Zusammenfassung
Mit seinem Tiermärchen Homchen (1902) versuchte Kurd Laßwitz die Bedeutung der Kantischen Anthropologie auch unter der Bedingung der Tiefendimension allen Lebens zu behaupten. Dieser Beitrag zeigt, dass die Gattungswahl als Reaktion auf den Umstand zu verstehen ist, dass die in der Tiefenzeit wirksamen geologischen Kräfte und natürlichen Selektionsprozesse aus menschlicher Perspektive ‚nie‘ zu sehen sind und doch vom Menschen unbemerkt ‚immer‘ stattfinden, genau so, wie Märchen zeitlich und örtlich nicht präzise festgelegt sind, also ‚nie‘ stattfinden, und doch gerade deswegen allgemeine, überzeitliche Wahrheiten artikulieren, also ‚immer‘ gelten. Homchen erprobt – und das macht die Lektüre aktuell –, wie ein Erzählen in und mit der Tiefenzeit möglich ist, und führt vor, wie tradierte Erzählmuster, insbesondere die des Bildungsromans und die ihm zugrundeliegende Form von Subjektivität, dabei an ihre Grenzen stoßen.
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So die im 19. Jahrhundert gebräuchliche, von Huttons Begleiter Playfair geprägte Formulierung für die Erfahrung der ‚Tiefenzeit‘, ein Begriff, der in diesem Kontext erst 1981 vom US-amerikanischen Schriftsteller John McPhee geprägt wurde (Stoffel 2020b).
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Stoffel, P. (2023). Kurd Laßwitz’ Homchen. Ein Bildungsmärchen aus der Tiefenzeit. In: Pause, J., Prokić, T. (eds) Zeiten der Natur. LiLi: Studien zu Literaturwissenschaft und Linguistik, vol 5. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67588-5_5
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