Der Untersuchungszeitraum, der für den vorliegenden Beitrag gewählt wurde, umfasst einen besonders krisenreichen Abschnitt der britischen Geschichte, in dem nicht nur innen- und außenpolitische Konflikte, sondern insbesondere auch dynastische Schwierigkeiten im Vordergrund standen.Footnote 1 Infolge des Bürgerkriegs, der in der Hinrichtung Karls I. im Jahr 1649 kulminierte, hatte dessen ältester Sohn Charles (Karl II.) mehr als ein Jahrzehnt im Exil verbracht, bevor er 1660 nach London zurückkehren konnte. Da seine Ehe mit Katharina von Braganza kinderlos blieb, zeichnete sich ab den 1670er Jahren eine dynastische Krise ab. Die Thronfolge drohte an seinen jüngeren Bruder James (Jakob) zu fallen, der zum Katholizismus konvertiert war. Hiergegen formierte sich eine starke Opposition, die anti-katholische Ängste schürte, um im Parlament den Ausschluss Jakobs von der Thronfolge durchzusetzen. Bevor es dazu kommen konnte, löste Karl II. 1681 das Parlament auf und regierte bis zu seinem Tod 1685 ohne dessen Unterstützung.

Die darauffolgende Herrschaft des katholischen Königs Jakob II. konnte zunächst als Interims-Lösung betrachtet werden, da aus seiner Ehe mit Maria von Modena keine Söhne hervorgegangen waren. Dies änderte sich 1688, als James Francis Edward geboren wurde, sodass nun eine katholische Thronfolge zu erwarten war. Um die Legitimität des Kindes in Zweifel zu ziehen, verbreitete die Opposition das Gerücht, es sei in einer Bettpfanne in das Schlafgemach der Königin geschmuggelt worden. Zugleich nahmen die sogenannten „Immortal Seven“ Kontakt zu Wilhelm von Oranien auf, der einen doppelten Thronanspruch besaß: zum einen als Enkel Karls I., zum anderen als Ehemann von Mary (Maria), der protestantischen ältesten Tochter Jakobs II. aus seiner ersten Ehe. Mit Unterstützung der Immortal Seven, zu denen hochrangige englische Adlige und Geistliche zählten, gelang es Wilhelm, in England zu landen und Jakob II. ins Exil zu zwingen. Als Resultat dieser „Glorious Revolution“ übernahmen er und seine Gemahlin 1689 als Wilhelm III. und Maria II. gemeinsam die Krone.

Bevor die Thronfolge gesichert war, starb Maria 1694 überraschend infolge einer Pockenerkrankung. Somit stellte sich erneut die Sukzessionsfrage. 1701 wurde im Act of Settlement festgelegt, dass die Krone nach Wilhelms Tod an Marias jüngere Schwester Anne übergehen werde.Footnote 2 Da deren einziger Sohn, der Herzog von Gloucester, bereits im Jahr 1700 elfjährig verstorben war, wurden außerdem Regelungen für die weitere Nachfolge getroffen, um Jakob II. und seine katholischen Nachkommen definitiv von der Thronfolge auszuschließen. So kam es, dass nach Annes Tod schließlich Kurfürst Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg als Georg I. den Thron bestieg und 1714‒1727 das Königreich Großbritannien und das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg in Personalunion regierte. Diese Phase war jedoch überschattet von den „Jacobite Rebellions“, die den Sohn Jakobs II. zum König zu erheben suchten.

Im Verlauf des 18. Jahrhunderts festigte sich die Herrschaft der „Hanoverians“, England stieg zu einer Weltmacht auf, und die englische Kultur avancierte zu einem Leitbild insbesondere für die protestantischen Bereiche Kontinentaleuropas. Entsprechend intensiv sind bereits englisch-deutsche Kulturkontakte ab dem 18. Jahrhundert erforscht worden. Für die hier skizzierte Phase der Sukzessionskrise, in der sich allmählich eine „deutsche“(hannoveranische) Herrschaft in Großbritannien abzeichnete und konsolidierte, existiert jedoch noch keine Studie, die englisch-deutsche Austauschprozesse auf dem Gebiet von bildender Kunst und Architektur aus übergreifender Perspektive untersucht.Footnote 3 Bislang sind nur einzelne Teilaspekte thematisiert worden. Der vorliegende Text versucht daher, einen ersten Überblick über die Vielfalt der kunst- und architekturbezogenen Kulturkontakte im Zeitraum 1660–1727 zu geben.

Wie in der Forschung bereits wiederholt dargelegt wurde, ließen sich die britischen Künstler und Architekten jener Zeit insbesondere von französischen und italienischen Vorbildern inspirieren.Footnote 4 Dennoch lohnt es sich, den Blick auch auf das Alte Reich zu richten. Von einer Analyse des Netzwerks englisch- und deutschsprachiger Akteure sind künftig, so die These dieses Beitrags, zahlreiche neue, kunsthistorisch relevante Erkenntnisse zu erwarten.

Dieser Text versteht sich nur als eine erste Sondierung und Grundlegung für eine geplante vertieftere Bearbeitung des bislang noch unerschlossenen Forschungsfelds. Um das große Arbeitsgebiet etwas überschaubarer zu halten, wird im Folgenden nicht das Alte Reich in seiner kompletten Ausdehnung betrachtet, sondern nur der Bereich der heutigen Bundesrepublik Deutschland. In dieser geographischen Eingrenzung ist auch das Adjektiv „deutsch“ im vorliegenden Beitrag zu verstehen.

1 Kunst- und Bauwerke in Reisenarrativen

Bereits im frühen 17. Jahrhundert war England ein attraktives Ziel für deutsche Reisende.Footnote 5 Als nach einer Pause während des Interregnums das Reisen ab 1660 wieder Konjunktur hatte, betrat nach Ansicht Robson-Scotts „a new type of traveller“ die Bildfläche, „who came to England to visit the libraries and museums and other treasures of learning which this country had to offer and above all to make contact with the great English scholars, scientists and theologians of the age“.Footnote 6

Die 1660 gegründete und ab 1662 mit königlichem Privileg versehene Royal Society in London sowie ihr naturkundliches Museum, dessen Grundstock die Sammlung des Deutschen Robert Hubert bildete, erwiesen sich als Anziehungspunkte nicht nur für Gelehrte.Footnote 7 Dabei dürfte es für deutsche Reisende eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, dass der unermüdlich neue Kontakte knüpfende Sekretär der Royal Society selbst ein Deutscher war: Henry Oldenburg aus Bremen.Footnote 8 Für Ferdinand Albrecht von Braunschweig-Lüneburg stellte die Aufnahme in die Royal Society im Januar 1665 den Höhepunkt seiner Englandreise dar.Footnote 9 Das Ereignis wurde sowohl in seinem eigenen Reisebericht als auch in Thomas Sprats History of the Royal Society kommemoriert (englische Originalausgabe 1667, deutsche Übersetzung 1677).Footnote 10

Ferdinand Albrecht bildete in doppelter Hinsicht eine Ausnahme unter adeligen Reisenden: nicht nur durch sein großes Interesse an Wissenschaft und Kultur, sondern auch durch den Umstand, dass er höchstpersönlich einen ausführlichen Reisebericht verfasste und publizierte.Footnote 11 Im Allgemeinen ging es bei Prinzenreisen primär darum, Kontakte zu ausländischen Höfen aufzubauen und das Prestige des eigenen Hauses auszutesten.Footnote 12 Eva Bender hat dies am Beispiel der deutschen Prinzen aus der Geburtsgeneration 1671‒1681 untersucht. Von den 61 Prinzen jener Generation reisten immerhin elf (18 %) nach England.Footnote 13

Neben Adligen und Gelehrten unternahmen auch Kaufleute und Theologen Englandreisen. Durch die Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) ließen sich zahlreiche Hugenotten in England nieder, und „durch die Machtübernahme Wilhelms von Oranien, des politischen Führers des protestantischen Europa, [...] konnte England gewissermaßen als ‚Vormacht des Protestantismus in Europa‘ gelten“.Footnote 14 So verfassten deutsche Theologen einige der frühesten Standardwerke England betreffender Reiseliteratur.Footnote 15

Im Zusammenhang der Personalunion intensivierte sich die Reisetätigkeit zwangsläufig.Footnote 16 Georg I. traf 1714 mit einem deutschen Hofstaat von ca. 100 Personen in London ein und gründete dort eine „Deutsche Kanzlei“.Footnote 17 Wenngleich er den Umfang seiner deutschen Entourage in den folgenden Jahren deutlich reduzierte,Footnote 18 pendelten doch alle betroffenen Familien, Minister und Gesandte zwischen zwei Ländern. Der König selbst unternahm sechs Reisen in seine Stammlande und verbrachte insgesamt drei seiner dreizehn britischen Regierungsjahre in Hannover.Footnote 19

Alles in allem verwundert es also nicht, dass sich aus dem Untersuchungszeitraum zahlreiche publizierte und unpublizierte Texte erhalten haben, die ein Bild von der deutschen England-Wahrnehmung vermitteln. Die dafür gewählten literarischen Formen und der jeweilige Fiktionalitätsgrad sind so unterschiedlich, dass die Kategorisierung als „Reisebericht“ durch den offeneren Oberbegriff „Reisenarrative“ ersetzt werden sollte.Footnote 20 Das Spektrum reicht vom höfischen Diarium über Reiseführer für spezifische Publikumsgruppen (Theologen, Gelehrte, Adlige) bis hin zu dem in Alexandrinern verfassten Reisegedicht des „Pegnitz-Schäfers“ Martin von Kempe.Footnote 21 Hinzu kommen Apodemiken, die Richtlinien für Reisende bereitstellen.Footnote 22 Bei der Auswertung dieser Texte stehen bislang in der Forschung kulturgeschichtliche, konfessionelle und politische Aspekte im Vordergrund. Eine systematische Sichtung der Literatur im Hinblick auf die Frage, wie darin britische Kunst- und Bauwerke beschrieben und beurteilt werden, ist noch ein Forschungsdesiderat.

Die vielfältigen Formen der Reisenarrative korrespondieren mit unterschiedlichen Funktionen der Texte, die folglich mehr oder minder aussagekräftig für die genannte Fragestellung sind. Wie Eva Bender herausgearbeitet hat, werden die „bildenden Elemente“ einer Prinzenreise nur beiläufig erwähnt, während der Schwerpunkt auf der Dokumentation zeremonieller Abläufe liegt, die den Status der jeweiligen deutschen Dynastie belegen.Footnote 23 Beispielsweise heißt es im höfischen Tagebuch über die Englandreise des späteren sächsischen Kurfürsten Johann Georg IV. unter dem Datum 17.6.1686 recht lapidar: „Nachmittage fuhren sie auß unterschiedliches von der stadt [London] zu besichtigen.“Footnote 24 Am 19.6. „fuhren ihre Durchlaucht nachmittags auß, besahen die gemächer in Witthall und Parlamenthauß, waren auch im Westmünster und andern orten mehr“.Footnote 25 Ähnlich geringe Aussagekraft besitzt der Bericht über die Englandreise des späteren Markgrafen Georg Wilhelm von Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth, worin nur summarisch festgehalten wird, er habe 1695/96 neben London „mehrere Häfen und Städte“ besichtigt, darunter Oxford.Footnote 26

Da touristische Reiseführer damals wie heute vor allem aus kommerziellen Gründen produziert wurden, besteht in diesem Sektor eine große qualitative Bandbreite. Um rasch neue Angebote auf den Markt werfen zu können, schrieben die Autoren munter voneinander ab und verwiesen teilweise auch ganz unverblümt auf die Erzeugnisse der Konkurrenz.Footnote 27 Andere Reisenarrative kamen hingegen erst mit erheblicher Verspätung auf den Buchmarkt, sodass die darin enthaltenen Informationen nicht den status quo zur Zeit der Veröffentlichung, sondern eine historische Situation abbilden.Footnote 28

Die aus kunsthistorischer Sicht ergiebigsten Schilderungen stammen vom Anfang und Ende des Untersuchungszeitraums: die Wunderliche Begebnüssen des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg, in denen Ferdinand Albrecht I. seinen Englandaufenthalt in den Jahren 1664 und 1665 verarbeitete, und Zacharias Conrad Uffenbachs Merkwürdige Reisen, die über das kulturelle Leben in London, Oxford und Cambridge im Jahr 1710 Auskunft geben.Footnote 29 Im Vergleich dieser beiden Texte wird deutlich, wie rasant die urbanistische Erneuerung in „Restoration London“ speziell nach dem großen Stadtbrand von 1666 voranschritt.Footnote 30

Uffenbach hatte 1710 Gelegenheit, die Kuppel der 1666 weitestgehend zerstörten und bis 1710 wiederhergestellten St. Paul’s Cathedral zu besteigen.Footnote 31 Er hinterließ seinen Namen als Graffito, kritisierte die Glocken, die im Vergleich zu denen Erfurts deutlich zu klein seien, äußerte sich aber ansonsten voll des Lobes – wenngleich mit einem geradezu modern anmutenden Lamento über Schäden durch Umweltverschmutzung:

Überhaupt von dieser Kirche zu sagen, so ist sie wegen ihrer Grösse, Zierlichkeit und Stärke eines der schönsten Gebäude der Welt. [...] Man möchte aber, wo nicht dabey weinen, dannoch beklagen, daß sie allhier stehe, da sie von Stein=Kohlen bereits so schwarz und rauchig aussiehet, daß sie die Helfte ihrer Zierde verlohren.Footnote 32

Selbstverständlich waren auch Reisende in umgekehrter Richtung unterwegs. Im Rahmen ihrer Grand Tour durchquerten Scharen britischer Adliger auf dem Weg nach Italien das Alte Reich, wovon zahlreiche Reisenarrative Zeugnis ablegen.Footnote 33 Eine geradezu satirische Sicht auf die deutsche Kultur verdanken wir Monsieur de Blainville, der ab 1705 die Söhne des früheren englischen Secretary of War William Blathwayt vier Jahre lang auf ihrer Kavalierstour begleitete.Footnote 34 Seine 1764 auch in deutscher Übersetzung erschienenen Aufzeichnungen wurden posthum erstmals 1743/45 veröffentlichtFootnote 35 ‒ wohl nicht zufällig zu einer Zeit, in der England militärisch im Alten Reich aktiv war (Schlacht von Dettingen 1743).Footnote 36 Blainville bezeichnete Kaiser Leopold als „einen kleinen Affen“Footnote 37 und mokierte sich z. B. auch über die „aufgeblasenen“ Nürnberger Patrizier:

Ihre Halskrägen haben einen so weiten Umkreis, daß ihrer zween nicht neben einander sitzen können. Wir begiengen oft den kleinen Muthwillen, daß wir sie, wenn sie uns begegneten, grüßeten, um nur das Vergnügen zu haben zu sehen, wie sie ihre Krägen an einander stießen, wenn sie unsere Höflichkeit erwiederten.Footnote 38

Für die an vielen Orten besichtigten katholischen Reliquien hatte Blainville nur Spott übrig. Seine Beschreibungen von Kunst- und Bauwerken des Alten Reichs stellen jedoch eine wichtige Quelle dar, da sie detaillierte Bestandsaufnahmen mit oft kritischen, aber durchaus differenzierten Bewertungen verbinden.Footnote 39

2 Kunstaufträge mit Bezug zum Hosenbandorden

Im Zeitraum 1660‒1727 erhielten insgesamt elf deutsche Adlige den vornehmsten englischen Ritterorden, den Order of the Garter (Hosenbandorden). Während der Regierungszeit Karls II. (d.h. bis 1685) war der Prozentsatz der Deutschen sehr gering: Neben dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg II., dessen Ernennung am 19.6.1668 erfolgte, wurde nur Karl II. von der Pfalz am 22.1.1681 in den Orden aufgenommen (6 % aller 31 Ernennungen der Epoche 1660‒1685).Footnote 40 Jakob II., der von 1685 bis 1688 regierte, zeichnete überhaupt keine Deutschen mit dieser Ehrung aus.Footnote 41 Unter Wilhelm III. und Königin Anne häuften sich jedoch Ernennungen von Deutschen, was einerseits mit der Suche nach Bündnispartnern im Krieg gegen Frankreich, andererseits mit der sich abzeichnenden Hannoveraner Thronfolge zusammenhing.Footnote 42 Nun fanden folgende Personen ihren Weg in den Orden (in Klammern jeweils das Datum der Ernennung): Friedrich Hermann von Schönberg/ Schomberg (3.4.1689), der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. (1.1.1690), Georg Wilhelm Herzog von Braunschweig-Lüneburg (30.12.1690), Johann Georg IV. Kurfürst von Sachsen (2.2.1692), Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg, Kurfürst von Hannover (18.6.1701), Meinhard von Schönberg/ Schomberg (12.8.1703) und Kurprinz Georg August von Braunschweig-Lüneburg, der spätere König Georg II. (4.4.1706).Footnote 43 Dies entspricht 25 % von insgesamt 28 Ernennungen im Zeitraum 1689‒1714. Georg I. nahm allerdings nur noch zwei Deutsche in den Orden auf, seinen Bruder Ernst August und seinen Enkel Friedrich Ludwig von Braunschweig-Lüneburg (beide am 3.7.1717), was 9,5 % seiner Ernennungen entspricht.Footnote 44

Die Mitgliedschaft im Hosenbandorden zog verschiedene Arten von Kunstaufträgen nach sich. Die Ernennung wurde zunächst durch eine prächtig illuminierte Urkunde kommuniziert.Footnote 45 Abgesandte des Ordens reisten an den jeweiligen Hof, um den Orden, den Ordenshabit und weitere Insignien zu überbringen und die Investitur zu vollziehen.Footnote 46 Elias Ashmole, der 1672 eine monumentale Geschichte des Order of the Garter vorlegte, hat die hiermit verbundenen Zeremonien am Beispiel der Investitur Johann Georgs II. von Sachsen im April 1669 ausführlich geschildert.Footnote 47 Mit einigem zeitlichen Abstand folgte eine Aufnahmezeremonie in Windsor Castle, die ebenfalls Anlass zu Festlichkeiten an dem jeweiligen deutschen Hof geben konnte.Footnote 48

Der mit dem Orden ausgezeichnete Herrscher musste imposante Feiern ausrichten, um sowohl seinen englischen Gästen als auch dem eigenen Hofstaat seinen Status zu demonstrieren. So konnten anlässlich der Ordensverleihung Festarchitekturen, Theateraufführungen, Feuerwerke, Turniere, Konzerte, Medaillen und illustrierte Festpublikationen in Auftrag gegeben werden.Footnote 49 Je mehr Zeit zwischen der Ernennung und der Investitur verstrich, desto aufwendiger konnten die Vorbereitungen ausfallen. Das Beispiel Dresden zeigt, dass im Vorfeld der Investitur sogar umfangreiche Baumaßnahmen an der Residenz vorgenommen wurden. Nachdem Johann Georg IV. von Sachsen am 2.2.1692 in den Hosenbandorden aufgenommen worden war, ließ er für den Empfang der Ordensrepräsentanten das triumphbogenartige Grüne Tor und ein Prunktreppenhaus errichten, das infolge seiner ersten Nutzung bei der Investitur am 26.1.1693 fortan den Namen „Englische Treppe“ führte.Footnote 50

Weiterhin entstanden in diesem Zusammenhang kostbare Goldschmiedearbeiten: teils als Geschenke für die englischen Abgesandten,Footnote 51 teils als Erinnerungsstücke für den jeweiligen Hof. Johann Georg IV. von Sachsen ließ beispielsweise seinen Hofjuwelier Johann Melchior Dinglinger ein „Kleinod zum Hosenbandorden“ anfertigen, um dessen Verleihung zu kommemorieren.Footnote 52 Bildliche Darstellungen der Zeremonie sowie Porträts des jeweiligen Fürsten mit Hosenbandorden bzw. im Ordenshabit erfüllten dieselbe Memorialfunktion.Footnote 53

Die Mitgliedschaft im Order of the Garter erzeugte ein exklusives Band zwischen den deutschen Fürsten, die die Ehre hatten, jener illustren Institution anzugehören.Footnote 54 Dies konnte durch Kunstgeschenke unterstrichen werden. Der „Große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der bereits am 23.1.1654 in den Hosenbandorden aufgenommen worden war,Footnote 55 schenkte beispielsweise seinem sächsischen Kollegen Johann Georg II. eine Eisenstatuette, deren Bezug zum Hosenbandorden unverkennbar ist (Abb. 14.1).Footnote 56

Abb. 14.1
figure 1

(Aus Menzhausen [1963], S. 29)

Gottfried Leygebe, Karl II. von England triumphiert über das Laster, ca. 1660‒1667. Dresden, Grünes Gewölbe.

Wie die Sockelinschrift unmissverständlich belegt, präsentiert die Figur König Karl II. von England als Sieger über allerhand Laster, letztere personifiziert in Gestalt eines vielköpfigen Drachens.Footnote 57 Das von dem Nürnberger Gottfried Leygebe geschaffene Werk zeigt also den englischen König in der Rolle des heiligen Georg, der der Namenspatron des Hosenbandordens ist.Footnote 58 Pikanterweise scheidet der Drache den Kopf Oliver Cromwells als Exkrement ausFootnote 59 – ein derber Scherz, der den Empfänger nicht nur amüsiert haben dürfte, sondern ihn auch von Seiten des Schenkenden an die gemeinsame Verpflichtung zum Kampf gegen die Gegner des englischen Monarchen erinnern sollte.

Karl Müssel hat die These vertreten, dass einige zentrale Kunstaufträge der Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth ebenfalls auf den Hosenbandorden Bezug nehmen.Footnote 60 Dies besitzt durchaus eine generelle Plausibilität, gehörten die Markgrafen doch dem fränkischen Zweig jener Hohenzollern an, die als Kurfürsten von Brandenburg tatsächlich einen Platz im Hosenbandorden beanspruchen konnten. Bei genauerer Betrachtung von Müssels Argumenten erscheint seine These jedoch weniger einleuchtend.

Zunächst einmal ist nicht bekannt, ob Markgraf Georg Wilhelm 1695/96 auf seiner Kavalierstour tatsächlich Windsor als Sitz des Hosenbandordens besuchte.Footnote 61 Die 1705 erfolgte Gründung eines eigenen Bayreuther Ritterordens, für den 1705‒1711 eine neue Ordenskirche errichtet wurde, könnte durchaus vom Vorbild des Hosenbandordens inspiriert gewesen sein.Footnote 62 Allerdings hatte bereits Georg Wilhelms Vater, Markgraf Christian Ernst, eine ähnliche Vereinigung (den Ordre de la Concorde) ins Leben gerufen, ohne jemals in England gewesen zu sein.Footnote 63 Zudem trug auch Georg Wilhelms Gründung einen französischen Titel (Ordre de la Sincerité), was die Anlehnung an ein englisches Modell eher unwahrscheinlich macht. In der Ordenskirche fehlt jeglicher bildliche Hinweis auf den heiligen Georg;Footnote 64 nur ihre Lage in der 1701 begonnenen Neustadt Sankt Georgen am See stellt einen möglichen Bezug zum Georgskult des Hosenbandordens her, wenngleich diese Namenswahl auch einfach als Anspielung auf den Vornamen des Markgrafen erfolgt sein könnte.Footnote 65 Der Umstand, dass der Festtag des heiligen Georg Kirchweihtag der Stadt und gleichzeitig der höchste Feiertag des neuen Ordens war,Footnote 66 muss also nicht zwangsläufig auf den Hosenbandorden verweisen.

Der Markgrafenbrunnen, der zwischen 1699 und 1705 im Hof des Bayreuther Schlosses errichtet wurde, orientiert sich nach Ansicht Müssels gleichfalls an der Georgs-Ikonographie des Hosenbandordens.Footnote 67 Die von Elias Räntz angefertigte Brunnenbekrönung spielt auf Markgraf Christian Ernsts Mitwirkung an dem epochalen Sieg über die Türken bei Wien im Jahr 1683 an.Footnote 68 Das steinerne Monument zeigt den Markgrafen hoch zu Ross über einem zusammengekauerten Orientalen. Wie Müssel darlegt, konnte der Drache der Georgslegende durch einen Türken gewissermaßen substituiert werden.Footnote 69 Der formale Bezug der Skulptur zu Gottfried Leygebes Statuette (Abb. 14.1), die Müssel als mögliches Vorbild ins Spiel bringt,Footnote 70 ist jedoch wenig überzeugend, zumal sich nicht nachweisen lässt, dass Räntz die im Dresdner Grünen Gewölbe verwahrte Gruppe überhaupt gekannt haben kann. Letztlich bleiben die Bezüge der Bayreuther Kunstpatronage zum Order of the Garter also etwas spekulativ.

Es bietet sich an, die Auftraggeberschaft jener deutschen Fürsten, die den Hosenbandorden (im Unterschied zu den Bayreuther Markgrafen) tatsächlich verliehen bekamen, einmal in vergleichender Perspektive zu betrachten. Inwiefern nahmen die Feiern und Kunstwerke, die sie anlässlich der Investitur in Auftrag gaben, aufeinander Bezug? Sollte dies die bestehende Allianz zwischen bestimmten deutschen Höfen stärken, zu neuen Kooperationen einladen oder eher konkurrierende Höfe überbieten? Und inwiefern wurden dabei auch aktuelle Trends der britischen Kunst rezipiert?

3 Künstlermobilität

Im 17. Jahrhundert waren vorwiegend ausländische Künstler am englischen Hof tätig. Diese Tendenz ist bereits in der ersten Jahrhunderthälfte zu konstatieren (Rubens, van Dyck, Gentileschi, Honthorst, van Poelenburgh) und setzte sich im Untersuchungszeitraum mit Gascars, Gennari, Laguerre und Verrio fort. Deutschstämmige Künstler reüssierten vor allem als Porträtmaler. Hier ist in erster Linie Gottfried Kniller aus Lübeck zu nennen, in England bekannt als Sir Godfrey Kneller (1646‒1723).Footnote 71 Ebenso wie der aus Soest in Westfalen gebürtige Peter Lely (1618‒1680) absolvierte Kneller seine Ausbildung in den Niederlanden.Footnote 72 Während Lely als Sohn holländischer Eltern jedoch keine intensive Beziehung zum deutschen Kulturraum besaß und nur seine allerersten Lebensjahre in Soest verbrachte, bediente Kneller zunächst eine primär deutsche Klientel.Footnote 73 Möglicherweise auf Anregung des Hamburger Kaufmanns John Banckes siedelte er 1676 nach London über und begann Lely den Rang abzulaufen, der 1661 zum „Principal Painter“ Karls II. ernannt worden war.Footnote 74 1679 hatte Kneller erstmals die Möglichkeit, Karl II. zu porträtieren; 1684 entsandte der König ihn nach Frankreich, um ein Bildnis Ludwigs XIV. zu malen.Footnote 75 Während der Regierungszeit von Wilhelm III. und Maria II. erreichte Kneller den Zenit seiner Karriere: Er erhielt nicht nur den Rang des „Principal Painter“ (1689) und die Ritterwürde (1692), sondern auch das höfische Ehrenamt eines „gentleman of the privy chamber“ sowie einen Ehrendoktor der Universität Oxford (1695), und im Jahr 1700 erteilte ihm Kaiser Leopold einen weiteren Ritterschlag.Footnote 76 Im Hinblick auf seine Kontakte zum Alten Reich ist es ferner bemerkenswert, dass Kneller 1697 von Wilhelm III. den Auftrag bekam, ein Reiterbildnis des bayrischen Kurfürsten Maximilian II. Emanuel anzufertigen.Footnote 77

Knellers größter Konkurrent war John Closterman (1660‒1711), dem es gelang, dem etwas älteren Kollegen den einen oder anderen prestigereichen Auftrag abzujagen.Footnote 78 Closterman hatte sein Handwerk in der väterlichen Werkstatt in Osnabrück gelernt und sich dann in Paris weitergebildet, bevor er Ende 1680 in London eintraf – zweifellos angelockt von der Aussicht, die Marktlücke schließen zu können, die sich nach dem Tod Peter Lelys (1680) aufgetan hatte.Footnote 79 Zwecks Erfüllung seiner sich schon rasch mehrenden Aufträge zog Closterman auch seinen weniger talentierten Bruder Johann Baptist (ca. 1656‒1713) heran und demonstrierte seinen wirtschaftlichen Erfolg, indem er ca. 1692 ein Haus in Covent Garden in unmittelbarer Nachbarschaft Sir Godfrey Knellers bezog.Footnote 80

Durch Clostermans frühen Tod hatte Kneller beim Regierungsantritt Georgs I. im Jahr 1714 keinen deutschen Rivalen mehr. Der König ernannte seinen Landsmann zu seinem „Principal Painter“ und erhob ihn 1715 in den Adelsrang (als „baronet“). Wie bereits unter Wilhelm III. und Königin Anne war Kneller fortan für die großformatigen Staatsporträts des Monarchen zuständig.Footnote 81 Daneben etablierte sich jedoch ein „newcomer“, der 1704 oder 1706 eingewanderte Christian Friedrich Zincke (ca. 1684‒1767).Footnote 82 Zincke entstammte einer Dresdner Familie von Goldschmieden und spezialisierte sich auf Miniaturporträts in Emaille, auf die er quasi das Monopol besaß. Seine Werke fanden großen Anklang, auch bei zahlreichen Mitgliedern der Königsfamilie.Footnote 83 Ein weiterer Porträtspezialist, der aus dem Alten Reich nach England wechselte, war Dietrich Ernst Andreae (ca. 1695‒1734). Nachdem er zwischen 1716 und 1720 für den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel tätig gewesen war und eine Studienreise in die Niederlande unternommen hatte, traf er ungefähr 1723 in London ein und hielt sich dort bis mindestens Sommer 1726 auf.Footnote 84 Zu seinen Werken zählen u. a. die Porträts der königlichen Familie in der Painted Hall des Royal Naval College in Greenwich.Footnote 85

Vielleicht der berühmteste deutsche Künstler, der sich dauerhaft in England niederließ, war Georg Friedrich Händel. Von 1710 bis zu seinem Tod im Jahr 1759 ist er ‒ von wenigen kurzen Unterbrechungen abgesehen ‒ in London nachweisbar.Footnote 86 Als Komponist fällt „George Frideric Handel“ zwar aus der Reihe der bisher betrachteten Maler heraus, doch inspirierte er durchaus auch bildkünstlerische Werke: Für seine Londoner Opernproduktionen wurden ab 1711 spektakuläre Bühnenbilder entworfen,Footnote 87 1738 setzte ihm Roubiliac in Vauxhall Gardens ein Denkmal,Footnote 88 und 1762 wurde das Händel-Monument in Westminster Abbey enthüllt, das seinen Rang als “national hero” dokumentiert.Footnote 89

Natürlich gab es auch deutschsprachige Künstler und Architekten, die nur kurzzeitig zu Studienzwecken auf die Insel reisten. So unternahm der Nürnberger Medailleur Georg Wilhelm Vestner 1697 eine ausgedehnte Studienreise nach England.Footnote 90 Bereits ca. 1683 setzte der in Braunschweigischen Diensten stehende Militärarchitekt Johann Caspar Völcker nach London über, um sich auf Geheiß seines Dienstherrn „wegen ein und andrer Curiosa [...] zu erkundigen“.Footnote 91 Hierüber ist leider ebenso wenig bekannt wie über den Englandaufenthalt Johann Bernhard Fischers. Aurenhammer vermutet, dass Fischer von Erlach 1704 in London Christopher Wren kennenlernte und durch ihn zur Abfassung seines Entwurff Einer Historischen Architectur angeregt wurde.Footnote 92 Ebenfalls 1704 begab sich Johann Leonhard Hirschmann nach London, um sich bei Godfrey Kneller weiterzubilden, wurde später aber als Maler vor allem in Regensburg und Nürnberg tätig.Footnote 93 1707 und vielleicht bereits 1684/85 soll sich der Dresdner „Cammer-Dessineur“ Johann Christoph Naumann in England aufgehalten haben.Footnote 94 1707 erhielt er den Auftrag, nach Holland, England und Italien zu reisen, um dort alle „curieux und remarquable Architectura civili et militari zu sehen und mit Fleiß zu erkundigen. Auch davon derer Desseins und Risse suchen habhaft zu werden [...].“Footnote 95

Reisen britischer Künstler und Architekten ins Alte Reich scheinen eher selten gewesen zu sein. Charles Jervas, ein Schüler Knellers, bereiste den Kontinent zwischen 1698 und 1709, konzentrierte sich aber auf Paris und Rom.Footnote 96 Der Maler Thomas Edwards, der sich von ca. 1701 bis 1720 in Rom aufhielt, könnte auf der Durchreise durch das Alte Reich gekommen sein, doch war dies nicht das Hauptziel seines Interesses.Footnote 97 Bezeichnenderweise besuchte James Thornhill nur Frankreich und Flandern, nicht aber das Alte Reich.Footnote 98

Der einflussreichste Architekt der Epoche, Sir Christopher Wren, hatte 1649 möglicherweise einige Monate in Heidelberg verbracht, doch fehlen dafür eindeutige dokumentarische Belege.Footnote 99 James Gibbs und Thomas Archer durchquerten das Alte Reich auf ihrem Weg nach Italien; Gibbs fand dabei insbesondere die Paläste in Bonn, Mannheim, München und Schönbrunn erwähnenswert.Footnote 100 John Vanbrugh, der Wren Anfang des 18. Jahrhunderts den Rang abzulaufen begann, wurde 1706 nach Hannover entsandt. In seiner Eigenschaft als „Clarenceux King of Arms“ überbrachte der Architekt den Hosenbandorden an Georg August von Braunschweig-Lüneburg,Footnote 101 wird diesen Anlass aber auch dazu genutzt haben, deutsche Bauwerke zu studieren.Footnote 102 Die Frage, ob die zwischen den Höfen reisenden Künstler bzw. Architekten auch geheime diplomatische Aufgaben erfüllten (wie dies etwa für Rubensʼ Englandreise bekannt ist), wäre auf dokumentarischer Grundlage näher zu untersuchen.Footnote 103

Während die Spuren, die die Künstlerreisen im Œuvre der jeweiligen Maler und Architekten hinterließen, noch im Einzelnen nachvollzogen werden müssten, gilt es bei den dauerhaft in England ansässigen Malern aus dem Alten Reich zu fragen, inwiefern sie sich auf bereits etablierte britische Traditionen einstellten, welche neuen Impulse sie einbrachten und welche Vermarktungsstrategien sie verfolgten. Im Fall Godfrey Knellers ist es z. B. evident, dass er (wie bereits Peter Lely) stilistisch an die Porträts van Dycks anknüpfte und somit den von dem früheren englischen Hofmaler geprägten Geschmack der britischen Auftraggeberschaft bediente.Footnote 104 Im Verlauf seiner Karriere entwickelte er jedoch einen auf die Antike rekurrierenden „neuen Darstellungsmodus“, der wiederum im Alten Reich als vorbildlich empfunden wurde.Footnote 105 Künstlersozialgeschichtlich relevant wäre außerdem eine Untersuchung der Frage, inwiefern die Deutschen in England Netzwerke bildeten und sich eventuell auch gegenseitig bei der beruflichen Etablierung bzw. Akquise von Aufträgen unterstützten. Britische Künstler, die sich langfristig im Alten Reich niederließen, sind mir bislang nicht bekanntgeworden, doch bliebe noch zu überprüfen, inwiefern die Personalunion ab 1714 Künstlermobilität auch in dieser Richtung förderte.

4 Transfer von Objekten

Vor der Erfindung von Film, Fernsehen, Video und Internet war der Austausch von Informationen an den Transfer von Objekten gebunden. Deutsche Leser erlangten Kenntnis von englischer Politik und Kultur durch Flugschriften und Bücher, die teilweise importiert, teilweise aber auch für den deutschen Markt adaptiert wurden.Footnote 106 Visuelle Informationen konnten insbesondere durch Druckgraphiken über Länder- und Sprachgrenzen hinweg verbreitet werden.Footnote 107 Beispielsweise verzeichnet das Virtuelle Kupferstichkabinett zahlreiche Darstellungen britischer Monarchen in deutschen Sammlungen, während umgekehrt im British Museum Stiche der deutschen Herrscher jener Zeit zu finden sind. Schon eine oberflächliche Sichtung des Materials zeigt, dass deutsche Stecher britische Vorlagen kopierten und vice versa.Footnote 108

Aufwendig illustrierte Beschreibungen höfischer Feste waren Buchobjekte, die sich nicht nur an das heimische, sondern immer auch an ein ausländisches Publikum wandten. Befreundeten und konkurrierenden Höfen im In- und Ausland sollte der durch Prachtentfaltung demonstrierte eigene Status möglichst eindringlich vor Augen geführt werden. Zahlreiche deutschsprachige Publikationen dieser Art haben sich in der British Library erhalten. Umgekehrt lässt sich nachweisen, dass John Ogilbys opulente Festpublikation aus Anlass der Krönung Karls II. von England sogar mehr als fünfzig Jahre später noch in Nürnberg greifbar gewesen sein muss, als Joachim Negelein dort die einflussreichste und bis heute bekannteste Medaille zur Thronbesteigung Georgs I. konzipierte (Abb. 14.2).Footnote 109

Abb. 14.2
figure 2

(Aus Wolf [2005], S. 91)

Georg Wilhelm Vestner nach Entwurf von Joachim Negelein, Medaille zur Thronbesteigung Georgs I., 1714.

Die 1714 von Georg Wilhelm Vestner gestaltete Medaille zeigt, wie das für das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg bzw. Hannover stehende Ross zum Sprung über den Ärmelkanal ansetzt. Bislang wurde noch nicht bemerkt, dass das zugehörige Motto („unus non sufficit orbis“ bzw. „Eine Welt allein ist nicht genug“) bereits 1661 an einem Triumphbogen des „Coronation Entry“ für Karl II. erschien. Der Naval Arch war bekrönt von dem Schriftzug „unus non sufficit“, eingefasst von zwei Armillarsphären, woraus klassisch gebildete Betrachter folgern konnten, dass eine Welt (versinnbildlicht durch die Armillarsphäre) für den englischen König ‒ ebenso wie einst für Alexander den Großen ‒ nicht genug sei (Abb. 14.3). Das Motto fasste gewissermaßen die Botschaft des Triumphbogens zusammen, der die britische Herrschaft über die Meere, Englands Kolonien in Übersee und den prosperierenden Fernhandel thematisierte.Footnote 110

Abb. 14.3
figure 3

(© The Trustees of the British Museum)

David Loggan (?) nach Entwurf von John Webb (?), Zweiter Triumphbogen für die Krönungsprozession Karls II. von England, sogenannter Naval Arch, 1661. Stich aus Ogilby 1662.

John Ogilbys 1662 veröffentlichte, prächtig illustrierte Festbeschreibung sollte diese Botschaft auch außerhalb Großbritanniens bekannt machen.Footnote 111 Der Theologe, Latinist und Numismatiker Joachim Negelein dürfte Ogilbys Werk bei seiner Englandreise im Jahr 1700 erworben und dann für den Entwurf der Medaille konsultiert haben.Footnote 112 Indem er einen Bezug zwischen dem historischen „Neuanfang“ von 1661 bzw. 1714 herstellte, präsentierte Negelein Georg I. gewissermaßen als würdigen Nachfolger Karls II. ‒ ein durchaus geschickter Schachzug angesichts des jakobitischen Widerstands gegen die Thronfolge des Hannoveraners.Footnote 113 Da Medaillen leicht zu transportieren bzw. zu verschicken waren und gleichzeitig durch ihr Material eine hohe Wertigkeit und Dauerhaftigkeit besaßen, galten sie als besonders geeignet für die Verbreitung politischer Botschaften. Bezeichnenderweise entstand die 1714 in Nürnberg geprägte Medaille nicht im königlichen Auftrag, sondern auf Initiative des Münzverlegers Johann Caspar Lauffer, der offenbar sowohl im Alten Reich als auch in England gute Absatzchancen sah.Footnote 114

Wie nicht nur das Beispiel Negeleins belegt, boten Kavaliersreisen einen willkommenen Anlass, besondere Objekte im Ausland einzukaufen und stolz in die Heimat mitzubringen. 1710 kehrten die Gebrüder Uffenbach mit zahlreichen Neuerwerbungen aus London zurück ‒ darunter Bücher, „eine goldene Sack=Uhr“, „Risse und Kupferstiche“, zwei antike Münzen von „Camusium & Alectum [...], weil beyde sich in Engelland zu Kaysern aufgeworfen“, „verschiedene Portraits“, „trockene Farben“ und „Bleystifte [...], die man nirgends besser als in Engelland bekommt“.Footnote 115 Ferdinand Albrecht I. von Braunschweig-Lüneburg kaufte 1664/65 auf seiner Englandreise immerhin 71 Bücher und mehrere Gemälde, u. a. eine große London-Vedute sowie Bildnisse von Karl II. und seiner Geliebten, Gräfin Castlemaine.Footnote 116 Außerdem bestellte er sein Porträt: „des Verfassers Abbildung mit einer solchen Kleidung/ wie die Parlaments Herren in Engeland im Parlament sitzen/ zu Londen anno 1662 [sic] abgemahlet von einer berühmten Malerin“.Footnote 117 Ebenso dürfte auch Wilhelm von Sachsen-Eisenach sein Bildnis als Reisesouvenir in Auftrag gegeben haben, da es die Aufschrift „G. Kneller [...] fecit 1689/ London“ trägt.Footnote 118 Die Frage nach Transfers in umgekehrter Richtung (d. h. wann und wie Werke nicht in England ansässiger deutscher Künstler nach Großbritannien gelangten) wäre für den Untersuchungszeitraum noch näher zu erforschen. Jedenfalls scheinen Graphiken der Dürer-Zeit schon damals in England hoch im Kurs gestanden zu haben.Footnote 119

Nicht nur durch Käufe, sondern auch durch Geschenke konnte der Transfer von Kunstobjekten erfolgen. Vor allem kostbare Goldschmiedearbeiten waren als Geschenke zur Festigung politischer Beziehungen beliebt. Noch zur Zeit des Commonwealth erwarb der englische Gesandte Richard Bradshaw 1657 in Hamburg einen spektakulären Tafelaufsatz (Abb. 14.4), der dem russischen Zaren als Geschenk überbracht werden sollte. Nachdem diese diplomatische Mission gescheitert war, kaufte die Stadt Exeter das Werk des Hamburger Goldschmieds Johann Hass und schenkte es Karl II. anlässlich seiner Exilrückkehr im Jahr 1660 „with the tender of their loyaltie“ ‒ d. h. als Versöhnungsgeste, da die Stadt während des Commonwealth die Gegner des Königs unterstützt hatte.Footnote 120

Abb. 14.4
figure 4

(Aus Bird und Clayton [2017], S. 83)

Johann Hass, Tafelaufsatz zur Aufbewahrung von Gewürzen, sogenanntes Salt of State, ca. 1630. London, Royal Collection, RCIN 31772.

Politische Allianzen wurden oft durch kostbare Gaben bekräftigt. So beschenkte Wilhelm III. im Jahr 1694 seinen Großcousin Friedrich III. von Brandenburg mit zwei kunstvoll gearbeiteten silbernen „cisterns“, da dieser ihm geholfen hatte, in der „Glorious Revolution“ den englischen Thron zu erringen (was der Kurfürst gleich in mehreren Medaillen verewigte).Footnote 121 Wie bereits am Beispiel von Abb. 14.2 und 14.3 erläutert, wurde der Objekttransfer auch in diesem Fall Auslöser einer kreativen Neugestaltung: Die silbernen „cisterns“ (Spülwannen) bildeten den Grundstock für das Berliner Silberbuffet, das Friedrich III. in Augsburg bestellte und 1703 im Berliner Schloss in einem dekorativen Aufbau gegenüber von seinem Thron installieren ließ.Footnote 122 Das überaus prächtige Silbergeschirr betonte die Allianz zwischen beiden Dynastien, da sich in seiner Dekoration der Löwe (als holländisches und englisches Wappentier Wilhelms III.) mit dem brandenburgischen Adler verband.Footnote 123

Weniger teure und daher besonders gebräuchliche diplomatische Geschenke waren Herrscherporträts. Godfrey Knellers Werkstatt spezialisierte sich darauf, für £ 50 pro Stück zahlreiche Kopien der ganzfigurigen Staatsporträts von Wilhelm III. und Maria II. „for dispatch to foreign courts, domestic and foreign ministers, institutions, and friends“ anzufertigen.Footnote 124 Von Knellers Krönungsporträt Georgs I. (Abb. 14.5) wurden zwischen 1714 und 1719 nicht weniger als 45 Werkstattkopien hergestellt!Footnote 125 Einige davon sind auch in deutschen Sammlungen nachweisbar.Footnote 126

Abb. 14.5
figure 5

(Aus Lembke [2014], S. 57)

Godfrey Kneller (Werkstatt), Georg I. im Krönungsornat vor dem Ostchor von Westminster Abbey, nach 1714. Öl auf Leinwand, 238 × 145 cm. London, UK Government Art Collection, GAC 0/82.

Ebenso wie die bereits besprochene Medaille zu seiner Thronbesteigung (Abb. 14.2) knüpfte auch das Krönungsporträt Georgs I. an die Bildpolitik der Stuart-Dynastie an, indem es das Porträt Jakobs I. im Krönungsornat imitierte (Abb. 14.6). Die Parallelisierung beider Monarchen lag auf der Hand, denn durch Jakob I. hatte 1603 die Stuart-Dynastie das Haus Tudor abgelöst, während Georg I. (ein Nachkomme Jakobs I.) 1714 die neue Dynastie der Hannoveraner auf dem britischen Thron etablierte.

Abb. 14.6
figure 6

(Royal Collection Trust [LZ tilgen]/ © Her Majesty Queen Elizabeth II 2021)

Paul van Somer, Jakob I. im Krönungsornat vor dem Banqueting House, ca. 1620. Öl auf Leinwand, 227 × 150 cm. Windsor Castle, RCIN 404446.

Beide Porträts setzen den Herrscher jeweils vor einem Bauwerk in Szene ‒ jedoch mit signifikant unterschiedlicher Akzentuierung. Jakob I. betonte den Neubeginn, den seine Herrschaft in dynastischer Hinsicht bedeutete, indem er im Hintergrund des Gemäldes ein damals hochmodernes Gebäude abbilden ließ: das in seinem Auftrag errichtete Banqueting House, das sich dezidiert von der traditionellen englischen Baukunst absetzte.Footnote 127 Georg I. inszenierte hingegen nicht den Bruch mit der Vergangenheit, sondern betonte die dynastische Kontinuität und seine Achtung vor der englischen Kultur, indem er sich vor Westminster Abbey porträtieren ließ (Abb. 14.5).

Die deutschsprachige Reiseliteratur des Untersuchungszeitraums behandelt Westminster Abbey stets besonders ausführlich und verweist auf die vielen königlichen Grabmäler, die es dort zu besichtigen gab bzw. gibt.Footnote 128 Wegen ihrer hohen Bedeutung für die englische Monarchie wurde die Abteikirche ab 1698 unter Leitung Christopher Wrens restauriert.Footnote 129 Wie ein Dokument von 1713 belegt, versuchte Wren zudem, die noch unvollendete Westfassade im gotischen Stil fertigzustellen ‒ eine Aufgabe, die schließlich erst durch Nicholas Hawksmoor 1734‒1745 vollendet wurde. Der Umstand, dass Kneller nur den gotischen Ostchor von Westminster Abbey in sein Gemälde integrierte, hatte also durchaus bauliche Gründe – aber auch eine symbolische Dimension, denn in diesem Chor liegt Jakob I. begraben.Footnote 130 Da Georg I. ein Nachkomme von Elizabeth Stuart, einer Tochter Jakobs I., war, verwies die Architektur im Hintergrund seines Krönungsporträts auf die Legitimität seines Herrschaftsanspruchs und suggerierte, dass er mit nicht weniger Recht als sein Gegner James Francis Edward Stuart das Erbe der Stuarts beanspruchen konnte. Möglicherweise trug die starke Verbreitung dieses Gemäldes durch Kopien dazu bei, ein neues Interesse an der Gotik zu wecken und das in jenen Jahren beginnende „Gothic Revival“ populär zu machen.Footnote 131

5 Deutsch-englische Kontakte in der ortsgebundenen Monumentalmalerei

Schon vor der Thronbesteigung Georgs I. wurden die englisch-deutschen Beziehungen in der höchsten Gattung der Malerei, dem monumentalen Historienbild, thematisiert. Aus Platzgründen konzentriere ich mich im Folgenden auf ortsfeste Monumentalmalerei.

Zunächst sei die Berliner Bildproduktion betrachtet. Wie bereits erwähnt, hatte Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg seinen Cousin Wilhelm von Oranien dabei unterstützt, König von England zu werden. 1701 krönte sich der Kurfürst als Friedrich I. zum König in Preußen. Er verfolgte jedoch noch weitergehende dynastische Ambitionen: Da Wilhelm von Oranien (als englischer König Wilhelm III.) kinderlos geblieben war, spekulierte Friedrich auf dessen oranisches Erbe.Footnote 132 In mehreren Monumentalgemälden ließ er deswegen seine enge Verbindung zu Wilhelm verherrlichen. Noch zu Lebzeiten des Cousins entstand im Berliner Schloss der im Jahr 1700 fertiggestellte „Oranische Saal“, dessen Decke mit einem Reiterbildnis Wilhelms III. geschmückt war.Footnote 133 Nach Wilhelms Tod im Jahr 1702 hob ein Deckenbild in Schloss Oranienburg bei Berlin den Anspruch Friedrichs I. auf das Erbe hervor, indem die dynastische Beziehung allegorisch dargestellt wurde.Footnote 134 Etwa 1713 entwarf Samuel Theodor Gericke ein weiteres Deckengemälde für das Berliner Stadtschloss, das diesen ‒ damals immer noch stark umstrittenen ‒ Erbanspruch erneut bekräftigte.Footnote 135

Während desselben Zeitraums hielt der Spanische Erbfolgekrieg Europa in Atem (1701‒1714).Footnote 136 Von englischer Seite aus betrachtet, ging es dabei darum, die europäische Vormachtstellung Ludwigs XIV. zu brechen. Mit diesem Ziel schlossen 1701 der Kaiser, England, die Niederlande und Preußen ein Bündnis, die Haager Große Allianz. Ein entscheidender Sieg über die Franzosen gelang am 13.8.1704 bei Blindheim in Bayern („Battle of Blenheim“). Königin Anne war von diesem Sieg so begeistert, dass sie dem britischen Oberbefehlshaber John Churchill, Herzog von Marlborough, zum Lohn die Finanzierung eines Landsitzes in der Nähe von Oxford zusagte. So begann die Geschichte von Blenheim Palace, dessen Grundstein 1705 gelegt wurde.Footnote 137

Churchills Sieg in Bayern (im Bündnis mit der Kaiserlichen Armee und der Reichsarmee) wurde zudem in mehreren Monumentalgemälden verewigt. James Thornhills 1716 fertiggestelltes Deckenbild in der Eingangshalle von Blenheim Palace zeigt den Herzog von Marlborough mit dem Plan der Schlacht als „A Hero Entering the Temple of Fame“.Footnote 138 Bereits ca. 1713 entstanden Louis Laguerres Wandbilder in der Eingangshalle von Marlborough House in London, die verschiedene Momente der Schlacht in erzählerischer Detailfreude schildern.Footnote 139 Unausgeführt blieb hingegen Godfrey Knellers Entwurf für ein großes allegorisches Gemälde, das die Ehrung John Churchills durch Königin Anne bzw. die Schenkung von Blenheim Palace kommemorieren sollte.Footnote 140

Nach der Thronbesteigung Georgs I. im Jahr 1714 musste es darum gehen, die Dynastie der Hannoveraner auch visuell in England zu etablieren. Georg quartierte sich in London in St James’s Palace ein und nutzte Kensington Palace und Hampton Court als seine Nebenresidenzen, während sich das Thronfolgerpaar dauerhaft in Hampton Court Palace niederließ.Footnote 141 Dieser war von Wilhelm III. und Königin Anne mit Wand- und Deckenbildern versehen worden, die deren Herrschaft verherrlichten,Footnote 142 weswegen die Hannoveraner es offenbar als notwendig erachteten, dort ebenfalls visuelle Präsenz zu zeigen. Bereits 1714/15 schuf James Thornhill im Prunkschlafzimmer des Thronfolgerpaars ein mythologisches Deckengemälde („Abduction of Cephalus“), in das er separat gerahmte Porträts der Hannoveraner Herrscherfamilie integrierte.Footnote 143 Im Prunktreppenhaus von Kensington Palace ließ der König 1725 William Kent ein Wandbild gestalten, das Mitglieder seines Hofes abbildete und ein harmonisches Zusammenspiel der multikulturellen Hofgesellschaft suggerierte.Footnote 144

Das imposanteste Wandbild der Regierungszeit Georgs I. entstand jedoch nicht in einem königlichen Palast, sondern in dem sogenannten Royal Hospital (heute Old Royal Naval College) in Greenwich. Diese Institution war 1694 als Heim für alte und invalide Seeleute gegründet worden, entwickelte sich allerdings rasch zu einem Prestigeprojekt, das die Stärke der englischen Navy und die darauf basierende Vorrangstellung Großbritanniens glorifizieren sollte.Footnote 145 Nachdem sich das Bildprogramm der repräsentativen Painted Hall zunächst auf Wilhelm III. und Königin Anne konzentriert hatte, wurde es ab 1717 durch James Thornhills Wandbilder in der Upper Hall komplettiert, die die Ankunft der Hannoveraner feiern. Das Gemälde an der Westwand, triumphaler Abschluss der gesamten Bilderfolge, präsentiert Georg I. vor St Paul’s Cathedral als einen gottgesandten Monarchen, durch den ein neues Goldenes Zeitalter anbricht (Abb. 14.7).Footnote 146 Erst 1723, etliche Jahre nach Konzeption des Bildzyklus, wurde in das Familienbildnis direkt hinter Georg seine Tochter, die preußische Königin Sophie Dorothea, eingefügt, ausgestattet mit einem Liktorenbündel als Symbol der Eintracht (Concordia).Footnote 147 Dies verwies auf den im selben Jahr geschlossenen Vertrag von Charlottenburg, ein Verteidigungsbündnis zwischen England und Preußen, und spielte auch auf den im selben Zusammenhang bekräftigten Plan einer englisch-preußischen Doppelhochzeit an.Footnote 148

Abb. 14.7
figure 7

(© The Old Royal Naval College, Greenwich / Sam Whittaker)

James Thornhill und Werkstatt, Allegorische Darstellung Georgs I. im Kreise seiner Familie. Greenwich, Royal Naval College, Wandbild an der Westwand der Upper Hall, ca. 1723‒1726.

Während die bereits erwähnten Monumentalgemälde deutsch-englische Kontakte im dynastischen bzw. politischen Bereich veranschaulichten, sollen abschließend zwei Beispiele für künstlerische Kontakte zwischen England und Altem Reich genannt werden, die nicht die Thematik, sondern die Gestaltung von Deckenbildern beeinflussten. So ist es auffällig, dass Johann Michael Rottmayrs Allegorie auf Kaiserin Elisabeth Christine an der Decke des Marmorsaals von Schloss Weißenstein in Pommersfelden (1717) auf das Deckengemälde des Queen’s Audience Chamber in Windsor Castle Bezug nimmt – ohne dass sich aber bislang klären ließ, wie Rottmayr von diesem Werk Antonio Verrios Kenntnis gehabt haben kann.Footnote 149

Ähnlich liegt der Fall bezüglich des Deckenbildes im Audienzzimmer bzw. Thronsaal Augusts des Starken, das kürzlich auf Grundlage eines erhaltenen modello (Abb. 14.8) sowie anhand alter Photographien rekonstruiert werden konnte.Footnote 150

Abb. 14.8
figure 8

(Aus Salmon [1997], S. 33)

Louis de Silvestre, Modello für das Deckengemälde im Audienzgemach Augusts des Starken, ca. 1719. Öl auf Leinwand, 85,9 × 56,8 cm. Paris, musée des Arts décoratifs, Inv. P.40.

Louis de Silvestre schuf dieses Gemälde 1719 unter erheblichem Zeitdruck, da das nach einem Brand hastig wiederaufgebaute Dresdner Stadtschloss und seine Ausstattung pünktlich zur Hochzeit des sächsisch-polnischen Thronfolgers mit der Kaisertochter Maria Josepha von Österreich fertiggestellt werden mussten.Footnote 151 Insofern lag es nahe, sich bei Werken anderer Maler zu „bedienen“. Wie bislang noch nicht bemerkt wurde, imitiert die zentrale Figurengruppe von Silvestres Werk Antonio Verrios Deckengemälde des Queen’s Drawing Room in Hampton Court Palace (Abb. 14.9).

Abb. 14.9
figure 9

(© Historic Royal Palaces. Photo: James Brittain)

Antonio Verrio, Deckenbild im Queen’s Drawing Room, Hampton Court Palace, Detail: Queen Anne as Justice, ca. 1703‒1705.

Vergleichbar ist vor allem die mittig platzierte, von weiteren Personifikationen und einem Löwen umgebene Gestalt der Justitia, die majestätisch auf Wolken sitzt, stolz mit erhobenem Haupt aus dem Bild blickt und dabei ein erhobenes Schwert sowie eine Waage präsentiert. Noch deutlicher wird die Parallele, wenn man den räumlichen Kontext einbezieht: Verrios Gemälde ist so ausgerichtet, dass Betrachter es gemeinsam mit einer Personifikation der thronenden britischen Monarchie an der darunterliegenden Westwand des Saales wahrnehmen (Abb. 14.10). In exakt derselben räumlichen Konstellation überfing Silvestres Deckenbild den Thron Augusts des Starken.Footnote 152

Abb. 14.10
figure 10

(Aus Thurley (2003), S. 214)

Antonio Verrio, Deckengemälde und Wandbild auf der Westseite des Queen’s Drawing Room, Hampton Court Palace, ca. 1703‒1705.

Auch hier stellt sich die Frage, wie Silvestre von Verrios Werk gewusst haben kann. Die Ehefrau Augusts des Starken, Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth, stand in brieflichem Kontakt mit Königin Anne, der Auftraggeberin von Verrios Gemälde, doch bezieht sich die Korrespondenz nicht auf künstlerische Themen.Footnote 153 Wenngleich Christiane Eberhardine vergebens versuchte, ihren ältesten Sohn nach England zu schicken, unternahmen immerhin mehrere Personen aus dem Umfeld des Kurfürsten Reisen auf die Insel.Footnote 154 August der Starke selbst interessierte sich zweifellos für englische Kunst, denn er bat seinen Gesandten Georg Sigismund Reichsgraf von Nostitz um die Bestellung von Damenporträts in London und beauftragte den jungen Maler Christian Schubert 1715, „unterschiedliche Bilder, welche ihm der Envoyé Extraordinair Graff von Nostitz in England anweisen wird“ zu kopieren.Footnote 155 Da Schubert u. a. Kopien der berühmten „Hampton Court Beauties“ von Godfrey Kneller nach Dresden sandte,Footnote 156 besitzt die Annahme eine gewisse Plausibilität, Schubert könne in Hampton Court Palace auch Verrios Deckengemälde abgezeichnet haben.

Louis de Silvestres Deckenbild im Audienzzimmer Augusts des Starken ist nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, wie vieles auf dem Gebiet der englisch-deutschen Kunstkontakte im Zeitraum 1660‒1727 noch zu erforschen bleibt. Wie der vorliegende Beitrag gezeigt haben dürfte, wird eine vertiefte Analyse der oben skizzierten fünf Forschungsfelder eine grundlegend neue Sicht auf die diesbezüglichen Transferprozesse eröffnen.Footnote 157