Zusammenfassung
Spiritual Care hat im hospizlich-palliativen Kontext u. a. das Ziel, das spirituelle Wohlbefinden zu fördern. Bedeutsame Verlusterfahrungen und Trauer können dieses Ziel erschweren oder diesem entgegenstehen. Allerdings kann sich auch gerade durch die mit Verlusterfahrungen häufig gestellte Sinnfrage ein Fenster für spirituell relevante Themen öffnen. Um auch in der spirituellen Begleitung, Versorgung und Unterstützung Menschen in ihren Verlustsituationen hilfreich zur Seite stehen zu können, bedarf es der Kenntnis über das, was dank der Forschung zur Verarbeitung von konkret lebenslimitierenden Erkrankungen und Verlusten für die trauernden Hinterbliebenen heute bekannt und für dieses Curriculum relevant ist.
In the hospice-palliative context, spiritual care aims to promote spiritual well-being. Significant experiences of loss and grief can complicate or hinder the achievement of this goal. However, the question of meaning, that is often asked when people experience loss can also open a window for spiritually relevant topics. In order to give people spiritual guidance, care and support and to be helpfully at their side in their situation of loss, knowledge is required of todays research on dealing with a specific life-limiting illness and the loss experience of mourning relatives. All of this is relevant for this curriculum.
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Schlüsselwörter
1 Trauer und Verlust beginnen schon vor dem Versterben eines Menschen
Im Feld der Hospiz- und Palliativversorgung fangen Trauer und Verlust nicht erst nach Versterben eines schwer erkrankten Menschen an. Das Leben verändert sich für die meisten betroffenen Menschen oft schon direkt in Folge einer Diagnosestellung deutlich. Auf einmal stehen Krankheit, Behandlung und das „Management“ der Erkrankung mit Behörden und Institutionen im Mittelpunkt, es schwingt aber auch die potenzielle Bedrohung mit, an der Erkrankung zu sterben. Sowohl schwer kranke Menschen als auch ihre AngehörigenFootnote 1 sind als Individuen aber auch als soziales System davon betroffen und stehen vor der Herausforderung, mit neuen, sich immer wieder verändernden Situationen einen Umgang zu finden.
Die Anforderungen an den Alltag, den die Erkrankungssituation stellt, lassen vor allem bei den Angehörigen selten ausreichend Luft dazu, dass die mit den Veränderungen einhergehenden Verluste sowie der drohende Verlust des geliebten Menschen an sich Raum zur Verarbeitung und zur Trauer bekommen. Sie sind häufig und dann durchgehend im Funktionsmodus unter Stress, in einem Zustand anhaltender Dauerbelastung. Diese Dauerbelastung ist auch ein Risikofaktor für eine klinisch relevante Trauer nach Verlust. Ähnlich ist die Situation bei den Erkrankten, die mit einer Vielzahl an Verlusten einen Umgang finden müssen: Verlust von Hobbys, Freunden, ggf. der Arbeit, körperlicher Kraft, Attraktivität, Sexualität, Intimität, Autonomie, Zukunftsplänen, geistigen und kognitiven Fähigkeiten und oft auch dem Erleben von Würde, um nur einige zu nennen (Münch 2020a, S. 56 f.). Selbst wenn betroffene Erkrankte oder Angehörige Trauer, Wut und Verzweiflung in einigen Momenten spüren, behalten sie diese meist für sich, da sie die andere(n), ihnen nahestehende(n) Person(en) nicht belasten wollen. Aus erlebten und drohenden Verlusten können für Betroffene neben Trauer und Distress auch Ängste, Demoralisierung bis hin zur Depressivität und Depression entstehen. Es kann für Betroffene inklusive des schwer erkrankten Menschen als hilfreich erlebt werden, wenn auch schon vor dem Versterben der erkrankten Person erlebte Verluste einfühlsam angesprochen werden.
2 Definition von Trauer im palliativen Kontext
„Trauer“ als Wort und als Begriff hat in der deutschen Sprache unterschiedliche Bedeutungsebenen, ist somit mehrdeutig. „Trauer“ kann einen emotionalen Ausdruck bezeichnen, aber auch eine soziale Rolle. Je nach kulturellem Kontext, in dem sich ein Mensch befindet, gibt es gesellschaftliche Erwartungen, wie sie oder er sich nach dem Verlust einer nahestehenden Person zu verhalten hat. Das beinhaltet eine zeitliche Phase von nach außen gezeigter Trauer, Zurückhaltung bei Vergnügungen oder Grabpflege, aber z. B. auch die Erwartung, dass es irgendwann „mal gut sei“ und die Trauer vorbei ein sollte. Wenn soziale Erwartungen an das Verhalten und Auftreten von Trauernden sehr ausgefeilt und rigide sind, ist „Trauer“ als Begriff synonym mit einem Verhaltenskodex. „Trauer“ bezeichnet aber auch den Verarbeitungsprozess nach Verlust, sei es bei einem Individuum, einem sozialen Umfeld eines Verstorbenen oder der eines Kollektivs. Im Deutschen gibt es dabei aber keine sprachliche Ausdifferenzierung über die Intensität oder Dauer, die Bezeichnung ist so oder so „Trauer“. Die Menschen, die unabhängig von ihrer Rolle in der Hospiz- und Palliativversorgung spirituell unterstützend wirksam sein möchten, sollten sich dieser unterschiedlichen Bedeutungsebenen bewusst sein, die das Wort „Trauer“ beinhalten kann, und bestenfalls klären, was genau mit „Trauer“ gemeint ist. Die Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale, spirituelle und trauerspezifische Versorgung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin hat folgende Definition zu Trauer in palliativem Kontext konsentiert und veröffentlicht (Müller et al. 2020, S. 149):
„Abschiedsprozesse sind Teil der letzten Lebensphase. Aus diesem Grunde gehört das Thema Trauer auch zum palliativen Versorgungsauftrag. Es ist Aufgabe der multiprofessionellen Teams, die Risikofaktoren zu identifizieren, die zu belastenden und problematischen Entwicklungen führen können. Darüber hinaus gehört es zu ihren Aufgaben, Betroffenen bedarfsgerechte Unterstützungsleistungen anzubieten. Wie zu jeder Zeit ihres Lebens sind die Menschen auch in der letzten Lebensphase in ein soziales Netz eingebunden. Dieses umfasst neben den Sterbenden deren An- und Zugehörige sowie alle Menschen, die mit der Versorgung befasst sind. All diese Personengruppen können in der letzten Lebensphase der/des Erkrankten zahlreiche unterschiedliche Verluste erleiden. Der erkrankte Mensch verliert zum Beispiel körperliche Fähigkeiten, die An- und Zugehörigen müssen Abschied nehmen von einem Leben, wie es einmal war, und die Fachkräfte von vertrauten Gesichtern. Die natürliche Reaktion, die auf diese Verluste folgt, wird Trauer genannt. Sie ist im Menschen angelegt und dient der Verarbeitung der Verlusterfahrung beziehungsweise der Anpassung an die neue, veränderte Lebenssituation. Wie Betroffene auf einen Verlust reagieren, ist durch zahlreiche Faktoren beeinflusst, z. B. soziales Umfeld, Kultur, Persönlichkeit, Art der Beziehung, Familie, Spiritualität, wirtschaftliche Situation, Umwelt. Die Reaktionen können individuell sehr verschieden ausfallen und sich emotional, körperlich, kognitiv, spirituell oder im Verhalten der Trauernden zeigen. Diese Reaktionen können sich wiederum auf das soziale Umfeld auswirken. Trauer ist in Verlauf, Ausprägung und Dauer bei jedem Menschen anders.“
Diese Arbeitsdefinition beinhaltet wesentliche Kernelemente, sowohl in Bezug auf Trauernde als auch auf die individuelle Unterschiedlichkeit, wie intensiv oder stark Menschen trauern. Zwar gibt es gesellschaftliche Erwartungen an das Verhalten Trauernder, aber die Forschung hat gezeigt, dass es nicht „den Weg“ und die „richtige Art“ zu trauern gibt (Bonnano et al. 2008, S. 292 f.). Neben den individuellen Unterschieden im Trauererleben spielen aber auch andere Aspekte eine Rolle bei der Verlustverarbeitung. Dazu zählen kulturelle Einflüsse, die je nach Weltregion sehr unterschiedlich sein können, aber auch die Zuschreibung des Umfelds. Dies nimmt Einfluss darauf, ob einem trauernden Menschen die jeweilige Intensität der Trauer zugestanden wird oder nicht.
Frau D. wurde von ihrem früheren Ehemann selten gut, aber meistens schlecht behandelt, sie wurde betrogen, hintergangen und dann von ihm wegen einer anderen verlassen. Nachdem er kurz danach plötzlich gestorben war, reagierte ihr direktes Umfeld verständnislos und irritiert, als sie trotzdem um ihn trauerte.
Diese mögliche Reaktion, mit Unverständnis auf die Trauer eines Menschen bis hin zur Ablehnung oder gar Aberkennung des Rechts zu trauern zu reagieren, wird fachsprachlich als „Disenfranchised Grief“ bezeichnet (Müller und Willmann 2016, S. 19 ff). Disenfranchised Grief ist ein weiterer möglicher Faktor für einen klinisch relevanten Trauerverlauf.
3 Duales Prozessmodell der Bewältigung von Verlusterfahrungen
Woran kann erkannt werden, ob ein Trauerverlauf klinisch relevant und/oder unterstützungsbedürftig ist? Phasenmodelle bieten dafür keine für alle hilfreiche Antwort, lassen sich wissenschaftlich nicht belegen und können sogar schädlich für diejenigen sein, die ihre Trauer und Verlustverarbeitung anders erleben (Stroebe et al. 2017, S. 468). Wissenschaftlich ist am besten das Duale Prozessmodell der Bewältigung von Verlusterfahrungen erforscht (Stroebe und Schut 2016, S. 98 f.). Es ist kulturunabhängig und schließt in seinen Erweiterungen sowohl das Umfeld (Stroebe und Schut 2015, S. 874 ff.; Müller et al. 2022, S. 152 ff.) als auch die Möglichkeit eines „Overloads“ (Stroebe und Schut 2016, S. 100 ff.) ein. Trauernde haben mit Stressoren in Bezug auf den erlebten Verlust – verlustbezogene Stressoren, aber auch in Bezug auf die Herausforderungen des Alltags wiederherstellungsbezogene Stressoren – zu tun. Dafür setzen sie individuelle emotions- und lösungsorientierte Strategien zum Umgang mit diesen Stressoren ein. Emotionsorientiert meint Strategien zum Umgang mit den Gefühlen, die der Verlust und dessen Folgen hervorrufen, wenn keine andere Lösungsmöglichkeit verfügbar ist. Lösungsorientiert bezieht sich auf praktische Lösungsmöglichkeiten für den Umgang mit Stressoren. Eine Auszeit von Trauer im Sinne von Verdrängung ist dabei eine plausible Möglichkeit, um belastende Gefühle zu dosieren. Optimal ist es, wenn Betroffene zwischen den verlustorientierten Aspekten und den wiederherstellungsorientierten Aspekten je nach Situation, Erfordernis und Bedürfnis oszillieren können. Ein Hinweis auf Unterstützungsbedarf ist in dem Fall, wenn Oszillieren nicht möglich ist, d. h. ein Mensch auf der verlustorientierten Seite an einer Stelle festhängt oder Vermeidung zu viel Kraft kostet und eine Auseinandersetzung, also somit Verarbeitung mit den verlustorientierten Stressoren verhindert (Müller et al. 2022, S. 153/161; Münch 2020b, S. 55 f.). Wenn allerdings subjektiv zu viel Stress auf einmal für den hinterbliebenen Menschen auftritt und dieser sich durch zu viele Ereignisse, Erfahrungen, Anforderungen und andere Reize überflutet fühlt, wird das als Overload bezeichnet (Stroebe und Schut 2016, S. 100). Das kann z. B. durch zu viele Verluste in zu kurzer Zeit, einen hässlichen Streit ums Erbe oder überfordernde Anforderungen ausgelöst werden. Die Überflutung verhindert jeglichen Einsatz von Strategien zum Umgang mit dem Verlust und ist ebenfalls ein wesentlicher Faktor für Unterstützungsbedarf in der Verlustverarbeitung (Müller et al. 2022, S. 160).
Häufig ist nicht nur eine Person von einem Verlust betroffen. Den individuellen Umgang mit einem bedeutsamen Verlust losgelöst von dem direkten Umfeld zu betrachten, stellt immer eine Verkürzung dar. Die Verlustverarbeitung eines Familiensystems,Footnote 2 damit verbundene implizite und explizite Regeln beeinflussen auch die individuelle Verarbeitung, können wechselnd Stressor aber auch Ressource sein. Stroebe und Schut haben dieser Tatsache in der Erweiterung ihres Modells als DPM-R Rechnung getragen (Stroebe und Schut 2015, S. 874 ff.). Müller et al. (2022) schlagen eine zusätzliche Erweiterung des DPM-R vor, nämlich um Personen zweiter Reihe und auf gesellschaftlicher Ebene um Kultur im Sinne von Sitten, Werten, Normen und Gebräuchen. Personen zweiter Reihe können Bekannte und Nachbar:innen sein, aber auch Arbeitskolleg:innen, Vorgesetzte oder Trauerfachkräfte. All diese haben – siehe z. B. „Diesenfranchised Grief“ – auch Einfluss auf sowohl die individuelle Trauer als auch die des Familiensystems (ebd., S. 157 ff).
4 Trauer und Verlust können mit Gesundheitsproblemen einhergehen
Gesundheitliche Probleme wie Herz-Kreislauf-Probleme, Depression, Substanzmissbrauch bis -abhängigkeit können in Folge von bedeutsamen Verlusten erfolgen. Ursachen sind meistens:
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Overload,
-
keine Oszillation zwischen Stressoren, dadurch keine Anpassung, vor allem bei Menschen mit abhängig-anklammernden, unsicher-vermeidenden oder desorganisierten Bindungsstilen,
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zu viel Stress durch zu wenige Pausen und Auszeiten von Trauer,
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Abwertung des Verlusts/der Trauerreaktion durch das Umfeld, Erhalt irreführender Informationen sowie Durchführen unsachgemäßer Unterstützungsinterventionen (Müller et al. 2022, S. 160 f.).
Das DPM stellt sich mit allen Erweiterungen wie folgt dar (Abb. 16.1).
Das Konzept der „Continuing Bonds“, der Möglichkeit einer „[…] vorhandene[n] andauernde[n] innere[n] Verbindung zwischen Verstorbenem und Hinterbliebenem“ (Müller und Willmann 2016, S. 66) lässt sich in diesem Modell sehr gut einbetten: Ist für das Individuum trotzdem das Oszillieren möglich? Wie reagiert die Umwelt, die zweite Reihe darauf? Und wie die engsten Bezugspersonen? Geht es denen ähnlich oder lehnen sie dieses Erleben und damit verbundene Verhaltensweisen ab?
In der Hospiz- und Palliativversorgung kann es zudem sinnvoll sein, sich mit dem Modell der Krankheitsverarbeitung in palliativer Erkrankungssituation („Doulbe Awareness“, übersetzt Doppelte Bewusstheit) zu beschäftigen, das ähnlich aufgebaut ist (Schuler und Hornemann 2020, S. 220; Münch 2020b, S. 51 ff.).Footnote 3 Auch dieses Modell hilft zu verstehen, dass Schwerstkranke sich in verschiedenen, teils widersprechenden Zuständen befinden können und eine Auszeit vom Erleben des Krankseins hilfreich sein kann.
5 Problematische oder klinisch relevante Trauerverläufe
Im obigen Abschnitt wurde schon erläutert, an welchen Stellen Probleme in der Verlustverarbeitung auftreten können. Ob diese Trauerverläufe nun jenseits von möglichen komorbiden Störungen wie Depression oder Posttraumatischen Belastungsstörung als pathologisch eingestuft werden können, darüber gibt es im Bereich der Trauerforschung (aber auch bei denjenigen, die Trauernde unterstützen) kontroverse Diskussionen. Die eine Hauptgruppe sagt „ja“. Diese Gruppe favorisiert den Störungsbegriff einer „Prolonged Grief Disorder“, übersetzt „Anhaltende Trauerstörung“. Die andere Hauptgruppe sagt, dass Trauer an sich nicht pathologisch sein kann, aber die Umstände um die Trauer herum im Sinne von Komplikationen zu einer Belastung mit psychischem Störungswert führen können. Sie gehen vom Konstrukt der „Complicated Grief“, d. h. der „Komplizierten Trauer“ aus. Im Appendix des DSM-V wurde seitens der zweiten Gruppe die „Persistent Complex Bereavement Disorder“ als möglicher Kompromiss eingeführt, übersetzt als „Störung durch anhaltende komplexe Trauerreaktion“ (Münch 2020b, S. 24 ff.). Hingegen hat sich im ICD-11 vom Namen her die „Anhaltende Trauerstörung“ durchgesetzt, also die Gruppe eins. Inhaltlich stellen die verabschiedeten Kriterien der „Anhaltenden Trauerstörung“ aber ebenfalls eine Annäherung zwischen den zwei Hauptstreitgruppen dar (Mauro et al. 2017, S. 613). Die Diskussion dazu sprengt den hier möglichen Rahmen, kann aber an anderen Orten nachgelesen werden (Maciejewski et al. 2016, S. 266 f.; Killikelly und Maercker 2018, S. 2; Mauro et al. 2017, S. 608 f.; Münch 2020b, S. 24–31). Grundsätzlich macht es aber aus Sicht des Autors Sinn zu definieren, ab wann psychotherapeutische Unterstützung bei Trauer sinnvoll ist und wann klassische Trauerberatung und – im deutschen Sprachraum verbreitet als Konzept – Trauerbegleitung alleine ausreichend hilfreich sein können. Als Mensch, der Betroffene spirituell unterstützen möchte, sollte auch eine Idee davon existieren, wann das Hinzuziehen psychotherapeutischer Expertise geboten ist und welche Risikofaktoren aufhorchen lassen sollten.
Die Kriterien einer „Anhaltenden Trauerstörung“ nach ICD-11 sind:
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a.
Es liegt ein Verlust eines bedeutsamen Menschen vor, z. B. Partner, Elternteil, Kind, andere enge Bezugsperson.
-
b.
Andauernde und tiefgreifende Trauerreaktion, in Form starker Sehnsucht nach dem Verstorbenen oder anhaltender Beschäftigung mit dem Verstorbenen.
-
c.
Begleitet von intensivem emotionalem Schmerz (z. B. Traurigkeit, Schuldgefühlen, Wut, Verleugnung, Schuldzuweisung, Schwierigkeiten, den Tod zu akzeptieren, Gefühl einen Teil von sich selbst verloren zu haben, Unfähigkeit, positive Stimmung zu erleben, emotionale Taubheit, Schwierigkeiten, sich auf soziale oder andere Aktivitäten einzulassen).
-
d.
Die Trauerreaktion hält nach dem Verlust eine atypisch lange Zeit an (mindestens sechs Monate) und geht eindeutig über die sozialen, kulturellen oder religiösen Normen der jeweiligen Kultur und Lebenszusammenhang des betroffenen Menschen hinaus. Trauerreaktionen, die für längere Zeiträume anhalten, die aber im kulturellen und religiösen Lebenszusammenhang des jeweiligen Menschen als normale Trauer erachtet werden, wird keine Diagnose zugewiesen.
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e.
Die Störung verursacht signifikante Beeinträchtigungen auf persönlicher, familiärer, sozialer, Bildungs-, beruflicher Ebene oder anderen wichtigen Lebensbereichen (Münch 2020b, S. 24 f.).
Welche Auswirkungen die Diagnosemöglichkeit in Deutschland auf die Arbeit mit Trauernden hat, kann erst in einigen Jahren festgestellt werden. Optimalerweise sollten sich diejenigen, die Trauernde auf den unterschiedlichen Ebenen unterstützen, gegenseitig ergänzen und Hand in Hand arbeiten.
6 Risikofaktoren für klinisch relevante Trauerverläufe
Auch mit Blick auf spirituelle Unterstützung und Versorgung ist ein Überblickswissen zu Risikofaktoren für klinisch relevante Trauerverläufe – wie die „Anhaltende Trauerstörung“ oder die „Komplizierte Trauer“ – hilfreich, gilt es doch auf die Betroffenen einen guten Blick zu haben und passende Unterstützungsangebote zu machen. Unter anderem ist bei klinisch relevanter Trauer das Suizidrisiko erhöht, vor allem im ersten Jahr nach dem Verlust (Guldin et al. 2017, S. 196). Im Folgenden werden wesentliche Risikofaktoren aufgelistet, die sich alle mit dem DPM erklären lassen:
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Eine vor Verlust vorbestehende Depression (Nielsen et al. 2017, S. 7), bzw. psychische Störung (Lobb et al. 2010, S. 688 f.).
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Verlust durch Suizid (Lobb et al. 2010, S. 686 f.).
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Erleben der Todesumstände als traumatisch (Lobb et al. 2010, S. 686 f.) bzw. nicht friedlich (Lövgren et al. 2018, S. 160).
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Pflegende Angehörige per se, Risiko wird noch höher bei hoher pflegerischer, aber auch insgesamt hoher Belastung sowie vor Verlust und/oder schon vor dem Verlusterleben stark ausgeprägter Trauer (Nielsen et al. 2017, S. 7; Lobb et al. 2010, S. 687 f.; Thomas et al. 2014, S. 538).
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Stark ausgeprägte Konflikte innerhalb der Familie der Hinterbliebenen (Müller et al. 2022, S. 161).
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Stark ausgeprägte Bindungsangst bzw. unsichere Bindung (Lobb et al. 2010, S. 676/684; Thomas et al. 2014, S. 538).
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Enge bis symbiotische Paarbeziehung (Lobb et al. 2010, S. 688; Müller und Willmann 2020, S. 83).
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Disenfranchised Grief (Müller und Willmann 2016, S. 30 f.).
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Finanzielle Belastungen der Hinterbliebenen (Galatzer-Levy und Bonnano 2012, S. 11).
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Verlust eines (auch erwachsenen) Kindes (Guldin et al. 2017, S. 196 f., Müller und Willmann 2020, S. 83).
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Auf Verlust nicht vorbereitet – auch bei vorheriger Krankheit oder Demenz (Lobb et al. 2010, S. 687).
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Keinen Sinn im Verlust finden (Lobb et al. 2010, S. 691).
7 Der Individualität der:des einzelnen Trauernden und der Systeme gerecht werden: Konzepte „Würde“ und „Respekt“
Um den trauernden einfühlsam Menschen begegnen zu können, gibt es für die hospizlich und palliativ Tätigen in Bezug auf die eigene Haltung und den konkreten Umgang mit Erkrankten, Angehörigen bzw. den späteren Hinterbliebenen zwei hilfreiche Ansätze. Aus der Palliativpsychologie von Chochinov und Kolleg:innen stammt das Konzept der Würde, bei dem die Förderung von Autonomie, Bewältigungsmöglichkeiten, Ressourcen-orientierte Reflexion des eigenen Lebens und die Möglichkeit, ein Vermächtnis zu hinterlassen, nachweislich für eine Förderung spirituellen Wohlbefindens sorgen (Chochinov 2017, S. 224). Für die Begleitenden und Behandelnden werden mit Dignity Talk oder dem ABCD Würde bewahrender Kommunikation konkrete Möglichkeiten im Verhalten und der Kommunikation aufgezeigt, um Würde-fördernd und -bewahrend wirksam zu sein. Hierzu lohnt sich ein Blick auf die Homepage der Deutschen Gesellschaft für Patientenwürde www.patientenwuerde.de. Herzstück dieses Ansatzes ist die Würde zentrierte Therapie. Die Förderung von Würde und Autonomie lässt sich sehr gut auf den Umgang mit betroffenen Angehörigen respektive Trauernden übertragen (Münch 2020b, S. 92 ff.). Das Konzept der Würde bei schwerstkranken und sterbenden Menschen und das Konzept des Respekts von Attig für den Umgang mit und die Unterstützung von Trauernden haben einen ähnlichen, wertschätzenden und Ressourcen-orientierten Ansatz. Attig geht davon aus, dass wenn „[…] wir die Individualität der Trauernden respektieren wollen, müssen wir die Details ihres Lebens vor dem Trauerfall verstehen und wertschätzen. Wie blühten sie auf, während die jetzt Toten bei ihnen waren? Was hat das mit und für die Verstorbenen gemacht? Wie hat das Teilen des Lebens mit ihnen ihre Erfahrungen gefärbt und geformt? Wie haben sie ihr Leben mit dem, was jetzt endete, auf eine Weise verwoben, die sie für sinnvoll hielten?“ (Attig 1996, S. 69Footnote 4). Beide Konzepte fokussieren darauf, dass die Trauer der Betroffenen Anerkennung findet und sie sich gesehen, gehalten und getragen fühlen können. Sowohl das Konzept der Würde als auch des Respekts bieten einen Einstieg in die spirituelle Ebene – die des Lebenssinns, der Hoffnung, des Loslassens, des eigenen Seins und der Lebensbilanz.
In Umgang mit Trauernden ist es für die eigene Haltung und Abgrenzung im Sinne von Selbstfürsorge auch wichtig, sich eigener Verlusterfahrungen und damit mögliche Wunden und Verletzungen bewusst zu sein, aber auch der Ressourcen, mit denen jede:r von ihnen es geschafft hat, einen Umgang mit diesen Verlusten zu finden. Dafür braucht es auch in diesem Curriculum mindestens eine Selbsterfahrungsübung mit diesem Fokus, um den Teilnehmenden diesen Zugang zu ermöglichen und erfahrbar zu machen. Nur wenn jeder gut für sich sorgen kann, ist er langfristig eine hilfreiche Unterstützung für Betroffene.
Notes
- 1.
Mit dem Begriff Angehörige sind alle für einen erkrankten Menschen bedeutsame Personen gemeint, unabhängig vom möglichen Verwandtschaftsgrad.
- 2.
Der Begriff Familie ist hier weit gefasst gemeint und nicht nur auf Vater-Mutter-Kind(er)-Modelle ausgelegt.
- 3.
Siehe in diesem Band auch der Beitrag von Elisabeth Jentschke, Doppeltes Bewusstsein im Rahmen der Krankheitsverarbeitung bei fortgeschrittener Erkrankung in palliativer Situation – hilft dies im Umgang mit den Erkankten? S. XXX.
- 4.
Übersetzung des Autors.
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Münch, U. (2024). Spiritual Care bei Trauer und Verlust – psychologische Perspektiven. In: Büssing, A., Giebel, A., Roser, T. (eds) Spiritual Care & Existential Care interprofessionell. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67742-1_16
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