Zusammenfassung
Der Text verhandelt das Zusammenspiel antragsstellender Wissenschaftler*innen auf der einen Seite und Institutionen, die Drittmittel ausschreiben, auf der anderen Seite. Ausgehend von der Frage nach der Gestaltung dieser Texte und den mit dieser »Antragsprosa« verbundenen Textstrategien, verfolgt der Text die These, dass sich neben den bekannten, die Wissenschaften einschränkenden Folgen der Förderungen auch kooperative Elemente finden lassen, die produktiv auf die Entstehung von wissenschaftlichem Wissen einwirken und in dieser Weise in den Bereich wissenschaftlichen Arbeitens gehören.
Abstract
The text negotiates the interaction between applicant scientists on the one hand and institutions that advertise third-party funding on the other. Based on the question of the design of these texts and the text strategies associated with this »language of applications«, the contribution pursues the thesis that, in addition to the well-known consequences of funding that limits science, there are also cooperative elements that can be found to productively further the emergence of knowledge and in this way are part and parcel of scientific labor.
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Anträge sind elementare Bestandteile wissenschaftlicher Forschung. Zwar wird sich empört über den dafür notwendigen Zeiteinsatz und die rigide Struktur der Bearbeitungen, zwar werden die durch sie entstehenden Abhängigkeiten und die umfassenden Auswirkungen auf Hochschulen, Fakultäten und Institute bedauert – doch sie werden geschrieben und natürlich auch begutachtet und verwaltet. Das hat mit den Gewinnen zu tun, die zu erreichen sind. In erster Linie handelt es sich dabei um die Finanzierung von Projekten, Stellen oder Forschungsaufenthalten. Darüber hinaus können jedoch auch weitere Effekte der Forschung und den mit Forschung in Verbindung stehenden Organisationen und Personen zum Vorteil werden. Diesen Eindrücken möchte ich in diesem Text nachgehen.
Das Antragswesen besteht aus verschiedenen Bereichen, in denen in unterschiedlicher Weise Bedeutungen für die Wissenschaft verhandelt werden. Anträge sind Bestandteil von Verfahren wie auch Ausgangspunkt und Grundlage von Projekten. Sie sind aber auch eigenständige Texte, die als solche mehr Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit verdienen.Footnote 1 Ziel ist es hier, diese Antragstexte durch Stationen zu begleiten, um dabei auf Wechselwirkungen aufmerksam zu machen, die das Verhandeln von Relevanz thematisieren. Wie müssen Anträge geschrieben sein, um in festgelegten Verfahren Einfluss zu gewinnen? Welche Arten der Problembeschreibung sind wissenschaftlich und gleichzeitig neu? Welche Anforderung werden an die unterschiedlichen Stellen im Milieu gestellt? Welche personalen Adressen entstehen dabei?
Die Gestalt, also Design, Struktur und auch der Inhalt von Antragstexten werden wesentlich von Ausschreibungen und den für sie gestalteten Verfahren bestimmt. Das Schreiben erfolgt also immer auf einen spezifischen Rahmen hin, zu dem eine Passung erzeugt werden soll. Die im deutschsprachigen Raum wichtigste Organisation wissenschaftlicher Forschungsförderung ist die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG); andere relevante Förderinstitutionen für grundlegende Forschungsförderungen sind Stiftungen, wie die VolkswagenStiftung, Bundesministerien und privatwirtschaftliche Unternehmungen.Footnote 2 Unabhängig von der spezifischen Förderinitiative oder Ausschreibung wesentlich für den Bewilligungserfolg ist die Darstellung als bedürftige Einzelforscher*in, die mit der Darlegung eines konkreten Projektvorhabens einen substantiellen Beitrag zum Fortschritt der Wissenschaft leisten kann.
Damit dies gelingt, ist die Formulierung eines Antrags nötig, der das Vorhaben als Projekt, also als temporär geschlossenen, mit Anfang und Ende versehenen Abschnitt, kennzeichnet. Dieses muss in Unterabschnitte gegliedert sein, die als abarbeitbar, also als umfänglich erreichbar erkennbar gemacht werden sollen. Die Darstellung folgt damit spezifischen Vorgaben einer Ausschreibung, deren formalisierende Rahmung Vorstellungen von dem zeigt, was Forschung sein soll. Risiken, also Projekte, die zu keinen oder anderen Ergebnissen kommen, oder mit unsicheren, unklaren, mithin neuen Methoden arbeiten (wollen), werden von Förderinstitutionen (tendenziell) vermieden. Doch nicht nur das: Die in diesen Antragsverfahren erzeugten Vorstellungen wirken erwartungsbildend und damit auch im epistemischen Sinne auf Forschungsthemen, die vorgeschlagen oder ausgelassen werden.Footnote 3 So verengt sich der Raum der Möglichkeiten zu einem akzeptierten Korridor erwartbarer Forschungsfragen, die in Projekten erarbeitet werden können. Sachlich, sozial, wie auch zeitlich wird Forschung durch Verwaltung geformt. Dazu gehören auch Peer-Review-Verfahren, deren Bedeutung als direkte Zuschreibung von Wertigkeit und indirekte Form der Strukturierung, nicht überschätzt werden kann. Aktuelle Antragsverfahren sind, obwohl diese sich erst in den 1970er-Jahren flächendeckend durchsetzten, ohne Peer-Review-Prozesse nicht zu denken. Ihre Wirkung erzeugen sie dabei nicht allein durch die Begutachtung, auch die Einbettung des Antrags in ein Reviewverfahren wirkt erwartungsstrukturierend. Die Vorstellung, als Antragende einer Institution gegenüberzustehen, die Einlass gewähren soll, erscheint kafkaesk, und gerade deshalb ungemein wirkmächtig. Die Prüfsituation wird zum strukturierenden, das heißt vor allem: wiederkehrenden und daher schon eingerechneten, Ereignis wissenschaftlicher Tätigkeiten. Anträge und Projekte werden daher, notwendigerweise, im Angesicht ihrer und nur im Hinblick auf ihre Evaluation hin geschrieben. Die in diesen Verfahren begrenzte Öffentlichkeit trägt zu asymmetrischen Verhältnissen bei. Mit dem auch verständlichen Argument des Schutzes der persönlich Beteiligten gelingt es der Organisation Politik zu betreiben. Hier treffen sowohl Gutachter*innen wie Antragende im Vorraum einer Macht aufeinander, den sie in ihren Interaktionen aktiv zu ignorieren scheinenFootnote 4 und der auch deshalb keiner offenen Verhandlung unterliegt. Der Einfluss der Förderungsorganisationen bedingt diesen Zusammenhang: Während sich Antragsstellende und Begutachtende anhand eines vorliegenden Textes auseinandersetzen, bleibt die Organisation (scheinbar) unbeteiligt. Gleichwohl obliegt es ihr, den Rahmen zu setzen – durch Ausschreibungstexte, Verfahrensanforderungen und die Auswahl der Gutachter*innen – in den Antragstexte zur Evaluation gestellt werden, die dort von Gutachtenden beurteilt werden. Damit entsteht eine Anspruchsformation, auf die hin Antragstexte zu schreiben sind und die die Grundlage bietet für eine spätere Evaluation. Dabei gilt, übergeordnet, dass es sich bei Anträgen um Gebrauchstexte handelt; sie werden geschrieben, um etwas, nämlich die Förderung eines vorgeschlagenen Projekts, zu erreichen. Sie gehören damit in den autopoietischen Zusammenhang des Wissenschaftssystems, den jeder einzelne Vorschlag – unabhängig davon, ob er angenommen wird oder nicht – fortsetzt.Footnote 5 Um diesen Gewinn, die Förderung, zu erreichen, nutzen sie wie andere (wissenschaftliche) Texte »literarische Strategien«,Footnote 6 die Aufmerksamkeit, Dringlichkeit und Problembewusstsein organisieren. Schrift und Sprache als Medien werden eingesetzt, um in einem spezifischen Antrag eine Projektform zu erzeugen, die auf die selbst aufgeworfenen Fragen antwortet. Bei der vergleichenden Lektüre von Anträgen wird deutlich, dass Ereignisse oder (gesellschaftliche oder politische) Entwicklungen als Anlässe dienen können, um Themen zu platzieren, wie es auch theoretische Auseinandersetzungen gibt, die als Auslöser dienen. Zu jedem Antrag, das lässt sich ebenfalls erkennen, gehört die Vorstellung eines strukturierten Vorgehens, das das Vorhaben als Projekt kennzeichnet. Es wird eine Lücke entwickelt und daraufhin ein Vorhaben beschrieben, das über zeitliche Vorschläge sachliche Fragestellungen mit sozialen Zusammenhängen verbindet. Dies ist die Form, die die Lücke besetzt und wiederum eine neue Leerstelle erzeugt, mit der gewirtschaftet werden kann.Footnote 7 Für dieses Wirtschaften werden im Besonderen reputationsstärkende Verfahren genutzt: Es gibt Möglichkeiten der Positionierung durch Referenzen und die Beglaubigung der eigenen Vorstellung durch Zitation. Beides sind Formen der Beleihung situationsfremder Ereignisse, die mit der Betonung eigener Arbeiten in Antragstexten operieren. Diese Technik kann überhaupt auf Personen und Konstellationen ausgeweitet werden, wenn beispielsweise Forschungsteams oder Institutionen beworben werden, indem vorherige Projekte als Leistungen präsentiert werden. Vorangegangenes wird als Erfolg verbucht und durch die Betonung externer Zuschreibungen (eine Publikation in einem prestigeträchtigen Journal, eine Förderzusage in besonderer Höhe oder bei einem ausgewiesenen Verfahren) gestärkt. In dieser Weise wird die eigene Leistung mit den Rückmeldungen anderer zu reputationsfördernden Formen verstärkt, die, neben dem tatsächlichen Antragstext, Eignung signalisieren. Die Vorleistungen müssen abgeschlossen sein, um in der aktuellen Situation eine Bedürftigkeit anzumelden, die zur Förderung berechtigt. Antragstexte müssen also, nach wie vor, Not kenntlich machen – und zwar in doppelter Hinsicht. Zunächst muss die ökonomische Situation eine Notwendigkeit der Förderung erkennen lassen, also aufzeigen, dass ohne Förderzusage kein Projekt stattfinden würde. Was, und das ist die zweite unbedingt zu vermittelnde Ebene, impliziert, dass das vorgeschlagene Projekt der bestehenden Forschungslandschaft Sinnvolles hinzufügt. Der Projektvorschlag bezieht sich also »auf die Relation von Wissensstand und vorgeschlagener Modifikation oder Erweiterung«Footnote 8 und versucht in diesem Verhältnis etwas »Neues zu profilieren«.Footnote 9 Not und Notwendigkeit sind Chiffren, die in Antragstexten gefüllt werden. Die Orientierung an fremden Überzeugungen führt dabei zu Verschiebungen in der Auswahl von Themen und der Form ihrer Bearbeitung. Diese Sorge formulierte bereits Max Weber in seinem vor mehr als 100 Jahren gehaltenen Vortrag »Wissenschaft als Beruf«,Footnote 10 in dem er den Verdacht äußerte, dass Hochschulen (wie auch die neugegründeten Handelshochschulen) zu »Pfründen« des »Staatsadels«Footnote 11 verkommen würden. »Pfründe« sind, in der Definition Webers, Formen der Teilhabe »am Tisch des Herrn«, ursprünglich im Sinne eines »Naturaldeputats«, also materieller Zuwendungen, dann aber generalisiert im Sinne »approbriierter Renten-, Gebühren- und Steuer-Einkunftschancen.«Footnote 12 Gemeint waren Ämter oder Stellen, die nicht genügend oder kein Einkommen garantierten, sondern nur Einkommenschancen verschafften. Die Gründe dafür, dass solche »zu- und angeeigneten Chancen«Footnote 13 attraktiv sein können, fasst Weber unter der Formulierung einer »Vergebung von Einkünften gegen Gestellung von Heereskontingenten und Zahlung von Verwaltungskosten«Footnote 14 zusammen. Also Drittmittelprojekte, gewissermaßen. Die »Pfründe ist dann nicht mehr der Lehrstuhl, sondern das Projekt«,Footnote 15 schreibt Lehmann, dessen Organisation, zum einen, mikropolitischer Überzeugungen im Vorraum der MachtFootnote 16 bedarf, und – genau deshalb –, zum anderen, das Selbstmanagement der Forschenden anspricht. Die dabei entstehende Konstellation ermöglicht Spielchancen, die jedoch so wenig kalkuliert werden können, dass es sich um Wetten mit hohem Risikoeinsatz handelt. Eric M. Leiffer zeigt, wie entscheidend das Management von Ambiguitäten in dieser Form des Spielens ist: Sich nicht festzulegen ermöglicht die Chance, sich nochmals (nicht) festzulegen, und zwar sachlich wie sozial.Footnote 17 Das ist auch in Antragstexten ersichtlich; dabei geht es ums Ganze, weil nicht nur Schreibende, sondern auch Beurteilende ihre Positionen verlieren und nicht mehr anders können, als sich selbst eine Planke zu suchen.Footnote 18 Genau das bezeichnet das Moment personaler Zuschreibung, wenn Individualität als organisationales, also zu organisierendes und damit soziales Problem verstanden wird. »Individuum ist, wer mit sich rechnen lässt im Raum der bürokratisch beobachtenden, ihre Beobachtungen formalisiert registrierenden Organisationen.«Footnote 19 Dies funktioniert dann, wenn mit Individuum etwas bezeichnet ist, mit dem Organisationen über Menschen hinweg sehen können, wie es forschungsfördernde Organisationen wie die DFG pflegen, wenn sie betonen, wie sehr es ihnen um die Sache (und damit nicht um die Person) geht.Footnote 20 Alle sind verschieden, also gleich. Individualität wird zum Kalkül, zu einer nicht mehr zu beachtenden Kategorie, da sie immer schon vorausgesetzt und »damit nivelliert ist.«Footnote 21 Denn, wenn Individualität einem kommunikativen Kalkül entspringt, ist sie »auch ein Manager«Footnote 22 der Kommunikation, und managt notgedrungen, als Unternehmer*in ihrer selbst, sich in der Kommunikation. Mit hohen Kosten: Zeit für Wissenschaft bleibt dadurch wenig, und auch die viel thematisierten akademischen Freiheiten ziehen neue Blicke auf sich, wenn ihre Rahmung nicht nur sachlich, sondern auch zeitlich und sozial Folgen zeigt.
Doch zurück zu Antragstexten. Gerade aufgrund ihrer grundlegenden Überzeugungsnotwendigkeit, die individuellen Ausdruck in allein zweckorientierten Formen fordert, entsteht ein standardisiertes Procedere. Das betrifft im Besonderen Verfahren wie das Normalverfahren der DFG, das als Standard der deutschsprachigen Forschungsförderung verstanden werden muss. Es ist zu vermuten, dass für die Gutachtenden die Kohärenz des Geschriebenen als Antragstext, also der sinnfällige Aufbau entlang des aktuellen Forschungsstandes hin zu sich daraus ergebenden Fragestellungen und der eigenen Akzentuierung, die dann in ein Forschungsvorhaben mündet, von besonderer Bedeutung ist. Dabei, so auch ein Lehrstuhlinhaber, mit dem ich über diese Themen im Kontext meiner Abschlussarbeit (Originalität auf Antrag. Darstellung von Relevanz und die Entwicklung eines wissenschaftlichen Textgenres, Humboldt-Universität zu Berlin 2019, unveröffentlichte Masterarbeit) gesprochen habe, dürfe »nicht überschätzt« werden, »dass es einfach eine Story sein muss, die überzeugt.« Insgesamt solle ein Antragstext »wie ein guter Roman oder Kurzgeschichte« sein und »Höhepunkte haben«. Die eingeführten »Spielfiguren müssen sich entwickeln oder in Fragen münden«. Die Kohärenz, die kundige Ausführung aktueller Forschungen und die glaubhafte Vermittlung methodischer Kenntnisse sind notwendige Bedingungen, um einen Text als wissenschaftlich zu erkennen. Gleichzeitig reichen sie nicht aus, um die für eine Bewilligung eines Forschungsantrags zu beantwortenden Fragen ausreichend zu klären. Sie sind Hilfsmittel und damit selbst Spielfiguren, deren raffiniertes Arrangement mehr über die aus der Bewilligungsperspektive relevante wissenschaftliche Befähigung auszudrücken scheint als die alleinige Kenntnis bestehenden Wissens. Ihr Ziel sind nicht Erkenntnisgewinne oder Hypothesen, sie bezeugen, wie Maren Lehmann bemerkt, »die Kreditwürdigkeit des Autors – nicht sein Kapital.«Footnote 23 Vielmehr geht es um Darstellungen des Wissenschaftlichen, die sich aus der überzeugenden Kapitalisierung spezifischer Techniken ergeben. Damit meine ich, dass Texte aus sich heraus Beglaubigungsstrategien entwickeln, die spezifische Unterscheidungen nutzen, um etwas anderes zu erzeugen oder zu erreichen. Es geht dabei darum, in mehr oder weniger standardisierten Formen glaubhaft individuelle Qualitäten aufzuzeigen, die in einer Weise anschlussfähig sind, dass sie beliehen werden können, also Kredite besichern. In diesem Sinne sind Antragstexte Arbeit am Selbst, das sich eine Position erschreibt, indem Lücken aufgebaut und Möglichkeiten vorgeschlagen werden. Indem sich Wissenschaftler*innen eine Position erarbeiten, die spezifische Zugehörigkeiten erkennen lässt und Abweichungen markiert, ergeben sich Chancen, diese Position einzusetzen und damit zu disponieren.
Der für alle beteiligten Stellen entscheidende Glaube an Wissenschaft, in dem alle Seiten agieren, erinnert an Pitches, die im Besonderen im Bereich von Wagniskapital funktionale Bedeutung haben. Bei einem Pitch versuchen Gründer*innen (oder Werbe-Agenturen oder Berater*innen, wenn es um Projekt-Aufträge geht) Kapitalgeber*innen (oder ihre potentiellen Kunden) von ihren Ideen zu überzeugen. Es geht also, wie bei Antragstexten in den Wissenschaften, darum, das eigene Projekt plausibel und seine Gewinnmöglichkeit nachvollziehbar zu machen. Deswegen sind Praktiken der Kapitalisierung auf Darstellungen angewiesen. Jedes Projekt (auch eine als Projekt verstandene Individualität) ist eine Wette, die beliehen werden kann. Bonität gewinnen Projekte durch Darstellungen, die einer Überprüfung standhalten. In diesem Sinne sind Peer-Review-Verfahren einerseits Konsistenzprüfungen, denen Anträge ausgesetzt werden, andererseits aber Beglaubigungsverfahren. Erfolge können nicht nur versprochen werden, sie müssen von Dritten nachvollzogen, also geglaubt werden,Footnote 24 und das heißt: die Darstellung eines Projekts muss Erwartungen strukturieren können. Erwartungen sind, mit Niklas Luhmann, »die Form, in der ein individuelles psychisches System sich der Kontingenz seiner Umwelt aussetzt. […] Es handelt sich mithin um dieselbe Form, die auch zur Bildung sozialer Strukturen benutzt wird.«Footnote 25 Erwartungen ermöglichen Sondieren, Abtasten und Verhandeln in ungewissem »Terrain«, sie ermöglichen Orientierung anhand »einer an ihr selbst erfahrbaren Differenz: Sie kann erfüllt oder enttäuscht werden.«Footnote 26 Dieser Mechanismus liefert einen weiteren Ansatzpunkt für die Darstellungsbedürftigkeit von Erwartungen. Im Sozialen bilden sich Strukturen, die individuelle Erwartungen als Ansprüche »verdichten«,Footnote 27 sich dabei aber lediglich auf den Anspruch des Individuums gründen, Individuum zu sein. Um Ansprüche verhandelbar zu machen (um sie auszuweiten, zum Beispiel) ist das Individuum darauf angewiesen, Beschreibungen anzufertigen, um diese zu begründen.
Dies kann dann gelingen, wenn auch die Gutachtenden mitwirken. Der Antragstext, für sie als Exekutive des Verfahrens geschrieben, muss auch, darauf weist Eva Geulen hin, in einer spezifischen Weise gelesen werden. Sie spricht davon, dass die Gutachterin in der »Pflicht« sei, »eine Perspektive auf die zu begutachtende Arbeit […] zu gewinnen, die nicht diejenige ihres Verfassers ist.«Footnote 28 Diese, von Geulen als »andere[r] Blick« beschriebene, Technik wird dann möglich, wenn nicht allein das Quantifizierbare gezählt, der Text im Sinne einer Patronage begleitet oder allein aus einer Expertenperspektive gelesen wird. Der »andere Blick« fordert ein Nachvollziehen dessen, was in dem jeweils vorliegenden Text versucht wird. Es geht damit um die »Logik des Produziertseins«, die Ansprüche stellt an Leser*innen. »Wenn es gut geht, wirklich gut geht, ändern sich in diesem Prozess der Gegenstand der Begutachtung und der Gutachtende selbst.« Dann steht neben der viel besprochenen und auch hier schon ausgeführten Gatekeeper-Position – die Anbindung an Verfahren, die Strukturen vorgeben, die Vorstellung für prüfende Leser*innen zu schreiben, die Notwendigkeit mehrfache Not zu kreieren – auch die Funktion der Transformation. Jedes Gutachten ist die Gelegenheit sich mit etwas Neuem zu beschäftigen, etwas Neues zu erfahren, aber auch Veränderung herbeizuführen, wenn der Text dies verlangt. Damit geraten die beteiligten Personen, mit ihnen aber auch die Institutionen in eine Art gemeinschaftliches Verhältnis der Auseinandersetzung. Der Zusammenhang von Antragstext, Begutachtung und Verfahren lässt sich dann als Koproduktion beschreiben, die neben den auch berechtigten Kritiken vermarkteter Universitäts- und Forschungsorganisation andere Wege aufzeigt. Die Verwaltung schafft hier einen Raum, der – neben den lästigen und lähmenden Anteilen der persönlichen Unsicherheit, die aufgrund bestehender Rahmenbedingungen eine fortwährende Wette auf sich selbst verlangen –, ein Spielfeld eröffnet, das Übersetzungen und Transformationen ermöglicht und damit die Koproduktionsprozesse der Wissenschaften anreichert. Damit liefern Verwaltungen Anlässe für das Erzählen von wissenschaftlichen Geschichten, die in der Form von Anträgen Möglichkeiten aufbauen und erörtern. »Sonst haben sie nichts anzubieten «,Footnote 29 ließe sich mit Karl E. Weick anmerken. Aber es ist sehr viel mehr als nichts.
Notes
- 1.
Genau dieses, also Öffentlichkeit, wird ihnen nicht zuteil. So entsteht eine Art Geheimwissen, das eine eigene Sprache und Räume für sich beansprucht und das den sich in diesen Feldern aufhaltenden Personen entsprich, in denen informell über die eigenen Erfahrungen und daraus folgende Rückschlüsse gesprochen (und geschwiegen) wird.
- 2.
Im Jahr 2016 wurden von deutschen Universitäten insgesamt 6,9 Mrd. € eingeworben, während gleichzeitig die grundfinanzierenden Landesbehörden ihre Förderungen reduzierten. So kippte das Verhältnis von Grund- und Drittmitteln innerhalb von zehn Jahren: Während 2005 immerhin noch 56 % der Universitätshaushalte aus Landestöpfen finanziert wurden, waren es 2015 lediglich 44 %, die aus diesen Richtungen flossen. Vgl. Statistisches Bundesamt: »Drittmittel je Universitätsprofessorin und –professor«, online einzusehen unter: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2018/10/PD18_399_213.html (zuletzt aufgerufen am 3. Oktober 2021).
- 3.
Vgl. Ruth Müller, Sarah de Rijcke: »Exploring the Epistemic Impacts of Academic Performance Indicators in the Life Sciences«, in: Research Evaluation 26/3 (2017), S. 157–168. Zu Reaktionen von Forschung und Forschungsorganisation auf wissenschaftspolitische Entscheidungen auch: Hildegard Matthies, Dagmar Simon, Marc Torka (Hg.): Die Responsivität der Wissenschaft. Wissenschaftliches Handeln in Zeiten neuer Wissenschaftspolitik, Bielefeld 2015.
- 4.
Vgl. Niels Werber: »Antichambrieren bei Schiller und Schmitt zum Zusammenhang von Macht und Raum«, in: Iris Därmann, Anna Echterhölter (Hg.), Konfigurationen. Gebrauchsweisen des Raums, Berlin, Zürich 2012, S. 65–80.
- 5.
- 6.
Karin Knorr-Cetina: Die Fabrikation von Erkenntnis. Zur Anthropologie der Wissenschaft, Frankfurt a. M. 1984, S. 178. Der Begriff der Strategie soll nicht bedeuten, dass die Einzelnen über ihren Erfolg entscheiden können. Er markiert, dass Texte unterschiedlich sind, und die Frage, welche Unterschiede relevant sind im Hinblick auf Erfolge als eine verstanden wird, die Texte gestaltet.
- 7.
Vgl. Maren Lehmann: »Systemtheorie als Hypothek«, in: dies., Theorie in Skizzen, Berlin 2011, S. 10–38. Zu Leerstellen und ihren funktionalen Bedeutungen auch: Harrison C. White: Chains of Opportunity. Systems Models of Mobility in Organizations, Cambridge Mass. 1970. Die Leerstelle erfordert strukturell eine Reaktion und so wiederum neue Folgeaktionen erfordert. Es werden, so Maren Lehmann, verschiedene »Unvollkommenheiten zu einer aktuellen Ungewissheit« zusammengefügt, um mit dieser zu rechnen. Maren Lehmann: Mit Individualität rechnen. Karriere als Organisationsproblem, Weilerswist 2011, S. 185.
- 8.
Rudolf Stichweh: »Differenzierung der Wissenschaft«, in: ders., Wissenschaft, S. 15–51, hier S. 42.
- 9.
Ebd.
- 10.
Max Weber: »Wissenschaft als Beruf«, in: Matthias Bormuth (Hg.), Wissenschaft als Beruf. Mit zeitgenössischen Resonanzen und einem Gespräch mit Dieter Henrich, Berlin 2018, S. 37–94.
- 11.
Pierre Bourdieu: Der Staatsadel, Konstanz 2004.
- 12.
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der Verstehenden Soziologie, Tübingen 1980, S. 136.
- 13.
Maren Lehmann: »›Einfach Hazard‹: Wissenschaft als Beruf«, bisher unveröffentlicht, S. 1–19, hier S. 4.
- 14.
Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 600.
- 15.
Ebd.
- 16.
Vgl. Werber, Antichambrieren.
- 17.
Vgl. Eric M. Leifer: »Micromoment Management: Jumping at Chances for Status Gain«, in: Soziale Systeme 8/2 (2002), S. 165–177; Eric M. Leifer, Valli Rajah: »Getting Observations. Strategic Ambiguities in Social Interaction«, in: Soziale Systeme 6/2 (2000), S. 251–267. Als im Vorteil wird derjenige beschrieben, der vielseitige an ihn adressierte Handlungen erhält. Um in diese Position zu gelangen, so Leifer, müssen jedoch attrahierende Signale ausgesandt werden. Damit dies nicht zu gefährlich wird, empfiehlt es sich eindeutig uneindeutig zu handeln.
- 18.
So schreibt Hans Blumenberg: »Mögen wir immerhin, indem wir an diese Lehre uns halten, die Empfindungen des sonst rettungslos Versinkenden haben, der an eine ihn nur eben über Wasser tragende Planke sich klammert. Bei der Wahl zwischen Planke und Untergang ist der Vorteil entschieden auf Seiten der Planke.« Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a. M. 1997, S. 78.
- 19.
Lehmann, Mit Individualität rechnen, S. 15.
- 20.
Vgl. dazu: Martin Kohli: »›Von uns selber schweigen wir‹. Wissenschaftsgeschichte aus Lebensgeschichte«, in: Wolf Lepenies (Hg.), Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1981, S. 428–465, hier S. 42.
- 21.
Lehmann, Mit Individualität rechnen, S. 292. Spätestens hier klingen auch erzieherische Themen an, die vor allem Organisationen wie die DFG oder die VolkswagenStiftung mit formalisierten Erwartungen einbringen, und die – wieder und wieder – spezifisches Verhalten einfordern, und damit, unintendiert, anderes hervorbringen.
- 22.
Heinz von Foerster: »Prinzipien der Selbstorganisation im sozialen und betriebswirtschaftlichen Bereich«, in: ders., Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke, Frankfurt a. M. 1993, S. 233–268, hier S. 243.
- 23.
Lehmann, Systemtheorie, S. 23.
- 24.
John Durham Peters spricht beim Bezeugen davon, dass der Zeuge sowohl passive Tätigkeiten erlebt wie er auch aktive vollzieht. Er sieht oder hört etwas, über das er im Folgenden schreibt oder spricht. Damit übernimmt er zusätzlich Verantwortung vor Dritten, die ihn beobachten. In dieser Weise kollaboriert er mit dem, was er beobachtet hat. John Durham Peters: »Witnessing«, in: Media, Culture & Society 23 (2001), S. 707–723, hier S. 709.
- 25.
Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1984, S. 362.
- 26.
Ebd., S. 363.
- 27.
Ebd., S. 363.
- 28.
Eva Geulen: »Geheimnis Gutachten (mit Hinweisen)«, Vgl. https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2020/04/07/eva-geulen-geheimnis-gutachten-mit-hinweisen/ (zuletzt aufgerufen am 3. Oktober 2021).
- 29.
Karl E. Weick: Der Prozeß des Organisierens, Frankfurt a. M. 1995, S. 375.
Literatur
Blumenberg, Hans: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a. M. 1997.
Bourdieu, Pierre: Der Staatsadel, Konstanz 2004.
Foerster, Heinz von: »Prinzipien der Selbstorganisation im sozialen und betriebswirtschaftlichen Bereich«, in: Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke, Frankfurt a. M. 1993, S. 233–268.
Geulen, Eva: »Geheimnis Gutachten (mit Hinweisen)«, https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2020/04/07/eva-geulen-geheimnis-gutachten-mit-hinweisen/ (zuletzt aufgerufen am 3. Oktober 2021).
Knorr-Cetina, Karin: Die Fabrikation von Erkenntnis. Zur Anthropologie der Wissenschaft, Frankfurt a. M. 1984.
Kohli, Martin: »›Von uns selber schweigen wir‹. Wissenschaftsgeschichte aus Lebensgeschichte«, in: Wolf Lepenies (Hg.): Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1981, S. 428–465.
Lehmann, Maren: »›Einfach Hazard‹: Wissenschaft als Beruf«, bisher unveröffentlicht.
Lehmann, Maren: »Systemtheorie als Hypothek«, in: Theorie in Skizzen, Berlin 2011, S. 10–38.
Lehmann, Maren: Mit Individualität rechnen. Karriere als Organisationsproblem, Weilerswist 2011.
Leifer, Eric M.: »Micromoment Management: Jumping at Chances for Status Gain«, in: Soziale Systeme 8/2 (2002), S. 165–177.
Leifer, Eric M./Rajah, Valli: »Getting Observations. Strategic Ambiguities in Social Interaction«, in: Soziale Systeme 6/2 (2000), S. 251–267.
Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990.
Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1984.
Matthies, Hildegard/Simon, Dagmar/Torka, Mark (Hg.): Die Responsivität der Wissenschaft. Wissenschaftliches Handeln in Zeiten neuer Wissenschaftspolitik, Bielefeld 2015.
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Peters, John Durham: »Witnessing«, in: Media, Culture & Society 23 (2001), S. 707–723.
Stichweh, Rudolf: »Die Autopoiesis der Wissenschaft«, in: Wissenschaft Universität Professionen. Soziologische Analysen, Frankfurt a. M. 1994, S. 54–82.
Stichweh, Rudolf: »Differenzierung der Wissenschaft«, in: Wissenschaft Universität Professionen. Soziologische Analysen, Frankfurt a. M. 1994, S. 15–51.
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White, Harrison C.: Chains of Opportunity. Systems Models of Mobility in Organizations, Cambridge Mass. 1970.
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Lorenz, CF. (2024). Sich selbst beleihen. Anträge und die Verwaltung von Wissenschaftlichkeit. In: Echterhölter, A., Lorenz, CF., Richter, T. (eds) Apparate. AdminiStudies. Formen und Medien der Verwaltung, vol 3. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67712-4_14
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