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Testzentrum, Intensivstation, Impfstraße, aber auch Haushalt, Supermarkt oder Hausarztpraxis: Die Pandemie wirft, jenseits eherner institutioneller Versprechen, Fragen profanster, gleichwohl systemrelevanterFootnote 1 Machbarkeit und Wirksamkeit auf. »Schaffen wir das so?« wurde zur dauernden Sorge und Anstrengung, zur Reflexion und Erfahrung. Ich will diese Fragerichtung durch einen analytischen Rahmen betonen, der in den Kultur- und Sozialwissenschaften anders belegt und in seinem Potential weitgehend untergenutzt bleibt: den Apparat. Der Apparate-Begriff ist, in der verbreiteten Verwendung, mindestens schillernd. Er changiert zwischen materialistischen und neomaterialistischen, zwischen strukturalistischen und post-strukturalistischen Zuschnitten. Bezeichnet werden so verschiedene Gefüge wie Labore (Barad), Panoptika (Foucault) oder Staaten (Althusser). Die Varianten des Apparate-Begriffs laufen quer zum abstrakten InstitutionalismusFootnote 2, wo sie Machtwirkungen bis hinein in die Prägung von Dingen, Individuen oder Bevölkerungen verfolgen. Nicht Normen oder Rationalitäten bilden dabei die Basis von Diagnosen, sondern ein praktisches, gegenstandsorientiertes Zusammenwirken im Hier und Jetzt.

Von Apparaten will ich sprechen, wo kontingente Problemarbeiten relative Stabilisierung erfahren. Die Problemarbeit lässt sich fortan als Wirken eines zugleich singulären wie modellhaften Gefüges zurechnen. Bestimmten Problemarbeiten wird gegenwärtig verstärkt dort öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, wo sie angesichts drängender Fragen dringend gefordert sind. Zeiten existentieller Krisen, wie der sich beschleunigende Klimawandel oder die überfallartige Pandemie, bringen die unmittelbare Abhängigkeit von apparativen Kapazitäten in Erinnerung. Sie lassen ›uns‹ als Gesellschaftsmitglieder erfahren, auf welche Problemarbeiten ›wir‹ zählen können, ja müssen. Bezogen auf die Pandemie etwa Labore für Nachweistests, Stationen der Intensivmedizin oder Betriebe zur Impfstofffertigung, ganz zu schweigen von den Kapazitäten der Haushalte zur unsichtbaren Arbeit der Grundversorgung und Pflege ihrer Angehörigen. Die existentielle Prüfung der Pandemie legt aktuell die Reichweite und Anfälligkeit des gesellschaftlichen Vermögens bloß, begründet Hoffnung wie Ernüchterung im tagtäglichen Ringen mit den Problemen. Kontingente Machbarkeiten treten ins Zentrum.

Existentielle Probleme verfügen dabei über das größte Potential, umfassende Betroffenheiten jenseits von Partikularinteressen zu vermitteln. Sie forcieren die »zunehmende Überzeugung, dass (in letzter Instanz, TS) der Menschheit der Untergang droht«.Footnote 3 Die Frage »Wessen Problem?« wird hier tatsächlich am ehesten mit dem inklusiven ›unser‹ beantwortet. Existentielle Probleme vermitteln in der Gesamtschau des Vermögens, ihnen zu begegnen, eine »Neu-Entdeckung der Gesellschaft«.Footnote 4 Das Gesamtvermögen erweist sich dabei als unzureichend, und zwar nicht entlang institutioneller Rahmen, sondern entlang der Machbarkeiten einer »response-ability«.Footnote 5 Es sind diese Probleme, kulminierend im Notstand,Footnote 6 die zur Mobilisierung erfolgversprechender Gegenmaßnahmen nötigen. Diese über- und unterschreiten dabei, so schon Beck,Footnote 7 den nationalstaatlichen Rahmen wie die Möglichkeiten des Staates. Ob also die verwickelten Probleme und die tatsächlichen Problemarbeiten zur Deckung gelangen, wird zur beunruhigenden FrageFootnote 8 unserer Zeit. Die Bearbeitbarkeit der ProblemeFootnote 9 steht und fällt mit den apparativen Kapazitäten.

Der Begriff des Apparats

Schon Marx setzte darauf, dass die kapitalistischen Verhältnisse Produktivkräfte entfesseln, die alle bislang erreichten Kapazitäten zur Problembehandlung übertreffen. Es ginge ihm darum, diese Kapazitäten zu heben und politisch anzueignen, sie voranzutreiben und zu vergemeinschaften,Footnote 10 um so die soziale Frage zu beantworten. Herrschaftskritiker*innen behaupten demgegenüber, dass die modernen Gefüge von Staat und Markt nur eines vollbringen: die Unterwerfung der Massen und die Sicherung von Dominanz. Auch die Vertreter*innen des neuen Materialismus betrachten die heutigen Apparate als grundlegend falsch angelegt. Sie seien durch und durch patriarchal: auf Naturbeherrschung geeicht. Aufgabe der Emanzipation sei es, Gegen-Apparate zu entwickeln, die erst ein post-humanistisches Denken der »multispecies«, des »Vitalen«, des »Symbiotischen« realisieren. Die folgende kasuistische Übung will Varianten des (Post-)Materialismus mit Praxis- und Diskursforschungen einerseits und Gegenwartsdiagnosen andererseits in Dialog bringen, um das je Notwendige und Mögliche neu zu vermessen.

In den Kultur- und Sozialwissenschaften rekurrieren Anwendungen des Apparatebegriffs auf Webers Begriff der »Bürokratie« als »stahlhartes Gehäuse« oder, direkter, auf Althussers Begriff des ideologischen »Staatsapparats«Footnote 11 als Überbauphänomen. In seiner Abkehr von Althusser bringt Foucault den Begriff des »Dispositivs« in Anschlag:

»What I’m trying to single out with this term is, first and foremost, a thoroughly heterogeneous set consisting of discourses, institutions, architectural forms, regulatory decisions, laws, administrative measures, scientific statements, philosophical, moral, and philanthropic propositions – in short, the said as much as the unsaid. Such are the elements of the apparatus. The apparatus itself is the network that can be established between these elements (…) By the term ›apparatus‹ I mean a kind of a formation, so to speak, that at a given historical moment has as its major function the response to an urgency. The apparatus therefore has a dominant strategic function… I said that the nature of an apparatus is essentially strategic, which means that we are speaking about a certain manipulation of relations of forces, of a rational and concrete intervention in the relations of forces, either so as to develop them in a particular direction, or to block them, stabilize them, and to utilize them. The apparatus is thus always inscribed into a play of power, but it is also always linked to certain limits of knowledge that arise from it and, to an equal degree, condition it. The apparatus is precisely this: a set of strategies of the relations of forces supporting, and supported by, certain types of knowledge.«Footnote 12

Foucault spricht vom Apparat im Singular und schließt alles ein, was seine Wirksamkeit ausmacht. Apparat oder Dispositiv umfassen allerlei Elemente, begründet durch einen Notstand. Ähnlich auch Agamben, der die additive, an Fälle anknüpfende ›Definition‹ des Dispositivs gleichwohl variiert:

»Further expanding the already large class of Foucauldian apparatuses, I shall call an apparatus literally anything that has in some way the capacity to capture, orient, determine, intercept, model, control, or secure the gestures, behaviors, opinions or discourses of living beings. Not only, therefore, prisons, mad houses, the panopticon, schools, confession, factories, disciplines, juridical measures and so forth (whose connection with power is in a certain sense evident), but also the pen, writing, literature, philosophy, agriculture, cigarettes, navigation, computers, cellular telephones and – why not – language itself. Which is perhaps the most ancient of apparatuses – one in which thousands and thousands of years ago a primate inadvertently let himself be captured, probably without realizing the consequences that he was about to face.«Footnote 13

Agamben spricht von Apparaten im PluralFootnote 14 und liefert für diese eine Minimal-Definition. Zentral ist die errungene Kapazität, das Verhalten und die Ausdrücke von Lebewesen zu ordnen und zu orientieren. Foucault setzt Dispositive also aus diversen, aber gleichgerichteten Momenten zusammen, während Agamben wirksame Kapazitäten selbst zu Apparaten erhebt. Ich schließe an diese Verschiebung an, indem ich Apparate als stabilisierte Kapazitäten und die Anordnung der Apparate begrifflich auseinanderziehe. Es gibt Apparate und es gibt die sie anordnende Apparatur.Footnote 15 Das Begriffspaar soll ein fallbezogenes Unterscheidungsvermögen vermitteln, um situierte Praxen, apparative Kapazitäten und existentielle Vergesellschaftungen in einer Analytik zusammenzuziehen.

Apparate und die Gegenwart existentieller Probleme

Als analytischer Ausgangspunkt fungiert diese einfache Beobachtung zur Frage der Handlungsfähigkeit: Wann immer Fachleute, Expert*innen, Funktionsträger*innen, Mitglieder einer Profession, Arbeiter*innen, etc. ihre (Problem-)Arbeit verrichten, so tun sie dies je eingespannt in einen Apparat oder Betrieb.Footnote 16 So auch in der Corona-Krise: die Chirurgin als Teil des Operationstheaters, die Krankenpfleger*in als Teil der Notfallstation, die Biologin als Teil eines Labors, die Lehrerin als Teil des digitalen Lernraums oder die Abgeordnete als Teil einer Bürogemeinschaft. All diese Apparate sind organisiert und institutionalisiert: Sie werden versorgt mit personellen wie materiellen Ressourcen; ihnen sind gesellschaftliche Funktionen auferlegt; sie borgen anderweitige und verleihen eigene Kapazitäten. Zugleich ringen sie mit Problemen, die nicht in Funktionen aufgehen, ja die nicht einmal auf die gesellschaftliche Totalität als Funktionszusammenhang beschränkt werden können. Die existentiellen Probleme, die sich nun als Prüfung stellen, sind konkreter und weitreichender zugleich.

Die wirkmächtigen Apparate aber, also die stabilisierten Problemarbeiten, an denen sich Fragen der Machbarkeit und Möglichkeit entscheiden, sind einer geschehensscheuen, ordnungsliebenden Soziologie eher fremd. Es sind diese Horte situiert-sachkundiger Arbeit, um die auch eine Öffentlichkeit zwar weiß, deren beständiges Tun aber allgemeinhin seltsam ungewusst bleibt. Trotz oder gerade wegen dieser black boxes verlassen sich die Gesellschaftsmitglieder darauf, dass ›der Laden läuft‹, dass ›die wissen, was sie tun‹. In der Krise weicht der gute Glauben einer moralischen Panik, die – unter Absehung der Aufgaben und Schwierigkeiten – darauf beharrt, dass etwas gelingen ›muss‹. Die Apparate sind in der Öffentlichkeit mal vergessen, in der Krise dann erinnert und allzu oft schmerzhaft vermisst. Existentielle Probleme prüfen in dieser Weise Apparate: Bewähren sie sich oder erweisen sie sich als kontraproduktiv? Sind sie Teil der Lösung oder des Problems?

Wir fassen einen Apparat, minimalistisch, als eine Form stabilisierter Problemarbeit. Die Stabilisierung richtet sich auf ein Wirkungsgefüge, das relativ verlässlich Probleme stellt und als mehr oder weniger schwierige Fragen beantwortet. Antworten schließen dabei notwendig Operationalisierungen des Problems »for all practical purposes«Footnote 17 ein. Probleme werden nicht unmittelbar und nicht in der Gewissheit auf ›Lösungen‹ angegangen. Fälle und Fallstudien von ApparatenFootnote 18 wären die Kinderkrankenstation,Footnote 19 die Schulklasse,Footnote 20 das Büro der Softwareentwicklung,Footnote 21 der Untersuchungsausschuss,Footnote 22 die NachrichtenredaktionFootnote 23 oder auch das Tierheim.Footnote 24 Derlei Betriebsstätten beherbergen Vorrichtungen, die auf bestimmte Bezugsprobleme gerichtet, für diese eingerichtet und methodisch zu verrichten sind.Footnote 25 Apparate sind Unikate wie Modelle, singulär und generell. Sie werden betrieben, erlernt und übertragen. In Krisenzeiten erscheinen sie in ihren sachlichen Kapazitäten als ge- und zuweilen überfordert. Sie sind darin mehr als bloße Orte, aber nicht schon Institutionen; sie sind mehr als nur Arbeitsplätze,Footnote 26 aber nicht schon Organisationen. Sie sind, aus marxistischer Perspektive, Horte ›kalkulierter‹ Produktivkräfte und, aus feministischer Perspektive, ›unsichtbarer‹ Reproduktionsarbeit. Apparate erscheinen als bedingt kapazitär angesichts angeeigneter wie zugemuteter Problemstellungen.

Die Qualifizierung apparativer Kapazitäten liegt aus ethnomethodologischer Perspektive nahe, wo letztere immer schon von praktischen Problemstellungen und deren methodischer Bearbeitung ausgeht. Die lokalen BearbeitungenFootnote 27 gelten der EM als kompetent und methodisch. Apparate erscheinen so als soziokulturelle Anlagen, die die verschiedenen (Re-)Produktivkräfte bündeln und regelmäßig an bestimmten Gegenständen verausgaben. Feldforschungen suchen diese lokale, sachbezogene Betriebsamkeit auf, um sie nachzuvollziehen und zur Sprache zu bringen. Die Feldforscherin findet Zugang zum Betrieb, hält sich dort auf und bringt in Erfahrung, wie Dinge hier regelmäßig vonstatten gehen. Das Beforschte wird so verfügbar für Lernprozesse, Aneignungen, wie Kritiken. Im Folgenden will ich anhand von drei Fallstudien präzisieren, was unter apparativen Kapazitäten zu verstehen ist. Der Fokus eröffnet eine soziologische KasuistikFootnote 28 und damit Theoriebildung über Forschungsfelder hinweg. Die Fallstudien markieren eine Mikrofundierung gesellschaftlicher (Un-)Vermögen. Sie markieren einen Post-Funktionalismus, der nicht mehr von der Passung der Probleme und ihrer Bearbeitung ausgeht. Sie markieren die mehr oder weniger abgestimmten Anstrengungen zur praktischen ›Verantwortung‹ drängendster Fragen.

Drei Fallstudien: Von Apparaten und Quasi-Apparaten

Der Begriff des Apparats changiert zwischen praktischer Möglichkeit und Notwendigkeit. Er unterscheidet sich von Begriffen wie »Organisation« und »Institution« nicht nur im Praxisbezug,Footnote 29 sondern in der Betonung fragiler Machbarkeit angesichts drängender Probleme. Letztere erfahren Zeitgenoss*innen als Prüfungen: Wie schaffen wir das? Welche Kapazitäten birgt diese apparative Praxis? Können wir auf diese Problemarbeit zählen? Inwiefern bleibt ihre Kapazität bedingt? Die Analyse der Apparate-im-Betrieb und ihrer Mobilisierung legt Machbarkeiten angesichts drängender Fragen frei. Derlei, so das soziologische Vorhaben, lässt sich zur Kasuistik ausbauen, einem empirischen Theoretisieren an Fällen. Die Kasuistik verdichtet Fallstudien der Praxis- und Feldforschung und weitet sie entlang von Ausprägungen und von Variationen (Abb. 1, 2, 3, und 4).

Apparative Kapazitäten zu beforschen ist relevant, um sie – gerade angesichts drängender Probleme – zu identifizieren, in ihren Bedingtheiten zu klären und sie gesellschaftlich mobilisierbar zu machen. Die folgenden drei Fallstudien stammen aus dem Feld der Science & Technology Studies (STS). Sie zeichnen Apparate als befestigte Produktivkräfte, als praktische Relation von Problem-Lösungen sowie als Hort zurechenbarer Kapazität. Die Fallstudien erfassen die Apparate dabei zunehmend dicht anhand des Ringens mit drängenden Fragen. Ziel ist die Bestimmung dessen, was Apparate – als soziomaterielles Phänomen, als analytischen Rahmen, als Gegenstand zeitgenössischer Sorge – auszeichnet.

1) Law zu den »portuguese vessels«: Manövrierbare Festungen

Abb. 1
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Modell einer portugiesischen Karacke, 15. Jh., Classic Image/Alamy Stock Foto/AJDF58

Der Begriff des Apparats ist wohl durch den Begriff des »Staatsapparats« bei Althusser am prominentesten besetzt.Footnote 30 Staatsapparat meint dabei vor allem einen ideologisch gleichgerichteten, repressiven Zusammenhang, dessen Funktion in der Legitimation der (Klassen-)Herrschaft liegt. Der folgende Apparat, gleichwohl auch ein Mittel der Herrschaft, ist anders angelegt. Es handelt sich um portugiesische Kriegsschiffe als ›monopolisierte‹ Machtmittel des aufkommenden Kolonialismus im 15. Jahrhundert. John Law stellt ihr Bezugsproblem und die Analyse seiner Bearbeitung wie folgt dar:

»Thus the problem for the Portuguese was not just one of social control, though this was important. It was rather, or in addition, one of how to manage long distance control in all its aspects. It was how to arrange matters so that a small number of people in Lisbon might influence events half-way round the world, and thereby reap a fabulous reward. And it is also my argument that if these attempts at long-distance control are to be understood then it is not only necessary to develop a form of analysis capable of handling the social, the technological, the natural and the rest with equal facility, thought this is essential. It is also necessary that the approach should be capable of making sense of the way in which these are fitted together.«Footnote 31

Law fragt, wie hier ganz verschiedene Aspekte arrangiert und kombiniert werden, und zwar in einer Weise, die der Macht in Portugal eine »long distance control« ermöglicht. Nötig waren »mobility, durability, capacity to exert force, ability to return«.Footnote 32 Die Mittel dazu wirken auf den ersten Blick profan. Law unterteilt »documents, devices, and drilled persons« als Aspekte der schlagfertigen Einheit.Footnote 33 Die Einheit fungiert als manövrierbare Festung, die Waffen, Logbücher, Seekarten, GerätschaftenFootnote 34 und allerlei Überlebensmittel mitführt und auf ihren Schiffsrouten gegen Unbilden behauptet.

Der Apparat stellt verschiedene Arbeits- als Machtmittel zusammen und bereit. Auch fern der Hausmacht sichert diese Zusammenstellung Handlungsfähigkeit. Sie kann ›wo und wann auch immer‹ zum Einsatz gelangen – und schafft so ganz neue Machträume. Die soziomaterielle Zusammenstellung wird dabei mittels einer Art Festungsarchitektur in Raum und Zeit stabilisiert.

In der errungenen Beständigkeit können die Produktivkräfte an den sich stellenden Vollzugs- und Bezugsproblemen weiterentwickelt und zusehends geschärft werden. Dies betrifft die Ausrüstung wie die Ausbildung, sich ihrer zu bedienen: etwa wissenschaftlich entwickelte Messgeräte und die »faithful servants« an Bord oder auch Dokumentationen, die Erfahrungen für Weitere verfügbar machen.Footnote 35 Die schwimmende Festung ist zudem groß genug, um die ›Belohnung‹ einzufahren – und klein genug, um noch manövrierbar zu sein. Derart verbinden und kokonstituieren die Passagen Mutterland und Kolonie.

Doch sind diese Apparate untrennbar kolonialistisch? Sind sie in ihrer Kapazität auf diesen Herrschafts- und Ausbeutungszweck festgelegt? Es ist bemerkenswert, dass Law eine anti-koloniale Kritik an diesem kombinierten Kriegs- und Handelsgerät nur impliziert. Vordringlich ist sein ›Staunen‹ über das Leistungsvermögen der Schiffe, ihre kunstvolle Eigen-Mächtigkeit.Footnote 36 Er fragt nicht, inwiefern sie auf die kolonialistische Unternehmung geeicht sind, ob deren Kapazitäten auch anderweitig zum Zuge kämen. Diese anderweitigen Möglichkeiten bleiben in der Fallstudie Desiderat.Footnote 37

Ein anderer wichtiger Aspekt bleibt bei Law ausgespart. Im Staunen über die apparativen Fertigkeiten übergeht seine vergleichsweise ›dünne Beschreibung‹ die alltäglichen Vollzugsprobleme der »long-distance control«. Er bleibt der institutionellen Sicht verhaftet, indem er das Schiff als Modell skizziert. Er klammert aus, wie die apparativen Kräfte im tagtäglichen Betrieb beansprucht, verschlissen und aufgebraucht werden: in den sozialen Effekten der KasernierungFootnote 38, der Auszehrung der strapaziösen Seereise, den Aggressionen und Krankheiten. All diese profanen Probleme des Betriebs erscheinen per se unter Kontrolle. Law unter- wie überschätzt die Kapazitäten des Apparats, wo er die tradierten Ethnomethoden, mitlaufend allerlei Vollzugsprobleme zu bewältigen, ausklammert. Die bedingten Kapazitäten, so mein Argument, gehen nicht im Dispositiv des Kolonialismus auf. Es bildet sich im Vollzug ein eigenes Vermögen, ein Lernen an den tagtäglichen wie außeralltäglichen Problemen auf hoher See. Die Schiffe entwickeln Eigenleben und Eigenmacht – und sind gerade darin ein Risiko auch für die, unter deren Flagge sie segeln. Macht wird dezentriert, zuweilen brüchig. Derart sind gerade Apparate der Kriegsführung, bei allem Drill und bei aller Rationalisierung, Orte widerständiger Mikropolitiken.Footnote 39 Meutereien, Revolten, ja Staatstreiche finden gerade hier ihren Ausgang. Koloniale Herrschaft fußt auf den Schiffs-Apparaten und ist mit diesen als neuen Herausforderungen konfrontiert.

2) Knorr-Cetina zu »laboratories«: Ansammlung von Gelegenheiten

Abb. 2
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Labor, ca. 1905, State Government Photographer/The History Trust of South Australia/GN04185/Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication

In der objektivistischen Auffassung ist wissenschaftliches Wissen binär codiert (wahr/falsch). Verfahren zur Gewinnung und Widerlegung dieser Werte sind durchprogrammiert und replizierbar. Ergebnisse gelten als Erkenntnis, insofern die Forschungsverfahren von psychischer und sozialer Kontamination (von Vorurteil, Meinung, Gutglauben, Slang etc.) bereinigt sind. Die ethnomethodologischen Laborstudien haben dieser Darstellung reiner Methodik eine mikrofundierte, kultursoziologische Sicht entgegengehalten. Demnach werden Subjektivität und Sozialität zu notwendigen Ressourcen der Forschungsarbeit. Sie sind Voraussetzung, nicht Verunreinigung der Erkenntnisgewinnung. Diese Sicht auf die Laborarbeit entspricht und schärft unseren Apparatebegriff. Zunächst, indem der Apparat hier nicht länger bloß Machtapparat ist; zum anderen, indem die Analyse des Apparats sich nicht auf eine Typisierung (als Rationalität oder Institution) und Inventarisierung (seiner Produktionsmittel und -kräfte) beschränkt, sondern sich im Nachvollzug der je situierten Arbeit erschließt.

Karin Knorr-Cetinas Ethnographie zur »Fabrikation von Erkenntnis« untersucht die co-produktiven Interaktionen des Personals wie der Arbeitenden mit ihrem Gerät.Footnote 40 Knorr-Cetina öffnet die black box der Laborarbeit und richtet den Blick auf den Forschungsalltag vor Ort. Sie versteht naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht mehr anhand ihrer idealisierten Selbstbeschreibungen. Es rücken dagegen lebensweltliche Mittel und Methoden lokaler Problemarbeit ins Zentrum: das Diskutieren, Brainstormen, Räsonieren, Probieren, in Augenschein nehmen etc. Die Laborarbeit bedient sich der (Streit-)Gespräche, der empfindsamen Körper, der beobachtbaren Zeichenspuren, der Beobachtungsgabe, um vorzeigbares Wissen zu schaffen. Diese Pragmatik des Labors bearbeitet die Geltungsgründe objektiver Erkenntnis.

Die Relation von Herstellung und Darstellung gewinnt mit einem weiteren analytischen Fokus an Kontur. Erkenntnisse werden nicht lokal herbeigeredet oder ausagiert; die Fabrikation ergeht sich nicht in »shopfloor talk«, auch wenn dieser ethnographisch ins Zentrum rückt. Wichtig sind die aus Zeichensätzen gebauten, lokal geschöpften ObjekteFootnote 41, die über Zeit entwickelt, methodisch befestigt und experimentell bewährt werden. Apparate unterhalten solche Arbeitssituationen, in deren Verlauf ein Objekt formiert wird.Footnote 42 Diese epistemischen Objekte sind keine Repräsentationen einer äußeren Welt; sie sind Labor-Schöpfungen: Zeichenspuren und Zeichenbündel, die eine spezifische Reaktivität aufweisen und so überhaupt erst beobachtbar und berechenbar werden. Das Bezugsproblem der Laborarbeit ist immer schon ›objektiviert‹, das heißt über Objekte vermittelt. Die trans-sequentielle Analyse bezeichnet solche Arbeitsgegenstände als »formative Objekte«,Footnote 43 die schrittweise zur Vollwertigkeit entwickelt werden sollen; sie werden mühsam über Arbeitsepisoden hinweg prozessiert bzw. ausgeformt. Die Laborarbeit geht diese Bezugsprobleme nicht direkt an, sondern vermittelt. Sie bemüht Operationalisierungen.Footnote 44

Labore konfigurieren Objekte als vermessbare Zeichenträger. Dieser Aufbau folgt einerseits bestimmten Vorgehensweisen und Schrittfolgen, ist also organisiert wie programmiert; er ist andererseits offen (gehalten) für Gelegenheiten. Es sind vieldeutige Zeichenspuren, die neue Objekt-Formierungen in Gang setzen: vermeintliche Entdeckungen, die das Labor sukzessive ausformt. Die Gelegenheitsstruktur zusammen mit dem Basteln am Objekt unterscheidet den Laborbetrieb von einer Maschine. Das Labor hält mehr vor als an Ausstattung organisiert und an Verfahren vorstrukturiert wird. Die lebensweltlichen Rituale, Basteleien, Versuche, Improvisationen sind Teil dieses Überflusses an Gelegenheiten, der in der Laborarbeit gerade nicht gebannt, sondern kultiviert wird. Das Labor weist damit in beide Richtungen: von den Problemen zu Lösungen und von den Lösungen zu Problemen.Footnote 45 Die Laborarbeit führt Problem-Lösungs-Paare zusammen. Im Hin und Her zwischen zusehends widerständigen Objekten und deren Konfrontation erwachsen die objektivierenden Zeichenspuren, die nun in Argumente, Belege und Resultate überführt werden.

Das Labor schöpft naturwissenschaftliche Accounts. Zur Publikation bzw. fachlichen Anerkennung bedient der Account die diskursiven Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnis: die Befolgung eines methodischen Verfahrens. Der Laborbetrieb peilt diese normierte Erfolgsgeschichte nicht entgegen, sondern vermittels wendiger Brüche, Wiederholungen und Anläufe an. Unterhalten wird ein kontingenter, verwickelter Gang der Dinge, der von den vollwertigen Erkenntnis-Accounts absorbiert wird. Die pragmatischen Suchvorgänge werden in Experimente gegossen, die nun auch abwesende Dritte als replizierbar erachten können. Wo bei Law noch der Machtapparat in seiner befestigten Kombinatorik der Mittel staunen lässt, so ist es hier die in der dichten Beschreibung vorgeführte ›virtuose‹ wie ›disziplinierte‹ Findigkeit des Laborbetriebs.

Mit ihrer Laborstudie führt uns Knorr-Cetina in die apparativ verzahnten Arbeitsepisoden und -prozesse ein. Sie weist damit die dünnen Beschreibungen eines Strukturfunktionalismus ebenso zurück, wie die auf das Normative reduzierten Deduktionen des Institutionalismus. Die invisible work erweist sich dabei als konstitutiv. Sie wird in formative (Sub-)Objekte (Exposés, Messdatenreihen, Skripte, Protokolle etc.) angelegt und im Zielobjekt publizierter Erkenntnis mit Blick auf legitime Kritiken bis auf Weiteres stillgestellt.Footnote 46 Die Laborstudien lehren, dass die maßgeblichen Darstellungsnormen in der Herstellung nicht befolgt, wohl aber abgearbeitet werden. Knorr-Cetinas Beobachtungen des Apparats-im-Betrieb fordert diesen Hyper-Realismus, der den Wert der profansten Handgriffe und Sozialformen als Kapazitäten würdigt. Erkenntnis wird im Laborbetrieb wahrscheinlich gemacht.

3) Tsings Wälder und Plantagen: Ökologien als Quasi-Apparate?

Abb. 3
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Pilz, von John Cage gesammelte Fotografie eines unbekannten Fotografen, Courtesy the John Cage Mycology Collection, University of California Santa Cruz Special Collections and Archives. Für dieses Drittmaterial gilt keine Creative-Commons-Lizenz.

Abb. 4
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Kakaoplantage auf Samoa in ihrem vierten Jahr, aus: Arthur W. Knapp: Cocoa and chocolate: Their history from plantation to consumer, London 1920, S. 35

Die zwei bisherigen Fallstudien haben Apparate, trotz ihrer Hinwendung zur (sozio-)materiellen Ausstattung, vor allem als ›menschengemacht‹ gefasst: als ausgeklügelte Anlagen monopolisierter Herrschaftsausübung oder als findige Pflege und Nutzung einer lokalisierten Gelegenheitsstruktur. Die apparativ gebündelten Produktivkräfte waren mal Mittel kolonialer Geopolitik, mal naturwissenschaftlicher Erkenntnisfabrikation. Die dritte Fallstudie markiert demgegenüber einen Grenzfall: Zwar sind die beobachteten regelmäßigen Wirkungen für die Gattung Mensch überlebenswichtig, diese werden aber nur am Rande von Menschen hervorgebracht. Anna Tsing konfrontiert uns in ihren Fallstudien mit allerlei »discursive gaps and discursive risks«,Footnote 47 wo sich Wirkungsweisen nicht mehr unumwunden auf humanistische Kategorien wie Wissen, Technik oder Arbeit herunterbrechen lassen.

Die von Tsing angeführten reproduktiven Zusammenhänge (Plantage und Mischwald) bezeichnen zunächst diametrale Ökologien.Footnote 48 Nur eine entspringt auch menschlichen Unternehmungen und ist als Lösungsstrategie für agrarwirtschaftliche Fragen zurechenbar. Demgegenüber entziehen sich in ontologischer (das Sein des Wirkungszusammenhangs) wie epistemologischer Hinsicht (das greifbare Wissen dazu) die hier behandelten Ökologien der Apparateform als stabilisierte Problemarbeit. Der Apparatebegriff wird von Komplexen der verwickelten »non-human labor« und seiner Wirkungsweise herausgefordert.Footnote 49

Derart auch ethnographisch zur grundlagentheoretischen Explikation gedrängt, kontrastiert Tsing ihre Fälle: hier der bodenständige Mischwald, der in seiner symbiotischen »resurgence« nur in Ansätzen gewusst und als solcher bewährt und geschützt wird; dort die invasive Plantage, die demgegenüber als (Gegen-)Apparat die je lokal vorgefundenen symbiotischen Lebensgemeinschaften plündert und ruiniert.Footnote 50 Mischwald und Plantage demonstrieren gegenläufige Umgangsweisen mit und Wissensformen von ökologisch-reproduktiven Zusammenhängen.

Tsings Fallkontrast schärft den Begriff des Apparats, indem er Unschärfen anzeigt. Einerseits wird der Status des menschlichen Treibens von einer definitorischen zu einer empirisch variablen Größe; andererseits bietet auch hier ein stabilisierter Wirkungszusammenhang verlässliche Antworten auf eine Reihe drängender Fragen – eine apparative Kapazität mit allerdings nur peripherem menschlichen Zutun! Im Fall der Plantage ist der menschliche Eingriff in die ökologische Reproduktion intensiv und prekär: ein beständiger Anspruch umfassender Übernahme, die auf lokale Bedingungen kaum Rücksicht nimmt.Footnote 51 Die Plantage wirkt als gewalthafter Apparat, der gegen die vorgefundene Gemengelage gerichtet ist, vergleichbar der kolonisierenden »portuguese vessel«. Die angelegte, ausschließende (und anfällige) Monokultur aus standortfremden Nutzpflanzen wird dabei gegen das Wiedereindringen der angestammten ›Unkräuter‹ verteidigt. Die Plantage fungiert als Landnahme, die einen dauernden, intensiven (biochemischen) Aufwand zur Durchsetzung erfordert. Eine Kriegsführung gegen die ansässige Lebensgemeinschaft.

Anders das Bild des standortgebundenen Mischwaldes. Hier wissen die Waldbauern und -bäuerinnen wie die Pilzsammler*innenFootnote 52 um symbiotisch-reproduktive Zusammenhänge, die sie für eine turnusmäßige Ernte nutzen. Ihre Sorge gilt der Hege und Pflege eingebetteter Pflanzengemeinschaften. Die Entnahme der ›Früchte‹ folgt der Eigenzeit wie dem Eigenraum des Forstes, den Rhythmen wie der Intraaktionsordnung aus »oaks, pines, and matsutake«.Footnote 53 Genutzt werden die Eigenkräfte der dichten Wald-Ökologie inklusive ihrer fortwährenden, undurchschaubaren »resurgence«.Footnote 54 Die extensive Waldpflege begleitet und wacht über diese re/produktiven Prozesse. Sie erwächst zum integralen Teil der Lebensgemeinschaft. In zyklischer Folge kultiviert sie die zurückhaltende Entnahme der reichen wie bescheidenen Funde: des oberirdischen Teils des Wildpilzes. Die Ernte ist auf Dauer gestellt. Sie speist gleichwohl im Weiteren eine weltumspannende Ökonomie des Handels wie der Veredelung des Pilzes als Delikatesse.

Die Pilz-Entnahme fußt auf einer Apparateform, wo sie als zyklische, minimale Bewirtschaftung über ein ausgedehntes Reservat zu wachen beginnt und dieses als Produktionsbedingung zu stabilisieren sucht. Die eingespielte komplexe Lebensform will auch gegen konkurrierende Nutzungsweisen verteidigt sein. Die nachhaltige Apparateform rückt dabei nun vermehrt ins Zentrum gesellschaftlicher Kalküle, wo an den Wald wie an seinen Grund und Boden andere Fragen herangetragen werden. Im Zeitalter des Klimawandels und Artensterbens gewinnt der Wald an ›unschätzbarem Wert‹, der zugleich vielfach kalkuliert und – allerdings nur zögerlich – gesichert wird. Wälder erwachsen zum anerkannten, gesellschaftlichen Überlebensmittel.Footnote 55 Gleich anderer Apparate – wie in Konkurrenz mit diesen – erscheint der Wald nun, etwa im globalen Klimaregime, als unersetzbare Kapazität. Gleiches gilt für Fragen des Artenschutzes, der Wasserwirtschaft, bzw. der »resurgence« allgemein.Footnote 56 Der Mischwald, so meine Einordnung, gerinnt just in dem historischen Moment zur Apparateform, wo angesichts der ökologischen Frage verlässliche Beiträge zur gesellschaftlichen Reproduktion schwinden. Tsings Öko-Ethnographie gewinnt so gegenwartsdiagnostisch wie gesellschaftsanalytisch Relevanz.

Aspekte und Varianten apparativer Kapazitäten

Ein Apparat bietet relativ verlässlich Antworten auf eine Problemstellung; er ist befestigt nach außen, angeordnet nach innen und verschiedenen Bedingungen ausgesetzt. Apparate stabilisieren lokal ein gerichtetes Zusammenwirken von Komponenten, das sich nicht ohne Weiteres an anderer Stelle einrichten läßt. Das Zusammenwirken kann auf mechanischen, organisatorischen, symbiotischen Verbindungen beruhen und kann im Lichte behandelter wie herangetragener Bezugsprobleme als Kapazität gelten. Die apparative Kapazität ist je bedingt, insofern sie situativ zu entfalten ist, sie an eine Ausstattung gebunden bleibt, sie gegen konkurrierende Apparate bestehen muss, ihre Wirkungsweise wechselnden Umständen standhält und die sich stellenden Probleme in Quantität und Qualität variieren.Footnote 57

Auf dieser Grundlage lassen sich im provisorischen Überblick für die drei Fälle Parallelen und Varianten aufzeigen. Sie verweisen auf innere wie äußere Verhältnisse der Apparate. So ähneln sich etwa die Plantage und die »portuguese vessels«. Sie sind jeweils Herrschaftsmittel und als solche gefordert. Der Mischwald ist demgegenüber selbsttragend und dicht, ja überkomplex. Er führt die Kasuistik an seine Grenze, wo die symbiotische Lebensgemeinschaft zwar verlässliche Effekte zeitigt, diese aber nur sehr partiell ›berechenbar‹ sind: etwa in der Entnahme der Wildpilze als marktgängige Tauschwerte. Der Mischwald entzieht sich in seiner komplexen Kapazität einer Funktionsbestimmung. Der Forst wäre Gesamtzusammenhang einer als relevant erachteten, berechenbaren Problemarbeit. Der Wald fügt sich erst dort der gesellschaftlichen Apparateform, wo seine ›wertvollen‹ Reproduktionsbeiträge übersetzt und honoriert werden. Seine Formierung als Apparat stabilisiert sich, wo diese Ökologie im Rahmen eines Dispositivs – als abgestimmte Bearbeitung einer existentiellen Frage – Geltung wie »accountability«Footnote 58 erlangt. Letzteres erfolgt trotz oder gerade wegen seiner unüberschaubaren Wirkungsweisen.Footnote 59 Für gesellschaftsanalytische wie gegenwartsdiagnostische Einordnungen möchte ich den Begriff des Apparats weiter qualifizieren: 1) anhand der Probleme, die Apparate regelmäßig fordern, 2) anhand des Wechselspiels von Rechenschaft und Invisibilisierung der Problemarbeit sowie 3) abschließend anhand der gesellschaftlichen Anordnung apparativer Kapazitäten.

Problemhaushalt, Problemstellung und Operationalisierung

Apparate stabilisieren eine Problemarbeit. Sie sind darin befestigt, ausgestattet und ausgerichtet. Doch um was für Probleme handelt es sich? Apparate beackern Vollzugs-, Bezugs- und Durchsetzungsprobleme.Footnote 60 Die Fallstudien haben bezogen auf diesen Problemhaushalt jeweils Schwerpunkte gesetzt. Während Law anhand der neuzeitlichen Kriegsschiffe die verlässliche Behandlung von ›kolonialen‹ Bezugs- und Durchsetzungsproblemen fokussiert, konzentriert sich Knorr-Cetinas Analyse der Labore auf die kunstfertige Behandlung situativer Vollzugs- und Bezugsprobleme in der Fabrikation von Erkenntnis. Bei Tsing rücken schließlich Bezugsprobleme als existentielle Fragen ins Zentrum. Sie kontrastiert antagonistische Wirkungsweisen, wobei diese Fragen bedrohter Reproduktion entweder selbst bezogen auf ›konkurrierende‹ Lebensgemeinschaften befördern (Plantage) oder immer schon ›symbiotisch‹ einfangen (Mischwald). Eine Apparateform des Ökotops wird erst in Konfrontation mit gesellschaftlichen Existenzfragen (etwa wissenschaftlich) sichtbar und (politisch, rechtlich) erstritten.

Die Analytik apparativer Kapazitäten sucht den kompletten, bearbeiteten Problemhaushalt einzubeziehen: die Probleme, die sich mit dem abgestimmten, kollaborativen Vollzug selbst stellen (Vollzugsprobleme), die sachlich eingeübt und angeeignet sind (Bezugsprobleme), die mit der Konkurrenz gegen andere Apparate erwachsen (Durchsetzungsprobleme) oder die im Lichte der fraglich gewordenen gesellschaftlichen Reproduktion zugemutet werden (existentielle Probleme). Letztere tangieren in letzter Instanz alle Apparate, ihre Kapazitäten wie ihr Zusammenspiel.

Die Rolle der existentiellen Probleme als Herausforderung aller Apparate deutet sich in den Fallstudien nur an. Im ersten Fall, wo die »portuguese vessels« kriegerische Manöver vollführen und mit Gegenangriffen oder Widerstand rechnen; im Fall der Labore, wo deren soziokulturelle Forschungsarbeit auf bestimmte existentielle Fragen (etwa der Impfstoffentwicklung als Antwort auf eine Pandemie) angesetzt werden kann; im Fall der Plantagen und Wälder, wo diese mal als Teil des Problems (etwa der Biodiversität), mal als Teil der Lösung (etwa als CO2-Speicher) in den gesellschaftlichen Fokus geraten. Das Drängen existentieller Probleme motiviert die Mobilisierung wie Demobilisierung ausgesuchter Apparate; es schafft eine gesellschaftliche Nachfrage nach apparativen Kapazitäten. Machbarkeit wird zum knappen Gut.

Im Lichte des Problemhaushalts ist der Apparatebegriff von Begriffen der Organisation und der Institution unterschieden: Die Bearbeitung der Vollzugsprobleme verweist auf das situierte Geschehen des apparativen Gefüges; die Bearbeitung des Bezugsproblems verweist auf Operationalisierungen am formativen Objekt. Die Problemarbeit vollzieht sich jeweils situativ und mittelbar. Sie steht unter Wirkungsvorbehalt. Am Objekt werden Parameter, Verfahren, Modelle ins Feld geführt, um apparative Kapazitäten für Weitere/s verfügbar zu machen. Der Apparatebegriff betont bei all dem die empirische Möglichkeit, dass die apparative Problemarbeit an den sachlichen Anforderungen wie an der Gesamtlage scheitern kann. Probleme können zu gravierend, zu schwer, zu vertrackt sein. Diese Betonung der Machbarkeitsfrage ist umso wichtiger, als mit jedem existentiellen Problem für viele Apparate zusätzliche Aufgaben und Anforderungen erwachsen. Dies führt selbst oder gerade bei bereits etablierten Apparaten zu Stress, Überforderung, Verdrängung – und in der Summe allzu leicht in ein Systemversagen.

Von der Darstellung zur Herstellung: Invisibilisierung und Offizialisierung

Konträr zu ›oberflächlichen‹ System- und DiskurstheorienFootnote 61 bezieht der ethnomethodologische Apparate-Begriff Herstellung und Darstellung aufeinander. Dichte ethnographische Fallstudien des Apparatebetriebs beobachten regelmäßige, gekonnte und gerichtete Herstellungsarbeiten. Apparate leisten diese entlang gewachsener Methoden sowie mit Blick auf diskursive Maßgaben zur Rechenschaft gegenüber relevanten Öffentlichkeiten.Footnote 62 Sie liefern juristische Urteile,Footnote 63 behördliche Bescheide, militärische Befehle, politische Positionen, marktgängige Tauschwerte oder akademische Publikationen. Letztere werden zirkuliert, gehen ein in Formationen und weisen die apparative Arbeit – oftmals allerdings im Namen einer Instanz oder Institution – generell aus. Die Leitobjekte speisen diskursive Prozesse und Konkurrenzen der Rechtssetzung, des Meinungsstreits, der Preisbildung, etc. Im Schatten der Leitwerte finden sich Anti-Objekte, wie die Befehlsverweigerung,Footnote 64 die Sabotage oder die Blockade.Footnote 65

Objekte im Werden durchlaufen Vorläufigkeiten, Vagheiten und Konflikte – und absorbieren diese zugunsten einer idealisierenden Rechenschaft.Footnote 66 So etwa im Zuge der Laborarbeiten, die sich auf die Fabrikation bestimmter Erkenntnisse kaprizieren. Sie erarbeiten Beiträge allgemeiner Geltung, nicht unähnlich der skalierbaren Plantage bei Tsing. Das gefertigte Objekt wird autorisiert und erhält Gewicht; es verspricht einen Beitrag zum angestammten Bezugsproblem im Namen einer Instanz und Kraft einer Autorität. Dies mag erklären, warum die betriebsamen Apparate hinter den produzierten Werten verschwinden.

Ein anderer Aspekt begründet eine gesellschaftliche Missachtung von Kapazitäten: solche, die weder bekannt noch gefragt sind, weil sie sich ungeachtet in allzu dichten oder abseitigen Gefügen vollziehen. Hier wäre der Fall des Waldes exemplarisch, mit all dem, was hier laufend vollbracht wird.Footnote 67 Die gängige Rechenschaft richtet sich auf selektive Produktivitäten, nicht auf unüberschaubare Reproduktion. So im Falle der Plantage, die auf eine ›reiche Ernte‹ hin ausgerichtet ist und alles andere nachordnet; oder wie die ›schiffbare‹ Kolonie, die zur gezielten Plünderung angeeignet wird. Die Rechenschaft vermag, im Fokus auf ein Problem, anderweitige Kapazitäten als Verluste oder Widerstand zu entwerten, gleich dem unterdrückten ›Wildwuchs‹ der Plantage. Der Mischwald, als Vorform des Apparats, erscheint demgegenüber zunächst vor allem als ›unberechenbar‹. Dies nicht aufgrund seiner Armut oder Kargheit, sondern aufgrund seiner Überfülle. Er steht angesichts eines vielseitigen, v. a. kapitalistischen Verwertungsdrucks unter Anerkennungsvorbehalt.

Es mögen, darüber hinaus, solche Aspekte des apparativen Betriebs der Rechenschaft vorenthalten werden, die als Treiber eines existentiellen Problems gelten. Die Externalisierung von Kosten, Lasten, Zerstörungen, etc. verdankt sich auch Techniken der ›Verrechnung‹. Die Differenz von Gebrauchs- und Tauschwerten sowie von Allgemeingütern und Marktgütern bietet hier für eine Rekonstruktion apparativer accountability erste Aufschlüsse.Footnote 68 Die Aberkennung und Nichtanrechnung von Kapazitäten sei, so die marxistische Wertlehre im Rückgriff auf Prozesse der Ausbeutung (von Arbeitskraft) und Plünderung (von Naturgütern), die Voraussetzung für kapitalistischen Profit schlechthin. Umgekehrt nehmen Transformationsprogramme die Modifizierung des Accountings in den Blick: der Bepreisung ›neuer‹ Knappheiten wie der Anrechnung bis dato unsichtbarer Arbeit. Apparative Kapazitäten durchlaufen in diesem (hier: ökonomischen) Sinne wechselhafte Karrieren der Anrechnung. Existentielle Krisen befördern derlei Neuberechnung.Footnote 69

Zur Mobilisierbarkeit apparativer Kapazitäten

Folgen wir Karin Knorr-Cetina in ihrer Mikrofundierung wissenschaftlicher Erkenntnisfabrikation im Labor oder Anna Tsings Diagnose symbiotischer Selbstheilungskräfte, dann erweisen sich Apparate als kapazitär in ihrer Überfülle. Oder anders: Die stabilisierte, je situierte Problemarbeit beruht auf einem Maß an Eigenkomplexität und Eigenleben. Hierin liegt die Spannung zwischen Kapazität und Mobilisierbarkeit, denn der Eigensinn der Apparate begründet und behindert zugleich die gesellschaftliche Anordnung. Ich möchte im Folgenden weitere Erwägungen anschließen, die die Frage der Mobilisierbarkeit tangieren. Sie sind für eine empirische Gesellschaftsdiagnose apparativer Kapazitäten grundlegend. Die Erwägungen deuten an, wie das differenzierte analytische Vokabular aus Apparaten und Apparatur ergiebige empirische Fallstudien wie eine analytische Kasuistik anregt.

Zwischen Überdeterminierung und Eigenmacht

Diagnosen negieren Schätzungen von Kapazitäten, wo Apparate, wie im Fall der von John Law analysierten Dreimaster, einer Herrschaft – oder, analog bei Max Weber, einer programmierten Bürokratie oder bei Karl Marx einem profitmaximierenden Konzern – einverleibt sind. Der lokale Betrieb erscheint dann immer schon als eingespannt in ein ausgreifendes und feingliedriges Dispositiv. Die »portuguese vessel« oder die »Plantage« wären dann auf nur eine Funktion ausgelegt: ein mono-, kein multipotenter Apparat. Derlei Betriebe stünden ganz im Schatten ihrer übergeordneten Aneignung. Wie lässt sich verhindern, dass die kritisch naheliegende Diagnose einer Überdeterminierung der Apparate nicht per se ihre vielseitigen Kapazitäten negiert?

Überdeterminierte Apparate sind weder eigensinnig noch eigenmächtig. Sie sind eindimensional, ausgedünnt, kolonisiert, durchrationalisiert. Als solche bedürfen sie keiner eigenen Praxis- und Feldforschung: Es genügt, die allgemeine Struktur zu kennen, die sich ihrer bedient. Entsprechend verstehen Bourdieu und Wacquant einen Apparat als »pathologischen Zustand« der sich einstellt, wenn in einem Feld alle Widerstände niedergeschlagen sind.Footnote 70 Derlei Vereinheitlichung legt auch der Begriff des Staatsapparats nahe. Die kritische StaatstheorieFootnote 71 etwa analysiert »den Staat« als einheitlichen Apparat, der all seine Organe letztlich am Klassenkampf ausrichtet. Althusser bezieht diese Vereinheitlichung auf die ideologische Naturalisierung der Herrschafts- und Gewaltverhältnisse. Hier wären wiederum alle internen Differenzen »pathologisch« getilgt.Footnote 72

Als Mittel zur souveränen ›Gleichschaltung‹ der Kapazitäten gilt die Erklärung des Ausnahmezustands. Verfügbare Apparate werden dann einer Kriegswirtschaft, einer Ökodiktatur, einer Armutsbekämpfung unterworfen. Der bei Carl Schmitt konstatierte und poststrukturalistisch kritisierte Kern souveräner Gewalt erscheint allerdings mindestens zweischneidig. Sollen wir den Ausnahmezustand per se und ausschließlich, entlang einer »Kritik der Souveränität«, als bloßes Machtmittel einordnen?Footnote 73 Sollten wir ihn nicht zumindest als Antwort auf eine gegenwärtige Problemlage historisieren? Es wäre dann just im historischen Moment einer umfassenden Ermächtigung, dass die die Ausnahme erklärende Zentralgewalt selbst fraglich wird. Sie droht im Ringen mit den überbordenden Problemen zu unterliegen. Verloren geht im Ausnahmezustand ja gerade die Selbstverständlichkeit des Normalzustands, in der eine ›hintergründige‹ Herrschaft gar nicht erst in Erscheinung treten müsste.

Eine Konfliktsoziologie würde hier stärker differenzieren. Sie rechnete, trotz oder gerade wegen der »Monopolisierung der legitimen symbolischen und physischen Gewalt«, mit Auseinandersetzungen innerhalb des Staates und hier zwischen den eingefassten Apparaten.Footnote 74 Der Staat erscheint nicht als Block, sondern als Arena von Kämpfen um die Anordnung und Ausrichtung der Apparate wie ihrer Aufgaben und Probleme.Footnote 75 Eine Analytik der Kämpfe begreift den Staat entlang ›seiner‹ eigenmächtigen Apparate mit ihren Fliehkräften und Fragmentierungen – und damit konträr zu Reifizierungen des Staates per Staatskritik. Sie erlaubt es, apparative Kapazitäten jenseits einer angepeilten Überdeterminierung zu schätzen. Versuche der Einordnung der Apparate in eine Apparatur wie den Staat bleiben demnach stets voraussetzungsvoll, vorläufig und unvollkommen.

Die Überdeterminierung der Apparate wäre damit eine Strategie, die eine Formation von Apparaten einem maßgeblichen Kalkül unterwirft. Das strategische Kalkül fungiert dabei nicht nur als Schauseite einer Kampagne, sondern wirkt womöglich bis hinein in die praktischen Vollzüge. Alles Tun wäre dann Teil eines Apparate-übergreifenden Getriebes. Die Kasuistik der Apparate zielt demgegenüber auf ein Unterscheidungsvermögen, das die Fall-Varianten zwischen der Eigenmacht der Apparate und einer Übermacht der Apparatur erfasst. Quer zu den Fällen ließen sich allgemeine Tendenzen im Lichte der je gegenwärtigen existentiellen Fragen historisch einordnen.

Die Anordnung der Apparate in Markt und Staat

Das Begriffspaar Apparat/Apparatur erlaubt es, die historische Zusammenstellung eines Dispositivs sowie die Beiträge und Widerstände der zusammengestellten Apparate zu rekonstruieren. Apparate, so die Arbeitshypothese, gehen nur in Grenzfällen in der Apparatur auf; sie bewahren ein Maß an Eigenmächtigkeit, schon um ihre Kompetenzen mit Kapazitäten in der Sache zu begründen. Als Apparatur verstehen wir also, im Sinne der »extended case studies«, eine kontingente Mobilisierung, die lokale Apparate auf allgemeine Fragen auszurichten sucht.Footnote 76 Eine Apparatur einzurichten, erscheint aus der vorgeschlagenen Perspektive und angesichts drängender Fragen schwieriger, als es die herrschaftskritische Dispositivanalyse impliziert. Die heuristische Staffelung von Apparat und Apparatur erschließt, entgegen »flacher Ontologien«, gerade die ›Höhen und Tiefen‹ der gesellschaftlichen Mobilisierung angesichts drängender Fragen.Footnote 77

Die aktuelle Corona-Pandemie wäre eine solche »Dringlichkeit«,Footnote 78 die eine ganze Phalanx an Apparaten auf den Plan ruft: Intensivstationen mit ihren Behandlungskapazitäten, Labore mit ihren Testkapazitäten, Fabriken mit ihren Produktionskapazitäten (für medizinisches Equipment wie Beatmungsgeräte, OP-Masken oder Schutzanzüge), etc. Die Zusammenstellung des Dispositivs setzt diese Anerkenntnis von Kapazitäten voraus, die an verschiedene Apparate anknüpft und sie zur konzertierten Antwort einspannt. Diese Sicht auf die Anordnung der Apparate erlaubt es, Dispositive – v. a. mit Blick auf neue Prüfungen – als unvollkommen, überholt, angreifbar oder prekär zu betrachten. Forderungen nach dem Vorsorgestaat oder nach der staatlichen Einhegung des Marktes machen hier bedrohliche Steuerungsdefizite geltend. Die Corona-Pandemie führt darüber hinaus, als globales existentielles Problem, in eine folgenreiche Systemkonkurrenz der verschiedenen – autoritären bis liberalen – Staatsmodelle, als verschiedene Modi der Indienstnahme und Mobilisierung apparativer Kapazitäten. Hinzu treten Apparaturen, die jenseits des Staates in Anschlag gebracht werden.

Nicht nur der Staat, auch der Markt weckt den kritischen Verdacht einer Auszehrung apparativer Kapazitäten. Märkte vermögen, unterschiedlich durchdringend, Unternehmen, ihre Apparate und deren Produktivkräfte mittels Accounting mehr oder weniger effizient durchzurationalisieren. Dies insbesondere dort, wo sie vermittels des internen Controlling quasi-existentielle Probleme der Marktkonkurrenz durchsetzen. Das Überleben am Markt wird selbst zum maßgeblichen Bezugsproblem: eine ›betriebliche‹ Existenzfrage, die alle Verausgabungen bindet. Derart überbietet die kapitalistische Konkurrenz mit ihren unmittelbaren Notwendigkeiten das zunächst nur mittelbare Drängen der existentiellen Fragen.Footnote 79 Mit der Radikalisierung globalisierter Märkte entbinden Deregulierungen die Wirtschaftsakteure von Rücksichten, etwa der sozialen Sicherung oder der ökologischen Nachhaltigkeit. Die Intensivierung von Ausbeutung (der Arbeitskraft) und Plünderung (natürlicher Ressourcen) wird den Konkurrent*innen zur Überlebensfrage. Abgestimmte Marktregulierungen suchen demgegenüber die ›Kräfte des Marktes‹ im Lichte gesellschaftlicher Probleme zu bändigen, ja auf diese anzusetzen: indem Rechenschaften abverlangt, Allgemeingüter bepreist oder Vernutzungsschranken gesetzt werden. Märkte sollen so nicht nur überkommene Geschäftsmodelle diskriminieren, sondern neue Antworten auf existentielle Fragen provozieren.

Die Kasuistik apparativer Kapazitäten behandelt die Apparaturen von Staat und Markt empirisch differenziert, indem sie deren Wirkungen auf den apparativen Betrieb fokussiert. Welche Kräfte entfesseln die regulierenden Anordnungen? Wie wirken sie auf die Entwicklung ›innovativer‹ Problemarbeiten? Eine problemgetriebene Transformation fahndet in diesem Sinne nach tauglichen Disponierungen von Kapazitäten auch jenseits von Formen der Staatlichkeit und Marktregulierung.Footnote 80 Die umkämpfte, transformative Ausrichtung der Apparate forciert ein Kalkül ihrer Aneignung als gesellschaftliches Vermögen. Sie sucht sich dieser Kapazitäten unter dem Eindruck der drängenden Fragen zu bemächtigen.

Schluss: Apparate, Apparaturen und die Vergesellschaftung existentieller Fragen

Ein Gemeinwesen, das sein Vermögen apparativer Kapazitäten mobilisiert und auf die sie bedrängenden existentiellen Probleme ansetzt, erscheint aus liberaler Perspektive als radikal, gar als demokratiefeindlich. Anderen gilt es als »Erfindung des Politischen«,Footnote 81 wieder anderen als eigentliche Bestimmung des Kommunismus.Footnote 82 Die Substanz der existentiellen Mobilisierung sind die Apparate vor Ort wie deren Verknüpfung in abgestimmten Kollaborationen. Unsere Hinwendung zu den Apparaten ist also eine doppelte: Sie ist zunächst mikroanalytisch, wo sie die Betriebe selbst in dichten Beschreibungen erschließt, um deren Kapazitäten zu schätzen; sie ist makroanalytisch, indem sie die Prüfung und De-/Mobilisierung dieser Kapazitäten angesichts existentieller Probleme diagnostiziert.

Apparate sind, so die Ausgangshypothese, vielseitig kapazitär und darin auch mobilisierbar. Die behandelten drei Einstiegsfälle erweisen sich als instruktive Varianten einer Kasuistik der Apparate: Laws »portuguese vessels« als zentrale Voraussetzung kolonialer Herrschaft; Knorr-Cetinas Labore als soziokulturell angelegte Gelegenheitsstruktur, die Probleme und Lösungen zusammenführt; Tsings Ökologien schließlich erinnern daran, wie verläßliche Wirksamkeiten an Orte gebunden und anderweitigen Verwertungen entzogen werden. Die genannten Apparate erweisen sich als Varianten in verschiedensten Hinsichten und laden zu weiteren Spekulationen und Fallstudien ein.

Eine dramatische Bewandtnis gewinnt unsere Analytik im Lichte der gegenwärtigen existentiellen Prüfungen: Apparate gelten mal als Teil der Lösung, mal des Problems, als Gegenstand der Mobilisierung oder Demobilisierung – und in Abschwächung dieser Binarität, als mehr oder weniger transformierbar. Die Binarität, wie sie in vielen Kritiken und angestachelt durch die drängenden Probleme in den Vordergrund tritt, wird außerdem durchkreuzt, wo apparative Kapazitäten gleich von mehreren existentiellen Problemen geprüft werden: von der Pandemie, der Klimakrise, den Kriegen, der sozialen Frage oder auch von der quasi-existentiellen Frage des Marktgeschehens, die dem Gemeinwesen zur maßgeblichen ›Natur‹ geworden ist. Apparate werden in der Multi-Krise zu Problem und Lösung, zur Belastung und zum Mittel.

Das Studium der Apparate findet in den existentiellen Fragen und den gesellschaftlichen Mobilisierungen seine makroanalytischen Bezüge. Es bleibt dabei, als Feld- und Diskursforschung, zuerst auf die Bedingtheiten der apparativen Kapazitäten verwiesen. Bedingt sind Kapazitäten im unhintergehbar situierten Betrieb der Apparate, im tagtäglichen Ringen mit den Gegenständen, in der Operationalisierung der Problem- als Objektarbeit, in der aufwendigen Kultivierung von Methoden und Arbeitsweisen. Ist nicht angesichts all dieser praktischen Bedingtheiten die positive Hinwendung zu den Apparaten ein hoffnungsloses, machtanalytisch naives Unterfangen? Ist sie dies nicht umso mehr, wenn die Apparate eh schon mit allerlei bürokratischen oder marktförmigen Aufgabenstellungen belegt sind?

Eine kritische Praxeologie der Kapazitäten klammert diese Vorbehalte ein, um ihre Analytik im Hin und Her zwischen gegenwärtigen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu entfalten. Sie überführt die generalisierte Machtkritik, die Apparate und Apparaturen allzu leicht gleichsetzt, in eine Analytik zu mobilisierender Kapazitäten. Sie wird von dichten Fallanalysen der Apparate getragen und durch das Drängen der existentiellen Probleme motiviert. Beide Seiten des Wandels, das aktuell Mögliche wie Notwendige, fußen dabei ihrerseits auf apparativen Kapazitäten und ihrer Anordnung in Apparaturen. Die Kritik wäre damit mehr als Ethik oder Haltung; sie wäre mehr als theoretische Distanzierung oder Besserwisserei. Sie wäre zuallererst selbst als Forschungsapparat von den existentiellen Problemen auf die Probe und infrage gestellt. Sie gäbe die sichere wie zynische Distanz zu den Bedrohungen auf, die sich vielerorts bereits als Zerstörung manifestiert und die Abhängigkeit von apparativen Kapazitäten zunehmend vor Augen führt.