Schlüsselwörter

5.1 Einleitung

Wann werden eigentlich welche Texte in eine Sprache übersetzt? Diese nur scheinbar triviale Frage lenkt das Augenmerk weg von den immanenten Qualitäten von Ausgangstexten hin zu Gegebenheiten innerhalb der Zielkultur, die die Entscheidung für das Übersetzen von Texten beeinflussen. Genau diese Gegebenheiten erfasst Gideon Tourys Begriff der ‚translation policy‘, der die Faktoren der Auswahl von Texten oder Textgruppen, die zu einer bestimmten Zeit in eine Zielsprache übersetzt werden, in den Blick nimmt, sofern diese Auswahl nicht völlig willkürlich erscheint.Footnote 1 Damit bietet er die Möglichkeit, einer großen Spannbreite an Einflussfaktoren, die zu Übersetzungen führen können, Rechnung zu tragen, die auch im Feld der Wissenschaftsübersetzungen von durchaus kontingenten Konstellationen (etwa der persönlichen Bekanntschaft zwischen Forschern und ÜbersetzernFootnote 2) über Verlegerkalküle (wobei die nicht vulgarisierenden wissenschaftlichen Titel insgesamt keine spektakulären Gewinne einbrachtenFootnote 3), wissenschaftsstrategische Motive (wie bei den ‚widerlegenden‘ Übersetzungen der phlogistischen Fachliteratur durch Lavoisier) bis hin zur staatlichen Unterstützung bestimmter Wirtschaftszweige reichen, die durch die Übersetzung einschlägiger Literatur gefördert werden sollten. Gerade für den letzteren Fall erscheint der Begriff der Übersetzungspolitik besonders angemessen, weshalb im Folgenden genau solch ein Übersetzungskontext in den Blick genommen werden soll, nämlich die Übersetzung bergbaurelevanter Literatur ins Französische im 18. Jahrhundert. Denn von diesen Übersetzungen versprach man sich unmittelbaren oder zumindest mittelbaren ökonomischen Nutzen, da etwa die Effizienz im Auffinden und beim Abbau von Erzen kausal mit der Handelsbilanz verknüpft war. Je mehr Erze etc. man importieren musste, desto mehr Devisen wanderten ins Ausland,Footnote 4 ein Problem, das übrigens nicht nur Frankreich betraf, sondern alle Staaten,Footnote 5 weshalb der Wettbewerb um Kompetenzen hier besonders virulent war. Was lag angesichts dieser Situation näher, als sich diese Kompetenzen anzueignen, indem man sie, wo immer sie vorzufinden waren, ins eigene Land überführte, u. a. mithilfe von Übersetzungen? Tatsächlich spiegelt sich diese Evidenz im Falle Frankreichs in Zahlen wider, die Ausdruck einer ‚Übersetzungspolitik‘ sind, die Hand in Hand mit wirtschafts- und bildungspolitischen Anstrengungen durch konkrete Übersetzungsförderung versuchte, das bergbaurelevante Wissen in Frankreich zu vermehren. So weist Patrice Bret für das 18. Jahrhundert mehr als 100 monographische Übersetzungen für die Bereiche Bergbau/Mineralogie/Chemie aus, mit einem erwartbar hohen Anteil von Übersetzungen aus dem Deutschen (37,5 %).Footnote 6 Denn gerade die Bergbaukunde und die mit ihr verbundenen Disziplinen waren in Deutschland besonders fortgeschritten, und außerdem diente das Deutsche als Relaissprache für Publikationen aus dem Schwedischen, das ebenfalls mit renommierten Publikationen im Feld der Chemie/Mineralogie präsent war.

Rein statistisch ergibt sich also das Bild eines Wissenstransfers qua Übersetzung in Feldern, in denen Übersetzungen bestimmte inhaltliche Lücken schließen, die zu schließen im nationalen Interesse lag.

Nun hat bereits die Kulturtransferforschung nachgewiesen, dass solch ein Lückenfüllen eine etwas verkürzte Sichtweise darstellt, da Wissen in neuen Kontexten Transformationen unterliegt, die ein Containermodell von Transfer widerlegen. Für den Bereich des Bergbaus im 18. Jahrhundert haben historische Forschungen dann auch entsprechende Untersuchungen zu den nationalen Kontexten vorgenommen und dabei u. a. unterschiedliche Auffassungen über das Ausmaß staatlicher Lenkung wirtschaftlicher Prozesse und über die Ausbildung von Fachkräften in technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen herausgearbeitet.Footnote 7 Auch nationale Widerstände bei der Adoption gewisser wissenschaftlicher Fortschritte ‚aus dem Ausland‘ wurden bereits analysiert, wie sie sehr prominent in den Debatten um das Phlogiston im 18. Jahrhundert zum Tragen kamen, als die Widerlegung der Phlogistontheorie zugleich als Angriff auf die deutsche Chemie aufgefasst werden konnte.Footnote 8

Kaum jedoch wurden bislang die Übersetzungen, die in all diesen Transferprozessen von zentraler Bedeutung sind, angemessen gewürdigt. Zwar werden sie durchaus erwähnt, zumeist in Form von AufzählungenFootnote 9, die als suggestiver Beleg für Austausch- und Transferprozesse dienen sollen, doch damit ist ihr Erkenntnispotential noch keineswegs erschöpft. Denn ein Blick in die einzelnen Übersetzungen und insbesondere ihre Paratexte zeigt, wie Übersetzungen selbst zum Ort eines Konkurrenzgeschehens werden, bei dem weitaus mehr als der Transfer wissenschaftlichen Wissens verhandelt wird. Wie sich Übersetzungspolitik also gleichsam in der Präsentation der übersetzten Texte fortsetzt und wie die Zielkultur des Französischen den Wissensimport aus Deutschland gleichsam kulturell einhegt, soll im Folgenden anhand deutsch-französischer Übersetzungen aus dem Bereich Mineralogie im 18. Jahrhundert nachgezeichnet werden, und zwar in weitgehend chronologischer Reihenfolge.

5.2 Jean Hellot, De la fonte des mines

Den Anfang für die oben erwähnte Übersetzungskonjunktur deutscher mineralogischer Schriften macht dabei die 1750 bis 1753 erschienene Übersetzung De la fonte des mines von Jean Hellot. Dabei handelt es sich um die Übersetzung von Christoph Andreas Schlüters Gründlichem Unterricht von Hütte-Werken. Nebst einem vollständigen Probier-Buch, das 1738 in Braunschweig bei Meyer erschienen war. Der sehr lange Untertitel des Werks gibt dabei einen instruktiven Überblick über dessen Inhalte:

Gründlicher Unterricht Von Hütte-Werken: Worin gezeiget wird, Wie man Hütten-Werke auch alle dazu gehörige Gebäude und Oefen aus dem Fundament recht anlegen solle, auch wie sie am Hartz und andern Orten angeleget sind; Und wie darauf die Arbeit bey Gold- Silber- Kupfer- und Bley-Ertzen, auch Schwefel- Vitriol- und Aschen-Werken geführet werden müsse; Nebst einem vollständigem Probier-Buch, darin enthalten wie allerley Ertze auf alle Metalle zu probieren, die Silber auf unterschiedene Art fein zu brennen, Gold und Silber mit Vortheil zu scheiden und alles, so dazu gehöret, zu verrichten; Mit verschiedenen zu beyden Theilen gehörigen und nach dem Maaß-Stabe verfertigten Kupfern auch nöthigen Registern herausgegeben.

Wie man sieht, handelt es sich um ein denkbar umfassendes Werk, was seine Übersetzung besonders ergiebig erscheinen lässt. Wobei zu dieser Ergiebigkeit ein Detail beiträgt, das auch Hellot in seinem Vorwort lobend erwähnt,Footnote 10 und zwar sind dies die Kupfer, denen in Schlüters Werk jeweils ein Maßstab beigefügt ist, was das maßstabgerechte Nachbauen der beschriebenen Objekte und Anlagen naturgemäß erleichtert. Neben der Maßstabstreue blieb aber das Problem der Übertragung der Maße, weshalb Hellot, wie er im zweiten Band in einer Fußnote erwähnt, eigens ein Lineal aus Sachsen kommen ließ, auf dem das von Schlüter verwendete Harzer sowie das Freiberger Maß aufgetragen waren, für die Hellot dann mit einiger Gewissheit die Entsprechung in der in Frankreich verwendeten Maßeinheit ‚Pieds du roi‘ angeben konnte.Footnote 11 Diese Umrechnungsarbeit war für Wissenschaftsübersetzungen nicht ungewöhnlich, und erklärt, warum Hellot die maßstabgerechten Kupfer Schlüters, die zumindest eine solide Ausgangsbasis für Umrechnungen boten, lobend hervorhob. Außerdem genieße Schlüters Werk, wie Hellot in seinen Vorworten erläutert, als eines der wenigen in diesem Feld einen guten Ruf.Footnote 12 Dieser Hinweis auf Prestige und Qualität des Ausgangstextes fehlt zugegebenermaßen in nahezu keinem Übersetzervorwort,Footnote 13 erscheint bei Hellot jedoch besonders explizit. So lautet es im Vorwort des 1753 erschienenen zweiten Bandes:

De ce court exposé, il résulte qu’il étoit de la sagesse du Ministère, de faciliter aux Sujets du Roi les moyens de profiter des richesses que la nature leur offre ; on ne pouvoit le faire avec espérance de succès, qu’en leur communiquant les Procédés qui réussissent dans les autres Etats de l’Europe; c’est ce qui a déterminé Monsieur le Garde des Sceaux à ordonner la Traduction du meilleur Recueil que l’on connut de ces Procédés les plus modernes.

Aus dieser knappen Darstellung geht hervor, dass es der Weisheit des Ministeriums entsprach, den Untertanen des Königs die Nutzung der Reichtümer zu erleichtern, die die Natur ihnen bietet; man konnte dies mit Hoffnung auf Erfolg nur tun, indem man ihnen die Verfahren vermittelte, die in den anderen Staaten Europas erfolgreich sind; dies hat den Herrn Garde des sceaux dazu bewogen, die Übersetzung des besten Werkes anzuordnen, das man von diesen modernsten Verfahren kannte.Footnote 14

Schlüters Werk wird hier also geradewegs als „das beste Buch“ auf dem Markt ausgewiesen, und nur ein solches ist für die Übersetzung gut genug. In das typische Lob des übersetzten Werkes mischt sich insofern eine interessante Nuance, denn es wird klar, dass man das Werk nicht allein um seiner selbst willen übersetzt, sondern weil man sich damit das Übersetzen weiterer Werke erspart. Maximaler Nutzen bei minimalem Einsatz ließe sich also als Devise der Schlüter-Übersetzung festhalten. Nichtsdestotrotz zeugt sie von einem staatlichen Engagement für Übersetzungen, da der Auftraggeber der Übersetzung, der erwähnte garde des sceaux, kein geringerer als Jean Baptiste de Machault war, seines Zeichens Ehrenmitglied der Académie des sciences, vor allem aber contrôleur général des finances, was in etwa dem Posten eines Finanzministers entspricht. Diese waren in Frankreich ab den 1740er Jahren offiziell mit Fragen des Bergbaus befasstFootnote 15, wobei sich bereits Colbert als contrôleur général des finances unter Louis XIV. intensiv um die Anwerbung ausländischer Fachkräfte und Arbeiter für den heimischen Bergbau gekümmert hatte, nicht zuletzt aus Deutschland.Footnote 16 Vor diesem Hintergrund erscheint die Übersetzungsförderung durch de Machault durchaus als Fortsetzung staatlicher Bemühungen zur Optimierung des Bergbaus in Frankreich.Footnote 17 Interessant ist aber eben, von welchen Diskursen dieses im Grunde ganz sachliche Anliegen begleitet wird. Dabei ließe sich durchaus beim Titelblatt anfangen, auf dem Schlüter als Originalautor zwar prominent auftaucht, Jean Hellot als Herausgeber bezeichnenderweise aber auch rot gedruckt ist, womit seine prominente Rolle für dieses Werk markiert ist. Dazu gesellt sich der Hinweis auf Hellots Akademiemitgliedschaft, der natürlich eine zusätzliche Aufwertung bedeutet, auch wenn er ein absolut typischer Hinweis auf Titelblättern ist. Außerdem fällt auf, dass das Werk zwar als Übersetzung – ‚traduction‘ – erscheint, Hellot aber als Herausgeber angeführt ist. Dies ist zum einen deshalb berechtigt, weil Hellot das Werk umgeordnet und ergänzt hat, zum anderen ist damit aber auch ein Problem umgangen, dem man erst bei Lektüre des Vorworts auf die Spur kommt, und das darin besteht, dass der eigentliche Übersetzer des Werks der deutsche Bergbauingenieur König war, den Hellot, wie er selbst schreibt, mit der Rohübersetzung von Schlüters Text beauftragt hat.

Mais ces sortes de Traités sont fort difficiles à traduire tel, qui rendra parfaitement en notre Langue un Livre d’Histoire ne pourra jamais mettre en François un Traité sur les Mines, s’il n’entend cette matiere; J’ai donc préféré, pour faire faire cette Traduction, le Sieur Koenig, Ingénieur des Mines, qui, depuis dix à douze ans, a été employé en France avec beaucoup de succès, par diverses Compagnies, exploitant des Mines dans ce Royaume. Il m’a rendu, sans rien obmettre, tous les détails de l’Auteur, & j’ai traduit de nouveau toute cette traduction.

Aber diese Art Abhandlungen sind sehr schwer zu übersetzen, so dass, wer ein Geschichtswerk perfekt in unsere Sprache übersetzen würde, niemals eine Abhandlung über den Bergbau ins Französische übertragen könnte, wenn er diese Materie nicht beherrscht; Ich habe also, um diese Übersetzung vorzunehmen, den Herren Koenig vorgezogen, Bergbauingenieur, der, seit zehn, zwölf Jahren mit großem Erfolg in Frankreich beschäftigt ist, von verschiedenen Gesellschaften, die die Bergwerke in diesem Königreich betreiben. Er hat mir, ohne etwas wegzulassen, alle Details des Autors übertragen, & ich habe diese ganze Übersetzung erneut übersetzt.Footnote 18

Auch hier begegnet uns ein Topos der Wissenschaftsübersetzungen, nämlich dass diese nur von Kennern der Materie angefertigt werden können und dass Sprachkenntnisse alleine nicht ausreichen. Noch aufschlussreicher für unseren Zusammenhang ist jedoch die Figur König im Speziellen, da er zwar fraglos ein Kenner war und mehrere Bergwerke erfolgreich leitete, seine Rolle in der Übersetzung Schlüters aber doch relativ unsichtbar bleibt. Dies zeigt sich denn auch in der Rezeption des Werkes, in der De la fonte des mines als Übersetzung oder gar Werk Hellots gilt, von König jedoch keine Rede mehr ist. Dies belegt sicher zum einen die Tendenz, den ‚französischen‘ Anteil an der Übersetzung zu betonen, zum anderen verweist es aber auch auf ein grundsätzliches Problem der Visibilität von Übersetzern, sofern diese über wenig eigenes wissenschaftliches und soziales Prestige verfügen. Bernard Gille beschreibt König in einer grundlegenden Studie als mittellos, als er mit der Übersetzung Schlüters beauftragt wird, und erst nach vielen Jahren erfolgreicher Arbeit in verschiedenen Bergwerken verbessert sich sein Status.Footnote 19 In einer posthumen Publikation von Gabriel Jars erscheint er denn auch auf dem Titelblatt, als Quelle für die sogenannte ‚Géométrie souterraine‘Footnote 20, eine im Deutschen Markscheidekunst genannte Technik in den Bergwerken, Vermessungen vorzunehmen, die Jars von König gelernt hat. Dazu muss man wissen, dass König nicht nur Bergwerksverwalter war, sondern auch zur Ausbildung angehender Bergbauspezialisten herangezogen wurde, sowohl was die Techniken des Bergbaus als auch die deutsche Sprache anging, die für angehende Bergbaufachkräfte zum Ausbildungsprogramm gehörte.Footnote 21 Einer der ersten Schüler Königs war dabei besagter Gabriel Jars, der von König auf eine Erkundungstour durch Europa vorbereitet wurde, bei der Jars im Auftrag des Contrôle général und mitunter beraten durch Hellot Bergwerke inspizieren sollte, um die Kenntnisse dann in Frankreich nutzbar zu machen.Footnote 22 Ob man einige dieser Reisen dabei, wie in der Fachliteratur zu finden, als Industriespionage ansieht,Footnote 23 mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber sind sie im Kontext der staatlichen Bemühungen um den Bergbau zu begreifen und fanden in den Voyages metallurgiques ihren Niederschlag, einer posthum von Jars Bruder herausgegebenen Schrift voller technischer Beobachtungen, in deren Vorwort auch auf Jean Hellots Übersetzung angespielt wird:

L’Art de l’exploitation des Mines & celui de la Métallurgie, n'ont pas acquis en France la même célébrité qu’en Allemagne, & chez les autres Nations de l’Europe, ils ont néanmoins fixé l’attention du Gouvernement, & des Savans patriotes qui se sont empressés de traduire les ouvrages les plus instructifs sur cette matière.

Die Kunst des Bergbaus & diejenige der Metallurgie haben in Frankreich nicht die gleiche Bekanntheit erreicht wie in Deutschland & in den anderen Nationen Europas, gleichwohl haben sie die Aufmerksamkeit der Regierung & der patriotischen Gelehrten auf sich gezogen, die sich eilig daran gemacht haben, die lehrreichsten Werke zu dieser Materie zu übersetzen.Footnote 24

Auch wenn Jean Hellot nicht explizit Erwähnung findet, so ist doch evident, dass seine Übersetzung hier mitgemeint ist, denn sie wird in der Folge der Préface sowie in nahezu allen folgenden Übersetzungen aus dem Bereich des Bergbaus erwähnt und kann somit als Referenz für nachfolgende Aktivitäten in diesem Feld angesehen werden. Wie unschwer zu erkennen, bestätigt auch Jars die staatliche Förderung des Bergbaus, die sich u. a. in Übersetzungen ausdrückt. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Übersetzungen gleichsam als „patriotische Aufgabe“ betrachtet werden, was ein eher expliziter Hinweis auf einen national konnotierten Diskurs ist, der diese Übersetzungen begleitet. Subtiler findet sich dieser in den Übersetzervorworten selbst, auch in demjenigen Hellots. Denn dieser stellt wie Jars die Notwendigkeit fest, den französischen Bergbau durch Kenntnisse ausländischer Methoden zu stärken, lässt es sich jedoch nicht nehmen, folgendes zu dem von ihm übersetzten Werk auszuführen:

Ainsi j’ai jugé qu’il convenoit de le refondre, d’en supprimer les répétitions, qui sont un peu trop ennuyeuses, d’en changer la théorie, plus conforme aux idées grossières des ouvriers Allemands, que convenables au physicien, dont les principes sont beaucoup plus certains que ceux de l’Auteur; d’y joindre, soit dans le corps de l’ouvrage, dont le Traité de Schlutter sera la base, soit dans des Notes, les Observations de l’Auteur anonime d’un petit Ouvrage Allemand, qui a pour titre : Ars fusoria fundamentalis & experimentalis, celles de Mrs Saur & Blumenstein, Concessionnaires de Mines en France, que feu M. Orry, Contrôleur général des Finances, envoya en Saxe en 1742, pour y prendre des Instructions sur la manière de travailler dans le Pays; différens faits, tirés des Manuscrits de feu M. Homberg, que j’ai eus en communication, & et des observations particulieres de feu M. Grosse; enfin, ce que j’ai recüeilli depuis vingt-cinq ou trente ans sur ces matieres.

Also habe ich beschlossen, dass es angebracht sei, es [Schlüters Werk] zu überarbeiten, die Wiederholungen daraus zu entfernen, die etwas zu ermüdend sind, die Theorie darin zu ändern, die eher den groben Vorstellungen der deutschen Arbeiter entspricht als den Physikern, deren Prinzipien sehr viel unbestreitbarer sind als diejenigen des Autors; ihm, entweder im Hauptteil der Arbeit, dessen Grundlage die Abhandlung Schlüters sein wird, oder in den Fußnoten, die Beobachtungen des anonymen Autors einer kleinen deutschen Schrift hinzuzufügen, die den Titel trägt: Ars fusoria fundamentalis & experimentalis, diejenigen von Herrn Saur & Blumenstein, Bergbauberechtigte in Frankreich, die der verstorbene Herr Orry, Generalkontrolleur der Finanzen, 1742 nach Sachsen geschickt hat, um dort Anleitungen zur Arbeitsweise im Land einzuholen; verschiedene Fakten, die dem Manuskript des verstorbenen Herrn Homberg entnommen sind, das ich einsehen konnte, & spezielle Beobachtungen des verstorbenen Herrn Grosse; schließlich das, was ich seit 25 oder 30 Jahren zu diesen Gegenständen zusammengetragen habe.Footnote 25

Dieses ausführliche Zitat sei hier gestattet, da sich darin gleich mehrere Charakteristika finden, die vielen Übersetzervorworten in den Wissenschaftsübersetzungen gemeinsam sind. Da wäre zum einen der Hinweis auf Ergänzungen zum Text, die von Fußnoten bis hin zu ganzen Traktaten des Übersetzers reichen, aber auch Beiträge anderer Forscher beinhalten können. Teilweise erreichen diese Zusätze einen Umfang, der tatsächlich etwas von einer ‚Übermächtigung‘ des Ausgangstextes hat. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass Zusätze zum einen von der Académie des sciences verlangt wurden, um eine Übersetzung zu befürworten, und dass sie außerdem ein Verkaufsargument für die Verleger darstellen konnten, da die Übersetzung so einen Mehrwert im Vergleich zum Ausgangstext aufwies. Insofern ist es nicht unerheblich, auf die genaue Ausgestaltung dieser Zusätze und die Wortwahl, mit der sie präsentiert wurden, zu achten, da sich nur so die Positionierungen gegenüber dem Ausgangstext erschließen. Im vorliegenden Fall Hellots ist bei diesen Zusätzen bezeichnend, dass darunter diejenigen von Bergwerksbesitzern (bzw. deren Söhnen) sind, die in französischem Auftrag nach Deutschland geschickt wurden (nämlich Saur und Blumenstein), womit natürlich der nationalen Anstrengung zur Förderung des ‚französischen‘ Minenwesens Rechnung getragen wird. Außerdem typisch ist der Hinweis auf eigene Tätigkeiten im Feld, die als Kompetenzausweis dienen, aber zumindest indirekt auch immer Defizite des übersetzten Textes nahelegen. Im französischen Kontext möglicherweise noch typischer als solche indirekten Hinweise auf inhaltliche Mängel oder Ergänzungsbedürftigkeit des Ausgangstextes sind jedoch die Hinweise auf stilistische Mängel des Ausgangstextes, die sich hier gleich eingangs finden. Ermüdende Wiederholungen sind dabei ein beliebter Kritikpunkt, um einen umständlichen, unklaren Stil zu kennzeichnen, und da dieser auch als Gegenbild zum klaren, konzisen Stil der französischen Wissenschaftsprosa dient, gehören die Hinweise auf stilistische Mängel zum Repertoire eines national konnotierten Diskurses, der die Wissenschaftsübersetzungen begleitet. Damit soll nicht behauptet sein, dass diese Unterschiede im wissenschaftlichen Stil gar nicht bestünden. Der Schweizer Arzt und Autor Johann Georg Zimmermann zumindest bestätigt diese zeitgenössisch, wenn er schreibt, Frankreich habe die Wissenschaft zu „attischer Anmut“Footnote 26 geführt. Ihre Thematisierung in den Übersetzervorworten dient aber häufig der eigenen Aufwertung bei gleichzeitiger Abwertung des übersetzten Textes, so dass sie als Teil des Konkurrenzgeschehens begriffen werden können, das die Übersetzungen prägt.Footnote 27 Bei Hellot zumindest trifft dies zu, insofern der Hinweis auf den Stil eine Passage einleitet, die eine einzige Relativierung der Qualität des Schlüterschen Werkes darstellt, durch den Hinweis auf eigene Eingriffe, Zusätze und Defizite Schlüters. Ein Grund für diese Bemühungen der dezenten Abwertung des übersetzten Textes mag dabei aus dem Ende des Vorworts abgeleitet werden, in dem sich Hellot als bloßer Übersetzer und Kompilator bezeichnet:

Ce que je présente au Public n’a d’autre mérite que celui d’une traduction & d’une compilation: mais il est quelquefois à propos d’abandonner à d’autres le plaisir ou la gloire de produire du nouveau, quand il résulte, d’une compilation, un avantage a peu près égal pour l’Etat.

Was ich dem Publikum hier präsentiere, ist lediglich eine Übersetzung & eine Kompilation: aber es ist manches Mal ratsam, anderen das Vergnügen und den Ruhm zu überlassen, Neues zu schaffen, wenn aus einer Kompilation ein in etwa gleich großer Vorteil für den Staat erwächst.Footnote 28

Was hier sehr deutlich wird, ist das fehlende Prestige der übersetzerischen Tätigkeit, die neben der Publikation eines Originalwerks völlig verblasst. Damit einher geht natürlich aber der indirekte Hinweis darauf, dass es im französischen Kontext an solch einem gleichwertigen Originalwerk mangelt. Die Tatsache der Übersetzung scheint so zu einem Eingeständnis eigener Defizite zu werden – was die Hervorkehrung eigener Kompetenz und Schwächen des Ausgangstextes gleichsam als kompensatorisch erscheinen lässt.Footnote 29

Dieser Zusammenhang wird auch in den Kommentaren der Académie des sciences zu Hellots Übersetzung Schlüters deutlich. Grandjean de Fouchy bezeichnet in seiner Eloge auf Hellot dessen Übersetzung als fast schon eigenständiges Werk:

c’est beaucoup moins une traduction qu’un ouvrage absolument neuf : il n’y a conservé que le fond de Shlutter, tout l’arrangement est de lui, il y a joint un grand nombre de procédés dont le premier auteur n’avait point parlé, & des articles très-essentiels qu’il avoit absolument omis ; en un mot il en a fait un ouvrage qui ne laisse rien à désirer […] c’est cependant ce qu’il donne pour une simple traduction : Bien des gens se sont souvent cru Auteurs à meilleur marché.

Es ist viel weniger eine Übersetzung als ein gänzlich neues Werk: er hat nur die Grundlage Shlutters [sic!] behalten, die gesamte Anordnung ist von ihm, er hat ihm eine Vielzahl an Verfahren hinzugefügt, von denen der Erstautor nicht gesprochen hatte, & sehr wesentliche Artikel, die er ganz weggelassen hatte; in einem Wort, er hat daraus ein Werk gemacht, das nichts zu wünschen übrig lässt […] doch gibt er dies als schlichte Übersetzung aus: Es gibt viele, die sich oft mit weniger guten Gründen für Autoren gehalten haben.Footnote 30

Wo nur Autorschaft, verstanden als Gegenpart zu Übersetzung, Prestige verleiht, ist es naheliegend, Übersetzer zu Autoren zu machen, wenn man sie loben möchte. Ihre Übersetzungstätigkeit an sich erscheint vor diesem Hintergrund als selbstaufopfernde Tätigkeit, die der Nation einen Dienst erweist, ihr aber nicht wirklich zu Ehre gereicht. Dies bleibt nur den Autoren vorbehalten. So sehr man jedoch versuchen mochte, Hellot im Grunde als Autor von De la fonte des mines darzustellen und so sehr Hellot in der ausführlichen Préface zum ersten Band, aber auch innerhalb des Textes eigene Beobachtungen zum Problem des Bergbaus in Frankreich ergänzt, so bleibt es doch eine Tatsache, dass das Werk in großen Teilen tatsächlich eine Übersetzung Schlüters darstellt – und es sollte nicht die letzte Übersetzung deutscher mineralogischer Schriften im Frankreich des 18. Jahrhunderts bleiben. Vielmehr folgen auf Hellot eine ganze Reihe weiterer Übersetzungen von Monographien aus dem Bereich der Mineralogie, die hier nur exemplarisch vorgestellt werden können, aber doch so, dass die wiederkehrenden Topoi deutlich werden.

5.3 Hellots ‚Nachfolger‘

5.3.1 Geoffroy, L’Art d’essayer les mines

Als weitere von einem Mitglied der Académie des sciences verfasste Übersetzung erscheint 1759 Geoffroys Übersetzung von Christian Karl Schindlers Metallische Probier-Kunst aus dem Jahr 1697. Genau wie bei dem Académicien Hellot findet diese Zugehörigkeit zur Académie Geoffroys auch im Titel des Werks und auf dem Titelblatt Erwähnung.Footnote 31 Da diese Übersetzung erst posthum erschienen ist, fehlt ein reiches Übersetzervorwort wie es Hellots Übersetzung aufweist, trotzdem ist der Avis, der der Übersetzung Geoffroys voransteht, für den vorliegenden Zusammenhang interessant. Denn er enthält neben dem obligatorischen Verweis auf die Qualität von Schindlers Werk, das zwar bereits älter, aber geschätzt sei, den Topos der stilistischen Mängel.

Schindlers, n’a pas gardé l’ordre général de la métallurgie; & souvent, après avoir traité de chaque métal en particulier, il se trouve obligé de revenir à traiter des essais en général. Le traducteur aurait pu changer cet ordre; mais il s’est contenté de retrancher des répétitions inutiles.

Schindlers hat die übliche Ordnung der Metallurgie nicht bewahrt & findet sich häufig, nachdem er jedes Metall im Besonderen behandelt hat, gezwungen, zu den Proben im Allgemeinen zurückzukehren. Der Übersetzer hätte diese Ordnung ändern können; aber er hat sich damit begnügt, die unnötigen Wiederholungen zu streichen.Footnote 32

Wie bei Hellot findet sich also auch hier der Hinweis auf die unnötigen Wiederholungen, die der Übersetzer getilgt habe, in einer Formulierung, deren Tonfall erneut eine gewisse, zumindest stilistische Unterlegenheit des Ausgangstextes suggeriert. Auf eine nicht stilistische, aber tatsächlich fachliche Kompetenz verweist eine andere Passage des Avis, in der behauptet wird, dass der Übersetzer Geoffroy zwei Jahre für die Überprüfung der Verfahren Schindlers gebraucht habe. Damit ist eine sehr wichtige Funktion von Wissenschaftsübersetzungen angesprochen, die häufig vernachlässigt oder gar ignoriert wird und die in der Replikation der in den Ausgangstexten geschilderten Versuche liegt. Wird eine solche Kontrolle des Textes durch Replikation unterlassen und findet ein späterer Kommentator solche Fehler, wird dies den Übersetzungen angelastet, was darauf schließen lässt, dass es sich um eine Norm handelte. Damit ist nicht gesagt, dass sie immer eingehalten wurde – das ist bei Normen ja sogar regelmäßig nicht der Fall –, aber es bestätigt natürlich den Anspruch an die wissenschaftlichen Übersetzer, kompetente Wissenschaftler zu sein. Weshalb es nicht verwundert, dass auch Mitglieder der Académie des sciences übersetzerisch tätig wurden, wie bei Hellot oder eben dem Chemiker Geoffroy der Fall. Bezeichnend für den Konkurrenzdiskurs, der die Übersetzungen begleitet, ist es jedoch, wenn der Kompetenzausweis des Übersetzers zu einem zentralen Anliegen der Übersetzung zu werden scheint. So kommentiert die Académie des sciences in ihrem Gutachten zu Geoffroys Übersetzung, diese sei ein „Zeugnis der Kenntnis und Fähigkeiten Monsieur Geoffroys in Chemie“Footnote 33. Dies mag durchaus zutreffen. Da die Kompetenz von Akademiemitgliedern aber eigentlich vorausgesetzt ist, erscheint dieser Hinweis doch zumindest teilweise von dem Bedürfnis motiviert, der im Ausgangstext ‚evidenten‘ ausländischen Kompetenz eine ‚eigene‘, ‚nationale‘ entgegenzusetzen.

5.3.2 D’Holbach

Ebenfalls im Jahr 1759 erschien eine weitere Übersetzung, die für den Bergbau von Interesse war, und zwar Lehmanns L’Art des mines. Der Übersetzer blieb hier anonym, es handelte sich aber bekanntermaßen um d’Holbach.Footnote 34 Dieser hatte bereits 1752 im Vorwort zu seiner Übersetzung von Neris Glasmacherkunst, die auch eine Übersetzung von Kunckels deutscher Neuübersetzung Neris sowie vieler weiterer deutscher Texte enthielt,Footnote 35 angekündigt, dass er sich um die Übersetzung deutscher Wissenschaft bemühen wollte:

L’envie de me rendre utile, dont tout citoyen doit être animé, m’a fait entreprendre l’ouvrage que je présente au Public. S’il a le bonheur de mériter son approbation, quoiqu’il y ait peu de gloire attachée au travail ingrat et fastidieux d’un Traducteur, je me déterminerai à donner les meilleurs ouvrages allemands, sur l’Histoire Naturelle, la Minéralogie, la Métallurgie et la Chymie. Tout le monde sait que l’Allemagne possede en ce genre des trésors qui ont été jusqu’ici comme enfouis pour la France.

Das Bedürfnis, mich nützlich zu machen, von dem jeder Bürger beseelt sein sollte, hat mich das Werk unternehmen lassen, das ich dem Publikum vorstelle. Wenn ihm das Glück beschert sein sollte, dessen Zuspruch zu erhalten, wiewohl der undankbaren und langwierigen Arbeit eines Übersetzers wenig Ruhm anhaftet, so würde ich mich entschließen, die besten deutschsprachigen Werke zu übersetzen, über Naturgeschichte, Mineralogie, Metallurgie und Chemie. Alle Welt weiß, dass Deutschland in dieser Beziehung Schätze besitzt, die für Frankreich bislang wie verschüttet waren.Footnote 36

Angesichts der zahlreichen Übersetzungen, die d’Holbach tatsächlich angefertigt hat – zu erwähnen sind neben Übersetzungen Lehmanns und Neris bzw. Kunckels noch solche Henckels, Orschalls, Wallerius (auf Basis einer deutschen Relais-Übersetzung), Gellerts und Stahls – lässt sich durchaus behaupten, dass d’Holbach sein Versprechen eingelöst hat, zumal man diesen Übersetzungen von Monographien noch zahllose Einträge für die Encyclopédie hinzufügen kann, in denen d’Holbach im Bereich Mineralogie seine umfangreichen Kenntnisse insbesondere der deutschen Fachliteratur vermitteln konnte. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass d’Holbach diese Übersetzungen sicher nicht zuletzt aus eigenem Interesse an naturwissenschaftlicher Erkenntnis anfertigte, die dem Materialisten d’Holbach entgegenkam, aber auch auf Wunsch Malesherbes, dem enzyklopädiefreundlichen Zensurchef, der, wie d’Holbach in seiner Widmung zu L’Art de la verrerie vermerkt, den Wunsch geäußert habe, „die besten Werke der Deutschen in Französisch erscheinen zu sehen“.Footnote 37 Nun würde es eine eigene Studie erfordern, d’Holbachs übersetzerisches Oeuvre im Bereich der Mineralogie umfassend zu würdigen, daher seien hier nur einige Beobachtungen erwähnt, die für die Frage nach den ‚nationalen‘ Diskursen in den Übersetzungen relevant sind.Footnote 38 Dabei fällt auf, dass die nationalen Gegebenheiten bei d’Holbach durchaus eine Rolle spielen, so wenn er im genannten Vorwort andeutet, dass Deutschland im Bereich der Mineralogie und Metallurgie einen Wissensvorsprung vor Frankreich habe. Allerdings beschreibt er diese Situation nicht als eine der bedrohlichen Konkurrenz, sondern als Ansporn, mehr über Mineralogie zu lernen, weshalb Übersetzungen angefertigt würden, um „von den Erkenntnissen unserer Nachbarn profitieren zu können“Footnote 39. Dieses Ziel einer größeren mineralogischen Bildung oder zumindest eines wachsenden Interesses für den Gegenstand, wird auch in seinem Vorwort zur Übersetzung Henckels 1756 deutlich, in dem er sich gleichsam über erste Erfolge freuen kann: „Le goût de l’Histoire Naturelle, de la Chymie & des connoissances utiles, paroît augmenter de jour en jour en France;“, ‚Das Interesse für Naturgeschichte, Chemie und nützliche Kenntnisse scheint in Frankreich von Tag zu Tag zuzunehmen.‘Footnote 40 Der Hinweis auf die nützlichen Kenntnisse macht dabei deutlich, dass es d’Holbach nicht um schöngeistiges Interesse geht, sondern durchaus um Interesse an anwendbaren Kenntnissen. Aber die Grundidee scheint zu sein, dass wenn sich Kenntnisse verbreiten, sich irgendwann auch der Nutzen einstellt. Dies erklärt auch, warum d’Holbach schon etwas ältere Werke wie dasjenige Orschalls übersetzt, da es ihm sozusagen um das Übersetzen eines mineralogischen Kanons zu gehen scheint. Insofern ist es auch kaum überraschend, dass er sich im Vorwort zur Übersetzung Orschalls auf Hellots Übersetzung Schlüters beruft und sich in dessen Bemühungen um das Zugänglichmachen deutscher mineralogischer Schriften einreiht.Footnote 41 Mit Orschall fügt er diesen Anstrengungen eine Schrift hinzu, die in einigen technischen Aspekten weiterhin nützlich sei, weshalb man über veraltete theoretische Annahmen und alchemistische Gedankengebäude, die d’Holbach sehr umsichtig historisiert, hinwegsehen könne, „ubi plura nitent in carmine, non ego paucis offendar maculis“, so d’Holbach mit Horaz. Was er allerdings vollends tilgt, sind alle persönlichen Animositäten, die in Orschalls Text vorhanden sindFootnote 42, sowie, kaum überraschend, die stilistischen Mängel. „Diffuse“ und „unnötige Details“, „unerträgliche Längen“, all dies findet bei d’Holbach keine Gnade und wird ‚zum Wohle des Lesers‘ entfernt.Footnote 43 Gleiches gilt übrigens für seine Übersetzung von Henckels Pyritologie, in der Wiederholungen gestrichen werden mussten, um dem Leser „vor dem Abscheu einer zu wörtlichen Übersetzung“Footnote 44 zu bewahren. Lehmanns Werk wiederum kommt in dieser Hinsicht sehr gut weg; es überzeuge durch Ordnung und Klarheit, sei damit aber eher eine Ausnahme.Footnote 45 Der Topos der stilistischen Verbesserung fehlt mithin in keinem der Vorworte d’Holbachs (auch beim Italiener Neri, dessen Werk er als „diffus, mais excellent“Footnote 46 beschreibt, tilgt er die Wiederholungen), ist aber in einem insgesamt höflich-wohlwollenden Duktus aufgehoben. Insofern entsprechen d’Holbachs Übersetzervorworte eher den Idealen der République des lettres, in der nationale Vorurteile keine wesentliche Rolle spielen sollten und alle Nationen an einem universellen Ziel arbeiten.Footnote 47 Begeistert äußert er sich daher über die Absicht des Mineralogen Wallerius, erst die Kritik von allen ausländischen Wissenschaftlern aufzunehmen, ehe er eine lateinische Übersetzung seiner Mineralogie und Hydrologie verfassen werde: „J’exhorte tous mes lecteurs de concourir à des vues si belles. Qu’il serait heureux que cette description du Règne minéral, augmentée des observations de toutes les nations, devint un jour un livre universel.“, ‚Ich halte alle meine Leser dazu an, solch schöne Ansichten zu unterstützen. Wie trefflich wäre es, wenn diese Beschreibung der mineralischen Welt, vermehrt um die Beobachtungen aller Nationen, eines Tages ein universelles Buch werden würde.‘Footnote 48 Dass d’Holbach sich solchen universalistischen Zielen verschreiben konnte, hatte sicher auch mit seiner Situation als Privatgelehrter zu tun, der noch dazu nicht in Konkurrenz mit den Wissenschaftlern stand, die er übersetzte, da er keine wissenschaftliche Reputation genoss. Er war primär Übersetzer und homme de lettres, nicht Forscher. Sein wissenschaftlicher Berater Rouelle war bezeichnenderweise Demonstrator im Jardin des plantes, wo Wissenschaft öffentlich vorgeführt wurde, was nicht ausschloss, dass auch sehr gute Wissenschaftler diesen Demonstrationen folgten, etwa Lavoisier, was aber doch sehr gut zum universalistischen Ansatz d’Holbachs zu passen scheint. Auch Diderot gehörte übrigens zu den ‚Schülern‘ Rouelles. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass die Übersetzungen d’Holbachs ohne ostentative kompensatorische Hinweise auf französische Leistungen auskommen und der nationale Konkurrenzcharakter in ihnen weitgehend außen vor bleibt, womit er eher aus dem Rahmen fällt.Footnote 49 Denn auch in den chronologisch nachfolgenden Übersetzungen mineralogischer Schriften ist dieser Konkurrenzcharakter unverkennbar, nicht zuletzt in denjenigen Antoine-Grimoald Monnets.

5.3.3 Monnet, Traité de l’exploitation des mines

Der 1773 anonym erschienene Traité de l’exploitation des mines ist als Übersetzung aus dem Deutschen gekennzeichnet. Allerdings bleiben die genauen Quellen dieser Übersetzung etwas intransparent, was dem Übersetzer Monnet sogar Kritik von Seiten der Académie einbrachte.Footnote 50 Hauptquelle ist sicher der Bericht vom Bergbau, ein auf den Edelsteininspektor Kern zurückgehendes Werk, das Friedrich Wilhelm von Oppel, einer der Mitbegründer der Freiberger Bergakademie, in Freiberg zu Lehrzwecken nutzte. Besagten Oppel erwähnt Monnet denn auch fairerweise in seinem Vorwort, wenn auch mit einem anderen Werk zur Markscheidekunst: „Je n’ai même pu, pour la composer, tirer que très peu de secours des Allemands, excepté de l’ouvrage de feu M. d’Oppel, Directeur général des Mines de Freyberg, qui traite de la géométrie souterraine.“, ‚Ich konnte, um es zu verfassen, noch nicht einmal viel von den Deutschen lernen, ausgenommen von dem Werk des verstorbenen Herrn von Oppel, Generaldirektor der Freiberger Bergwerke, das von der Markscheidekunst handelt.‘Footnote 51 Bemerkenswert ist hier bereits der tendenziell abwertende Ton gegenüber den deutschen Wissenschaftlern, von denen Monnet kaum etwas habe lernen können. Dieser Hinweis dient natürlich zum einen der Heraushebung eigener, individueller Originalität. Gleichzeitig jedoch hat er einen kollektivierenden Charakter, der die Überlegenheit der sogar so bezeichneten „Deutschen“ indirekt anerkennt – selbst von ihnen gab es nichts zu lernen, was bedeutet, normalerweise gibt es immer etwas von ihnen zu lernen – sie aber zugleich wieder einhegt, da man in diesem Fall eben ganz auf ihre Erkenntnisse verzichten konnte. Wie überzeugend diese Abgrenzung ist, mag dahingestellt bleiben. Immerhin basiert Monnets Arbeit auf einer Reise in die deutschen Bergbaugebiete, die ihm Trudaine aufgetragen hatte, seines Zeichens als intendant des finances mit Fragen des Bergbaus betraut. Diese Reisen nach Deutschland waren für die Ausbildung im Bergbau unabdingbar, wie schon die erwähnten frühen Reisen Saurs und Blumensteins illustrieren, führten aber, wie bei dem späteren Generalinspektor für Bergbau Monnet zu beobachten ist, nicht unbedingt zu großer Sympathie für Deutschland.Footnote 52 Vielmehr scheint das Lernen von deutschen Vorbildern, ob vor Ort oder eben auch durch Übersetzung, eine lästige Notwendigkeit – was aus den Übersetzern aus dem Deutschen sozusagen ‚Leidensgenossen‘ macht:

D’ailleurs, presque tous leurs ouvrages de mines sont dépourvus absolument de méthode ; tout y est présenté par sentences ou par paragraphes, qui se rapportent les uns aux autres. De là ces répétitions, ou ces renvois qui dégoûtent le Lecteur : on est d'ailleurs accablé de noms & de définitions inutiles, & qui ne signifieraient rien parmi nous. Tout homme qui entreprend de travailler d’après des ouvrages Allemands d’arts doit s’armer d’assez de patience pour franchir des obstacles sans nombre qu’il rencontre.

Im Übrigen entbehren fast alle ihre Werke zum Bergbau jeglicher Methode; alles ist darin in Sentenzen oder Paragraphen präsentiert, die sich jeweils aufeinander beziehen. Daher diese Wiederholungen, oder Verweise, die den Leser ermüden: weiterhin wird man mit unnötigen Begriffen & Definitionen traktiert & die bei uns nichts bedeuten würden. Jeder, der sich vornimmt, ausgehend von deutschen Werken zu arbeiten, muss sich mit ausreichend Geduld wappnen, um zahllose Hindernisse zu überwinden, auf die er stößt.Footnote 53

Zwar geht es hier vordergründig ‚nur‘ um stilistische Fragen, doch die Verve, mit der Monnet die Defizite der deutschen mineralogischen Schriften moniert, die hier interessanterweise auch als Kollektiv angesprochen sind, verleiht diesen Passagen einen doch deutlich abwertenden Unterton.

5.3.4 Baron de Dietrich, Lettres sur la minéralogie

Eine etwas andere Dynamik der Auf- und Abwertung liegt bei den Übersetzungen des Baron Dietrich vor, einem zweisprachigen Elsässer, der selbst Bergwerke betrieb und später Mitglied der Académie des Sciences wurde. Was an seinen Übersetzungen auffällt, ist ein konstantes Bemühen, eigene Kenntnisse und Stärken hervorzuheben, wobei er alle ihm zur Verfügung stehenden Paratexte nutzt. Das Konkurrenzverhältnis ist in seinen Übersetzungen also vornehmlich eines zwischen Individuen, wie es sehr anschaulich an Dietrichs Übersetzung von Ferbers Briefen aus Wälschland zu sehen ist. Das Übersetzervorwort beginnt hier bezeichnenderweise mit dem Satz: „J’ai précédé Ferber en Italie;“, ‚Ich bin vor Ferber in Italien gewesen.‘Footnote 54, womit sogleich gesagt ist, dass alles Folgende genauso gut hätte von Dietrich stammen können. Da Ferber Dietrich jedoch mit der Publikation seiner Beobachtungen aus Italien zuvorgekommen ist, ist die Übersetzung Ferbers für Dietrich ein willkommener Anlass, zumindest in Kommentarform deutlich zu machen, dass er ähnliche Beobachtungen auch gemacht hat, ja, dass er zum Teil sogar an Orte gelassen wurde, zu denen Ferber meinte, exklusiven Zutritt erhalten zu haben. Für unsere Untersuchung relevanter als diese mitunter arrogant wirkenden persönlichen Einlassungen Dietrichs sind jedoch Kommentare, in denen auch eine kollektive Dimension zum Tragen kommt, so etwa, wenn Dietrich Ferbers Schilderung einer sehr schönen „chaussée impériale“, auf der er über einen Berg gen Süden reist, folgendermaßen kommentiert:

Elle est belle, il est vrai, mais les montées en sont souvent si roides, que six à huit bœufs attelés devant quatre forts chevaux sont à peine suffisants pour traîner les carrosses au sommet de la montagne quoiqu’on ait la précaution de faire mettre pied à terre aux voyageurs. Combien de montagnes avons-nous en France, que nous montons insensiblement & qui sont aussi élevées.

Sie ist schön, das ist wahr, aber die Steigungen sind mitunter so steil, dass sechs bis acht Ochsen, die vor vier starke Pferde gespannt sind, kaum ausreichen, um die Kutschen bis zum Gipfel zu ziehen, wiewohl man so umsichtig ist, die Reisenden aussteigen zu lassen. Wie viele Berge haben wir in Frankreich, die wir mühelos besteigen & die ebenso hoch sind.Footnote 55

Damit zeigt Dietrich nicht nur, dass er selbst ganz offensichtlich schon besagte Straße bereist hat, sondern er fügt sich auch in ein nationales Kollektiv ein, ein französisches ‚wir‘ – das eben auch „schöne Berge“ hat.

5.3.5 Schreiber, Traité sur la science de l’exploitation des mines

Dieses ‚wir‘, das in vielen Übersetzungen anzutreffen ist, fehlt bezeichnenderweise in der 1778 erschienenen Übersetzung von Delius’ Anleitung zu der Bergbaukunst durch den in Frankreich tätigen, aber aus Sachsen stammenden Ingenieur Schreiber. Dieser betont in seinem Vorwort den Nutzen der Übersetzung deutscher Fachliteratur für Frankreich, entschuldigt sich für gewisse stilistische Schwächen der ÜbersetzungFootnote 56 und tritt im Grunde als bescheidener Dienstleister auf, der er auch war. Denn die Académie forderte von ihm neben der Übersetzung von Delius die Übersetzung zusätzlicher Schriften, die dem Werk von Delius beigegeben wurden, um es in einigen Teilen zu ergänzen. Ansonsten war man, wie aus dem Gutachten der Académie hervorgeht, das den begutachteten Übersetzungen wie üblich beigefügt ist, sehr zufrieden mit Schreibers Arbeit, „à laquelle il n’y a que quelques phrases à changer pour le Français“, ‚bei der nur einige Sätze wegen des Französischen geändert werden müssen.‘Footnote 57 Die Markierung der sprachlichen Kompetenz gegenüber dem Deutschen Schreiber lässt sich die Académie also, bei aller Sympathie für den aus Freiberg abgeworbenen Bergbaufachmann, nicht nehmen.

5.3.6 D’Aubuisson, Nouvelle théorie de la formation des filons

Wie hartnäckig sich die Thematisierung der stilistisch-sprachlichen Qualität in Bezug auf deutsch-französische Übersetzungen hielt, zeigt auch eines der letzten Werke des Untersuchungszeitraums, nämlich D’Aubuissons Übersetzung des Klassikers Werner, genauer gesagt seiner Neuen Theorie von der Entstehung der Gänge. Als Schüler Werners ist D’Aubuisson in seinem Vorwort grundsätzlich voller Lob für den Meister, doch selbst in dieses Lob mischt sich noch der Topos der stilistischen Überlegenheit des Französischen. Denn nachdem D’Aubuisson auf die These seiner Vorgänger Hellot und Monnet verwiesen hat, die eine Übersetzung deutscher mineralogischer Werke für eigentlich unmöglich gehalten und sich daher vom Ausgangstext entfernt hätten, kommentiert D’Aubuisson einen Verzicht auf solche Entfernung folgendermaßen:

Hellot, Monnet […], donnant en français, l’un le Traité de la fonte des Mines de Schlutter, l’autre celui de l’exploitation des mines d’Oppel, ont éprouvé toute la difficulté, et même, d’après leur aveu, l’impossibilité de traduire des ouvrages allemands, sur la minéralogie et sur les mines. Ils ont été obligés de perdre leurs originaux de vue, de renoncer à la méthode de ces auteurs allemands et de refondre leurs ouvrages. Une marche semblable m’eût été bien préférable, si je n’avois eu en vue que de donner une idée de la théorie de Werner : l’ouvrage eût été d’une lecture plus facile, plus agréable ; le style moins raboteux et moins chargé de répétitions dissonantes ;

Hellot, Monnet […], die in Französisch, der eine die Abhandlung Schlüters über das Schmelzen der Erze, der andere diejenige Oppels über den Abbau der Erze gegeben haben, haben die ganze Schwierigkeit, und sogar, wie sie gestehen, Unmöglichkeit verspürt, deutsche Werke zur Mineralogie und zum Bergbau zu übersetzen. Sie waren gezwungen, ihre Originale aus dem Blick zu verlieren, auf die Methode dieser deutschen Autoren zu verzichten und deren Werke umzuarbeiten. Eine solche Vorgehensweise wäre mir sehr viel lieber gewesen, wenn ich lediglich vorgehabt hätte, eine Vorstellung von Werners Theorie zu vermitteln: das Werk wäre leichter, angenehmer zu lesen gewesen; der Stil weniger holprig und weniger durch unschöne Wiederholungen beschwert.Footnote 58

Auch Werner entgeht mithin nicht dem Urteil des „schlechten Stils“, das durch den Rückgriff auf Hellot und Monnet auch durchaus national konnotiert ist und nicht ohne einen gewissen abwertenden Unterton auskommt.

5.3.7 Leschevin, Exposition des acides, alkalis, terres et métaux

Für Stilfragen gänzlich unempfänglich scheint hingegen die ebenfalls 1802 erschienene Übersetzung von Trommsdorffs Darstellung der Säuren, Alkalien, Erden und Metalle durch den Mineralogen und Chemiker Leschevin. Hier herrscht ein durchweg sachlicher Duktus, wie man ihn von ‚modernen‘ Naturwissenschaften im Grunde erwartet. Dieser erweist sich jedoch als erstaunlich kompatibel mit einer national konnotierten Sichtweise, in der sich wie selbstverständlich „deutsche Chemiker und Mineralogen“ „französischen Chemikern und Mineralogen“ gegenüberstehen. Wobei zum Teil sogar auf die fachliche Spezifizierung verzichtet wird und schlicht von „Les Allemands“ die Rede ist, denen man nicht absprechen könne, sich seit langem um gute didaktische Werke zu bemühen:

Les Allemands, auxquels on ne peut refuser le mérite d’avoir perfectionné, depuis long-temps, toutes les parties de détail de l’enseignement, possèdent d’excellens tableaux méthodiques, sur-tout dans les sciences physiques. Je connois, dans cette langue, plusieurs ouvrages de ce genre, faits pour l’étude de la chimie et de l’histoire naturelle, desquels il seroit fort à désirer que nous eussions de bonnes traductions. Leurs savans, pour la formation de ces tableaux, ont mis à contribution les recueils et journaux nationaux et étrangers.

Die Deutschen, denen man das Verdienst nicht absprechen kann, seit langem alle Teile der Ausbildung perfektioniert zu haben, verfügen über ausgezeichnete Tafeln, vor allem in den physikalischen Wissenschaften. Ich kenne in dieser Sprache mehrere Werke dieser Art, die für das Studium der Chemie und Naturgeschichte gedacht sind, von denen sehr zu wünschen wäre, dass wir gute Übersetzungen davon hätten. Ihre Gelehrten haben, zur Erstellung dieser Tafeln, nationale und ausländische Sammlungen und Zeitschriften herangezogen.Footnote 59

Neben dem in Übersetzervorworten nicht seltenen Hinweis auf weitere wünschenswerte Übersetzungen, findet sich hier ein relativ ‚neues‘ Argument, oder zumindest eines, das gegen Ende des 18. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnt, und nach dem die Überlegenheit Deutschlands nicht nur in einer langen naturwissenschaftlich-technischen Tradition begründet liegt, sondern auch in der Wahrnehmung internationaler Forschungen. Internationalität wird hier zum eigenständigen Qualitätsfaktor, und geradezu zu einer neuen Norm wissenschaftlichen Arbeitens. Bemerkungen zu stilistischen Eigenheiten nationaler Wissenschaftssprachen erscheinen vor diesem Hintergrund als mehr oder weniger schöngeistige, jedenfalls belanglose Kommentare. Dies heißt jedoch nicht, dass Sprache gar keine Rolle mehr spielen würde. Denn es liegt auf der Hand, dass internationaler Wissenschaftstransfer irgendeiner sprachlichen Vermittlung bedarf und mithin, bei Wissensproduktion in unterschiedlichen Nationalsprachen, Übersetzungstätigkeit erfordert. Im selben Maße wie Internationalität zur ‚Norm‘ wird, wird folglich auch Übersetzung zur ‚Norm‘, und zur omnipräsenten Aufgabe. Dass dies eine gewisse Professionalisierung der Übersetzungstätigkeit erfordert, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts festzustellen ist (etwa mit festangestellten Übersetzern bei der Nachfolgeinstitution der Académie des Sciences, dem Institut de France), liegt auf der Hand, wäre aber ein eigenes Thema. Interessanter für den hier untersuchten Zusammenhang ist die Tatsache, dass sich neben dem Wissenschaftswettbewerb ein Internationalisierungswettbewerb und damit ein Übersetzungswettbewerb einstellt. Insofern verwundert es nicht, dass ein Fachkollege Leschevins, der Chemiker Guyton de Morveau, den Leschevin in seiner Übersetzung auch lobend erwähnt, einen solchen Übersetzungswettbewerb gleichsam ausruft. In einer wenig bekannten, 1787 veröffentlichten Schrift,Footnote 60 fordert Morveau noch größere staatliche Anstrengungen, um Deutschland in puncto Übersetzungsvolumen zu übertrumpfen. Sonst, so Morveau, würden früher oder später alle Wissenschaftler Deutsch lernen und Frankreich hätte das Nachsehen. Wie man sieht, hat sich der Wettbewerb hier auf die Übersetzungstätigkeit verlagert, die zum Standortvorteil der eigenen Wissenschaft wird, wenn sie es den eigenen Wissenschaftlern ermöglicht, ohne Zeitverlust internationale Forschungen wahrzunehmen, und andere wiederum dazu nötigt, die eigene Sprache zu lernen. Die Internationalität, die Morveau vehement einfordert, indem er behauptet, kein Académicien dürfe mehr ignorieren, was andernorts geforscht würde, geht hier unmittelbar mit einem Übersetzungsimperativ einher: denn kein Wissenschaftler könne nun einmal, so Morveau, alle Sprachen lernen. Am Ende ist dieser Übersetzungsimperativ aber ein Kampf um die Vormachtstellung der eigenen nationalen wissenschaftlichen Community. In dieser Hinsicht mag der Internationalisierungsdiskurs am Ende des 18. Jahrhunderts ‚neu‘ sein, und kein Gejammer über die Qual des Übersetzens deutscher Texte mehr zulassen. Er fügt sich aber recht nahtlos in die beobachteten nationalen Diskurse ein, denn am Ende dient auch die Übersetzung unter der Internationalisierungsnorm dem nationalen Standortvorteil.

5.4 Resümee

Mit den vorgestellten Übersetzungen konnte gewiss kein exhaustiver Überblick über die im Kontext der Ertüchtigung des Bergbaus und der Erzgewinnung in Frankreich relevanten Übersetzungen gegeben werden. Dennoch enthält er die wesentlichen Texte, die auch in den genannten Studien zum internationalen Wissens- und Technologietransfer im 18. Jahrhundert als Beispiele angeführt werden. Ein genauerer Blick auf die Paratexte dieser Übersetzungen konnte dabei zeigen, dass die durchaus aktive Übersetzungspolitik im Frankreich des 18. Jahrhunderts nicht lediglich einen Wissensimport bezweckt, der technisches Know-how aus Deutschland in Frankreich verfügbar macht. Vielmehr trägt diese Übersetzungspolitik gleichzeitig dafür Sorge, dass die vermeintliche technische Überlegenheit Deutschlands nicht zu einer Erschütterung des nationalen Selbstvertrauens führt, sondern im Gegenteil zum Anlass wird, das eigene symbolische Kapital zu mobilisieren und wenn möglich zu mehren. Damit ergibt sich zumindest für einen Ausschnitt der Wissenschaftsübersetzungen in Frankreich im 18. Jahrhundert eine interessante Kontinuität zu einem Diskurs über Übersetzungen, wie ihn die 1722 von Baillet veröffentlichte Schrift Jugemens des principaux traducteurs enthält, die bezüglich des vielleicht bekanntesten französischen Übersetzers der Frühen Neuzeit, Jacques Amyot, folgende Auffassung des Monsieur de Sainte-Marthe aus dem Jahre 1602 widergibt:

Monsieur de Sainte-Marthe dit que comme la beauté d’une langue n’est pas le moindre ornement de l’état où elle est en usage, on ne doit pas disconvenir qu’Amyot a rendu a ses rois et à sa patrie un service immortel, ayant taché de porter la langue au plus haut point de pureté dont elle semblait être capable. Il ajoute qu’il n’a guere acquis moins de gloire par cette voie que s’il avait conquis de nouvelles provinces par l’épée et étendu les limites du royaume.

Herr von Sainte-Marthe sagt, dass, da die Schönheit einer Sprache kein geringer Schmuck für das Land ist, in dem sie in Gebrauch ist, man nicht bezweifeln könne, dass Amyot seinen Königen und seinem Vaterland einen unsterblichen Dienst erwiesen hat, indem er versuchte, die Sprache bis zum höchsten Punkt der Reinheit zu bringen, zu dem sie fähig ist. Er fügt hinzu, dass er auf diesem Wege kaum weniger Ruhm erlangt hat, als wenn er neue Provinzen mit dem Schwert erobert und so die Grenzen des Königreichs ausgedehnt hätte.Footnote 61

Übersetzen oder Länder erobern – Hauptsache, so ließe sich zusammenfassen, es dient dem Wohle der Nation.