, können sie mittel- bis längerfristig Konflikte verursachen. Zum Beispiel ist die Pflanzung neuer Baumarten kurzfristig zu realisieren, aber der mögliche Konflikt mit dem Naturschutz vielleicht ein langfristiger. Bei der Betrachtung der Lösungsmöglichkeiten spielt der zeitliche Horizont immer eine wichtige Rolle (Jiricka-Pürrer & Wachter, 2019).

Klar ist, dass der Austausch zwischen den verschiedenen Ebenen der Planung (Bundes-, Regional- und Kommunalebene) von zentraler Bedeutung für die Beachtung von Konfliktfeldern ist (Jiricka-Pürrer & Wachter, 2019). Konflikte werden oft zuerst auf der lokalen Ebene erkannt, eine Vermeidung oder Minderung würde aber Entscheidungen auf der übergeordneten Ebene erfordern.

Box 6.3 Beispiel für Interessenkonflikt: die dritte Piste am Flughafen Wien

Die gesellschaftliche Diskussion um den geplanten Ausbau der dritten Piste am Flughafen Wien illustriert die Konflikte zwischen wirtschaftlichen Interessen und Klimaschutz sowie deren Auswirkung auf die Landnutzung.

Nach einer jahrelangen Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigte das Bundesverwaltungsgericht die geplante Erweiterung nicht, aus Gründen des Klimaschutzes und wegen erheblicher Inanspruchnahme von Boden (BVwG, W109 2000179-1, 2018).

Der Verfassungsgerichtshof hob diese Entscheidung kurz darauf auf, und zwar mit der (in Fachkreisen umstrittenen) Begründung, das Gericht habe „willkürlich“ und damit grob fehlerhaft die Aspekte von Klimaschutz und Bodeninanspruchnahme in seine Abwägungsentscheidung mit einbezogen (VfSlg 20.185/2017, VfGH 2017). Im zweiten Rechtsgang wurde die Genehmigung sodann ohne spezifische Bedachtnahme auf den Klimaschutz erteilt und in letzter Instanz vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt (Ro 2018/03/0031, VwGH 2019). Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde im Jänner 2021 der Bau der dritten Piste vorerst verschoben.

6.3 Politische Ziele und Rahmenbedingungen für klimaorientierte Landnutzung

Landnutzungsentscheidungen in Österreich sind an einen nationalen rechtlichen Handlungsrahmen gebunden (Abschn. 6.3.3), der zunehmend und wesentlich auch auf der inter- oder supranationalen Ebene determiniert wird, etwa durch die Bereitstellung von globalen klimarelevanten Landnutzungszielen (Abschn. 6.3.1) und europäischen Zielsetzungen und Strategien (Abschn. 6.3.2).

6.3.1 Globale Rahmenbedingungen und Ziele

6.3.1.1 SDGs – Nachhaltigkeitsziele

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) hat im September 2015 die UN-Resolution 94A/70/L.1 „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ verabschiedet. Diese Resolution beinhaltet 17 nachhaltige Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals; SDGs). Diese Ziele wurden von allen UN-Mitgliedstaaten angenommen, so auch von Österreich, das sich zur Umsetzung der Agenda 2030 verpflichtet hat. Landnutzungs- und Klimawandelaspekte spielen in vielen der SDGs eine zentrale Rolle (Abschn. 1.5.1).

Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie führt jetzt die Arbeiten zur Umsetzung der „Agenda 2030“ durch. Erste Umsetzungsschritte dazu sind im SDG-Aktionsplan 2019+ (BMNT, 2019a) zusammengefasst. Dieser Aktionsplan beschreibt rund 40 Initiativen in den thematischen Schwerpunkten Umwelt und Klima, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wasserwirtschaft und Tourismus.

6.3.1.2 Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC)

Das Rahmenübereinkommen wurde im Jahre 1992 verabschiedet (UNFCCC, 1992; Abschn. 1.5.2). Das Hauptziel dieses Übereinkommens ist es, die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Ein solches Niveau sollte innerhalb eines Zeitraums erreicht werden, der ausreicht, damit sich die Ökosysteme auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werden kann.

Es folgte 1997 das Kyoto-Protokoll, in dem die Industriestaaten sich verpflichteten, ihre Emissionen von sechs Treibhausgasen in der Periode 2008–2012 („erste Verpflichtungsperiode“) gegenüber 1990 zu begrenzen bzw. zu reduzieren. Im Dezember 2012 wurde eine Änderung des Kyoto-Protokolls (mit einer „zweiten Verpflichtungsperiode“ von 2013 bis 2020) beschlossen (österreich.gv.at, 2020). Die Emissionen in Österreich lagen am Ende der ersten Kyoto-Periode über dem Niveau von 1990. Die „fehlenden“ Emissionsreduktionen mussten durch den Zukauf von Emissionsrechten in der Höhe von über 400 Mio. Euro ausgeglichen werden (Chiari, 2017).

Nach weiteren Verhandlungen wurde im Dezember 2015 das Pariser Abkommen verabschiedet. Das inzwischen sehr bekannte Ziel ist, die globale Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten zu begrenzen und zudem sollen Anstrengungen unternommen werden, den Anstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Die österreichischen Verpflichtungen dazu werden unten im Rahmen der EU-Zielvorgaben diskutiert.

6.3.2 Internationale Rahmenbedingungen und Ziele der EU

Die Politik der Europäischen Union (EU) hat eine erhebliche Bandbreite und Auswirkungen auf klimarelevante Landnutzungsentscheidungen in Österreich. Im Folgenden werden wesentliche Politikansätze bzw. Politikfelder erläutert.

6.3.2.1 Die europäische Strategie „Green Deal“

Die Strategie wurde von der Europäischen Kommission im November 2019 vorgestellt (EC, 2019a) und verfolgt das Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren. Die Europäische Kommission bezeichnet den Grünen Deal als ihren „Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft“. Die Leitstrategie besteht aus 13 Maßnahmepaketen. Die Strategie umfasst Maßnahmen, um den effizienten Umgang mit Ressourcen zu fördern, indem zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft übergegangen, der Klimawandel aufgehalten, gegen den Verlust an Biodiversität vorgegangen und die Schadstoffbelastung reduziert wird (EC, 2019b, S. 640). Dabei werden alle Wirtschaftszweige – Verkehr, Energie, Landwirtschaft und Gebäude sowie die Stahl-, Zement-, IKT-, Textil- und Chemieindustrie – eingebunden und auch Vorschläge für ein CO2-Grenzausgleichssystems vorgelegt. Deshalb könnten Richtlinien, Strategien und Maßnahmen in allen Sektoren Landnutzungsentscheidungen beeinflussen. Zum Beispiel gibt der Green Deal das Ziel vor, den ökologischen und klimatischen Fußabdruck des EU-Lebensmittelsystems zu verkleinern und die Treibhausgasemissionen des Verkehrs bis 2050 um 90 % zu reduzieren. Die Bioökonomie-Strategie (EC, 2018a, 2018b) kann den biobasierten Sektor stärken und integriert mehrere Sektoren.

6.3.2.2 Klima

Im Rahmen des European Green Deal hat sich die EU mit dem Europäischen Klimagesetz das verbindliche Ziel gesetzt, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Dies setzt voraus, dass die derzeitigen Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahrzehnten deutlich sinken. Das Ziel zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 auf mindestens 55 % wurde im September 2020 beschlossen (EC, 2020a). Jeder EU-Mitgliedstaat muss sicherstellen, dass die Treibhausgasemissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft ausgeglichen werden, indem im Zeitraum 2021–2030 eine mindestens gleich große Menge CO2 aus der Atmosphäre abgebaut wird. Die EU überarbeitet klima-, energie- und verkehrsbezogene Rechtsvorschriften im Rahmen des sogenannten „Fit-for-55-Pakets“, um die aktuellen Gesetze an die Ziele für 2030 und 2050 anzupassen.

6.3.2.3 Bodenschutz

Zum Schutz der Böden und ihrer Funktionen in ganz Europa wurde 2006 die Europäische Bodenrahmenrichtlinie vorgeschlagen. Aufgrund starker Blockaden durch fünf Mitgliedstaaten wurde der Vorschlag jedoch 2014 von der Europäischen Kommission formell zurückgezogen (Chen, 2020). In Ermangelung eines eigenen Rechtsrahmens wird die EU-Bodenschutzpolitik durch die thematische EU-Bodenstrategie und Bestimmungen in einer Reihe anderer politischer Instrumente geprägt.

Am 2. Februar 2021 leitete die Europäische Kommission eine öffentliche Online-Konsultation zur Entwicklung einer neuen EU-Bodenstrategie ein. Die EK weist darauf hin, dass gesunde Böden für die Erreichung der Ziele des European Green Deal von wesentlicher Bedeutung sind. Ziel der neuen EU-Bodenstrategie wird es sein, boden- und landbezogene Probleme umfassend anzugehen und dazu beizutragen, bis 2030 eine Neutralität der Bodendegradation zu erreichen. In der Strategie wird untersucht, wie die Bodenfruchtbarkeit geschützt, die Erosion verringert und die organische Bodensubstanz erhöht sowie die internationalen Verpflichtungen der EU berücksichtigt werden können.

6.3.2.4 Biodiversität

Im Mai 2020 hat die Europäische Kommission die neue EU-Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt für 2030 und einen Aktionsplan für eine umfassende, ehrgeizige und langfristige Strategie zum Schutz der Natur (einschließlich der Böden) und zur Umkehrung der Verschlechterung der Ökosysteme verabschiedet (EC, 2020b). Wichtige Ziele der Strategie bezüglich Landnutzung sind, mindestens 30 % der Landfläche der EU rechtlich zu schützen, die Zersiedelung zu begrenzen, das Pestizidrisiko zu verringern, mindestens 10 % der landwirtschaftlichen Fläche unter Landschaftsmerkmalen mit großer Vielfalt zurückzubringen, 25 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche der EU als ökologisch bewirtschaftet voranzutreiben, Fortschritte bei der Sanierung kontaminierter Bodenflächen zu erzielen, die Bodendegradation zu verringern und mehr als drei Milliarden neue Bäume zu pflanzen.

6.3.2.5 Landwirtschaft

In der GAP der EU wurden über drei Jahrzehnte Einkommensziele für die in der Landwirtschaft Tätigen vor allem durch Preispolitik verfolgt, konkret durch Mindestpreise, die von der Politik festgelegt wurden (Winters, 1987). Dies war auch in Österreich der Fall (OECD, 1987). Das unmittelbar nach dem Weltkrieg vorrangige Ziel der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln wurde im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts weitgehend erreicht. Seit den 1980er-Jahren kam es zur Überproduktion bei einzelnen Produkten, da begleitende Maßnahmen zur Eindämmung der Produktion wenig wirksam waren (OECD, 1993).

Dies sollte durch die Abkehr von Eingriffen in das Preissystem verhindert werden. Zahlungen an Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter, die zunächst (ab 1992) an die Produktion, in weiterer Folge (ab 2005) an die Betriebe und seit 2015 an die Flächen gebunden sind, lösten Markteingriffe ab.

Seit 1995 werden in der EU neben den produktivitäts- und einkommensfördernden Zahlungen auch erhebliche Beträge für ländliche Entwicklungsprogramme aufgewendet und seit 2007 vom Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Ländlichen Raums (ELER) finanziert. Diese werden Zahlungen der „Zweiten Säule“ genannt und betrugen in Österreich 1,09 Mrd. Euro im Jahre 2019. Gemäß dem im Jahr 2020 beschlossenen mehrjährigen Finanzrahmen der EU sind von 2021 bis 2027 für die GAP pro Jahr 49 Mrd. Euro beschlossen worden, davon 11 Mrd. Euro zu Preisen des Jahres 2018 für das Programm der Ländlichen Entwicklung (EU COM 392, 2018). Diese Gelder werden für Maßnahmen eingesetzt, die neun strategische Ziele verfolgen, die 2018 von der Europäischen Kommission im Zuge der jüngsten Reform der GAP vorgegeben wurden (EU 2115, 2021). Zu diesen zählen neben Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auch Klimaschutz und Unterstützung bei der Klimawandelanpassung sowie Ressourcenschutz (Boden, Wasser, Luft) und Schutz der Biodiversität.

6.3.2.6 Forstwirtschaft

Die EU verfügt im Unterschied zur Landwirtschaftspolitik über keine gemeinsame rechtliche Kompetenz im Bereich der Forstwirtschaft. Das bedeutet, dass die Formulierung und Umsetzung waldrelevanter Politik im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips erfolgt bzw. in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegt (Aggestam & Pülzl, 2020; Wolfslehner et al., 2020). Die EU-Waldpolitik wurde bis 2020 durch die EU-Waldstrategie (EC, 2013) und den damit verbundenen mehrjährigen Umsetzungsplan (EC, 2015) angeleitet. Allerdings gibt es daneben auch eine große Anzahl von Gesetzen und Politikstrategien, die Einfluss auf die Waldpolitik nehmen (Aggestam & Pülzl, 2018). Die Europäische Kommission hat Mitte 2021 eine neue EU-Waldstrategie veröffentlicht (EC, 2021), um waldrelevante Aspekte dieser Politiken zu koordinieren. Die EU-Klima-, Biodiversitäts- und Energiegesetzgebung und der Grüne Deal wirken sich auch auf die forstliche Landnutzung in der Zukunft aus. Während in der Vergangenheit die multifunktionale Bedeutung des Waldes als Leitprinzip diente (Pülzl et al., 2018), rücken nun Wälder  als Kohlenstoffsenke und Biodiversitätsreservoir neben der Nutzung von Holz für langlebige Holzprodukte in den Vordergrund. Zwar kann das einerseits dazu führen, dass diese Aspekte in der Landnutzung gestärkt werden, andererseits vernachlässigt es, dass Wälder als Einnahmequellen ihrer Besitzer_innen dienen und eine Vielzahl von weiteren Waldökosystemdienstleistungen (Primmer et al., 2021) nicht zur Gänze erfasst werden und damit in den Hintergrund gedrängt und nicht im bisher üblichen Ausmaß optimiert bereitgestellt werden. Die Studie CareforParis (Box 5.1) zeigt beispielsweise für Österreich auf, dass eine reine Fokussierung auf die Speicherleistung im Wald eine Hochrisikostrategie ist, da in Zukunft der Wald aufgrund des Klimawandels zur Emissionsquelle werden kann.

6.3.2.7 Wasser

Die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) wurde im Jahr 2000 verabschiedet (EU 2000/60, 2000, p. 60). Im Rahmen des Konzepts des integrierten Wasserressourcenmanagements fordert die WRRL die Mitgliedstaaten auf, Pläne und Maßnahmenprogramme für das Flussgebietsmanagement aufzustellen. Mehrere Studien unterstreichen, dass die Notwendigkeit der Integration sowohl die Planung der Wasserressourcen als auch die Planung der Landnutzung erfordert (Andersson et al., 2012; Carter, 2007; Fidelis & Rodrigues, 2019). Forschungen von Andersson et al. (2012) haben gezeigt, dass sich die verschiedenen an der Planung beteiligten Gruppen nicht immer über die Auswirkungen der WRRL in ihrer Region einig sind. In Bezug auf die WRRL stellte Carter (2007) fest, dass eine stärkere Integration der Nutzung und Bewirtschaftung von Land und Wasser durch Raumplanung erforderlich ist. Eine weitere Studie (Zingraff-Hamed et al., 2020) identifizierte vier Haupthindernisse für die Umsetzung der WRRL:

  1. 1.

    Probleme im Zusammenhang mit der horizontalen sektorübergreifenden Kommunikation,

  2. 2.

    unzureichende Landreserven,

  3. 3.

    unzureichende Personalkapazitäten und

  4. 4.

    unzureichende Finanzierung.

Die Richtlinie über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken ist im Jahr 2007 in Kraft getreten (EU 60, 2007). Nach dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten bewerten, ob bzw. welche Wasserverläufe und Küstenlinien von Überschwemmungen bedroht sind, das Ausmaß des Hochwasserrisikos erfassen, die gefährdeten Menschen und Vermögenswerte in diesen Gebieten erfassen und angemessene und koordinierte Maßnahmen ergreifen, um dieses Hochwasserrisiko zu verringern. Mit dieser Richtlinie wird auch das Recht der Öffentlichkeit gestärkt, auf diese Informationen zuzugreifen und am Planungsprozess mitzuwirken. Der Europäische Rechnungshof, der die Umsetzung dieser Richtlinie überprüft hat, befand, dass Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung besteht (Europäischer Rechnungshof, 2018). Es bleiben große Herausforderungen bestehen, den Klimawandel, Hochwasserversicherungen und die Raumordnung deutlich umfassender in das Hochwasserrisikomanagement zu integrieren (Europäischer Rechnungshof, 2018). Die Umsetzung in Österreich wurde von Neuhold (2016) beschrieben. Er fand, dass die Richtlinie für die strategische Planung (mittelfristig) auf nationaler Ebene sehr wertvoll ist. Die Prioritäten in Österreich liegen auf nicht strukturellen Maßnahmen sowie auf Maßnahmen zur Förderung der Hochwasserretention (Neuhold, 2016).

6.3.3 Nationale Rahmenbedingungen und Ziele in Österreich

6.3.3.1 Klima

Auf nationaler Ebene hat Österreich einen Plan für Klimaschutz und eine Strategie zur Klimawandelanpassung, die Landnutzungsentscheidungen beeinflussen, entwickelt. Bis Ende 2019 wurde auch eine nationale langfristige Klimastrategie 2050 erstellt und an die Europäische Kommission übermittelt.

Die Bundesregierung bekennt sich im integrierten nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP; BMNT, 2019b) zu dem österreichischen Reduktionsziel von 36 %, entsprechend den EU-Vorgaben. Der Plan umfasst jene Sektoren, die nicht dem EU-Emissionshandelssystem unterliegen, wie beispielsweise Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude. Laut einer Wirkungsfolgenanalyse (BMK, 2019) können die Emissionen von Treibhausgasen bis 2030 durch die festgelegten Maßnahmen um 27 % oder um rund 9 Mio. t CO2-Äquivalente (CO2e) reduziert werden. Um eine Reduktion von 36 % zu erreichen, können weitere 2 Mio. t CO2e Senkung durch einen stufenweisen Abbau kontraproduktiver Förderungen erreicht werden. Für die restlichen 3,2 Mio. t CO2e gibt es im NEKP vorgeschlagene Optionen, die zusätzliche Emissionen einsparen könnten (Ökologisierung des Steuer-, Anreiz- und Abgabensystems, die Ausweitung des Emissionshandels auf zusätzliche Sektoren und die Verwendung von Auktionserlösen aus dem Emissionshandel für klima- und energierelevante Projekte). Im Regierungsprogramm für die Jahre 2020–2024 (BKA, 2020) wird an mehreren Stellen erwähnt, dass mehr Mittel für Klimaschutz bereitgestellt werden sollen (z. B. für Sanierung, Nahverkehr in Ballungsräumen, Regionalverkehr). Ein Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz wird angekündigt. Es soll zur Zielerreichung im Klimaschutzgesetz verpflichtende Reduktionspfade und ein CO2-Budget geben.

Die Österreichische Strategie zur Anpassung an den Klimawandel (BMLFUW, 2012a) wurde seit September 2007 schrittweise in einem großangelegten Stakeholderprozess entwickelt. Die Ausarbeitung der strategischen Elemente und des Aktionsplans mit Instrumenten und Maßnahmen erfolgte parallel. In einem breiten Beteiligungsprozess wurden Empfehlungen entwickelt, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren (Bachner et al., 2011; Balas et al., 2011; Haas et al., 2010b, 2010a, 2008; Meinharter & Balas, 2011; Schweiger et al., 2010). Das Gesamtdokument gliedert sich in einen strategischen Teil (Kontext) und in einen Aktionsplan mit konkreten Handlungsempfehlungen in 14 Aktivitätsfeldern. Die Strategie wurde in der aktualisierten Fassung (BMNT, 2017a) im August 2017 vom Ministerrat verabschiedet und am 10. November 2017 auch von der Landeshauptleutekonferenz zur Kenntnis genommen (auch Abschn. 4.1).

Im Kontext der österreichischen Anpassungsstrategie ist die regelmäßige Erstellung eines Fortschrittsberichts mit der Darstellung des Umsetzungsstands in den Aktivitätsfeldern vorgesehen. Der erste Fortschrittsbericht zum Status quo der Anpassung in Österreich (BMLFUW, 2015) wurde im Ministerrat verabschiedet und auch von der Landeshauptleutekonferenz bestätigt. Der Bericht zeigte, dass institutionelle Barrieren (z. B. fehlende Zusammenarbeit der Planer, Behörden, Versicherer …) und mangelnder politischer Wille die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen in der Praxis hemmen und dass der Klimawandel österreichweit nur in wenige relevante strategische Entscheidungen Eingang findet. Die Ergebnisse aus dem ersten Fortschrittsbericht waren eine wichtige Grundlage, um die Strategie im Jahr 2017 zu aktualisieren. Ein adaptiertes Konzept stellte die Basis für den zweiten Fortschrittsbericht dar, der im Juli 2021 veröffentlicht wurde (BMK, 2021). Dieser Bericht zeigt, dass die Anpassung an den Klimawandel allgemein an Dynamik gewonnen hat und österreichweit verstärkt Aktivitäten zur Anpassung umgesetzt werden, aber weiterer Handlungsbedarf besteht.

Auf der Ebene der Bundesländer wurden gleichfalls Pläne für Energie, Klimaschutz und Klimawandelanpassung erstellt. Zum Beispiel wurde am 19. Jänner 2021 das „NÖ Klima- und Energieprogramm 2030, Maßnahmenperiode 1: 2021 bis 2025“ beschlossen (Amt der NÖ Landesregierung, 2021). Dieses Maßnahmenprogramm enthält 353 Umsetzungsschritte für den NÖ Klima- und Energiefahrplan von 2019 (Amt der NÖ Landesregierung, 2019). Die Maßnahmen sind sechs Bereichen zugeordnet: Bauen.Wohnen, Mobilität.Raum, Wirtschaft.Nachhaltig, Energie.Versorgung, Land.Wasser und Mensch.Schutz. Von den 353 im Programm enthaltenen Maßnahmen haben 268 Maßnahmen eine Klimaschutzwirkung, 134 Maßnahmen eine Wirkung in Richtung erneuerbare Energie und Energieeffizienz, und 173 Maßnahmen tragen zur verbesserten Anpassung an den Klimawandel bei. Viele Maßnahmen werden Landnutzung beeinflussen, z. B. ist für eine breite Umsetzung der klimaschutzorientierten Raumplanung eine Anpassung der Instrumente (Strategien, Leitbilder, Fördermaßnahmen, u. a.) zu prüfen; Förderung von umweltfreundlichen Nutzungsformen von Kulturlandschaften wie angepasstes Flächenmanagement im Grünland (standortangepasst/Extensivierung), Erhalt von Dauergrünland; verstärkte Förderung der Aufforstung von naturnahen, an den Klimawandel angepassten Beständen in Gemeinden und Regionen mit geringem Waldflächenanteil.

Auf der Ebene der Regionen und Gemeinden gibt es auch zahlreiche Initiativen für Klimaschutz und Anpassung. Der österreichische Klima- und Energiefonds unterstützt sowohl Klima- und Energiemodellregionen (KEM) als auch Klimawandelanpassungs-Modellregionen (KLAR). 819 Gemeinden arbeiten in KEM, um mehr auf Sonnen-, Wind-, Wasser- und Bioenergie zu bauen. Für die KLAR-Förderperiode ab Herbst 2020 haben 44 Regionen aus ganz Österreich die Zusage zur Anpassung an den Klimawandel bekommen. Zwei Beispiele von KEM- und KLAR-Projekten, die auch einen Bezug zu Landnutzung haben, sind in Box 6.4 beschrieben.

Box 6.4 Beispiele für Klima- und Energiemodellregionen (KEM) als auch Klimawandelanpassungs-Modellregionen (KLAR)

KEM: 2007 hat die Ökoregion Kaindorf mit dem Projekt Humusaufbau (KLEM, 2021) auf 3 ha Ackerland begonnen. Um den Landwirten den Umstieg zu erleichtern, hat die Ökoregion Kaindorf einen freiwilligen Zertifikathandel ins Leben gerufen, der jedem Bauern bis zu 30,– Euro pro nachweislich gebundener Tonne CO2 garantiert. Die gebundenen Tonnen CO2 werden in Form von Humuszertifikaten Betrieben zum Kauf angeboten, die damit ihren nicht vermeidbaren CO2-Ausstoß kompensieren können. Es wurden bisher auf einer Fläche von 338 Hektar 119 Folgeuntersuchungen durchgeführt und insgesamt 9453,92 Tonnen CO2 gebunden. Seit Anfang des Projekts werden österreichweit mehr als 2400 ha nach diesem nachhaltigen System bewirtschaftet. Durchschnittlich werden im Boden mehr als zehn Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr gespeichert. Würde der Humusaufbau flächendeckend umgesetzt werden, könnten in der Steiermark jährlich mehr als 1,3 Mio. t CO2 und in Österreich jährlich mehr als 13 Mio. t CO2 in Ackerboden gebunden werden.

KLAR: In der KLAR! Bucklige Welt – Wechselland (KLAR, 2019) ist die Entwässerung von Güterwegen, Forst- und Bergstraßen durch die topografischen Gegebenheiten bzw. steilen Hanglagen bei Unwetterereignissen durch Verklausungen und daraus resultierende Überschwemmungen sowie Vermurungen eine Herausforderung. Diese KLAR-Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, bewusstseinsbildende Maßnahmen in der Wasserrückhaltung der kleinstrukturierten Straßenentwässerung durchzuführen und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die künftigen Sanierungen und Neubauten von Güterwegen, Forst- u. Bergstraßen durchgeführt werden können. Die Kleinstrückhaltebecken sollen auch als Trinkbrunnen für Tiere fungieren und deren Auswirkungen auf die Biodiversität aufgezeigt werden.

6.3.3.2 Landwirtschaft

Agrarpolitik fällt gemäß der österreichischen Bundesverfassung in das Aufgabengebiet der Länder (Holzer, 2018). Daher sind die Bundesländer betraut mit den Aufgaben in Zusammenhang mit dem Grundverkehr, dem Bodenschutz, den agrarischen Operationen (also Grundstückzusammenlegung), der Tiergesundheit und dem Pflanzenschutz. Regulierende Kompetenzen haben die Länder im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes. Über diese regulativen Aufgaben hinaus sind die Länder auch zuständig für das landwirtschaftliche Schulwesen. Die Länder bieten auch Förderprogramme an für Zielstellungen, die von der Bundesebene bzw. der EU nicht adressiert werden.

Ungeachtet dieser Kompetenzzuordnung ist der Bund ein wichtiger Akteur in der österreichischen Agrarpolitik. Der Einfluss wird über das Vertragsrecht ausgeübt, indem der Bund mit Landwirten und Landwirtinnen Verträge abschließt und eigene Mittel einsetzt, um Förderungen zu gewähren, die nationalen Zielen dienen (z. B. Prämienzuschüsse für bestimmte Versicherungen). Der Bund (Art. 10 B-VG) ist auch für Veterinärwesen und Ernährungswesen (einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle; Saat- und Pflanzgut, Futter-, Dünge- und Pflanzenschutzmittel) verantwortlich.

Der Bund beteiligt sich mit den Ländern gemeinsam an der Finanzierung des Programms der Ländlichen Entwicklung der EU, zu dessen wichtigen Elementen das ÖPUL und die Förderung der Berglandwirtschaft zählen. Im Bericht zur Lage der Landwirtschaft werden die Förderungen an die Land- und Forstwirtschaft im Umfang von 2,143 Mrd. Euro im Jahr 2019 folgendermaßen aufgeschlüsselt: 1,261 Mrd. Euro EU-Mittel, 378 Mio. Euro Bundesmittel, 504 Mio. Euro Landesmittel (BMLRT, 2020a). Davon wurden 1,596 Mrd. Euro direkt an land- und forstwirtschaftliche Betriebe ausbezahlt. Die EU-Mittel teilten sich auf in 713 Mio. Euro für Zahlungen zur Marktordnung und 547 Mio. für das Programm der Ländlichen Entwicklung. Dieses wurde von Bund (mit 303 Mio. Euro) und den Ländern (mit 241 Mio. Euro) kofinanziert (BMLRT, 2020a).

6.3.3.3 Wald

Das Österreichische Forstgesetz 1975 (in der geltenden Fassung) stellt die Grundlage für die nationale Waldpolitik dar. Darin wird definiert, dass Österreich den Prinzipien nachhaltiger Waldbewirtschaftung folgt und die Wirkungen des Waldes nach Nutz-, Schutz-, Wohlfahrts- und Erholungsfunktionen entsprechend einer multifunktionalen Waldbewirtschaftung versteht. Auf nationaler Ebene handelt es sich im Gegensatz zu z. B. Naturschutz oder Jagd um eine Bundeskompetenz. Obwohl die nationale Waldpolitik in Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip in nationaler Verantwortung liegt, gibt es gleichwohl eine Vielzahl an Instrumenten der EU-Politik (z. B. Landwirtschaft, Biodiversität, Klimaschutz), die in dieses Politikfeld hineinspielen und damit relevant sind.

Mit rund 48 % des österreichischen Staatsgebiets, d. h. 4 Mio. ha, zählt Österreich zu den waldreichen Ländern Europas. Diese Fläche besteht zu 81,1 % aus Privatwald (49,8 % Kleinwald, 21,7 % Großwald, 9,7 % Gemeinschaftswald) und 18,9 % öffentlichem Wald (15 % Österreichische Bundesforste AG; Linser, 2020). Aus der Vielzahl an Waldbesitzer_innen (ca. 145.000) und den vielfältigen Ansprüchen der Gesellschaft an den Wald ergibt sich eine komplexe Gemengelage hinsichtlich forstpolitischer Fragen. Dies kann sich in Interessenkonflikten äußern, sei es in der Frage des Eigentums vs. Interessen der Öffentlichkeit, in der Umsetzung von Naturschutzinstrumenten, z. B. im Rahmen der Natura-2000-Umsetzung, oder in der Wald-Wild-Debatte. Auch wenn klimapolitische Fragen vorerst auf übergeordneter Ebene diskutiert werden, sind Herausforderungen der Anpassung an den Klimawandel längst in der Praxis angekommen (z. B. Borkenkäfer, Windwurf, Waldsterben 2.0; BMNT, 2017b; Hoch & Steyrer, 2020).

Die wesentlichen Akteur_innen in der österreichischen Waldpolitik sind das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft (BML) und seine untergeordneten Einrichtungen in den Bundesländern sowie eine Vielzahl an Verbänden der Forst- und Holzwirtschaft und waldrelevante Interessenvertretungen: Austropapier, Bundesforschungszentrum für Wald, Kooperationsplattform Forst Holz Papier, Global 2000, Landwirtschaftskammer Österreich, Land&Forst Betriebe Österreich, Sägeindustrie, Umweltbundesamt, Umweltdachverband, World Wide Fund for Nature Österreich (WWF). Diese handeln im Rahmen der Sozialpartnerschaft, aber auch in anderen Kooperationsformen. Ein wichtiges Instrument der Koordination und des Austausches stellt das Österreichische Waldforum dar (BML, 2023), das sich auf die Österreichische Waldstrategie 2020+ (BMNT, 2018) bezieht. Jenes ist ein freiwilliges Instrument, das der Koordination unterschiedlicher Ansprüche an den Wald dient. Im Walddialog selbst werden in regelmäßigen Treffen aktuelle nationale und internationale forstpolitische Fragestellungen unter Einbeziehung interessierter Akteure behandelt und konsensorientiert diskutiert.

Klimapolitisch ergibt sich für die österreichische Forstpolitik wie auch in der gesamten EU eine cross-sektorale Situation (Wolfslehner et al., 2020). Das bedeutet, dass viele unterschiedliche Strategien und Gesetze aus anderen Politikbereichen waldrelevante Ziele formulieren und in die Umsetzung bringen und damit Zielkonflikte inhärent einhergehen können. Die Klimaziele durch eine Kohlenstoffspeicherung in situ und Außer-Nutzung-Stellung von Waldflächen bergen hohes Konfliktpotenzial mit den Eigentümer_innen, da viele aus der Nutzung von forstlichen Ökosystemleistungen (z. B. Holz) ihr Einkommen bestreiten und bis dato keine umfassenden Kompensationsleistungen für die Nicht-Nutzung angeboten werden. Dem gegenüber stehen Konzepte zur Substitution von fossilen Stoffen durch nachwachsende Rohstoffe und Ansätze zur Anrechnung von Holz in der langlebigen materiellen Nutzung, z. B. im Bauwesen (Ludvig et al., 2021; Abschn. 5.2.1).

6.3.3.4 Naturschutz

Im Bereich Natur- und Biodiversitätsschutz mit der Unterstützung von Bund, Ländern und der Europäischen Union gibt es Projekte auf Ebene der Ministerien (z. B. Biodiversitäts-Strategie Österreich 2020+; Umweltbundesamt et al., 2014), in Zusammenarbeit von Ministerien und NGOs (z. B. zukunftsraumland, 2020) sowie privater Stiftungen (z. B. Blühendes Österreich, 2020), welche wiederum regionale und lokale Akteurinnen und Akteure sowie Organisationen bei der Umsetzung von Entwicklungsstrategien unterstützen. Es entsteht eine netzwerkartige und institutionell übergreifende Vernetzung mit den Zielen,

  1. 1.

    die Vielfalt an Pflanzen, Tieren und Lebensräumen als Grundlage zu sichern,

  2. 2.

    den ländlichen Raum in seiner Entwicklung zu fördern, und

  3. 3.

    landwirtschaftliche Produktivität nachhaltig sicherzustellen.

Kontrollmechanismen und Evaluierungen der gesetzten Maßnahmen und der erfolgreichen Implementation der Projekte sind jedoch weitgehend nicht publiziert. Als Best-practice-Beispiel, um die Glaubwürdigkeit der Akteure und der umgesetzten Maßnahmen und Entwicklungsstrategien zu erhöhen, gilt eine Selbstevaluierung, wie sie in der aktuellen Programmperiode von LEADER 14–20 erstmals durchgeführt wurde (Bergman et al., 2019). Die Ergebnisse zweier Begleitstudien (Ecker et al., 2019; Stoppacher, 2019) zeigen, dass nicht nur ländliche Regionen profitieren, sondern auch Gebiete mit nur wenigen direkt Begünstigten (u. a. urbane Räume).

Box 6.5 stellt Naturschutzgebiete in Österreich aus rechtlicher Sicht dar. Die Umweltanwaltschaften Österreichs (Umweltanwaltschaften Österreich, 2020; in jedem österreichischen Bundesland ist von den jeweiligen Landesregierungen eine Umweltanwaltschaft eingerichtet) vertreten die öffentlichen Interessen des Natur- und Umweltschutzes und unterstützen die Bürgerinnen und Bürger bei Umweltproblemen und Missständen. Neben länderspezifischen Agenden gibt es gemeinsame Positionspapiere und Stellungnahmen aller Umweltanwaltschaften, die klimawandelrelevante Strategien, Steuerungsinstrumente und Managementansätze bewerten.Footnote 1

Box 6.5 Schutzgebiete aus rechtlicher Sicht

Naturschutz wird überwiegend von den Bundesländern geregelt und vollzogen (vgl. Abschn. 6.4.1). In den einzelnen Naturschutzgesetzen besteht daher beispielsweise die Möglichkeit, Schutzgebiete zu deklarieren. Allgemein kann festgehalten werden, dass Ziel und Zweck jeder Ausweisung eines Schutzgebietes darin liegen, das jeweilige Gebiet als Ganzes (Habitatschutz) oder besondere darin vorkommende Arten (Artenschutz) zu erhalten; oftmals wird auch bezweckt, den Zustand zu verbessern oder den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen (für Natura-2000-Gebiete vgl. Götzl, 2017). Gesichert werden soll dies in der Regel über Nutzungsbeschränkungen, Verbote, Bewilligungspflichten und durch die Verhängung von Verwaltungsstrafen bei entsprechenden Zuwiderhandlungen. Da aber innerhalb eines Schutzgebietes besondere Umweltgüter, wie Biodiversität oder Boden, häufig anderen Interessen in Zusammenhang mit der Nutzung eben dieser Güter gegenüberstehen, bedarf es stets sorgfältiger Abwägungen zwischen diesen konfligierenden Interessen (z. B. Abwägung zwischen dem Schutz der Biodiversität und der Nutzung von Wasserkraft). Die Kehrseite des Schutzes bestimmter Areale liegt in dem durch die Unterschutzstellung bewirkten Eingriff in grundrechtlich geschützte Güter. Besonders betroffen ist das Eigentumsrecht durch die ausgelösten Benutzungsbeschränkungen. Ausgleichend statuieren daher viele Gesetze Entschädigungsleistungen für betroffene Eigentümer (für Natura-2000-Gebiete vgl. Prückner & Brenn 2012a).

Insofern ist die Vollziehung gefordert, bei Bewilligungsverfahren auf eine ausgewogene Gewichtung aller Interessen zu achten, wobei die monetäre Bewertung ökologischer Interessen aufgrund diverser Verfahren grundsätzlich möglich ist (Thöni, 2008). In der Praxis wird dem ökologischen Wert tendenziell ein zu geringer Wert beigemessen und häufig eine unzureichende Interessensabwägung vorgenommen (vgl. Bußjäger, 2001; Schulev-Steindl & Romirer, 2019 zum Vorarlberger Naturschutzrecht). Bei der Abwägungsentscheidung ist für ökologische Interessen weiters von Nachteil, dass diese nicht individualrechtsfähig sind; es gibt im Gegensatz zum subjektiven Recht des Projektwerbers kein entgegenstehendes subjektives Recht der Natur (Schulev-Steindl & Romirer, 2020).

Für den Aspekt der Biodiversität zentral ist das auf der FFH- und der VSch-RL basierende Schutzregime der Natura-2000-Gebiete, soll doch einerseits ein hoher Schutzstandard für die Erhaltung des Habitat- und Artenbestands im jeweiligen Gebiet sichergestellt und andererseits über die Vernetzung dieser Gebiete (Korridorwege) ein über den einzelnen Gebietsschutz hinausgehendes Gesamtschutzkonzept verwirklicht werden (Götzl, 2017). Eingriffe in Natura-2000-Gebiete sind einer verhältnismäßig strengen Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen (Prückner & Brenn, 2012b).

Mit Stand 2017 war, wenngleich ein Aufwärtstrend verortet werden konnte, die Gebietsausweisung von Natura-2000-Gebieten (Schmelz, 2017) sowie die Herstellung der Korridore allerdings noch immer nicht abgeschlossen (Götzl, 2017). Eine ausreichende Gebietsausweisung und Vernetzung verspricht jedenfalls erhebliches Schutzpotenzial für die Belange der Biodiversität. Zur Überwindung der bundesstaatlichen Zersplitterung (Biodiversitätsschutz ist grundsätzlich Länderkompetenz) könnte auf Gliedstaatsverträge nach Art. 15a B-VG zwischen den Bundesländern und/oder dem Bund zurückgegriffen werden (Mauerhofer et al., 2018). Dies könnte wirkungsvoll – und ganz im Sinne der Ziele des Natura-2000-Regimes – zum übergreifenden Schutz der Biodiversität beitragen.

6.3.3.5 Österreichische Bioökonomiestrategie

Der Bioökonomie kommt im Zuge der Transformation des Wirtschaftssystems in Richtung zu mehr Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle zu. Nachhaltig produzierte erneuerbare Biomasse ist notwendig, um Rohstoffe aus fossilen Quellen zu ersetzen und liefert die Grundlage der Nahrung für Mensch und Tier. Die Begriffe „bioeconomy“ oder „bio-based economy“ haben politische Konnotationen und stehen in Bezug zu einer Wirtschaft, die auf erneuerbare, biologische Ressourcen setzt (McCormick & Kautto, 2013; OECD, 2009, 2001; Zawojska & Siudek, 2016). Sie umfasst damit jene Bereiche, die bereits bevor sich diese Begriffe etabliert haben als „nachwachsende Rohstoffe“ oder „Biomasse“ Eingang in die politische Diskussion gefunden haben.

In Österreich wurde 2012 der Ressourceneffizienz Aktionsplan (BMLFUW, 2012b) veröffentlicht. Er weist viele Berührungspunkte mit der Bioökonomie auf, indem er eine Steigerung der Effizienz bei der Nutzung natürlicher Ressourcen verfolgt. Es folgte die FTI-Strategie für die biobasierte Industrie in Österreich (FTI für Forschung, Technologie und Innovation; Ganglberger & Strurm, 2014). Die 2015 gegründete Initiative Bioeconomy Austria bietet verschiedenen Akteuren aus Politik, Forschung und Industrie eine Plattform zum Austausch und informiert über aktuelle Entwicklungen. Auch die Österreichische Waldstrategie 2020+ nimmt Bezug auf bioökonomische Herausforderungen (BMNT, 2018). Im Rahmen der #mission2030 und der Österreichischen Klima- und Energiestrategie (BMNT & BMVIT, 2018) wurde der Ministerratsbeschluss zur Erarbeitung einer Bioökonomiestrategie gefasst. 2019 wurde die Bioökonomiestrategie für Österreich veröffentlicht, um fossile Energie und Materialien durch nachwachsende Rohstoffe langfristig zu ersetzen (BMNT et al., 2019). Sie beinhaltet folgende sechs Ziele: Erreichung der Klimaziele; Reduktion der Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Rohstoffen; Förderung von Innovation; Förderung wirtschaftlicher Entwicklung; Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und Förderung nachhaltiger gesellschaftlicher Transformation; Land-, Forst- und Wasserwirtschaft. Die Strategie haben die Bundesministerien für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT), für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) und für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) als gleichrangige Akteure entwickelt. Dazu wurde eine Bioökonomieplattform gegründet, in der verschiedene Expertinnen und Experten über Workshops einbezogen wurden. Für die Umsetzung der Strategie wird ein Aktionsplan Bioökonomie ausgearbeitet. Dazu sind unter anderem rund 20 Workshops mit rund 450 Teilnehmenden geplant. Im Jahr 2020 wurde der Österreichische Waldfonds etabliert, ein Instrument zur Finanzierung einer nachhaltigen Waldwirtschaft und von Innovationen in der Holzverarbeitung. Dieser Fonds unterstützt den Aufbau des Netzwerkes „Bioeconomy-Austria“ (https://www.bioeconomy-austria.at/), eines Leuchtturmprojekts der nationalen Bioökonomiestrategie. Das Netzwerk wird von zehn Partnerorganisationen unterstützt, u. a. vom Umweltbundesamt, der Energieagentur und der „BioBase“ (https://www.biobase.at), einer Innovationsplattform für Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft mit Finanzierung durch das BMK, die sich als Informationsdrehscheibe für Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Politik versteht.

Eine Untersuchung zur Wahrnehmung und Bewertung der österreichischen Bioökonomie im Forst- und Holzsektor hat gezeigt, dass die Akteur_innen das Thema wahrnehmen, sich als Beteiligte sehen und das Thema als Chance begreifen. Weiters teilen sie die Idee, dass der Ersatz von fossilen durch erneuerbare Rohstoffe den Kern der Bioökonomie darstellt (Lehner, 2019). Eine ähnliche Studie unter Studierenden der Forstwirtschaft hat gezeigt, dass Bioökonomie als Chance für den Sektor begriffen wird, während österreichische Studierende trotz dessen besorgt über eine nachhaltige Waldbewirtschaftung sind (Masiero et al., 2020) und damit vorhergehende Ergebnisse (Stern et al., 2018) bestätigen.

6.4 Kompetenzverteilung in Österreich und staatliche Instrumente

6.4.1 Kompetenzverteilung

Da Österreich ein Bundesstaat ist (Art. 2 Bundes-Verfassungsgesetz [B-VG]), werden die unterschiedlichen Materien von verschiedenen Gebietskörperschaften behandelt. Dies gilt insbesondere für alle Bereiche der Landnutzung (für die Bodenfunktionen und Rechtsgrundlagen siehe BMLFUW, 2013). Die verfassungsrechtlich festgelegte Kompetenzverteilung beeinflusst die Wirksamkeit von staatlichen Landnutzungsentscheidungen, Strategien und entsprechende Maßnahmen.

Mit der Kompetenzverteilung ist die Aufteilung der Staatsfunktionen im Staatssystem gemeint (Öhlinger & Eberhard, 2019). Dabei werden die unterschiedlichen Materien nach Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen aufgeteilt. Hierbei sind vier Kategorien auszumachen:

  1. 1.

    Gesetzgebung und Vollziehung ist Bundessache (Bund darf Regelungen erlassen und durch eigene Organe bzw. im Rahmen der „mittelbaren Bundesverwaltung“ mit Hilfe von Landesorganen vollziehen – Art. 10 B-VG [1930]: z. B. Forstrecht oder Wasserrecht).

  2. 2.

    Gesetzgebung ist Bundessache, Vollziehung hingegen Landessache (der Bund ist ermächtigt, gesetzlich tätig zu werden, Organe der Länder vollziehen – Art. 11 B-VG [1930] z. B. Umweltverträglichkeitsprüfung).

  3. 3.

    Grundsatzgesetzgebung ist Bundessache, Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung ist Landessache (Art. 12 B-VG [1930]: z. B. Elektrizitätswesen).

  4. 4.

    Gesetzgebung und Vollziehung ist Landessache (die Erlassung von gesetzlichen Bestimmungen und deren Vollziehung liegen in der Hand der Bundesländer – Art. 15 Abs. 1 B-VG [1930]: z. B. Naturschutzrecht oder Bodenschutzrecht. Aber auch überwiegend Raumordnungsrecht – zur diesbezüglichen zersplitterten Kompetenzverteilung [Bund, Länder und Gemeinden] vgl. Abschn. 6.6 Kap. 7).

Daneben besteht gemäß Art. 13 Abs. 1 B-VG eine eigene Kompetenzverteilung im Bereich des Abgabenwesens.

Diese zersplitterte Kompetenzverteilung führt oftmals dazu, dass eine Sachmaterie nicht von einem einzigen Gesetzgeber einheitlich zu regeln ist. Daraus resultieren sodann häufig differenzierte Regelungssysteme. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Gesichtspunktetheorie, wonach ein bestimmter Gegenstand nach verschiedenen Anknüpfungspunkten (Gesichtspunkten) geregelt werden kann (Öhlinger & Eberhard, 2019, Seite 137 f). Beispielhaft ist hier eine gewerbliche Betriebsanlage zu nennen, die einerseits aus gewerberechtlicher (Bundesangelegenheit) und andererseits aus baurechtlicher (Landesangelegenheit) Perspektive betrachtet werden kann.

Um dieser Zersplitterung zu begegnen, werden bestimmte Instrumente, insb. spezielle Interpretationstheorien, bereitgestellt. Eine koordinierende und daher bedeutsame Funktion kommt aber auch dem Berücksichtigungsprinzip zu (Bußjäger & Seeberger, 2011). Dieses verpflichtet die Gebietskörperschaften (Bund und Länder) einerseits zur wechselseitigen Rücksichtnahme bei der Ausübung ihrer Gesetzgebungskompetenzen (Berücksichtigungsgebot) und erlaubt ihnen andererseits auch, Zwecke oder Interessen, die in die Gesetzgebungskompetenz der jeweils anderen Gebietskörperschaft fallen, zu berücksichtigen (Berücksichtigungsbefugnis; Bachmann et al., 2018).

Insofern ist es dem Bund beispielsweise rechtlich möglich, die Beachtung und den Schutz der Biodiversität, die ansonsten über die Länderkompetenz in den Naturschutzgesetzen implementiert ist, in seine gesetzlichen Bestimmungen, insb. betreffend Abwägungsentscheidungen, aufzunehmen. Dies erfolgt etwa dann, wenn die Frage des Biodiversitätsschutzes in die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) miteinbezogen wird (vgl. § 1 Abs. 1 UVP-G, 2000) oder bei Abwägungsentscheidungen in wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren (Bundeskompetenz) nach § 105 Abs. 1 lit. f WRG (1959) (wesentliche Beeinträchtigung oder Gefährdung des Tier- und Pflanzenbestandes – Landeskompetenz Naturschutz). Hierbei handelt es sich um Beispiele für die Berücksichtigungsbefugnis.

In Konflikt mit dem Berücksichtigungsgebot gerät etwa eine (landesgesetzliche) naturschutzrechtliche Regelung, die den Bundeskompetenzen unterliegende bedeutsame Vorhaben (z. B. Verkehrsprojekte) verhindert oder praktisch unmöglich macht. Es gilt, die gegenbeteiligten Interessen nicht zu negieren oder zu unterlaufen (Bußjäger & Seeberger, 2011). Dem VfGH (Verfassungsgerichtshof) zufolge kann das Berücksichtigungsgebot in Ausnahmefällen wegen der außergewöhnlichen Dimension bestimmter schutzwürdiger Interessen bzw. Güter aber außer Acht bleiben (Schmid, 2007).

Beispielhaft für das Berücksichtigungsgebot sind Bestimmungen in den Raumordnungsgesetzen der Länder anzuführen, die die Gemeinden verpflichten, bei der Erstellung von Flächenwidmungsplänen auf die Interessen der bundesgesetzlichen Planungsbereiche (etwa auf Gefahrenzonenpläne nach Forst- und Wasserrecht, vgl. dazu § 18 Abs. 7 OÖ Raumordnungsgesetz [LGBl 114, 1993]) Bedacht zu nehmen. Die Berücksichtigung eines Interesses darf allerdings nur so weit gehen, als dies nicht in eine „Regelung“ der (anderen) Materie umschlägt und muss bloßen Ergänzungscharakter haben (Granner & Raschauer, 2012).

Die Gebietskörperschaften unterliegen aber auch aus finanzverfassungsrechtlicher Sicht einer Koordinierungspflicht. So haben Bund, Länder und Gemeinden nach der Staatszielbestimmung des Art. 13 Abs. 2 B-VG (1930) bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes und nachhaltig geordnete Haushalte anzustreben; auch sind sie verpflichtet, ihre Haushaltsführung in Hinblick auf diese Ziele zu koordinieren (Baumgartner & Fister, 2017).

6.4.2 Staatliche Instrumente

Treibhausgasemissionen aus der Landnutzung spielen in Hinblick auf den Klimaschutz eine bedeutende Rolle (Abschn. 2.2). Dies betrifft sowohl den LULUCF-Bereich als auch den Sektor Landwirtschaft, deren Emissionen zu den energiebedingten Treibhausgasemissionen zählen und bisher im Effort-Sharing-Bereich bilanziert werden. Mit Hilfe einer Bandbreite an umweltpolitischen Instrumenten kann der Staat (oder eine überstaatliche Institution) Anreize und Rahmenbedingungen schaffen, die konkrete klimafreundliche technische oder organisatorische Anpassungen in der Produktions- und Wirtschaftsweise sowie im Konsumverhalten herbeiführen. Im Allgemeinen werden dabei fünf Kategorien von Instrumenten unterschieden (Abb. 6.1).

Abb. 6.1
figure 1

Übersicht über umweltpolitische Instrumente. (In Anlehnung an SRU, 2015)

6.4.2.1 Klassisches Ordnungsrecht

Dem österreichischen Staat steht ein breites Spektrum rechtlicher Instrumente zur Mitgestaltung aller Lebensbereiche zur Verfügung. Dabei beeinflussen staatliche Akte oder Handlungen, aber auch Unterlassungen, menschliches Verhalten mehr oder weniger stark. Zunächst kann der Staat Regelungen erlassen, die die betroffenen Menschen durch Ge- oder Verbote zu verschiedenen Handlungen oder Unterlassungen zu bewegen suchen. Dies kann entweder in generalisierender Form durch Gesetze oder Verordnungen oder durch individuelle Normen, wie Bescheide oder gerichtliche Entscheidungen, bewirkt werden.

Im Bereich der Landnutzung sind dabei unzählige umwelt- und wirtschaftsrechtliche Regelungen, wie sie beispielsweise im Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP-G), Wasserrechtsgesetz (WRG), Abfallwirtschaftsgesetz (AWG), in der Gewerbeordnung (GewO), im Forstgesetz (ForstG), in den Raumordnungs- und Baugesetzen, aber auch in den Naturschutzgesetzen sowie in etlichen konkretisierenden Verordnungen statuiert sind, einschlägig. Ist demnach ein bestimmtes klimaschädliches Verhalten nicht gewollt, kann dem mit entsprechenden (sanktionsbewehrten) Verboten begegnet werden. Ist hingegen klimafreundliches Verhalten erwünscht, kann auf dieser Ebene mit Geboten reagiert werden. In der Regel sieht die Rechtsordnung dabei zwangsbewehrte Mechanismen zur Durchsetzung dieser rechtlichen Vorgaben vor. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass in den einzelnen Materiengesetzen Aufsichtspflichten unterschiedlichen Ausmaßes vorgesehen sind (z. B. Forstaufsicht gem. § 172 ForstG; Gewässeraufsicht gem. §§ 130 ff. WRG; Amtliche Kontrolle gem. §§ 11 ff. Düngemittelgesetz). In diesem Rahmen ist es möglich, Verletzungen von Rechtsvorschriften aufzuzeigen und diesen behördlich zu begegnen (sei es durch bescheidförmige Aufträge, Zwangsakte oder durch die Einleitung von Verwaltungsstrafverfahren). An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass die Qualität und Quantität des „Monitorings“ dabei von der personellen (und damit verbunden auch von der finanziellen) Ausstattung der zuständigen Behörden abhängen wird.

Ein Beispiel für klassisches Ordnungsrecht im Bereich der Landnutzung ist das grundsätzliche Verbot einer Rodung (vgl. § 17 Abs. 1 ForstG; BGBl 440 1975); eine solche kann daher nur nach erteilter Bewilligung vorgenommen werden (vgl. § 17 Abs. 2 ForstG; BGBl 440 1975). Ebenso stehen die Errichtung und der Betrieb landnutzender Anlagen, wie etwa Kraftwerke, unter dem Vorbehalt zahlreicher weiterer materiengesetzlicher Bewilligungstatbestände (vgl. nur § 3 UVP-G, 2000, oder §§ 9 und 10 WRG, 1959) Zu den landnutzungsbezogenen Regelungen zählen weiters auch solche über die Art der Düngung (vgl. § 4 des Steiermärkischen landwirtschaftlichen Bodenschutzgesetzes) und die Vermeidung von Bodenerosion und Bodenverdichtung (vgl. § 6 des Steiermärkischen landwirtschaftlichen Bodenschutzgesetzes; LGBl 66, 1987). Auch die gesetzliche Implementierung technologischer Standards ist auf dieser Ebene möglich (vgl. § 6 Düngemittelgesetz; BGBl 103, 2021).

6.4.2.2 Ökonomische und förderpolitische Instrumente

In den 1980er-Jahren wurde das Interesse der politischen Entscheidungsträger an Umweltsteuern und anderen ökonomischen Instrumenten der Umweltpolitik geweckt. Es wurde argumentiert, dass die traditionelle regulative Umweltpolitik nicht in der Lage sei, weitere inakzeptable Umweltschäden zu verhindern. Die Erweiterung des umweltpolitischen Instrumentariums wird als eine der wichtigsten Prioritäten im Fünften Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft genannt (EU, 1993).

Da im Bereich der Marktkräfte die Preise nicht die vollen Kosten widerspiegeln, die der Gesellschaft durch Produktion und Verbrauch entstehen, einschließlich der Umweltkosten, kann der Staat – innerhalb eines umweltpolitischen Instrumentenmixes – Steuern vorschreiben, die Betroffene durch drohende Mehrkosten zu alternativen, umweltfreundlichen Handlungsweisen animieren sollen. Über diesen Weg kann er auch zu als positiv erachteten Handlungen anreizen, wenn er etwa das gewünschte Verhalten mit steuerlichen Begünstigungen versieht. Daneben steht dem Staat das förderpolitische Instrument der Subvention zur Verfügung. Hierbei verpflichtet sich der Subventionsempfänger in der Regel zu einem entsprechenden (ökologischen bzw. klimafreundlichen) Verhalten und erhält dafür eine meist geldwerte Gegenleistung vom Staat (z. B. Umweltförderungsgesetz, ÖPUL).

Ökonomische Instrumente zielen darauf ab, wirtschaftliche Anreize für umweltfreundliches Verhalten zu setzen. Hierbei geht es vor allem um eine Annäherung an die sogenannte „Internalisierung“ von Umweltkosten (externe Kosten) zur Behebung von Marktversagen und negativen externen Effekten (Pigou, 1920). Dies geschieht beispielsweise durch eine steuerliche Belastung des Einsatzes oder der Emission umweltschädlicher Stoffe (Preislösung). Eine weitere Möglichkeit ist der Emissionsrechtehandel, etwa der EU-Emissionshandel oder der unternehmensinterne Emissionszertifikatehandel. Hier gibt die Politik direkt das Umweltziel vor (Mengenlösung), der Preis für die Emissionszertifikate wird auf dem Markt gebildet. Subventionen oder Steuerabschreibungen können als Finanzierungsinstrumente für positive Anreize genutzt werden. Sie werden vor allem dann vorgeschlagen, wenn es um die Sanierung von Altlasten oder um den Ausgleich von Schäden geht, deren Verursacher nicht mehr feststellbar sind. So verfügt die EU mit LIFE seit 1991 über ein gemeinschaftliches Finanzierungsinstrument für vorrangige Umweltmaßnahmen.

Besteuerung der Emissionen von Treibhausgasen, der EU-Emissionshandel und der CO2-Grenzausgleichsmechanismus zur Reduktion von Treibhausgasemissionen

CO2-Steuern werden seit den 1990er-Jahren zunehmend zur Erreichung klimapolitischer Ziele eingesetzt (z. B. Worldbank, 2019). Durch die Einführung einer CO2-Steuer erhöhen sich die Kosten für die Nutzung fossiler Rohstoffe, was einen Anreiz zur Verminderung der Emissionen darstellt (z. B. durch Veränderungen des Verhaltens oder durch einen Shift zu emissionsärmeren oder energieeffizienteren Technologien wie erneuerbaren Energien). Die empirische Evidenz zeigt, dass Emissionen in Folge der Einführung von CO2-Steuern reduziert werden (z. B. Brännlund et al., 2014; Rivers & Schaufele, 2015, 2017). Der Rückgang ist dabei tendenziell höher als bei einer reinen Preiserhöhung fossiler Energieträger aufgrund der höheren Stabilität und Sichtbarkeit der Preisänderung („Tax Salience“; siehe z. B. Andersson, 2019; Antweiler & Gulati, 2016; Bernard & Kichian, 2019; Rivers & Schaufele, 2017, 2015). Neben einer Reduktion von Emissionen kann eine höhere Besteuerung von Treibstoffen auch zu einer Eindämmung der Zersiedelung beitragen, indem durch die höheren Kosten ein Anreiz gegen lange Wegstrecken gesetzt wird (OECD, 2018; Tanguay & Gingras, 2012). Insofern gehen von der CO2-Bepreisung auch Effekte auf die Landnutzung aus. Zu den Effekten der in 2022 in Österreich eingeführten CO2-Bepreisung liegen noch keine umfassenden Analysen vor. Aufgrund des niedrigen Preisniveaus ist von relativ geringen Lenkungseffekten auszugehen.

Der Emissionshandel funktioniert nach dem Prinzip „Cap and Trade“. Das bedeutet, dass seitens der EU eine Obergrenze oder ein Grenzwert für die Gesamtmenge bestimmter Treibhausgase vorgeschrieben wird („Cap“), die von der Industrie emittiert werden dürfen, wobei diese Obergrenze kontinuierlich gesenkt wird. Im Rahmen der Obergrenze erhalten oder kaufen die Unternehmen Emissionszertifikate, die sie je nach Bedarf untereinander handeln können, um so eine kosteneffiziente Verringerung von Treibhausgasen zu ermöglichen. Die Düngemittelindustrie in der EU ist durch dieses System mit erhöhten Kosten konfrontiert. Da die europäische Düngemittelindustrie im internationalen Wettbewerb steht und weltweit wohl fast die einzige Düngemittelindustrie ist, die Treibhausgaskosten zu tragen hat, besteht jedoch das Risiko, dass sie ihre Produktion und damit ihre CO2-Emissionen in Nicht-EU-Länder mit fehlenden klimapolitischen Marktanreizen verlagert, was als „Carbon Leakage“ bezeichnet wird (Dröge, 2021). Um in dieser und anderen Industrien, wie z. B. der Stahlindustrie, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewähren und dem Carbon Leakage zu begegnen, schlägt die EU-Kommission in ihrem Green Deal vor, ein neues Instrument einzuführen: einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus („Carbon Border Adjustment Mechanism“ – CBAM), der Einfuhren in die EU mit einer Abgabe belastet, die ihrem CO2-Gehalt entspricht (Dröge, 2021). Die Einführung eines solchen Mechanismus würde die Landwirte weltweit mit höheren Kosten für Mineraldünger konfrontieren und so zu einem effizienteren, sparsameren Umgang mit Mineraldünger anreizen. Eine andere Möglichkeit, den Einsatz von Mineraldünger zu begrenzen, stellt eine Düngemittel- bzw. Stickstoffsteuer dar (Box 6.6).

Box 6.6 Beispiel Düngemittel- oder Stickstoffsteuer

Ein Beispiel für eine Abgabe, die direkt die Art des Landmanagements im Agrarbereich betrifft, ist die Düngemittel- oder Stickstoffsteuer (Rougoor et al., 2001). Vor ihrem Beitritt zur EU hatten Österreich (1986–1994), Finnland und Schweden eine Düngemittelabgabe eingeführt. Eine Düngemittelsteuer erhöht den Preis des Stickstoffeinsatzes und soll dadurch den übermäßigen Einsatz dieses Inputs sowie die diffusen Stickstoffemissionen in die Umwelt verringern. Die Erhöhung des Stickstoffpreises führt durch einen reduzierten Einsatz entweder zu einer geringeren Produktivität des landwirtschaftlichen Outputs oder zu verbesserten und effizienteren Methoden/Technologien des Düngemitteleinsatzes.

In Österreich betrug der damalige Preis pro kg Stickstoff zwischen 0,24 Euro und 0,47 Euro. Im Jahr 1986 betrug die Abgabe etwa 24 % des ursprünglichen Düngemittelpreises, aber zunächst trugen die Düngemittelindustrie und die Händler die zusätzlichen Kosten und gaben diese nicht an die Landwirte weiter. Zwischen 1987 und 1989 stiegen die Preise dann aufgrund der Abgabe um 10–20 %. Da nach der Einführung der Abgabe im Jahr 1986 der Preis für Düngemittel nicht sofort anstieg, gab es keinen zusätzlichen wirtschaftlichen Anreiz für die Landwirte, den Düngemitteleinsatz zu reduzieren. Dennoch kam es 1986 zu einem starken Rückgang des Einsatzes von Stickstoffdüngern um 17 %. Hofreither und Sinabell (1998) stellten fest, dass die Abgabe an die Tatsache erinnerte, dass Stickstoff ein Kostenfaktor ist, und zugleich an die Umweltmotivation eines Teils der österreichischen Landwirte appellierte. Sie hatte somit eine Signalwirkung.

Ökonomische Bewertung von Ökosystemleistungen und Payments for Ecosystem Services (PES)

Das Konzept der ökonomischen Bewertung von Ökosystemleistungen kann für die Entscheidungsfindung über Landnutzung und Landmanagement im Sinne der ökonomischen Effizienz, aber auch der Wohlfahrtswirkungen in einem weiteren Sinn sowie sozialer Verteilungswirkungen verwendet werden. Ökosystemleistungen entstehen in Ökosystemen mit ihren Elementen, durch ökologische Prozesse und Funktionen, und stellen jene wahrgenommenen und für das menschliche Wohlbefinden wesentlichen Leistungen der Natur dar (Potschin et al., 2016; Díaz et al., 2018, Box 1.2).

Das europäische TEEB-Programm („The Economics of Ecosystems & Biodiversity“ – TEEB, 2010) hat die in der Wissenschaft unbestrittene Bedeutung von Ökosystemleistungen ökonomisch bewertet (Kumar, 2010; Hansjürgens et al., 2019). Jedenfalls ergibt sich sowohl aufgrund der vielfältigen (ökonomischen) Bewertungsmethoden als auch der der Bewertung innewohnenden gesellschaftlichen, rechtlichen und ökonomischen Kontexte (Hanemann, 1995) sowie der den einzelnen Bewertungsuntersuchungen zugrundliegenden Ausgangs- und Veränderungsszenarien eine enorme Bandbreite an Bewertungsergebnissen (in TEEB beispielsweise dargestellt als Ökosystemleistungen in USD pro Hektar und Jahr für verschiedene Ökosysteme, z. B. Flüsse und Seen, Feuchtgebiete, Wälder in gemäßigten Klimazonen); dies zeigt auch die Grenzen der ökonomischen Bewertung von Ökosystemleistungen auf. Die monetäre Bewertung von Umwelt und Natur wird auch aus einer nicht anthropozentrischen Sichtweise kritisiert (z. B. Mace, 2014; Box 1.4).

Für Österreich liegen wenige Untersuchungen vor, die sich mit der ökonomischen (i. S. von monetären) Bewertung von Ökosystemleistungen befassen. Eine naturnähere Bewirtschaftung von Wäldern und Ausweitung von Schutzgebieten kann ökonomisch deutlich vorteilhaft sein bezogen auf den Gesamt-Wohlfahrtseffekt, und zwar durch die Verbesserung von folgenden Ökosystemleistungen [mittlere Evidenz, hohe Übereinstimmung]: regulierende Leistungen (z. B. Schutzwald; Getzner, 2017); Klimaschutz durch Aufbau des Kohlenstoffspeichers in Wäldern (inkl. des Aufbaus von Speichern durch verringerte Entnahme von Biomasse; Getzner & Kirchmeir, 2019); sowie kulturelle Leistungen (z. B. Erholungswert; Getzner & Meyerhoff, 2020); Schutz der Biodiversität (Getzner et al., 2018); Landschaftsbild (Getzner & Meyerhoff, 2020; Schirpke et al., 2016). Aus den angeführten Untersuchungen ergibt sich eine robuste Evidenz, dass aus Sicht einer gesamtwirtschaftlichen, wohlfahrtsorientierten Betrachtung die nicht marktgängigen Ökosystemleistungen von gewichtiger, im generellen die marktgängigen Ökosystemleistungen von überragender Bedeutung sind (Abschn. 8.4.6).

Ökonomische Anreizinstrumente im Sinne von Zahlungen für Ökosystemleistungen, wie die sogenannten „Payments for Ecosystem Services“ (PES), werden in Wissenschaft und Praxis als ein ökonomisches Instrument zur Bewältigung von Umweltproblemen, zur Vermeidung von Risiken für Ökosystemleistungen sowie für die Bereitstellung von Ökosystemleistungen diskutiert (Kemkes et al. 2010; Wunder 2015; Ezzine-de-Blas et al. 2016; Illes et al. 2017; Matzdorf et al. 2019; Tasser et al. 2020; Box 1.4). Demnach wird ein monetärer Anreiz für die Vermeidung von (prinzipiell zulässigen) negativen (externen) Umwelteffekten auf Ökosystemleistungen bzw. ein finanzieller Ausgleich für Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung von Ökosystemleistungen entrichtet. Die Preissetzung erfolgt dabei oft auf heuristische Weise und nicht entsprechend einer strikten ökonomischen Bewertung der Kosten oder Nutzen der jeweiligen Naturinanspruchnahme bzw. der entsprechenden Ökosystemleistungen (Pirard, 2012). Agrarumweltprogramme können als Zahlungen für Ökosystemleistungen (PES) betrachtet werden, bei denen die Regierungen öffentliche Güter bzw. die Bereitstellung von Ökosystemleistungen kaufen. In der Praxis leisten Regierungen nur selten Zahlungen auf der Grundlage einer monetären Bewertung von bereitgestellten Ökosystemleistungen. Vielmehr stellen die Zahlungen generell Anreize für Landwirte und Landwirtinnen dar, Praktiken anzuwenden, die die biologische Vielfalt und die Ökosystemleistungen fördern, etwa Anreize für extensivere Bewirtschaftung von Flächen oder Flächenstilllegungen in Form von Blühstreifen. Die Regelungen für die Zahlungen der Europäischen Union basieren beispielsweise auf dem Einkommensverzicht, den die Landwirte und Landwirtinnen durch diese Maßnahmen erleiden. Die Agrarumweltprogramme sind von Land zu Land sehr unterschiedlich ausgestaltet, selbst innerhalb der Europäischen Union. Zu den wichtigsten Zielen solcher Programme gehören die Verringerung der Nährstoff- und Pestizidemissionen, der Schutz der biologischen Vielfalt, die Wiederherstellung von Landschaften und die Verhinderung der Landflucht (Dasgupta, 2021).

Obwohl der PES-Ansatz ursprünglich als Alternative zu staatlichen Eingriffen konzipiert wurde, spielen Regierungen bei den meisten bisher umgesetzten PES-Programmen eine Schlüsselrolle, etwa im Bereich der Europäischen Agrarpolitik. Zusätzlich zu der Tatsache, dass viele Ökosystemleistungen Eigenschaften eines öffentlichen Gutes (Abschn. 8.4.6) aufweisen, liegt die Beteiligung von staatlichen Stellen in der Herausforderung der Entwicklung und Umsetzung von an Bedingungen geknüpften PES begründet. Die hohen Transaktionskosten sowie die Risiken für die Nichterbringung von Ökosystemleistungen sind weitere Gründe für staatliches Handeln im Bereich der Finanzierung von öffentlichen Gütern und Ökosystemleistungen.

Es gibt eine umfangreiche Literatur über die Gestaltung, Effizienz und Wirksamkeit von Agrarumweltprogrammen und die Frage, ob die entsprechenden Zahlungen zu einer langfristigen Nachhaltigkeit führen oder nicht (Ansell et al., 2016; Kleijn et al., 2006; Kleijn & Sutherland, 2003). Zu den zentralen Forschungsfragen gehören, ob Agrarumweltprogramme die Ökosystemleistungen verbessern, ob sie in landwirtschaftlichen Randgebieten effektiver sind als in intensiv bewirtschafteten Gebieten, ob sie mehr oder weniger kosteneffizient für die biologische Vielfalt in der Landwirtschaft sind als in Schutzgebieten und inwieweit ihre Wirksamkeit durch die Ausbildung und Beratung der Landwirte und Landwirtinnen beeinflusst wird. Die Erfahrungen aus europäischen Agrarumweltprogrammen zeigen, dass diese für die Erhaltung der Biodiversität auf landwirtschaftlichen Flächen wirksam sein können, aber sie müssen sorgfältig konzipiert, geplant und ausgerichtet werden (Ansell et al., 2016; Batáry et al., 2015; vgl. auch Box 6.7).

Box 6.7 Neue „Environmental Land Management Schemes“ im Vereinigten Königreich

In England wird derzeit eine neue Politik für Landnutzungsentscheidungen entwickelt, die darauf abzielt, die Bereitstellung und den Wert von Ökosystemleistungen aus einer nachhaltigen Landbewirtschaftung anzuerkennen und zu vergüten. Das Programm „Environmental Land Management (ELM)“ ist ein neues Agrarumweltprogramm, das einem nationalen Mechanismus zur Bezahlung von Ökosystemleistungen (PES) ähnelt (DEFRA, 2020a, 2020b). Es zielt darauf ab, die Bereitstellung von öffentlichen Umweltgütern und -dienstleistungen zu entlohnen, im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die Einkommensverluste oder die Landfläche als Grundlage für Zahlungen für Ökosystemleistungen verwenden. Durch ELM werden somit Landwirte, Förster und andere Landbewirtschafter und -bewirtschafterinnen für die Bereitstellung von Ökosystemleistungen bezahlt. Zu den bezahlten öffentlichen Gütern gehören: saubere Luft, sauberes und ausreichend vorhandenes Wasser, gesunde Pflanzen und wildlebende Tiere, Schutz vor und Abschwächung von Umweltgefahren, landschaftliche Ästhetik, kulturelles Erbe und Engagement für die Umwelt, Abschwächung des Klimawandels und Anpassung an den Klimawandel. Die geplanten Reformen im Rahmen von ELM unterstützen die Verwirklichung der im 25-Jahres-Umweltplan der britischen Regierung festgelegten Ziele und die Verpflichtung, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, und tragen gleichzeitig zu einem produktiven, wettbewerbsfähigen und widerstandsfähigen Agrarsektor bei (DEFRA, 2018).

ELM setzt sich aus drei Teilprogrammen zusammen:

  1. 1.

    „Sustainable Farming Initiative“,

  2. 2.

    „Local Nature Recovery“,

  3. 3.

    „Landscape Recovery“.

Der Schwerpunkt der „Sustainable Farming Initiative“ liegt auf einer nachhaltigen Landwirtschaft. Es werden Maßnahmen vergütet, an denen sich alle Landwirte und Landwirtinnen beteiligen können (aber nicht müssen) und die neben der Lebensmittelproduktion zur Verringerung des Einsatzes von anorganischen Düngemitteln und Pestiziden, zur Pflege der Böden, zur Verbesserung der Artenvielfalt, der Wasserqualität, der Luftqualität und der Kohlenstoffbindung in der Landwirtschaft beitragen (DEFRA, 2021). Das Programm „Local Nature Recovery“ wird ab 2023 schrittweise eingeführt und dient der Finanzierung von Maßnahmen, mit denen Umweltprioritäten auf lokaler Ebene erreicht werden sollen (DEFRA, 2022a). Das Programm „Landscape Recovery“ wird 2023 als Pilotprojekte beginnen und langfristige, groß angelegte Projekte zur Änderung der Landnutzung und zur Wiederherstellung von Lebensräumen unterstützen (DEFRA, 2022b).

Zusätzlich zu den staatlichen Zahlungen für Ökosystemleistungen existieren auch rein private PES, also Projekte auf dem freiwilligen Markt (Box 6.8). In Europa sind PES-Schemata bisher am häufigsten in der Landwirtschaft und/oder im Wassermanagement vorzufinden, wobei einige Programme auch auf Wälder, Torfgebiete/Moore sowie Grasland und Überschwemmungsgebiete abzielen (Illes et al., 2017).

Box 6.8 Beispiele für private PES

Ein Beispiel für eine klimarelevante PES ist die in Deutschland entwickelten MoorFutures®, ein Instrument des freiwilligen Kohlenstoffmarktes, das es Unternehmen und Privatpersonen ermöglicht, durch den Erwerb von Zertifikaten die eigenen CO2-Emissionen zu kompensieren. Die Zertifikate werden generiert, indem die Moorflächen in den beteiligten Bundesländern wieder vernässt und damit Emissionen deutlich reduziert werden. Aktuell kostet ein Zertifikat für die Vermeidung einer Tonne CO2 zwischen 35 Euro und 80 Euro (Matzdorf et al., 2014).

Ein weiteres internationales Beispiel für ein CO2-minderndes PES ist der „Woodland Carbon Code“, der in Großbritannien einen Standard für CO2-Zertifikate im freiwilligen Kohlenstoffmarkt darstellt und durch Aufforstungsprojekte generiert wird.

Für Österreich bietet die BOKU Kompetenzstelle für Klimaneutralität die Möglichkeit der freiwilligen und privaten Kompensation von CO2-Emissionen durch den Erwerb von Zertifikaten an, die auf der Basis von internationalen Klimaschutzprojekten generiert werden. Die BOKU-Klimaschutzprojekte sind kleine Projekte, die nicht in die nationale Berichterstattung eingehen. Sie werden über eine eigene wissenschaftliche Begutachtung und einen wissenschaftlichen Beirat durchgeführt.

Zahlungen für Ökosystemleistungen

Im Programm der Ländlichen Entwicklung finden sich politische Ansätze, die als öffentliche PES in Österreich interpretiert werden können. Hier werden von der EU, dem Bund und den Bundesländern gemeinsam Maßnahmen finanziert, die in dem Teilprogramm ÖPUL u. a. folgende Agrar-Umweltziele verfolgen:

  • Extensivierung der Nutzung von Grünland und Ackerland

  • breiterer Einsatz von bodenschonenden Produktionsverfahren (z. B. Bodenbedeckung, vielfältigere Fruchtfolgen, biologische Wirtschaftsweise, bodenschonende Bearbeitungsverfahren)

  • Vermehrung von Wissen und Verbesserung der Fertigkeiten von Landwirtinnen und Landwirten im Bereich Ressourcenschutz

Zur Erreichung dieser Ziele werden jenen Betrieben Förderungen gewährt, die an entsprechenden Maßnahmen teilnehmen, die über das in der Guten Landwirtschaftlichen Praxis definierte Mindestniveau hinausgehen. Die Umsetzung des Programms und die Wirksamkeit der Maßnahmen werden regelmäßig evaluiert. Zu den entsprechenden Studien neueren Datums zählen Anderl et al., 2017; Dersch et al., 2017; Foldal et al., 2019; Handler, 2017; HBLFA Raumberg Gumpenstein, 2017; Strauss et al., 2020; Suske, 2019. Die Studien liefern Anhaltspunkte über die Wirksamkeit der Maßnahmen und schlagen Verbesserungsmöglichkeiten vor. Ein wesentliches Defizit, welches die Programmwirksamkeit potenziell stark mindert, sind die großen Wissensdefizite in Hinblick auf den aktuellen Zustand der Böden in Österreichs Landwirtschaft.

Der größte Teil der Ökosystemleistungen und Werte, die durch Naturkapital zur Verfügung gestellt werden, werden bei politischen oder privaten Planungs- und Investitionsentscheidungen jedoch nach wie vor nicht angemessen berücksichtigt, weder monetär noch qualitativ. Dies führt auch dazu, dass naturbasierte und potenziell kosteneffiziente Lösungen, etwa im Bereich Klima- und Biodiversitätsschutz sowie Adaption, einen zu geringen Stellenwert erhalten. Dies führt wiederum generell zu Übernutzung und Erosion des Naturkapitals und schließlich zu Kosten und Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft [hohe Evidenz, hohe Übereinstimmung]. So sind Ökosystemleistungen und biologische Vielfalt auch für die Gewährleistung der Ernährungssicherheit von entscheidender Bedeutung – bei Verlust der Integrität der Ökosysteme steht u. a. die Ernährungssicherheit auf dem Spiel (World Economic Forum, 2020).

Ökosystemleistungen der Landwirtschaft und Agrarumweltprogramme

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in allen europäischen Ländern große Anstrengungen unternommen, um die Versorgung mit Agrargütern zu steigern. In den Ländern der EWG (Vousden, 1990) und in Österreich (Schneider, 1967) wurde dies vorrangig über Marktpreisstützung und Kontrolle des Außenhandels bewerkstelligt. Begleitend dazu wurden ertragssteigernde Betriebsmittel forciert und die Trockenlegung von Feuchtgebieten finanziell unterstützt. Die Schattenseiten der Intensivierung waren gegen Ende des 20. Jahrhunderts bereits gut bekannt und wurden systematisch untersucht (vgl. Hofreither & Sinabell, 1994). In der GAP wurde 1992 eine radikale Wende eingeleitet, die eine Annäherung der Preise des Inlands gegenüber dem Weltmarkt vorsah. Als „begleitende Maßnahmen“ wurden unter anderem Agrarumweltprogramme etabliert. Im Zuge des Beitritts Österreichs zur EU wurden diese Elemente der GAP zu einer tragenden Säule. Zahlreiche, vor dem EU-Beitritt bereits in kleinem Rahmen angebotene Förderungen, etwa zur biologischen Landwirtschaft, wurden ab 1995 im „Österreichischen Programm einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft“ als zentrales Element der neuen Agrarpolitik etabliert (Knöbl, 2005). Ein Indiz für den Erfolg dieses Programms ist die Tatsache, dass es bis 2022 definitiv (BMLRT, 2021a) und wahrscheinlich darüber hinaus verlängert wird. In diesem Programm werden mehrere Ziele verfolgt. Darunter fallen die Förderung der biologischen Landwirtschaft, extensiver Produktionsformen (Verringerung von Düngern und Pflanzenschutzmittel, von Erosion und Einengung von Fruchtfolgen), der Förderung der Bodenbedeckung (Fruchtfolgemaßnahmen, den Winter überdauernde Bodendeckung, Herbstbegrünung) und des Wasserschutzes (Umfang der Förderung und Ausmaß der Fläche sind verfügbar in BMLRT, 2020a). In der wissenschaftlichen Literatur gibt es eine große Anzahl an Untersuchungen, die sich mit (Teil-)Aspekten dieses Programms im Inland und im Vergleich zum Ausland beschäftigten (Batáry et al., 2015; Berendse et al., 2004; Darnhofer et al., 2017; Darnhofer & Schneeberger, 2007; Kleijn & Sutherland, 2003; Schmid, 2004; Schmid et al., 2007, 2004; Schmid & Sinabell, 2007, 2005, 2003; Schneeberger et al., 2002; Schönhart et al., 2011b, 2011c, 2011a; Van Herzele et al., 2013; Vogl et al., 2004). Eine umfassende Evaluierung der Agrar-Umweltmaßnahmen des Programms 2014–2020 wurde von BAB (2019) vorgelegt. In diesem Bericht wurden die Wirkungen der einzelnen Maßnahmen im Detail untersucht, und es wurden auch Vorschläge zur Erhöhung der Wirksamkeit festgehalten. In der Stärken- und Schwächenanalyse der aktuellen Agrarpolitik (BMLRT, 2021a) wurde darauf unmittelbar Bezug genommen, und die Bedarfsanalyse zeigt einen konkreten Ausblick auf künftige Anpassungen im Agrarumweltprogramm (BMLRT, 2021b).

Abschaffung von umweltkontraproduktiven Subventionen

Auch eine Reduktion von umweltkontraproduktiven Subventionen im Bereich fossiler Energieträger kann zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen beitragen. Zu diesen zählen u. a. niedrigere Steuersätze oder Steuerbefreiungen und -ermäßigungen für bestimmte Nutzergruppen (z. B. bei der Verwendung von Dieselkraftstoff in der Landwirtschaft oder der Fischerei, Flugverkehr) und bestimmte Produktgruppen wie Fleisch- oder Milcherzeugnisse (stickstoffintensive landwirtschaftliche Erzeugnisse) oder für bestimmte Kraftstoffarten (z. B. eine niedrigere Besteuerung von Diesel im Vergleich zu Benzin). Die OECD schätzt den Gesamtwert dieser Subventionen zwischen 2010 und 2014 in den OECD-Mitgliedsstaaten und den BRICS-Staaten auf jährlich 160–200 Mrd. USD (OECD, 2015). Kletzan-Slamanig & Köppl (2016) berechneten für Österreich für die Periode 2010–2013 in den Bereichen Energieerzeugung, Energienutzung und Verkehr auf Bundesebene ein durchschnittliches jährliches umweltkontraproduktives Fördervolumen von 3,8 bis 4,7 Mrd. Euro; das BMNT (2019b) ein jährliches Volumen von rund 3,25 Mrd. Euro.

Die Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe hat wirtschaftliche, ökologische und soziale Vorteile; Coady et al. (2017) schätzten den wirtschaftlichen und ökologischen Nutzen einer Reform der Subventionen für fossile Brennstoffe weltweit auf 4,9 Billionen USD im Jahr 2013 bzw. 5,3 Billionen USD im Jahr 2015. Eine Abschaffung der Subventionen könnte laut Coady et al. (2017) die globalen Emissionen um 21 % reduzieren und Mittel in Höhe von 4 % des globalen BIP (bezogen auf das Jahr 2013) frei machen.

Ökonomische Instrumente, die den Konsum von Nahrungsmitteln steuern

Auf Ebene der individuellen Konsument_innen und Haushalte zielen staatliche Steuerungsmaßnahmen insbesondere auf

  • die Verbrauchsreduktion von Fleisch und anderen tierischen Produkten, die maßgeblich zur Reduktion von konsumbasierten Treibhausgasemissionen beitragen, sowie

  • die Reduktion und Vermeidung von Lebensmittelabfällen ab (siehe auch Abschn. 5.3).

Geht man davon aus, dass veränderte Konsummuster (Nachfrage) auch auf Produktionsweisen (Angebot) wirken, können Maßnahmen auf Konsum- und Haushaltsebene somit (indirekt) die Landnutzung beeinflussen (Ivanova et al., 2020). Umgekehrt können Änderungen in Produktionsweisen die Nachfrage beeinflussen (Frehner et al., 2022). Eine Verbrauchsreduktion steht in Einklang mit nationalen Ernährungsempfehlungen; somit wäre auch mit positiven Effekten auf die öffentliche Gesundheit zu rechnen (Behrens et al., 2017). Im Vergleich zur Diskussion um die Reduzierung des Fleischverzehrs durch den Menschen wurde dem Fleischverzehr durch Heimtiere nur begrenzt Aufmerksamkeit geschenkt (Leenstra et al., 2018). Es wird geschätzt, dass in den USA und Europa die Landfläche, die für die Produktion von Futtermitteln für Katzen und Hunde benötigt wird, zwischen 10 und 20 % der nationalen Landressourcen beträgt (Leenstra et al., 2018).

Im Bereich Ernährung könnte der Staat das Konsumverhalten von Bürger_innen z. B. durch eine sogenannte Fleischsteuer („Meat Tax“) beeinflussen. Darunter wird ein höherer Umsatzsteuersatz für tierische Lebensmittel (wie etwa Fleisch, aber auch andere tierische Produkte wie Käse) verstanden. Je nachdem, wie hoch die Preissteigerung durch die Fleischsteuer ausfallen würde, ist davon auszugehen, dass sich höhere Fleischpreise auf das Kaufverhalten auswirken würden (Reisch et al., 2013; Tukker et al., 2009). Zu bedenken ist, dass eine Fleischsteuer unterschiedliche Einkommensschichten unterschiedlich stark belastet und tendenziell Billigfleisch (auch: importiertes Fleisch) weniger stark betreffen würde. In diesem Zusammenhang kann auch die auch in Österreich stärker werdende Debatte um das Tierwohl die Kosten der Fleischerzeugung erhöhen und auf diesem Wege Konsum reduzieren und klimarelevante Effekte haben (siehe Novellierung der Tierhaltungsverordnung 2022).

Die Wirksamkeit von konsumbasierten Instrumenten wird von einer Reihe von Faktoren beeinflusst, wie etwa die Erreichbarkeit der Konsument_innen, aber auch deren Normen, Werte und Präferenzen sowie ökonomische Faktoren (Brunner, 2014; Münster et al., 2009), z. B. die oft fehlende Zweckbindung der Steuermittel. Auch infrastrukturelle Faktoren, wie etwa die Einzelhandelsdichte und damit die Zugänglichkeit zu Lebensmitteln, spielen eine wichtige Rolle (Creutzig et al., 2016; Nyborg et al., 2016).

Um Lebensmittelabfälle in Haushalten zu reduzieren, wurde in einigen Ländern (z. B. Schweden, Kanada, Japan; UNEP, 2014) ein volumen- bzw. gewichtsbezogenes Gebührensystem für Haushaltsabfälle („Pay-As-You-Throw“ – PAYT) umgesetzt. Dies scheint ein effektives Instrument zu sein, um Lebensmittelabfälle auf der Haushaltsebene zu reduzieren (Chalak et al., 2016; Dahlén & Lagerkvist, 2010; EEA, 2009). Allerdings ist nicht klar, ob die berichtete Abfallreduktion auf einen tatsächlichen Lebenswandel seitens der Haushaltsbewohner_innen zurückzuführen ist, oder ob verstärkt alternative Entsorgungswege (z. B. Eigenkompostierung) gewählt werden (Dahlén & Lagerkvist, 2010).

Informationsverbreitung und bewusstseinsbildende Maßnahmen

Dem Staat stehen zahlreiche weniger eingriffsintensive Instrumente zur Verfügung, die eine Auswirkung auf die Landnutzung haben können. So kann er durch gezielte Informationsverbreitung und bewusstseinsbildende Maßnahmen versuchen, die Sensibilität der Bevölkerung, aber auch der vollziehenden Organe für bestimmte Probleme zu schärfen. Daneben ist auch die Vorbildwirkung staatlichen Handelns nicht zu unterschätzen (vgl. § 12 EEffG, 2014). Man denke an die Vorgaben für den Bund in Hinblick auf die Energieeffizienz beim Erwerb oder bei der Anmietung von unbeweglichem Vermögen (vgl. § 15 Abs. 1 EEffG [2014]).

Informations- und Bewusstseinskampagnen

Dies sind auf Ebene der Konsument_innen das am häufigsten eingesetzte Instrument, um die Änderung von Ernährungsstilen (Reisch et al., 2013) oder die Reduktion von Lebensmittelabfällen zu fördern (Berndsen & Van Der Pligt, 2004; Bertolotti et al., 2016; Cordts et al., 2014; Graham & Abrahamse, 2017; Palomo-Vélez et al., 2018; Schanes et al., 2018; Vainio et al., 2018). Es zeigte sich jedoch, dass die reine Bereitstellung von Information kaum ausreicht, um Fleischkonsum (Downs et al., 2009; Marteau, 2017) oder Lebensmittelabfälle (Stöckli et al., 2018) zu reduzieren.

Kwasny et al. (2022) haben in einer systematischen Literaturanalyse die Wirksamkeit von konsumbasierten Maßnahmen zur Reduktion von Fleischkonsum herausgearbeitet. Zielgruppenspezifische Information, also Botschaften, die an die Werte oder Ziele der Empfängergruppe angepasst sind, sind effektiver als allgemeine Botschaften z. B. was die Änderungen von Einstellungen der Empfänger_innen zu Fleischkonsum angeht (Graham & Abrahamse, 2017; Klöckner & Ofstad, 2017). Im Bereich Ernährung zeigen Studien, dass Botschaften, die gesundheitliche Argumente enthalten, einen stärkeren Effekt auf die Bereitschaft, den Fleischkonsum zu reduzieren, haben als Botschaften, die ausschließlich ökologische Argumente beinhalten (Bertolotti et al., 2016; Cordts et al., 2014). Auch im Bereich Lebensmittelabfälle sind personalisierte, zielgruppenspezifische Informationen bzw. Botschaften (z. B. zu Verhaltensweisen, die helfen, Lebensmittelabfälle zu reduzieren) wirksamer als allgemeine Botschaften (Schmidt, 2016). Besonders relevant sind Informationsmaßnahmen, die spezifische Wissenslücken ansprechen, z. B. hinsichtlich der richtigen Lagerung von Lebensmitteln (WRAP, 2017), der Haltbarkeit von Produkten (Farr-Wharton et al. 2014; Jörissen et al. 2015) oder der Bedeutung des Mindesthaltbarkeitsdatums (Newsome et al., 2014).

Forschung und partizipative Ansätze

Der Staat kann durch Förderung entsprechender Forschung dazu beitragen, dass Wissen über klimafreundliche Produktionsmethoden erarbeitet wird. Dabei ist es zielführend, vom herkömmlichen linearen Modell der „Informationsweitergabe“ (z. B. von Wissenschaft über Beratung zum/zur Landwirt_in) hin zu partizipativen Ansätzen zu wechseln. Diese Ansätze sind jedoch zeitintensiv. In der Landwirtschaft ist dieser Zeitaufwand problematisch, in Anbetracht des Stellenabbaus in vielen Landwirtschaftskammern, da viele Berater_innen, jenseits der Beratung zum Mehrfachantrag, nur noch wenig Zeit haben (Darnhofer, 2016). Bei partizipativen Ansätzen werden landwirtschaftliche Berater_innen zu Netzwerker_innen, wodurch eine regionale Vernetzung der Akteure sowie ein gezieltes Einbringen von Expert_innen als langfristiger Prozess gestaltet wird (Darnhofer et al., 2017; de Snoo et al., 2013; Klerkx & Leeuwis, 2009; Lacombe et al., 2018; Seuneke et al., 2013). Dieser Ansatz wird u. a. in den operationellen Europäischen Innovationspartnerschaften (EIP-Agri-Gruppen) erfolgreich umgesetzt. Solche partizipativen Ansätze zeigen – geeignete Beteiligungsformen vorausgesetzt – eine hohe Wirksamkeit.

Labels und Auszeichnungen

Die Sichtbarkeit von extensiver Landnutzung wird durch Labels erhöht. Dazu gehören Qualitätssiegel, Gütezeichen und Ökolabels für Lebensmittel wie z. B. die EU-geografischen Angaben „geschützte Ursprungsbezeichnung“ (g. U.) und „geschützte geografische Angabe“ (g. g. A.), das Bio-Logo, oder österreichische Initiativen wie die „Genußregionen“ (Groier, 2007). Ähnliche Labels gibt es auch für die Gastronomie, z. B. Österr. Umweltzeichen, Green Event. Diese Labels können extensive, standortangepasste Produktionsweisen ermöglichen, die Kulturartenvielfalt und damit Biodiversität erhalten und die Akzeptanz extensiver Produktionsmethoden bei Landwirt_innen erhöhen. Mit Hilfe dieser Labels können sich Unternehmen am Markt positionieren und Konsument_innen Produkte und Dienstleistungen gezielt wählen (Feucht & Zander, 2018; Riefler, 2020). Während Labels wichtige Informationen an Konsument_innen vermitteln, kann die Anzahl und Bandbreite an verschiedenen Labels (d. h. Eigenmarken sowie drittzertifizierte Gütezeichen), die derzeit auf Lebensmittel zu finden sind, auch verwirrend sein. Auch ist zu berücksichtigen, dass staatliche Stellen häufig ein wesentlich geringeres Budget als privatwirtschaftliche Unternehmen zur Verfügung haben (z. B. hat die AgrarMarktAustria [AMA] ein Werbebudget von weniger als 20 Mio. Euro, im Vergleich dazu hat der Rewe-Konzern ein Werbebudget von 181 Mio. Euro). Es ist daher wenig überraschend, dass bei Bio-Lebensmitteln die Handelsmarke „Ja! Natürlich“ bekannter ist als das offizielle AMA-Biosiegel (Gruber & Holler, 2017). Die Beweislage zum Effekt von produktbasierter Information (wie etwa Labels) auf Fleischkonsum ist begrenzt (Kwasny et al., 2022). Lediglich eine experimentelle Studie hat den Effekt eines Carbon Labels auf Konsumentscheidungen in einem Restaurant untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass grüne Labels zwar die Wahl von klimafreundlichen Produkten erhöhen; jedoch gelbe und rote Labels die Wahl von Fleischprodukten nicht signifikant reduzieren (Brunner et al., 2018). Eine weitere Möglichkeit für die öffentliche Hand, extensive Landnutzung sichtbar zu machen und öffentliche Anerkennung zu vermitteln, sind Preise und Auszeichnungen für Landwirt_innen (z. B. Agrarpreis, Innovationspreis, Kulturlandschaftspreis).

Neue Medien und Technologien

Diese können innovative Ansätze stärken. Das Breitband-Internet ermöglicht eine direkte Kommunikation zwischen Landwirt_innen, Konsument_innen und interessierten Bürger_innen (soziale Medien, Crowdfunding, WebShops für Direktvermarktung). Es bietet auch eine direkte Unterstützung für extensive Bewirtschaftungsmaßnahmen, insb. durch Informationsaustausch (Tamme, 2018; zukunftsraumland, 2020). Entsprechend wichtig ist die Erweiterung der geografischen Ausdehnung von Hochleistungsbreitbandnetzen im Rahmen der Digitalen Strategie der österr. Bundesregierung.

Freiräume schaffen

Um klimafreundliche Maßnahmen zu fördern, ist es wesentlich, zu berücksichtigen, dass die Landwirt_innen, Unternehmer_innen und Bürger_innen nicht nur auf Anreize des Staates reagieren. Sie werden auch selbstständig initiativ und entwickeln eigenständig neue Maßnahmen, die zum Klimaschutz beitragen. Daher ist es wesentlich, durch rechtliche Rahmenbedingungen ausreichend Freiräume zu sichern. So hat z. B. das Alternativfinanzierungsgesetz die Finanzierung von Initiativen durch Crowdfunding ermöglicht. Öffentliche Fördertöpfe, die kleine Beträge als „Risikokapital“ für neue Initiativen und Vernetzungsprojekte zur Verfügung stellen, können eine wichtige Unterstützung anbieten. Derzeit werden in der Landwirtschaft primär standardisierte Investitionen (z. B. Stallneubau) gefördert. Für innovative Projekte, die Vorreiter_innen unterstützen würden, gibt es kaum finanzielle Unterstützung (Darnhofer, 2016). Dies hängt auch mit den Kriterien zusammen, die herangezogen werden, um sicherzustellen, dass öffentliche Mittel „effizient“ eingesetzt werden, und der Notwendigkeit, dies sowohl vor der Vergabe zu prüfen als auch bei Evaluierungen belegen zu können (Darnhofer et al., 2017).

Green public procurement

Der Staat kann auch direkt wirksam werden, insbesondere, indem er die Nachfrage nach Produkten aus klimafreundlicher Produktion durch „Green Public Procurement“ erhöht. Dabei werden Küchen in der Gemeinschaftsverpflegung (Schulen, Spitäler, Pflege- und Seniorenheime, …), sowie Lieferant_innen bei „Green Events“ angehalten (einen Teil) ihrer Lebensmittel nach Kriterien wie „pflanzlich, biologisch, regional, und saisonal, biologisch“ (siehe Abschn. 5.3) einzukaufen. Dies muss in den Beschaffungs- und Vergaberichtlinien entsprechend berücksichtigt werden, wie z. B. in der Aktion „Österreich isst regional“ (BMLRT, 2020b), oder der von der Stadt Wien verbindlich verankerten Bioquote, nach welcher 30 % der eingekauften Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft stammen müssen (Schlatzer et al., 2016). Die Gemeinschaftsverpflegung trägt dann dazu bei, den Absatz an heimischen (Bio-)Lebensmitteln zu sichern (Gusenbauer et al., 2018), was auch den Prioritäten der Konsument_innen entspricht (Riefler, 2020).

6.5 Nichtstaatliche Ansätze, um Adaptations- und Mitigationsmaßnahmen zu unterstützen

Nicht nur der Staat, auch andere gesellschaftliche Akteure können Maßnahmen setzen, die die Landnutzung (direkt oder indirekt) beeinflussen. Dies ist in allen wirtschaftlichen Sektoren der Fall (für Energie siehe Kap. 7). Hier werden diese Ansätze anhand von Beispielen entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette illustriert.

Kooperation privatwirtschaftlicher Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette

Landwirt_innen können eine Reihe von Maßnahmen in der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Böden setzen (u. a. Bodenbearbeitungsintensität und -verfahren, Reduktion des Mineraldüngerstickstoffeinsatzes, Fruchtfolgediversifizierung, standortangepasste Grünlandbewirtschaftung). Allerdings führt eine Änderung der Bewirtschaftung bzw. der Bewirtschaftungsintensität auch zu einer Änderung der produzierten Waren (Fruchtfolge) und Qualitäten, deren Vermarktung gesichert werden muss. So hängt eine Extensivierung auch mit der Sortenwahl zusammen. Der Anbau von alten Getreidesorten erfordert jedoch die Entwicklung von neuen Rezepten durch Bäcker_innen, damit trotz des geringeren Klebergehaltes Gebäck angeboten werden kann, das den Anforderungen der Konsument_innen entspricht (Darnhofer, 2016). Die Kooperation zwischen Landwirt_innen, Molkereien und Lebensmitteleinzelhandel bei (Bio-)Heumilch ist auch ein erfolgreiches Beispiel für die Bereitschaft von Landwirt_innen, Änderungen bei der Nutzung von Dauergrünland und standortangepasste Fütterung von Milchkühen umzusetzen, sofern Vermarktungsmöglichkeiten erschlossen werden können. Die Vermarktung von Kräutern durch die Firma Sonnentor ist wesentlich dafür, dass die Landwirt_innen Biokräuter anbauen (Gusenbauer, 2014). Für eine Änderung in der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Böden ist es daher wesentlich, dass Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette (Agrarhandel, Landwirt_innen, Lager, Verarbeitungsbetriebe, Lebensmitteleinzelhandel) aufgebaut werden (Meynard et al., 2017; Milestad et al., 2010; Poore & Nemecek, 2018). Dabei spielen Qualitätssicherung, eine gute Kommunikation (um den – in der Regel höheren – Preis nachvollziehbar zu machen) sowie Fairness entlang der gesamten Wertschöpfungskette (u. a., indem auch Landwirt_innen einen höheren Preis geboten wird) eine wichtige Rolle.

Kooperationen zwischen Landwirt_innen und Konsument_innen, die dem dominanten Agrar- und Lebensmittelsystem kritisch gegenüberstehen

Diese können die Landnutzung ebenfalls beeinflussen, nicht zuletzt, indem sie die Bewirtschaftungsintensität reduzieren. Alternative Produktions- und Vermarktungsinitiativen, wie z. B. die „solidarische Landwirtschaft“ (Krall, 2017; Pabst, 2015; Rappersberger, 2016; Wohlmacher, 2018), FoodCoops (Strobach, 2017), Nachbarschafts- und Gemeinschaftsgärten oder auch Selbsterntefelder (Pech, 2018) können als Beiträge zur Transformation des Lebensmittelsystems gesehen werden (siehe Österr. Forum für Ernährungssouveränität – Transition Graz 2021). Solche Initiativen sind häufig klein und agieren vorwiegend lokal. Auch wenn es schwer ist, zu belegen, inwiefern solche zivilgesellschaftlichen Initiativen zum Klimaschutz beitragen, können sie zum Problembewusstsein beitragen und auch Lösungsansätze aufzeigen (zukunftsraumland, 2020). Indem sie mit alternativen Organisationsformen und Kooperationsmodellen sowie mit umwelt- und klimafreundlichen Produktions- und Vermarktungsalternativen experimentieren, stellen sie Erfahrungswerte bereit, auf die zurückgegriffen werden kann. Studien zur gesellschaftlichen Transformation, die die Multi-Level-Perspektive anwenden, zeigen jedoch, wie schwer es für solche Nischen ist, den etablierten Mainstream zu verändern (Diaz et al., 2013; Hassink et al., 2018; Vermunt et al., 2020).

Maßnahmen zur Reduktion bzw. Vermeidung von Lebensmittelabfällen entlang der gesamten Wertschöpfungskette

Derartige Maßnahmen können sich auf die Landnutzung auswirken: Wird weniger eingekauft, kann dies die verarbeitete bzw. produzierte Menge reduzieren. Damit entsteht ein Potenzial zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der CO2-Emissionen in der Produktions- und Lieferkette. Im Bereich Lebensmittelabfälle können gezielte Bildungsmaßnahmen und Trainings (wie beispielsweise „Restl-Kochen“) Haushalte dabei unterstützen, Lebensmittelabfälle zu reduzieren (Mondéjar-Jiménez et al., 2016). Es gibt eine Bandbreite von Basisbewegungen und Initiativen von Bürger_innen und Kleinunternehmen, die zum Ziel haben, Lebensmittelabfälle zu reduzieren und zu vermeiden und damit zum Klimaschutz beizutragen, wie beispielsweise „foodsharing.at“; „Iss mich!“; „Unverschwendet“ oder „Too Good To Go“. Bewusstseinskampagnen durch den Lebensmitteleinzelhandel können dazu beitragen, die Akzeptanz von „unvollkommenen Lebensmitteln“ (d. h. Lebensmittel, die optisch nicht der (Handels-)Norm entsprechen, wie etwa krumme Gurken oder fleckige Äpfel) zu erhöhen (Neff et al., 2015) und damit die Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Ein Beispiel aus dem österreichischen Einzelhandel ist die Einführung des Produktsortiments „Wunderlinge“ bei Billa, BillaPlus und Adeg. Die Beweislage zur Wirksamkeit bzw. Beitrag dieser Initiativen ist jedoch schwach bzw. nicht vorhanden. Während es vermehrt qualitative Studien gibt, die sich mit dem Thema beschäftigen, fehlt es an robuster Wirkungsmessung, um den Beitrag von Graswurzelbewegungen zum Klimaschutz (durch die Reduktion und das Vermeiden von Lebensmittelabfällen) einschätzen zu können (Nikravech et al., 2020).

Konkrete Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen im urbanen Raum sind auch Initiativen wie das Zustellservice durch stadtnahe landwirtschaftliche Betriebe. Durch den regionalen Anbau werden die Transportwege kürzer, und das Zustellservice reduziert die „Last Mile“ vom Supermarkt nach Hause (Abschn. 5.3.1; Tab. 5.2 geringes GHG-Mitigationspotenzial). Dies weist darauf hin, dass es zielführend ist, gesamte Logistikketten bezüglich ihrer Treibhausgase zu vergleichen und nicht nur einzelne Abschnitte (Rizet et al., 2010).

Angebotsstruktur, Produktsortiment, Preisgestaltung und Werbemaßnahmen

Im europäischen Vergleich besteht in Österreich eine sehr hohe Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel, da die drei größten Unternehmen (Rewe, Spar und Hofer) knapp 84 % des Gesamtumsatzes abdecken (RegioData Research, 2018). Aufgrund dieser Marktkonzentration und des hohen Anteils an Eigenmarken (Böheim et al., 2016) haben sie einen großen Einfluss auf die Vermarktungsmöglichkeiten für österreichische Lebensmittel und beeinflussen wesentlich die Produktpalette, aus der die Konsument_innen wählen können. Maßnahmen im Lebensmitteleinzelhandel, z. B. die Angebotsstruktur, das Produktsortiment, die Preisgestaltung und Werbemaßnahmen, beeinflussen das Konsumverhalten, u. a. Kauf von Fleischprodukten, regionalen Lebensmitteln und Biolebensmitteln. Der Lebensmitteleinzelhandel entscheidet nicht nur, welche Produkte angeboten werden, sondern auch, wie diese verpackt werden, insbesondere bei den Eigenmarken und dem Angebot an frischem Obst und Gemüse (Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen in den Verpackungen, kompostierbare Verpackungen, Reduktion bei den Verpackungen). Auch die Packungsgrößen wirken sich auf den Anfall von Lebensmittelabfällen aus (Haushaltsgröße). Der Lebensmitteleinzelhandel und die Unternehmen der Lebensmittelverarbeitung beeinflussen auch wesentlich, wie Lebensmittel produziert werden, da sie die Qualitätskriterien vorgeben (z. B. einheitliche Größe, Farbe, Form bei Gemüse und Obst) und häufig große Mengen von einheitlicher Rohware für die industrielle Verarbeitung fordern (Green & Foster, 2005). Diese Forderung kann am ehesten von „modernisierten“ Betrieben (d. h. große, spezialisierte, intensiv wirtschaftende Betriebe) erfüllt werden. Eine Änderung der Qualitätskriterien oder der Liefervorgaben kann daher auch die Landbewirtschaftung beeinflussen.

Verhaltensökonomische Maßnahmen

Sogenannte „Nudges“ können zu Verhaltensänderungen beitragen, wenn diese an den Motiven und Zielsetzungen der spezifischen Landnutzergruppen ausgerichtet sind. Mostegl (2020) betonte auch, dass für die Umsetzung der Klimawandelanpassung in Bezug auf die Landnutzung die genannten moderierenden „weichen“ Ansätze in Verbindung mit harten (gesetzlichen/verordneten) Instrumenten den höchsten Wirkungsgrad erzielen. Studien haben auch untersucht, welche Nudging-Instrumente eingesetzt werden können, um den Fleischkonsum zu reduzieren (Kwasny et al., 2022). Diese Studien wurden vorwiegend in industrialisierten Ländern durchgeführt, ihre Ergebnisse sind daher auch für Österreich relevant. Die empirische Beweislage zu den Effekten dieser Nudges ist gemischt bzw. mittel bis schwach. Die Varietät, die Sichtbarkeit und die Portionsgrößen von vegetarischen Menüs (z. B. in Schulkantinen) zu verbessern führt zu einem erhöhten Konsum von vegetarischen Speisen und reduziert damit Fleischkonsum (Garnett et al., 2019; Kurz, 2018; Reinders et al., 2017; Rolls et al., 2010). Generell führt eine Erhöhung der Portionsgröße zu höherem Nahrungsmittelkonsum, und vice versa (Steenhuis & Poelman, 2017). Eine Studie zeigt, dass die Bezeichnung „Tagesteller“ die Wahl dieses Gerichts erhöht, insbesondere, wenn die Anzahl der alternativen Optionen zunimmt (Saulais et al., 2019). Andere Studien finden keinen Effekt (dos Santos et al., 2018; Zhou et al., 2019). Nur zwei experimentelle Studien haben den sogenannten Default-Effekt auf Fleischkonsum untersucht. Der Default-Effekt beschreibt die Tendenz von Akteur_innen, jene Option in einer Entscheidungssituation zu bevorzugen, die als Default (oder Standard) gesetzt ist (Jachimowicz et al., 2019). Beide Studien finden einen positiven Default-Effekt im Kontext von Fleischkonsum; wichtig ist allerdings, dass nicht nur die vegetarische Option als Standard gesetzt wird, sondern dass auch der Aufwand, die fleischbasierte Option zu wählen, erhöht wird (Campbell-Arvai et al., 2014; Friis et al., 2017).

Bildungsmaßnahmen

Auch private Unternehmen und Vereine bieten Bildungsmaßnahmen an. Informationen zu einem gesunden Lebensstil (wie etwa Ernährungsempfehlungen, Rezepte oder Übungen, etc.), die mit persönlichen Ernährungsberatungen kombiniert werden, sind wirksam, um Fleischkonsum zu reduzieren (Grimmett et al., 2015; Hawkes et al., 2012). Bildungsprogramme wie etwa Kochkurse, in denen Teilnehmer_innen vermittelt wird, wie pflanzenbasierte Lebensmittel eingekauft und zubereitet werden können, wirken sich positiv auf den Konsum von pflanzenbasierter Ernährung aus und reduzieren den Fleischkonsum (Carmody et al., 2008; Flynn et al., 2013).

6.6 Raumplanung und Verkehrsplanung

6.6.1 Potenziale und Ziele der Raumplanung

Raumplanung ist die Strategie der öffentlichen Hand, „die planmäßige, vorausschauende Gestaltung eines Gebietes, um die nachhaltige und bestmögliche Nutzung und Sicherung des Lebensraumes im Interesse des Gemeinwohles zu gewährleisten“ (§ 1 Abs 2 1. Satz StROG (LGBl 49, 2010)). Zuständigkeiten und Planungsinstrumente sind in Kap. 7 beschrieben. Einer der zentralen Aufgabenbereiche der Raumplanung ist, sowohl auf überörtlicher als auf örtlicher Ebene die zukünftige Siedlungsentwicklung zu steuern. Das heißt, insbesondere eine verbindliche Trennung von zukünftigem Baugebiet zu unbebautem Gebiet vorzunehmen. Mit dieser, den Ländern und den Gemeinden verfassungsrechtlich garantierten Zuschreibung an Entscheidungskompetenz hinsichtlich vorsorgender Landnutzungen trägt die Raumplanung grundsätzlich ein hohes Maß an Mitverantwortung sowohl im Klimaschutz als auch bei der Klimawandelanpassung, und zwar insbesondere aufgrund folgender Überlegungen:

  • Hohe Klimarelevanz der Entscheidungen. Stoffstromanalysen (siehe Glossar) ergaben, dass in hochentwickelten Volkswirtschaften wie Österreich 70–80 % der Material-, Energie- und Stoffströme (Payer, 1996) durch Landnutzungen in Gang gesetzt werden. Mit dem Vorantreiben der Siedlungsentwicklung und dem Ausbau des Straßennetzes wird die Treibhausgasspeicherfähigkeit des Bodens zerstört sowie die Hitzebildung vorangetrieben. Die spätere Nutzung einer wachsenden Zahl an Hoch- und Tiefbauten führt zu vermehrten Treibhausgasemissionen.

  • Persistenz der anthropogenen materiellen Raumstrukturen. Die durch Raumplanung lancierten baulichen Entwicklungen haben eine in der Regel über Generationen hinwegreichende Beständigkeit (ÖROK, 2021). Nötige spätere Landnutzungskorrekturen können, quantitativ gemessen, nur in äußerst beschränktem Umfang vorgenommen werden. Die einst unverbaute „grüne Wiese“ ist nach Verbauung mit vertretbarem Aufwand so gut wie nicht wiederherstellbar. Ein Umstand, der die Effektivität von raumgebundenen Klimaschutzmaßnahmen generell herabsetzt (ÖROK, 2021).

  • Komplementarität. Die Raumplanung bietet sich an, insbesondere in regionalem und lokalem Rahmen einschlägige Veränderungen zu erfassen und raumrelevante Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Sie hat somit das Potenzial, eine in der allgemeinen Wahrnehmung übergroße Bedrohung in deren überschaubare Raumwirkungen zu transformieren und daraus operable Anpassungs- und Gegenstrategien zu entwickeln und diese auch durchzusetzen.

6.6.2 Probleme und Barrieren in und für die Raumplanung

6.6.2.1 Einzelfallentscheidungen statt systemisch-integrativer Vorgangsweise

Die Raumplanung als öffentliche Aufgabe leidet teilweise an drei Mängeln, die ihren Niederschlag in jahrzehntelang anschwellenden chaotischen Siedlungsmustern in allen Bundesländern Österreichs findet (Dollinger, 2021; Umweltbundesamt, 2020a). Dieses „Bauen am falschen Platz“ (Box 6.9) kam und kommt vor allem durch drei Umstände zustande: jahrzehntelanger Verzicht auf Realisierungsanweisungen, Schweigen auf Vermögenswertgewinne durch die Baulandwidmung sowie keine Lösungen für die in weiten Teilen Österreichs vorherrschende Streusiedlungstradition (Weber, 2016).

Das heißt zum einen, man hat eine unrealistische Grenze zwischen öffentlicher Zielsetzung und privater Umsetzung gezogen (Danielzyk, 2003), indem die Baulandwidmung als Nutzungschance und nicht als Nutzungsverpflichtung in den seit den späten 1950er-bis in die frühen 1970er-Jahre erstmals erlassenen Landesraumordnungsgesetzen ausgestaltet wurde, und zum anderen, dass das einschlägige Recht nicht auf den Umstand einging, dass mit der Baulandwidmung sich in den meisten Fällen enorme Vermögenszugewinne verbinden. Die Kombination von beiden führte in der Vollziehung zu folgendem die Zersiedelung begünstigenden Handlungsmuster, das heute unter dem Begriff „Legalzersiedelung“ firmiert: Die Grundeigentümer_innen drängten und drängen aus persönlichen Motiven auf eine Baulandwidmung, und sobald sie eine Umwidmung erwirkt haben, wird von ihnen aber ein erheblicher Teil des gewidmeten Baulandes als „eiserne Reserve“ zurückgehalten. Das geschieht in der Erwartung auf laufend steigende Baulandpreise (Weber, 1984, 1983). Als Folge mangelnder Verfügbarkeit von Bauland wurde und wird die öffentliche Hand zu weiteren Umwidmungen von Grünland in Bauland veranlasst. Mit der Zeit baute sich so in allen Flächenbundesländern ein Baulandüberhang auf (Dollinger, 2017; Umweltbundesamt, 2020b), der wesensgemäß keine geordnete Siedlungsentwicklung mehr gewährleisten kann. Die unbebauten Baulandreserven betragen derzeit österreichweit 26 % des gewidmeten Baulandes (Umweltbundesamt, 2020b).

Box 6.9 Zersiedelung: „Das Bauen am falschen Platz“ – ein Beispiel

Die roten Sternchen in Abb. 6.2 machen die ungeordnete Siedlungsentwicklung durch die existierenden Einfamilienhäuser sichtbar. Sie zeigen, wie tief damit in die Agrarstruktur eingegriffen wurde und neue Erschließungsstraßen sowie lange Leitungswege erforderlich gemacht haben. Die damit verbundenen längeren Wegstrecken führen zur verstärkten Nutzung des motorisierten Verkehrs.

Der gelbe Strich kennzeichnet eine nie gezogene fiktive Siedlungsgrenze für den Einfamilienhausbau. Das gelbe schraffierte Feld am oberen Bildrand kennzeichnet die fiktive Konzentration aller gewerblichen Aktivitäten in diesem Bildausschnitt.

Die gelben Sternchen zeigen, dass, dem Leitbild der kompakten Siedlungsentwicklung folgend, die achtzig rot gekennzeichneten Einfamilienhäuser linksseitig der fiktiven Siedlungsgrenze auch rechtsseitig hätten gebaut werden können. Durch Lückenfüllung und Siedlungserweiterung hätte so einerseits ein kompakter, bodensparender Siedlungsteil mit kürzeren, fußläufigen Wegen entstehen können und andererseits eine rationellere Landbewirtschaftung ermöglicht werden. Beides wären Voraussetzungen, um den Energieeinsatz bei Nutzung des Raummusters zu minimieren.

Abb. 6.2
figure 2

Beispiel für „Zersiedelung“. (Bildquelle: eigene Darstellung auf Basis von basemap.at)

6.6.2.2 Darstellung der Klimaschutzmaßnahmen als „gutes Geschäft“

Für die öffentliche Wahrnehmung wird Klimaschutz als „gutes Geschäft“ dargestellt, das sich mit dem Einsatz neuer Technologien und klimaverträglicher Rohstoffe abzeichnet. Insbesondere wird hier auf die Umstellung der gesamten Kraftfahrzeugflotte auf neue Antriebstechniken, die thermische Sanierung des Altgebäudebestands, den Austausch von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare oder den Aufbau neuer Infrastruktursysteme und Verkehrsangebote verwiesen (EC, 2019c).

Studien wie von Salmhofer (2019) für den österreichweiten Verkehr haben aber nachgewiesen, dass das damals noch geltende EU-Ziel, nämlich bis 2030 \({-}\)35 % der Treibhausgase auf Basis der Ausstoßmenge von 2005 einzusparen, nur zur Hälfte durch technologische Transformation erreicht werden kann, die andere Hälfte müsste durch Reduktion des Verkehrsaufkommens erzielt werden. Die „Zersiedelung“ (Abb. 6.2) hat nicht nur den Verlust von landwirtschaftlicher Fläche zur Folge, sondern steht auch einer Reduktion des Verkehrsaufkommens entgegen. Eine darauf ausgerichtete Raumorganisation (Beckmann et al., 2011) wird als wirksames Mittel gesehen, die Wege im motorisierten Individualverkehr (MIV) zu sparen, indem sie ermöglicht, die mit diesen Wegen in Verbindung stehenden Aktivitäten durch Fuß- und Radverkehr in der Nahmobilität bzw. durch die Nutzung des öffentlichen Verkehrs zu realisieren und im Zusammenspiel mit der Verkehrsplanung entsprechende Infrastrukturen und Angebote für die Verkehrsarten schafft. Die fortschreitende Zersiedelung geht oft mit einem unnötig weitläufigen Straßennetz einher (Box 6.10).

Abb. 6.3
figure 3

Das Straßen- und ländliche Wegenetz 1950. (Quelle: Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen); das Straßennetz 2010. (Quelle: eigene Darstellung auf Basis von basemap.at)

6.6.2.3 Wachstumsgetriebenheit der Raumplanung

Die Wachstumsgetriebenheit der Raumplanung kann am Beispiel der Flächenwidmungsplanung demonstriert werden:

  • Beispielsweise sind in Oberösterreich 20 % des gewidmeten Baulandes noch unbebaut, und dennoch werden pro Jahr in diesem Bundesland 400 ha Grünland in Bauland umgewidmet (Land OÖ, 2020).

  • Kreuzer, Fischer & Partner (2011) haben errechnet, dass allein durch die in den Jahren 2007–2010 österreichweit vorgenommenen Umwidmungen von Grünland in Bauland jährlich ein Mehrwert von 2,7 Mrd. Euro geschaffen wurde.

  • Etwa 40 % aller Gemeinden Österreichs haben derzeit (2020) eine rückläufige Bevölkerungsentwicklung. Der Flächenwidmungsplan ist machtlos gegenüber den damit einhergehenden Schrumpfungserscheinungen und den daraus erwachsenden Reduktionserfordernissen im bereits bestehenden Siedlungsraum (Weber et al., 2013).

  • Rückwidmungen von Bauland in Grünland sind gegebenenfalls mit Entschädigungszahlungen (vgl. § 38 OÖ Raumordnungsgesetz; LGBl 114, 1993) verbunden und werden daher tendenziell von der öffentlichen Hand gemieden.

  • Der sukzessive Verlust der Gesamtlogik des Flächenwidmungsplans durch sporadische, aus dem Zusammenhang gerissene Baulandwidmungen wird kaum thematisiert.

Box 6.10 Das Straßen- und ländliche Wegenetz 1950 im Vergleich zum Straßennetz 2010

Die Erschließungsleistungen, die vom ländlichen Wegenetz ausgingen (Abb. 6.3a), wurden für den Siedlungs- und Gewerbebau umgedeutet, ausgebaut und sukzessive – meist durch Stichstraßen – ergänzt (Abb. 6.3b). Die Folge ist ein extrem ausladendes, bodenbeanspruchendes Straßennetz, das zumeist auch nicht den Anforderungen der aktiven Mobilität nach attraktiven, sicheren und möglichst kurzen, direkten Wegeverbindungen entspricht.

6.6.2.4 Wachsende Diskrepanz zwischen erforderlichen Interventionen und tatsächlichen Möglichkeiten

Vor dem Hintergrund der rasch voranschreitenden Erderwärmung steigt der Korrekturbedarf an den vornehmlich durch Raumplanung getroffenen Landnutzungsentscheidungen und den daraus resultierenden klimaschädigenden Raumstrukturen sowie den entsprechenden Raumnutzungen. Diese Forderung geht derzeit gegenüber der Raumplanung aber weitgehend ins Leere, ist doch davon auszugehen, dass, je nach regionaler Wirtschaftsdynamik, etwa 80 % bis, aufgrund von Leerständen, 110 % des jemals in unseren Breiten erforderlichen Bauvolumens bereits existiert (Fuhrhop, 2020). Dieser Bestand an genutzten und zum Teil auch leerstehenden Gebäuden sowie an Straßen und Leitungen erzeugt eine „normative Kraft des Faktischen“, die sich den derzeitig möglichen Interventionen der Raumplanung auch aus Verfassungsrechtsgründen entzieht. Ursache dafür ist das sie prägende „Prinzip des Bestandsschutzes“, das gegenüber dem Baubestand bis heute uneingeschränkt gilt (Weber, 2020).

6.6.3 Lösungsansätze in der Raumplanung

Aufgrund der obengenannten Rahmenbedingungen geht es im Folgenden (Box 6.11) um die Überlegung, was ein effektiver Bodenschutz zur Klimawandelanpassung und zum Schutz des Klimas aus Sicht der Raumplanung leisten kann.

Anhand von zentralen Bereichen der Grundversorgung sind in Tab. 6.1 nur beispielhaft Maßnahmen vorgestellt, die Teil der Doppelstrategie „Stop der Außenentwicklung!“ und „Go der Innenentwicklung!“ (Abb. 6.4) sein können (Weber, 2020). Für weitere Beispiele siehe Kap. 7.

Box 6.11 Beispiele zukunftsfähiger Lösungsansätze in der Raumplanung

Eine Effektuierung des Bodenschutzes durch Raumplanung ist wichtig, weil der unverbaute Boden nicht nur Relevanz in Zusammenhang mit dem Klimawandel hat, sondern etwa auch mit dem Erhalt der Biodiversität, der Ökologisierung der Landbewirtschaftung, der Sicherung der Ernährungssouveränität, der Umstellung der Energie- und Grundstoffgewinnung auf erneuerbare Quellen, dem sparsamen Finanzmitteleinsatz der Gebietskörperschaften oder der intergenerationellen Gerechtigkeit in Verbindung steht. Im Weiteren soll die Thematik auf der örtlichen Planungsebene dargelegt werden, da hier das enge Beziehungsgeflecht zwischen möglichen Beiträgen der Raumplanung und Verkehrsplanung zur Bewältigung der Klimakrise am anschaulichsten zutage tritt und den höchsten Grad an Betroffenheit gegenüber den Bürger_innen auslösen kann.

Klimawandelanpassung durch örtliche Raumplanung (Adaptation) Die Verantwortung der Raumplanung auf Gemeindeebene in Hinblick auf die Anpassung an das Anwachsen der Extremwetterereignisse liegt darin, vorausschauend in die Planung einfließen zu lassen, dass sich zum einen die Schäden durch Naturgefahren (z. B. Hochwasser) aufgrund von Landnutzungsentscheidungen (z. B. Versiegelung) nicht vergrößern, zum anderen, dass die potenziellen Gefährdungsbereiche (z. B. Überflutungsräume) vorsorglich vor Schadenseintritten (Gefahr für Leib und Leben, Schäden an Gebäuden, technischer Infrastruktur und Natur) möglichst geschützt werden. Insgesamt geht es für die Raumplanung bei der Adaptionsstrategie also um die vorausschauende größtmögliche Reduzierung der Verwundbarkeit von Gesellschaft und Natur in einem bestimmten räumlichen Kontext, trotz Ansteigens des Gefahrenpotenzials durch den Klimawandel und vorhandener, teils erheblicher Widerstände anthropogenen Ursprungs in den betreffenden Räumen (z. B. Gebäude in Abflussbereichen). In Zusammenhang mit der Resilienz gegenüber möglichen Einschränkungen der Nutzbarkeit der Verkehrsinfrastrukturen durch Naturgefahren wie durch Muren, Bergstürze, Lawinen, Hochwasser oder Windwurf bedeutet das auch die Förderung von Strukturen, die die Daseinsgrundfunktionen möglichst vollständig in den Gemeinden im Bereich der Nahmobilität sicherstellen.

Im Rahmen der örtlichen Raumplanung ergeben sich beispielhaft folgende Planungsaufträge und Planungsspielräume bei der Anpassung an die steigende Erderwärmung:

Starkniederschläge Auf der Stufe des örtlichen Entwicklungskonzeptes gilt es, den thematischen Bogen um das Kapitel „Klima“ zu erweitern. Da dieser Plan regelmäßig unter angemessener Beteiligung der Gemeindebürger_innen zu erstellen ist, dient eine themenübergreifende Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gemeinde auch der Bewusstseinsbildung hinsichtlich Betroffenheit und der Auslotung der Handlungserfordernisse im örtlichen Rahmen.

Dem Flächenwidmungsplan kommt hier vor allem die Aufgabe zu, die in den oben genannten Plänen ausgewiesenen Gefährdungsbereiche mindestens parzellenscharf mit einer Widmung, mit der sich ein absolutes Bauverbot verbindet, grundeigentümerverbindlich zu verankern. Dieser passive Hochwasserschutz erstreckt sich auf folgende Bereiche (nach Fleischhauer & Bornefeld, 2006):

  • Überschwemmungsgefährdete Bereiche für rote und eventuell gelbe Gefahrenzonen,

  • schadensmindernde Bereiche für die Freihaltung von Retentions- und Abflussräumen,

  • Standortsicherung für Hochwasserschutzanlagen wie Dämme, Lawinengalerien,

  • Entwicklungsbereiche wie für Walderweiterungen, Flussrenaturierungen, Pflanzung von Ufergehölzen,

  • Notfallbereiche wie Sammelpunkte, Rettungsschneisen.

Wichtig ist dabei zu erkennen, dass die Vorsorgeorientierung der Raumplanung in den Bauverbotsbereichen nur zukünftige Baulichkeiten verhindern und auf Grund des „Prinzips der Bestandsschutzes“ bestehende nicht zum zwingenden Abriss bestimmen kann. Ebenso liegt es nicht in Entscheidungsbefugnis, bestimmte Formen der Landbewirtschaftung anzuordnen (z. B. Pferdeweiden, die bei Hochwasser meist geringen Schaden nehmen).

Dies gilt sinngemäß auch für den Bebauungsplan. Das heißt, dieser Plantyp kann nicht verpflichtende Anpassungsmaßnahmen an eine erhöhte Hochwassergefahr bei bestehenden Bauten und Anlagen anordnen (wie etwa das Zumauern von Fenstern). Aber nimmt der/die Eigentümer_in von sich aus eine raumplanungsrelevante Änderung vor, wie beispielsweise einen Anbau, so hat dies plankonform zu geschehen. In Neubaugebieten etwa in der gelben Gefahrenzone („Greenfield“ oder „Brownfield“) kann aber eine hochwasserresistente Gebäudeanordnung oder -ausstattung (z. B. keine Tür- und Fensteröffnungen in exponierten Erdgeschoßen) mittels Bebauungsplans und ergänzend mittels in Schriftform ergangener Bebauungsbestimmungen (vgl. NÖ ROG 2014; Bgld. RPG 2019) verbindlich gemacht werden.

Hitzewellen In bestehenden dicht bebauten Gebieten geht es vor allem um die Aufwertung und Erweiterung der „blauen“ und der „grünen“ Infrastruktur und deren Raumansprüche, die in einem den Bebauungsplan ergänzenden Freiraumkonzept abzuklären sind (siehe auch Abschn. 3.4).

Neubaugebiete sind so zu situieren und konfigurieren, dass die Durchlüftung der bestehenden und der neuen Siedlungsbereiche bestmöglich gewährleistet wird. Zudem ist der Planungsprozess mit der Sicherung der Flächen für eine robuste „blaue“ und „grüne“ Infrastruktur zu starten. Dabei gilt der Grundsatz: Umso dichter die angestrebte Bebauung, umso klimafreundlicher müssen die Freiräume, einschließlich der Verkehrsflächen, gestaltet werden.

Dürreepisoden Die Anpassungsstrategien der Raumplanung auf die in Hinblick auf Frequenz, Dauer und Intensität bedeutsamer werdenden Dürreepisoden liegen darin, jeden nicht erforderlichen Eingriff in den natürlichen Wasserkreislauf zu vermeiden (z. B. bei hoch gelagerten Grundwasserkörpern Verbot von Kellergeschoßen bei Neubau), die Speicherung des Regenwassers auf möglichst vielen Grundstücken, wo es auftrifft, zu gewährleisten, selbst das Pflanzen trockenheitsresistenter Baum- und Straucharten kann mittels Bebauungsplanung für Neubaugebiete angeordnet werden. Die örtliche Raumplanung hat aber auch die Prävention von trockenheitsbedingten Bränden und deren rasche Bekämpfung durch eine entsprechende Raumorganisation sicherzustellen.

Stürme Die Raumplanung hat auch dafür einzutreten, dass in Folge des Klimawandels Stürme in Frequenz und Intensität zunehmen und dementsprechend die Gefahren, die vor allem durch Windwurf ausgelöst werden, steigen. Gerade Windwurf kann auch einen wesentlichen Einfluss auf die Verkehrsinfrastruktur haben (z. B. Unterbrechung von Bahnlinien und Straßenverbindungen). Sie hat etwa als Anpassungsmaßnahme die Bauverbotsbereiche entlang von mit Bäumen bestockten Fließgewässern bzw. Waldrändern und Alleen auszudehnen. Weitere zweckdienliche Maßnahmen können sein: Neubebauungen nur quer zur Hauptwindrichtung, keine Zeilenbebauung („Düsenwirkung“), sondern eine Bebauung, die windgeschützte Bereiche gewährleistet, wie etwa eine Blockrandbebauung. Es gilt zudem die Sicherung der Standorte für Windschutzanlagen im Auge zu behalten.

Klimaschutz durch örtliche Raumplanung (Mitigation) Klimaschutz kann ohne entsprechenden Bodenschutz nicht erfolgreich sein. Zudem ist hier die Wechselwirkung mit den Verkehrssystemen bzw. der Verkehrsplanung aufgrund des hohen Anteils der verkehrsbedingten Emissionen von besonderer Bedeutung. Dementsprechend wird für Österreich eine drastische Einschränkung auf weniger als ein Viertel der gegenwärtigen Bodeninanspruchnahme von 11,5 ha pro Tag vorgeschlagen (Umweltbundesamt, 2020b). Dies kann nur gelingen, wenn das Bauen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen („Greenfield“) stark gedrosselt, bestenfalls gestoppt wird und stattdessen für Bauzwecke die bestehenden Flächenpotenziale im Siedlungsgebiet („Brownfield“) vorzugsweise genützt werden. Für diesen Paradigmenwechsel steht die Zielformel „Von der Außenentwicklung zur Innenentwicklung“ (Amt der niederösterreichische Landesregierung, 2021). Ihr folgen sinngemäß mittlerweile auch die Planungsziele in den Landesraumordnungsgesetzen. In der Praxis bedeutet dies, dass bei der Überarbeitung der örtlichen Raumpläne eine Doppelstrategie zu verfolgen ist, nämlich tendenziell die äußeren Baulandwidmungen „einzufrieren“ und die inneren Nutzungspotenziale zu mobilisieren (Abb. 6.4); siehe dazu in Tab. 6.1 bodenpolitische Umsetzungsbeispiele.

Mittels der Baulandtreppe, in absteigender Richtung gelesen, lässt sich gut die Prioritätensetzung für die Innenentwicklung und Außenentwicklung darstellen. Im Wesentlichen geht es um die Mobilisierung der inneren Nutzungsreserven und das Einfrieren äußerer Widmungsreserven für Bauland.

Abb. 6.4
figure 4

Baulandtreppe – von der Außenentwicklung zur Innenentwicklung. (Quelle: eigene Darstellung)

Tab. 6.1 Die Doppelstrategie

6.7 Forschungsbedarf: Szenarienansätze für die Entwicklung und Prüfung von Landnutzungsstrategien

Szenarien werden seit Langem in der strategischen Planung (Kahn & Wiener, 1967) und in einer Vielzahl anderer Kontexte (Jäger et al., 2009) eingesetzt. Ein Szenario beschreibt, wie sich die Zukunft entwickeln könnte, abhängig von Annahmen über wichtige soziale und ökologische Prozesse und wichtige Entscheidungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene. Szenarien sind daher keine Prognosen; sie reflektieren die Unsicherheiten bezüglich künftiger Entwicklungen.

Als Basis für die Berechnung der österreichischen Treibhausgasemissionen werden zweijährlich Energie- bzw. Klimaschutzszenarien für Österreich entwickelt und die Effekte von unterschiedlichen Instrumenten-Mixen (u. a. CO2-Preise, Förderinstrumente für erneuerbare Energien, Standards im Wohnbau etc.) sowie Verhaltensänderungen (u. a. Annahmen über Änderungen der Verkehrsmittelwahl und des Modal-Split) auf die Wirtschaftsentwicklung und die Treibhausgasemissionen bis 2030/2050 sektorübergreifend analysiert (Meyer et al., 2020; Umweltbundesamt, 2020b). Im Bereich der Emissionsentwicklungen des LULUCF-Sektors gibt es derartige sektorübergreifende Szenarienanalysen, welche die unterschiedlichen Landnutzungstypen und ihre Rückwirkungen auf andere Sektoren für Österreich quantifizieren und abbilden, bisher jedoch nicht. Derartige Szenarienanalysen wären für die Entwicklung einer Klimaschutzstrategie im Bereich der Landnutzung Österreichs und für die Analyse möglicher Landnutzungskonflikte zwischen den Sektoren jedoch von großer Bedeutung.

Mithilfe von Szenarien kann untersucht werden, ob Strategien und die darin enthaltenen Instrumente robust sind, indem sie für eine Vielzahl von externen Bedingungen recht gut funktionieren. Zum Beispiel haben Jäger et al. (2015) untersucht, ob Maßnahmen für Klimawandelanpassung die Anfälligkeit für Klima- und sozioökonomische Veränderungen für eine Auswahl von Ökosystemleistungen über Klima- und sozioökonomischen Szenarien und zwei räumliche Skalen hinweg verringern. Carlsen et al. (2017) führten qualitative und quantitative Stresstests einer Reihe von Strategien durch, wobei Kombinationen aus Klima- und sozioökonomischen Szenarien (RCPs 4.5 und 8.5 und SSPs 1,3,4,5, Abschn. 1.1.1) verwendet wurden. Die quantitativen Tests zeigten die Komplexität der Politikumsetzung, wobei sektorübergreifende Auswirkungen (z. B. die Landwirtschaft, die den Wasserbedarf beeinflusst) häufig zu einer zunehmenden Anfälligkeit für Klima- und sozioökonomische Veränderungen führen, wenn einzelne oder kombinierte politische Maßnahmen angewendet werden. Bei der Bewertung der Maßnahmen aus der GAP wurde festgestellt, dass keine der Maßnahmen in allen Kombinationen von Szenarien wirksam ist.

Das Testen der Robustheit von Strategien anhand von Szenarien ist ein Ansatz, um mit der inhärenten Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen umzugehen. Die oben zitierten Studien zeigen, dass sowohl qualitative als auch quantitative Bewertungen wertvoll sind, dass es wichtig ist, mögliche sektorübergreifende Auswirkungen zu berücksichtigen und dass sozioökonomische Szenarien für die Prüfung der Robustheit von Strategien von wesentlicher Bedeutung sind.

6.8 Fazit

Kap. 6 untersucht das komplexe Feld der Landnutzungsentscheidungen. Es zeigt eine breite und große Vielfalt an klimarelevanten Strategien und Instrumenten, die Landnutzung beeinflussen. In der Planungs- und Entscheidungspraxis zeigen aber viele Beispiele, dass die Wirksamkeit dieser Strategien und Instrumente wesentlich beeinträchtigt ist. Es sind Marktversagen, Planungsversagen und Umsetzungsdefizite durch nicht zweckmäßige Kompetenzen, fehlende Umsetzung, fehlende und/oder nicht geeignete Anreize und andere gegen nachhaltige Raumentwicklung wirkende Anreizmechanismen festzustellen. Auch Interessenkonflikte können die Implementierung von Strategien und Instrumenten verhindern oder die Wirksamkeit reduzieren. Es besteht weiterhin Forschungsbedarf bezüglich der Wirksamkeit von Landnutzungsstrategien und -instrumenten.

Handlungen und Verhaltensänderungen sind das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von technischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen, sozio-demografischen sowie psychografischen Faktoren (Edwards-Jones, 2006; Langthaler, 2012; Mills et al., 2017). Bei der Gestaltung von Instrumenten und Maßnahmen, die Landnutzungsentscheidungen in Richtung Klimaschutz beeinflussen sollen, werden häufig ökonomische Ansätze (Steuern, Förderungen) vorgeschlagen (Abschn. 6.4). Dabei wird davon ausgegangen, dass Entscheidungsträger_innen ökonomisch rational handeln oder zumindest den Annahmen der „begrenzten Rationalität“ folgen. Jedoch kann das Verhalten von Bürger_innen allgemein (u. a. Konsumverhalten) bzw. speziell von Landwirt_innen oder Forstwirt_innen (insbesondere Landnutzungs- und Bewirtschaftungsentscheidungen) nicht auf ökonomische Rationalität reduziert werden (Dessart et al., 2019; von Detten, 2011). Selbstverständlich spielen monetäre Überlegungen eine Rolle, allerdings werden Verhalten und Entscheidungen durch soziale Normen und gesellschaftliche Strukturen beeinflusst. Gesellschaftliche Werte und Normen beeinflussen, welche Maßnahmen angenommen und umgesetzt werden. Das den derzeitigen Produktions- und Konsumweisen inhärente Wirtschaftswachstum ist ein wichtiger zugrundeliegender Treiber der nicht nachhaltigen Flächeninanspruchnahme (Getzner & Kadi, 2020; Jacob et al., 2019; Messner et al., 2020; Wiedmann et al., 2020; Willett et al., 2019).

Eine nachhaltige Nutzung und Bewirtschaftung von Land erfordert politische Rahmenbedingungen, die die sektorübergreifende Steuerung der Landbewirtschaftung besser integrieren (Jacob et al., 2019). Um soziale, wirtschaftliche und ökologische Ziele zu erreichen, sind systemische Ansätze notwendig: für den landwirtschaftlichen Sektor z. B. „Food-Water-Energy-Nexus“-Ansatz (Nie et al., 2018). Für politische Entscheidungsträger, Unternehmen und private Haushalte ergibt sich das Erfordernis, insbesondere nicht marktgängige Ökosystemleistungen besser in ihre Entscheidungen zu integrieren und durch Schutzmaßnahmen, Wiederherstellung und nachhaltige Bewirtschaftung von Ökosystemen soziale und wirtschaftliche Nutzen sowie eine Bandbreite an Zusatznutzen, sogenannte „Co-benefits“, zu generieren.

Die vorherigen Abschnitte zeigen, dass ein Instrument oder eine Maßnahme allein nicht genug ist, um ein Ziel zu erreichen (Box 6.12).

Box 6.12 Beispiele aus den vorherigen Abschnitten: ein Instrument oder eine Maßnahme alleine reicht nicht, um Ziele zu erreichen

Landnutzungs- und Infrastrukturentscheidungen sind durch Lock-in-Effekte langfristig wirkend. Ohne eine rasche Anpassung der ökonomischen Anreize (CO2-Steuern, handelbare Zertifikate) bleiben viele klimapolitisch unverbindlichen Instrumente wirkungslos (Abschn. 6.2 und 6.6).

Damit klimafreundliche Produktionsweisen von Landwirt_innen angewendet werden, muss die gesamte Wertschöpfungskette entsprechend angepasst werden. Einzelne Maßnahmen, die isoliert betrachtet/gesetzt werden, sind nur bedingt wirksam (Abschn. 6.5).

Die reine Bereitstellung von Information reicht nicht, um Fleischkonsum oder Lebensmittelabfälle zu reduzieren (Abschn. 6.4).

Für die effektive Umsetzung von klimarelevanten Strategien in der Zukunft müssen alle relevanten Akteure bei der Entwicklung der Strategien eingebunden sein (z. B. Newig et al., 2008; O’Faircheallaigh, 2010; Prutsch et al., 2018; Renn, 2006). Damit staatliche Maßnahmen in der Praxis wirksam werden, müssen sie von Unternehmen angenommen und umgesetzt werden. Dies hängt einerseits von der Ausgestaltung der staatlichen Maßnahmen ab (Anforderungen, Abwicklung, Information, Beratung, Dokumentationsaufwand, an Förderungen geknüpfte Bedingungen; Darnhofer et al., 2017; Van Herzele et al., 2013). Andererseits hängt es davon ab, ob die geförderten Maßnahmen mit den Werten und Zielen der Unternehmer_innen in Einklang sind (de Sainte Marie, 2014; Schermer et al., 2016; Walder & Kantelhardt, 2018). Eine ganzheitliche Betrachtung der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die beispielweise sowohl die Landnutzungsentscheidungen der Landwirt_innen, die Struktur der Lebensmittelindustrie als auch die Nachfrage der Konsument_innen integriert betrachtet (Meynard et al., 2017), erweist sich als vorteilhaft [robuste Evidenz, hohe Übereinstimmung].