Der vorliegende Band, der aus der 2. Jahreskonferenz des DFG-Schwerpunktprogramms 2130 ‚Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit (1450–1800)‘ hervorgegangen ist, widmet sich einer Problematik, die in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus der Translationsforschung und auch speziell der Übersetzungstheorie gerückt ist.Footnote 1 Dabei umfasst der deutsche Begriff ‚Übersetzungspolitiken‘ zwei Bedeutungsdimensionen, die im Englischen mit den Termini ‚Politics‘ und ‚Policy‘ markiert sind. Diese Unterscheidung ist von Relevanz nicht nur, weil sie eine Differenzierung zwischen Inhalten, Aufgaben, Zielen auf der einen Seite (Policy) sowie Verfahren, Auseinandersetzungen, Machtstrukturen (Politics) auf der anderen Seite erlaubt, sondern auch, weil der Begriff der ‚Translation Policy‘ im Bereich der Translation Studies seit einer Reihe von Jahren vor allem im Zusammenhang mit der Analyse von Translationsnormen verwendet wird. Die Frage nach der Translation Policy in diesem Sinne ist damit vor allem die Frage nach den Bedingungen, die dafür verantwortlich zeichnen, dass überhaupt und in welcher Form übersetzt wird. Es geht mithin um die grundsätzliche Frage danach, warum bestimmte Texte, Bilder und Zeichenkomplexe eine Übersetzung erfahren, während andere unübersetzt bleiben (müssen). Und es geht des Weiteren um die Frage, welche Faktoren schließlich auf die konkrete Ausgestaltung von Übersetzung im Sinne des Übertragungsprozesses von einem semiotischen und kulturellen System in ein anderes Einfluss nehmen.

Das semantische Feld, welches durch das Binom ‚Policy/Politics‘ bezeichnet wird, ist aber auch deshalb von zentraler Bedeutung, weil neben Übersetzungspolitik(en) im Sinne des Konzepts der Translation Policy (mit ihren soziokulturellen, ökonomischen und interkulturellen Einflussfaktoren) die Rolle von Übersetzungen im Kontext politischer Verhandlungs- und Aushandlungsprozesse in den Blick genommen werden soll. Die Analyse von Übersetzungspolitiken in diesem zweiten Sinne geht also dem Zusammenhang zwischen ‚Translation‘ und ‚Politics‘ nach. Dabei wendet sich der vorliegende Band multiplen Übersetzungspraktiken der Frühen Neuzeit zu, die neben Übersetzungen von einer Sprache in eine andere (translation proper) Übersetzungsleistungen in ästhetisch-materiellem bzw. intermedialem Sinne sowie schließlich im kulturellen Sinne betreffen.

Policy und Politics der Übersetzung verweisen beide darauf, dass Übersetzungen immer mit den verschiedensten Machtstrukturen verflochten sind und keine neutralen Operationen darstellen. Darauf haben nicht zuletzt die postkolonialen Denker*innen hingewiesen.Footnote 2 Macht kann freilich in sehr verschiedenen Formen wirksam werden. Übersetzungen können beispielsweise als Instrument der Unterwerfung genutzt werden, ganz konkret ‚von oben‘ reguliert werden, bis hin zu einer Übersetzungspolitik, die bestimmte Formen der Übersetzung verbietet.Footnote 3 Politische Machtbeziehungen drücken sich zudem in kulturellen und linguistischen Systemen aus und strukturieren darüber ebenfalls Übersetzungen und Übersetzbarkeit.Footnote 4 Hegemoniale diskursive Muster schlagen sich in Übersetzungen nieder, Grenzen des Sagbaren werden zu Grenzen des Übersetzbaren.

Betrachtet man die Fachgeschichte der noch jungen Translation Studies, so wird man sagen dürfen, dass die politische Dimension von Übersetzungen bereits früh, mit der Entstehung der Descriptive Translation Studies, ein starkes Interesse gefunden hat und hier zunächst vor allem unter dem Label der Manipulation of Literature verhandelt worden ist.Footnote 5 Während die Frage der Translationspolitik also in theoretischer Hinsicht ein erhebliches Interesse findet, stellt man fest, dass das entsprechende Forschungsinteresse sich in seiner konkreten historischen Dimension ganz wesentlich auf das 20. Jahrhundert und die Gegenwart konzentriert. Translationspolitische Untersuchungen, die weiter historisch ausgreifen, sind demgegenüber eher selten.Footnote 6 Zur Schließung genau dieser Lücke möchte der vorliegende Band beitragen.

Heuristisch erscheinen uns drei Gesichtspunkte des Politischen von zentralem Interesse und besonders geeignet, die Beiträge des vorliegenden Bandes zu strukturieren. Es sind dies die Fragen nach jenen kulturellen Normen und Kriterien, die darüber entscheiden, was überhaupt übersetzt wird (kulturelle Filter), die Fragen nach den politischen, religiösen oder ökonomischen Interessen, die sich mit Übersetzungen verbinden (Kalkül) und die Frage nach der Bedeutung von Übersetzungen für alle Formen der Interaktion im politischen Bereich im engeren Sinne (Diplomatie). Diese drei Gesichtspunkte sollen im Folgenden näher konturiert werden.

1.1 Kulturelle Filter

Eine Auseinandersetzung mit den politischen Prozessen, die auf Übersetzungen einwirken, in die Übersetzungen eingebunden sind, und als deren Akteure Übersetzungen auftreten können, neigt naturgemäß zu einer eher akteurszentrierten Perspektive. Die Untersuchung von Prozessen der Zensur, von Übersetzungsprogrammen, wie sie von Institutionen unterschiedlichster Art initiiert werden (etwa durch Höfe, Akademien, religiöse Orden, diplomatische Vertretungen, oder auch Gelehrtenzirkel und Verlage), oder die Funktionalisierung von Übersetzungen in politischen und religiösen Auseinandersetzungen – ein klassisches und vieluntersuchtes Beispiel ist hier die Problematik der Bibelübersetzungen im Rahmen der Reformation – legen eine solche Perspektive in besonderer Weise nahe und erweisen sich hier auch als außerordentlich fruchtbar.Footnote 7

Daneben sind in den letzten Jahren in der Forschung zunehmend jene niederschwelligen und oft unbewussten Mechanismen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, die eine maßgebliche Rolle bei der Auswahl dessen spielen, was überhaupt übersetzt wird. Gideon Toury hat diese Mechanismen als „preliminary norms“ unter der Rubrik „Translation policy“ in den Blick genommen.Footnote 8 Denn Übersetzungskulturen implizieren immer auch Auswahlmechanismen, die von bestimmten Vorstellungen davon geprägt werden, was für das Zielpublikum interessant, integrierbar und kulturell anschlussfähig ist. Gerade diese Perspektive ist besonders geeignet, einen strikt zielkulturellen Analyseansatz zu plausibilisieren, so wie ihn Toury in der Übersetzungstheorie durchzusetzen suchte. Denn es ist klar, dass die Frage nach dem, was überhaupt – und auch wie – übersetzt wird, in aller Regel nicht von der Ausgangskultur, sondern von der Zielkultur bestimmt wird.

Nun gibt es im 20. Jahrhundert eine ganze Reihe von Beispielen dafür, dass Staaten, Regime und Kulturräume versucht haben, auf ihre Wahrnehmung im Ausland durch eine gesteuerte Übersetzungsförderung Einfluss zu nehmen. Und natürlich gibt es solche Versuche weiterhin. Freilich legen die wenigen existierenden Studien zu dieser Frage nahe, dass der Erfolg solcher Bestrebungen eher bescheiden gewesen ist. Das gilt etwa für die weitgehend vergeblichen Bemühungen des NS-Regimes, in Europa die Verbreitung regimetreuer oder als für die eigene Kultur emblematisch erachteter Autorinnen und Autoren via Übersetzung zu befördernFootnote 9, es gilt aber auch für ähnliche Versuche des faschistischen Regimes in Italien.Footnote 10 In jedem Falle handelt es sich um ein Phänomen der Moderne. Für die Frühe Neuzeit gilt: abgesehen von Einzelfällen, wo Autoren selbst versuchen, die Übersetzung ihrer Werke im Ausland zu fördern und zu steuern, hängen Entscheidungen über das, was überhaupt übersetzt wird, so gut wie ausschließlich vom zielkulturellen Erwartungs- und Interessenhorizont ab.

Eine – wenn auch wichtige – Ausnahme bilden in diesem Zusammenhang die Übersetzungsaktivitäten im Rahmen von Missionierungsprogrammen. Hier ist es gewissermaßen per definitionem gerade nicht die Zielkultur, welche die Auswahl der zu übersetzenden Texte bestimmt, sondern die Ausgangskultur. Das Tourysche Postulat, demzufolge Übersetzungen ausschließlich „facts of the target culture“ seien, ist an dieser Stelle vermutlich neu zu überdenken. Zwar mag man argumentieren, dass auch solche Übersetzungen lediglich in der Zielkultur wirken, man muss aber feststellen, dass ihre Auswahl wie ihre spezifischen Ausformungen, wie etwa der jesuitische Akkommodationsstreit zeigt, weniger von zielkulturellen, denn von ausgangskulturellen Mechanismen und Bedingungen gesteuert wird.Footnote 11

Sieht man von diesem gewichtigen Sonderfall ab, so gilt, dass die übersetzungssteuernden zielkulturellen Erwartungs- und Interessehorizonte sich als weitgehend unabhängig erweisen, nicht nur von dem, was man als die intrinsischen Qualitäten des Ausgangstextes betrachten könnte (literarisches bzw. künstlerisches Innovationspotential‚ ‚Originalität‘ usw.), sondern auch von seiner Bedeutung in der Ausgangskultur. Um ein Beispiel aus dem Bereich der Italianistik zu bemühen: Warum existiert ein Klassiker der italienischen Literatur des späten 18. Jahrhunderts wie Giuseppe Parinis Il Giorno auf Deutsch nur in einer höchst obskuren Relaisübersetzung über das Französische, während von Manzonis Promessi sposi mittlerweile ein Dutzend Übersetzungen vorliegen? Man mag vielleicht antworten, dass dies an der größeren Modernität Manzonis liege, und man hätte damit eine Kategorie ins Spiel gebracht, die das Interesse an Übersetzungen in den Gegenwartskulturen in der Tat maßgeblich steuert. Im Falle Parinis und Manzonis dürfte dieser Aspekt vor allem auf einer gattungshistorischen Ebene wirksam geworden sein. Während Parinis Kritik der italienischen Adelsgesellschaft in sozialgeschichtlicher Hinsicht vielleicht sogar als moderner erscheinen kann als der katholische Providentialismus Manzonis, dürfte die Parini-Rezeption im europäischen Ausland vor allem unter seiner Verwendung der Gattung des Versepos gelitten haben. Manzoni hingegen setzte mit der Gattung Roman auf ein Genre, dem nicht nur in Italien die literarische Zukunft gehören sollte. Freilich kommt die Frage nach der Modernität an ihre Grenzen, wenn man betrachtet, dass allein in den letzten zwei Jahrzehnten in Deutschland ein halbes Dutzend Übersetzungen der mittelalterlichen Divina Commedia von Dante erschienen sind. Man wird also davon ausgehen dürfen, dass auch noch weitere Faktoren zu berücksichtigen sind. Im Falle unseres Parini-Beispiels dürfte es nicht zuletzt der Aspekt der Anschlussfähigkeit an den kulturellen bzw. lebensweltlichen Erfahrungshorizont des Zielpublikums sein, der dazu beigetragen hat, dass der stark von der französischen Aufklärung beeinflusste Parini zwar nicht unmittelbar ins Deutsche, so doch ins Französische (und Englische) übersetzt wurde. Das deutsche Interesse an Manzoni wiederum dürfte umgekehrt nicht zuletzt auf seine Kontakte zu Goethe und seine frühe Rezeption im Goethe-Kreis zurückzuführen sein.

Klar ist, dass die Mechanismen, die die Wahrnehmung und das Interesse an fremden Literaturen und Kulturen filtern, unterschiedlichster Art sind. Klar ist aber ebenfalls: auch da, wo die entsprechenden übersetzerischen Entscheidungen und Strategien unartikuliert bleiben, verweisen sie das analytische Interesse auf das ihnen zugrunde liegende Gerüst an sozialen und kulturellen Machtstrukturen.

An erster Stelle ist hier zweifellos das implizite oder explizite Prestige eines Werks, eines Autors oder einer Kultur zu nennen. Dieses Prestige ist natürlich oftmals der Spiegel objektiver geopolitischer Machtverhältnisse und kultureller Einflusssphären. Es ist aber ebenso sehr das Produkt sozialer Werteordnungen, binnenkultureller Hierarchien und Kanones der Zielkultur. Dass arabische Gelehrte griechische Philosophie und Wissenschaft übersetzt haben, zeugt von ersterem. Dass sie den Peripathetiker Alexander von Aphrodisias und den Pythagoräer Nicomachus von Gerasa übersetzt haben, nicht aber Sophokles, Aischylos und Euripides, zeugt von letzterem und belegt die weitgehende Unabhängigkeit von den Standards der Ausgangskultur. Auch für die Frühe Neuzeit gilt entsprechend: die Zahl an Übersetzungen ist ein untrüglicher Indikator für Verschiebungen im Prestige- und Machtgefälle der europäischen Kulturen. Aber das, was von der jeweiligen fremden Kultur wahrgenommen und in Übersetzung rezipiert wird, sprich das, was konkret interessiert, ist ganz wesentlich ein Produkt zielkultureller Wahrnehmungsmuster.

Unter diesen Wahrnehmungsmustern spielen diejenigen der Fremdheit und der Exotik gewiss eine besonders wichtige Rolle, aber auch solche der Abgrenzung und der Bedrohung sind nicht zu unterschätzen. Solche Muster sind in fast allen Kulturen zu finden, sie sind aber insbesondere den Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit mit ihrem zunehmenden Bestreben nach einer übersetzerischen Kartographierung und Aneignung der Welt in ihrer Gesamtheit fundamental eingeschrieben. Die Frage der Filter schließt hier unmittelbar an alle jene Fragen der auktorialen Ermächtigung an, die von den Postcolonial Studies in den Mittelpunkt gerückt worden sind. Die Frage, wer spricht, und die Frage, wem (via Übersetzung) das Recht zugestanden wird selbst zu sprechen (wenn schon nicht mit eigener Sprache),Footnote 12 erweist sich in dieser Perspektive als Machtfrage par excellence.

1.2 Kalkül

Ein prägnantes Beispiel für diese Zusammenhänge liefert die Übersetzungsgeschichte der Comentarios reales (1609/1617) des Mestizen Garcilaso Inca de la Vega im 17. und 18. Jahrhundert. Das Werk, das gemeinhin als erstes veröffentlichtes Zeugnis über die präkolumbianischen Gesellschaften und die Eroberung Amerikas aus indigener Perspektive – und als eines von wenigen solcher Zeugnisse überhaupt – gilt, fußt bereits im Ursprung auf einem multiplen Übersetzungs-Prozess, nämlich der detaillierten Ausdeutung von Quechua-Begriffen und der Übertragung u. a. mündlich überlieferter Wissensbestände der Inkas in die spanische Sprache und das europäische Schriftsystem. Im Jahre 1633 durch Jean Baudouin ins Französische übersetzt (Paris: Courbé), sollten die Comentarios reales ihren eigentlichen ‚Siegeszug‘ in Frankreich und Westeuropa in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts antreten, mithin im Kontext der Aufklärung, ihres Utilitätsgedankens und der (auch exotistischen) Faszination für die außereuropäische koloniale Welt: Nacheinander erschienen in Amsterdam (Kuyper, 1704) und Paris (Prault fils, 1744) verbesserte bzw. völlig neue Übersetzungen des spanischen Werks. Der Übersetzer der Pariser Edition bemerkt im Vorwort über den Ausgangstext:

Wir sind der Meinung, dass er von großem Nutzen für die Gesellschaft sein kann, aufgrund der großartigen Beispiele, die er liefert von der Güte, Sanftmut, Gerechtigkeit und Mäßigung der Herrscher und der Folgsamkeit, Fügsamkeit, Zuneigung und des Respekts der Untertanen. (Übers. S.G.)Footnote 13

Der holländische Verleger wiederum konstatiert: „Es gibt nur wenige Gelehrte, die nicht wissen, dass die Histoire des Yncas, & de la Conquête du Pérou ebenso interessant wie selten ist.“Footnote 14

Beide Zitate verweisen auf die „preliminary norms“ der Übersetzung von Garcilaso Incas Text. Zugleich wird kulturelle Anschlussfähigkeit mit einem weiteren Aspekt verschränkt, nämlich dem des Kalküls im Sinne des wirtschaftlichen Interesses an Übersetzung. So heißt es weiter:

Man findet sie [=die Comentarios reales, S.G.] seit Langem schon […] nur in einzelnen Privatbibliotheken, und der übertrieben hohe Preis, der auf den Auktionen dafür bezahlt wird, lässt die Notwendigkeit, den Text erneut zu veröffentlichen, leicht erkennen. (Übers. S.G.)Footnote 15

Angesichts der hohen Nachfrage nach Garcilaso Incas Text konnten die Verleger auf ein profitables Geschäft hoffen. Dieser Gesichtspunkt des Kalküls ist sowohl hinsichtlich der – in aller Regel männlichen – Produzenten respektive Initiatoren von Übersetzungen zu denken, als auch ihrer Rezipientinnen und Rezipienten. Und er kommt nicht nur als ökonomisches, sondern auch als kulturelles, soziales und symbolisches Kapital im Sinne Bourdieus ins Spiel.Footnote 16 Die Aussicht auf wirtschaftlichen Gewinn und/oder Renommee spielte auf verlegerischer Seite eine Rolle für die Entscheidung für oder gegen eine Übersetzung, ebenso wie vorhandenes soziales Kapital in Form von Kontakten zu versierten Übersetzern und Netzwerken in die Überlegungen miteinbezogen wurde. Hinsichtlich des Absatzkreises galt es, aus verlegerischer Perspektive das ökonomische und kulturelle Kapital der anvisierten Leserschaft zu beachten ebenso wie deren möglichen Wunsch, vermittels des Erwerbs übersetzter Werke – zu denen Texte ebenso zählen konnten wie graphische Werke oder auch Karten – symbolisches Kapital zu generieren. Insbesondere die ersten beiden Aspekte, d. h. das ökonomische und das kulturelle Kapital, nahmen Einfluss auf die formale und materielle Ausgestaltung übersetzter Werke, etwa hinsichtlich ihres Umfangs und Formats, des verwendeten sprachlichen bzw. ästhetischen Registers, der Beibehaltung respektive Auflösung von termini technici, der Beigabe von Glossaren und Abbildungen usw. Das ursprünglich im Oktavformat gedruckte Dictionnaire géographique-portatif von Jean-Baptiste Ladvocat beispielsweise, ein französisches geographisches Taschenwörterbuch (2. Aufl., Paris, 1747), erschien in der spanischen Übersetzung (Madrid, 1750) im weniger handlichen Quartformat – eine Entscheidung, die der Herausgeber zugleich mit den Zwängen der spanischen Buchproduktion (u. a. fehlenden Drucktypen) und den Kaufinteressen der spanischen Leserschaft begründete, welche – anders als das französische Publikum – kein Interesse an einem Taschenwörterbuch für die Reise besäße, sich aber gerne eines geographischen Nachschlagewerks für die Lektüre von Zeitungen und Historien bediene.Footnote 17

Mit der Vergegenwärtigung dieser Aspekte rückt neben dem Übersetzer auch der Verleger als Schlüsselfigur von Übersetzungsvorhaben in der Frühen Neuzeit in den Mittelpunkt. Er fungierte als „entrepreneur of translation“,Footnote 18 der vermittels Übersetzung in verschiedene Vernakularsprachen einen globalen Markt erschließen konnte oder dieses Ziel über die Wahl einer lingua franca (wie Latein bzw. Französisch) verfolgte. In vielen Fällen verschränkte sich solch verlegerisches Kalkül mit den bereits skizzierten Mechanismen von Macht und kultureller Anschlussfähigkeit. Um ein weiteres Beispiel zu bemühen: Die in enzyklopädischen und wissenschaftlichen Texten der Frühen Neuzeit häufig zu findende Versicherung, dass das übersetzte Werk an den Kontext des Zielpublikums angepasst worden sei, ist zugleich als absatzfördernde Werbemaßnahme und Ausdruck der Konzession an kulturelle Erwartungen und diskursiv bedingte (Un-)Sagbarkeiten zu verstehen.

Eine vergleichende Analyse von Ausgangstext und Translat könnte den Fokus darauf richten, in welchem Verhältnis die unterschiedlichen Politiken des Übersetzens miteinander stehen. Wo überschneiden sich die Prämissen kultureller Integrierbarkeit und wirtschaftlichen Kalküls? Wo geraten sie in Konflikt miteinander? Gibt es Fälle, in denen gerade das Widerständige (‚Fremde‘, ‚Exotische‘) bzw. das Unsagbare (Verbotene, Tabuisierte) des Ausgangstexts zum Bestandteil verlegerischer Übersetzungspolitik wird? Wo werden Verfahren der „exoticizing translation“,Footnote 19 d. h. die bewusste, übersetzerische Herstellung von kultureller Differenz zwischen Objekt und Subjekt der Rezeption (z. B. durch Nicht-Übersetzung fremdsprachlicher Ausdrücke), als strategische Mittel eingesetzt, um Leselust und Kaufinteresse zu steigern? Und wo scheitert, umgekehrt, die Übersetzung, wiewohl aus verlegerischer und/oder politischer Sicht (s. u.) potentiell gewinnbringend, an der ‚Widerständigkeit‘ des Ausgangstextes, oder anders: der Unüberbrückbarkeit von Ausgangs- und Zielkultur? In den Blick gelangen damit, nicht zuletzt, auch unvollständig gebliebene Übersetzungsvorhaben, d. h. Unternehmungen, die am mangelnden kulturellen, sozialen oder ökonomischen Kapital des Verlegers und/oder Übersetzers selbst gescheitert sind: an erschöpften finanziellen Ressourcen, ausbleibenden Subskribenten, fehlenden Netzwerken oder schlicht der mangelnden sprachlichen oder kulturellen Vertrautheit des beauftragten Übersetzers mit den semiotischen Systemen von ‚Ausgangstext‘ (i. w. Sinne des Begriffs) und Zielkultur.

Aus einer stärker buch- oder auch kunstgeschichtlichen Perspektive heraus geraten mit dem Aspekt des Kalküls materielle Dimensionen in den Fokus; hierdurch werden Beigaben im Vergleich zum Ausgangswerk, etwa in Form von Abbildungen oder Kartenmaterial, Verzierungen und Ornamenten (oder umgekehrt deren Auslassung), zum integralen Bestandteil von Übersetzungspolitik – und damit auch von deren kritischer Analyse. Wo generierte nicht nur der Besitz der im Translat enthaltenen Informationen im engeren Sinne Kapital und damit Macht, sondern schon die bloße Materialität des Objekts? In welcher Form wurden schließlich Paratexte zum Instrument der Selbstinszenierung des Übersetzers als Co-Autor des Werks und damit seiner Ermächtigung? Sei es, dass der Übersetzer im Vorwort über die eigene Rolle im Kontext des übersetzten Werks reflektierte; sei es, dass er Beigaben wählte, die den übersetzten Text im Vergleich zum Ausgangswerk aufwerteten?

Mit diesen Überlegungen ist nicht zuletzt die Frage danach aufgeworfen, welcher Stellenwert Übersetzungen als solchen zu einem je spezifischen Zeitpunkt in der Gesellschaft beigemessen wurde, oder anders: welches symbolische und kulturelle Kapital ihnen jeweils grundsätzlich zukam. Die staatliche Förderung von Übersetzungen aus anderen Sprachen in die eigene Vernakularsprache lässt sich unter dieser Perspektive ebenso verstehen wie umgekehrt die rückwirkende Verurteilung von Übersetzungstätigkeit als ‚servile Imitation‘, wie sie beispielsweise unter dem Stichwort des „afrancesamiento“ für das spanische 19. Jahrhundert charakteristisch werden sollte.Footnote 20

1.3 Diplomatie

Wie bereits weiter oben angedeutet, steht der Bereich der Diplomatie im Rahmen dieses Bandes metonymisch für alle Formen der politischen Kommunikation im engeren Sinne. Übersetzungen werden dabei ab der Frühen Neuzeit zu einem wichtigen Instrument der globalen Herrschaftsausübung. Während etwa im europäischen Mittelalter Übersetzungen administrativer oder juridischer Texte schon aufgrund der absoluten Prädominanz des Lateinischen eine untergeordnete Rolle spielen, werden diese am Übergang vom späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit vor allem im Zuge der sprachlichen Normierung und Grammatisierung der Volkssprachen und alsbald der Vernakularisierung der europäischen Verwaltungssprachen in immer stärkerem Maße zum alltäglichen Bestandteil politischer Praxis. Dieser Zusammenhang zwischen Grammatisierung und Herrschaftsausübung kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck, als in der ersten Grammatik einer europäischen Volkssprache überhaupt, nämlich in Nebrijas Gramática castellana von 1492, die bezeichnenderweise just im Jahr der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus erscheint. Im Vorwort dieser Grammatik wendet sich Nebrija an den spanischen König mit folgenden Worten:

Denn bald wird Eure Hoheit vielen barbarischen Völkern und Nationen fremder Sprachen ihr Joch auferlegt haben und mit dem Sieg wird es für jene notwendig sein, die Gesetze anzunehmen, die der Sieger den Besiegten auferlegt, und damit auch unsere Sprache, zu deren Kenntnis sie durch meine Grammatik gelangen werden […]. (Übers. A.G.)Footnote 21

Es ist diese Trias aus Grammatikalisierung, Verschriftlichung und medialer Verbreitung durch die Erfindung des Buchdrucks, die an der Schwelle zur Frühen Neuzeit die moderne Vorstellung von Landessprachen als jene „unterschiedliche und klar voneinander abgegrenzte Käfige“ kreieren, in denen wir, wie es Ivan Illich einmal formulierte bis „heute eingeschlossen zu sein meinen“.Footnote 22 Und genau diese Vorstellung ist es, die jene Übersetzungskulturen hervorbringt, denen sich das SPP 2130 ‚Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit‘ vor allem zuwendet. Insofern wird deutlich, dass die Dimension des Politischen, und zwar durchaus in einem engen Sinne, zur Problematik des Übersetzens nicht in irgendeinem kontingenten Sinne hinzutritt, sondern dass sie diese gewissermaßen von ihren Anfängen an durchzieht.

Das gilt nicht nur in der Kommunikation von Staaten mit ihren Untertanen, bzw. zwischen Staaten und den von ihnen beherrschten Völkern, es gilt nicht nur im Rahmen der Binnenkommunikation zwischen Regierungen, nicht nur im Rahmen von Wirtschaftsbeziehungen, sondern auch im Kontakt zwischen Kulturen und Zivilisationen. Einige wichtige Mosaiksteine solcher fast immer asymmetrischer übersetzerischer Kommunikationsverhältnisse in der Frühen Neuzeit werden in den folgenden Beiträgen thematisiert: Übersetzungen als Herrschaftsinstrument im Rahmen der Jesuitenmission oder protestantischer Missionsgesellschaften, die Bedeutung von Übersetzungen im Kontext der spanischen Kolonialpolitik im heutigen Mexiko ab dem 16. Jahrhundert oder die Erstellung von Japankarten im Rahmen der russischen Imperialpolitik in Ostasien. Dabei zeigt sich, dass neben der im engeren Sinne sprachlichen Dimension para-verbale und nonverbale Codes, Rituale, Karten, Gemälde und Architekturen eine zentrale Rolle für die hier zu beobachtenden Übersetzungs-, Dekodierungs- und Sinngebungsprozesse spielen. Und natürlich kommt in all diesen Prozessen auch der Frage nach der Konstruktion bestimmter Formen von Alterität zentrale Bedeutung zu.

1.4 Zu den Beiträgen

Der Band eröffnet mit drei Beiträgen zum thematischen Schwerpunkt Kalkül zwischen Politics und Policy.

Mit der zweisprachigen India Occidentalis-Sammlung der niederländischen Verleger De Bry wendet sich Helge Perplies einem Korpus zu, dem multiple – kulturelle, linguistische und intermediale – Übersetzungsprozesse zugrunde liegen. Fremdsprachliche Amerika-Reiseberichte wurden in ihrer vernakularsprachlichen, deutschen Fassung einem breiteren, deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht, zugleich wurde mit der lingua franca Latein eine europäische Leserschaft anvisiert. Die lange als protestantisches Propaganda-werkzeug gelesene Textsammlung erfährt eine Neuperspektivierung: Der Aufsatz zeigt, dass die De Brys den Ausgangstexten mit Blick auf den europäischen und potentiell katholischen Absatzmarkt einiges an konfessioneller und politischer Sprengkraft nahmen. Zugleich wurden Verfahren der domestication und exoticizing translation eingesetzt, um den Text kulturell anschlussfähig zu gestalten und Neugierde zu wecken. So wie die Autoren Art und Ausmaß der Übersetzung kultureller Wissensbestände von der ‚Neuen‘ in die ‚Alte Welt‘ bestimmten, so zeigen sich auch die Verleger als ‚Gatekeeper‘, die ihre Sammlung vermittels Auswahl und Bearbeitung der Ausgangstexte für den Markt zuschnitten.

Am Schnittpunkt von kolonialem Diskurs und Translationspraxis analysieren Martina Schrader-Kniffki, Yannic Klamp und Malte Kneifel spanisch-zapotekische missionarische und notarielle Texte des 16.–18. Jahrhunderts aus Mittelamerika. Ausgehend von sprachlichen Aspekten rekonstruieren sie spezifische Translationsverfahren, in denen sich soziale Kategorisierungen der indigenen amerikanischen Bevölkerung durch die koloniale Metropole Spanien widerspiegeln. Die Klassifizierung der Indigenen als personas miserables und der damit einhergehende, rechtliche Sonderstatus als Schutzbefohlene zeitigte ambige Effekte: Der Diskurs der Metropole wies den indigenen Einwohnerinnen und Einwohnern einerseits einen Platz am Ende der sozialen Hierarchie zu. Andererseits eröffnete er ihnen Handlungsspielräume und damit Ermächtigung: Das spanische Bild der Indigenen als personas miserables wurde von der so bezeichneten Bevölkerungsgruppe übernommen und in juristischen Kontexten strategisch eingesetzt, um – in einer Situation asymmetrischer Machtverhältnisse – Einfluss auf rechtliche Entscheidungen zu nehmen. Kolonialer Diskurs und indigenes Fremdbild wirkten damit als Normen, die die Translationspraktiken in Neuspanien in beide Richtungen prägten.

Am Beispiel von Wissenschaftsübersetzungen des 18. Jahrhunderts aus dem Deutschen ins Französische zeigt Caroline Mannweiler auf, in welcher Form Texte, deren Inhalt der Sicherung industrieller Wettbewerbsfähigkeit in der Zielkultur dienen sollten, hier spezifischer: der Optimierung des heimischen Erzabbaus, zugleich zum Ort eines symbolischen Konkurrenzgeschehens zwischen (nationalen) Gemeinschaften wurden. Der Beitrag lenkt den Blick auf die Paratexte der französischen Übersetzungen, in denen versucht wird, der wissenschaftlichen Relevanz der deutschen Ausgangstexte gleichsam kompensatorisch ‚eigene‘ Qualitäten entgegenzusetzen, wobei nicht zuletzt das symbolische Kapital des Französischen mobilisiert wird. Dem zweiten thematischen Schwerpunkt Kulturelle Filter sind insgesamt sechs Aufsätze gewidmet.

Regina Toepfer fokussiert auf literarische Adaptionen von antiken Erzählstoffen im deutschen 16. Jahrhundert. Der Artikel untersucht die Bearbeitung der Europa- und Alcyone-Mythen aus Ovids Metamorphosen durch den Augsburger Johannes Spreng. Die Perspektive gilt den kulturellen Filtern des frühneuzeitlichen deutschen Bürgertums im Sinne genderspezifischer Normen, unter denen die erzählte Welt der Antike wahrgenommen wurde und die für die umdeutende Übersetzung der weiblichen Figuren verantwortlich zeichneten. Mittels einer vergleichenden Analyse werden die literarischen Techniken und sprachlichen Verfahren offengelegt, die Spreng verwendete, um die Heldinnen Ovids in deutsche ‚Hausfrauen‘ zu verwandeln.

Elena Parina widmet sich religiösen Manuskripten der sogenannten ‚Glamorgan School of Translation‘ und damit einem Korpus, dessen Übersetzung aus dem Englischen bzw. Lateinischen ins Walisische von der Forschung bisher vor allem als Zeugnis einer Art religiösen Widerstands katholischer Milieus in Wales gegen die massive Durchsetzung des Protestantismus im Elisabethanischen Zeitalter begriffen worden ist. Demgegenüber postuliert der Aufsatz, dass die These einer klaren politischen, pro-katholischen Funktion der Werke zu nuancieren sei. Einige der Manuskripte erweisen sich als Übersetzungen von vorreformatorischen Texten, die nicht ohne weiteres in den Kontext konfessioneller Debatten eingeordnet werden können; in anderen Fällen zeigt ein Vergleich der Übersetzung mit ihrem Ausgangstext, dass von einer klaren antiprotestantischen Positionierung keine Rede sein kann. In Hinblick auf die kulturellen Filter der Übersetzung rücken damit andere Aspekte in den Mittelpunkt, wie der Alltagspietismus und der Konservatismus des Zielpublikums in der an der Peripherie gelegenen Region Wales.

Giulia Nardini wendet sich Übersetzungen im Kontext der jesuitischen Missionen des 17. Jahrhunderts in Südindien zu. Der Beitrag begreift die Mission als contact zone, in der Unterschiede verhandelt und kulturelle Grenzen überschritten bzw. gezogen wurden. Dabei erweist sich die Missionssituation auch als translation zone par excellence: Beschreibungen religiöser Praktiken lassen sich als Dokumente des Kulturtransfers lesen oder können, umgekehrt, hinsichtlich der Inkommensurabilität kultureller Zeichen- und Symbolsysteme analysiert werden. Am Beispiel des Informatio de quibusdam moribus nationis Indicae des italienischen Indienmissionars Roberto Nobili werden die Formen kultureller Übersetzung im skizzierten Sinne der Mediation spezifischer, kollektiver Wert- und Symbolsysteme beleuchtet. Nobilis Werk, mit dem er die römisch-katholische Kirche um Unterstützung für seine Mission ersuchte, übersetzte die Praktiken und Hierarchien der Brahmanen gemäß der sprachlichen, religiösen und gesellschaftlichen Codes und Register seines Zielpublikums.

Die Rolle der Buchkultur im Kontext der Jesuitenmission in Japan steht im Zentrum des Beitrags von Katja Triplett. Japanische Drucke der Jesuiten an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zeugen von frühen Versuchen, sowohl bekannte als auch neu komponierte Texte für die katholische Mission in Japan zu übersetzen. Der Aufsatz untersucht die kulturellen Filter, die die Auswahl der zu übersetzenden Texte und die Art und Weise, wie zentrale katholische Lehren präsentiert wurden, determinierten. Missionsbriefe und Berichte von Jesuiten über Übersetzungspolitik, Zensur und cultural accomodation werden dabei ebenso analysiert wie gedruckte, japanische Übersetzungen des populären Andachtsbuches Contemptus mundi von Thomas von Kempen.

Mit dem Beitrag von Víctor de Castro León und Alberto Tiburcio wendet sich der Band der Kartographie als Gegenstand und Resultat von Übersetzungsprozessen zu. Die Autoren fokussieren auf das kartographische Werk des Nordafrikaners Alī al-Sharafī aus dem 16. Jahrhundert und seine Bezüge zur mittelalterlichen Chorographie Nuzhat des arabischen Geographen al-Idrīsī. Ausgehend von einem multiplen Übersetzungsbegriff, der zugleich linguistisch, intermedial und kulturell angelegt ist, präsentiert die Studie al-Sharafī als einen kreativen Übersetzer, der textliche und bildliche Zitate aus al-Idrīsīs Werk adaptierte und mit anderen kartographischen Quellen und Traditionen verschränkte. Evoziert werden Übertragungen von der geographischen Beschreibung in das Zeichensystem der Karte, vom Programm der Weltkarte in das der Portolankarte sowie die Perspektivverschiebung von der Welt auf den Mittelmeerraum. Damit werden Selektions- und Übersetzungsprozesse beleuchtet, in deren Kontext vielfache Filter wirksam wurden.

Die Kartographie steht auch im Mittelpunkt des Beitrags von Michaela Kästl, die sich der dritten Fassung von Matteo Riccis Weltkarte (Kunyu Wanguo Quantu) zuwendet. Der Aufsatz analysiert Riccis Karte als das Ergebnis kultureller Aushandlungs- und bilateraler Übersetzungsprozesse. Riccis Werk verbinde jesuitisch-europäische und chinesische Wissenstraditionen mit ihren jeweiligen kartographischen Darstellungen, weshalb die Karte in beide kulturhistorische Zusammenhänge – und damit die jeweiligen, impliziten kulturellen Filter der Übersetzung – zurückgebettet wird. In der Gleichzeitigkeit und Überlappung verschiedener kultureller und semiotischer Systeme auf der Karte manifestiert sich der kollaborative Konstruktionsprozess des Werks. Vor diesem Hintergrund wird Riccis Karte selbst als Raum der Begegnung und translation zone interpretierbar.

Während der Beitrag damit ein Beispiel gelungener Übersetzung zwischen dem europäischen und asiatischen Kulturraum und seinen jeweiligen kartographischen Traditionen und Normen präsentiert, stellen Vera Dorofeeva-Lichtmann und Ekaterina Simonova-Gudzenko einen Fall der ausbleibenden Übersetzung zwischen asiatischer und europäischer Kartographie vor. Ihre Analyse der Japan-Karten Daikokuya Kodayus eröffnet den dritten und letzten thematischen Schwerpunkt Diplomatie und Machtstrukturen.

Der Aufsatz zeichnet die Genese der Manuskripte ausgehend von der Biographie des Japaners Kodayu nach, der in den 1780er Jahren nach einem Schiffbruch an den russischen Hof gelangte und dort mit der Anfertigung von Karten beauftragt wurde. Die Dokumente, die den machtpolitischen Interessen Russlands dienen sollten, blieben gleichwohl ein Kuriosum: Zwar finden sich sprachliche Übersetzungen auf den Karten, doch wurden die graphischen Elemente nicht in ein den Europäern vertrautes Repräsentationssystem überführt. Der Beitrag begründet dies mit der Unüberbrückbarkeit der differenten kartographischen Praxen Japans einerseits und Europas andererseits. Er wirft damit die ganz grundsätzliche Frage nach den Grenzen der Übersetzbarkeit, bzw. der möglichen Unübersetzbarkeit kultureller Zeichen,- Symbol- und Wertsysteme auf.

Mark Häberlein und Paula Manstetten fokussieren auf Übersetzungsprojekte im Kontext protestantischer Mission um 1700, spezifischer die entsprechenden Aktivitäten der pietistischen Hallenser Glauchaschen Anstalten und der anglikanischen ‚Society for Promoting Christian Knowledge‘ (SPCK). Der Beitrag hebt die zentrale Rolle hervor, die Übersetzungen für die Netzwerkbildung zwischen den Akteuren im Sinne einer gemeinsamen, grenzüberschreitenden Missionspolitik zukam: Sie ermöglichten die transnationale Kommunikation, förderten die wechselseitige Schriften-Rezeption und gegenseitige Unterstützung missionarischer Aktivitäten und verweisen nicht zuletzt auf gemeinsame Vorstellungen von protestantischer Frömmigkeit. Die aus solcherlei Netzwerkarbeit resultierende politische Stärke der SPCK ermöglichte schließlich auch den Druck eines Neuen Testaments in arabischer Sprache – womit der Komplex protestantischer Übersetzungspolitik um einen weiteren Aspekt ergänzt wird.

Christina Strunck schließlich widmet sich in ihrem Aufsatz dem Royal Hospital in Chelsea, dessen Architektur und Malerei – insbesondere das monumentale Wandbild Antonio Verrios – als komplexes Projekt einer bildkünstlerischen und politischen Konkurrenz mit Frankreich gedeutet werden. Verrio habe sich just eines französischen Textes, nämlich Roland Fréart de Chambrays Parallèle de l’architecture antique et de la moderne in der Übersetzung durch John Evelyn bedient, um das französische Vorbild des Hôtel des Invalides durch seine Orientierung an antiken Modellen zu übertrumpfen. Die analysierten Transferprozesse werden vor dem Hintergrund der interlingualen Fréart-Übersetzung in vielfältiger Weise als inter- und intramediale Übersetzungsprozesse gedeutet.

Der Band schließt mit einem Nachwort mit weiterführenden Überlegungen von Antje Flüchter und Hans-Jürgen Lüsebrink zum Themenkomplex der Politik(en) des Übersetzens in der Frühen Neuzeit.