Zusammenfassung
Der einzigartige erkenntnistheoretische Charakter der Mathematik, in dessen Zentrum der mathematische Beweis steht, entwickelte sich, historisch gesehen, im Kulturkreis der griechischen Antike. Die Methode der „figurierten Zahlen“ setzte, auf der Mathematik der Babylonier aufbauend, etwa zur Zeit von Pythagoras von Samos (um ca. 600-500 v.Chr.) ein. Die Lehre der Pythagoreer von „Gerade und Ungerade“ lieferte Erkenntnisse bis hin zu den vollkommenen Zahlen. Der Neupythagoreer Nikomachos von Gerasa (ca. 60–120 n.Chr.) beschäftigte sich intensiv mit Dreiecks-, Vierecks- und Fünfeckszahlen. Geschicktes Legen von Punktmustern, oft auf der Basis der Verwendung von Winkelhaken („Gnomonen“), lieferte in unmittelbarer Weise nichttriviale Erkenntnisse. Auch große Mathematiker arbeiteten oft mit der Technik der figurierten Zahlen oder vergleichbarer Methoden. Von Carl Friedrich Gauß, einem der größten Mathematiker aller Zeiten, wird berichtet, dass er als junger Schüler die Aufgabe seines Lehrers, die Zahlen von 1 bis 100 zu addieren, löste, indem er die Zahlenreihen 1, 2, 3, ..., 100 zweimal untereinander aufschrieb; einmal in der natürlichen und einmal in der umgekehrten Reihenfolge. Er erkannte, dass jede der dadurch gegebenen 100 „Spaltensummen“ gleich 101 war, und ermittelte so in kürzester Zeit das Ergebnis. Diese Vorgehensweise lässt sich problemlos verallgemeinern und liefert in paradigmatischer Weise die Formel \( 1 + 2 + 3 + \ldots + n = n \cdot (n+1) / 2 \).
„Verstehbar erklären ist wichtiger als vollständiges Deduzieren.“
Benno Artmann (deutscher Mathematiker, 1933–2010)
„Mathematics is not a deductive science – that’s a cliché. When you try to prove a theorem, you don’t just list the hypotheses, and then start to reason. What you do is trial and error, experimentation, guesswork. You want to find out what the facts are, and what you do is in that respect similar to what a laboratory technician does.“
Paul Halmos (amerikanischer Mathematiker, 1916–2006.)
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Notes
- 1.
Der Begriff „figurierte Zahlen“ ist nicht normiert und wird unterschiedlich gebraucht. Im engeren Sinne wird er gelegentlich nur für die Polygonalzahlen (vgl. Kap. 4) verwendet. In diesem Buch wird der Begriff der figurierten Zahlen aber weiter gefasst. Er soll alle (in der Regel ganzzahligen) Zahlenfolgen umfassen, die sich aus gewissen, meist geometrischen Mustern oder Strukturen ergeben. In diesem Sinne sind z. B. auch die Fibonacci-Zahlen (Kap. 7) oder die Betrachtungen zur Phyllotaxis (Kap. 9) ergiebige Quellen für figurierte Zahlen (vgl. Gazalé 1999).
- 2.
Jahreszahlen entsprechend dem McTutor History of Mathematics Archive.
- 3.
Pythagoras ist eine legendenumwobene historische Gestalt; er soll u. a. den stark metaphysisch orientierten Geheimbund der Pythagoreer gegründet haben.
- 4.
Wir werden dies im Folgenden auch kurz als „Methode des jungen Gauss“ bezeichnen.
- 5.
Zum Begriff des Paradigmatischen vgl. Abschnitt 3.3.1.
- 6.
Selbstgeschriebene Programme sind dabei besonders wertvoll.
- 7.
Es gibt sehr leistungsfähige Computeralgebra Systeme durchaus auch im public domain bzw. open source Bereich.
- 8.
Heuristik: Lehre von der Kunst bzw. den Techniken des Problemlösens.
- 9.
Bertrand Russell, 1872–1970, englischer Philosoph, Mathematiker und Logiker.
- 10.
Georg Cantor, 1845–1918, deutscher Mathematiker.
- 11.
David Hilbert, 1862–1943, deutscher Mathematiker.
- 12.
Die Gründungsmitglieder der Gruppe waren Henri Cartan, Claude Chevalley, Jean Delsarte, René de Possel, Jean Dieudonné und André Weil.
- 13.
So lautete eine Formulierung von A. Kirsch.
- 14.
Arnold Kirsch, 1922–2013, Erich Wittmann (geb. 1939), deutsche Hochschullehrer für Mathematik und ihre Didaktik.
- 15.
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Ziegenbalg, J. (2024). Einleitung. In: Figurierte Zahlen. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_1
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-67830-5_1
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Publisher Name: Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg
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