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Befreiung und Infektion. Die frühe Nietzscherezeption (1890–1930)

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Gefährlich Leben - Gefährlich Denken
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Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird die frühe Nietzscherezeption und ihre Einschätzung der Gefährlichkeit dieser Philosophie betrachtet. Vor der Untersuchung von Aussagen begeisterter Literaten und Künstlern der Avantgarde sowie politischer Kritik von links und rechts widmet sich dieses Kapitel zur frühen Nietzscherezeption zunächst dem akademischen Versuch, sich Nietzsches Philosophie in nüchterner Manier einzuverleiben und ihren philosophischen Rang zu bestimmen.

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Notes

  1. 1.

    Conrad, Michael Georg: Jugend! in: Die Gesellschaft 11, 1895, S. 1. Und noch ein Vierteljahrhundert nachdem die breite Nietzscherezeption eingesetzt hat, schreibt Franz Marc während des ersten Weltkrieges in seinen 100 Aphorismen, die nicht nur mit einem Zitat von Nietzsche überschrieben sind, sondern auch in ihrem Schreibduktus an Nietzsches Stil erinnern: „Er [Nietzsche] brach die Brücken einer wohligen Zeit hinter uns und warf uns an den kalten, harten Strand einer neuen Zeit. Viele haben ihm darob geflucht. Wir Jüngeren aber, wir Krieger, danken ihm alles, unsre Aufgabe, unsre Begeisterung, unsre Freiheit zum Handeln. Der Krieg, diese ‚erhabene Feier des Philosophen‘, hat uns für immer den Boden unser Väter unter den Füßen weggerissen. Wir taumeln auf dem Nichts. Nun müssen wir schaffen, die Welt füllen, um leben zu können“ (Marc, Franz: 100 Aphorismen. Das zweite Gesicht, zit. in: Strachwitz, Sigrid v.: Franz Marc und Friedrich Nietzsche. Zur Nietzsche-Rezeption in der bildenden Kunst, Dissertation Bonn 1997, S. 9).

  2. 2.

    Auf fast hundert Seiten widmet sich Max Nordau im zweiten Band seines Werkes Entartung der Aufgabe, in Nietzsches Werk, „eine Reihe beständig wiederkehrender Wahnvorstellungen, die in Sinnestäuschungen und krankhaften organischen Vorgängen ihren Grund haben“, nachzuweisen (Nordau, Max: Entartung, 2. Bd., 2. Auflage, Berlin 1893, S. 304).

  3. 3.

    Seydl, Ernst: Also sprach Zarathustra. Eine Nietzsche-Studie, in: Raich, Johann Michael (Hg.): Frankfurter Zeitgemäße Broschüren, Bd. XXI, Hamm 1902, S. 274.

  4. 4.

    Brandes, Georg: Friedrich Nietzsche. Eine Abhandlung über aristokratischen Radikalismus, Berlin 2004.

  5. 5.

    Stein, Ludwig: Friedrich Nietzsche's Weltanschauung und ihre Gefahren. Ein Essay, Berlin 1893.

  6. 6.

    Riehl, Alois: Friedrich Nietzsche, der Künstler und Denker. Ein Essay, Stuttgart 1897.

  7. 7.

    Falckenberg, Richard: Geschichte der Neueren Philosophie. Von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart, 1. Auflage, Berlin und Leipzig 1886.

  8. 8.

    Vgl. ebd., S. 422 f.

  9. 9.

    Falckenberg, Richard: Geschichte der Neueren Philosophie. Von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart, 3. Auflage, Berlin und Leipzig 1898, S. 452.

  10. 10.

    Ebd., S. 452.

  11. 11.

    Ebd., S. 453.

  12. 12.

    Vgl. ebd., S. 451 f. und Falckenberg, Richard: Geschichte der Neueren Philosophie. Von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart, 9. Auflage, Berlin und Leipzig 1927, S. 496–498. Die ästhetische Jugendperiode geprägt von den Idolen Schopenhauer und Wagner, die aufklärerisch intellektualistische Zwischenphase und die „antichristliche Periode des Kraftnaturalismus, der Herrenmoral [und der] Züchtung des Übermenschen“ (vgl. Riehl, Alois: Friedrich Nietzsche, der Künstler und Denker, S. 43–68).

  13. 13.

    Falckenbergs Nietzsche-Artikel wird von E. v. Aster bearbeitet.

  14. 14.

    Falckenberg, Richard: Geschichte der Neueren Philosophie, 9. Auflage, Berlin / Leipzig 1927, S. 501.

  15. 15.

    Vgl. ebd., S. 499–505.

  16. 16.

    Brandes, Georg: Friedrich Nietzsche. Eine Abhandlung über aristokratischen Radikalismus. Nietzsche selbst äußerte sich in einem Brief an Brandes zu dieser Titulierung mit der Bemerkung, dass dies, „mit Verlaub gesagt, das gescheuteste Wort [ist], das ich bisher über mich gelesen habe“ (N. an Georg Brandes, 02.12.1887, KSB 8, Nr. 960, S. 205). An Franz Overbeck schrieb Nietzsche: „Insgleichen hat ein geistreicher und streitbarer Däne, Dr. G. Brandes, mehrere Ergebenheits-Briefe an mich geschrieben: erstaunt, wie er sich ausdrückt, von dem ursprünglichen und neuen Geiste, der ihm aus meinen Schriften entgegenwehe und dessen Tendenz er als ‚aristokratischen Radikalismus‘ bezeichnet“ (N. an Franz Overbeck, 03.02.1888, KSB 8, Nr. 984, S. 243).

  17. 17.

    Brandes, Georg: Friedrich Nietzsche. Eine Abhandlung über aristokratischen Radikalismus, S. 29.

  18. 18.

    Den Zarathustra, den Brandes entgegen des hohen Eigenlobs Nietzsches nicht als dessen höchste Schrift einschätzt, bezeichnet Brandes als „Erbauungsbuch für freie Geister“ (ebd., S. 87).

  19. 19.

    Ebd., S. 60.

  20. 20.

    Vgl. ebd., S. 67 f. und S. 98–101.

  21. 21.

    Vgl. ebd., S. 99. Das mag überraschen, ist aber wohl in dem Brief begründet, den Nietzsche Brandes am 10.04.1888 schrieb und dort wahrheitswidrig damit prahlt, Offizier gewesen zu sein: „ich hatte nöthig, mein deutsches Heimatsrecht aufzugeben, da ich als Offizier (‚reitender Artillerist‘) zu oft einberufen und in meinen akademischen Funktionen gestört worden wäre. Ich verstehe mich, nichtsdestoweniger, auf zwei Waffen: Säbel und Kanonen – und, vielleicht, noch auf eine dritte…“ (N. an Georg Brandes, 10.04.1888, KSB 8, Nr. 1014, S. 289).

  22. 22.

    Brandes, Georg: Friedrich Nietzsche. Eine Abhandlung über aristokratischen Radikalismus, S. 100.

  23. 23.

    Ebd., S. 102.

  24. 24.

    So verwehrt er sich gegen Peter Gasts Konsequenzen einer Umsetzung der nietzscheschen Ideale, wie dieser sie formuliert („‚Die herrlichste, straffste, männlichste Einrichtung unserer plebejisch und merkantilisch effeminierten Zeit ist das Militär. Da gilt der Mann vor allem nach seinem biologischen Werte‘“) lakonisch mit den Worten: „Nietzsche hat, glaub ich‘, seine Lobpreisung des männlichen Genius geistiger verstanden haben wollen“ (ebd., S. 111).

  25. 25.

    Um ihn gegen den letzten Vorwurf zu verteidigen, stellt Brandes einige Briefe Nietzsches an ihn ans Ende seines Essays, mit denen er belegen möchte, dass sich die „krankhafte Exaltation“ (ebd., S. 17) erst in den allerletzten Briefen äußere, während die vorherigen, noch im selben Jahr geschriebenen, nichts von der hereinbrechenden Katastrophe hätten ahnen lassen (vgl. ebd., S. 127). Auf das Nietzschebuch von Lou Andreas Salomé geht er im positiv zustimmenden Sinne ein, indem er die Ergebnisse ihrer Forschung kurz zusammenfasst (vgl. ebd., S. 103–108).

  26. 26.

    Ebd., S. 103.

  27. 27.

    Ebd., S. 109.

  28. 28.

    Ebd., S. 109.

  29. 29.

    Vgl. ebd., S. 109.

  30. 30.

    Vgl. ebd.

  31. 31.

    Vgl. ebd.

  32. 32.

    Um ein kritisches Verhältnis zum Philosophen einnehmen zu können, so müsste man allerdings gegen Brandes gegebenenfalls einwenden, sollte man die intendierten Konsequenzen denkerisch aus der Philosophie ableiten, ohne dass daraus zwangsläufig ein Leseverbot hervorgehen sollte. Ansonsten nimmt man eine Philosophie, die durchaus Auswirkungen auf das Leben haben will, von vornherein nicht beim Wort. Solch eine Deutung geht daher an den Ansprüchen derselben vorbei. Diese Einseitigkeit, die entweder darin besteht, ein Leseverbot aufgrund von Gefährlichkeit verhängen zu wollen, oder darin, die Forderungen, die aufgrund der Philosophie sich immanent ergeben, zu ignorieren, scheint sich häufiger in der Nietzscherezeption zu wiederholen (vgl. Kapitel 7).

  33. 33.

    Stein, Ludwig: Friedrich Nietzsche's Weltanschauung und ihre Gefahren. Ein Essay, Berlin 1893.

  34. 34.

    Ebd., S. IV.

  35. 35.

    Ebd., S. IV.

  36. 36.

    Ebd., S. 2.

  37. 37.

    Ebd., S. 3.

  38. 38.

    Ausgehend von griechischen Philosophen wie Antisthenes und Epiktet erstrecke sich die Tradition über Agrippa von Nettesheim bis hin zu Rousseau, insofern die herrschenden Moralvorstellungen mithilfe einer bestimmten Naturvorstellung kritisiert würden, wobei die Natur unterschiedlich gefasst werde, z. B. als Bedürfnislosigkeit (bei den Stoikern und Zynikern, als Gleichheit der Menschen bei Rousseau) (vgl. ebd., S. 2–6).

  39. 39.

    Ebd., S. 5.

  40. 40.

    Ebd., S. 6.

  41. 41.

    Alle ebd., S. 13.

  42. 42.

    Ebd., S. 66.

  43. 43.

    Ebd., S. 71.

  44. 44.

    Ebd., S. 7.

  45. 45.

    Ebd., S. 7.

  46. 46.

    Ebd., S. 19.

  47. 47.

    Ebd., S. 19.

  48. 48.

    Ebd., S. 31.

  49. 49.

    Ebd., S. 31.

  50. 50.

    Ebd., S. 33 f.

  51. 51.

    Ebd., S. 45.

  52. 52.

    Vgl. ebd., S. 48.

  53. 53.

    Vgl. ebd., S. 54.

  54. 54.

    Vgl. ebd., S. 64.

  55. 55.

    Vgl. ebd., S. 65.

  56. 56.

    Ebd., S. 77.

  57. 57.

    Vgl. ebd., S. 79.

  58. 58.

    Ebd., S. 9.

  59. 59.

    Ebd.

  60. 60.

    Ebd.

  61. 61.

    Ebd.

  62. 62.

    Ebd.

  63. 63.

    Ebd., S. 14.

  64. 64.

    Ebd., S. 15.

  65. 65.

    Ebd., S. 16.

  66. 66.

    Ebd., S. 15.

  67. 67.

    Ebd., S. 29.

  68. 68.

    Ebd.

  69. 69.

    Ebd., S. 29.

  70. 70.

    Ebd., S. 44. Stein kehrt damit Nietzsches Bewertung und gelegentliches Kokettieren in EH mit seiner (angeblichen) polnischen Abkunft um. Allerdings erscheint EH erst 1908 und selbst Förster-Nietzsches Nietzsche-Biografie, aus der sich etwaige Informationen hätten beziehen lassen können, ebenfalls erst 1895, also 2 Jahre nach Steins Kritik. Vgl. EH, Warum ich so weise bin 3, KSA 6, 301: „Ich bin ein polnischer Edelmann pur sang, dem auch nicht ein Tropfen schlechtes Blut beigemischt ist, am wenigsten deutsches.“

  71. 71.

    Stein, Ludwig: Friedrich Nietzsche's Weltanschauung und ihre Gefahren, S. 44.

  72. 72.

    Ebd.

  73. 73.

    Ebd.

  74. 74.

    Ebd.

  75. 75.

    Vgl. ebd., S. 44 f.

  76. 76.

    Riehl, Alois: Friedrich Nietzsche, der Künstler und Denker. Ein Essay, Stuttgart 1897, S. 16.

  77. 77.

    Ebd., S. 17.

  78. 78.

    Ebd., S. 14.

  79. 79.

    Ebd.

  80. 80.

    Ebd., S. 29.

  81. 81.

    Vgl. ebd., S. 100.

  82. 82.

    Ebd., S. 118.

  83. 83.

    Ebd.

  84. 84.

    Ebd., S. 91.

  85. 85.

    Ebd.

  86. 86.

    Ebd., S. 43.

  87. 87.

    Ebd., S. 25.

  88. 88.

    Vgl. ebd., S. 25.

  89. 89.

    Ebd., S. 22.

  90. 90.

    Ebd.

  91. 91.

    Ebd., S. 116.

  92. 92.

    Ebd., S. 126.

  93. 93.

    Cesare Borgia als Papst… Versteht man mich?… Wohlan, das wäre der Sieg gewesen, nach dem ich heute allein verlange —: damit war das Christenthum abgeschafft!“ (AC 61, KSA 6, 251).

  94. 94.

    Vgl. Riehl, Alois: Friedrich Nietzsche, der Künstler und Denker, S. 127.

  95. 95.

    Vgl. ebd., S. 126 f.

  96. 96.

    Ebd., S. 132.

  97. 97.

    So zum Beispiel Thomas Mann, der sich in seinen Tagebüchern, seinen Schriften und in seinen Reden immer wieder aufs Neue zu Nietzsches Philosophie positionierte und der in seinen literarischen Figuren wiederholt Reminiszenzen nietzscheanischer Typen erschuf, sei es in der Figur des grotesken Mynheer Peeperkorn oder des unberührbar sehnsüchtigen Protagonisten Adrian Leverkühn.

  98. 98.

    Vgl. Simmel, Georg: Schopenhauer und Nietzsche. Ein Vortragszyklus (1907), in: Ottheim Rammstedt (Hg.): Gesamthausgabe, Bd. 10, Frankfurt am Main 1995, S. 393.

  99. 99.

    Ebd., S. 355.

  100. 100.

    Ebd., S. 379.

  101. 101.

    Ebd., S. 379.

  102. 102.

    Vgl. ebd., S. 379.

  103. 103.

    Vgl. ebd., S. 376.

  104. 104.

    Vgl. ebd., S. 407 f.

  105. 105.

    Seydl, Ernst: Also sprach Zarathustra. Eine Nietzsche-Studie, S. 272.

  106. 106.

    Rickert Heinrich: Die Philosophie des Lebens. Darstellung und Kritik der philosophischen Modeströmungen unserer Zeit, Tübingen 1920, S. 20.

  107. 107.

    Vgl. ebd., S. 21 f.

  108. 108.

    Vgl. ebd., S. 97.

  109. 109.

    Vgl. ebd., S. 139.

  110. 110.

    Vgl. ebd., S. 141.

  111. 111.

    Kraus, Karl: Auseinandersetzung mit Würdigungen Nietzsches in der ‚Neuen Freien Presse‘', in: Die Fackel. 2, 1900, Nr. 51, Nachdruck, Heinrich Fischer (Hg.), München 1986, S. 19.

  112. 112.

    Merlin, Max: Also sprach Confusius. Von einem Unmenschen. Ohne Bildniss und Autogramm des Verfassers, Wien 1893. Ausführlich zu frühen Nietzsche-Parodien vgl. Benne, Christian: Also sprach Confusius: Ein vergessenes Kapitel aus Nietzsches Wiener Frührezeption, in ‚Orbis Litterarum‘, LVII (2002), Nr. 5, S. 370–402.

  113. 113.

    Grottewitz, Curt: Also sprach Clara Thustra! Ein Sang, Übersang, Mittel-, Ober- und Untersang von Friedrich Knietzsche, in: ‚Der Zuschauer‘, I (1893), 9./15. Oktober, S. 270–272.

  114. 114.

    Brand, Franz: Unter den Geistern der sieben Embryonen Zarathustra, in: Gedichte und Sprüche Friedrich Nietzsches aus dem Jahre 1868, veröffentlicht in: Preussische Jahrbücher, XCII (1898), Nr. 3, S. 385–396.

  115. 115.

    Trara, Praktisch Anleitung, ein Übermensch zu werden, in ‚Jugend. Münchener illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben‘, I (1902), Nr. 13. S. 208.

  116. 116.

    Mittmann, Thomas: Der ‚Irrenzhäusler‘ als ‚jüdisches Modestück‘. Nietzscheanismus und Nietzsche-Kult im Deutschland der Jahrhundertwende in der antisemitischen Kritik, in: Barbera, Sandro / D'iorio, Paolo / Ulbricht, Justus H. (Hg.): Friedrich Nietzsche. Rezeption und Kultus, Pisa 2004, S. 77–103.

  117. 117.

    Beispielhaft bezüglich Wagner in NW: „Richard Wagner, scheinbar der Siegreichste, in Wahrheit ein morsch gewordener, verzweifelnder Romantiker, sank plötzlich, hülflos und zerbrochen, vor dem christlichen Kreuze nieder…“ (MA II, Vorrede 3, KSA 2, 372) oder bezüglich Dühring: „[I]ch erinnere Leser, die Ohren haben, nochmals an jenen Berliner Rache-Apostel Eugen Dühring, der im heutigen Deutschland den unanständigsten und widerlichsten Gebrauch vom moralischen Bumbum macht: Dühring, das erste Moral-Grossmaul, das es jetzt giebt, selbst noch unter seines Gleichen, den Antisemiten“ (GM III, 14, KSA 5, 370). Die Abwertung Nietzsches dient der Aufwertung des Verehrten und fungiert so als (psychologischer) Befreiungsschlag.

  118. 118.

    Benn, Gottfried: Doppelleben, in: Wellershoff, Dieter (Hg.): Autobiographische und Vermischte Schriften. Gesammelte Werke in vier Bänden, Bd. 4, Wiesbaden 1977, S. 154.

  119. 119.

    Louis, Rudolf: Maurice Kufferath: Musiciens et Philosophes (Tolstoi, Schopenhauer, Nietzsche, Richard Wagner.), in: Bayreuther Blätter, XXIII (1900), Nr. 3 – 5, S. 143.

  120. 120.

    Vgl. Dühring, Eugen: Die Judenfrage als Frage des Racencharakters und seiner Schädlichkeiten für Völkerexistenz, Sitte und Cultur. Mit einer denkerisch freiheitlichen und praktisch abschliessenden Antwort, 5. Auflage, Nowawes-Neuendorf bei Berlin 1901, S. 69 f.

  121. 121.

    „[I]ch mag auch sie nicht, diese neuesten Spekulanten in Idealismus, die Antisemiten, welche heute ihre Augen christlich-arisch-biedermännisch verdrehn und durch einen jede Geduld erschöpfenden Missbrauch des wohlfeilsten Agitationsmittels, der moralischen Attitüde, alle Hornvieh-Elemente des Volkes aufzuregen suchen“ (GM III, 26, KSA 5, 407).

  122. 122.

    Mittmann, Thomas: Der ‚Irrenzhäusler‘ als ‚jüdisches Modestück‘. Nietzscheanismus und Nietzsche-Kult im Deutschland der Jahrhundertwende in der antisemitischen Kritik, S. 89.

  123. 123.

    Vgl. ebd., S. 95.

  124. 124.

    Anonym: Was fehlt zur deutschen Kultur?, in: ‚Hammer‘, IV (1905), Nr. 62, S. 26. Vgl. auch Mittmann, Thomas: Der ‚Irrenzhäusler‘ als ‚jüdisches Modestück‘. Nietzscheanismus und Nietzsche-Kult im Deutschland der Jahrhundertwende in der antisemitischen Kritik, S. 98.

  125. 125.

    Vgl. ebd., S. 101.

  126. 126.

    So gelten sie als Vertreter der sogenannten Konservativen Revolution, zu der auch Martin Heidegger, Carl Schmitt, Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck gehörten und die wesentlich von Nietzsche inspiriert war. Der Begriff der Konservativen Revolution ist bis heute umstritten. Er wurde allerdings von Thomas Mann selbst geprägt: „Konservatismus braucht nur Geist zu haben, um revolutionärer zu sein als irgendwelche positivistisch liberalistische Aufklärung, und Nietzsche selbst war von Anbeginn, schon in den ‚Unzeitgemäßen Betrachtungen‘, nichts anderes als Konservative Revolution“ (Mann, Thomas: ‚Russische Anthologie‘, in: Essays II. 1914–1926, Detering, Heinrich (Hg.): Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke – Briefe – Tagebücher, Bd. 15/1, Zürich 2002, S. 341). Armin Mohler übernimmt den Begriff in seine Dissertation: Mohler, Armin: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932. Grundriß ihrer Weltanschauungen, Stuttgart 1950. Vgl. zum Einfluss Nietzsches auf die Konservative Revolution auch: Kaufmann, Sebastian / Sommer, Andreas Urs: Nietzsche und die Konservative Revolution, Berlin / Boston 2018.

  127. 127.

    So wird Nietzsche von Bruno Wille und von Gustav Landauer begeistert aufgenommen, während sich die Schriftstellerin und Feministin Hedwig Dohm mit Nietzsches Misogynie auseinandersetzt, gerade im Angesicht dessen, dass er, obwohl er „so geistlos über die Frauen redet“ doch „der geniale, erschütternde Dichter, [und] zugleich […] glühender Denker“ sei (vgl. Dohm, Hedwig: Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung, erstmals erschienen in verschiedenen Periodika, darunter in der von Minna Cauer herausgegebenen Zeitschrift ‚Die Frauenbewegung‘ ab 1897, Berlin 2015, S. 20–34). Vgl. auch Aschheim, Steven E.: Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, Stuttgart / Weimar 1996, S. 251–328.

  128. 128.

    Tönnies, Ferdinand: Der Nietzsche-Kultus: eine Kritik, Saarbrücken 2007, S. 77 f.

  129. 129.

    Tönnies, Ferdinand: Der Nietzsche-Kultus: eine Kritik, S. 66.

  130. 130.

    Tönnies hatte schon früh mit Nietzsches Werk Bekanntschaft gemacht und Gefallen daran gefunden. Seine kritische Haltung entwickelte sich erst in Bezug auf Nietzsches spätere Werke. Mehr noch aber als Nietzsche selbst, der für ihn eine tragische Gestalt blieb, waren ihm seine Anhänger, die sogenannten Immoralisten, zuwider. Während also Nietzsche als „echte Hamletnatur […] an seiner Aufgabe zu Grunde“ (Tönnies, Ferdinand: Nietzsche – Narren, in: Tönnies, Ferdinand: Der Nietzsche-Kultus: eine Kritik, Saarbrücken 2007, S. 95) ging, waren es die „Gassenbuben, die hinter dem trunkenen Manne ihre Faxen machen“, die Tönnies mit folgenden Worten beschreibt: „freche, sehr freche Geister ohne Zweifel, [die] nicht[s] Ordentliches gelernt habend, zusammenhängenden Denkens unfähig, aber aller Worte und Phrasen mächtig; in den Kaffees der Großstädte lungern sie Tage und Nächte, führen verwegene Reden, umnebeln ihre Gehirne und duften nach Zigaretten. Für diese Sorte wurde die Proklamation der Freiheit des Genies, auf eigene Faust zu leben, eine Botschaft ihres Heils, ein geistreicher Alkohol für ihre Gewissen. Sie sind (so wähnen sie) der Welt nichts schuldig, die Welt ist ihnen alles schuldig. Sie sind die Gassenbuben, die hinter dem trunkenen Manne ihre Faxen machen“ (ebd., S. 104).

  131. 131.

    Ebd.

  132. 132.

    Die Syphilis als Krankheit hat natürlich auch noch die Anmutung moralischer Verworfenheit. Diese Verbindung wird besonders von Möbius herausgestellt, der zudem den pathologischen Charakter Nietzsches und seiner Schriften nicht nur in Verbindung zur fortschreitenden Paralyse aufgrund einer Syphilis betont, sondern ihn auch in Beziehung zu Nietzsches vermeintlich grundsätzlicher abnormaler Persönlichkeit setzt (Möbius, Paul Julius: Nietzsche. Krankheit und Philosophie. Nachdruck, Schutterwald/Baden 2000, S. 61–67). Möbius warnt Leser vor einem leichtfertigen Umgang mit Nietzsches Schriften, denn diese könnten sich – trotz einiger Brillanz hier und da – durchaus als gefährlich für die eigene geistige Gesundheit erweisen. Der Aphorismus als Form, das Bruchstückhafte seines Denkens und die unauflösbaren Widersprüche (ebd., S. 61) erweisen sich als Zeichen einer immer weiter fortschreitenden „Unzurechnungsfähigkeit“ (ebd., S. 178–180). Insofern sollte der vorsichtige Leser stets bedenken, dass in Nietzsches Schriften ein „Gehirnkranker“ (ebd.) spreche. Vgl. auch Lange-Eichbaum, Wilhelm und Kurth, Wolfram: Genie, Irrsinn und Ruhm. Genie-Mythos und Pathographie des Genies. München 1967. Eine prägnante historische Skizze auch unter Einbeziehung verteidigender, wenn auch nicht unproblematischer, Gegenstimmen von Kurt Hildebrandt, Karl Jaspers und Sigmund Freud findet sich bei Bormuth, Mathias: Nietzsche im Lichte der psychiatrischen Pathographie. Eine historische Skizze, in: Wahl, Volker (Hg.): Weimar–Jena: Die große Stadt 4/1, Jena 2011, S. 18–30.

  133. 133.

    Strindberg, August: Brev, in: Eklund, Torsten / Meidal, Björn (Hg.): August Strindberg Brev, I-XV, Bd. VII, Bonnier / Stockholm 1948–2001, S. 192.

  134. 134.

    Anlässlich der Bestattung Nietzsches im Erbbegräbnis in Röcken am 28. August 1900 sprach Gast diese verherrlichenden Trauerworte. Zitiert nach: Emmrich, Angelika: ‚[…] und nun ruht die Obhut über sein Andenken in Frauenhand‘. Die musealen Inszenierungen der Elisabeth Förster-Nietzsche, in: Barbera, Sandro / D'iorio, Paolo / Ulbricht, Justus H. (Hg.): Friedrich Nietzsche. Rezeption und Kultus, Pisa 2004, S. 207.

  135. 135.

    „Nach Plato sollen die Philosophen Führer der Völker sein. Ein Philosoph würde mit Hindenburg nun eben nicht den Thronstuhl besteigen. Nur ein repräsentatives Symbol, ein Fragezeichen, ein Zero. Man kann sagen: besser ein Zero als ein Nero. Leider zeigt die Geschichte, daß hinter einem Zero immer ein künftiger Nero verborgen steht“ (Zeitungsartikel im Prager Tagblatt vom 25.04.1925, erneut erschienen in: Lessing, Theodor: Wir machen nicht mit! Schriften gegen den Nationalsozialismus und zur Judenfrage, in: Wollenberg, Jörg (Hg.): Ausgewählte Schriften, Bd. 2, Bremen 1997, S. 87 ff.).

  136. 136.

    Bertram, zit. in: Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2005, S. 44.

  137. 137.

    Vgl. Bertram: „Dieser ungeheure Eindruck Nietzsches, an sich ein Einzigartiges in der neueren Geistesgeschichte, scheint, von jeder unbedingten Wertung abgesehen, deshalb so stark zu sein, weil dieser Mann mit seltner Reinheit das Seelengeschick seines Jahrhundertaugenblicks verkörperte und verdeutlichte, weil er die Unheilbarkeit seines Jahrhunderts zugleich war und sah, zugleich bekämpfte und erlitt. Wie sein Jahrhundert, war Nietzsche im Zeichen der Wage geboren, jener Wage eines gefährlichen Vielleicht, das den Zauber und das Verhängnis seines zwischen zwei Welten schwebenden geistigen Jahrhunderts ausmacht“ (Bertram, Ernst: Nietzsche. Versuch einer Mythologie, Berlin 1929, erste Auflage 1918, S. 16). Ebenso Lessing: „An ihrem Ende (den Wahn dieser ‚Weltgeschichte‘ auf den Gipfel treibend, aber damit auch den Geschichtsprozeß vernichtend) erscheint Friedrich Nietzsche. Zugleich der letzte in der großen Reihe germanisch-protestantischer Anarchisten des Geistes, zugleich der erste, welcher eine Morgenröte entzündete, die weit hinausbricht über die Grenzen kaukasischer Bildungsmenschheit […]. Treten wir ein in ungeheures Schicksal. In das Schicksal der tragischen Seele, die alles, was sie liebt, und zuletzt sich selbst opfern muß. Aus gewohnheitbedingtestem Kreise der Erde, dem deutschen Bürgertum, wuchs der Zertrümmerer alles Gewohnten. Aus züchtigster Gebundheit stieg der Umwerter aller Werte. Aus christlichem Mythos der Antichrist“ (Lessing, Theodor: Nietzsche, erste Auflage 1925, München 1985, S. 9).

  138. 138.

    Ebd., S. 64.

  139. 139.

    Vgl. ebd., S. 94–97.

  140. 140.

    Ebd., S. 73 f. Dies möchte Lessing zwar an anderer Stelle entschärfen, gleichwohl läuft es auf das Gleiche hinaus. Vgl.: „Ich möchte hier nicht behaupten, daß Nietzsche an dem Gedanken der Ewigen Wiederkehr zugrunde gegangen sei; aber ich möchte behaupten, daß ein Geist wie dieser nicht an ‚übermäßigem Gebrauch von Chloralhydrat‘, sondern von der Seele her erloschen ist“ (Lessing, Theodor: Nietzsche, S. 91).

  141. 141.

    Allerdings war Nietzsche Lessing schon länger bekannt. So hatte Lessing bereits 1906 ein Werk über ihn herausgebracht (vgl. Lessing, Theodor: Schopenhauer, Wagner, Nietzsche: Einführung in moderne Deutsche Philosophie, München 1906).

  142. 142.

    Lessing, Theodor: Nietzsche, S. 109 f.

  143. 143.

    Ebd.

  144. 144.

    Ebd.

  145. 145.

    Bertram, Ernst: Nietzsche. Versuch einer Mythologie, S. 53–76.

  146. 146.

    Die erste Erwähnung des Kupferstiches findet sich 1870 in einem Brief an Elisabeth und Franziska Nietzsche, in dem Nietzsche seinen Wunsch kundgibt, eine Abbildung Wagner zu Weihnachten zu schenken, was dann auch geschieht. In der GT vergleicht Nietzsche Schopenhauer mit dem Reiter, der todesmutig Wahrheit begehre und daher eine Ausnahmegestalt verkörpere: „Es giebt nicht Seinesgleichen“ (GT 20, KSA 1, 131). Implizit ist Wahrheit also mit Lebenszerstörung verknüpft: Wer Wahrheit suche, müsse alle Hoffnungen, dass diese erträglich sei, fahren lassen. Der Wahrheitssuchende in diesem Sinne ist ein Abenteurer, der heroisch den eigenen Untergang in Kauf nimmt. In Nietzsches späterem Werk, so beispielsweise in der Vorrede zur FW, ist der Wert der Wahrheit hingegen gerade wegen der möglichen Verbindung zur Lebenszerstörung in Zweifel zu ziehen (vgl. FW Vorrede 4, KSA 3, 352). Was ist Wahrheit wert, sofern sie möglicherweise tödlich sei, fragt Nietzsche auch in FW 576, KSA 4, 574–577. Und ist es tatsächlich die Wahrheit, die da begehrt wird und nicht etwa eine Rechtfertigung für die eigene charakterliche Lebenshaltung, die eigentlich ein Scheitern darstellt, weil das Leben abgewertet wird? In GM III, 5 erscheint Schopenhauer zwar noch als Ritter und unabhängiger Denker „mit erzenem Blick“ (GM III, 5, KSA 5, 345), aber längst nicht mehr als einer, der auf der Suche nach einer objektiven Wahrheit ist. Schopenhauer selbst habe seine pessimistische Sicht auf die Welt nötig gehabt, „um guter Dinge zu bleiben“ (GM III, 7, KSA 5, 349), und letztlich habe Schopenhauer aus seiner Philosophie keine praktischen Schlüsse fürs Leben und das heißt gegen das Leben gezogen (GD, Streifzüge 38, KSA 6, 135). Trotz aller Aufwertung des Scheines und lebenstauglicher Illusionen bleibt für Nietzsche der Gradmesser des Wertes einer Persönlichkeit dennoch mit dem Wagnis von Wahrheit verknüpft: „Wie viel Wahrheit erträgt, wie viel Wahrheit wagt ein Geist? das wurde für mich immer mehr der eigentliche Werthmesser“ (EH, Vorwort 3, KSA 6, 259). Der heroische Ritter Dürers ist dennoch für diese Ansicht nicht mehr das richtige Bild. Bereits 1885 schreibt Nietzsche in einem Brief an Overbeck (zwischenzeitlich hat Nietzsche selbst einen Stich von Adolf Vischer geschenkt bekommen), ob dieser den Stich Dürers als Hochzeitsgeschenk seiner Schwester schicken könnte, weil ihm (Overbeck), obwohl auch er eines tapfer-aufmunternden Bildes bedürfe, ihm dieses doch wahrscheinlich zu düster sei (vgl. N. an Franz Overbeck, 07.05.1885, KSB 7, Nr. 599, S. 46). Im Brief an seine Schwester nimmt er diese für Overbeck antizipierte Wertung bereits für sich selbst in Anspruch: „Nun habe ich gleich an Overbeck geschrieben, von wegen des Dürerschen Blattes, das freilich mir viel zu düster vorkommt“ (N. an Elisabeth Nietzsche, 07.05.1885, KSB 7, Nr. 600, S. 47).

  147. 147.

    Vgl. ebd., S. 58.

  148. 148.

    Ebd., S. 62.

  149. 149.

    Vgl. ebd., S. 58 ff.

  150. 150.

    Bertram spielt wohl auf das Wüten der Cholera 1831 in Berlin an. Der naturwissenschaftlich gebildete Schopenhauer floh vor Eintreffen der Seuche aus der Stadt (vgl. Hühn, Lore: Schopenhauer, in: Lutz, Bernd (Hg.): Philosophen. 60 Porträts, Stuttgart / Weimar 2004, S. 234).

  151. 151.

    Vgl. Bertram, Ernst: Nietzsche. Versuch einer Mythologie, S. 62–65.

  152. 152.

    Vgl. ebd., S. 142, S. 149.

  153. 153.

    Vgl. ebd., S. 83, S. 93.

  154. 154.

    Vgl.: „[E]r zerreißt sie [die Musik], indem er die eine Hälfte ihrer, wie seiner selbst, leugnet, verhöhnt, verdammt, verteufelt – und die andere um so leidenschaftlicher dem schmerzlich ersehnten Gegenideal entgegendichtet und vergöttlicht. […] [D]iese seherische Hoffnung des Südfanatikers verrät sich gerade durch ihre ungeheure, bis zur Passion schmerzliche Eindringlichkeit als nordgeboren“ (ebd., S. 135).

  155. 155.

    Ebd., S. 75.

  156. 156.

    George: „‚Nietzsche /Blöd trabt die Menge drunten schenkt sie nicht! / Was wäre stich der qualle schnitt dem kraut! / Noch eine weile walte fromme stille /Und das getier das ihn mit lob befleckt / Und sich im moderdunste weiter mästet / Der ihn erwürgen half sei erst verendet! / Dann aber stehst du strahlend vor den zeiten / Wie andre führer mit der blutigen krone. // Erlöser du! Selbst der unseligste…. / Erschufst du götter nur, um sie zu stürzen / Nie einer rast und eines baues froh? / Du hast das nächste in dir selbst getötet / Um neu begehrend / dann ihm nachzuzittern / Und aufzuschrein im schmerz der einsamkeit // Der kam zu spät der flehend zu dir sagte: / Dort ist kein weg mehr über eisige felsen / Und horste grauser vögel – nun ist not: / Sich bannen in den kreis den liebe schließt…‘“ (George, Stefan: ‚Nietzsche‘ in: der siebente Ring, Georg (Hg.), 6 Auflage, Bondi, Berlin 1922, S. 12 f.).

  157. 157.

    Schmied, Wieland: Leidenschaft und kühler Blick. Vergleichende Betrachtungen über die Moderne in der Kunst, Köln 2004, S. 140.

  158. 158.

    Schmied, Wieland: Leidenschaft und kühler Blick. Vergleichende Betrachtungen über die Moderne in der Kunst, S. 129. Im Gegensatz zur Gründerzeit zeichnete sich Oehms zufolge seit dem Expressionismus eine Verbreiterung der Rezeptionsbasis der Philosophie Nietzsches ab: „Nicht mehr die ästhetizistisch-romantische Konstruktion des Übermenschen steht im Zentrum des expressionistischen Interesses, sondern der permanente Bewegungsprozeß der Selbst-Steigerung und Selbst-Überwindung einer vitalistisch-dynamisch aufgefaßten Subjektivität, wie er in der Nachlasskompilation des ‚Wille zur Macht‘ zur vollen Ausfaltung gelangt“ (Oehm, Heidemarie: Subjektivität und Gattungsform im Expressionismus, München 1993, S. 22).

  159. 159.

    Heym, Georg: Dichtungen und Schriften, K. L. Schneider (Hg.), Bd. 3, Hamburg 1960, S. 44.

  160. 160.

    Ebd., S. 50. Vgl. auch: „Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht. Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und ein Gelöbniss wird. Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden. Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! Also zu sterben ist das Beste; das Zweite aber ist: im Kampfe zu sterben und eine grosse Seele zu verschwenden“ (Za I, Vom freien Tode, KSA 4, 93).

  161. 161.

    Gerade bei diesen Stellen ist Nietzsches Einfluss deutlich. Heym: „6 Juni 07 Das Beste ist, nie geboren werden, und danach, jung sterben. Ich sehne mich mehr nach den Ferien, als ich als Schüler getan habe. […] Die Götter sind zu lange schon tot. Ich allein bin nicht im stande, sie wieder zu erwecken“ (Heym, Georg: Dichtungen und Schriften, S. 89. Oktober 1907). „Bald wird ‘ s Zeit, Nietzsche seinen Schritt nachzutun. Nur hatte er es viel leichter. Ich lebe zu Hause in korpsstudentischen Kreisen und Anschauungen. Da mit einem Mal hinaus, alles hinter sich abzubrechen – Als Feigling verschrieen zu werden, überall verachtet zu werden, es wäre zuviel“ (ebd., S. 98).

  162. 162.

    Allerdings eine Vitalität, die nicht gegen die Gefahren dünnen Eises gefeit war. Heym starb als 23-Jähriger beim Schlittschuhlaufen, als er versuchte, seinen eingebrochenen Freund Ernst Balcke zu retten.

  163. 163.

    Ester, Hans: Nietzsche als Leitstern der Expressionisten, in: Ester, Hans / Evers, Meindert (Hg.): Zur Wirkung Nietzsches, Würzburg 2001, S. 105.

  164. 164.

    Schmied, Wieland: Leidenschaft und kühler Blick. Vergleichende Betrachtungen über die Moderne in der Kunst, S. 130.

  165. 165.

    Vgl. Hofstede, Justus. M: Ernst Ludwig Kirchner, Nietzsche und die ‚Brücke‘ in: Galerie Maier-Preusker: Ernst Ludwig Kirchner: 29. Nov. 1981 – 15. Jan. 1982, Bonn 1981, S. 9. Vorgeschlagen wird der Name von Karl Schmidt-Rottluff. Vgl. auch Schmied, Wieland: Leidenschaft und kühler Blick. Vergleichende Betrachtungen über die Moderne in der Kunst, S. 131.

  166. 166.

    Vgl. Hofstede, Justus. M: Ernst Ludwig Kirchner, Nietzsche und die ‚Brücke‘, S. 9.

  167. 167.

    Ester, Hans: Nietzsche als Leitstern der Expressionisten, S. 108.

  168. 168.

    Ebd.

  169. 169.

    Vgl. Schmied, Wieland: Leidenschaft und kühler Blick. Vergleichende Betrachtungen über die Moderne in der Kunst, S. 144.

  170. 170.

    Svenaeus, Gösta: Der heilige Weg. Nietzsche-Fermente in der Kunst Edvard Munchs, zit. in: Bock, Henning / Busch, Günter (Hg.): Edvard Munch. Probleme – Forschungen – Thesen, Passau 1973, S. 28.

  171. 171.

    Einige Abbildungen finden sich in: Aschheim, Steven E.: Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, S. 207–216.

  172. 172.

    Das Gemälde „Badende Männer“ 1907/08 zeigt im Vordergrund zwei nackte Männer vor einer See- oder Meerlandschaft, von denen der eine aufgrund der Gesichtsphysiognomie und des Bartes stark an Nietzsche erinnert. Ein vor Gesundheit und Natürlichkeit strotzender nackter Nietzsche gehört wohl zu den Topoi der bildenden Kunst, die sich heute kaum ohne ein Gefühl von Absurdität betrachten lassen.

  173. 173.

    Wobei Munch selbst Nietzsche auf einer Veranda verortet: „Ich habe ihn [Nietzsche] als Zarathustras Dichter zwischen den Bergen seiner Höhle dargestellt. Er steht auf seiner Veranda und sieht hinab in ein tiefes Tal. Über den Bergen steigt eine strahlende Sonne empor. Man kann sich den Ort, von dem er spricht, vorstellen als einen, an dem er im Licht steht, sich aber ins Dunkel sehnt – jedoch auch nach vielem anderen“ (Rognerud, Hilde M. J.: Nietzsche, zarathustrisch und geflügelt. Edvard Munchs Visionen eines Philosophen der Moderne, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 77, Nr. 1/2014, S. 107).

  174. 174.

    Munch malt den Himmel folglich in den Farben Zarathustras: „Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es mein Geschmack, — der mischt Blut zu allen Farben“ (Za III, Vom Geist der Schwere 2, KSA 4, 244).

  175. 175.

    Svenaeus, Gösta: Der heilige Weg. Nietzsche-Fermente in der Kunst Edvard Munchs, in: Bock, Henning / Busch, Günter (Hg.): Edvard Munch. Probleme – Forschungen – Thesen, Passau 1973, S. 30.

  176. 176.

    Ebd., S. 31.

  177. 177.

    Brief an Maria Franck Januar 11.: zit. in: Strachwitz, Sigrid v.: Franz Marc und Friedrich Nietzsche. Zur Nietzsche-Rezeption in der bildenden Kunst, Dissertation, Bonn 1997, S. 4.

  178. 178.

    Vgl.: „An diesem Sich-bewusst-werden des Willens zur Wahrheit geht von nun an – daran ist kein Zweifel – die Moral zu Grunde: jenes grosse Schauspiel in hundert Akten, das den nächsten zwei Jahrhunderten Europa’s aufgespart bleibt […]“ (GM III, 27, KSA 5, 410–411).

  179. 179.

    Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst, Bern-Bümpliz 1956.

  180. 180.

    Marc, Franz: 100 Aphorismen. Das zweite Gesicht, S. 9 f.

  181. 181.

    Schmied, Wieland: Leidenschaft und kühler Blick. Vergleichende Betrachtungen über die Moderne in der Kunst, S. 139. Die Antwort auf die Frage, ob Meidners Bild einen warnenden Appell vor der drohenden Zerstörung an den Betrachter richtet oder im ästhetischen Rausch lediglich die Zerstörung abbildet, wird an den jeweiligen Betrachter zurückgegeben, auch wenn nachträglich dieses Bild – auch von Meidner selbst – als Vorahnung des Krieges gedeutet wird. Zu Ludwig Meidners Beeinflussung durch Nietzsche siehe auch Ester, Hans: Nietzsche als Leitstern der Expressionisten, S. 100–101.

  182. 182.

    Ebd., S. 10.

  183. 183.

    Marc, Franz: 100 Aphorismen. Das zweite Gesicht, S. 8.

  184. 184.

    Joll, James: The English, Friedrich Nietzsche and the First World War, in: Geiss, Immanuel / Wendt, Bernd Jürgen (Hg.): Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20 Jahrhunderts, Düsseldorf 1973, S. 305.

  185. 185.

    Vgl. Aschheim, Steven E.: Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, S. 130–167.

  186. 186.

    Aschheim, Steven E.: Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, S. 135. Die Kritik Nietzsches an der Kriegsbegeisterung, wie er sie beispielhaft in FW formuliert, wurde von der damaligen Avantgarde freilich übersehen: „Sobald jetzt irgend ein Krieg ausbricht, so bricht damit immer auch gerade in den Edelsten eines Volkes eine freilich geheim gehaltene Lust aus: sie werfen sich mit Entzücken der neuen Gefahr des Todes entgegen, weil sie in der Aufopferung für das Vaterland endlich jene lange gesuchte Erlaubniss zu haben glauben – die Erlaubniss, ihrem Ziele auszuweichen: — der Krieg ist für sie ein Umweg zum Selbstmord, aber ein Umweg mit gutem Gewissen. Und, um hier Einiges zu verschweigen: so will ich doch meine Moral nicht verschweigen, welche zu mir sagt: Lebe im Verborgenen, damit du dir leben kannst!“ FW 338, KSA 3, 568.

  187. 187.

    Schmied, Wieland: Friedrich Nietzsche und die Bildende Kunst, in: Friedrich, Heinz (Hg.): Friedrich Nietzsche. Philosophie als Kunst. Eine Hommage, München 1999, S. 192.

  188. 188.

    Zit in: Schmied, Wieland: Friedrich Nietzsche und die Bildende Kunst, S. 192 f.

  189. 189.

    Ebd., S. 194.

  190. 190.

    Ebd., S. 194–200.

  191. 191.

    Mit Ausnahme vielleicht derjenigen Kreise, die Nietzsche auf eine Weise kritisiert hatten, die jede Umdeutung unmöglich machte. So mochte man Nietzsche mit einigem Aufwand als echten Deutschen darstellen können, als jemanden, dem Wagner sein Alpha und Omega gewesen sei oder der als protestantische Natur gerade in seiner Kritik die protestantische Aufrichtigkeit geschätzt habe, aber nur schwerlich konnte man ihn zum Bewunderer Dührings umgestalten.

  192. 192.

    Heym, Georg: Dichtungen und Schriften, Bd. 3, S. 44.

  193. 193.

    Die stilisierten Worte Luthers: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen.“ Aus der Druckfassung von der Reichstagsrede zu Worms 1521 wurden so von Luther nie ausgesprochen. Weit unheroischer lauteten sie bei seiner (zweiten) Verteidigungsrede: „Da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann ich und will nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen“ (vgl. Schade, Hartmut: Luthers berühmteste Worte „Hier stehe ich …“, 30. Juni 2017, https://www.mdr.de/reformation500/martin-luther-hier-stehe-ich-refjahr-100.html, zuletzt überprüft am: 16.02.2021).

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Schulte, N. (2023). Befreiung und Infektion. Die frühe Nietzscherezeption (1890–1930). In: Gefährlich Leben - Gefährlich Denken. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67331-7_2

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