Der Geschmack des Beliebigen

»Tee. Earl Grey. Heiß«, sagt Captain Picard zum Replikator. Geläufig so deutlich, dass der Apparat es versteht und molekular das Gewünschte zusammenfügt. Unter Star Trek-Fans ist die Formel, ja bereits ihr Rhythmus ikonisch. Drei Schritte für die Formulierung des Objekts. Den Rest erledigt ein sehr fein gerastertes Formwissen.

In der Next Generation liefert die Zukunftsphantasie unserer Getränkeautomaten, die nur ausspucken, was man eingefüllt hat, noch westeuropäische Identität, britischen Traditionsaufguss für den französischen Weltraumdiplomaten. Eine Serie weiter, bei Deep Space Nine, ordern fast alle klingonischen Raktajino, den stärksten Espresso des bekannten Universums. Dieser erste schüchterne Aufbruch in Richtung Wunschmaschine, der im Kaffee die gemeinsame Sehnsucht nach einer genießbaren Intensität versinnbildlicht, bleibt Scherz am Rande, aber von dem Rand her ließe sich folgende Frage stellen: Was, wenn ich Geschlecht so bestellte?

Klingt erstmal wenig berauschend. Der Name Replikator hält unmissverständlich fest, dass die famose Technologie, die mit den Elementarteilchen wie mit Lego operiert, bloß schon Gegebenes zu kopieren vermag. Quasi ein hochauflösender 3D-Drucker, naja. Das Drehbuch legt zudem regelmäßig jemandem die Auskunft in den Mund, die geschmackliche Qualität der replizierten Speisen und Getränke komme an die der Originale nie ganz heran. Die Natur wird also wieder einmal besser gewesen sein, um eine unnachahmliche Nuance reicher. Dass das reaktionäre Bestehen auf der Superiorität des Echten notwendig erscheint, verrät indes, wie die nette Fiktion dieses Apparates die Gefahr einer emanzipatorischen Wirkung des Falschen ins Spiel bringt. Wie mich in den Siebzigern das evident künstliche Waldmeisteraroma von Softeis seliger machte, als es das mühsam im Wald gesammelte Bowlenkraut je getan hätte, so könnten die künstlichen Körper, durch die nackte Lust einer Verfügbarkeit verführt, auf den Geschmack des Beliebigen kommen.

Was beliebt an Geschlecht? Das, was gerade beliebt ist? Ein ähnlicher Vorbehalt, wie ihn die Erfinder des Replikators gegen ihren Apparat hegten, trifft die Dropdown-Felder, die es einem auf Dating-Plattformen und einigen sozialen Netzwerken gestatten, aus einer Liste von Gender-Optionen eine oder mehrere anzuklicken. Zwar handelt es sich in diesem Fall um Software ohne die Ausdruckfunktion, die das Gewählte in kohlenstoffbasierte Materialität übersetzte oder gar meinen Körper entsprechend ummodelte, und man könnte meinen, was dabei passiert, sei noch fiktiver als die Replikatoren einer SF-Serie. Nichtsdestominder hat dieses Anklicken irgendwie Teil an einem Prozess, der dazu führt, dass in aktuellen Umfragen mehr als ein Drittel der US-amerikanischen Teenager ›boy‹ oder ›girl‹ als Bezeichnung unpassend finden und sich bspw. als ›non-binary‹, ›gender-nonconforming‹, ›transgender‹ oder ›genderqueer‹ identifizieren.Footnote 1

So vermessen die Behauptung wäre, das kleine Fenster (das ein populäres Meme um Optionen wie ›hot bread‹ ergänzt), habe den Wandel in Selbstverständnis und Körpergefühl hervorgebracht, trägt sein Einzug in den kommunikativen Alltag doch nicht nur dazu bei, eine große Zahl von Menschen mit den jeweils aktuellen Gender-Kategorien vertraut zu machen. Es ist eben das Gelegentliche des Wählens – und die Wiederholung der Gelegenheit in einer bequem zu durchlaufenden Sequenz –, wodurch etwas leicht wird, das gesellschaftliche Aufklärungskampagnen sonst mit ungeheurer Anstrengung vollbringen: Umgewöhnung in Angelegenheiten, die zur subjektiven Identität zählen.

Von Bequemlichkeit zeugt auch die Technik selbst. Keller Easterling betont in ihrem Buch über Infrastruktur die Macht von Templates als ›active forms‹, Veränderungen in bislang unverbundenen Bereichen anzustoßen oder voranzutreiben.Footnote 2 Das Template geht nicht auf eine große Vision zurück, sondern realisiert eine Lösung für ein spezifisches, eher eng begrenztes Problem, wobei die Designer*innen indes einen Horizont ungefähr ähnlicher Probleme im Blick haben und vielleicht auch Anregungen daher beziehen. Die loose ties des ungefähr Ähnlichen überbrücken weite Strecken, und so ergibt es sich bisweilen, dass die Anwendung fernab des Intendierten einsetzbar ist.

Wer das Dropdown-Feld erfand (möglicherweise Leute bei Apple Mitte der Achtziger), dachte dabei schwerlich an zukünftige Generationen, denen es zur Gewohnheit gerät, ihr Geschlecht auszuwählen. Und doch wurde die Arbeit dieser Entwickler*innen geleitet von einer Ahnung, dass Wählen in der anbrechenden Epoche computervermittelten Zusammenlebens nicht mehr auf einen festen Bestand an Alternativen bezogen sein würde. Von nun an prozessualisierte sich das Wählen, mutierte vom grundlegenden, solide Voraussetzungen errichtenden Akt zu einer durchgängigen Aktivität – einer, die meine sämtlichen Bewegungen begleiten können muss. Wählen war fortan ein Modus, die Welt und sich selbst in ihr zu denken. Die Zeit der freudschen Kästchenwahl, wo die Box für ein Geschlecht stehen konnte, weil Geschlecht wie eine Box gezimmert war, ging damit unwiderruflich zu Ende.Footnote 3

Genealogie des Bequemen (Rolle, Liste, Dropdown-Feld)

Bequemlichkeit des Wählens schiebt seither ein ethisches Dilemma vor sich her. Das Bequeme generell ist suspekt. Den Segnungen der Lebenshaushaltstechnik folgt die Warnung vor den Konsequenzen von zu viel Erleichterung: Sie führe zur Degeneration, zum Verlust einer gestandenen Form, deren Integrität, ob körperlich oder seelisch, auf einen Wesenskern an Härte gegen sich selbst nicht zu verzichten vermag. Wir dürfen uns darauf verlassen, dass auch zum Aufploppen der Gender-Menüs ein kulturkritischer Einwand erschallt: Geschlecht einfach anklicken? Geht’s noch?

Wie TERFs Transfrauen abweisen mit der Begründung, Frauen hätten nicht Jahrhunderte gelitten und gekämpft, damit nun Männer kämen und das frisch gestärkte weibliche Geschlecht als Wunschidentität reklamierten, dürften Währungshüter der Subjektivität denen, die ihr Profil mit nicht-heteronormativen Kategorien versehen, einen leidens- und arbeitsmoralischen Vorwurf machen: Das ist zu leicht so, um Gültigkeit haben zu können! Wenn demnächst was noch schicker Formuliertes auftaucht, wollt ihr das auch gleich sein! Könnt ihr denn glauben, das sei eine Identität, wenn ihr es fertig aus einer Liste bezieht? Was nicht eigens durch Erfahrungen, gerade auch schmerzliche, durch Wagnisse und durchgehaltene Anstrengungen errungen wurde, verdient einen so hohen Status nicht.

Das bürgerliche Ethos beruht auf der Freiheit, das Selbst zu produzieren und zu entwerfen. Genau in dieser Geste nötigt es umso energischer dazu, Gender wie alle anderen Aspekte dieses Selbst-Produktes als bearbeiteten Naturstoff zu begreifen. Wo keine physisch-soziale hyle der morphe Widerstand leistet, kann keine Arbeit stattfinden. Der Apparat – so lautete bei Sympathie das pädagogische Zugeständnis – liefert einen Avatar für ein Kommunikationsexperiment, das ein paar rasche erste Exkursionen ins Ungewohnte gestattet. Falls sowas junge Leute ermuntert, sich mal in anderen Genderrollen auszuprobieren, wäre das sogar zu begrüßen, solange das einstweilig Erleichternde nicht die Konstitution des Identitären bestimmt. Früher oder später muss der Ernst des Lebens das Spiel prüfen, sonst bedroht technisch verlängerter Infantilismus die Persönlichkeitsreifung.

Eben hier wäre zu widersprechen: Nein, Erleichterung gehört in die Identität. Es war immer schon ein Zeichen schlechter Gesellschaft, das Geschlechtliche dem Individuum aufzubürden. Ausgerechnet dort, wo eine serviceorientierte Verwaltung hätte Wunder wirken können, zieht der Sinn fürs Abnehmen von Lasten sich aus dem Zusammenleben zurück. Körper haben ihr Gewicht nicht für sich, sondern füreinander. Eine Eigenschaft wie mein Geschlecht: Das ist zu einem erheblichen Teil dasjenige, womit ich unter denen durchkomme, deren Nähe und Ferne das Milieu meines Existierens ausmacht.

Passing through, nicht passing for – denn keine psycho- oder sozioontologische Notwendigkeit verfügt, dass das Paradigma der wechselseitigen Anerkennung, welches die Identitäten von außen formt, für alle Ewigkeit ›die Rolle‹ gewesen sein wird. Jedenfalls nicht die Rolle des bürgerlichen Theaters. Es ist ein Anachronismus, wenn sie heute wie vor hundert Jahren die Formvorstellung von persönlicher Entwicklung souffliert. Selbst Praktiken und theoretische Konzepte queerer Identität scheinen öfters davon abzuhängen, als uns lieb sein sollte.Footnote 4

Der Begriff kommt bekanntlich von der Schriftrolle, wie man sie noch in Shakespeares Tagen den Schauspielern aushändigte. Mangels eines Apparats zum schnellen Drucken wurde das Drama von Hand abgeschrieben, und jeder erhielt nur den Auszug mit dem Text der eigenen Figur und den Stichworten der Dialogpartner. Ein Diskussionsbeitrag in einem Online-Forum sieht die Schriftrolle am genealogischen Ursprung des Dropdown-Feldes.Footnote 5 Das ist ein findiger Hinweis: Wir könnten Identität tieferlegen und für die Geschlechterrolle an ein älteres technisches Verständnis von Rolle anschließen als an die metaphysische Ästhetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Alternativen zum Staatsapparat

Hält ein anspruchsvoller Subjektivismus darauf, Identitätsfindung müsse schwerfallen, so geschieht das im besten Fall aus Sorge, Menschen vor den Manipulationen eines Kapitalismus zu retten, der nach dem Lebensstil auch die Lebensform ins Konsumprodukt einschließt (die Leute, die bei Starbucks arbeiten, tragen ihre bevorzugten Pronomen auf dem Namensschild, was ihre materielle Ausbeutung nur umso effektiver kaschiert, usw.). Diese kritische Fürsorge begeht jedoch einen Kategorienfehler: Es kann im Kampf gegen die Manipulationsmaschine nicht darum gehen, statt der falschen Wahl die richtige zu treffen, gegen das Wohlfeile auf der authentischen Subjektivität zu bestehen – denn dann wäre dieser Kampf stets für alle bis auf eine Elite heroisch Echter verloren. Strategien, die Vielen Aussicht auf Partizipation an politisch besseren Subjektivierungen einräumen, betreffen nicht das einzelne Wahlergebnis, sondern die Situierung des Wählens. Falsch an der Wahl im falschen Leben, das kein wahres zulässt, ist der Ort, an dem die Umstände sie stellen.

Die Ära der Dropdown-Felder mit ihrer leicht verschwenderischen, durchs Bürokratische einen Hauch Luxus atmenden Genderpalette hat uns auch die folgenden Fragen beschert: Muss der Staat mein Geschlecht kennen? Was habe ich davon, wenn eins von zwei Geschlechtern oder zur Not eine geduldete Alternative in Personalausweis, Reisepass und der Registratur des Meldeamtes vermerkt sind? Was haben meine Mitmenschen davon? Mehr, als wir existenziell dafür zahlen?

Die Bilanz fällt ungünstig aus. Das Geschlechtliche bewahrheitet Novalis’ Einsicht: »An manchen Orten sollte gar kein Staat angelegt werden.«Footnote 6 Dies keineswegs deshalb, weil ein genuin privates Eigentum an der Identität Schutz vor entfremdender Verwaltung verlangt. Schutz, den sie braucht – nämlich Schonung, Beistand, Entgegenkommen an der Schwelle zur Öffentlichkeit – findet Subjektivität dort, wo die soziale Wirklichkeit Gebrauch macht von der Möglichkeit, verschiedene zivile Geschlechtsverwaltungsapparate zu konstruieren, zu unterhalten und im Betrieb zu modifizieren. Geschlecht lässt sich dezentral selbstorganisiert glücklicher verwalten.

Darin, das eigene Glück und das erreichbare vieler anderer zum Kriterium guter Verwaltung zu erklären, liegt ein Schlüssel zur Befreiung des Verwaltungsapparates von seiner regierungstechnischen Determinierung. Verwalten an Glück auszurichten ist gewiss so wenig neu wie die libidinöse Besetzung von Apparaten. Doch dringt das praktische Wissen um den Gebrauch dessen, was Giorgio Agamben das »reine Mittel« genannt hat,Footnote 7 erst auf den vielen kleinen Beinchen verbreiteter Anwendungen in die Gassen des Zivilen vor. Utopien, von Morus bis Fourier, entwarfen lieber alternative staatliche Verwaltungen, als Alternativen zur staatlichen Verwaltung zu ersinnen. Die Alternativen entspringen aus unverhofften Bequemlichkeiten. Sie etablieren sich da, wo ein technisches Tool, eine kluge Nutzungsidee zivile Selbstorganisation auf einmal leichter macht als die Entlastung, die der Staat seinen Bürger*innen im Austausch dagegen gewährt, dass sie ihre Macht an den Souverän abtreten.

Indem sie eben in der Trägheit der Leute eine Quelle für Enthusiasmus entdecken, teilen solche Verwaltungsofferten neben den konkreten Vorzügen einen anarchischen Elan mit. Und dieser affektive Nebengewinn verleiht ihnen ein politisches Momentum: Sie profanieren Verwalten, entwenden dessen organisatorische Wirklichkeit dem heiligen Ernst der gestifteten Ordnung des Ganzen.

Eine Politisierung von Geschlecht kann durchaus entlang derartiger Abkürzungen durchs Wirkliche geschehen, wie das Geschlecht zum Anklicken sie der Identitätssuche bietet. Als Donna Haraway in ihrem Cyborg Manifesto auf die Entnaturalisierung von Geschlecht drängte, spekulierte das in der Tradition des 19. Jahrhunderts auf die Macht der Technologie, Neues, Anderes zu erschaffen. Der Cyborg war proteische Maschine, Agentur einer Verwandlung, die sich als Schöpfung begehrte. Die Verwandlung selbst erteilte als Wert des Begehrenswerten jeder konkret gelebten Geschlechtsvariante erst die Zustimmung. Was den Geschlechtsreplikator des Dropdown-Feldes für queere Politik empfiehlt, weist, abseits dieser Perspektive, in Richtung eines Einvernehmens von Technik und Genügsamkeit. Der Apparat erschafft hier nicht, er verschafft Zugang zur leichtherzigen Gleichgültigkeit des vorerst Erfüllten. Zugang zum Weiterleben.

Wählen nimmt mit einem hinreichend üppig bestückten Gender-Menü eine Fluchtlinie wahr, eine identifikatorische Bewegung, die um die Einordung ins Ganze gerade so weit herumführt, dass ich damit ziemlich glücklich weiterleben kann. Und auf das Weiter kommt es an für die Identität, während Ursprung und Zielbestimmung außer Reichweite bleiben (meine Identität begann lange nach der Geburt, und sie wird zur Unzeit im Prozess des Sterbens, vor dem Tod, kollabieren).

Neuerung fällt bei der apparativen Auslagerung des Geschlechts in die Zuständigkeit einer episodisch modischen, allmählichen, kollektiv getakteten Verwaltung von Zeitdifferenz, die den Inhalt der Liste betreut. Weit davon entfernt, die Redlichkeit der Geschlechtsidentität für kurzfristigen Schick zu verraten, scheint dies launig Allmähliche geeignet, Queerness jene Dauer zuzumessen, die es ihr erlaubt, sich von der progressiven Initiative, die sie bislang ist, zu einer allseits teilbaren Gewohnheit zu entfalten.

Dem aufreibenden Projekt, das Nicht-Heteronormative immer und immer wieder zu erfinden – es ein ums andere Mal wie eine Avantgarde gegen das bürgerliche Staatstheater der Geschlechterrollen in Stellung zu bringen –, gebührt sicherlich Respekt. Doch werden es vielleicht die popkulturellen Ableitungen gewesen sein, die queer performance ins Verhalten einpflegen. Womöglich erübrigt es sich, eine nichtkonforme Rolle zu spielen, wenn an jeder kommunikativen Ecke Apparate stehen, die Gender-Optionen auswerfen wie die Kaugummikugelversion von instruction art pieces: Ich lese den Namen meines präferierten Geschlechts, und das Leben geht weiter mit dem, was passiert.