Zusammenfassung
Der ordnungspolitische Rahmen der Pflegeversicherung ist seit der Einführung dieses jüngsten Systems der Sozialversicherung im Jahr 1995 trotz einer Vielzahl von Reformen in den Grundzügen vergleichsweise stabil. Daran ändern auch die jüngsten Reformbemühungen des Gesetzgebers im Rahmen des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) nichts (Sitte et al. 2023). Als Konsequenz wirken die ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen bei der Einführung der Pflegeversicherung bis in die Gegenwart und bestimmen demzufolge bis heute die Reformagenden (Greß und Jesberger 2022). In deren Mittelpunkt steht in den letzten Jahren die Finanzierbarkeit der pflegerischen Versorgung aus Sicht der Kostenträger, der Pflegebedürftigen und der Anbieter. Die Versichertengemeinschaft muss steigende Kosten mit steigenden Beitragssätzen finanzieren. Gleichzeitig nimmt die Belastung der Sozialhilfeträger durch steigende Eigenanteile der Pflegebedürftigen, die selbst zunehmend finanziell überfordert sind, zu. Nach aktuellen Berechnungen werden die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege von rund 2,5 Mrd. Euro im Jahr 2022 auf rund 4 Mrd. Euro im Jahr 2026 steigen (Rothgang et al. 2023). Diese weitgehend ungelösten Probleme im Hinblick auf die Finanzierbarkeit pflegerischer Leistungen sind demzufolge für die aktuelle pflegepolitische Debatte hoch relevant – stehen aber nicht im Vordergrund dieses Beitrags.
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Der ordnungspolitische Rahmen der Pflegeversicherung begünstigt den Preiswettbewerb zu Lasten des Qualitätswettbewerbs. Aus Sicht der Pflegebedürftigen haben ihre Wahlentscheidung massive finanzielle Konsequenzen, während Qualitätsaspekte bei diesen Wahlentscheidungen vermutlich vielfach eine untergeordnete Rolle spielen. Dieser Umstand wird noch verstärkt durch Fehlanreize bei den Kostenträgern, die aus der Trennung von Kranken- und Pflegeversicherung resultieren. Darüber hinaus werden die Angebotsstrukturen weitgehend von den Investitionskalkülen der Anbieter bestimmt. Einen ersten Schritt zur Eindämmung des Preiswettbewerbs hat der Gesetzgeber durch die Regelungen zur Tariftreue und die Einführung eines bundesweit geltenden Personalbemessungssystems in der stationären Langzeitpflege gemacht. Für einen echten ordnungspolitischen Kurswechsel wäre allerdings die Etablierung eines sektorübergreifenden Sockel-Spitze-Tauschs notwendig. Die Fehlanreize an der Grenze zwischen den beiden Sozialversicherungssystemen ließen sich zumindest teilweise durch eine einheitliche Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege beseitigen. Grundvoraussetzung für die Schaffung bedarfsgerechter Versorgungsstrukturen ist eine Übernahme der Finanzierungsverantwortung für entsprechende Investitionen durch die Bundesländer.
The regulatory framework of long-term care insurance in Germany favours price competition at the expense of quality competition. From the point of view of those in need of long-term care, their decisions have massive financial consequences. On the other hand, quality aspects presumably often play a minor role in these choices. In addition, as a consequence of the separation of health and long-term care insurance, there are negative incentives on the part of the payers. Furthermore, the supply structures are largely determined by investment decisions of the providers and not by the preferences of those in need of care. A first step towards curbing price competition has been taken by regulating remuneration of employees and introducing a nationwide staffing system in inpatient long-term care. However, real regulatory change would require limiting the financial responsibility of those in need of care. The misaligned incentives at the border between the two social insurance systems need to be realigned. Finally, the Länder need to take responsibility for investment decisions.
1 Einleitung
Der ordnungspolitische Rahmen der Pflegeversicherung ist seit der Einführung dieses jüngsten Systems der Sozialversicherung im Jahr 1995 trotz einer Vielzahl von Reformen in den Grundzügen vergleichsweise stabil. Daran ändern auch die jüngsten Reformbemühungen des Gesetzgebers im Rahmen des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) nichts (Sitte et al. 2023). Als Konsequenz wirken die ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen bei der Einführung der Pflegeversicherung bis in die Gegenwart und bestimmen demzufolge bis heute die Reformagenden (Greß und Jesberger 2022). In deren Mittelpunkt steht in den letzten Jahren die Finanzierbarkeit der pflegerischen Versorgung aus Sicht der Kostenträger, der Pflegebedürftigen und der Anbieter. Die Versichertengemeinschaft muss steigende Kosten mit steigenden Beitragssätzen finanzieren. Gleichzeitig nimmt die Belastung der Sozialhilfeträger durch steigende Eigenanteile der Pflegebedürftigen, die selbst zunehmend finanziell überfordert sind, zu. Nach aktuellen Berechnungen werden die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege von rund 2,5 Mrd. Euro im Jahr 2022 auf rund 4 Mrd. Euro im Jahr 2026 steigen (Rothgang et al. 2023). Diese weitgehend ungelösten Probleme im Hinblick auf die Finanzierbarkeit pflegerischer Leistungen sind demzufolge für die aktuelle pflegepolitische Debatte hoch relevant – stehen aber nicht im Vordergrund dieses Beitrags.
In den folgenden Ausführungen geht es vielmehr darum, welche Konsequenzen die ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen bei der Einführung der Pflegeversicherung auf die Qualität der pflegerischen Versorgung hatten und haben. Zu diesen ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen zählen erstens das Teilleistungssystem in der Finanzierung, zweitens der Verzicht des Gesetzgebers auf Kassenwettbewerb und drittens der weitgehend ungesteuerte Wettbewerb der Anbieter pflegerischer Leistungen. Neben den Auswirkungen auf die Qualität der pflegerischen Versorgung wird im Rahmen dieses Beitrags auch der notwendige pflegepolitische Reformbedarf abgeleitet.
2 Ordnungspolitischer Rahmen und Qualität
2.1 Steigende Eigenanteile für pflegebedingte Kosten
Bei der Einführung der Pflegeversicherung hat der Gesetzgeber insbesondere aus finanziellen Gründen darauf verzichtet, die Bedarfe in der Langzeitpflege umfassend abzusichern. Der Leistungsanspruch ist deutlich weniger weitreichend als etwa in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese insbesondere aus fiskalischen Erwägungen gewählte Konstruktion äußert sich vor allem an drei zentralen Stellen (Greß und Jesberger 2020).
Erstens haben Pflegebedürftige in der ambulanten pflegerischen Versorgung ein Wahlrecht zwischen Sachleistungen zur Finanzierung professionell erbrachter pflegerischer Leistungen oder Geldleistungen in Form des Pflegegeldes zur finanziellen Unterstützung. Positiv formuliert unterstützt der Gesetzgeber mit dieser Wahlmöglichkeit subsidiäre Ansätze in Form der Angehörigenpflege und der ehrenamtlichen Pflege. Diese Argumentation verschleiert allerdings, dass eine umfassende Finanzierung der ambulanten Pflege durch professional erbrachte Dienstleistungen bei der Einführung der Pflegeversicherung vor allem aus fiskalischen Gründen politisch wahrscheinlich kaum durchsetzbar gewesen wäre.
Zweitens war schon bei der Einführung der Pflegeversicherung klar, dass in der stationären Langzeitpflege nur die pflegebedingten Kosten von der Versichertengemeinschaft übernommen werden würden. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung waren weiterhin von den Pflegebedürftigen selbst zu finanzieren. Dies ist folgerichtig, da diese Kosten unabhängig von einer Pflegebedürftigkeit anfallen. Aus Sicht des Bundesgesetzgebers sollten die Pflegebedürftigen allerdings auch bei der Finanzierung der Investitionskosten entlastet werden. Hier sah der Bund die Bundesländer in der Pflicht, um die Sozialhilfeträger bei der Hilfe zur Pflege zu entlasten. Aus dieser Intention resultiert § 9 SGB XI, in dem die Länder für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur verantwortlich gemacht werden. Im Gesetz wird weiter ausgeführt, dass zur finanziellen Förderung der Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen Einsparungen eingesetzt werden, die den Trägern der Sozialhilfe durch die Einführung der Pflegeversicherung entstehen.
Der zunehmende Teilleistungscharakter der Pflegeversicherung wird drittens dadurch deutlich, dass die Kosten für das Angebot professioneller pflegerischer Leistungen seit Einführung der Pflegeversicherung schneller steigen als die Dynamisierung des Leistungsanspruchs für die Pflegebedürftigen (Paquet 2020). In der ambulanten professionellen Pflege stehen die Pflegebedürftigen als Konsequenz vor der Wahl, auf einen Teil der pflegerischen Leistungen zur verzichten oder einen höheren Eigenanteil zu übernehmen. In der vollstationären Pflege wird dies etwa an den seit Jahren steigenden Eigenanteilen deutlich, die im Jahr 2022 daher im Zuge des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG) einmalig abgesenkt wurden. Insbesondere steigende Personalkosten führen dazu, dass bei einem Fortschreiten dieses Trends die pflegebedingten Kosten zunehmend nur noch anteilig von der Pflegeversicherung finanziert werden (Schwinger et al. 2022). Hinzu kommen substanzielle Eigenanteile zur Finanzierung der Investitionskosten, weil die Bundesländer ihrer Finanzierungsverantwortung in diesem Bereich nicht nachkommen (Greß und Jesberger 2022).
In der Konsequenz stehen Pflegebedürftige bei der Inanspruchnahme von pflegerischen Leistungen zunehmend vor existenziellen Entscheidungen mit weitreichenden finanziellen Konsequenzen. Zudem müssen diese Entscheidungen häufig unter Zeitdruck und bei erheblichen körperlichen und mentalen Einschränkungen getroffen werden, insbesondere dann, wenn keine hinreichende Unterstützung seitens der Angehörigen gegeben ist. Es spricht wenig dafür, dass unter diesen Rahmenbedingungen die Entscheidungen der Pflegebedürftigen vor allem durch die Qualität der pflegerischen Leistungen determiniert werden (Greß 2017). Dies lässt sich beispielhaft an drei Entscheidungssituationen illustrieren.
Erstens fällt bei der Wahl zwischen Pflegegeld und Pflegesachleistung die Entscheidung häufig zu Gunsten des Pflegegelds aus. Diese Wahl lässt sich damit erklären, dass Pflegebedürftige die Angehörigenpflege einer professionellen Pflege vorziehen. Diese Entscheidung ist einerseits nachvollziehbar, andererseits jedoch vermutlich nicht im Sinne einer qualitätsgesicherten ambulanten pflegerischen Versorgung. Dies gilt umso mehr, je komplexer die jeweilige Pflegesituation ist.
Wenn zweitens dann doch die Wahl zu Gunsten professioneller ambulanter pflegerischer Versorgung ausgefallen ist, dann können Pflegebedürftige bei preisgünstigen Anbietern mehr Leistungen einkaufen als bei weniger preisgünstigen ambulanten Pflegediensten. Zwar sind hohe Kosten allein noch kein Qualitätsmerkmal. Anbieter mit einer hohen Fachkraftquote haben allerdings in der Regel einen deutlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber solchen Anbietern, die die pflegerische Versorgung vor allem durch Hilfskräfte sicherstellen und damit ihre Leistungen preiswerter anbieten können.
Vergleichbare Anreize bestehen drittens bei der Wahl zwischen verschiedenen stationären Anbietern. Die seit September 2022 geltenden gesetzlichen Regelungen zur Tariftreue dürften Unterschiede in der Bezahlung des Personals reduziert haben, ohne sie vollständig beseitigen zu können (Evans und Szepan 2023; Schwinger et al. 2022). Preisunterschiede in Form unterschiedlich hoher einrichtungseinheitlicher Eigenanteile werden daher primär durch Unterschiede in der Personalausstattung bestimmt. Für Pflegebedürftige bedeutet dies, dass stationäre Anbieter mit einer überdurchschnittlichen Personalausstattung für sie teurer sind als andere Anbieter. Eine bessere Personalausstattung – und damit vermutlich auch eine verbesserte Qualität der pflegerischen Versorgung – muss damit durch höhere Eigenanteile finanziert werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund eines nach wie vor erheblichen Fachkräftemangels, bei dem Pflegeeinrichtungen um qualifiziertes Personal konkurrieren. Bei massiv steigenden Eigenanteilen besteht somit auch an dieser Stelle die Gefahr, dass Wahlentscheidungen vor allem auf der Basis finanzieller Erwägungen erfolgen.
Zusammenfassend führt die steigende finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen dazu, dass die Wahlentscheidungen der Pflegebedürftigen zu erheblichen Folgewirkungen führen. Diese hohe finanzielle Eigenverantwortung bei teilweise existenziellen Entscheidungen setzt für die Pflegebedürftigen wenig Anreize, bei den angesprochenen Wahlentscheidungen die Qualität pflegerischer Leistungen in den Vordergrund zu stellen. Erschwerend kommt hinzu, dass verlässliche und verständliche Informationen über die Qualität von Leistungsanbietern bisher nicht flächendeckend vorliegen (vgl. den Beitrag Meyer und Berg, Kap. 6 in diesem Band). Weitgehend transparent sind dagegen die Preise.
2.2 Verzicht auf Kassenwettbewerb
Auch im Dreieck zwischen Kostenträgern, Anbietern und Versicherten bzw. Pflegebedürftigen wirken ordnungspolitische Grundsatzentscheidungen bei der Einführung der Pflegeversicherung bis heute nach. Diese bestanden erstens darin, dass der Gesetzgeber mit der Pflegeversicherung eine eigenständige Sozialversicherung eingeführt hat. Zweitens hat der Gesetzgeber in der Pflegeversicherung auf einen Kassenwettbewerb analog zur gesetzlichen Krankenversicherung verzichtet. Die Versicherten haben in der Pflegeversicherung mit wenigen Ausnahmen kein eigenständiges Kassenwahlrecht. Die Pflegekassen sind den Krankenkassen organisatorisch angegliedert. Die Höhe des Beitragssatzes ist bei allen Pflegekassen gleich hoch, weil Ausgabenunterschiede ausgeglichen werden.
Auch diese ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen sind für die Qualität der pflegerischen Leistungen wenig förderlich. Erstens haben die Pflegekassen durch den nicht existenten Wettbewerb strukturell wenig Interesse an qualitativ hochwertigen pflegerischen Leistungen, weil sie einerseits nicht den Verlust von Versicherten fürchten müssen und andererseits Mehrkosten – etwa in Form eines vermeidbaren höheren Pflegegrads – über den Ausgabenausgleich zwischen den Pflegekassen kompensieren können. Gleiches gilt für Anreize, in präventive Maßnahmen zur Reduzierung des Pflegerisikos zu investieren. Hinzu kommt, dass die Pflegekassen wenig Möglichkeiten zur Steuerung der pflegerischen Versorgung haben (siehe unten). Damit besteht zumindest derzeit wenig Potenzial, dass die Pflegekassen ein wirksames Korrektiv im Sinne eines Sachwalters für die Versicherten bzw. Pflegebedürftigen darstellen.
Zweitens führt das Nebeneinander von wettbewerblich organisierten gesetzlichen Krankenkassen und über einen Ausgabenausgleich finanzierten Pflegekassen zu negativen Anreizen beim Angebot von Rehabilitationsleistungen für Pflegebedürftige. Rehabilitationsleistungen müssen von den Krankenkassen finanziert werden und sind damit ausgaben- und beitragssatzrelevant. Die positiven Effekte der Rehabilitation – eine vermiedene Pflegebedürftigkeit bzw. ein geringerer Pflegebedarf bzw. Pflegegrad – fallen jedoch in der Pflegeversicherung an. Aus ökonomischer Sicht entstehen positive externe Effekte, die zu einem Unterangebot von Rehabilitationsleistungen und damit zu einer Minderung der Versorgungsqualität bei den betroffenen Pflegebedürftigen führen und den Grundsatz Rehabilitation vor Pflege konterkarieren (Rothgang 2016).
Drittens führt das Nebeneinander von gesetzlicher Krankenversicherung und sozialer Pflegeversicherung in der derzeitigen Ausgestaltung zu Anreizen bei den Kranken- bzw. Pflegekassen, die Pflegebedürftigen in die stationäre Versorgung zu drängen. Diese Anreize resultieren aus den unterschiedlichen Finanzierungszuständigkeiten für die Behandlungspflege im ambulanten und stationären Setting. Im ambulanten Setting müssen die Krankenkassen die Behandlungspflege finanzieren, im stationären Setting sind es die Pflegekassen bzw. die Pflegebedürftigen selbst. Auch hier haben die wettbewerblich organisierten Krankenkassen somit ein Interesse daran, Kosten auf andere Finanzierungsträger zu verlagern. Die angesprochenen unterschiedlichen Finanzierungszuständigkeiten sind somit zumindest nicht förderlich für eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige pflegerische Versorgung.
Zusammenfassend führen die Grundsatzentscheidungen bei der Organisation der Pflegekassen dazu, dass diese nur wenige ökonomische Anreize haben, als Sachwalter im Sinne der Versicherten bzw. Pflegebedürftigen zu agieren. Darüber hinaus führen positive externe Effekte im Verhältnis von Kranken- und Pflegekassen zu einem Unterangebot von Rehabilitationsleistungen und die unterschiedlichen Zuständigkeiten bei der Finanzierung der Behandlungspflege zu einer nicht bedarfsgerechten Bevorzugung stationärer Versorgungsarrangements.
2.3 Ungesteuerter Anbieterwettbewerb
In der gesetzlichen Krankenversicherung geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein ungesteuerter Anbieterwettbewerb nicht zu einer bedarfsgerechten medizinischen Versorgung und potenziell steigenden Kosten führen könnte. Daher regulieren die jeweils zuständigen Institutionen zumindest in der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung sowie in der Versorgung mit Krankenhausleistungen die Kapazitäten. Es ist unstrittig, dass in beiden Bereichen die eher planwirtschaftliche Allokation der knappen Ressourcen das angesprochene Ziel nur sehr eingeschränkt erreicht. Das zeigen nicht zuletzt die wiederkehrenden Reformen bei der Bedarfsplanung und die Debatte um eine Neustrukturierung der stationären Versorgung. Es besteht jedoch weitgehender Konsens darüber, dass die Konsequenz aus diesen Mängeln eine Anpassung der Steuerungsinstrumente sein muss. Ein weitgehend unregulierter Marktzugang für die von den Krankenkassen zu finanzierende ambulante und stationäre Versorgung wird nicht ernsthaft diskutiert.
Vor diesem Hintergrund wird der Kontrast zu den ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen im Hinblick auf den Marktzugang ambulanter und stationärer Anbieter in der Langzeitpflege umso deutlicher: Der Gesetzgeber hat zwar Verantwortungszuständigkeiten für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung normiert, in der Praxis läuft dies jedoch auf eine „Verantwortungs- und Zuständigkeitsdiffusion“ (Greß und Jacobs 2021, S. 187) hinaus. So sind die Bundesländer zwar gesetzlich für die Vorhaltung der pflegerischen Infrastruktur zuständig, kommen dieser Verpflichtung allerdings insgesamt nur unzureichend nach. Die Pflegekassen wiederum sind zwar gesetzlich für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung zuständig, haben aber nur wenige wirkungsvolle Instrumente zur Bedarfssteuerung – insbesondere wenn eine Unterversorgung vorliegt. Die Ablehnung von Versorgungsverträgen bei Überversorgung ist außerdem weitgehend ausgeschlossen, weil Pflegebedürftige zwischen verschiedenen Anbietern auswählen können sollen (Greß und Jacobs 2021).
In der Konsequenz ist der Marktzugang für Leistungsanbieter sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Langzeitpflege weitgehend unreguliert. Eine zentrale Bedarfsplanung findet in den meisten Bundesländern nicht statt. Diese Situation lässt sich dadurch erklären, dass der Gesetzgeber nach Einführung der Pflegeversicherung die Notwendigkeit erkannt hat, Anbieterkapazitäten erheblich auszubauen, was zu einem entsprechenden Investitionsbedarf geführt hat. Diesem erwünschten Ausbau der Kapazitäten sollten möglichst wenige regulatorische Hürden in den Weg gelegt werden. Die private Finanzierung des notwendigen Investitionsbedarfs hat gleichzeitig die Haushalte der Bundesländer entlastet (Greß und Jacobs 2021).
Aus ökonomischer Sicht ist ein freier Marktzugang für Anbieter auf funktionierenden Märkten nicht nur unproblematisch, sondern eine wichtige Voraussetzung für eine optimale Ressourcenallokation. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen bestehen jedoch nachhaltige Zweifel, dass die Märkte für ambulante und stationäre Langzeitpflege die Voraussetzungen für funktionierende Märkte erfüllen. Pflegebedürftige müssen häufig unter Zeitdruck, mit erheblichen Informationsdefiziten und teilweise eingeschränkter Entscheidungskompetenz existenzielle Entscheidungen mit weitreichenden finanziellen Konsequenzen treffen (Greß 2018). Die Qualität der pflegerischen Leistungen bei den zur Verfügung stehenden Anbietern ist ihnen in der Regel nicht bekannt. Ohne einen verständlichen und transparenten Vergleich der Qualität des Angebots sind fundierte, qualitätsbasierte Entscheidungen seitens der Pflegebedürftigen jedoch nicht möglich. Insbesondere dort, wo Entscheidungen trotz der Möglichkeit von Qualitätsvergleichen nicht realisierbar sind, sind überdies flankierende gesetzliche Rahmenbedingen erforderlich, die etwa Mindestqualitätsstandards sicherstellen. Hinzu kommt, dass selbst bei flächendeckenden und verständlichen Qualitätsvergleichen zunehmend nicht sichergestellt ist, dass sich die Pflegebedürftigen für ein höherwertiges Angebot entscheiden, da dies unter Umständen mit deutlich höheren finanziellen Eigenanteilen verbunden ist.
3 Reformbedarf
Die oben diskutierten ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen sind nicht unumkehrbar. Daher wird nachfolgend der pflegepolitische Reformbedarf abgeleitet, um die Anreize für die Akteure stärker in Richtung einer qualitativ hochwertigen und bedarfsgerechten Versorgung in der Langzeitpflege zu orientieren.
3.1 Neujustierung der finanziellen Anreize für Pflegebedürftige
Wie oben beschrieben setzen die finanziellen Anreize für Pflegebedürftige im Status quo eher Anreize zu einem Preis- als zu einem Qualitätswettbewerb. Der Gesetzgeber hat bereits erste Schritte unternommen, um diese Anreize neu zu justieren. Diese Maßnahmen setzen bislang ausschließlich bei den Anbietern an, deren Instrumentarium zur Beeinflussung der Preise beschränkt wurde. Wegen des dominanten Einflusses der Personalkosten auf die Pflegesätze und damit auch auf die von den Pflegebedürftigen zu tragenden Eigenanteile können die Anbieter die Preise vor allem durch die Menge, die Struktur und den Preis des eingestellten Personals beeinflussen. Die Preise – in diesem Fall das Entgelt der Beschäftigten – werden sich durch die Regelungen zur Tariftreue tendenziell angleichen. Die Anbieter haben damit immer weniger Möglichkeiten, sich auf Kosten der Beschäftigten als Anbieter von Niedrigpreisen zu profilieren. Dies gilt sowohl für die ambulante als auch die stationäre Langzeitpflege. In letzterer normiert der Gesetzgeber durch die sukzessive Einführung eines bundesweit geltenden Personalbemessungsverfahrens gemäß § 113c SGB XI zunehmend auch die Menge und die Struktur des einzusetzenden Personals.
Trotz dieser Maßnahmen auf Anbieterseite steht eine echte ordnungspolitische Kehrtwende zur Förderung des Qualitätswettbewerbs in der Langzeitpflege noch aus. Eine Möglichkeit wäre die Etablierung eines sektorübergreifenden Sockel-Spitze-Tauschs. Der Sockel-Spitze-Tausch wurde in den letzten Jahren vor allem als Instrument zur Umkehrung der Finanzierungslogik in der Pflegeversicherung und zur Entlastung der Pflegebedürftigen diskutiert. In diese Richtung gingen auch die ursprünglichen und letztlich nicht umgesetzten Vorschläge des Bundesgesundheitsministeriums zur Finanzierungsreform der Pflegeversicherung (BMG 2020). Dass es letztendlich nicht dazu kam, dürfte insbesondere auf die zu erwartenden Mehrausgaben zurückzuführen sein, auch angesichts der gestiegenen Ausgaben in anderen Zweigen der Sozialversicherung. Zudem gab es insbesondere innerhalb der Unionsfraktion Vorbehalte, dass eine gedeckelte Zuzahlung der Pflegebedürftigen deren Anreize für kostenbewusste Entscheidungen aushebeln könnte. Die ursprüngliche Idee des Sockel-Spitze-Tauschs geht jedoch deutlich weiter: Die Pflegebedürftigen sollten demzufolge sektorübergreifend einen vom individuellen Bedarf abhängigen Sockel der pflegebedingen Kosten selbst bezahlen. Die diesen Sockel übersteigenden Kosten sollten von der Pflegeversicherung finanziert werden. Das Ziel dieser ordnungspolitischen Kehrtwende lag nicht nur in der finanziellen Entlastung der Pflegebedürftigen, sondern explizit auch darin, dass in der professionell erbrachten Pflege „von einem Preiswettbewerb auf einen Qualitätswettbewerb umgesteuert“ werden könne (Rothgang et al. 2019, S. 11). Die Umsetzung eines solchen sektorübergreifenden Sockel-Spitze-Tauschs wäre voraussetzungsvoll. Das gilt etwa für die Entwicklung sektorübergreifender Versorgungsstrukturen, der Etablierung einer erforderlichen, individuellen Bedarfsbemessung im ambulanten Sektor und der Einführung von Maßnahmen zur Vermeidung der Überinanspruchnahme von pflegerischen Leistungen. Zudem ist auch hier eine Vereinheitlichung der Finanzierungsverantwortung für die Behandlungspflege notwendig, um Fehlanreize zu vermeiden (siehe unten).
3.2 Neujustierung der finanziellen Anreize für Krankenkassen und Pflegekassen
Korrekturen an der Schnittstelle zwischen gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegekassen zur Beseitigung der oben angesprochenen Fehlanreize waren in der Vergangenheit wenig erfolgreich. Die positiven externen Effekte mit der Konsequenz, dass es ein Unterangebot von Rehabilitationsleistungen für Pflegebedürftige gibt, bestehen weiterhin. Im Einzelfall lässt sich eine entsprechende Strategie der Krankenkassen schwer nachweisen und sanktionieren. Maßnahmen, mit deren Hilfe die Ursachen für das Auftreten der externen Effekte beseitigt werden könnten, hat der Gesetzgeber bisher noch nicht ergriffen. Diese könnten erstens darin bestehen, die Grundsatzentscheidung zur Trennung von Kranken- und Pflegeversicherung zu revidieren (Rothgang 2015). Dann hätten die Kostenträger ein Interesse daran, das Eintreten von Pflegebedürftigkeit mit den entsprechenden Kosten zu vermeiden.
Jenseits einer Integration der Versicherungssysteme würde eine Angleichung der wettbewerblichen bzw. nicht wettbewerblichen Strukturen die Ursachen für die angesprochenen externen Effekte beseitigen. Denkbar wäre in diesem Kontext etwa eine stärker wettbewerbliche Orientierung der Pflegekassen. Mit einer Umsetzung wären jedoch zahlreiche Voraussetzungen verbunden. Ähnlich wie in der Krankenversicherung müssten die Pflegekassen individuelle Beitragssätze kalkulierten – zudem müsste der Ausgabenausgleich durch einen Risikostrukturausgleich abgelöst werden. Insofern ist auch bei dieser Variante abzuwägen, ob der entstehende Aufwand – mit möglicherweise unterwünschten Folgen des Wettbewerbs zwischen den Pflegekassen – das zu erreichende Ziel rechtfertigt.
Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass eine Beseitigung der Fehlanreize im Verhältnis zwischen Pflege- und Krankenkassen nicht trivial ist. Ähnliches gilt für die Neujustierung von Anreizen, die bisher bei den Krankenkassen zu einer Bevorzugung stationärer Pflegearrangements führt. Dazu müsste gelten, dass der derselbe Kostenträger die Behandlungspflege sowohl im ambulanten wie stationären Setting finanziert. In diesem Kontext ist daher in den letzten Jahren häufiger vorgeschlagen worden, dass die Behandlungspflege in der stationären Langzeitpflege ebenfalls von den Krankenkassen finanziert werden sollte. Eine entsprechende Absichtserklärung findet sich sogar im Koalitionsvertrag und dient in erster Linie dem Ziel, die soziale Pflegeversicherung bzw. die Pflegebedürftigen zu entlasten (SPD et al. 2021). Die Umsetzung dieser Absichtserklärung steht jedoch noch aus.
3.3 Leitplanken für eine aktive Versorgungssteuerung
Am größten dürfte der pflegepolitische Reformbedarf bei der Entwicklung von Leitplanken für eine aktive Steuerung der Versorgung mit pflegerischen Leistungen sein. Derzeit wird das Angebot weitgehend durch die Investitionsentscheidungen der Anbieter von ambulanten und stationären pflegerischen Leistungen determiniert. Es spricht wenig dafür, dass diese Investitionsentscheidungen zu einer flächendeckend bedarfsgerechten Versorgung führen. In einem ersten Schritt wären daher belastungsfähige Informationen über den regionalen Bedarf notwendig, die dann mit den vorhandenen Kapazitäten abgeglichen werden könnten. Diese Informationen – sowohl über den Bedarf als auch über vorhandene Kapazitäten – werden bislang weder in den Kommunen noch in den Bundesländern regelhaft erhoben. Einige wenige Kommunen ermitteln die entsprechenden Daten und verwenden sie für eine aktive Pflegeplanung. Im Regelfall scheitern solche Ansätze weniger am nicht vorhandenen politischen Willen, sondern an den nicht vorhandenen finanziellen und damit verbunden auch personellen Ressourcen. Insofern müssten die Kommunen primär durch die Bundesländer zusätzliche Mittel für eine pflegerische Bedarfsplanung erhalten (Greß und Jacobs 2021).
Eine weitere Möglichkeit der Versorgungssteuerung stellt die oben bereits angesprochene stärkere wettbewerbliche Orientierung der Pflegeversicherung in Verbindung mit dem Ausbau eines selektivvertraglichen Vertragswettbewerbs dar. Auch in der GKV, die in diesem Kontext gerne als Vorbild herangezogen wird, spielen Selektivverträge allerdings nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Während die Krankenkassen mit Selektivverträgen in der Regel die Hoffnung auf eine im Vergleich zur Regelversorgung kostengünstigere Versorgung verbinden, wollen Leistungserbringer meist für eine bessere Versorgung auch eine höhere Vergütung erzielen, da ihre Kapazitäten häufig auch über die kollektive Regelversorgung ausgelastet werden können (Monopolkommission 2017). Vor dem Hintergrund, dass auf dem Pflegemarkt derzeit eher ein zunehmender Nachfrageüberhang zu verzeichnen ist, dürfte diese Problematik auch in der Pflegeversicherung auftreten. Zudem erfordert eine wettbewerblich ausgerichtete Pflegeversicherung wie bereits dargelegt zwingend einen funktionsfähigen Risikostrukturausgleich, der sicherstellt, dass sich die Pflegekassen auf eine Verbesserung der Versorgung und nicht auf die Akquise attraktiver Versicherter fokussieren. Neben weiteren Aspekten kommt noch ein eher pragmatisches Argument hinzu, das die Funktionalität von Selektivverträgen im Bereich der Pflegeversicherung limitieren könnte (Jacobs 2020): Bereits aus der GKV ist bekannt, dass etwa multimorbide Versicherte weniger häufig die Krankenkasse wechseln als junge, gesunde Versicherte. Da unter den Pflegedürftigen überproportional viele multimorbide und hochaltrige Personen sind, werden diese vielfach einen Wechsel der Kasse nicht in Betracht ziehen, selbst wenn dieser mit einer verbesserten Versorgung einhergehen würde, und stattdessen die Regelversorgung oder selektivvertragliche Angebote der eigenen Pflegekasse vorziehen (Jacobs 2020).
Ähnlich wie in der gesundheitlichen Versorgung reicht eine Bedarfsplanung allein noch nicht aus, um eine bedarfsgerechte Versorgung mit pflegerischen Leistungen sicherzustellen. Die zuständigen Akteure müssen darüber hinaus in die Lage versetzt werden, Versorgungsangebote gezielt zu fördern. Insofern müsste der Gesetzgeber die Ursachen für die oben beschriebene Verantwortungsdiffusion bei der Pflegeplanung beseitigen und Zuständigkeiten zwischen Ländern, Kommunen und Pflegekassen klar definieren. Die Bundesländer haben mit der Investitionskostenfinanzierung ein zentrales Instrument in der Hand, um gemeinsam mit den Kommunen Versorgungsstrukturen dauerhaft zu beeinflussen (Greß und Jacobs 2021).
Vor dem Hintergrund, dass die Bundesländer in den zurückliegenden Jahren ihrer Finanzierungsverantwortung in diesem Kontext allerdings nicht gerecht wurden, ist es sinnvoll, auch über alternative Finanzierungsmöglichkeiten nachzudenken. Bereits im Rahmen der Einführung der Pflegeversicherung wurde von der damaligen Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP zunächst eine monistische Finanzierung vorgeschlagen (Deutscher Bundestag 1993). Die Finanzierung der Pflegeeinrichtungen wäre somit über einen Betrag finanziert worden, der sowohl Betriebs- als auch Investitionskosten deckt. Über einen Bundeszuschuss, der durch eine Reduzierung des Steuersubstrats der Bundesländer für den Bundeshaushalt kostenneutral ausgestaltet gewesen wäre, wären die Länder indirekt auch bei dieser Finanzierungslösung an der Finanzierung der Investitionskosten beteiligt worden. Die indirekte Investitionskostenfinanzierung wäre folglich mit einem Teil der Einsparungen der Sozialhilfeträger verrechnet worden. Im Laufe des Verhandlungsprozesses zwischen Bund und Ländern wurde der Vorschlag zugunsten einer dualen Finanzierung aufgegeben und die Formulierungen zur Finanzierungsverantwortung der Länder wurden sukzessive aufgeweicht (Paquet 2020).
Die Umsetzung der in diesem Abschnitt beschriebenen Leitplanken würde die Chancen auf die flächendeckende Etablierung regionaler bedarfsgerechter Versorgungsangebote in der Langzeitpflege deutlich verbessern. Insbesondere bei einem Festhalten an der dualen Finanzierungslogik ist eine notwendige Bedingung hierfür, dass die Bundesländer die finanziellen Mittel für Pflegeplanung und Investitionskostenfinanzierung bereitstellen.
4 Fazit und Perspektiven
Der seit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 weitgehend stabile ordnungspolitische Rahmen der Pflegeversicherung begünstigt den Preiswettbewerb zu Lasten des Qualitätswettbewerbs. Den Wahlentscheidungen der Pflegebedürftigen wird einerseits eine hohe Bedeutung zugemessen. Andererseits verfügen die Pflegebedürftigen noch immer nicht über aussagefähige Qualitätsinformationen, sodass Qualitätsaspekte bei ihren Wahlentscheidungen vermutlich eine untergeordnete Rolle spielen. Eine Wahl basierend auf Qualitätsaspekten wird zudem zunehmend durch steigende Finanzierungslasten seitens der Pflegebedürftigen limitiert. Hinzu kommen Fehlanreize bei den Kostenträgern, die aus unterschiedlichen Anreizstrukturen in der Kranken- und Pflegeversicherung bzw. der unterschiedlichen Finanzierungsverantwortung für die medizinische Behandlungspflege in der ambulanten und stationären Langzeitpflege resultieren. Letztlich werden die Angebotsstrukturen weitgehend von den Investitionskalkülen der Anbieter und nicht vom Bedarf der Pflegebedürftigen bestimmt.
Einen ersten Schritt zur Eindämmung des Preiswettbewerbs hat der Gesetzgeber durch die Regelungen zur Tariftreue und die Einführung eines bundesweit geltenden Personalbemessungssystems in der stationären Langzeitpflege gemacht. Für einen echten ordnungspolitischen Kurswechsel Richtung Qualitätswettbewerb wäre es allerdings notwendig, einen sektorübergreifenden Sockel-Spitze-Tausch zu etablieren. Die Umsetzung wäre voraussetzungsvoll und ist bisher vor allem an Finanzierungsfragen gescheitert. Es ist nicht absehbar, dass sich in näherer Zukunft ein entsprechender Finanzierungsspielraum bieten könnte.
Die Fehlanreize an der Grenze zwischen den beiden Sozialversicherungssystemen lassen sich ebenfalls nicht ohne Weiteres beseitigen. Zumindest teilweise wäre dies möglich, wenn der Gesetzgeber eine einheitliche Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Langzeitpflege sicherstellen könnte. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist dies sogar vorgesehen. Die pauschale Finanzierung der Behandlungspflege in der stationären Langzeitpflege ist bisher allerdings an der ebenfalls prekären Finanzsituation in der GKV gescheitert.
Grundvoraussetzungen für eine Schaffung bedarfsgerechter Versorgungsstrukturen wären neben der Erhebung von Informationen über den Bedarf der Pflegebedürftigen und die regional vorhandenen Kapazitäten, dass die Bundesländer die Finanzierungsverantwortung für entsprechende Investitionen übernehmen. Die Erfahrungen seit Einführung der Pflegeversicherung in diesem Zusammenhang sind allerdings wenig ermutigend. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, auch über andere Finanzierungsoptionen wie etwa eine monistische Finanzierung der Pflegeeinrichtungen nachzudenken. Auch hier ist allerdings mit einem erheblichen Widerstand der Länder zu rechnen. Insofern spricht vieles dafür, dass der bisher betretene Pfad nicht verlassen wird und die pflegerische Infrastruktur weiterhin statt vom Bedarf der Pflegebedürftigen von den Investitionsentscheidungen der Anbieter determiniert wird. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wird es daher zunehmend wichtiger, Maßnahmen zur Reduktion des Risikos von Pflegebedürftigkeit und der Fallschwere erheblich auszuweiten. Angesichts der dargelegten wettbewerblichen Anreize von Kranken- und Pflegekassen könnten diese Maßnahmen aus Steuermitteln finanziert werden.
Literatur
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Greß, S., Jesberger, C. (2023). Auswirkungen des ordnungspolitischen Rahmens der Pflegeversicherung auf die Qualität der pflegerischen Versorgung. In: Schwinger, A., Kuhlmey, A., Greß, S., Klauber, J., Jacobs, K. (eds) Pflege-Report 2023. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67669-1_9
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