1 Einleitung

Das Jugendamt handelt im familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren als Fachbehörde in eigener Verantwortung. Obwohl Rolle und Funktion des Jugendamts sich von derjenigen des Gerichts deutlich abheben, sind für einen gelingenden Kinderschutz beide Akteure wechselseitig aufeinander angewiesen. Für die jugendamtlichen Fachkräfte bestehen vielfältige Möglichkeiten, sich mit Blick auf den Hilfeprozess in das Verfahren einzubringen.

2 Das Jugendamt als Fachbehörde im Verfahren nach § 1666 BGB

Das Jugendamt erfüllt als Fachbehörde in eigener Verantwortung Aufgaben der Jugendhilfe im Verfahren nach § 1666 BGB mit, (vgl. FK-SGB VIII/Trenczek 2022, Vor §§ 50–52 SGB VIII Rn. 12; Wiesner/Wapler 2022, Vor § 50 SGB VIII Rn. 3, 9). Die Fachbehörde Jugendamt ist weder gegnerisches Gegenüber der betroffenen Eltern, mit denen streitige Ansichten zu einer Kindeswohlgefährdung vor Gericht ausgetragen würden, noch Assistent des Gerichts, das von diesem mit Ermittlungen beauftragt werden könnte.

Die Verantwortung des Jugendamts im Verfahren leitet sich aus dessen Hilfe- und Schutzauftrag ab, der wiederum in § 1 Abs. 1 und 3 SGB VIII als Leitnorm verankert ist: Die Kinder- und Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts jedes jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beitragen.

Der Auftrag des Jugendamts, Hilfe und Schutz zu bieten, kann als kontinuierlicher Prozess gesehen werden, der auf die Ermöglichung (positiver) Entwicklung des Kindes gerichtet ist: Das Jugendamt ist meist lange vor dem Kinderschutzverfahren in der Verantwortung für die Organisation und Koordination von Hilfeprozessen für das betroffene Kind und seine Familie und bleibt es auch nach Abschluss des Verfahrens. Der Kern des jugendamtlichen Auftrags im Kinderschutzverfahren ist es daher, dem Familiengericht die Möglichkeiten und Grenzen von Hilfen und Schutzmaßnahmen und die – damit verbundenen – Chancen und Risiken für die Entwicklung des Kindes darzustellen.

Aus dem Hilfeauftrag des Jugendamts ergibt sich auch eine Verantwortung dafür, dazu beizutragen, dass das Kind und seine Entwicklungsmöglichkeiten im Verfahren in den Mittelpunkt gestellt werden. Das Kind in den Blick zu nehmen, dafür zu sorgen, dass es gehört wird und sich gehört fühlt, „ist keine Kleinigkeit“ (Ständige Fachkommission 2 am DIJuF et al. 2014, S. 18). Die Stellungnahme des Jugendamts und seine Anregungen im Verfahren können jedoch gezielt dafür genutzt werden, dass die Bedürfnisse des Kindes gesehen und es aktiv, aber mit der notwendigen Sensibilität für seine Grenzen, beteiligt wird.

Schließlich achtet das Jugendamt im Verfahren auch darauf, nach Möglichkeit die Türen für den zukünftigen Hilfeprozess – zumindest einen Spalt weit – offen zu halten. Dazu gehört es, das Gericht auf die Bedeutung möglicher sorgerechtlicher Maßnahmen sowie der Verfahrensdynamik für die Entwicklung des Hilfeprozesses aufmerksam zu machen. Die Gestaltung von Anhörungen und Terminen, der Umgang mit als vertraulich empfundenen Informationen, die Art der Auseinandersetzung mit Aussagen von Betroffenen und widersprüchlichen Einschätzungen im Verfahren können sich auf den späteren Hilfeprozess nachhaltig auswirken.

2.1 Zur Zusammenarbeit von Jugendamt und Gericht: „Verantwortungsgemeinschaft“ in Spannung zur richterlichen Unabhängigkeit

Jugendamt und Familiengericht nehmen im Kinderschutzverfahren unterschiedliche Funktionen und Rollen ein: Das Familiengericht leitet das Verfahren (§ 28 FamFG) und ist in seinem Vorgehen auf Entscheidung hin orientiert. Es ist verantwortlich für die Ermittlung des Sachverhalts, die Abwägung der möglichen Rechtsfolgen und letztlich für das Ob und das Maß eines sorgerechtlichen Eingriffs. Das Jugendamt wirkt im Verfahren durch das Einbringen von Informationen und Anregungen im Rahmen seines Hilfe- und Schutzauftrags mit (Anhörung und Mitwirkungsplichten der Beteiligten [Kap. 4]).

Beide, Jugendamt und Familiengericht, verfolgen mit ihrem Handeln dabei ein gemeinsames Ziel – den Schutz des Kindes – nach Möglichkeit bei Erhalt seiner Familienbeziehungen. In diesem Zusammenhang ist in der Fachliteratur von einer „Verantwortungsgemeinschaft“ die Rede (vgl. BT-Drs. 16/6815, S. 15; Wiesner/Wapler 2022, § 50 SGB VIII Rn. 38; Schmutz & de Paz Martínez 2018, S. 30). Der Begriff wird auch im Kontext von Kinderschutznetzwerken mit breiter Beteiligung angewandt (bspw. BMFSFJ 2009, S. 2 u. 8).

Auf richterlicher Seite stößt jedoch v. a. der zweite Wortteil des Begriffs „Gemeinschaft“ auf Zurückhaltung. Richter*innen sind verpflichtet, „nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen“ (§ 38 DRG). Daher wird die richterliche Unabhängigkeit, die nicht nur äußere, sondern vor allem auch innere Unabhängigkeit meint, als hohes Gut angesehen (Deutscher Richterbund 2018, S. 5 ff.). Die Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer „Gemeinschaft“ mit einem Teil der Verfahrensbeteiligten ist mit dem richterlichen Berufsethos folglich nicht gut vereinbar. Eher sollte daher von Verantwortungsteilung gesprochen werden, auch der Begriff der Verantwortungsverschränkung wurde vorgeschlagen (Hammer 2018, Folie 2). Die Rede von geteilter Verantwortung wird auch den unterschiedlichen Funktionen im Verfahren eher gerecht.

Die richterliche Unabhängigkeit soll Vorurteilslosigkeit und Fairness im Verfahren befördern und verlangt die Einhaltung einer gewissen Distanz zu allen Beteiligten (vgl. Schneider 2017, S. 510 ff.), zu den Eltern ebenso wie zum Jugendamt, zum Sachverständigen oder zur Verfahrensbeistandschaft. Dennoch darf der Richter oder die Richterin – gerade im Amtsverfahren (Katzenstein 2020, S. 4) – im Vorfeld von Terminen während des laufenden Verfahrens mit den Fachkräften des Jugendamts (und allen anderen Beteiligten) telefonisch oder persönlich sprechen. Das Gericht hat ja gerade die Aufgabe, Ermittlungen anzustellen – und in diesem Zusammenhang ist das Jugendamt eine sehr wichtige Quelle.

Allerdings dürfen in Gesprächen zwischen Jugendamt und Gericht selbstverständlich keine Absprachen getroffen werden, die der umfassenden Prüfung des Tatbestands und der Rechtsfolgen vorgreifen. Die Gesprächsinhalte und erhobenen Informationen müssen allen Verfahrensbeteiligten durch einen Vermerk (§ 28 Abs. 4 FamFG) zugänglich gemacht werden, damit sie gegebenenfalls auch dazu Stellung nehmen können. Alles andere würde die Transparenz und das Gebot rechtlichen Gehörs verletzen.

Das Kinderschutzverfahren ist insgesamt davon geprägt, dass Jugendamt und Gericht auf enges Zusammenwirken angewiesen sind, zugleich jedoch Aufträge mit unterschiedlicher Akzentsetzung erfüllen müssen. Dadurch stehen Jugendamt und Familiengericht in einem gewissen Spannungsverhältnis (Wiesner/Wapler 2022, Vor § 50 SGB VIII Rn 29, 30).

2.2 Spannungsverhältnis zwischen Anordnungsbefugnis des Gerichts und Entscheidungskompetenz des Jugendamts über Hilfen

Dieses Spannungsverhältnis kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass das Familiengericht keinen direkten Einfluss auf die Hilfe-Entscheidungen des Jugendamts nehmen kann  (Wiesner/Wapler 2022 Vor § 50 SGB VIII Rn. 10  f.): Wenn das Familiengericht ein Gebot an die Eltern ausspricht, eine Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII anzunehmen und daran mitzuwirken, ist die Umsetzung von der entsprechenden Entscheidung des Jugendamts über die Gewährung der Hilfe abhängig. Ist das Jugendamt der Auffassung, dass die Hilfe nicht geeignet ist und lehnt sie ab, läuft die familiengerichtliche Entscheidung ins Leere.

Umgekehrt ist das Jugendamt in einer schwierigen Situation, wenn es aus fachlichen Gründen überzeugt ist, dass eine Kindeswohlgefährdung nur durch Trennung des Kindes von den Eltern abgewendet werden kann, das Familiengericht einen (teilweisen) Sorgerechtsentzug jedoch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ablehnt. Das Jugendamt bleibt dann in der Hilfeverantwortung, ohne dass ihm in seinen Augen geeignete Hilfemöglichkeiten zur Verfügung stehen (vgl. Hammer 2015, S. 293).

Dieses Spannungsverhältnis hat der Gesetzgeber bewusst nicht aufgelöst. Es ist Aufgabe der Beteiligten, in entsprechenden Fällen die Auseinandersetzung zu widersprüchlichen Auffassungen zu führen und gegebenenfalls nach Lösungswegen zu suchen. Mögliche Varianten bestehen in

  • der Vereinbarung zu terminlich festgelegten familiengerichtlichen Überprüfungen der Entscheidung nach § 166 FamFG i. V. m. § 1696 BGB,

  • der Beschwerde des Jugendamts,

  • dem Antrag der betroffenen Eltern auf verwaltungsgerichtliche Prüfung einer ablehnenden Hilfeentscheidung,

  • dem Aushandeln bzw. der Konstruktion einer ambulanten Hilfe, die bisher nicht im Blick war und geeignet erscheint, die Kindeswohlgefährdung abzuwenden (s. a. Familiengerichtliche Maßnahmen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung [Kap. 7]).

3 Die Mitwirkung des Jugendamts im Verfahren nach § 1666 BGB

Das Jugendamt betrachtet die Mitwirkung im Kinderschutzverfahren aus der Perspektive des SGB VIII, während das Familiengericht sich am BGB bzw. FamFG orientiert. Örtlich zuständig ist das zu Beginn des familiengerichtlichen Verfahrens leistungszuständige Jugendamt (§ 87b Abs. 1 SGB VIII). Dieses bleibt, auch wenn sich die Leistungszuständigkeit während des Verfahrens ändert, bis zu dessen Abschluss zuständig. Für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe an Kinder und Jugendliche mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung oder an Eltern mit Behinderung ist nicht das Jugendamt, sondern der Träger der Eingliederungshilfe sachlich zuständig (§ 10 Abs. 4 SGB VIII).

3.1 Zentrale Bedeutung des Jugendamts im Kinderschutzverfahren: § 162 FamFG

Die zentrale Bedeutung, die der Gesetzgeber der Mitwirkung des Jugendamts im Kinderschutzverfahren zuschreibt, kommt in § 162 Abs. 2 FamFG zum Ausdruck. Durch das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess wurde im Jahr 2012 im § 162 FamFG die „Muss-Beteiligtenstellung“ des Jugendamts im Verfahren nach § 1666 BGB festgeschrieben. Damit verbunden ist das Recht, die Gerichtsakten in der Geschäftsstelle einzusehen, „soweit nicht schwerwiegende Interessen eines Beteiligten oder eines Dritten entgegenstehen“ (§ 13 Abs. 1 FamFG), sowie die Zusendung aller Schriftsätze und gerichtlichen Dokumente (Prütting & Helms/Hammer 2018, § 162 FamFG Rn. 21). Zudem wurde die Pflicht des Familiengerichts zur Benachrichtigung des Jugendamts zu allen Terminen und Entscheidungen eingefügt. Das Jugendamt sollte so „noch besser als bislang in den gerichtlichen Entscheidungsprozess eingebunden werden“ (BT-Drs. 17/10490, 2012; s. a. Anhörung und Mitwirkungspflichten der Beteiligten [Kap. 4]).

Das Familiengericht hat das Jugendamt zudem in Verfahren nach § 1666 BGB ausnahmslos und zwingend anzuhören. Die Inhalte der Anhörung ergeben sich für das Familiengericht aus dem materiellen Recht, hier aus §§ 1666, 1666a BGB. Das Jugendamt ist bereits im frühen Termin nach § 155 Abs. 2 S. 3 FamFG anzuhören; seine Teilnahme ist von wesentlicher Bedeutung. Ansonsten gibt es keine gesetzlichen Vorgaben zu Zeitpunkt, Form und Häufigkeit der Anhörung (Heilmann/Dürbeck 2020, § 162 FamFG Rn. 12 ff.; vgl. auch Prütting & Helms/Hammer 2020, § 162 FamFG Rn. 12). Unterbleibt die Anhörung wegen „Gefahr im Verzug“, muss das Familiengericht sie unverzüglich nachholen (§ 162 Abs. 1 FamFG).

Schließlich steht dem Jugendamt ein besonderes Beschwerderecht zu (§ 162 Abs. 3 S. 2 FamFG). Dies nimmt die Fachbehörde in die Pflicht: Wird die Gefährdung des Kindes oder der/des Jugendlichen nach Überzeugung des Jugendamts durch den Beschluss des Amtsgerichts nicht abgewendet, sondern setzt sich fort, ist es aus fachlicher Sicht geboten, in Beschwerde zu gehen (Katzenstein 2020, 34 f.). Der Gang zum höheren Gericht kann rechtlich auch mit § 8a Abs. 2 SGB VIII begründet werden, denn in einem Fall, in dem die Kindeswohlgefährdung weder durch die Fachbehörde noch durch das Amtsgericht abgewendet werden konnte, ist es offensichtlich, dass die Anrufung des zweitinstanzlichen Familiengerichts mittels der Beschwerde erforderlich ist (vgl. § 8a Abs. 2 SGB VIII; Ständige Fachkonferenz 2 am DIJuF 2017).

3.2 Die Gestaltung der Mitwirkung des Jugendamts nach § 50 SGB VIII

Während sich § 162 FamFG für das Familiengericht als die leitende Vorschrift zur Beteiligung des Jugendamts im Verfahren darstellt, ist § 50 SGB VIII die Norm, an der das Jugendamt sein Handeln im Verfahren orientiert.

  1. (1)

    Das Jugendamt unterstützt das Familiengericht bei allen Maßnahmen, die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen […]

  2. (2)

    Das Jugendamt unterrichtet insbesondere über angebotene und erbrachte Leistungen, bringt erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen ein und weist auf weitere Möglichkeiten der Hilfe hin. In Verfahren nach den  [...] §§ 1666, 1666a [...] des Bürgerlichen Gesetzbuches [...] legt das Jugendamt dem Familiengericht den Hilfeplan nach § 36 Abs. 2 S. vor. Dieses Dokument beinhaltet ausschließlich die Bedarfsfeststellung, die vereinbarte Art der Hilfegewährung einschließlich der hiervon erfassten Leistungen sowie das Ergebnis etwaiger Überprüfungen dieser Feststellungen. Das Jugendamt informiert das Familiengericht in dem Termin nach § 155 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit über den Stand des Beratungsprozesses.

Nach § 50 SGB VIII unterstützt das Jugendamt das Familiengericht dadurch, dass es seine – im Rahmen des eigenen Auftrags (s. o.) – gewonnenen fachlichen Erkenntnisse in das Verfahren einbringt. Dazu gehört seit Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes am 10. Juni 2021 auch die Vorlage des Hilfeplans, der über über Hilfebedarfe, die das Amt festgestellt, Leistungen, die es gewährt hat und festgestellte Veränderungen dessen unterrichtet. Informationen über (vetrauliche) Details der Familiengeschichte soll das dem Familiengericht vorgelegte Dokument hingegen nicht enthalten. Abgesehen davon verpflichtet die Norm das Jugendamt weder dazu, seine Erkenntnisse in bestimmter Form, bspw. als schriftlichen Bericht, einzubringen, noch dazu, zu Terminen zu erscheinen. Vielmehr entscheidet das Jugendamt in eigener Verantwortung über die Form der Mitwirkung im Verfahren (Wiesner/Wapler 2022, § 50 SGB VIII Rn. 7). Selbstverständlich ist es aus fachlicher Sicht jedoch geboten, die gegenseitigen Erwartungen mit dem Familiengericht auszutauschen und abzusprechen, sodass es nicht zu unkoordiniertem Handeln gegenüber der betroffenen Familie kommt.

In § 50 SGB VIII werden drei Kategorien bzw. Aspekte genannt, zu denen das Jugendamt im familiengerichtlichen Verfahren informieren soll, nämlich

  • zu erzieherischen und sozialen Gesichtspunkten zum Entwicklungsstand des Kindes/Jugendlichen,

  • zu bereits geleisteten, angebotenen und zukünftig möglichen Hilfen und

  • zum Stand des Beratungsprozesses.

Im Kinderschutzverfahren bezieht sich das Jugendamt dabei auf den Prozess und die Ergebnisse seiner Ermittlungen und Einschätzungen gem. § 8a SGB VIII. Die Fachkräfte beschreiben den bisherigen Hilfeprozess und legen dazu den Hilfeplan vor, legen die (vermutete) Gefährdung des Kindes und seiner Entwicklung dar und schätzen die Möglichkeiten und Grenzen künftiger Hilfen ein (Katzenstein 2020, S. 20 ff.).

Die Fachkräfte des Jugendamts können und sollen dabei die Fachlichkeit der jugendamtlichen Informationen und Einschätzungen im Verfahren deutlich machen. Dazu gehört es,

  • die Quellen von Informationen und Erkenntnissen, die in das Verfahren eingebracht werden, zu nennen – sowohl im schriftlichen Bericht als auch in der mündlichen Stellungnahme. Quellen können bspw. das Aktenstudium, Arztberichte, der schon erwähnte Hilfeplan, Gespräche mit den Eltern oder dem Kind, mit Fachkräften freier Träger oder Hausbesuche sein

  • die fachlichen Grundlagen von Einschätzungen zu benennen, bspw. kollegiale Fallbesprechungen, Diagnostik, Kinderschutzbögen oder sozialpädagogische Diagnosetabellen

  • grundlegend darauf zu achten, Angaben zum Grad der Sicherheit der Erkenntnisse zu machen und zunächst Fakten darzustellen, deren Bewertung getrennt in der Zusammenschau erfolgt. Es soll jedoch nicht darauf verzichtet werden, Bewertungen auszusprechen. Sorgen um ein Kind dürfen dabei mit der gebotenen Emotionalität zum Ausdruck gebracht werden.

Auch im Kinderschutzverfahren ist der Vertrauensschutz – und damit rechtlich gesehen der Datenschutz – nicht gänzlich aufgehoben. § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VIII erlaubt dem Jugendamt zwar, Informationen „zur Erfüllung der Aufgaben nach § 8a Absatz 2“ weiterzugeben, jedoch nur diejenigen, ohne die „eine für die Gewährung von Leistungen notwendige gerichtliche Entscheidung nicht ermöglicht werden könnte“ (zum Datenschutz gesamt s. a. Praxisfragen zur Schweigepflicht und zum Datenschutz im Kinderschutzverfahren [Kap. 42]).

Der Umgang damit und die Art, wie als vertraulich angesehene Informationen in das Verfahren eingebracht werden, nehmen Einfluss sowohl auf die Akzeptanz des Verfahrens als auch auf die Fortsetzung oder (Wieder-)Aufnahme des Hilfeprozesses. Fachkräfte müssen also ein Gespür dafür entwickeln, welche vertraulichen Informationen weitergegeben werden müssen und welche – bspw. zu Fehlverhalten in Bereichen, die den Kinderschutz nicht betreffen – nicht von Belang sind. Zudem ist es im Sinne von Transparenz und im Hinblick auf die zukünftige Hilfebeziehung angemessen zu versuchen, die Einwilligung der Eltern und/oder des Kindes zur Weitergabe sensibler Informationen zu gewinnen oder diese zumindest anzukündigen.

4 Von der Anrufung über den frühen Termin bis zum Beschluss: Möglichkeiten des Jugendamts, sich in das Verfahren einzubringen

Die Mitwirkung des Jugendamts im Kinderschutzverfahren muss sich nicht auf das Vermitteln von Informationen durch die Stellungnahme beschränken. Den Fachkräften steht es vielmehr offen, alle Fragen und Anregungen in das Verfahren einzubringen, die mit Blick auf das Kind, seinen Schutz und den Hilfeprozess sinnvoll erscheinen. Die Mitwirkung des Jugendamts beginnt dabei bereits mit der Anrufung des Gerichts, erstreckt sich über das gesamte Verfahren und umfasst Anregungen zur Beschlussfassung. Nach der Beschlussfassung stellt sich gegebenenfalls die Frage einer gebotenen Beschwerde.

4.1 Richterliche Hinweise bei Unklarheiten anfragen

Wichtig zu wissen ist für die am Verfahren beteiligten Fachkräfte des Jugendamts zunächst einmal, dass sie jederzeit Hinweise des Richters oder der Richterin erbitten können. Er oder sie leitet das Verfahren und ist ohnehin in der Pflicht, Hinweise zu erteilen, wenn der Vortrag eines Beteiligten unvollständig oder ungenügend ist oder wenn das Gericht einen rechtlichen Aspekt anders beurteilt als die Beteiligten (§ 28 Abs. 1 FamFG). Die richterlichen Hinweispflichten wurzeln in Bezug auf das Kinderschutzverfahren in der richterlichen Fürsorgepflicht (Kemper & Schreiber/Schreiber 2015, § 28 FamFG Rn. 6).

Es kann von juristischen Laien nicht erwartet werden, sich in den Verfahrensregeln des FamFG im Detail auszukennen. Eine Fachkraft, die die Bedeutung einer bestimmten Vorgehensweise oder Äußerung der Richterin/des Richters nicht versteht oder eine Frage dazu hat, ob und wie zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden können, gibt sich also keine Blöße, wenn sie um einen richterlichen Hinweis bittet, sondern zeigt, dass sie sich im Verfahren zu helfen weiß.

4.2 Anregungen des Jugendamts im Verfahren

Das Jugendamt hat außerdem jederzeit die Möglichkeit, Anregungen in das Verfahren einzubringen. Formelle Anträge sind im Amtsverfahren nach §§ 1666 BGB nicht vorgesehen. Es ist jedoch unschädlich, wenn eine Anregung als Antrag bezeichnet wird. Die/der Richter*in wird sie ebenso behandeln wie eine Anregung.

Beispielhaft werden im Folgenden mögliche Anregungen des Jugendamts genannt:

Anregungen, die das Kind, seine Bedürfnisse, Möglichkeiten und Grenzen in den Mittelpunkt rücken

Der eine oder andere Vorschlag zu den folgenden Anregungen erscheint vielleicht ungewohnt oder unrealistisch. Bewusst sollen hier jedoch Ideen genannt werden, die dazu beitragen könnten, das Kind im Verfahren genauer in den Blick zu nehmen (s. dazu Ständige Fachkonferenz 2 am DIJuF et al. 2014; Katzenstein 2020, S. 5 f.).

  • Anregungen, die die Anhörung des Kindes oder der/des Jugendlichen betreffen: Das Jugendamt kann Vorschläge zu Ort, Zeit und Begleitung des Kindes machen, bspw. das Kind nicht im Gericht, sondern in der Kita oder einem Kinderschutzhaus anzuhören. In besonderen Fällen kann es anregen, zur Anhörung eine geschulte Expertin/einen geschulten Experten hinzuzuziehen (zur Anhörung des Kindes s. a. Kap. 5).

  • Das Jugendamt kann anregen, die Wahrnehmungen der verschiedenen Beteiligten vom Kind im Verfahren zu besprechen, gegebenenfalls Unterschiede in den Interpretationen zu reflektieren und eventuell das Kind dazu noch einmal einzubeziehen.

  • Das Jugendamt kann anregen, einen Verfahrensbeistand mit (sozial)pädagogischer Grundqualifikation zu bestellen, wenn es dies für sinnvoll hält (zur Verfahrensbeistandschaft s. a. Kap. 37).

  • Das Jugendamt kann Fragestellungen an die/den Sachverständige*n anregen, z. B. zur Einschätzung der Ressourcen und Entwicklungspotenziale des Kindes sowie zu möglichen Entwicklungsrückständen, Gedeihstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten des Kindes (zum Sachverständigen s. a. Kap. 38, 39, und 40).

  • Das Jugendamt kann weitere Diagnostik des Kindes anregen, auch in stationärer Unterbringung, etwa in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, und kann auch vorschlagen, das Verfahren während der Zeit einer Diagnostik und/oder Behandlung auszusetzen.

  • Das Jugendamt kann die Frage einbringen, die bspw. an die/den Sachverständige*n zu richten ist, ob und welche Erkenntnisse zur Wirksamkeit spezifischer Hilfen für das in diesem Verfahren betroffene Kind mit seinen Entwicklungsrisiken oder Verhaltensauffälligkeiten vorliegen.

  • Das Jugendamt kann anregen, dass Schriftstücke und Beschlüsse für das Kind und seine Eltern in leichte Sprache übersetzt werden (Ständige Fachkonferenz 2 am DIJuF et al. 2014, S. 15).

Weitere Anregungen, die die Klärung und Ermittlung des Sachverhalts unterstützen

  • Ganz allgemein ist es möglich, Fragestellungen einzubringen, die das Jugendamt im Verfahren nach § 8a SGB VIII nicht aufklären konnte, wenn bspw. Informationslücken zur Erziehungsfähigkeit der Eltern bestehen oder die Hintergründe von Entwicklungsverzögerungen beim Kind nicht aufgeklärt werden konnten.

  • Angeregt werden kann auch die Hinzuziehung weiterer relevanter Personen zum Termin, bspw. der Fachkraft der sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH), der Kita-Erzieherin/des Kita-Erziehers oder einer Lehrerin/eines Lehrers. Die Gerichte handhaben die Hinzuziehung von Personen über das Jugendamt, den Verfahrensbeistand und die/den Sachverständige*n hinaus sehr unterschiedlich und teilweise sehr zurückhaltend. In Fällen, in denen unterschiedliche Sichtweisen und Einschätzungen vorliegen, kann es sehr hilfreich sein, dem Familiengericht vorzuschlagen, im Termin eine Auseinandersetzung darüber zu ermöglichen und die unterschiedlichen Positionen nicht nur durch schriftliche Berichte oder Vermerke (möglicherweise Dritter) ins Verfahren einzubringen (s. a. Einschätzungsunterschiede konstruktiv ins Gespräch bringen [Kap. 44]).

  • Das Jugendamt kann vorschlagen, eine bestimmte Person als Gutachter*in zu bestellen, wenn diese aus fachlicher Sicht besonders geeignet und kompetent im Hinblick auf die vorliegenden Fragestellungen erscheint. An ein vorliegendes Gutachten kann das Jugendamt kritische Fragen stellen und anregen, erkennbaren Widersprüchen nachzugehen.

  • In besonderen Fällen kann das Jugendamt anregen, einen Ortstermin vorzusehen, damit das Gericht sich einen Eindruck etwa von der häuslichen Umgebung oder dem Verhalten des Kindes in der Kita machen kann.

  • Wenn im Verfahren Ungereimtheiten und Unklarheiten auffallen, kann das Jugendamt vorschlagen, noch keinen Beschluss zu fassen, sondern einen weiteren Termin anzusetzen, um inzwischen Klärungen herbeiführen zu können.

Anregungen in Bezug auf familiengerichtliche Maßnahmen und den Beschluss

  • Das Familiengericht hat laut § 157 Abs. 3 FamFG in Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a BGB „unverzüglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu prüfen“. Es erübrigt sich dadurch nicht, dass das Jugendamt eine einstweilige Anordnung schon in der Anrufung vorschlägt, wenn es diese für erforderlich hält, um eine akute Gefährdung des Kindes abzuwenden. Das Jugendamt kann aber auch zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens anregen, dass das Gericht eine einstweilige Anordnung erlässt, wenn die Lage für das Kind sich aus Sicht der Fachkräfte des Jugendamts zu einer akuten Gefährdung zugespitzt hat. Eine einstweilige Anordnung erübrigt sich nicht durch die Inobhutnahme des Kindes.

  • Das Jugendamt kann dem Gericht diejenigen Maßnahmen vorschlagen, die aus seiner Sicht geeignet sind, um die Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Eine manchmal vorfindliche Auffassung, dass es lediglich die Aufgabe der Fachkräfte sei, die Situation des Kindes und seiner Familie zu beschreiben und die Suche nach und Abwägung von geeigneten Eingriffen in die elterliche Sorge in die alleinige Verantwortung des Gerichts falle, ist nicht zutreffend. Die Anregung einer Maßnahme unterstützt das Gericht im Prozess der Rechtsfindung, bindet es aber nicht. Das Jugendamt kann seine Vorschläge im Laufe des Verfahrens selbstverständlich verändern und sollte dies tun, wenn es den im Verfahren gewonnenen Erkenntnissen entspricht.

  • In Bezug auf die Beschlussfassung kann das Jugendamt anregen, dass das Gericht sogleich einen Termin zur Überprüfung des Beschlusses nach § 166 FamFG i. V. m. § 1696 BGB festlegt. Bei Unsicherheiten darüber, ob eine Kindeswohlgefährdung bspw. auf dem Weg einer ambulanten Hilfe abgewendet werden kann, bietet sich ein solches Vorgehen an. Allerdings sollte das Überprüfungsverfahren in kritischen Fällen nicht – wie es häufig der Fall ist – als schriftliches, verkürztes Verfahren durchgeführt werden, bei dem nur in oberflächlicher Weise Nachfragen gestellt werden.

  • Ein Kinderschutzverfahren muss immer durch einen Beschluss beendet werden, nicht durch die Protokollierung eines Vergleichs. Ein Vergleich ist ein Kompromiss, auf den sich streitige Parteien einigen – der Maßstab dafür ist in der Regel deren Einigungsbereitschaft. Eltern und Jugendamt sind jedoch keine streitigen Parteien und der Maßstab für Lösungen ist in erster Linie die Abwendung der Kindeswohlgefährdung. Wenn – wie es vorkommt – das Gericht ein Verfahren durch die Protokollierung eines Vergleichs beendet, kann das Jugendamt um einen verfahrensbeendenden Beschluss bitten. Das ist besonders wichtig, wenn eine Beschwerde in Erwägung gezogen wird, denn ohne Beschluss hängt das Verfahren gewissermaßen in der Luft und ist dem Jugendamt der Weg in die Beschwerde nicht eröffnet.