In seiner Lektüre von Bruno Latours Ethnographie des Rechts befragt Stefan Nellen Latours Unterscheidung von Recht und Verwaltung. Für diesen sei es »das Gebot der Verwaltung, Dinge zu realisieren«,Footnote 1 während das Recht dieser verwirklichenden Macht eine Grenze setze, indem es vor das eigene Urteilen das Zögern setzt: »Ohne Zögern kein Recht – man hätte nur klassifiziert, verwaltet, organisiert.«Footnote 2 Figur dieser Unterscheidung von Verwaltung und Recht ist in der Rechtsfabrik der Revisor. Er nimmt sich in einer von Latour geschilderten und von Nellen aufgegriffenen Szene den wirklichkeitssetzenden Akten der Verwaltung an, nur um diese in einen Zustand der Uneindeutigkeit zurückzuversetzen, in dem über ihre Rechtmäßigkeit entschieden werden kann.Footnote 3 Die Tatsachen, die die Verwaltung zuvor gesammelt, dokumentiert und zur Grundlage einer Entscheidung gemacht hatte, werden von dieser überprüfenden Person den Akten entnommen, und ihre Gültigkeit wird durch alternative Anordnungen hinterfragt. Das Zögern des Revisors ist die Bedingung seines Urteils; die Qualität seines Urteils soll daher von der Gründlichkeit dieses Zögerns abhängen. Die mediale Bedingung dieses Zögerns sind allerdings Akten und Protokolle.

Für Nellen kommen diese Akten und Protokolle sowohl dem Recht als auch der Verwaltung zu, sie bilden zwischen diesen beiden Sphären eine »Zone der Ununterscheidbarkeit«.Footnote 4 Das Zögern, das Latour als charakteristisch für das Recht und die Tätigkeit der Recht-Sprechenden beschreibt, ist in Nellens Rekonstruktion kein Attribut des Rechts. Vielmehr handelt es sich bei diesem Zögern um einen Medieneffekt, der sich der administrativen Sammlung, Protokollierung, Archivierung, also der Dokumentation insgesamt verdankt.Footnote 5 Die Verwaltung produziert aus dieser Perspektive nicht bloß Entscheidungen, die wiederum bestimmte Aufträge realisieren und Wirklichkeit setzen, sondern sie produziert dabei ebenso Fakten, Beratungen, Unterscheidungen: also alles, was der Entscheidung vorgeordnet ist. Diese Nebenproduktion ist es, die die Bedingung darstellt von Deliberation, aber zugleich auch von Revision. Solange Verwaltung an derartige Praktiken und Medien gebunden ist, produziert sie die Möglichkeit von Zögern und Wiedervorlage mit. Den hier geschilderten Zusammenhang von Zögern und Entscheiden möchte ich gerne an der Praxis des Unterschreibens als Verwaltungsmedium ausführen. Dazu möchte ich zum einen den Warnungen vor der vorschnellen Unterschrift nachgehen, die frühneuzeitliche Verwaltungshandbücher geben, zum anderen mit Niklas Luhmann nach der Rolle der Unterschrift als Kristallisationspunkt von Verantwortung fragen.

Dass die Unterschrift unter einem Dokument mit Hemmungen, Widerständen, Verzögerungen verbunden ist, ist anekdotisches Gemeingut wie persönliche Erfahrung. Ein Topos der Verwaltungsliteratur seit Beginn der Professionalisierung fürstlicher Beamtenapparate ist, dass die Unterschrift, gerade weil es sich bei ihr zumeist ›nur‹ um eine Formalität handelt, zuweilen schwer zu erlangen ist, oder dass sie nur mit Unwillen gegeben wird. Erlebt und beschrieben hat diese Professionalisierung beispielhaft Friedrich Karl von Moser, Zeitgenosse Goethes und Sohn von Johann Jakob Moser, dem vermutlich produktivsten Autor und Systematisierer der Rechtswissenschaft im frühneuzeitlichen Reich Deutscher Nation. In seinem Fürstenspiegel Der Herr und der DienerFootnote 6 sammelt Friedrich Karl von Moser die Lehren seines eigenen Beamtenlebens und versucht gleichermaßen, verbeamtete Kollegen wie fürstliche Vorgesetze durch positive wie negative Beispiele zur besseren administrativen Arbeit anzuleiten. Entscheidendes Problem dieser administrativen Arbeit ist das zu regelnde Verhältnis von Fürst*in und Kanzlei. Die Aufgabe des Beamtenapparates ist es, ihren Vorgesetzen den allzu mühsamen Umgang mit dem alltäglichen Schriftverkehr zu ersparen, während er gleichzeitig in seinen Außenbeziehungen, im Umgang mit Bittstellenden und der Landesbevölkerung auf die sich mittels schriftlicher Medien übersetzende fürstliche Autorität angewiesen ist. Der richtige Kontakt zwischen Verwaltung und Fürst*in ist eine Frage des rechten Maßes. Von Moser warnt vor Herrschenden, die ihre eigenen vier Wände mit Aktenschränken dekorieren nicht weniger als vor denjenigen, die sich nur mit Mühe in die Kanzlei bewegen lassen.Footnote 7 Auf Seiten der Beamtenschaft erfordern die Schwierigkeiten dieses Umgangs als zentrale Tugend immer wieder: Geduld. Im Umgang mit den Untertanen, den Kollegen und nicht zuletzt der Herrschaft; beispielsweise wenn deren Unterschrift auf sich warten lässt:

»Man kann einen Fürsten nicht verklagen, wann er anstatt sein Land zu regieren, lieber in den Krieg zieht; man muß zufrieden seyn, wann er lieber mit den Hunden als mit den Referendarien spricht; man muß es in Gedult tragen, wann die Sachen, so seine Unterschrift erfordern, um der Maitresse, um eines fremden Mahlers, ja um einer Drehbank willen Monate lang ununterzeichnet liegen bleiben; ist es aber rühmlich?«Footnote 8

Wenn er als Beamter seinen Dienstherrn schon nicht verklagen kann, baut von Moser zumindest seine Hoffnung auf die Wirkung des schlechten Beispiels und zitiert aus Bernhard Freydingers Beschreibung seines Dienstherrn, des Herzogs Heinrich von Sachsen. Als Beschreibung des Ausmaßes an Unwillen, der von Herrschaftsseite bisweilen allem Schriftlichen entgegengebracht wird, möchte ich dieses Zitat auch hier aufgreifen:

»[S]onderlich, wann er Briefe sollte unterschreiben, welches doch gar selten und alleine in solchen wichtigen Sachen geschehe, da mans nicht umgehen konnte, war er gar unwillig und sagte: Er wollte lieber alles thun, als schreiben. Und ich mag mit Wahrheit sagen, daß ich für meine Person keinen Fürsten gekannt habe, der ungerner geschrieben hätte, habe auch keinen Brief gesehen, den er mit eigner Hand geschrieben hatte […]. Darum mußte man ihm lange nachschleichen, und gar gute Bequemlichkeit suchen, wann er unterschreiben sollte.«Footnote 9

Zwar mag der 1541 verstorbene Heinrich noch einer Generation von Herrscher*innen angehört haben, denen Herrschen und Schreiben noch nicht als selbstverständlich zueinandergehörig erschien, dennoch hätte von Moser die Anekdote wohl kaum in seinen Ratgeber aufgenommen, wenn die Frage nach der Einbindung von Fürst*innen in die Schriftsachen der Verwaltung 200 Jahre später vollkommen unproblematisch beantwortet gewesen wäre. Die Unterschrift in den Verwaltungsangelegenheiten der Frühen Neuzeit ist Ausdruck von fürstlicher Autorität, sie ist dies aber in einem Medium, das nicht das Medium der Herrschenden, sondern eines der ihnen formal Untergebenen ist. Nicht anders als diese schreibt sich die fürstliche Autorität durch die Unterschrift ein in den Verwaltungsapparat. Im Zeitalter der Schriftlichkeit kann sie nicht absolut über ihm thronen, sondern ist auf diesen angewiesen. Der Befehl geht nicht allein von Herrschenden an die Verwaltung, es kommen Forderungen von dort zurück, die formaler und sachlicher Natur sind. Unglücklicherweise für die beteiligten Kanzleiangestellten fehlt es ihnen an Sanktionsmacht gegenüber der fürstlichen Autorität.

In der zur gleichen Zeit wie Der Herr und der Diener verfassten Einleitung zu denen Canzley-Geschäfften von Mosers Vater, Johann Jakob, findet sich für dieses Problem daher ebenfalls keine befriedigende Lösung. Moser rät den Unglücklichen, die mit der Einholung der Bekräftigung beauftragt sind, zur Pragmatik, um ihnen – als der aufrichtige Verwaltungspraktiker, als der sich der Autor entwirft – im gleichen Atemzug von derartigen Tricks abzuraten: »§. 9. Wann Regenten schwer zur Unterschrifft zu bringen seynd, muß man lieber 10. 20. Und mehr Sachen zusammen in Ein Protocoll, oder in Einen Befehl bringen, damit der Herr sich nur einmahl unterschreiben dörffe; ob gleich dise Weise grosse Inconvenientien hat.«Footnote 10

Es erscheint allzu leicht verständlich, warum hier »Inconvenientien« auftreten können. Wer sich als Souverän schon zum Unterschreiben nur schwerlich überreden lässt, wird sich wohl noch weniger zum Lesen der durch die Mehrzahl der Angelegenheiten angewachsenen Akte bringen lassen. Auch wenn die Unterschrift rechts- und verwaltungshistorisch gerade diesen Vorteil hat, die Kenntnis des Unterzeichneten zu signalisieren – und dies durchaus auch dann, wenn zum Durchlesen die Zeit gefehlt hat – ist damit der zukünftige Konflikt vorgezeichnet. Herrschende, die sich durch ihre Verwaltung nicht zur Formalisierung ihres Willens zwingen lassen möchten, werden schwerlich den verpflichtenden Charakter ihrer zwar eigenen, aber quasi unter der Hand erlangten Unterschrift anerkennen wollen.

Alternativ dazu schlägt Moser vor, die Delegation des herrschaftlichen Willens an die Verwaltung ernst zu nehmen und kurzerhand stellvertretend zu unterzeichnen. Aber auch zu dieser Lösung mag er nicht bedingungslos raten: »§. 10. Oder ein Ministre, oder anderer Cabinets-Bedienter, unterzeichnet es ad Mandatum des Herrns: Es ist aber dises allemahl eine vor den Herrn und Bedienten gefährliche Art.«Footnote 11 Auf Befehl zu unterzeichnen, was Befehlende selbst nicht unterzeichnen wollen, scheint in der Tat einen besonderen bürokratischen Mut zu verlangen. Es zeigt sich hier aber auch, dass es vielleicht gar nicht an den Herrschenden liegt, dass sie nicht unterschreiben möchten, sondern dass die Unterschrift im Rahmen der (höfischen) Verwaltung insgesamt eine permanente Quelle der Gefahr darstellt, insofern sie eine Form der Verantwortungsübernahme ist, von der weder Herrschende noch Untergebene wissen können, ob sie diese tatsächlich zu leisten bereit sind oder bereit sein können. Dies tritt schon in der Frühzeit der Verwaltung als ein Problem der Komplexität auf. Unterschreiben und damit Verantwortung übernehmen soll man nur in den Fällen, in denen man wissen kann, worum es geht, für was man im Zweifel einzustehen hat. Diese Verpflichtung der Sache und sich selbst gegenüber soll für den älteren Moser als beamtische Tugend selbst den Herrschaftswillen übertrumpfen:

Ȥ. 51. Es unterschreibet aber billig ein Praesident oder Rath diejenige Sachen nicht, bey deren Resolvirung er nicht mit in dem Collegio anwesend gewesen ist; ausser, wann sie von keiner Wichtig- oder anderen Bedenklichkeit seynd.

§. 52. Auch solle niemand nichts unterschreiben, so er nicht zuvor ganz gelesen hat, man mache auch das periculum in mora so groß, oder preßiere es sonst so starck als man will.«Footnote 12

Dort, wo mit der eigenen Unterschrift keine Konsequenzen verbunden sind, kann sie jederzeit geleistet werden. Das ist aber dort, wo es auf die eigene Unterschrift ankommt, selten der Fall. Nicht nur der ältere, auch der jüngere Moser rät daher zur Vorsicht und verschärft die Warnung seines Vaters sogar noch. Denn die Kenntnis dessen, was zu unterschreiben ist, müsste sich für ihn sogar noch in die Zukunft erstrecken. Schließlich signalisiert die Unterschrift die Verantwortungsübernahme nicht nur in dem Moment, in dem sie geleistet wird, sondern solange das Papier, das sie trägt, in den Archiven auffindbar bleibt. Dieses Moment des Ausgeliefertseins an eine Zukunft, die zwangsläufig uneinsichtig bleiben muss, verleiht von Mosers Warnung ihre eigene Dramatik:

»Sie [höhere Staatsbediente; TR] müssen in gewisser Maasse die Verantwortung der ganzen Sache und Inhalts auf sich nehmen, und, wann über kurz oder lang die Sache anders angesehen wird, so ist diese Mit-Unterschrift Vorwand genug, einen der Ehre des Marterthums theilhaftig zu machen; daher es freylich in mißlichen Fällen auf eines jeden eigene Prüfung ankommt, keinen Schritt dieser Art zu thun, der ihm einmal fatal seyn könnte.«Footnote 13

Das Zögern, das der Unterschrift vorausgeht, scheint angesichts mangelnden Wissens und mangelnder Kontrolle mehr als verständlich. Ob es zu gegebener Zeit auf Seite der untergebenen Beamten korrekt ist zu unterschreiben, ist bereits schwer zu entscheiden, ob es auch in Zukunft korrekt gewesen sein wird, entzieht sich vollends dem Wissen der Beteiligten. Gleichzeitig lässt sich die Unterschrift funktional als administratives Mittel lesen, gerade auch dieses Zögern zu evozieren. Entscheidungen lassen sich schnell treffen, sie werden aber verlangsamt, wenn sie auch formalisiert werden müssen und wenn die Entscheidung nicht in freier Deliberation emergiert, sondern eine Person sich diese Entscheidung konkret und materiell mittels ihrer auch körperlichen Spur zu eigen machen muss. Unterschriften im Apparat dienen dann als Markierung einer Entscheidung, noch mehr aber als Markierung eines Entscheidungsprozesses, der auch anders hätte ausgehen können. Gleichzeitig setzen sie Verantwortliche ein; aber Verantwortliche, deren Verantwortung durch die Umstände ihrer Unterschrift bedingt und eingehegt ist.

Mit einem Sprung in die deutlich jüngere Theorie der Organisation und Verwaltung findet sich die Funktion der Unterzeichnung in diesem Sinne beschrieben bei Niklas Luhmann:

»[E]s ist wesentlich, daß man die Grenze der formalen Verantwortlichkeit genau kennt, so daß man sie nicht in unbeholfener Tapsigkeit, sondern bewußt und mit den notwendigen Sicherungen überschreitet. Im Werdegang eines Entscheidungsprojektes gibt es stets Schwellen, an denen ein formaler Schritt getan, etwas zu Papier gebracht und abgezeichnet, Verantwortlichkeit übernommen werden muß. Einer muß dann formal für die Sache einstehen. So wird es häufig zum Gegenstand besonderer Überlegung, ja gelegentlich ausdrücklicher Vereinbarung bzw. zum Resultat schlauer strategischer Manoeuver, wer letzten Endes zeichnet und damit nicht nur Verantwortung, sondern auch Verantwortlichkeit übernimmt.

Durch diesen formalen Schritt, mit dem jemand sich bereit erklärt, für etwaige Fehler einzustehen, wird eine Art Meilenstein für die weitere Bearbeitung gesetzt, der sozusagen den bisherigen Weg resümiert. Man kann dann bei den weiteren Überlegungen fingieren, daß die Meilenzahl stimmt, daß bis dahin alles gut geraten sei, und braucht nicht bei jedem Schritt wieder die gesamte Vergangenheit der Sache auszuleuchten. Das wird, wie gesagt, dadurch erreicht, daß jemand sich bereit erklärt, für Fehler einzustehen. Das heißt nicht, daß man wirklich für Fehler einstehen und seinen Kopf hinhalten muß. Das kommt praktisch nicht vor. Man ist ja auch mit Ausreden, mit vorbedachten Argumenten für alle Fälle ausgerüstet.«Footnote 14

»Bewußt und mit den notwendigen Sicherungen« soll in der formal organisierten Verwaltung Verantwortung übernommen werden. Das erinnert von ferne an den Rat der beiden Mosers. Die »Schwelle«, die »Sicherung« wird bei Luhmann aber expliziert. Es ist die mediale Formalisierung, die vor »Tapsigkeit« schützt. Etwas muss verschriftlicht und dann auch »abgezeichnet« werden. Das hier von Ab- statt Unterzeichnen die Rede ist (und von Schreiben schon gar nicht) markiert den abrupt finalisierenden Handlungscharakter dieser Formalität. Jemand übernimmt Verantwortung, um im gleichen Moment die Sache loszuwerden. Das Aneignen von Verantwortung geht mit einem Abgeben der Sache einher. Darin liegt das Risiko des Unterschreibens begründet. Die Unterschrift ist ein Mittel, trotz unvollständiger Informationen, trotz erkenntnistheoretischen Unsicherheiten weiterverfahren zu können. Dazu braucht es nur Unterschreibende, die bereit sind, darauf zu wetten, dass die eigenen Informationslücken schon nicht zu Problemen führen werden. Im Vergleich zu der Mater aber, die noch die Moser’schen Beamtensubjekte im Falle der Fehlberechnung ereignet, hat sich die Verwaltung bei Luhmann entdramatisiert. Ihr reibungsloses Funktionieren ist bedeutend wichtiger als das Einklagen persönlicher Verantwortung, daher stellt sie den Verzicht auf Strafe in Aussicht, um das Zögern vor der Unterschrift zu minimieren. Völlig verzichten aber kann sie auf das Zögern, das mit der formalisierten Übernahme von Verantwortung einhergeht, auch nicht. Das Zögern versichert den Entscheidungsprozess. Indem Verantwortung zugewiesen, also personalisiert wird, etabliert sich eine zweite Linie der administrativen Dokumentation. Wer unterschrieben hat, kann vorgeladen und befragt werden, um die Lücken zu erklären, die das formalisierte Wissen der Verwaltung freilassen musste.Footnote 15

Das Zögern vor der formalisierenden Unterschrift fungiert somit als Einbau einer Redundanz in den Verwaltungsprozess und seine Dokumentation. Es ist die Bedingung dafür, dass Sachen zur Wieder- und Andersvorlage kommen können, wie Latours Revisor sie vornimmt. Die Verwaltung ist auf diese Form der Redundanz angewiesen, um im Kontext des Rechts selbst dann entscheidungsfähig zu sein, wenn Situationen unübersichtlich und Informationen unvollständig sind. Der Schritt der Formalisierung schließt eine Sache ab, allerdings im Modus der Vorläufigkeit, und benennt Verantwortliche für den Fall, dass eine Revision der Sache notwendig werden sollte. Das Zögern, die damit einhergehenden Redundanzen und Revisionschancen sind allerdings – wie schon in Stefan Nellens Schilderung der Verwaltung – ein Medieneffekt. Deswegen bleibt an dieser Stelle zu fragen, wie eine Verwaltung unter veränderten medialen Bedingungen auch weiterhin ihr Zögern inkorporieren kann. Denn das Zögern ist nicht zuletzt ein Effekt der papierenen Akte, deren nicht unwichtigste Eigenschaft die ist, dass sie bleibt.Footnote 16 Unterschreibende stellen sich mit ihrer Unterschrift auf ein Nachleben ihrer Entscheidung in Archiven ein (auch darauf verweist schon Friedrich Karl von Moser).Footnote 17 Die Entscheidung zur Unterschrift ist auch deswegen bisweilen dramatisiert, weil sie zumindest potenziell immer schon Nachlass-Politik ist. Eine papierlose Verwaltung, die bei der Unterschrift die körperliche Spur durch einen digitalen Schlüssel ersetzt und die Akte durch automatisiert löschbare Dateien, mag agiler sein und Zögern innerhalb ihrer Strukturen reduzieren. Sie schafft sich damit allerdings neue Probleme der Dokumentation, die technisch leichter zu ignorieren als zu lösen sind.Footnote 18 Vom derzeitigen Stand aus unbeantwortbar muss die Frage bleiben, was eine solche Verwaltung wäre, die nicht immer auch und vielleicht sogar in erster Linie Verwaltung ihrer eigenen Dokumentation ist.