1 Der Kindeswohlbegriff

Das Kindeswohl ist der wesentliche Maßstab im Kindschaftsrecht und gilt als herausragende Leitlinie im familiengerichtlichen Verfahren. Das Kindeswohl wird teils als Generalklausel und teils als unbestimmter und wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff bezeichnet, der nicht allgemeingültig festgelegt ist und im Einzelfall präzisiert werden muss (vgl. § 1697a BGB; Balloff 2018). In der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1989 wird in Artikel 3 das Wohl des Kindes als ein Gesichtspunkt festgelegt, der bei allen staatlichen und behördlichen Entscheidungen, Eingriffen und Maßnahmen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist. In Deutschland liefert das Grundgesetz zentrale normative Bezugspunkte für die Konkretisierung des Kindeswohlbegriffs. So sind Kinder als Grundrechtsträger Personen mit eigener Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), mit dem Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Recht auf Schutz ihres Eigentums und Vermögens (Art. 14 Abs. 1 GG).

Der juristische Grundgedanke des Kindeswohls wird in § 1 Abs. 1 SGB VIII formuliert: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf Schutz und Förderung als wesentliche Kriterien des Kindeswohls und beschreibt die Verantwortung der Eltern darin, Umstände zu schaffen, in denen sich das Kind zu einer „eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln“ kann (BVerfG 29.7.1968 – 1 BvL 20/63, 1 BvL 31/66, 1 BvL 5/67). Neben dem gegenwärtigen Schutz vor Gefahren, begründet der Bezug auf die Entwicklungserfordernisse des Kindes auch eine Zukunftsorientierung des Kindeswohlbegriffs. „Das aus den Grundrechten abzuleitende Kindeswohl umfasst daher nicht nur den Ist-Zustand des Kindes oder des/der Jugendlichen, sondern auch den Prozess der Entwicklung zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit“ (Schmid & Meysen 2006, S. 2).

Damit rekurrieren juristische Definitionen auf primär psychologische Konstrukte, wie die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen. Problematisch ist, dass für den Kindeswohlbegriff als psychologisches und latentes Konstrukt durchaus Divergenzen hinsichtlich der Definition und Operationalisierung bestehen, d. h. es bestehen zum Teil erhebliche Differenzen in der Messbarmachung durch beobachtbare Indikatoren (vgl. Zumbach et al. 2020).

In der deutschsprachigen familienrechtspsychologischen Literatur wird das Kindeswohl definiert als „die für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen günstige Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen“. Hierbei werden „Bedürfnisse“ als Entwicklungserfordernisse definiert. „Günstig“ meint, „wenn die Lebensbedingungen die Befriedigung der Bedürfnisse insoweit ermöglichen, dass die sozialen und altersgemäßen Durchschnittserwartungen an körperliche, seelische und geistige Entwicklung erfüllt werden“ (Dettenborn & Walter 2016, S. 70 f.). Die Autoren weisen darauf hin, dass individuelle Entwicklungserfordernisse eines konkreten Kindes ebenso miteinbezogen werden sollten.

Allerdings berücksichtigt diese Definition den Aspekt, das Kind als Träger von verfassungsrechtlich geschützten Grundrechten anzusehen, nicht vollumfänglich (Balloff 2018). Das Bundesverfassungsgericht beruft sich bei Entscheidungen zum Kindeswohl vorrangig auf die aktuelle wie auch zukünftige Bedürfnislage des Kindes sowie auf das elterliche, auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmte, Verhalten. Das Bundesverfassungsgericht fordert eine konkrete und individuelle Abwägung der kurz- und mittelfristigen „Auswirkungen [des elterlichen Verhaltens] auf das Kind und seine Persönlichkeitsentwicklung“ (BVerfG 7.12.2017 – 1 BvR 1914/17). Hierbei wird dem Kindeswillen eine besondere Bedeutung beigemessen. „Die Grundrechte des Kindes gebieten, bei der gerichtlichen Sorgerechtsregelung den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist“ (BVerfG 1 BvR 1914/17 – 1 BvR 1914/17; grundlegend BVerfG 5.11.1980 – 1 BvR 349/80). „Mit der Kundgabe seines Willens macht das Kind von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch. Hat der Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringes Gewicht, so kommt ihm im zunehmenden Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu“ (BVerfG 1 BvR 1914/17 – 1 BvR 1914/17).

Zur Kindeswohlgefährdung kommt es folglich dann, wenn die in diesem Sinne relevanten Entwicklungsbedürfnisse des Kindes in erheblichem Maße nicht mehr ausreichend erfüllt werden. In der Rechtsprechung hat sich die Definition der Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB als „eine gegenwärtige, und zwar in einem solchen Maß vorhandene Gefahr […], daß sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen läßt“ etabliert (grundlegend BGH 14.7.1956 – IV ZB 32/56; mehr zum Kindeswillen in Kinderschutzverfahren s. a. Berücksichtigung des Kindeswillens in Kinderschutzverfahren [Kap. 6]).

2 Entwicklung und Entwicklungsbereiche

In der psychologischen Literatur wird Entwicklung definiert als „relativ überdauernde intraindividuelle Veränderungen des Erlebens und Verhaltens über die Zeit hinweg“ (Lohaus & Vierhaus 2015, S. 2). Zentrale Aufgabe der Entwicklungspsychologie ist somit die Beschreibung und die Erklärung von Entwicklungsveränderungen eines Individuums über die Zeit hinweg (z. B. die Veränderung der intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen im Laufe seiner Kindheit). Befindlichkeitsänderungen, die in der Regel eher vorübergehender Natur sind und nicht mit einer Weiterentwicklung des Individuums verknüpft sind, oder Veränderungen, die durch abrupt eintretende Ereignisse zustande kommen (z. B. eine kurzfristige Einschränkung von Gedächtnisfunktionen nach Unfällen), gelten hingegen nicht als Entwicklung bzw. Entwicklungsveränderungen. Ist jedoch in Folge eines abrupt eintretenden Ereignisses (z. B. nach einem Unfall) eine Neuanpassung des Individuums notwendig, die neue Entwicklungsprozesse erforderlich macht (z. B. aufgrund längerfristig eingeschränkter Funktionsbereiche wie z. B. dem Gedächtnis), kann es sich wiederum um intraindividuelle Veränderungen im Erleben und Verhalten im entwicklungspsychologischen Verständnis handeln (vgl. Lohaus & Vierhaus 2015).

Entwicklung endet nicht im frühen Erwachsenenalter. In jedem Alter ist in spezifischen Feldern ein Wachstum möglich (z. B. Zugewinn als Wissen, Expertise). Die Entwicklungspsychologie betrachtet somit über die Lebensspanne hinweg interindividuell unterschiedliche Verläufe. Innerhalb der Entwicklungstheorien hat das Kindes- und Jugendalter jedoch einen besonderen Stellenwert, was sich darin begründet, dass Entwicklung in diesen Altersabschnitten besonders schnell vonstattengeht. Unter die anwendungsorientierten Aufgaben der Entwicklungspsychologie fallen beispielsweise die Bestimmung des aktuellen (kindlichen) Entwicklungsstandes, die Prognose des zukünftigen Entwicklungsstandes und die Bereitstellung von Möglichkeiten zur Beeinflussung des Entwicklungsverlaufs.

Im Kontext der Erfassung und Prognose von Kindeswohlgefährdungen hat die Anwendung von entwicklungspsychologischen Theorien und Instrumenten (z. B. Entwicklungstests) eine hohe Bedeutung: Zum einen müssen regelmäßig bereits eingetretene Schädigungen des kindlichen Wohls festgestellt werden, die sich in Entwicklungsverzögerungen oder psychischen Auffälligkeiten niederschlagen können. Dabei müssen hieraus unter anderem individuelle kindliche Entwicklungsbedürfnisse bestimmt werden. Zum anderen muss eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit zukünftig eintretender Schädigungen des kindlichen Wohls und damit eine Prognose über den weiteren Entwicklungsverlauf unter bestimmten Bedingungen getroffen werden. Eine entsprechende, wissenschaftlich vertretbare Diagnostik und Prognostik sind ohne Bezug auf entwicklungspsychologische Theorien und Instrumente nicht denkbar.

Die Durchführung und Bewertung der (entwicklungs-) psychologischen Diagnostik und Prognostik im Kinderschutzverfahren kommt im engeren Sinne in erster Linie den beteiligten psychologischen Fachkräften zu (z. B. psychologischen Sachverständigen, vgl. dazu Zumbach et al. 2020). Dennoch sollten alle Fachkräfte, die in Kinderschutzverfahren tätig sind, mit entwicklungspsychologischen Bezugserkenntnissen vertraut sein, um notwendigerweise zusammenfließende Kenntnisse aus den verschiedenen beteiligten Disziplinen bestmöglich miteinander verknüpfen zu können und eine optimale einzelfallbezogene Gesamteinschätzung zu gewährleisten.

In diesem Kontext ist es wichtig hervorzuheben, dass neuere entwicklungspsychologische Theorien davon ausgehen, dass Entwicklung kein einheitliches Phänomen ist, sondern dass sich zentrale Funktionsbereiche (sogenannte Entwicklungsbereiche bzw. Entwicklungsdimensionen) differenzieren lassen. Unterteilt werden die Entwicklungsbereiche in (vgl. Lohaus & Vierhaus 2015):

  • kognitive Entwicklung (d. h. die Denkentwicklung),

  • motorische Entwicklung (d. h. die Entwicklung körperlicher Bewegungsabläufe),

  • Sprachentwicklung (d. h. die Entwicklung des Verstehens und Produzierens von Sprache),

  • emotionale Entwicklung (d. h. die Entwicklung des Erkennens, Ausdrückens und konstruktiven Bewältigens von Gefühlen)

  • soziale Entwicklung (d. h. die Entwicklung von Fähigkeiten, Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen und aufrechtzuerhalten).

Der Entwicklungsverlauf bzw. der Entwicklungsstand muss nicht in allen Entwicklungsbereichen gleich sein, sondern kann in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen differieren. Gleichzeitig steht die Entwicklung in den einzelnen Bereichen in enger Wechselwirkung zueinander (vgl. Lohaus & Vierhaus 2015).

Eine Skizze der verschiedenen Entwicklungsbereiche, die in der entwicklungspsychologischen Forschung identifiziert wurden, mit Beispielen zugehöriger Funktionen liefert Abb. 8.1 (vgl. Lohaus & Vierhaus 2015). Ein detaillierter Überblick über einen Verlauf der kindlichen Entwicklung vom Säuglings- bis ins Jugendalter wird im nachfolgenden Text Bereiche und Phasen der kindlichen Entwicklung [Kap. 9] gegeben.

Abb. 8.1
figure 1

Skizze zentraler Funktionsbereiche in der Entwicklung und Beispiele zugehöriger Funktionen. (vgl. Lohaus & Vierhaus 2015)

3 Das biopsychosozialeErklärungsmodell zur Entstehung von Entwicklungsabweichungen und psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter

In Abgrenzung zur entwicklungspsychologischen Forschung, die sich vorwiegend mit der gesunden Entwicklung menschlichen Erlebens und Verhaltens beschäftigt, bietet die entwicklungspsychopathologische Forschung ein Erklärungskonzept für die Entstehung von Entwicklungsabweichungen und psychischen Störungen im Entwicklungsverlauf (Cicchetti 1990; Resch & Parzer 2014; Rutter 2013; Sroufe & Rutter 1984). Da sich in Kinderschutzfällen häufig die Frage nach dem Vorliegen oder der Vorhersage von Entwicklungsabweichungen und Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen stellt, sollen die wesentlichen entwicklungspsychopathologischen Modelle und Begriffe im Folgenden kurz erläutert werden.

Wichtig ist anzumerken, dass diese entwicklungspsychopathologischen Konzepte nicht primär die Entstehung von Kindeswohlgefährdungen erklären wollen, sondern die mögliche Entstehung der mitunter sehr negativen Folgen von Kindeswohlgefährdungen für die kindliche Entwicklung. Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und Missbrauch gelten als eindeutig identifizierte Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung, die in der deutlichen Mehrheit aller Fälle mit negativen Folgen für die Kinder und Jugendlichen einhergehen. Diese können sich in Entwicklungsabweichungen und psychischen Verhaltensauffälligkeiten zeigen (vgl. Cicchetti et al. 2012).

Auf Basis der entwicklungspsychopathologischen Forschung lässt sich festhalten, dass für die Entstehung von Entwicklungsabweichungen grundsätzlich eine Vielzahl von möglichen Einflussgrößen in Frage kommt. Es wird angenommen, dass diese Einflussgrößen im Sinne eines biopsychosozialen Modells auf mehreren Ebenen interagieren. Das biopsychosoziale Modell beschreibt die multifaktorielle Begründung von Entwicklungsabweichungen durch komplexe Wechselwirkungen von neurobiologischen, genetischen und psychosozialen Einflüssen (Caspi & Moffitt 2006; Resch & Parzer 2014; Sameroff 2000; Sameroff & Rosenblum 2006; Sameroff & Seifer 1990; Steinhausen 2010).

Ein psychopathologisches Symptom ist nach diesem Verständnis als Anpassungswert an Entwicklungsanforderungen vor dem Hintergrund dieser biopsychosozialen Wechselwirkungen zu verstehen. Symptome stellen in einem bestimmten Zeitfenster die bestmögliche Anpassung einer Person dar, die in ihrer Ressourcenlage realisierbar ist. Ein Symptom ist somit nicht per se ein Krankheitszeichen, sondern im individuellen Fall die beste Lösung für die Diskrepanz zwischen Anforderungen und Ressourcen, vor dem Hintergrund der jeweils individuell zusammenwirkenden somatischen, sozialen, kognitiven und emotionalen Bedingungen (Resch & Parzer 2014). So kann beispielsweise aggressives Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen als Überlebensstrategie in einem pathologischen familiären Umfeld verstanden werden, in welchem einem Kind aggressives Verhalten systematisch als Handlungsalternative vorgelebt und antrainiert wird (vgl. Petermann & Koglin 2013).

Selten lassen sich isolierte Faktoren bestimmen, um einen bestimmten Entwicklungsverlauf zu erklären, meist ist von einem multifaktoriellen Ursachenmodell auszugehen. Es liegt eine große Anzahl an Studien vor, die konsistent biologische, psychologische und soziale Risikofaktoren für die Entstehung von Entwicklungsabweichungen und Pathologie aufzeigen (Ihle et al. 2002; Loeber et al. 2001; Moffitt & Caspi 2001). Risikofaktoren werden als „krankheitsbegünstigende, risikoerhöhende und entwicklungshemmende Merkmale“ definiert (Holtmann & Schmidt 2004, S. 196), deren Wirkweise im Zusammenhang mit der Vulnerabilität (Anfälligkeit) einer Person steht (Caspi & Moffitt 2006; Holtmann & Schmidt 2004; Monroe & Simons 1991; Rutter 1987). Risikofaktoren (wie z. B. Kindesmisshandlung, elterliche Psychopathologie, chronische familiäre Konflikthaftigkeit, ein niedriger sozioökonomischer Status) werden als relativ gut belegte Korrelate und Prädiktoren ungünstiger Entwicklungsverläufe betrachtet (Egle et al. 1997; Holtmann & Schmidt 2004; Ihle et al. 2002; Laucht et al. 2002; Rutter 1989; Werner 1993; Werner & Smith 2001).

Dem gegenüber stehen Schutzfaktoren (auch protektive Faktoren oder Ressourcen), die die Auswirkungen von Risikofaktoren modifizieren und die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Entwicklungsabweichungen und psychischen Störungen trotz Vorliegen von Risikofaktoren abschwächen. Schutzfaktoren ermöglichen die gesunde und kompetente Entwicklung trotz schwieriger Lebensumstände sowie die relativ eigenständige Erholung von einem Störungszustand (Egle et al. 1997; Rutter 1985). Diese stehen im Zusammenhang mit der Resilienz (Widerstandsfähigkeit), ein Konzept, welches einen „dynamischen oder kompensatorischen Prozess positiver Anpassung angesichts bedeutender Belastungen“ beschreibt (Holtmann & Schmidt 2004, S. 196; Rutter 1985, 1987).

Nach Caspi und Moffitt (2006) beschreibt der sogenannte Gen-Umwelt-Interaktionsansatz, dass Gene die Anfälligkeit für Umweltpathogene (schädliche Umwelteinflüsse) beeinflussen, während die Umweltpathogene die Entstehung einer psychischen Störung verursachen. Umweltfaktoren stellen somit eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Entstehen einer psychischen Störung dar. Diese Hypothese der genetischen Moderation impliziert, dass Unterschiede zwischen Individuen, die aus der Desoxyribonukleinsäure-Sequenz (DNA) stammen, Unterschiede in ihrer Widerstandsfähigkeit (Resilienz) oder Anfälligkeit (Vulnerabilität) gegenüber den Umweltursachen bewirken. In Folge bewirken diese auch je nach Veranlagung Unterschiede in der Ausbildung pathologischer Zustände von Körper und Psyche.

Die Wirkweise von Risiko- und Schutzfaktoren ist grundsätzlich nicht kausal zu verstehen: Rutter (1987) betont, dass durch den Risikofaktor (bzw. die Risikofaktoren) ein Prozess oder Mechanismus ausgelöst wird, der die Funktion und somit das eigentliche Risiko bestimmt (Rutter 1985, 1987, 2009). Zentral ist somit nicht lediglich die Identifikation von Risiko- und Schutzfaktoren, sondern die Analyse der Interaktion zwischen Risiko- und Schutzfaktoren vor dem Hintergrund der Vulnerabilität einer Person, was in einer individuellen Risikobestimmung im Einzelfall mündet.

Risikomechanismen variieren intraindividuell mit dem Alter und Entwicklungsstand einer Person (Rutter 2009). Hinweise liegen zudem auf moderierende Einflüsse des Fortbestehens der Risikobedingung sowie des Geschlechts vor (Rutter 1989; Werner & Smith 2001). Eine Häufung und das Zusammenwirken von mehreren Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von psychischer Erkrankung erheblich. Belastungen einer Familie treten in der Regel nicht isoliert auf, sondern ziehen weitere nach sich, das heißt Risikofaktoren sind häufig miteinander verknüpft (z. B. Verknüpfung von einem niedrigen Sozialstatus mit finanziellen Problemen, Partnerschaftskonflikten, chronischen emotionalen Belastungen und Interaktionsproblemen in der Eltern-Kind-Beziehung). Neben der Art ist somit auch die Anzahl der vorliegenden Risikofaktoren entscheidend für die Ausprägung von psychopathologischem Verhalten (vgl. Petermann & Koglin 2013).

Für isolierte Folgen einzelner Risikofaktoren im Sinne einer spezifischen Wirkung (z. B. die Entstehung bestimmter psychischer Störungen in Folge spezifisch vorliegender Risikofaktoren) besteht kaum empirische Evidenz (Caspi et al. 2014; Laucht et al. 2000a, b, c). Beispielsweise sind Partnerschaftsprobleme der Eltern oder ein geringer Sozialstatus der Familie eher unspezifische Risiken für verschiedene Fehlanpassungen im Kindesalter (vgl. Angold & Costello 1993). Sie können auch als sogenannte distale Risikofaktoren bezeichnet werden, weil sie indirekt über andere einwirken. So können sich, an das obige Beispiel anknüpfend, beispielsweise finanzielle Probleme aus den daraus folgenden emotionalen Belastungen negativ auf das Erziehungsverhalten der Eltern auswirken. Ungünstige Erziehungspraktiken der Eltern stellen hingegen ein Beispiel für sogenannte proximale Risikofaktoren dar, die für gewöhnlich direkt negative Auswirkungen auf das Kind haben (Rutter 2009).

Entwicklungsfolgen beim Kind können für ein breites Spektrum an Entwicklungsbereichen angenommen werden (Caspi et al. 2014). Während eine bestimmte Risikobedingung bei einem Kind beispielsweise zur Ausprägung von aggressivem Verhalten beitragen kann, können bei einem anderen Kind ängstliches oder depressives Verhalten entstehen. Somit ist umgekehrt ein eindeutiger Rückschluss vom Vorliegen von bestimmten Symptomen auf eine bestimmte Risikobedingung (wie z. B. eine stattgefundene Misshandlung bzw. Missbrauch/Vernachlässigung) nicht möglich. Einheitliche bzw. spezifische Folgen von Vernachlässigung, Misshandlung, oder Missbrauch sind nicht zu erwarten (vgl. Volbert & Kuhle 2019).

Zusammenfassend lassen sich aus einem prominenten Entwicklungspfadmodell von Sroufe (1997) fünf Kernaussagen zur Entstehung psychischer Störungen beschreiben:

  1. 1.

    Psychische Störungen sind Abweichungen, die über die Zeit auftreten. Scheitert ein Kind an bestimmten Entwicklungsaufgaben, platziert es sich damit in Richtung eines Pfades, der zur Fehlanpassung führen kann. Das Scheitern an Entwicklungsaufgaben kann beispielsweise durch Risikoeinflüsse begünstigt werden.

  2. 2.

    Multiple Entwicklungswege können zu einem ähnlichen Ergebnis führen: Obwohl Kinder auf verschiedenen Pfaden ihre Entwicklung starten, können diese später konvergieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zwei Kinder ähnliches aggressives Verhalten zeigen, diese aber verschiedene Risikokonstellationen aufweisen.

  3. 3.

    Ähnliche Entwicklungspfade können zu einem unterschiedlichen Entwicklungsergebnis führen. Kinder, die unter ähnlichen Risikobedingungen aufwachsen, können sich im Entwicklungsergebnis deutlich unterscheiden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zwei Geschwisterkinder, die unter ähnlichen Risikobedingungen aufwachsen einerseits aggressives und andererseits ängstliches oder depressives Verhalten zeigen.

  4. 4.

    Entwicklungsveränderungen sind an vielen Punkten möglich: Frühe Abweichungen müssen nicht zwangsläufig zu einem negativen Entwicklungsergebnis führen. Veränderungen in der Umwelt des Kindes oder die erfolgreiche Bewältigung von Entwicklungsaufgaben (z. B. der Schuleintritt) können zum Wechsel auf einen positiven Entwicklungspfad führen.

  5. 5.

    Veränderungen sind abhängig von der bisherigen Entwicklung eines Kindes. Je länger sich ein Kind auf einem negativen Entwicklungspfad befindet, desto unwahrscheinlicher wird eine zukünftige positive Entwicklung.

4 Kindeswohl und Entwicklung

Bei der Fallgruppe von Kindern und Jugendlichen, die ein Kinderschutzverfahren durchlaufen, ist im Sinne der dargelegten theoretischen Annahmen von einer Hochrisikogruppe auszugehen, innerhalb derer in der Regel individuelle Wirkmechanismen von Risikobedingungen variieren (vgl. Zumbach 2017). Häufig hat sich die oftmals multiple Risikobelastung in der psychischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen bereits deutlich niedergeschlagen (vgl. Zumbach 2016, 2017; Zumbach et al. 2016). An einer Stichprobe über nahezu 500 Kinder und Jugendliche (N = 496), die in deutschen familienrechtlichen Verfahren psychologisch begutachtet wurden, zeigte sich, dass in fast 40 % der Fälle bereits eine Schädigung des Kindes (im Sinne einer psychischen oder Entwicklungsauffälligkeit) festgestellt werden konnte (Zumbach et al. 2016). Es traten Symptome aus einem breiten Spektrum an Störungsbereichen des Kindes- und Jugendalters mit Krankheitswerts nach ICD-10 in der Stichprobe auf (Zumbach 2017; Zumbach et al. 2018).

Zur Erläuterung des Zusammenhangs von Kindeswohl und kindlicher Entwicklung ergeben sich vor diesem Hintergrund die folgenden Überlegungen. Nach der oben genannten Definition wird eine Orientierung am Kindeswohl als eine Herstellung von Entwicklungsbedingungen für ein Kind betrachtet, welche eine altersgemäß durchschnittliche körperliche, geistige und seelische Entwicklung unter Berücksichtigung der individuellen Entwicklungserfordernisse ermöglichen (Dettenborn & Walter 2016). Daraus folgt: Um eine positive Persönlichkeitsentwicklung aus kindeswohlorientierter Sicht zu ermöglichen, ist eine Grundsicherung der kindlichen Entwicklungsbedürfnisse durch die Bezugspersonen zu gewährleisten.

Die Befriedigung der kindlichen Entwicklungsbedürfnisse steht dabei im engen Zusammenhang mit den elterlichen Kompetenzen und der jeweiligen Erziehungsfähigkeit der Bezugspersonen (vgl. Zumbach et al. 2020; Zumbach & Oster 2020). Erziehungsfähigkeit bedeutet nach Dettenborn und Walter (2016), an den Bedürfnissen und Fähigkeiten eines Kindes orientierte Erziehungsziele und Erziehungseinstellungen auf der Grundlage angemessener Erziehungskenntnisse auszubilden und unter Einsatz ausreichender persönlicher Kompetenzen in der Interaktion mit dem Kind in kindeswohldienliches Erziehungsverhalten umsetzen zu können. Pawils et al. (2014, S. 288) definieren die Erziehungsfähigkeit als die „multidimensionale Fähigkeit von Eltern, Verantwortung für Kinder zu übernehmen und Kinder zu erziehen“. Steinhauer (1983) fasst sich noch knapper und beschreibt Erziehungsfähigkeit als die elterliche Fähigkeit, die grundlegenden Entwicklungsbedürfnisse des Kindes zu erfüllen (mehr zur Erziehungsfähigkeit und -bereitschaft Kap. 26, 27 und 28).

In Kinderschutzverfahren ist häufig die Grenze einer noch ausreichenden Erziehungsfähigkeit von Eltern jeweils individuell und fallspezifisch zu bestimmen. Entscheidend ist dabei die Passung zwischen Fähigkeiten des Erziehenden und Bedürfnissen des Kindes (Dettenborn & Walter 2016). Letztlich ist somit nicht zu klären, ob die Eltern erziehungsfähig, sondern vielmehr ob die Eltern an der Schwelle zur Erziehungsunfähigkeit sind. Im Kontext des § 1666 BGB wird der Begriff der Erziehungsfähigkeit als eine Art Komplementärbegriff verwendet, sodass aus einer erheblichen Einschränkung der elterlichen Erziehungsfähigkeit auf eine Kindeswohlgefährdung geschlossen wird (Schwabe-Höllein & Kindler 2006).

Eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Eltern geht häufig mit einem – oft kumulativen – Zusammenwirken von proximalen und distalen kind- und elternbezogenen Vulnerabilitäts- und Risikofaktoren einher. Im Begutachtungskontext häufig vorgefundene familiäre Risikofaktoren beinhalten zum Beispiel psychische Erkrankungen eines Elternteils, Substanzkonsum eines Elternteils, innerfamiliäre Gewalt oder dysfunktionales elterliches Erziehungsverhalten sowie kumulative Risikobelastungen (vgl. Heiß & Castellanos 2013).

Das folgende Fallbeispiel verdeutlicht, wie verschiedene Risikobedingungen, darunter elterliche kindeswohlgefährdende Verhaltensweisen, zusammenwirken und in erheblichen Entwicklungsabweichungen und Verhaltensauffälligkeiten münden (vgl. Petermann & Koglin 2013).

Fallbeispiel

Sven ist das älteste von sechs Kindern. Svens Vater arbeitet bei einem Sicherheitsdienst, während die Mutter keine Berufsausbildung hat. Die Familie erhält ergänzende Leistungen nach SGB II. Die Ehe der Eltern ist von vielen Konflikten geprägt. Oft kommt es zu Prügelattacken des Vaters gegen die Mutter und auch gegen die Kinder. Die Mutter zieht sich zurück und trinkt regelmäßig Alkohol. Für die Mutter liegt die Diagnose einer Major Depression vor, es gab zwei stationäre Klinikaufenthalte in der Vergangenheit, aktuell gibt es keine Behandlung. Die Mutter schildert eine eigene Überforderung in der Versorgung der Kinder und der Organisation des häuslichen Alltags.

Sven fällt bereits im Kindergarten und dann in der Grundschule durch aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern auf. Er beginnt, Tiere zu quälen, darunter die Katze der Nachbarn. Als der Nachbarsjunge ihn verpetzt, tritt er ihn vom Fahrrad. Die Eltern lassen sich scheiden und Sven will zunächst beim Vater leben. Da er dort weiterhin körperliche Gewalt erfährt, zieht er nach einem Jahr zur Mutter. Mit neun Jahren beginnt Sven ebenfalls, Alkohol zu trinken, mit zwölf Jahren trinkt er bereits täglich. Ab dem 15. Lebensjahr steht Sven wiederholt vor dem Jugendrichter. Es liegen Delikte von Körperverletzung, Sachbeschädigung und Diebstahl vor, weshalb er bereits zwei Arreste absitzen musste. Die achte Hauptschulklasse beginnt er zum dritten Mal zu absolvieren. Aktuell geht Sven gar nicht mehr zur Schule.

Es stellt sich die Frage, ob Sven jemals die Chance auf eine normale Entwicklung hatte. Seit seiner Geburt war er negativen Einflüssen ausgesetzt, sodass kaum ein isolierter Faktor bestimmt werden kann, um seinen Entwicklungsverlauf zu erklären. Die Scheidung von Svens Eltern, die Alkoholabhängigkeit und Depression seiner Mutter und die innerfamiliäre Gewalt, die er erlebte, sind Beispiele für in diesem Sinne kumulativ wirkende Risikofaktoren.

Die beschriebenen entwicklungspsychopathologischen Konzepte helfen somit dabei zu erklären, warum sich Kinder wie Sven in der beschriebenen Form entwickeln. Aus den zentralen Kernaussagen (vgl. Sroufe 1997), die im Obigen dargelegt wurden, leitet sich jedoch ab, dass auch für Sven eine hoffnungslose Haltung nicht angemessen ist. Für ihn sind intensive Maßnahmen nötig, um die zahlreichen Belastungen und bestehenden Probleme zu reduzieren. Die Wahrscheinlichkeit, im Erwachsenenalter zu einem gut angepassten Mitglied der Gesellschaft zu werden, muss für ihn jedoch deutlich geringer eingeschätzt werden als für andere Jugendliche (vgl. Petermann & Koglin 2013).

Abschließend ist wichtig zu betonen, dass hinsichtlich einer Interventionsplanung getrennt durchdacht werden muss, ob Risikofaktoren vorliegen bzw. adressiert werden sollen, die das Risiko für kindeswohlgefährdende elterliche Verhaltensweisen erhöhen, oder ob Risikofaktoren vorliegen bzw. adressiert werden sollen, die das Risiko für die Entstehung von Entwicklungsabweichungen und psychischen Störungen beim Kind erhöhen. Selbstverständlich können diese Risikofaktoren in der Praxis inhaltlich überlappen. Beispielsweise kann das Vorliegen des Risikofaktors „psychische Störung eines Elternteils“ sowohl das Auftreten elterlicher kindeswohlgefährdender Verhaltensweisen begünstigen als auch im Sinne des biopsychosozialen Modells einen Risikofaktor für die Entstehung psychischer Störungen beim Kind darstellen. Es ist im Rahmen der Einzelfallanalyse mit Blick auf die Identifikation notwendiger Interventionen jedoch zentral, diese Risikomechanismen in verschiedenen Analyseschritten zu identifizieren und in der Analyse anschließend miteinander zu verknüpfen.

Zusammenfassend gilt: Um eine Einschätzung bezüglich einer möglichen Gefährdung des kindlichen Wohls in einem konkreten Einzelfall vornehmen zu können, müssen vor dem Hintergrund der in diesem Text beschriebenen Aspekte die Wechselwirkungen zwischen den folgenden Faktoren herausgearbeitet werden (vgl. Dettenborn & Walter 2016; Heiß & Castellanos 2013; Besier et al. 2012; Kindler 2013; Klein & Lange 2016; Ziegenhain & Fegert 2009, Zumbach et al. 2020):

  1. a.

    den individuellen kindlichen Bedürfnissen,

  2. b.

    den im Einzelfall bereits konkret aufgetretenen Schädigungen des Kindes,

  3. c.

    den vorhandenen Risikofaktoren und Einschränkungen der elterlichen Erziehungsfähigkeit,

  4. d.

    den vorliegenden Ressourcen.

5 Zusammenfassung und Fazit

Das Kindeswohl ist der wesentliche Maßstab von Entscheidungen in kindschaftsrechtlichen Verfahren. Wenn kindliche Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllt werden, kann es im extremen Fall zur Kindeswohlgefährdung kommen. Im Kontext der Erfassung und Prognose von Kindeswohlgefährdungen hat die Anwendung von entwicklungspsychologischen Theorien und Instrumenten eine hohe Bedeutung: Zum einen müssen regelmäßig bereits eingetretene Entwicklungsverzögerungen oder psychische Auffälligkeiten sowie individuelle kindliche Entwicklungsbedürfnisse bestimmt werden. Zum anderen muss eine Prognose über den weiteren Entwicklungsverlauf unter bestimmten Bedingungen getroffen werden.

Neuere entwicklungspsychologische Theorien gehen davon aus, dass Entwicklung kein einheitliches Phänomen ist, sondern dass sich zentrale Funktionsbereiche (Entwicklungsbereiche, Entwicklungsdimensionen) differenzieren lassen. Der Entwicklungsverlauf bzw. der Entwicklungsstand muss nicht in allen Entwicklungsbereichen gleich sein, sondern kann in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen differieren. Gleichzeitig steht die Entwicklung in den einzelnen Bereichen in enger Wechselwirkung zueinander (vgl. Lohaus & Vierhaus 2015).

In der Entstehung von pathologischen Entwicklungsverläufen geht man insgesamt von einem biopsychosozialen Modell aus, das Wechselwirkungen zwischen neurobiologischen, genetischen und psychosozialen Einflüssen einer maladaptiven Entwicklung zugrunde legt (Caspi & Moffitt 2006). Es liegt eine große Anzahl an Studien vor, die konsistent biologische, psychologische und soziale Risikofaktoren für die Entstehung von Entwicklungsabweichungen und Pathologie aufzeigen (Ihle et al. 2002; Loeber et al. 2001; Moffitt & Caspi 2001). Selten lassen sich jedoch isolierte Faktoren bestimmen, um einen bestimmten Entwicklungsverlauf zu erklären, meist ist von einem multifaktoriellen Ursachenmodell auszugehen. Belastungen einer Familie treten in der Regel nicht isoliert auf, sondern ziehen weitere nach sich, das heißt Risikofaktoren sind häufig miteinander verknüpft.

Bei der Fallgruppe von Kindern und Jugendlichen, die ein Kinderschutzverfahren durchlaufen, ist von einer Hochrisikogruppe auszugehen, meist liegen gravierende und multiple Risikobelastungen vor. Empirische Befunde zeigen, dass sich dies häufig bereits deutlich in der psychischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen niedergeschlagen hat (vgl. Zumbach 2016, 2017; Zumbach et al. 2016, 2018). Die epigenetische Sichtweise erweitert das Verständnis für biopsychosoziale Wechselwirkungen. Sie zeigt beispielsweise auf, warum Kindesmisshandlung und -vernachlässigung einen so nachhaltigen negativen Effekt auf die kindliche Entwicklung haben kann. Umgekehrt hat sie jedoch auch das Potenzial zu erklären, warum Kinder sich durch Veränderungen der Lebensumgebung nach solchen Erfahrungen erholen und positiv entwickeln können (vgl. Petermann & Koglin 2013). Die Bedeutung einer systematischen Risikoanalyse vor dem Hintergrund der dargelegten Theorien als Vorbereitung für eine Interventionsplanung wird dadurch weiter unterstützt.