FormalPara Verwaltungsreform

1.

Verwaltung verwaltet, d. h. sie arbeitet nach Regeln für die Implementation von Regeln (Gesetzen).

2.

Regeln regeln: sie lassen keine Lücke, keine Spielräume, keine Interpretationen zu.

3.

Verwaltungen sind Systeme vollständiger Verträge, bzw. der Fiktion vollständiger Verträge.

4.

Zur Sicherung der Vertragsvollständigkeit dienen Zeichnungsketten: Jeder Vorgesetzte (wie der Vorgesetzte des Vorgesetzten etc. pp.) unterzeichnet den Vorgang, damit er allseitig gesichert und dadurch komplett wird.

5.

Aus dem geregelten Sicherungsdenken der Organisation der Verwaltung heraus können neue Aufgaben nur durch neue Stellen bearbeitet werden, die wiederum klassisch durch Zeichnungsketten (damit Vorgesetztenstellen) gesichert werden.

6.

Die Arbeitsteilung in Verwaltungen arbeitet nach dem Prinzip der Vollständigkeit der Vorgänge (der Aktenvorgänge) innerhalb einer Zeichnungskette.

7.

Flexibilität – das Herausnehmen von Stellen aus den Arbeitsregeln oder die Annahme von neuen Aufgaben – durchbricht die Regelhaftigkeit, die mit der Sicherheit der Aufgabenerfüllung begründet wird, als eine Form von Gesetzestreue.

8.

Das ist das Wesen der Verwaltung: gesetzeshaft zu arbeiten, als Modell der Gesetze bzw. ihrer Erfüllung, als Nichtabweichung. Oder, um es genauer zu sagen: als Fiktion ihrer interpretationsfreien Erfüllung, spielraumfrei.

9.

Jede Flexibilisierung rückt die Verwaltung in eine andere Organisationsform: in die Form eines Managements, das unvollständige Verträge managed. New Public Management (NPM) bringt Irritation in die Verwaltung, weil darin zwei Maximen kollidieren: Regelbefolgung versus Aufgabenflexibilität. NPM macht die Verwaltungen paradox.

10.

Die Funktion der Vollständigkeit der Verträge in Verwaltungen spiegelt sich in der arbeitsrechtlichen Vollständigkeit: Der Arbeitsvertrag ist ein Lebensvertrag, der vollständige Bezahlung bis zum Tode beinhaltet: Pensionen. Der Inhalt dieses Arbeitsvertrages lautet: Beamtenschaft.

11.

Formen der Reorganisation von Verwaltungen können keine Substitutionen sein, da das Regelbefolgen als Gewährleistungsaufgabe bleibt; es kann nicht um die Erweichung von Gewährleistung gehen, sondern um seine Modifikation, d. h. um die Änderung des Regelprocedere, nicht um seine Aufhebung.

12.

Bevor der vollständige Vertrag final als Aktenvorgang schließt, muss er sich prozessual zuvor öffnen: als Kommunikation und Erörterung von Kontext, Relationen und Alternativen.

13.

Verwaltungen müssen sich vom Prinzip der Zuständigkeit und Fachlichkeit trennen, um ihre Projekte einschätzen und beurteilen zu können, bevor sie sie final als Akten schließen.

14.

Die Öffnung als 1. Schritt bedeutet, Optionen zu gewinnen oder sich generieren zu lassen, um in diesem erweiterten epistemischen Feld sich die Fachaufgaben zu suchen, die im 2. Schritt dann fachintern geschlossen werden.

15.

Das Problem der Verwaltung in dynamischen Wissensgesellschaften ist nicht ihr Modus des Regelbefolgens, sondern dessen Ausschließlichkeit. Eine über die epistemische Öffnung generierte Regelhaftigkeit kann als Einführung sozialer Intelligenz in Verwaltungsorganisationen bezeichnet werden.

16.

Das ist durch Führung weniger zu erreichen als durch Reorganisation: Die Säulen (Fachlichkeiten) der Verwaltungen werden über eine Matrixorganisation neu arrangiert. Matrixorganisation bedeutet: horizontale Verschränkung der vertikalen Säulen.

17.

Damit senken wir den Reformaufwand auf der einen Seite: Verwaltungen bleiben so wie bisher organisiert.

18.

Andererseits ändern wir die Organisation, indem die Säulen quer zu ihrer fachlichen Selbständigkeit projektweise verkoppelt werden, wo Kopplung Sinn macht.

19.

Das heißt: die Verwaltungsreform so konservativ wie möglich durchführen, aber als Reform: als Netzwerkorganisation, die fachlich-vertikal wie transdisziplinär-horizontal zu arbeiten in der Lage ist.

20.

Die vertikale Fachlichkeit bleibt der alten Regelhaftigkeit verhaftet; die horizontale Transdisziplinarität eröffnet die Option, temporär-projektweise zu arbeiten, als Unterbrechung der Regel, ohne selber eine neue auszubilden. Die Organisation bekommt somit eine neue Instabilität.

21.

So vermeidet die Verwaltung ihre gewöhnlichen Reproduktionsmuster: für neue Aufgaben neue Stellen, neue Verwaltungen, also neue Regelhaftigkeiten zu generieren. Die horizontal organisierten Projekte lassen Aufgabenflexibilisierungen zu, ohne die Verwaltungsstruktur und ihre Regelhaftigkeiten sui generis aufzuheben.

22.

Das ist Verwaltungsreform ohne Verwaltungsreform: Man flexibilisiert sich auf der Basis der Beibehaltung der alten Verwaltungsstrukturen. Die neue Flexibilität ist eine Modulation der alten Regelhaftigkeiten, mit temporären Exzeptionen.

23.

Alles, was völlig neu organisiert werden muss, vor allem effizienter, wird ausgegliedert: in den Raum der öffentlichen Unternehmen, oder gänzlich privatisiert.

24.

Somit haben wir es mit drei Bewegungen zu tun im Dynamikgeschäft der Verwaltungsreform: a) mit der Konsolidierung der Verwaltungen als Verwaltungen im Kernbereich, b) mit der Flexibilisierung dieser Verwaltungen im temporären Projektmanagement und c) mit der Ausgliederung der effizienzangeforderten Bereiche in den Raum der öffentlichen Unternehmen oder gänzlich in den Markt.

25.

Aber wie geht das: ausgliedern?

FormalPara Ämtergewinn

1.

Unternehmen in Märkten erwirtschaften Gewinn, den sie investieren. So wächst die Wirtschaft über Wertschöpfung.

2.

Organisationen in non-markets: z. B. staatliche oder kommunale Verwaltungen, erhalten Ämter, die sie politisch zugewiesen bekommen haben. Die Zuweisung läuft – über Budgets – von außen; die Bestätigung wird von innen betrieben (Sachargumente und politische Vernetzung mit der Politik).

3.

Die Politik verabschiedet Gesetze; deren Umsetzung betreibt die Verwaltung/Bürokratie.

4.

Jedes neue Gesetz muss folglich, wenigstens implizit, die Frage mitbeantworten, wer seine Umsetzung bearbeitet, d. h. wer in der vorhandenen Verwaltung die durch das Gesetz anfallende Arbeit erledigt. Da Verwaltungsleitung kein Effizienzmanagement betreibt, heißt die Standardlösung: pro neuem Gesetz eine neue Verwaltung. Mindestens eine oder mehrere Stelle/n.

5.

Die vorhandene Verwaltung achtet darauf, nicht mehr belastet zu werden. Die Erhaltung des status quo ist eine Angelegenheit der Beamten/Verwaltungsangestellten (plus Personalrat). Sie wollen weder umgesetzt werden noch zusätzlich belastet werden. Verwaltung/Bürokratie arbeitet über Arbeitsverschiebung = in noch mehr Verwaltung.

6.

Die Leitung der Bürokratie hat Interesse an Karriereoptionsausweitungen. Die Erhöhung der Leitungsspanne weist mehr Macht aus. Deshalb lautet die governance-structure wie folgt: maximiere die Aufgaben = jeweils neue Verwaltungseinheiten = maximale Macht.

7.

Bürokratieleitung sinnt auf Extension qua Machtausweitung; die Verwaltung selbst sinnt auf Erhaltung des status quo, was zur Folge hat, dass neue Aufgaben neue zusätzliche Verwaltungen/Stellen benötigen (was der Leitung wieder zupasskommt).

8.

Bürokratien akkumulieren Ämter, Unternehmen generieren Gewinne und akkumulieren Kapital.

9.

Ämter sind nicht kapitalisierbar, wohl aber Karrieren in Ämterbürokratien. Dazu müssen aber genügend Ämter vorhanden sein (und zwar stellenkegelhaft: um höhere Ämter zu vermehren, müssen untere Ämter vermehrt mitvermehrt werden. Kein höheres Amt ohne proportionalen Unterbau bzw. veritable Leitungsspanne).

10.

Ämter sind die ›Profite‹ der Bürokratien (die sie der Politik abgewinnen). Eine Bürokratie leistet zweifach: 1. das, was ihr aufgetragen ist und 2. ihre Emergenz.

11.

Dieses zweite Spiel ist ein Umverteilungsspiel: die Politik definiert Gesetze, die erfüllt werden müssen. Dazu ist Bürokratie nötig, und zwar pro neuem Gesetz eine neue Bürokratie (New Public Management versucht, diese Maxime zu revidieren. Pro neuem Gesetz nicht unbedingt eine neue Bürokratie. Die alte müsse nur besser organisiert werden. Wer hat Interesse an der Realisation dieser neuen Maxime? Who triggers the problem?).

12.

Wenn die Politik definiert, wie viel Bürokratie zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben nötig ist, wird sie mit Reduzierungen scheitern, wenn die Governance der Aufgabenerfüllung (bzw. Gesetzesimplementation) bei der Bürokratie bzw. ihrer Leitung liegt. Die Leitung der Bürokratie entscheidet die Leistungseffizienz nach bürokratischer Arbeitsteilung: pro Aufgabe ein spezifisches Set an Bürokratie (+Leistungsfunktion). Damit erhöht sie die Menge der Karriereoptionen innerhalb der Bürokratie.

13.

In Kombination der Vernetzung der Bürokratie mit der Politik über Parteien haben die Leitungen der Bürokratie Einfluss auf das Implementationsmanagement.

14.

Umgekehrt haben die Politiker durch den Extensionsmechanismus (1 neues Gesetz = 1 neue Bürokratie) wiederum Einfluss auf die Bürokratie: Sie können ihr Versprechungen machen und sie erfüllen helfen (durch Nicht-Bürokratieabbau).

15.

Neue Aufgaben bedeuten: neue Ämter. Umgekehrt ist Bürokratieabbau eine Gefährdung des eingespielten Politik-/Bürokratienetzwerkes. Wenn zudem viele Politiker aus Bürokratien kommen, gibt es in der Politik keinen Grund, Bürokratie abzubauen, weil die Bürokratenpolitiker wieder zurückkommen wollen (und zwar auf Karrierestellen).

16.

Politiker kämpfen ebenso um Ämter: in der Politik (in den Warteschlangen der Seilschaftsopportunismen) wie vor allem um die Seitenausgänge: um bei Versagen oder Abwahl in Ämter im Politikumfeld zu kommen: kommunal in Vereins-, Stadtwerke- etc.- Vorstände; in Verbandposten, politische Stiftungen, Politikberatungen, Aufsichtsgremien etc.

17.

Outsourcing ist eine Form, in der Politik und Bürokratie kooperieren, um 1. Stellen zu erhalten, die innerhalb der Bürokratie als Bürokratie nicht mehr zu halten sind, und 2., um neue Stellen zu schaffen (neue Leitungsstellen, Aufsichtsstellen, Koordinationsstellen). Möglicherweise ist PPP (private–public-partnership) kein Effizienzgenerator, sondern eine Methode der Bürokratieemergenz: je mehr Teile aus dem Staat/den Kommunen ausgegliedert werden, um so mehr höhere Ämter werden gebraucht zur Koordination/Governance/monitoring/Supervision/auditing der ausgegliederten Stellen/Einheiten.

18.

Das bedeutet: 1. outsourcing (und PPP) ist eine Form der Bürokratieemergenz, die höhere Ämter kreiert (und untere durchaus abbaut). Insbesondere ist sie 2. eine Form, die nicht nur der Bürokratie, sondern der sie stiftenden Politik Ämter beschert, die für den Seitenausstieg notwendig sind. Politik und Bürokratie arbeiten beim outsourcing/PPP zusammen; sie bilden eine ›natürliche Kooperation‹ in der Logik der Ämter, um die Ämteremergenz voranzutreiben.

19.

Zum Beispiel Auditing, nicht als temporäre Bürgerbewegung, sondern als Installation von Ämtern, außerhalb der üblichen Bürokratie. Es geht um die Schaffung unkonventionaler Ämterarenen: outspaced, aber politikfinanziert.

20.

Auditing und Monitoring etc. sind informale Bürokratien, die zunehmen, weil der Koordinationsaufwand komplexer Politik zunimmt, ohne dass der Staat noch traditionell die Rolle des managements übernehmen kann. Sie sind aber zugleich auch Medien der Ämteremergenz (nicht identisch, wenn auch strukturaffin der Bürokratieemergenz).

21.

Auditing wie Monitoring können durch Behörden (Bürokratie), durch outplaced Agenturen, oder durch NGO’s wahrgenommen werden. NGO’s sind (manchmal) politikunabhängige Foren, die sich selber (durch Medienarbeit + Vereinsbeiträge) finanzieren. Ihre Logik, Aufmerksamkeit zu erzeugen, die gewisse issues politiksensibel macht, um damit Drohpotentiale in prekären Politikszenarien auszubeuten, kann dann durch Abkauf der Drohpotentiale in den gewöhnlichen politischen Finanzierungszirkus übernommen werden (gewöhnlich durch Kooperationsangebote und Ämtervergabe an die NGO-Kader).

22.

Bürokratieabbau bedeutet: Ämterverlust. Deshalb erfindet ›Bürokratieabbau‹ als Programm eher ein Amt für ›Bürokratieabbau‹, als Bürokratie abzubauen.

23.

Deshalb wird Bürokratieabbau nicht im Kerngeschäft der Verwaltung geschehen, sondern durch outsourcing, durch Verschiebung von Verwaltungen und ihren Services in den öffentlichen Raum, vornehmlich in der Form der öffentlichen Unternehmung.

24.

Ämter kann man, mit den Pensionierungen, auslaufen lassen, weil keiner, der aktuell ein Amt hat, davon betroffen sein wird. Aber für die Leitungen bedeutet es Karrierepotentialeinschmelzung. Deshalb erfinden sie neue Ämter. Wenn sie keine Ämter vermehren können, erfinden sie Zwischenwelten: zum Beispiel im outsourcing, im PPP-Bereich etc.