Zusammenfassung
Interprofessionelle Zusammenarbeit kann als eine Modernisierungsidee der Weltgesundheitsorganisation angesehen werden. Es scheint jedoch, dass sich diese Idee zur Verbesserung der kollaborativen Praxis angesichts der aktuellen Evidenzlage zu einer Idealvorstellung bzw. sogar zu einem inflationär verwendeten Narrativ entwickelt hat. Demnach kann zwar Interprofessionalität als rettende Maßnahme angesichts der derzeitigen Entwicklungen in der Gesundheitsversorgung gesehen werden, jedoch sind die Hürden in der Umsetzung derartiger Anliegen nicht zu vernachlässigen. Generell wird mit dem Konzept der interprofessionellen Zusammenarbeit das Ziel verfolgt, jene Vorteile für Menschen mit verschiedensten Erkrankungen hervorzuheben, die sich u. a. aus der Zusammenarbeit verschiedener in Gesundheits- und Sozialberufen tätigen Personen und pflegenden Angehörigen ergeben. Inwiefern Spiritual Care hierzu beitragen kann, soll in diesem Beitrag kritisch diskutiert werden.
Interprofessional collaboration can be seen as the Word Health Organisation’s idea of modernisation. However, it seems the current body of evidence shows that this idea of improving collaborative practice has developed to an ideal or even an inflationary narrative. According to this, interprofessionalism can be seen as a saving measure given the current developments in health care, however the sticking points concerning the implementation should not be neglected. In general, the aim of the interprofessional cooperation concept is to emphasise the advantages for people with a wide range of diseases that results from the cooperation of various workers in health and social professions together with caring relatives. To what extent spiritual care can contribute to this is to be critically discussed in this article.
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Schlüsselwörter
- Interaktivität
- Interprofessionalität
- Pflegende Angehörige
- Kommunikation
- Gesundheitspolitik global
- Elicit, KI-Forschungsassistent mit Sprachmodell wie GPT-3
- KI-Forschungsassisstent für Literaturrecherche
- spirituelles Vakuum in Gesundheitseinrichtungen
1 Hintergrund
Interprofessionelle Zusammenarbeit wurde als vielversprechende Lösung präsentiert, um das Gesundheits- und Sozialwesen zu verbessern. Audrey Leathard (1997) identifizierte hier die Interaktivität als den Schlüsselfaktor, um die interprofessionelle Zusammenarbeit von einer multiprofessionellen Ausbildung und Praxis zu unterscheiden. Es wurde auch anerkannt, dass die Rolle der pflegenden Angehörigen oft unzureichend und zu isoliert betrachtet wird, während Fachleute aus dem Gesundheits- und Sozialwesen auf verschiedene Weisen versuchen, vermehrt zusammenzuarbeiten. Pflegende Angehörige schließen häufig die Lücken in der Kommunikation und Koordination zwischen den Berufsgruppen, was jedoch gleichzeitig von den im Gesundheitswesen Tätigen immer noch als selbstverständlich angesehen und wenig wertgeschätzt wird.
Im 2010 veröffentlichten Weltgesundheitsorganisations-Rahmenwerk (WHO 2010) wurde die interprofessionelle Zusammenarbeit als eine Erfahrung definiert, die eintritt, wenn Studierende oder Angehörige aus zwei oder mehreren Berufsgruppen über, von und miteinander lernen oder agieren. Die interprofessionelle Ausbildung wurde als wichtigste Komponente einer effektiven interprofessionellen Zusammenarbeit dargelegt. Die Weltgesundheitsorganisation unterstrich initial die Bedeutung der interprofessionellen Ausbildung und der kollaborativen Praxis als Strategien, die das Gesundheitssystem verändern, stärken und verbessern sollen (WHO 2010). Die interprofessionelle Ausbildung wurde als Mittel zur Verbesserung der interprofessionellen klinischen Praxis und damit zur positiven Beeinflussung von Gesundheitssystemen und Patientenergebnissen stark befürwortet. In verschiedenen Dokumenten wurde darauf hingewiesen, dass genügend Belege für die Wirksamkeit der interprofessionellen Ausbildung vorliegen, wobei nicht ganz klar ist, auf welche Art von Beweisen hier eingegangen wurde (Bowman et al. 2023). Gleichzeitig hat die Anzahl der Interventionen zur Verbesserung der interprofessionellen Ansätze in der klinischen Praxis stark zugenommen. Allerdings wurde die Aussagekraft der Studien diesbezüglich als gering bis sehr gering eingestuft. Es liegen derzeit nicht genügend Erkenntnisse vor, um eindeutige Schlussfolgerungen über die Auswirkungen von interprofessionellen Ansätzen in der klinischen Praxis zu ziehen (Reeves et al. 2017). Wie im WHO-Rahmenwerk gefordert, wird der Interaktivität wie auch dem Lernen von und mit Patient:innen und deren pflegenden Angehörigen in Ausbildung, Forschung und klinischer Praxis nur selten nachgegangen. Es ist noch immer notwendig, die Gesundheitspolitik bezüglich der interprofessionellen Zusammenarbeit auf globaler Ebene zu stärken. Das Fehlen von Leitlinien diesbezüglich behindert den Fortschritt besonders stark (Herath et al. 2017).
2 Spiritual Care als wichtige gemeinsame Aufgabe
„Spiritualität ist die dynamische Dimension menschlichen Lebens, die sich darauf bezieht, wie Personen (individuell und in Gemeinschaft) Sinn, Bedeutung und Transzendenz erfahren, ausdrücken und/oder suchen, und wie sie in Verbindung stehen mit dem Moment, dem eigenen Selbst, mit Anderen/m, mit der Natur, mit dem Signifikanten und/oder dem Heiligen (Nolan et al. 2011; Übersetzung: Roser).“
Ausgehend von dieser Definition, die Spiritualität als eine wichtige Dimension eines jeden Menschen hervorhebt, kann die Wichtigkeit von Spiritual Care betont werden. Dies belegen auch zahlreiche Studien. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass Spiritualität individuell sehr unterschiedlich erlebt bzw. zum Ausdruck gebracht werden kann und folglich auch unterschiedliche Spiritual-Care-Angebote gemacht werden müssen (Greasley et al. 2001).
Dennoch kann die Verbindung als ein zentrales Element gesehen werden: Einerseits im Sinne von transzendenten Erfahrungen, andererseits auch als Menschen verbindende Dimension. In Bezug auf das Gesundheitswesen wies schon im Jahr 1998 Mary Dombeck darauf hin, dass alle Gesundheitsberufe die spirituelle Dimension in das Assessment und die Behandlung von Patient:innen einbeziehen müssten. Dombeck betonte, dass Fachleute verschiedener Disziplinen je nach Berufsverständnis und verwendeter, professioneller Sprache unterschiedliche Beiträge zur Beurteilung religiöser und spiritueller Fragen von Patient:innen leisten können. Der interprofessionelle Dialog und Zusammenarbeit sind wichtig, um die unterschiedlichen Sichtweisen der anderen hinsichtlich der spirituellen Dimensionen innerhalb der Versorgung zu verstehen, obwohl Unterschiede zwischen seelsorgerischen, medizinischen und pflegerischen Ansätzen in der spirituellen Versorgung anzuerkennen sind (Dombeck 1998, S. 361). Aktuell verwendete Modelle, die zwischen generalisiert und spezialisiert ausgebildeten Spiritual-Care-Leister:innen unterscheiden, sind an dieser Stelle zu erwähnen (van Meurs et al. 2023).
Lundberg und Kerdonfag (2010) vertreten die Auffassung, dass eine adäquate, bedürfnisorientierte Versorgung von Patient:innen und betreuenden Angehörigen nur möglich ist, wenn Spiritualität ein Teil der Versorgung ist. Tan und Kolleg:innen (2020) betonten, dass Spiritual Care ein integraler Bestandteil der ganzheitlichen Versorgung ist, und mehr Ressourcen und eine interne Ausbildung für Gesundheitsberufe erforderlich sind, um die Bereitstellung von Spiritual Care zu verbessern. Es wird auch 30 Jahre nach Dombecks Ermutigungen, interprofessionell zu agieren, betont, dass Spiritual Care eine relevante Versorgungsform ist, die Tätige in Gesundheits- und Sozialberufen anwenden können (Aebi und Mösli 2020). Gerade Spiritual Care scheint großes Potenzial für Synergien unter im Gesundheitswesen tätigen Personen und pflegenden Angehörigen im Sinne einer personenzentrierten und ganzheitlichen Versorgung von Patient:innen zu haben.
Gleichzeitig sind auch zahlreiche Hindernisse für die Bereitstellung von Spiritual Care bekannt. Die am häufigsten genannten Barrieren sind:
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die mangelnde Ausbildung,
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die Schwierigkeit, Spiritualität zu definieren,
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die Angst vor einer Verschlimmerung der Symptome,
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das Fehlen klarer Richtlinien für die Rollen der jeweiligen Gesundheitsberufe bzgl. Spiritual Care,
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der Zeitmangel,
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der Personalmangel,
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politische Barrieren,
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persönliche Barrieren,
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organisatorische Barrieren,
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Barrieren im Zusammenhang mit den Spiritual-Care-Empfänger:innen (Rushton 2014; Abu-El-Noor und Abu-El-Noor 2016; Neathery et al. 2020; Pouragha et al. 2022).
Studienergebnisse zeigen, dass eine Ausbildung in Spiritual Care dazu beitragen kann, das spirituelle Vakuum in Gesundheitseinrichtungen zu überwinden (Paal et al. 2022). Laut Literatur wird eine nachhaltige Implementierung von Spiritual Care in die Praxis unterstützt durch: (1) Zusammenarbeit mit Seelsorger:innen; (2) Lernmethoden, insbesondere die praktische Anwendung von Gelerntem; (3) Vorbilder/Mentor:innen; (4) Zeit, Beziehung und Arbeitsumfeld; (5) Spiritual-Care-Schulungsmodelle und -protokolle (Brandstötter et al. 2022). Diese Punkte deuten an, dass neben der Ausbildung besonders die Entwicklung entsprechender Organisationskulturen notwendig ist, um eine dauerhafte Veränderung in Bezug auf die interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheits- und Sozialwesen zu erreichen. Angepasste rechtliche Rahmenbedingungen und klare Finanzierungsmodelle würden die interprofessionelle spirituelle Versorgung und Zusammenarbeit verbessern.
3 Spiritual Care als interprofessionelle Aufgabe
Ob in Prävention, Akutbehandlung, Rehabilitation, Palliation oder Versorgung am Lebensende, Spiritual Care wird stets als interprofessionelle Aufgabe dargestellt (Aebi und Mösli 2020). Es wird davon ausgegangen, dass die bio-psycho-sozio-spirituelle Versorgung einen interprofessionellen Ansatz benötigt (Puchalski et al. 2019; Siler et al. 2019; Puchalski et al. 2022) und „jeden etwas angeht“ (Jones et al. 2022). Außerhalb des klinischen Kontexts, wie in ambulanten Settings, finden interprofessionelle Spiritual-Care-Ansätze nur wenig Berücksichtigung (Boettcher 2018). Laut Moghimian und Kolleg:innen erfordert Spiritual Care zudem angemessene Kenntnisse und Fachwissen, eine enge interprofessionelle Zusammenarbeit, effektive Teamarbeit und ein effizientes Überweisungssystem für Patient:innen (Moghimian et al. 2019).
Kritische Beobachter:innen sehen vergleichbare Tendenzen zwischen dem von der WHO verbreiteten Wirkvermögennarrativ von interprofessioneller Zusammenarbeit sowie Ausbildung und dem Ausbleiben neuer, innovativer interprofessioneller Versorgungs- und Ausbildungsformen. Daher ist die Frage nach Spiritual Care als interprofessioneller Ansatz in der gesundheitlichen Versorgung besonders brisant. Während das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die Ideologie oder das Narrativ der WHO durch folgenden Satz hervorhebt: „Die Gesundheitsversorgung kann somit nur in interprofessioneller Zusammenarbeit gelingen“ (BMG 2023), hat die Arbeitsgruppe Interprofessionelles Arbeiten in der Versorgung der AdA – Bundesverband der Arzt-, Praxis- und Gesundheitsnetze e. V. (2021) auf die Frage der Wirksamkeit bzw. Sinnhaftigkeit der Interprofessionalität geantwortet, dass diese Frage nicht allumfassend beantwortet werden kann. Aussagen diesbezüglich könnten nur je nach Perspektive der Frage differenziert beantwortet werden. Somit wird klar, dass interprofessionelle Spiritual Care nur dann funktionieren kann, wenn einzelne berufseigene Perspektiven aufgelöst und durch kollaborative Praktiken ersetzt werden.
4 Spiritual Care – wer, für wen, wann und wie?
Elicit wurde eingesetzt, um Fragen zu formulieren und Antworten zur interprofessionellen Spiritual Care und deren Sinnhaftigkeit zu finden. Elicit ist ein KI-Forschungsassistent der Sprachmodelle wie GPT-3 verwendet, für Systematische Literaturrecherche um Teile der Arbeitsabläufe im Forschungsprozess zu automatisieren. Wenn eine Frage gestellt wird, zeigt Elicit relevante Arbeiten und Zusammenfassungen der wichtigsten Informationen dieser Arbeiten an. Elicit kann verwendet werden, um Literatur zu durchsuchen und zusammenzufassen sowie um Literaturübersichten zu erstellen (Elicit.org. 2023). Die Suche wurde in englischer Sprache im Dezember 2022 durchgeführt. Es wurden insgesamt fünf Fragen gestellt. Die Fragen und die von Elicit generierten Antworten wurden in die deutsche Sprache übersetzt und werden in Tab. 8.1. dargestellt.
5 Ausblick
Die spirituellen Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen, wie behinderter Kinder und Menschen mit Alzheimer-Krankheit, sind unterschiedlich. Ebenso divers sind die Bedürfnisse ihrer pflegenden Angehörigen und der im Gesundheitswesen tätigen Personen. Was sie jedoch vereint, ist die Feststellung, dass jeder Mensch auf seine Weise spirituell ist. Die Patient:innen und besonders deren betreuende Angehörige erwarten, dass sie von Angehörigen von Gesundheitsberufen nach ihren spirituellen Bedürfnissen befragt werden. Das Personal selbst hat aber Angst, nach spirituellen Themen zu fragen (Dalcali und Akay 2022). Viele Arbeiten deuten darauf hin, dass das Personal Spiritual Care zwar für wichtig hält, aber nur eine Minderheit glaubt, sie immer leisten zu können (Austin et al. 2017; van Meurs et al. 2023). Ob Fortschritte in Regionen möglich sind, in denen Pflege und Medizin streng getrennt unterrichtet werden und hierarchische Machtverhältnisse eine Kollaboration auf Augenhöhe nicht zulassen, soll kritisch hinterfragt werden (Paal et al. 2022). Zusätzlich soll der Erfolg rein konfessioneller, spiritueller Versorgungsmodelle im säkularen, klinischen Umfeld und in einer pluralistischen Gesellschaft Fragen aufwerfen (Brandstötter et al. 2022).
Die Forschung im Bereich von Spiritual Care liefert weltweit bedeutende Erkenntnisse für die Ausbildung und setzt sich für die Inklusion der Spiritualität aller Menschen in der gesundheitlichen Versorgung ein. Bisherige Forschungsarbeiten gehen nicht ausdrücklich auf die Frage „Wie wird Spiritual Care geleistet?“ oder insbesondere die Frage „Wie wird interprofessionelle Spiritual Care geleistet?“ ein. Unklar bleibt, wie spirituelle Betreuung mit anderen Betreuungsformen zusammenhängt. Dennoch legen Forschungsberichte nahe, dass die spirituelle Betreuung ein wichtiger Bestandteil der Gesundheitsversorgung ist. Es sollten weitere Studien durchgeführt werden, um die Auswirkungen von interprofessioneller Spiritual Care auf verschiedene Institutionen, verschiedene Arten von Programmen und verschiedene klinische Praktiken bewerten zu können. Die Frage nach Spiritual Care als interprofessioneller Ansatz in der Gesundheitsversorgung kann nicht allumfassend beantwortet werden, sondern nur differenziert je nach Perspektive der Frage als „Best-Practice-Modell“ dargestellt werden. Somit lässt sich zusammenfassen, dass derzeit die interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen wie auch innerhalb der Spiritual Care eher als ein theoretisch wirksames Konstrukt bzw. eine Idealvorstellung gesehen werden kann, als eine Praxis, in der Kollaboration gefördert wird.
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Paal, P., Grabenweger, R. (2024). Spiritual Care als interprofessioneller Ansatz in der Gesundheitsversorgung. In: Büssing, A., Giebel, A., Roser, T. (eds) Spiritual Care & Existential Care interprofessionell. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67742-1_8
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