Der Fachtext behandelt Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen sowie einige Problemfelder bei familienpsychologischen Gutachten im Rahmen von Familiengerichtsverfahren bei Kinderschutzfällen.

1 Eingangsvoraussetzungen

FamilienpsychologischeSachverständigengutachten – könnte man sagen – müssen sich eigentlich an drei Vorgaben orientieren: am Recht, am Recht und am Recht.

Zum einen sind Gutachten nach der Zivilprozessordnung als Beweismittel zu sehen, womit ihnen prozessual eine andere Bedeutung zukommt als Gefährdungseinschätzungen durch andere Fachkräfte. In der Regel werden Sachverständige erst dann vom Gericht beauftragt, wenn bereits gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorgebracht wurden. Da Sachverständige eine mögliche Gefährdung neutral zu prüfen haben, geraten sie nicht selten in eine Rolle zwischen den betroffenen Eltern, die eine solche in der Regel nicht sehen, und beteiligten Fachkräften, die ja von einer entsprechenden Gefährdung ausgehen. Weiter sind Sachverständige in diesem Rahmen aufgefordert, eventuelle Gefährdungseinschätzungen für den individuellen Fall konkret nachvollziehbar zu machen. Weder der Bezug auf allgemeines Fachwissen noch die häufig zu findende Einschätzung, dass eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden könne, reicht aus. Entsprechend wurden in den viel diskutierten Aufhebungen durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 auch Sachverständigengutachten als nicht verwertbar eingestuft, die diesen Ansprüchen nicht genügten (zu den BVerfG-Entscheidungen siehe Heilmann 2012; Britz 2016).

Eine zweite rechtliche Einschränkung erfolgt durch die Definition von Kindeswohlgefährdung durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und die sich daran anschließende obergerichtliche Rechtsprechung. Auch hier ist im Verhältnis zwischen Sachverständigen und beteiligten Fachkräften zu beachten, dass für Gutachten nicht § 8a SGB VIII ausschlaggebend ist, sondern zunächst § 1666 Abs. 1 BGB: „Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind“. Zu beachten ist hier, dass im Kern eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes steht, das allerdings im Gesetzestext als unbestimmter Rechtsbegriff nirgends näher definiert wird. Darüber hinaus wird weiter in § 1666a BGB auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere bei gravierenden Maßnahmen wie etwa der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie oder dem Entzug der Personensorge aufmerksam gemacht, die voraussetzt, dass andere Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichend sind. Hinzu kommen leicht unterschiedliche obergerichtliche Rechtsprechungen zur näheren Definition von Kindeswohlgefährdung, denen aber gemeinsam ist, dass häufig eine Prognose über wahrscheinliche, erhebliche Schäden bei dem Kind erforderlich ist.

Umgekehrt ist aber auch davor zu warnen, dass Gerichte überzogene Erwartungen an sachverständige Prognosen stellen oder Sachverständige sich selbst zu exzessiven Prognosen hinreißen lassen, die durch Fachkunde gar nicht abzudecken sind (Kindler 2015).

Schließlich wird drittens die Aufgabe der Sachverständigen durch den konkreten gerichtlichen Auftrag im Rahmen des Beweisbeschlusses des Familiengerichts definiert. Hierbei findet sich eine große Bandbreite von Auftragsformulierungen, die in Einzelfällen ganz allgemein gehalten sind (z. B. „Es ist ein Sachverständigengutachten einzuholen zur Vorbereitung einer Entscheidung, ob das Wohl des Kindes D. im elterlichen Haushalt gefährdet ist“), bis hin zu mehrseitig ausdifferenzierten Prüfaufträgen, in denen Sachverständige aufgefordert werden, unterschiedlichste Einschätzungen und Prognosen zu Teilbereichen und unter variierenden Eingangsvoraussetzungen abzugeben.

2 Sachverständiges Vorgehen

Juristisch nicht festgelegt ist das konkrete Vorgehen der psychologischen Sachverständigen bei der Sammlung von Informationen, die zur Beantwortung der gerichtlichen Frage notwendig ist. Vielmehr wird in der Rechtsprechung immer wieder betont, dass die Auswahl der Untersuchungsmethoden den Sachverständigen zukommt.

Allerdings liegen zur familienrechtlichen Begutachtung einerseits eine Reihe von Buchpublikationen vor, die häufig von renommierten Sachverständigen stammen und zwar nur deren Sichtweisen auf fachlich angemessenes Vorgehen wiedergeben, im günstigsten Fall sich aber auch stark an der laufenden Rechtsprechung orientieren (Salzgeber & Fichtner 2012; Dettenborn & Walter 2015; Lack & Hammesfahr 2019; Salzgeber 2020). Noch wichtiger sind die Qualitätsstandards der zwei großen Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGP) und Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), an denen viele Autor*innen von Fachbüchern und noch weitere Sachverständige mitgearbeitet haben (Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten 2019).

Relativ unstrittig ist dabei, dass zur fachlich korrekten Bearbeitung eines Gutachtenauftrags in der Regel folgende sechs Schritte zählen:

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    Zunächst muss die zugesandte gerichtliche Akte ausgewertet werden. Hier werden häufig auch die Gründe der bereits vorliegenden Gefährdungseinschätzung deutlich. Teilweise finden sich in den Akten Unterlagen zu früheren Gefährdungsmeldungen oder Herausnahmen von Kindern, zum Beispiel von älteren Geschwistern; teilweise auch frühere Gutachten. Hierbei ist allerdings ein Automatismus zu vermeiden und es können weder frühere Einschätzungen generell als zutreffend bewertet, noch das Vorliegen von früheren Problemen stabil für die heutige Situation unterstellt werden.

  2. 2.

    Als eigenständige Erhebungsschritte durch die Sachverständigen finden dann meist Untersuchungen der Eltern in Form von Verhaltensbeobachtungen, explorativen Gesprächen und nicht selten auch durch den Einsatz testdiagnostischer Fragebögen statt. In der Regel werden sich die Sachverständigen bei den Gesprächen eines Leitfadens bedienen, in dem neben generellen Aspekten zur Familiensituation und zum erzieherischen Verhalten die spezifisch durch die gerichtliche Beweisfrage und durch die in den Akten auftauchenden Fragestellungen ergänzt wird. Themenfelder der Befragung von Eltern sind häufig:

    • die Situation in deren Ursprungsfamilie, insbesondere vor dem Hintergrund des selbst erfahrenen Erziehungsverhaltens;

    • der Familienalltag in der selbst gegründeten Familie; die Sichtweisen auf die eigenen Kinder und deren betreuerischen und erzieherischen Bedarfe;

    • das eigene Erziehungsverhalten; erzieherische Probleme;

    • Einsicht in eigene Beeinträchtigungen, wie etwa psychische Probleme, Suchtmittel, Partnerschaftsprobleme und wirtschaftliche Probleme;

    • Veränderungsbereitschaft, Kooperation mit Fachkräften und Lösungsvorstellungen.

Ein aktueller Vorschlag (Schütt & Zumbach 2019) für zentrale Themengebiete mit Beispielfragen für eine Exploration der Eltern nutzt zur Einschätzung Erkenntnisse aus der Kriminalprognose.

  1. 3.

    Ebenso werden im Regelfall Untersuchungen der betroffenen Kinder durchgeführt, wozu – altersspezifisch gewichtet und angepasst – Verhaltensbeobachtungen, Befragungen und ebenfalls testdiagnostische Verfahren gehören. Auch bei der Befragung von Kindern werden häufig altersspezifisch und situationsspezifisch angepasste Leitfäden eingesetzt. Themen hierbei sind häufig die Integration in Kita bzw. Schule und Gleichaltrigengruppe, Freizeitverhalten, Beschreibung des Familienalltags, Beziehungserleben in der Familie, Erleben bereits eingeleiteter Maßnahmen einschließlich ggf. von Fremdunterbringung sowie die kindlichen Wünsche im Hinblick auf die Ursprungsfamilie und ggf. die Fremdunterbringung.

  2. 4.

    In den meisten Fällen wird auch eine Beobachtung der Interaktion zwischen den betroffenen Eltern und Kindern zur Erhebung gehören, wobei sich hier je nach Ausgangslage ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen ergeben: In manchen Fällen ist das nur im sehr eingeschränkten Rahmen eines begleiteten Umgangs bei fremd untergebrachten Kindern möglich. In anderen Fällen leben die Kinder noch zu Hause und können dort untersucht und in ihren Interaktionen beobachtet werden. Schließlich finden sich auch einige Fälle, in denen die Kinder fremd untergebracht sind, im Rahmen der Begutachtung aber Interaktionsbeobachtungen im elterlichen Umfeld sinnvoll erscheinen. Gerade zur Beurteilung einer Gefährdung bei einer Rückführung ist es häufig sinnvoll, zunehmend alltagsnahe und damit auch umfangreichere Situationen zwischen Eltern und Kindern zu beobachten. Generell ist es hilfreich, Interaktionsbeobachtungen systematisch auszuwerten, um die Objektivität der Beurteilung zu erhöhen (Jacob 2014). Auch existieren Verfahren zur Strukturierung, in denen Eltern spezifische Aufgaben für die Interaktion mit ihren Kindern gegeben werden (Franke & Schulte-Hötzel 2019). Auch diese Verfahren dienen der Erhöhung der Objektivität, lassen aber umgekehrt kaum Rückschlüsse auf die Fähigkeit der Eltern zu, Alltagssituationen eigenständig zu planen und zu gestalten. Interaktionsbeobachtungen werden deswegen häufig in strukturierten und unstrukturierten Settings durchgeführt.

  3. 5.

    In der Regel ist es sinnvoll – mit entsprechenden Schweigepflichtentbindungen durch die sorgeberechtigten Eltern oder bereits eingesetzten Ergänzungspfleger*innen – mit involvierten Fachpersonen (z. B. Jugendamtsmitarbeiter*innen, Erzieher*innen, Lehrer*innen, Familienhelfer*innen, Ärzt*innen, Therapeut*innen etc.) zu sprechen. Hierbei kommen sowohl solche Fachkräfte infrage, die bislang mit der Familie vertraut waren, als auch solche, die erst nach der Gefährdungsmeldung beauftragt wurden, sowie insbesondere die zuständigen Erzieher*innen bei stationär untergebrachten Kindern und die Pflegeeltern, bei Kindern, die in Pflegefamilien platziert wurden.

  4. 6.

    Häufig bietet es sich an, noch abschließende Gespräche mit den Eltern über eingeleitete oder einzuleitende Maßnahmen zu führen; nicht zuletzt, um die elterliche Veränderungsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit besser abschätzen zu können oder im Einzelfall diese auch zu fördern. Bei manchen Konstellationen können zu solchen Gesprächen zumindest teilweise auch die beteiligten Fachkräfte eingeladen werden, auch um deren Bereitschaft zur Umsetzung angedachter Maßnahmen zu evaluieren und gegebenenfalls zu stärken.

Als Kindeswohlgefährdung sind dann Unterlassungen oder Handlungen der Bezugspersonen zu bewerten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen eines Kindes führen, wobei in der Regel vielfältige, in Einzelfällen aber auch schwerwiegende isolierte Unterlassungen oder Handlungen vorliegen können (Dettenborn & Walter 2015; vgl. auch Zumbach et al. 2020). Dabei sind aus psychologischer Sicht auf der einen Seite die erzieherischen Fähigkeiten der Eltern (unter anderem unter den Aspekten der Pflege, der Bindung, der Erziehung und der Förderung) und gegebenenfalls deren Veränderungsbereitschaft und Veränderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, und auf der anderen Seite die tatsächlichen individuellen Bedürfnisse der Kinder, auch vor dem Hintergrund möglicherweise bereits entstandener Schädigungen und Förderbedarfe. Aus dem Verhältnis oder Missverhältnis beider Seiten hat dann eine Abschätzung zu erfolgen, wie wahrscheinlich Beeinträchtigungen der Kinder bei einer fortbestehenden Betreuung in der Familie sind, insbesondere welche psychischen Folgen zu befürchten sind und ob akut und mittelfristig diesen Folgen mit Unterstützungen der Familie hinreichend entgegengewirkt werden kann oder ob derzeit eine Betreuung der Kinder außerhalb Familien notwendig ist. Der besondere Nutzen psychologischer Gutachten liegt damit nicht nur darin, dass eine zusätzliche und damit neutrale Fachperson zur Gefährdungseinschätzung herangezogen wird, sondern dass insbesondere eine Einschätzung der Familienmitglieder mit entwicklungspsychologischem, persönlichkeitspsychologischem und klinisch-psychologischem Hintergrund erfolgt. Vor diesem Hintergrund lassen sich nicht nur Bedarfe und Gefährdung der Kinder einschätzen, sondern auch Möglichkeiten und Grenzen der Eltern bei einer angemessenen Abwehr solcher Gefährdungen

3 Spezifische Problemfelder beim sachverständigen Vorgehen

Zu einigen Erhebungsmethoden von Sachverständigen tauchen gelegentlich Fragen auf, die etwas näher beleuchtet werden sollen:

Welche Testverfahren verwenden Sachverständige eigentlich und wie gut sind diese?

Zwar ist in einigen Fachpublikationen immer mal von maßgeschneiderten Verfahren für die familienpsychologische Begutachtung die Rede (Hommers 2019), aber es werden hierzu auch kritische Aspekte formuliert, sodass der Aussagekraft allein testpsychologischer Verfahren deutliche Grenzen gesetzt sind (Fichtner 2019). Gerade für den Bereich möglicher Kindeswohlgefährdungen existieren eher wenig darauf zugeschnittene Erhebungsinstrumente. Zur Bewertung der Eltern sind dies vor allem zwei Selbsteinschätzungsbögen, die Belastungen der Eltern erfassen (das Eltern-Belastungs-Inventar EBI und das Eltern-Belastungs-Screening zur Kindeswohlgefährdung EBSK); beides aus dem amerikanischen Sprachraum adaptierte Verfahren. Dabei liegen für das EBI deutschsprachige Normen lediglich für Mütter vor. Eine Beurteilung, was für Väter noch normentsprechendes Verhalten ist, ist damit streng genommen nicht möglich. Das EBSK dagegen ist massiv gekürzt gegenüber seinem amerikanischen Vorbild, es wird schon seit langem Zweifel an der Aussagekraft des deutschen Instrumentes geäußert (Koch 2010). Weiter gibt es eine Reihe von Verfahren, um die Sicht der Kinder auf ihre Eltern und deren Erziehungsverhalten per Fragebogen zu erfassen. So erfassen das ältere Erziehungsstilinventar (ESI) und der aktuellere Elternbild-Fragebogen für Kinder und Jugendliche (EBF KJ) u. a. den wichtigen Aspekt der Strafintensität oder Bestrafung durch die Eltern und stellen dafür auch entsprechende Normen zur Verfügung. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Verfahren für Kinder und Jugendliche in aller Regel keine Validitätsskalen zur Kontrolle der Ehrlichkeit der Angaben beinhalten und die Fragen in ihrer Bedeutung relativ offensichtlich sind. Je nach Motivationslage des Kindes sind dadurch leicht Aggravierungen oder Bagatellisierungen von schädigendem Elternverhalten möglich. Das bedeutet nicht, dass all diese Verfahren nicht eingesetzt werden sollten, da ihr großer Vorteil ist, dass sie Daten neutral und strukturiert erheben. Allerdings sind sie seriös nur bewertbar, wenn sie kritisch ins Verhältnis zu allen übrigen Daten gesetzt werden.

Weiter findet sich zur Erfassung des kindlichen Problemverhaltens ein international sehr verbreitetes Verfahren (Child-Behavior-Checklist CBCL 6-18 R). Diese liegt auch in Deutsch in drei Formen vor, nämlich als Befragungsinstrument für Hauptbezugspersonen der Kinder und Jugendlichen, zweitens als Befragungsinstrument der Lehrkräfte und schließlich zur Befragung bei bereits jugendlichen Kindern. Zumindest über den Abgleich der unterschiedlichen Einschätzungen lässt sich dann sowohl ein aussagekräftiges Bild über das betroffene Kind als auch möglicherweise über die Fähigkeit bzw. Bereitschaft der Eltern zu einer realistischen Einschätzung ihres Kindes bekommen.

Schließlich existieren noch eine Reihe Verfahren zur Einschätzung der Persönlichkeit oder gar psychischer Erkrankungen der Erziehungspersonen (z. B. der Minnesota Multiphasic Personality Inventory – 2 Restructured Form MMPI-2-RF, das Freiburger Persönlichkeitsinventar FPI-R oder das Verhaltens- und Erlebensinventar VEI). Diese Verfahren zur Selbsteinschätzung beinhalten in der Regel auch Validitätsskalen, um die Ehrlichkeit der Antworten zu bewerten, wobei diese Bewertung durchaus nicht für alle erhobenen Bereiche gleich sicher erscheint. Umgekehrt ist zu beachten, dass ein kritischer Wert auf einer Validitätsskala nicht als Hinweis auf die generelle Unehrlichkeit des Probanden gedeutet werden darf, sondern tatsächlich nur für diesen Fragebogen gilt.

Wie ausführlich sollten im Gutachten auch beteiligte Fachkräfte zu Wort kommen?

Grundsätzlich sind solche themenzentrierten Befragungen von Jugendamtsmitarbeiter*innen, Familienhilfen oder auch Ergänzungspfleger*innen, Verfahrensbeiständ*innen und Umgangsbegleiter*innen sinnvoll und hilfreich. Allerdings ist dabei zweierlei zu bedenken: Werden Fachkräfte befragt, deren Sichtweise auf die Familie schon durch ausführliche Schriftsätze Bestandteil der Akte ist, dann werden diese Einschätzungen im Datenteil des Gutachtens nochmals wiederholt. Für das erkennende Gericht ergibt sich damit die nicht immer offensichtliche Gefahr, dass eine spezifische Sichtweise gleich mehrfach im Verfahren auftaucht und möglicherweise übermäßige Bedeutung erlangt.

Auf der anderen Seite werden solche themenzentrierten Befragungen auch mit Personen geführt, deren Fachgebiet deutlich außerhalb des Bewertungshorizonts von familienpsychologischen Sachverständigen liegt (z. B. Kinderärzt*innen, Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen etc.). Damit werden Einschätzungen ein Bestandteil des Gutachtens, die durch die Sachverständigen selbst nicht überprüft und bewertet werden können. Zumindest in der Tendenz gilt dieses Problem auch für Einschätzungen, die häufig im Rahmen der Hausbesuche erfolgen, etwa über die häusliche Hygiene, mögliche Gefahrenquellen oder die Geeignetheit der Räumlichkeiten. Häufig handelt es sich dabei um Bewertungen, die kaum oder gar nicht durch psychologischen Sachverstand gedeckt sind.

In einigen Fällen werden zur Gefährdungseinschätzung mangels anderer Datenquellen die Schilderungen der betroffenen Kinder so zentral herangezogen, dass eigentlich eine aussagepsychologische Bewertung dieser Angaben sinnvoll wäre. Dabei sind längst nicht alle familienpsychologischen Sachverständigen auch mit aussagepsychologischem Vorgehen soweit vertraut, dass ihnen tatsächlich eine fundierte Einschätzung möglich ist, wie erlebnisbasiert die Angaben der Kinder sind. Hier kann es sinnvoll sein, entsprechend aussagepsychologisch ausgebildete Kolleg*innen für die Beantwortung dieser Fragen beizuziehen.

In all den hier geschilderten Fällen ist es jedenfalls notwendig, die fachlichen Einschätzungen von Dritten als solche kenntlich zu machen und von den Befunden und Schlussfolgerungen der Sachverständigen deutlich zu trennen. Nur so kann das Gericht kritisch prüfen, wer im Verfahren welche Erkenntnisse gewonnen hat und wer wie zu welcher Schlussfolgerung kommt.

Dürfen familienpsychologische Sachverständige Diagnosen stellen und wie bedeutsam sind diese?

Zum einen kommt es immer wieder zu Diskussionen, inwiefern psychologische Sachverständige, die nicht über eine Approbation verfügen, überhaupt Diagnosen über psychische Erkrankungen stellen dürfen. Dass eine Approbation nicht Voraussetzung für die Tätigkeit als familienpsychologische/familienpsychologischer Sachverständige*r darstellt, wird schon seit langem durch ein entsprechendes Rechtsgutachten untermauert und findet sich auch in aktuelleren Einschätzungen wieder (Plagemann 2007; Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten 2019). Zumindest die psychologischen Berufsverbände gehen davon aus, dass alle Psycholog*innen unabhängig von einer Approbation befähigt sind, psychische Krankheitsbilder zu diagnostizieren. Lediglich eine Entscheidung über Behandlungsbedürftigkeit muss den approbierten Kolleg*innen überlassen werden (Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen 2008).

Allerdings ist davon auszugehen, dass weder das Vorliegen einer diagnostizierten Störung eines Elternteils noch dessen Nichtvorliegen per se aussagekräftig für die Frage der elterlichen Erziehungsfähigkeit sind und schon gar nicht für die der möglichen Gefährdung der Kinder. Vielmehr ist es Aufgabe der Sachverständigen zu überprüfen und darzustellen, durch welche konkreten elterlichen Handlungen oder durch welche Verhältnisse im elterlichen Haushalt Gefährdungen des Kindes zu befürchten sind. Dabei gilt insbesondere zu bewerten, wie die Möglichkeiten der betroffenen Eltern die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Kinder decken (Dettenborn & Walter 2015). Dabei sind sowohl Fallkonstellationen möglich, wo elterliche Einschränkungen aufgrund der Resilienz der betroffenen Kinder (noch) keine Gefährdung darstellen, obwohl das bei anderen Fallkonstellationen der Fall wäre, wie auch der umgekehrte Fall.

Ein weiteres schwieriges Feld stellt der Umgang mit vorliegenden Diagnosen oder psychologischen Bewertungen von Fachkolleg*innen dar: Psychotherapeut*innen von Eltern sind in der Regel empathisch mit ihren Patient*innen, für die nicht selten die Betreuung der Kinder auch ein stabilisierender Faktor darstellt. Zumindest in Einzelfällen kommen Psychotherapeut*innen zu positiven Einschätzungen der elterlichen Erziehungsfähigkeit, die aus einem neutralen Blickwinkel auf die Gesamtfamilie nicht unbedingt geteilt werden (Fichtner 2020). Umgekehrt finden sich gerade durch Kindertherapeut*innen oder Heimerzieher*innen, die erst nach einer Herausnahme der Kinder eingeschaltet wurden, immer wieder Beschreibungen von erheblichen Auffälligkeiten der Kinder, die auf Defizite der Eltern oder gar auf traumatische Erfahrungen im Elternhaus zurückgeführt werden. Allerdings lässt sich in vielen Fällen nur schwer bestimmen, inwieweit die kindlichen Reaktionen durch die Eltern und inwieweit sie durch die Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt verursacht wurden. Weiter ist bei der Verwendung des Begriffes Trauma häufig unklar, ob dies als eine allgemeine Umschreibung einer Belastung gemeint ist oder tatsächlich im diagnostischen Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung. Nicht selten werden solche Diagnosen gestellt, ohne dass das verursachende Trauma tatsächlich als hinreichend belegt gelten kann. Zu beachten ist hier die äußerst kontroverse Diskussion zwischen einer aussagepsychologischen Sicht und einem kindertherapeutischen Blickwinkel (Niehaus 2018; Fegert et al. 2018).

Insgesamt erscheint es auch im Hinblick auf Diagnosen und fachpsychologische Einschätzungen sinnvoll, diese als spezifische Sichtweisen und nicht als objektive Tatsachen zu werten und entsprechend transparent im Gutachten damit umzugehen. Nicht zuletzt sind Sachverständige zu Recht verpflichtet, die von ihnen gestellten oder übernommenen Diagnosen nachvollziehbar begründen zu können (z. B. Wiesner 2020). Neben formalen Prüfkriterien – etwa ob oben genannte Untersuchungsschritte auch tatsächlich durchgeführt wurden – ist damit ein zentrales inhaltliches Prüfkriterium, inwieweit Sachverständige ihre Einschätzung stringent aus den von ihnen erhobenen Daten so ableiten können, dass dies für die übrigen Beteiligten auch nachvollziehbar ist.

4 Die Beantwortung der gerichtlichen Frage(n)

Die sachverständige Empfehlung hat sich zunächst an der gerichtlichen Fragestellung zu orientieren, die häufig bereits Bezug auf mildere Mittel in Relation zu einer Trennung zwischen Eltern und Kindern nimmt.

Typische Fragestellungen für Gutachtenaufträge

  • Sachverständige sollen abschätzen, welche Gefahren Kindern bei einem Aufwachsen in ihrer Familie drohen und welche Hilfen notwendig und erfolgversprechend wären, um diese Gefahren abzuwenden.

  • Sachverständige sollen beurteilen, ob bereits fremduntergebrachte Kinder ohne Gefährdung wieder in ihre Familie zurückgeführt werden können und welche Hilfen in den Familien notwendig sind.

  • Sachverständige sollen bewerten, ob trotz behobener Probleme in den Ursprungsfamilien Kinder aufgrund ihres langen Aufenthaltes in Pflegefamilien bei einer Herausnahme aus der Pflegefamilie Schaden nehmen würden.

  • Sachverständige sollen einschätzen, ob Kontakte zur Ursprungsfamilie bei fremd untergebrachten Kindern zu Schäden führen können.

Im gerichtlichen Verfahren sind Kinderschutz und Elternrechte gegeneinander abzuwägen und im besten Fall in Einklang zu bringen. Dazu hat die/der Sachverständige als Beweismittel beizutragen, in dem sie zum einen dem Gericht und den Beteiligten nachvollziehbar darstellt, durch welche Umstände oder Verhaltensweisen in der elterlichen Familie welche konkreten Gefährdungen bei den Kindern zu erwarten sind. Aber auch welche Maßnahmen aus sachverständiger Sicht notwendig und ausreichend wären, um eine solche Gefährdung abzuwenden. Dabei sollte ein solches Gutachten in Wortwahl und Schlussfolgerungen nicht nur dem Gericht und den Fachkräften, sondern auch den betroffenen Eltern verständlich sein. Auch ist zu bedenken, dass ein Verbleib der Kinder in der Familie keineswegs nur als Recht der Eltern, sondern nach rechtlicher Auffassung auch als ein elementares Recht der Kinder selbst gilt (Britz 2016). Und selbst in den Fällen, in denen derzeit eine Trennung von Eltern und Kindern die einzige ausreichende Maßnahme zum Schutz der Kinder erscheint, haben die Eltern (und Kinder) ein Recht darauf zu erfahren, durch welche Maßnahmen die Eltern mutmaßlich in die Lage versetzt werden könnten, hinreichende Erziehungsfähigkeit wiederzuerlangen.

Um sachverständig zu beurteilen, welche Maßnahmen hilfreich wären, ist es notwendig zu wissen, welche Hilfen überhaupt verfügbar sind. Das betrifft einerseits ein grobes Wissen über tatsächlich existierende wie aber auch ein spezifisches Wissen über aktuell verfügbare Hilfsmaßnahmen. Zum Beispiel finden sich immer wieder Fälle, in denen eine Einrichtung für beide Eltern und Kind sinnvoll wäre, häufig stehen aber nur Plätze in Mutter-Kind-Einrichtungen zur Verfügung, wenn überhaupt. Auch ist in spezifischen Fällen ein Erziehungsbeistand nach § 30 SGB VIII empfehlenswert, wird aber durchaus nicht überall in dieser Form angeboten. Da für entsprechende Hilfen die Expertise bei Mitarbeiter*innen des Jugendamts liegen sollte, empfiehlt sich hier eine entsprechende Rücksprache. Allerdings ist es nicht im Sinne der gutachterlichen Unabhängigkeit, die Empfehlungen von Hilfemaßnahmen von vornherein darauf zu beschränken, was auch seitens der Kinder- und Jugendhilfe für sinnvoll erachtet wird. Ähnliches gilt für die juristische Regelung verschiedener Verantwortungsbereiche. So kann die gutachterliche Empfehlung durchaus beinhalten, dass schulische und therapeutische Fragen nicht mehr durch die Eltern geregelt werden. Wie die genaue rechtliche Regelung dazu aussehen sollte, fällt wiederum in die Expertise der beteiligten Jurist*innen.

5 Fazit

Psychologische Sachverständigengutachten zu Fragen der Kindeswohlgefährdung haben eine sehr spezifische Funktion im Verfahren, fachspezifische Erhebungsmethoden (und Schwächen) und oft auch einen eigenen Blickwinkel. Der entscheidende Zusatznutzen etwa gegenüber sozialpädagogischen Zugängen zur Familie ist die Bewertung der psychischen Verfasstheit der Familienmitglieder, also der Belastungen, Entwicklungsrisiken und Bedarfe der Kinder, aber auch der Grenzen und Veränderungsmöglichkeiten der Eltern. Psychologische Gutachten stellen damit eine von verschiedenen möglichen Risikobewertungen für die Familie und die betroffenen Kinder dar. Unterschiedliche Sichtweisen der beteiligten Fachkräfte und Professionen sind dabei durchaus möglich und als Ressource für ein möglichst förderliches Ringen, um den Schutz der betroffenen Kinder und ihrer Familien zu werten.