Der folgende Text gibt einen zusammenfassenden Überblick über die Phasen der kindlichen Entwicklung vom Säuglings- bis ins Jugendalter. Entwicklung kann als Organisation und Koordination verschiedener sich entwickelnder Fähigkeiten um Entwicklungsaufgaben verstanden werden. Nach dem sog. Meilensteinprinzip (vgl. Michaelis & Niemann 2017) muss jedes Kind, unabhängig davon, wie vielfältig die Entwicklung unterschiedlicher Kinder verlaufen kann, in allen Entwicklungsbereichen bestimmte Entwicklungs-Knotenpunkte absolvieren. Bestimmte Fertigkeiten sollten zu jeweils bestimmten Alterszeitpunkten erworben werden. Es handelt sich dabei um Basisfertigkeiten, die für eine ungestörte Entwicklung notwendige Voraussetzungen sind und die zu den jeweiligen Beobachtungszeitpunkten von etwa 90–95 % aller gesunden Kinder erreicht werden. Werden Meilensteine verpasst, weist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein Entwicklungsdefizit hin.

Das Konzept der Entwicklungsaufgaben (vgl. Havighurst 1953) beschreibt ergänzend dazu, dass Individuen im Entwicklungsverlauf unterschiedlichen Problemen gegenüberstehen, die es zu bewältigen gilt. Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden Überlegungen beschränkt sich dieser Text auf eine Kernübersicht zu erreichender Entwicklungsmeilensteine und zu bewältigender Entwicklungsaufgaben in den kindlichen Entwicklungsphasen erstes Lebensjahr, Kleinkindalter, frühe Kindheit, mittlere und späte Kindheit und Jugendalter. Innerhalb dessen untergliedern sich die jeweiligen Abschnitte nach den jeweils zentralen Entwicklungsbereichen, d. h. kognitive Entwicklung, motorische Entwicklung, Sprachentwicklung und sozial-emotionale bzw. Persönlichkeitsentwicklung. Hinweise auf weiterführende Literatur zur vertiefenden Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten finden sich im Literaturverzeichnis.

Für Fachkräfte, die im Kinderschutzbereich tätig sind, ist ein Grundverständnis über relevante Entwicklungsmeilensteine und Entwicklungsaufgaben für einen gesunden Entwicklungsverlauf zentral, um pathologische Abweichungen erkennen und einordnen zu können. Ziel ist selbstverständlich, im Ernstfall frühzeitig intervenieren zu können und damit möglichen langfristig maladaptiven Folgen vorzubeugen. Entwicklungspsychologische Grundkenntnisse können zudem zur Erfassung und Beurteilung von rechtspsychologischen Kindeswohlkriterien von hoher Relevanz sein, wie beispielsweise dem Kindeswillen.

Betrachtet man die Frage nach der Sicherung des Kindeswohls bzw. der Anfälligkeit für Gefährdungen im Zusammenhang mit den Meilensteinen der kindlichen Entwicklung, so wird deutlich, dass je nach Alter und Entwicklungsphase des Kindes besondere Verletzlichkeiten bestehen. Somit können bestimmte Gefährdungsformen in bestimmten Entwicklungsphasen besonders schädliche Auswirkungen haben. Besondere Verletzlichkeiten und Gefährdungen des kindlichen Wohls entstehen nicht erst mit der Geburt des Kindes. Bereits während der Schwangerschaft kann das Wohl des Kindes durch Umwelteinflüsse in Gefahr geraten, die mit dem Elternverhalten in Zusammenhang stehen können (zu den unterschiedlichen Gefährdungsformen s. a. Körperliche und psychische Misshandlung [Kap. 2021 und 22], Vernachlässigung [Kap. 19] sowie Sexueller Missbrauch [Kap. 2324 und 25]).

1 Das erste Lebensjahr

1.1 Kognitive Entwicklung

Die kognitive Entwicklung (Denkentwicklung) von Kindern beginnt mit der Geburt und erstreckt sich über die folgenden Bereiche.

Aufmerksamkeit

Zunächst beginnt ein Säugling, Objekte mit beiden Augen zu fixieren und ihnen in Bewegung zu folgen. Dabei kommt es zwischen dem ersten und dem vierten Monat zur obligatorischen Aufmerksamkeit, bei der der Säugling mit seiner Aufmerksamkeit an einem Objekt kleben bleibt. Später entwickelt sich die Fähigkeit, Objekten kontinuierlich zu folgen und visuelle Erwartungen auszubilden (z. B. wenn ein Objekt hinter einem Vorhang verschwindet, wird erwartet, dass es auf der anderen Seite wieder erscheint; vgl. Elsner & Pauen 2018).

Gedächtnis

Es wird davon ausgegangen, dass das Kurz- und das Langzeitgedächtnis bereits sehr früh funktionieren. Vor allem das Wiedererkennen kann bei Säuglingen im ersten Jahr gut nachgewiesen werden. Je älter das Kind wird, desto länger wird die Gedächtnisspanne (im Alter von zwei Monaten umfasst sie ca. 24 h; im Alter von sechs Monaten bis zu zwei Wochen; Rovee-Collier 1999; vgl. Elsner & Pauen 2018).

Domänenspezifischer Wissenserwerb

Es wird von einer Kernwissenhypothese ausgegangen, die besagt, dass Wissen in bestimmten Bereichen bereits sehr früh vorhanden ist (Spelke & Kinzler 2007). Beispiele umfassen das Wissen, dass unbelebte Objekte sich nicht ohne die Einwirkung fremder Kräfte bewegen können oder dass ein Objekt sich nicht an zwei Orten gleichzeitig befinden kann. Verschiedene Mengen und Größen können bereits von Säuglingen unter vier Monaten unterschieden werden (vgl. Elsner & Pauen 2018).

1.2 Motorische Entwicklung

Die motorische Entwicklung unterteilt sich in die Bereiche Grobmotorik (alle Bewegungen des Körpers, die der Gesamtbewegung dienen) und Feinmotorik (die Bewegungen einzelner Muskeln, meist die der Finger und Hände).

Grobmotorik

Im ersten Lebensjahr lernt das Kind zunächst, sich in der Bauchlage mit den Armen abzustützen, und später, sich vom Bauch auf den Rücken zu rollen. Ein Meilenstein in der Entwicklung der Grobmotorik des ersten Lebensjahres ist außerdem das freie Sitzen. Weitere Entwicklungen innerhalb des ersten Lebensjahres sind das Krabbeln, Stehen und an Gegenständen entlang laufen, bis hin zu den ersten selbstständigen Schritten.

Feinmotorik

Zunächst sind die Greifhandlungen eines Neugeborenen vorwiegend reflexgesteuert. Dabei ist zunächst die Entwicklung der Koordination zwischen Sehen und Greifen relevant. Das Greifen an sich entwickelt sich immer präziser und enger (vom Ganzhand-/Grapschgriff zum Pinzettengriff). Im weiteren Verlauf können Objekte von einer Hand in die andere übergeben werden und das Handgelenk kann gedreht werden, um Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten zu können (vgl. Elsner & Pauen 2018).

1.3 Frühe Sprachentwicklung

Bereits mit zwei Monaten beginnen Kinder, Sprache als Kommunikationsmuster zwischen Menschen zu erkennen. Daraufhin versuchen sie, verschiedene Laute zu produzieren: zwischen 1–2 Monaten sind es Gurrlaute (einfache Silben), dann zwischen 5–9 Monaten Plappern, bis hin zur Kombination von mehreren Silben. In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres imitieren sie bereits die Sprachmelodie der Muttersprache (Jargoning). Gegen Ende des ersten Lebensjahres werden die ersten einzelnen Wörter gesprochen (vgl. Elsner & Pauen 2018).

1.4 Sozial-emotionale Entwicklung und Selbstregulation

Zunächst kommuniziert der Säugling vorrangig mit seinem Blick. Zwischen 6–8 Wochen entwickelt sich das spontane Lächeln, bei dem das Kind von seinem Gegenüber eine ebenfalls lächelnde Reaktion erwartet. Wenn darauf nicht eingegangen wird, wendet der Säugling seinen Blick ab. Zwischen dem dritten und vierten Monat beginnen Kinder emotionale Mimik und Stimmen differenziert wahrzunehmen. Ab dem siebten Monat zeigen sich personenbezogene Präferenzen und ab dem 8. Monat beginnt das sogenannte Fremdeln, bei dem Kinder eine ängstliche Reaktion und Zurückhaltung gegenüber Fremden zeigen. Ab dem neunten Monat entwickelt das Kind die Fähigkeit der geteilten Aufmerksamkeit, d. h. es entwickelt das Bewusstsein dafür, sich auf einen gleichen Gegenstand wie eine andere Person zu beziehen (Striano & Stahl 2005). In diesem Zeitraum zeigt sich auch das soziale und emotionale Referenzieren. Dabei prüft das Kind anhand der sozialen Reaktion der Bezugsperson (z. B. Blick) oder anhand der emotionalen Reaktion der Bezugsperson, ob eine Handlung oder ein Objekt von dieser bewilligt wird oder nicht.

Kinder erlernen bereits innerhalb der ersten Lebensjahre Selbstregulation in unterschiedlichen Bereichen. Günstig dafür sind ein geregelter Tagesablauf und eine stabile Reaktion der Bezugspersonen. Zunächst werden der circadiane Rhythmus (z. B. Schlaf-Wach-Rhythmus), die Nahrungsaufnahme und die Verdauung reguliert. So ist beispielsweise zunächst der Schlaf deutlich unruhiger und störungsanfälliger, da aktive Phasen (z. B. Rapid-Eye-Movement) und Übergangsstadien dominieren, und Tiefschlafphasen erst mit der Zeit kontinuierlich zunehmen, weshalb häufiges Aufwachen in der Nacht altersangemessen ist. Unterschiedliche Gefühle vollziehen eine Entwicklung innerhalb des ersten Lebensjahres. Aus einer Art „globalem Unbehagen“ entwickelt sich innerhalb der ersten 4–8 Monate Ärger, welcher sich auf ein konkretes Ziel richten kann. Säuglinge zeigen Furchtreaktionen auf bestimmte Reize, im Zeitraum von 6–9 Monaten entwickeln sich komplexere Angstreaktionen. Weiterhin erlernt das Kind unterschiedliche Strategien zur emotionalen Regulation, wie z. B. das Lutschen am Finger (vgl. Elsner & Pauen 2018).

2 Das Kleinkindalter (Das zweite Lebensjahr)

2.1 Kognitive Entwicklung

Symbolisches Spiel

Im Alter von 12–18 Monaten erkundet das Kind die Welt wie ein „Wissenschaftler“ (Piaget 1969). Gemäß der „Trial and Error“-Methode verändert das Kind unterschiedliche Verhaltensweisen, um zu untersuchen, was sich verändert. Ein Beispiel dafür ist, dass ein Kind Dinge auf unterschiedliche Art und Weise fallen lässt, um zu untersuchen, was dann passiert. Zwischen 18–24 Monaten können unterschiedliche Objekte mental als Symbole abgebildet werden, sodass das Denken zunehmend verinnerlicht wird. Während im ersten Lebensjahr das sensomotorische Spiel zur Erkundung der Umwelt im Vordergrund steht, beginnt das Kind ab ca. 18 Monaten das „Als ob Spiel“, was elaborierteres Wissen von Umwelt und Objekten erfordert. Dabei werden Objekte nicht nach ihrer gewohnten Funktion gebraucht, sondern symbolisch verwendet (z. B. „Kaffee aus Sand“; vgl. Elsner & Pauen 2018; Vonderlin & Pauen 2013).

Entwicklung des Selbst

Innerhalb der ersten drei Lebensmonate bilden Kinder das Konzept der eigenen Person aus (Entwicklung des Ichs). Dabei beginnt das Kind zwischen sich selbst und der Umwelt zu trennen. Das Konzept des Selbst entwickelt sich wiederum erst innerhalb des zweiten Lebensjahres, dabei beginnt das Kind sich selbst und seine Handlungen von außen zu betrachten. Ein häufiger Test dafür ist, ob sich Kinder selbst im Spiegel erkennen, was erst zwischen 15–22 Monaten der Fall ist (vgl. Elsner & Pauen 2018; Vonderlin & Pauen 2013).

Soziale Kognition und Theory of Mind (ToM)

Theory of Mind (ToM) bezeichnet die Fähigkeit, sich selbst und anderen mentale Zustände (z. B. Gedanken oder Emotionen) zuzuschreiben. Im 2. Lebensjahr entwickeln Kinder ein Verständnis von eigenen und fremden Handlungsabsichten (Elsner 2014). Ab 18 Monaten können sie aus Handlungen Intentionen erschließen und haben ein Verständnis darüber, dass andere Personen nicht die gleichen Wünsche haben, wie sie selbst (Repacholi & Gopnik 1997). Empathie und Mitgefühl sind bereits früh vorhanden: Die Unterscheidung von eigenen und fremden Gefühlen entwickelt sich ab dem 18. Monat, d. h. Kinder kopieren nicht mehr nur den Emotionsausdruck anderer, sondern machen beispielsweise erste Ansätze, anderen Personen Trost zu spenden (vgl. Elsner & Pauen 2018; Vonderlin & Pauen 2013).

2.2 Motorische Entwicklung

Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr erlernen Kinder das Laufen. Mit der Zeit kommen immer mehr unterschiedliche Bewegungen, wie Treppen steigen, hüpfen und klettern hinzu. Gleichzeitig finden ein Ausbau und eine Verstärkung der Muskulatur statt, was zu einer Verfeinerung der einzelnen Bewegungen und zu neuen, komplexeren Bewegungsabläufen führt. Zu weiteren motorischen Meilensteinen des zweiten und dritten Lebensjahres zählen der Einbeinstand und das Dreiradfahren (Jenni et al. 2012). Die motorische Entwicklung von (Klein-)Kindern ist jedoch sehr individuell, weshalb man sich nicht auf feste Altersangaben beschränken sollte. Beispielsweise kann sich das Erlernen des Laufens über den Bereich von 10–18 Monaten erstrecken (vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

2.3 Regulation und Bindung

Emotionsregulation und Selbstregulation

Emotionsregulation bezeichnet die Kontrolle von Erregungszuständen und negativen Emotionen. Selbstregulation beschreibt die Kontrolle und willentliche Steuerung von Handlungen.

Im Verlauf des zweiten Lebensjahres entstehen zunehmend Verbote aufgrund der wachsenden Fortbewegungsmöglichkeiten des Kindes und die Sauberkeitserziehung wird etabliert (Largo 2017). Dies schränkt das Kind in seinen Möglichkeiten ein und kann deshalb der Grund für Frustration sein. Zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr zeigen fast alle Kinder eine Trotzreaktion in unterschiedlichen Ausprägungen. Man geht davon aus, dass das Trotzverhalten mit dem Gefühl der Selbstwirksamkeit und weiteren, sich entwickelnden Kompetenzen zusammenhängt (Holodynski 2006). Das Trotzverhalten kann demnach als alternativer Handlungsplan gesehen werden und kann in extremen Fällen für eine unzureichende emotionale Selbstregulation stehen. Dennoch sind Kinder ab dem 2. Lebensjahr bereit, Regeln von anderen zu befolgen, was man als Folgsamkeit (Compliance) bezeichnet (Kochanska et al. 2001; vgl. Elsner & Pauen 2018).

Bindung

Die Bindungstheorie bezieht sich auf den Beziehungsaufbau zwischen Kleinkind und Bezugsperson als Bindungssystem. „Bindung“ (attachment) ist die besondere Beziehung eines Kindes zu seinen Eltern oder Personen, die es beständig betreuen. Für nähere Ausführungen zum Thema Bindung wird auf den Text Bindung und Trennung verwiesen [Kap. 13]

3 Frühe Kindheit (3–6 Jahre)

3.1 Kognitive Entwicklung

Denken

Nach Piagets Stufenmodell befindet sich das Kind im Alter von zwei bis sechs Jahren in der Phase des prä-operationalen Denkens. Der Unterschied zu der vorherigen sensomotorischen Phase besteht darin, dass sich das Kind Handlungen mental repräsentieren, d. h. gedanklich vorstellen kann. Jedoch weisen Kinder noch Beschränkungen in der Beweglichkeit des Denkens auf, sie können mentale Repräsentationen nicht so einfach verändern oder mit ihnen operieren. Das heißt, sie können die Vorstellung über einen Zustand oder ein Ereignis nicht beliebig verändern, um so eine Lösung für ein Problem zu entwickeln.

Ein weiteres auffälliges Element des Denkens ist das magisch-animistische Denken, bei dem Kinder viele Naturphänomene, die sie sich selbst nicht erklären können, auf magische Kräfte zurückführen. Zusätzlich ist das Denken mehrheitlich durch Zentrierung geprägt. Dabei konzentriert sich das Kind auf einen Aspekt der Situation und vernachlässigt andere wichtige Merkmale. Ein Beispiel dafür wäre Irreversibilität, also die Unfähigkeit, ein Ereignis in Teile zerlegt zu betrachten oder sich eine Situation rückwärts vorzustellen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist, dass Kinder glauben, dass Flüssigkeit mehr wird, wenn sie von einem breiten in ein hohes Glas umgeschüttet wird. Ein weiteres Merkmal des Denkens ist Egozentrismus, was sich daran erkennen lässt, dass die Perspektive anderer Personen schlecht eingenommen werden kann. Gleichzeitig können neuere Experimente diesen Befund nicht mehr komplett replizieren und zeigen sogar, dass Kinder nicht immer egozentrisch denken, vor allem dann nicht, wenn sie mit dem Untersuchungsmaterial vertraut sind (vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

Gedächtnis

Mit dem Besuch von Tageseinrichtungen wird das Gedächtnis von Kindern verstärkt gefordert und sie entwickeln Gedächtnisstrategien (Mittel zur Verbesserung der Gedächtnisleistung). Das Kurz- und Arbeitsgedächtnis entwickeln sich im Verlauf des Vorschulalters relativ stark. Während dreijährige Kinder durchschnittlich eine Zahlenspanne von drei haben, sind es unter den sechsjährigen bereits vier (Knopf et al. 2008). Erkenntnisse, die auf dem Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley (2000) basieren, zeigen auf, dass es ab dem 6. Lebensjahr zu einer Aktivierung des subvokalen Artikulationssystems kommt (Hasselhorn & Grube 2006). Deshalb werden erst ab diesem Alter Gedächtnisstrategien, wie interne Wiederholungsprozesse, eingesetzt. Im Bereich des Langzeitgedächtnisses kommt es zu einer deutlichen Verbesserung des autobiografischen Gedächtnisses im Altersbereich zwischen drei und sechs Jahren (Fivush 2009). Dabei ist die Gedächtnisleistung vor allem für die Ereignisse besser, die vertraut sind und eine Art „Skript-Charakter“ haben, wie beispielsweise Geburtstagsfeiern (Knopf et al. 2008; vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

Exekutive Kontrolle

Die Veränderung der exekutiven Funktionen ist im Alter von drei bis fünf Jahren sehr bedeutsam. Exekutive oder kognitive Kontrolle beschreibt unterschiedliche Kontroll- oder Steuerungsprozesse, die Lernaktivitäten beeinflussen. Die Verbesserung der Fähigkeit wird unter anderem auf die Reifung relevanter Frontalhirn-Areale, die Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses und die Fähigkeit der Perspektivübernahme zurückgeführt. Exekutive Kontrollfunktionen bestehen unter anderem aus Planung von Handlungen, Flexibilität, Anpassung von Arbeitsgedächtnisprozessen und Inhibition von störendem Verhalten. Ein Beispiel für die Untersuchung der Inhibitionsfähigkeit wären Aufgaben zum Belohnungsaufschub. Kinder werden vor die Wahl gestellt, ob sie zum jetzigen Zeitpunkt eine kleine Belohnung haben möchten, oder ob sie lieber auf eine größere Belohnung warten wollen. Kinder im Vorschulalter verfügen zwar bereits über das Wissen darüber, dass es klüger wäre zu warten, können dies jedoch noch nicht in die Tat umsetzen (Hasselhorn & Lohaus 2008; vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

3.2 Sprachentwicklung

Der Erwerb der Sprache vollzieht sich in den ersten Lebensjahren sehr schnell, ab dem Alter von drei Jahren werden zusätzlich zu bereits erworbenen Normen, Verben und Adjektiven, Funktionswörter wie Präpositionen, Artikel und Hilfsverben gelernt. Außerdem werden in dieser Phase bereits vollständige Sätze gebildet und ein Kind im Alter von fünf Jahren kann in der Regel Fragen stellen, beantworten, Wünsche äußern und das eigene Verhalten sprachlich begründen. Zur Einschulung haben Kinder durchschnittlich einen aktiven Wortschatz von 2000 bis 3000 Wörtern und einen zehnmal höheren rezeptiven Wortschatz (Wiedererkennungsleistung). Grammatik bildet sich unbewusst bereits recht früh aus, mit vier Jahren werden hauptsächliche Satzkonstruktionen beherrscht und Aktiv- von Passivsätzen unterschieden. Die vollständige grammatische Kompetenz wird meist erst im mittleren Schulalter erreicht. Im Alter zwischen drei und fünf Jahren entwickelt sich außerdem ein Gefühl der Pragmatik der Sprache (die Sprache wird zunehmend situations- und kontextbezogen verwendet). Ab drei Jahren werden mentale Verben erworben, Kinder entwickeln dabei ein Verständnis darüber, was beispielsweise „wissen“, „erinnern“ oder „glauben“ bedeutet und beginnen über „das Denken an sich“ nachzudenken. Damit zusammenhängend verbessert sich auch die Leistung in „Theory of Mind (ToM)“-Aufgaben. Ein vierjähriges Kind ist in der Lage, das eigene Wissen vom Wissensstand einer anderen Person in einer Geschichte zu unterscheiden, während das bei einem dreijährigen Kind noch nicht der Fall ist. Zwischen sechs und sieben Jahren sind Kinder in der Lage, noch schwierigere Aufgaben mit Metarepräsentationen zweiter Ordnung zu lösen („Peter glaubt, dass Maxi glaubt, dass…“). Sprachliche Kompetenz hat einen Einfluss auf ToM-Aufgaben. Zusätzlich existieren Befunde dafür, dass die Leistung in ToM-Aufgaben die spätere sprachliche Entwicklung beeinflusst (Astington & Jenkins 1999; vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

3.3 Körperliche und motorische Entwicklung

Körperliche Entwicklung

Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr verliert das Kind „Babyspeck“, der Bauch wird flacher und die Muskulatur bildet sich heraus. Es wird davon ausgegangen, dass Kinder im Vorschulalter ca. 6–8 cm im Jahr wachsen und 1,5–2,5 kg zunehmen, dabei sind Jungen durchschnittlich größer als Mädchen. Der Kopf wächst ab dem 3. Lebensjahr viel langsamer als zuvor und hat ab dem Alter von vier bis fünf Jahren bereits dieselbe Größe wie bei einer erwachsenen Person, und ist deshalb immer noch überproportional groß. Zusätzlich zur Kopfgröße hat das Gehirn im Alter von fünf bis sechs Jahren bereits 90% des Gewichts eines Erwachsenen erreicht. Dies hängt vor allem mit der Myelinisierung der Neuronen zusammen, was bedeutet, dass Nerven an Fettschicht um sich herum gewinnen, sodass Informationen schneller weitergeleitet werden können (vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

Motorische Entwicklung

Aufgrund der Kräftigung der Muskulatur kommt es zu einer besseren Muskelsteuerung und so zur Verfeinerung von Einzelbewegungen und zur Entwicklung von komplexeren Bewegungsabläufen. Ab dem Alter von drei Jahren vergrößert sich das Aktivitätsniveau des Kindes kontinuierlich und erreicht den Höhepunkt im Alter von sieben/acht Jahren. Dabei erlernt das Kind immer mehr grobmotorische Handlungen wie Rennen, Springen, Balancieren, Bälle fangen, Fahrrad fahren und Schwimmen. Die Entwicklung der Feinmotorik vollzieht sich im Vorschulalter etwas langsamer, da sie häufig die zusätzliche Abstimmung mit anderen Sinnesorganen, wie den Augen und Ohren, erfordert. Die Entwicklung der Feinmotorik lässt sich am Vorgang des Malens aufzeigen. Zunächst wird das Malen bei Kindern durch größere Muskelgruppen (den gesamten Arm) gesteuert, spätestens beim Schuleintritt lernt das Kind jedoch, aus dem Handgelenk heraus zu schreiben (vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

3.4 Sozial-emotionale Entwicklung

Motivationsentwicklung

Aufgrund der zunehmenden kognitiven und körperlichen Leistungsfähigkeit entsteht das Bedürfnis nach Kompetenzerleben und selbstständigem Handeln. Kinder ab dem zweiten Lebensjahr tendieren bereits dazu, in Aufgaben leistungsmotiviert zu handeln und mit positiven Emotionen bei Erfolg und mit negativen Emotionen bei Misserfolg zu reagieren. Nach der Theorie der Motivationsentwicklung (Heckhausen 2018) beginnen Kinder mit dreieinhalb Jahren (Miss-)Erfolg auf die eigene Performanz zurückzuführen. Mit etwa fünf Jahren beginnen sie, ihre eigene Performanz in Relation zur erlebten Aufgabenschwierigkeit zu sehen. Ab dem sechsten Lebensjahr können Kinder ihre Performanz in Anstrengung und Fähigkeit aufteilen und differenziert voneinander betrachten.

Emotionale Entwicklung

Weiterhin findet im Vorschulalter eine große Entwicklung des Emotionserlebens statt. Emotionen sind Auslöser von Motivation und setzen somit Handlungen in Gang, außerdem regulieren sie eigene und fremde Handlungen. Bei Vorschulkindern lässt sich beobachten, dass sie immer unabhängiger von fremder Emotionsregulation agieren können, sie entwickeln eine zunehmende intrapersonale Emotionsregulation. Außerdem entwickeln sich relevante selbstbewertende Emotionen, wie Stolz und Scham nach (Miss-)Erfolg, die unabhängig von der Reaktion Dritter ausgelöst werden. Zusätzlich entsteht bei Kindergartenkindern deklaratives Emotionswissen, d. h. sie erlernen, wann und wie sie Emotionen adäquat ausdrücken können (vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

Soziale Entwicklung und Beziehung zu Gleichaltrigen

In der Altersgruppe der drei- bis sechsjährigen besuchen mehr als 90% der Kinder einen Kindergarten. Der außerfamiliäre Kontakt von Kindern zu Gleichaltrigen ist in der Phase von drei bis sechs Jahren besonders relevant zur Lösung unterschiedlicher Entwicklungsaufgaben. Dabei ist es wichtig, dass ein Kind sich außerhalb seiner Familie als selbstständig handelndes Individuum erlebt und lernt, sich prosozial und kooperativ gegenüber anderen zu verhalten.

Ab einem Alter von drei bis vier Jahren ist die Beziehung zu Gleichaltrigen durch eine Verringerung von Konflikten geprägt, da das Verhältnis zum einen durch einen größeren Grad an Kooperation geprägt ist und zum anderen das Aggressionspotenzial durch steigende sprachliche Mitteilungsfähigkeit abnimmt. Dabei entwickeln Kinder gemeinsam kooperative Spielformen, bei denen sie sich gegenseitig helfen und Ziele gemeinsam verfolgen (Mietzel 2019). Kooperative Spielformen stellen eine soziale Herausforderung dar, Kinder müssen ihre teilweise egozentrischen Denkweisen überwinden und sich über Gegenstände und unterschiedliche Rollen im Spiel einig werden. Komplexere, soziale Rollenspiele können bei einer späteren Entwicklung von prosozialen Fähigkeiten helfen (Mähler 2008; vgl. Schneider & Hasselhorn 2018). Auch die Beziehung zu Erzieher*innen kann die spätere prosoziale Entwicklung beeinflussen (Ahnert 2008). Es konnte beispielsweise gezeigt werden, dass positive Betreuungserfahrungen in außerfamiliären Einrichtungen zu einem höheren Beliebtheitsgrad von Kindern in schulischen Peergruppen führen können (Andersson 1992; vgl. Schneider & Hasselhorn 2018).

3.5 Kindliche Willensentwicklung

Die kindliche Willensentwicklung ist in der entwicklungspsychologischen Literatur weniger fest verankert. Dies begründet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit unter anderem darin, dass es sich bei dem „Willen“ traditionell weniger um ein psychologisches, als um ein philosophisches Konstrukt handelt. In der entwicklungspsychologischen Literatur werden daher vorrangig Konstrukte wie „Motivation“, „Volition“, oder „decision-making“ definiert und erläutert, die zwar mit der (kindlichen) Willensentwicklung im Zusammenhang stehen, jedoch nicht im engeren Sinne das Konstrukt des Kindeswillens definieren oder operationalisieren.

Gleichzeitig stellt das Kriterium des Kindeswillens ein zentrales Prüfkriterium in Kindeswohlfragen dar. In der UN-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989 ist mit Artikel 12 festgelegt, dass Kinder das Recht haben, ihre Meinung in sie berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, sofern sie fähig sind, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Vertragsstaaten sichern zu, diese Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck soll dem Kind Gelegenheit gegeben werden, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden. In der Literatur werden konfligierende Positionen zum Verhältnis von Kindeswohl und Kindeswille diskutiert, die besagen, dass es kein Kindeswohl gegen den Kindeswillen geben kann, und andererseits, dass eine Umsetzung des Kindeswillens dem Kindeswohl auch schaden kann (vgl. Dettenborn & Walter 2016; s. a. Berücksichtigung des Kindeswillens in Kinderschutzverfahren [Kap. 6]).

Gerade weil jedoch in der psychologischen Literatur keine uniformen Definitionen des Kindeswillens und entsprechend validierte Erfassungsmethoden existieren, zählt der Wille eines Kindes zu den besonders problematischen Eingangsgrößen bei der Bewertung des Kindeswohls (vgl. Dettenborn 2017; Zumbach et al. 2020; Zumbach et al. 2021). In der familienrechtspsychologischen Literatur wird der Kindeswille als „altersgemäß stabile und autonome Ausrichtung des Kindes auf erstrebte, persönlich bedeutsame Zielzustände“ definiert (Dettenborn & Walter 2016). Dettenborn & Walter (2016) definieren vier Mindestanforderungen für das Vorliegen eines kindlichen Willens im rechtspsychologischen Verständnis: Zielorientierung (eine klare Vorstellung, was sein soll und ein Bewusstsein, wie dies erreicht werden kann, z. B. Verbleib bei der Mutter); Intensität (die Nachdrücklichkeit und Entschiedenheit, mit der die Ziele angestrebt werden); Stabilität (eine angemessene zeitliche Dauer, das Äußern unter verschiedenen Umständen und/oder gegenüber verschiedenen Personen); sowie Autonomie (der Ausdruck von individuellen, selbst initiierten Strebungen).

Die entwicklungspsychologische Theorie und Forschung kann hinsichtlich der Erfassung und der Bewertung von kindlichen Willenshaltungen an zwei Stellen einen Beitrag leisten: a) zu der Frage, ab wann entwicklungspsychologische Voraussetzungen gegeben sind, um einen Willen bilden und ausdrücken zu können und b) zu der Frage, wie ein geäußerter Kindeswillen zu interpretieren und zu gewichten wäre (vgl. Zumbach et al. 2020; Zumbach et al. 2021). Eine Reihe von Entwicklungsfaktoren bestimmen, ob ein Kind in der Lage ist, einen Willen zu bilden und auszudrücken. Zu relevanten Entwicklungsbereichen gehören beispielsweise die kognitive Entwicklung (z. B. Fähigkeiten zur strukturierten Wahrnehmung, kausales Denken, autobiografisches Gedächtnis, Verhaltens-/Handlungskontrolle, mentale Repräsentation und interne Arbeitsmodelle); die Sprachentwicklung (z. B. rezeptive und expressive Sprache, Ausdrücke mit Zeitbezug, Fragen zu gesellschaftlichen Regeln, mentale Ausdrucksformen wie „wollen“, „können“); sowie die sozial-emotionale Entwicklung (z. B. Theory of Mind, emotionales Wissen, Empathie). Aus der Theorie lässt sich ableiten, dass Kinder im Alter von 3–4 Jahren eine Reihe von Kompetenzsteigerungen erwerben, die für die Willensbildung und Willensäußerung relevant sind (Dettenborn 2017). Kushnir et al. (2015) zeigten in einer experimentellen Studie, dass Kinder im Alter zwischen vier und sechs Jahren beginnen, Intuitionen über den freien Willen zu entwickeln. Zumbach et al. (2021) zeigten in einer Studie mit Kindergartenkindern, dass bereits fünfjährige Kinder unterschiedliche Strategien zur Willensäußerung zeigen, darunter sowohl verbale als auch behaviorale Strategien. Die Fähigkeit, Strategien zur Willensäußerung zu benennen, variierte mit dem sozial-emotionalen, jedoch nicht mit dem kognitiven Entwicklungsstand der Kinder (Zumbach et al. 2021). Wenn ein Kind einen Willen zum Ausdruck bringt, kann die Entwicklungstheorie dabei helfen, zu bestimmen, welches Gewicht der Meinung des Kindes beigemessen werden kann. Theoretische Annahmen können herangezogen werden, um zu erklären, warum ein Kind einen bestimmten Willen äußert, oder warum ein Kind möglicherweise auch keinen Willen äußert, obwohl entwicklungspsychologische Voraussetzungen gegeben sind. Hierfür relevante Konzepte sind beispielsweise Affekt und Emotionsregulation, Adaption und Coping, Kognition, soziale Fähigkeiten sowie Autonomie und Selbstwirksamkeit (vgl. Zumbach et al. 2021).

4 Mittlere und späte Kindheit (7–11 Jahre)

4.1 Kognitive Entwicklung

Die kognitive Entwicklung schreitet in unterschiedlichen Bereichen stetig voran. Zu diesen Domänen gehören unter anderem das induktive und das deduktive Denken, das räumliche Denken sowie die Gedächtnisfunktionen (inkl. Gedächtnisstrategien und Metagedächtnis). Laut Piagets Entwicklungstheorie befinden sich Kinder im Alter von sieben bis elf Jahren in der konkret-operationalen Stufe. Kinder erwerben nun die Fähigkeit des logischen Denkens, das heißt, sie können mehrere Aspekte einer Situation gleichzeitig betrachten und lösen konkrete Probleme (Kray & Schaefer 2018).

Induktives und deduktives Denken

Deduktives Schlussfolgern beinhaltet die Übertragung einer allgemeinen Prämisse über eine Klasse von Objekten („Alle Blumen brauchen Wasser.“) auf einen Einzelfall („Rosen sind Blumen. Rosen brauchen Wasser.“). Das induktive Schlussfolgern verläuft andersherum, dabei werden durch die Beobachtung von Einzelfällen (Rosen brauchen Wasser. Tulpen brauchen Wasser.) Schlussfolgerungen über die Klasse von Objekten getroffen (Alle Blumen brauchen Wasser.). In der mittleren Kindheit nimmt die Fähigkeit beider Arten des schlussfolgernden Denkens zu und auch der Unterschied sowie die größere Unsicherheit in Bezug auf das induktive Denken werden dem Kind bewusst (Galotti et al. 1997; vgl. Kray & Schaefer 2018).

Räumliches Denken

Kinder, die sich in der prä-operationalen Phase befinden, können Objekte lediglich aus ihrer eigenen Perspektive beschreiben, während Kinder in der konkret-operationalen Phase sich Objekte auch aus der Perspektive von anderen Leuten vorstellen können. Orientierung, die Vorstellungen über eine Entfernung zwischen zwei Orten und über die Dauer zur Erreichung eines Zieles, werden immer genauer (vgl. Kray & Schaefer 2018).

Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit

Piagets Stufentheorie steht der Informationsverarbeitungsansatz gegenüber, bei dem quantitative Veränderungen von Kognition, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozessen untersucht werden. Ein wichtiger Faktor der Informationsverarbeitung ist die Geschwindigkeit, mit der Informationen verarbeitet werden. Diese nimmt von der mittleren Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter deutlich zu, was mit der Gehirnentwicklung zusammenhängt (Kail & Salthouse 1994). Die weiße Substanz (Nervenfasern) nimmt zu, sodass es zu einer Steigerung der möglichen Signalübertragung kommt. Die Zunahme der weißen Substanz erfolgt nicht in allen Bereichen des Gehirns gleich, was die unterschiedliche Entwicklung der einzelnen kognitiven Fähigkeiten erklärt (Mabbott et al. 2006; vgl. Kray & Schaefer 2018).

Gedächtnis, Gedächtnisstrategien, Metagedächtnis

Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses wird gemessen, indem Kindern mehrere Zahlen vorgegeben werden und sie diese in eine auf- oder absteigende Reihenfolge bringen müssen. Im Alter von fünf bis sechs Jahren sind Kinder in der Lage, zwei Zahlen in richtiger Reihenfolge wiederzugeben, während es unter den elfjährigen Kindern bereits sechs Zahlen sind. In der mittleren Kindheit zeigt sich eine deutliche Verbesserung der Reproduktionsleistung, während die Wiedererkennungsleistung bereits im früheren Alter relativ gut ist. Das hängt damit zusammen, dass für die Wiedererkennung externe Gedächtnishilfen verwendet werden, es für reine Reproduktion die Fähigkeit zur mentalen Repräsentation erfordert, was sich in diesem Altersstadium enorm verbessert.

Ab dem Alter von acht Jahren nutzen Kinder aktiv Gedächtnisstrategien. Beispiele dafür wären Listen oder die strategische Positionierung von bestimmten Gegenständen, um sie nicht zu vergessen. Eine weitere Strategie ist das Wiederholen (rehearsal). Bei einer Wortreihe würden achtjährige Kinder passiv wiederholen, indem sie ein Wort mehrmals wiederholen. Zehnjährige Kinder dagegen nutzen das aktive, kumulative Wiederholen, indem sie mehrere Wörter aus einer Reihe zusammenhängend wiederholen, was der effektivere Prozess ist. Weiterhin nimmt das Metagedächtnis zu, also das Wissen über das Gedächtnis selbst. Bereits im Alter von fünf bis sechs Jahren können Kinder beispielsweise abschätzen, dass das Merken von unbekannten Wörtern länger dauert, als das von bekannten Wörtern, und dass Wiedererkennen leichter ist, als Reproduktion (vgl. Kray & Schaefer 2018).

Aus einer familienrechtspsychologischen Perspektive erhalten insbesondere diese Fortschritte im Rahmen der kognitiven Entwicklung in der mittleren und späten Kindheit Relevanz, wenn kindliche Aussagen bspw. in Bezug auf die familiäre Situation, im Hinblick auf Erfahrungen mit und Beziehungen zu Bezugspersonen sowie hinsichtlich des Kindeswillens erfasst und bewertet werden sollen.

4.2 Entwicklung der Persönlichkeit

Persönlichkeitsvariablen

Die Persönlichkeitspsychologie beschäftigt sich mit der Vorhersage von Verhalten in unterschiedlichen Situationen. Das berühmteste Persönlichkeitsmodell ist das „Big Five“-Modell (Costa & McCrae 2008). In dieser Theorie gibt es die fünf übergreifenden Persönlichkeitsvariablen: Extraversion (gesellig), Verträglichkeit (warmherzig), Gewissenhaftigkeit (zuverlässig), Neurotizismus (ängstlich) und Offenheit für Neues/Intellekt (kreativ). In einer schwedischen Längsschnittstudie konnten sich signifikante Korrelationen einzelner Testscores zeigen (Lamb et al. 2002): Ein Kind, das zu einem Messzeitpunkt im Vergleich zu den anderen Kindern als eher gewissenhaft eingestuft wurde, wurde zu einem späteren Messzeitpunkt ebenso eingestuft. Grundschulkinder wurden im Laufe ihrer Entwicklung von ihren Müttern als neurotischer, gewissenhafter und weniger offen für Neues wahrgenommen. Außerdem ergab sich ein Zusammenhang zwischen den Persönlichkeitseigenschaften Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Neues mit Leistungen im verbalen und mathematischen Bereich (Lamb et al. 2002). Zusätzlich ergab sich eine Korrelation zwischen Extraversion, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit mit der durch Lehrer*innen eingeschätzten Integration des Kindes in seine Peergruppe (Lamb et al. 2002; vgl. Kray & Schaefer 2018).

Persönlichkeitsprofile

Neben der Untersuchung verschiedener Persönlichkeitseigenschaften lassen sich Personen auch zu unterschiedlichen Persönlichkeitsprofilen (Clustern) zuordnen. In einer Längsschnittstudie aus Deutschland beurteilten Kindergärtner*innen über mehrere Jahre, welche Eigenschaften für die Kinder typisch waren, woraus sich drei prototypische Persönlichkeitsprofile ergaben (Asendorpf et al. 2009): 49 % der Stichprobe waren „Resiliente Kinder“ mit den Merkmalen: selbstbewusst, kompetent und erfolgreiche Stressbewältigung. 21 % der Kinder wurden als „überkontrolliert“ kategorisiert und zeigten die Eigenschaften Anpassungsfähigkeit, fehlende Aggression und mangelndes Selbstbewusstsein. 30 % der Kinder wurden dagegen als „unterkontrolliert“ klassifiziert, was bedeutet, dass sie als energiegeladen, ungehemmt, unsozial und unaufmerksam beschrieben wurden (Asendorpf et al. 2009; vgl. Kray & Schaefer 2018).

Entwicklung des Selbstkonzepts

Mit zunehmendem Alter entwickeln Kinder ein elaborierteres Selbstkonzept von sich. Drei- bis vierjährige Kinder beziehen sich hauptsächlich auf äußere Merkmale („Ich habe braune Augen.“), soziale Beziehungen („Ich habe viele Freunde.“) oder Besitztümer („Ich habe viele Kuscheltiere.“), um sich selbst zu beschreiben. Zudem sind die Selbstbeschreibungen häufig unrealistisch positiv eingefärbt. Kinder im Grundschulalter dagegen verwenden differenziertere und realistischere Selbstbeschreibungen, da sie in der Schule durch die Notengebung viel stärker mit sozialen Vergleichen konfrontiert sind. Aus der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten ergibt sich das Selbstwertgefühl. Dieses ist aber auch abhängig davon, wie wichtig dem Kind die unterschiedlichen Fähigkeiten überhaupt sind. Weiterhin wird das Selbstwertgefühl sehr stark von der Familie und den Peers beeinflusst. Die Ausprägung des Selbstwertgefühls wirkt sich auf den Umgang mit Erfolg und Misserfolg und somit die Entwicklung der Leistungsmotivation aus (vgl. Kray & Schaefer 2018).

4.3 Emotionale und soziale Entwicklung

Emotionale Entwicklung

Im Verlauf der mittleren und späten Kindheit kommt es zu einem Anstieg der selbstbezogenen Emotionen. Intrapersonale Emotionen, wie Stolz, Scham und Schuld, zeigen sich zunehmend häufiger, auch in der Abwesenheit von anderen Personen. Dabei kommt es nicht immer zu Scham und Schuld, sondern vorrangig bei vorsätzlichem Fehlverhalten, z. B. Lügen oder Stehlen. Solche selbstbezogenen Emotionen beeinflussen, ob Kinder an Leistungssituationen optimistisch oder pessimistisch herangehen. Außerdem entwickelt sich das Emotionsverständnis weiter. Jüngere Kinder schreiben ihre Emotionen noch stärker der Umwelt zu, Schulkinder dagegen verwenden Emotionen immer häufiger zur Beschreibung ihrer eigenen Gefühlslage. Außerdem sind sie dazu fähig, ambivalente Emotionen wahrzunehmen und zu verstehen, sie können also nachvollziehen, dass eine Situation zur gleichen Zeit positive und negative Gefühle auslösen kann. Außerdem entwickelt sich auch die Interpretationsfähigkeit des Emotionsausdrucks, ältere Kinder erkennen, dass ein Emotionsausdruck nicht mit der tatsächlichen emotionalen Lage übereinstimmen wird (Saarni 1997). Im Schulalter werden Kinder zunehmend häufiger mit ihrer (schlechteren) Leistung konfrontiert, da sie häufig mit anderen verglichen werden, was sich potenziell bedrohlich auf den Selbstwert auswirken kann. Um dem entgegen zu wirken, entwickeln Kinder selbstständig Emotionsregulationsstrategien, ohne dass sie auf die Unterstützung ihrer Bezugspersonen angewiesen sind. Dabei lenken sie sich hauptsächlich aktiv oder mental ab. Kinder, die besser mit negativen Emotionen umgehen können, entwickeln ein besseres Gefühl der emotionalen Selbstwirksamkeit (vgl. Kray & Schaefer 2018).

Motivation und Attributionsstile

Dadurch, dass Kinder im Schulalter lernen, zwischen Anstrengung und Fähigkeit zu unterscheiden, beginnen sie ihre Leistung unterschiedlichen Ursachen zuzuschreiben. Die unterschiedlichen Attributionsstile (Ursachenzuschreibungen) lassen sich dabei in leistungshemmend und leistungsfördernd unterscheiden (Dweck & Elliott 1983; Dweck & Leggett 1988). Bewältigungsoptimistische Kinder zeichnen sich dadurch aus, dass sie Erfolge ihren eigenen Fähigkeiten zuschreiben: „Ich kann gut rechnen.“. Misserfolge werden dagegen eher external attribuiert, also auf äußere Umstände zurückgeführt: „Die Aufgaben waren zu schwierig.“. Wenn Misserfolge doch auf eigene Fähigkeiten zurückgeführt werden, sind diese nicht stabil und kontrollierbar: „Das nächste Mal werde ich mir mehr Mühe geben.“. Solche selbstwertdienlichen Attributionsmuster fördern die Leistungsmotivation und beugen Entmutigung durch Misserfolge vor. Hilflose Kinder schreiben ihre Erfolge externalen Faktoren zu: „Die Aufgabe war einfach.“ und begründen Misserfolge mit stabilen und unveränderbaren Eigenschaften: „Ich kann einfach nicht rechnen.“. Solche Attributionsmuster führen zu erhöhter Frustration und Angst vor Leistungssituationen. Ein solcher selbstwertschädlicher Attributionsstil kann sich durch gehäufte Misserfolge (in der Schule) entwickeln. Dabei haben Lehrer*innen einen Einfluss darauf, wie Schüler*innen ihre Leistung wahrnehmen. Wenn einzelne Schüler*innen in ihrer individuellen Entwicklung betrachtet (individuelle Bezugsnormorientierung), bewertet und gelobt werden, lernen sie eher, dass sie Einfluss auf ihre Leistung durch Anstrengung und Mühe haben können (Rheinberg 1987; vgl. Kray & Schaefer 2018).

Soziale Entwicklung und Freundschaften

Im Laufe der Kindheit verändert sich das Verständnis von Freundschaft. Im Vorschulalter bezeichnen Kinder andere Kinder als ihre Freunde, wenn sie gerne mit ihnen spielen (Selman 1984). Im Grundschulalter wächst das Verständnis dafür, dass Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruht, man Kompromisse eingehen und einen potenziell anderen Standpunkt des Gegenübers akzeptieren muss. Gegenseitige Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit sind in dem Alter bereits wichtige Kriterien für eine Freundschaft. Kindern mit einer höheren sozialen Kompetenz fällt es leichter, soziale Signale richtig zu deuten, sodass sie weniger impulsiv Kontakt aufnehmen und deshalb schneller akzeptiert werden (vgl. Kray & Schaefer 2018).

5 Jugendalter (12–19 Jahre)

5.1 Körperliche Veränderungen in der Pubertät

Körpergröße und -gewicht

Eine zentrale körperliche Veränderung während der Pubertät ist die Körpergröße: Mädchen erleben zwischen 10 und 14 Jahren und Jungen zwischen 12 und 16 Jahren einen Wachstumsschub, wobei das Wachstum bei Mädchen ab 16 Jahren und bei Jungen ab 18 Jahren als abgeschlossen gilt (vgl. Weichold & Silbereisen 2018).

Primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale

Im Alter zwischen 11 und 12 Jahren entwickeln sich bei Jungen die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Etwas später erfolgt der Stimmbruch. Bei Mädchen entwickeln sich die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale zwischen 11 und 15 Jahren. Die Entwicklung der inneren Geschlechtsorgane erfolgt im Zeitraum von 12 bis 13 Jahren. Um das zwölfte Lebensjahr herum kommt es zur ersten Regelblutung (vgl. Weichold & Silbereisen 2018). Viele der körperlichen Veränderungen sind auf die endokrine (hormonelle) Entwicklung zurückzuführen.

Neuronale Veränderungen

Das Gehirn weist im Alter von 4–21 Jahren erhebliche strukturelle Veränderungen auf (Gogtay et al. 2004). Die weiße Hirnsubstanz wächst, die Myelinisierung (Ummantelung) der Zellen verstärkt sich also, während die graue Hirnsubstanz zurückgeht, was für eine Verringerung der Nervenzellen spricht. Durch die Verstärkung vorhandener Synapsen (Verbindungen zwischen Nervenzellen) kommt es zu einer schnelleren und effizienteren Informationsverarbeitung. Die unterschiedlichen Teile des Gehirns reifen dabei nicht zeitgleich voran (Heterochronizität). Zuerst entwickeln sich die Regionen, die für basale Funktionen, wie Sprache, räumliche Orientierung und Aufmerksamkeit zuständig sind und im okzipitalen und frontalen Bereich liegen. Später entwickeln sich die Areale weiter, die für Motorik und exekutive Funktionen verantwortlich sind, wie beispielsweise der präfrontale Kortex (vgl. Weichold & Silbereisen 2018).

Mit der zunehmenden Entwicklung des Gehirns zeigen sich auch Verbesserungen in kognitiven Fähigkeiten. Im frühen Jugendalter nimmt die sprachliche Intelligenz zu (Schneider et al. 2009), die nicht sprachliche Intelligenz entwickelt sich über das gesamte Jugendalter hinweg weiter. Außerdem verbessern sich Arbeitsgedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Problemlösen während der jugendlichen Altersspanne (vgl. Weichold & Silbereisen 2018).

5.2 Soziale Entwicklungskontexte

Familie

Die Beziehung zu den Eltern verändert sich zu Beginn der Adoleszenz, unter anderem, weil zunehmend mehr Zeit in anderen sozialen Kontexten als der Familie verbracht wird. Obwohl die Eltern-Kind-Beziehung sich in der Regel weiterhin durch Wärme und emotionale Unterstützung auszeichnet, kommt es in der Mitte des Jugendalters häufig zu alltäglichen Konflikten, die die positive Grundstimmung negativ beeinflussen können (Laursen & Collins 2009). Dies hängt mit der sogenannten Individuation zusammen (Grotevant & Cooper 1986). Individuation bezeichnet den Transformationsprozess des Verhältnisses von wechselseitiger emotionaler Verbundenheit und wachsender Autonomie auf Seiten der/des Jugendlichen. Mit zunehmender Zeit erlangen die Jugendlichen mehr Autonomie und treffen ihre Entscheidungen meist alleine, was zu einer Abnahme des Konfliktpotenzials führen kann (vgl. Weichold & Silbereisen 2018).

Peers und Identitätsentwicklung

Im Jugendalter gewinnen Gleichaltrige (Peers) an erhöhter Bedeutung, da in diesem sozialen Kontext mehr autonome Zeit verbracht wird als in den Lebensphasen zuvor. Peers werden von engen Freund*innen unterschieden, an die man sich wendet, wenn man Probleme hat. Peers sind eine wichtige Hilfe für die Bewältigung von (sozialen) Entwicklungsaufgaben. Beispielsweise ist die Definition über eine Zugehörigkeit zur Gruppe wichtig für die Identitätsentwicklung von Jugendlichen. Identitätsentwicklung findet in unterschiedlichen Bereichen statt. Laut Erikson (2005) wird zum einen an der Identifizierung aus der Kindheit festgehalten und zum anderen werden neue Rollen und Werte ausprobiert. Die Anwesenheit von Peers kann aber auch dafür sorgen, dass das Risikoverhalten bei Jugendlichen ansteigt (Chein et al. 2011). Eine verstärkte Abgrenzung von Eltern und anderen Erwachsenen erfolgt durch die sogenannte Jugendkultur. Zur Jugendkultur gehört beispielsweise die Schule, Vereine außerhalb der Schule, identitätsstiftende Gruppierungen, über das Internet vermittelte Werte, Kleidung, Musik etc. (vgl. Weichold & Silbereisen 2018).

Intime Beziehungen

Die Annäherung an das andere Geschlecht geschieht häufig auf spielerische Art und Weise. Das Ganze geschieht aus für diese Phase typischen Vorstellungen über romantische Beziehungen heraus, die es zu dieser Zeit noch nicht gegeben hat. Aus den Annäherungen entwickeln sich gemischtgeschlechtliche Gruppen, was die Basis für zunächst kurzfristige romantische Beziehungen werden kann. Im Laufe der Zeit werden die Beziehungen zunehmend länger und der Altersunterschied vergrößert sich. Brown (1999) beschreibt den Beziehungsprozess in vier Phasen: „Initiation“, „Status“, „Affection“ und „Bonding“. Dabei tastet man sich zuerst aus der Peergroup heraus, sucht sich eine/einen Partner*in, die/der von der Peergroup akzeptiert wird, konzentriert sich dann auf die/den Partner*in selbst und entwickelt Gefühle. Homosexuelle Beziehungen sind in diesem Alter eher selten. Das zeigt sich auch darin, dass nur 10 % derer, die den Wunsch nach homosexuellen Partnerschaften haben, diesen auch ausleben, während es unter den heterosexuellen Personen 65 % sind (vgl. Weichold & Silbereisen 2018).

6 Zusammenfassung und Fazit

Allen Entwicklungsphasen lassen sich unterschiedliche Entwicklungsmeilensteine und Entwicklungsaufgaben zuordnen, die sich je nach Bereich der Entwicklung unterscheiden. Über die Entwicklungsbereiche kognitive, motorische und sozio-emotionale Entwicklung hinweg vollzieht sich die Entwicklung unterschiedlich schnell und kann sich interindividuell unterscheiden. Der Entwicklungsverlauf bzw. der Entwicklungsstand muss nicht in allen Entwicklungsbereichen gleich sein, sondern kann in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen differieren. Gleichzeitig steht die Entwicklung in den einzelnen Bereichen in enger Wechselwirkung zueinander (vgl. Lohaus & Vierhaus 2015). Das Meilensteinprinzip (vgl. Michaelis & Niemann 2017) beschreibt bestimmte Entwicklungs-Knotenpunkte (Fertigkeiten), die im Rahmen einer gesunden Entwicklung zu jeweils bestimmten Alterszeitpunkten von etwa 90–95 % aller gesunden Kinder erreicht werden. Diese wurden im Obigen im Detail beschrieben.

Für Fachkräfte, die im Kinderschutzbereich tätig sind, ist ein Grundverständnis über relevante Entwicklungsmeilensteine und Entwicklungsaufgaben für einen gesunden Entwicklungsverlauf zentral, um pathologische Abweichungen erkennen und einordnen zu können. Nur so kann eine Bewertung des Schädigungskriteriums im Sinne des § 1666 BGB aus einer psychologischen Perspektive vorgenommen werden. Entwicklungspsychologische Kenntnisse sind zudem zur Erfassung und Beurteilung von kindlichen Aussagen von hoher Relevanz, wenn auf dieser Basis Rückschlüsse auf rechtspsychologische Kindeswohlkriterien gezogen werden sollen.