1 Einordnung

In manchen Kinderschutzfällen wird über eine außerfamiliäre Unterbringung von Kindern zur Abwendung vorhandener Gefahren nachgedacht. Ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis der Folgen eines solchen Schritts für Kinder ist wichtig, damit diese Möglichkeit angemessen erörtert werden kann und, insbesondere wenn eine strittige Entscheidung getroffen werden muss, mögliche Belastungswirkungen außerfamiliärer Unterbringung abgewogen werden können. Da die außerfamiliäre Unterbringung eines Kindes gegen den Willen der Eltern den stärksten vorstellbaren Eingriff darstellt, ist es besonders wichtig, einen fachlichen Konsens über die aus human- und sozialwissenschaftlicher Sicht bei der Entscheidung im Einzelfall zu berücksichtigenden Faktoren zu entwickeln. In manchen Fällen befinden sich Kinder zum Zeitpunkt des Verfahrens aufgrund einer Inobhutnahme allerdings bereits in außerfamiliärer Betreuung. Daher beginnt dieses Kapitel mit einer Forschungsübersicht zu Inobhutnahmen.

2 Inobhutnahme als vorübergehende Schutzmaßnahme für Kinder

Inobhutnahmen sind vorübergehende Maßnahmen der Jugendämter nach § 42 SGB VIII zum Schutz von Kindern in Krisen und Notsituationen und können erforderlich werden, wenn ambulante Hilfen nicht ausreichen, um in einer solchen Situation das Wohl des Kindes im familiären Umfeld ausreichend zu schützen (für eine Übersicht s. Rücker & Petermann 2019). Abhängig vom Alter der Kinder erfolgt die Unterbringung eher in einer Bereitschaftspflegefamilie (vorwiegend bei Kindern im Alter bis sechs Jahren) oder in einer geeigneten Einrichtung. Die Schutzmaßnahmen sind zeitlich begrenzt bis zur Entscheidung über eine Rückführung oder die Überleitung in eine geeignete Hilfeform, wie der Unterbringung in einer Einrichtung oder einer Dauerpflegefamilie. Widersprechen die Eltern der Inobhutnahme, sind Kinder zwar trotzdem in Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr besteht oder das Kind bzw. der/die Jugendliche um Obhut bittet (§ 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u. 2 SGB VIII), aber das Jugendamt ist in diesem Fall verpflichtet, unverzüglich das Gericht anzurufen (§ 42 Abs. 3 SGB VII). Wie viele Kinder in dieser außergewöhnlichen Lebenssituation pro Jahr mit einem familiengerichtlichen Verfahren nach § 1666 BGB konfrontiert werden, ist nicht bekannt. Insgesamt wurden in Deutschland im Jahr 2019 aber 40.900 Kinder und Jugendliche in Obhut genommen (Statistisches Bundesamt 2020). Gründe für die Inobhutnahme stellten bei knapp jedem zweiten Fall (47 %) eine Überforderung eines oder beider Elternteile dar, gefolgt von Anzeichen für Vernachlässigung (16 %), Beziehungsproblemen (15 %) und Anzeichen für körperliche Misshandlungen (14 %).Footnote 1

Bislang liegen nur wenige wissenschaftliche Befunde zu den Auswirkungen von Inobhutnahmen auf Kinder vor. Deshalb sind die möglichen Aussagen eher allgemein. Einerseits stellen Inobhutnahmen ein wichtiges Instrument zum Schutz von Kindern dar, andererseits sind sie aufgrund der Trennung mit erheblichen emotionalen Belastungen für Eltern und Kinder verbunden (Rücker & Petermann 2019; Ziegenhain et al. 2014). Trennungen von den Bindungspersonen führen zu erheblicher Verunsicherung bei Kindern und lösen unabhängig von der Qualität ihrer Bindungsbeziehung zu den Eltern, oder Erfahrungen von Misshandlung und Vernachlässigung, auf emotionaler Ebene Angst, Trauer, Wut und Verzweiflung sowie auf physiologischer Ebene Stress aus (Bovenschen & Spangler 2014; Bowlby 1980; Spangler & Grossmann 1993;) (s. a. Bindung und Trennung [Kap. 13]). Vor allem Kleinkinder, welche immerhin rund 15 % der in Obhut genommenen Kinder ausmachen (Statistisches Bundesamt 2020), sind bei der Emotionsregulation noch in besonderem Maße auf die Fürsorge und physische Nähe ihrer primären Bindungspersonen angewiesen, während fremde Personen die notwendige regulative Unterstützung für das Kind am Anfang nicht ausreichend leisten können, selbst wenn diese feinfühlig sind (Ziegenhain et al. 2014). Erschwerend kommt hinzu, dass v. a. Kinder mit negativen Vorerfahrungen wie Misshandlung und Vernachlässigung besondere Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation ausweisen und auf Trennungen besonders belastet reagieren (Ziegenhain et al. 2014).

Für die konkrete Einschätzung in Fällen, in denen Kleinkinder aktuell in Obhut genommen sind, ergeben sich hieraus unter anderem drei wichtige Konsequenzen:

  1. (a)

    Das Verhalten von Kindern während der Inobhutnahme-Situation kann sich von ihrem sonstigen Verhalten deutlich unterscheiden. Eventuelle Regulations- oder Verhaltensprobleme von Kindern, die sich während der Inobhutnahme zeigen, müssen nicht in gleicher Weise in der Familie auftreten. Umgekehrt gibt es auch jüngere Kinder, die sich, vor allem zu Beginn einer Inobhutnahme, aufgrund der für sie nicht einschätzbaren Bedrohlichkeit der Situation ungewöhnlich angepasst und still verhalten (Kindler 2017).

  2. (b)

    Während grundsätzlich aufgrund der emotionalen Belastung der Kinder eher eine Hemmung von Entwicklungsfortschritten während der Inobhutnahme zu erwarten ist, kann ein körperlicher oder geistiger „Entwicklungsspurt“ während der Inobhutnahme ein deutliches diagnostisches Signal für eine zuvor bestehende Mangelversorgung darstellen.

  3. (c)

    Kurz nach der Inobhutnahme ist das Bindungsverhalten eines Kindes gegenüber den Eltern aufgrund von Trennungsprotest bzw. erhöhter Anhänglichkeit häufig schwer deutbar. Wie die Eltern auf emotionale Signale und Bedürfnisse des Kindes eingehen, sagt aber etwas über die Belastbarkeit der elterlichen Zuwendung aus.

Ein weiteres Problem im Hinblick auf die Bindungsentwicklung der Kinder ergibt sich aus dem Umstand, dass die Schutzmaßnahmen häufig längere Zeit andauern, d. h. bei einem Viertel der Kinder länger als drei Monate (Statistisches Bundesamt 2020). Vor allem bei einer möglichen Rückführung ist jedoch zu berücksichtigen, dass es gerade bei jüngeren Kindern ohne engmaschige Kontakte schnell zu Ablösungsprozessen von den leiblichen Eltern kommen kann und die Kinder gleichzeitig beginnen, sich an die im Alltag verfügbaren Betreuungspersonen zu binden. In Untersuchungen in den USA und Deutschland (Bernier et al. 2004; Gabler et al. 2014; Lang et al. 2016; Stovall & Dozier 2000; Stovall-McClough & Dozier 2004) konnten stabile Muster im Bindungsverhalten von Kindern in Pflege bereits zwei bzw. sechs Monate nach Vermittlung festgestellt werden. Insbesondere Bereitschaftspflegefamilien bieten folglich die Chance, dass Kinder sich im Rahmen einer konstanten, fürsorglichen Beziehung stabilisieren und ihre Trennungsreaktionen aufgefangen werden können (Ziegenhain et al. 2014). Andererseits führt es jedoch auch dazu, dass die Kinder nach der Entscheidung hinsichtlich einer Rückführung bzw. einer dauerhaften Fremdunterbringung einen erneuten Bindungsabbruch erleben, was für die Kinder einen weiteren Belastungsfaktor darstellt. Entlastend kann in dieser Situation für die Kinder allerdings ein langsamer Übergang mit einer schrittweisen Anbahnung und allmählicher Ablösung von der Bereitschaftspflegefamilie sein, was im Zuge der Inobhutnahme zur Vermeidung einer akuten Kindeswohlgefährdung oft nicht möglich ist (Rücker & Petermann 2019). Um den Kindeswohlinteressen insbesondere jüngerer Kinder in Inobhutnahme-Situationen in Zukunft besser gerecht zu werden, ist es dringend erforderlich, übliche Routinen zu verändern und die Verfahrensdauern im Mittel deutlich zu senken. Möglichkeiten wären beispielsweise, Bereitschaftsdienste bei Sachverständigen mit schneller mündlicher Gutachtenerstattung einzurichten oder zumindest das Angebot an Eltern-Kind-Einrichtungen auszuweiten, um während des Verfahrens Trennungen zu vermeiden.

Als dritte Herausforderung ist zu sehen, dass ein Großteil der Kinder und Jugendlichen akut als Reaktion auf die Krisensituationen und/oder dauerhaft bedeutsame psychische Auffälligkeiten aufweist. So kann etwa bei der Hälfte der in Obhut genommenen Jugendlichen von einer erhöhten Suizidalität ausgegangen werden (Rücker et al. 2015a). Inobhutnahme-Einrichtungen sind jedoch häufig auf die Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen nicht spezialisiert, sodass die psychischen Belastungen der Kinder häufig nicht ausreichend wahrgenommen und bei der Perspektiv- und Hilfeplanung berücksichtigt werden (Rücker & Petermann 2019). Um auf die Bedürfnisse der Kinder angemessen eingehen zu können, erscheint folglich die Durchführung einer sorgfältigen, routinemäßigen Diagnostik sowie die Erarbeitung von Konzepten, die den Zugang zu angemessenen Versorgungsleistungen und Unterstützungsangeboten ermöglichen, bedeutsam (Rücker et al. 2015a; Rücker & Petermann 2019). Im ersten Anhörungstermin bei Gericht sollte entsprechend bei in Obhut genommenen Kindern grundsätzlich nach der psychischen Verfassung des Kindes gefragt werden und besprochen werden, inwieweit eine Wiederaufnahme von Therapie- und Fördermaßnahmen, die wegen der Inobhutnahme unterbrochen wurden, bzw. eine rasche Neuvorstellung des Kindes veranlasst sind.

Bei der Perspektiv- und Hilfeplanung ist schließlich dringend erforderlich, Art und Intensität belastender Vorerfahrungen gründlich zu erfassen und den Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten zur Partizipation hinsichtlich der Perspektivplanung einzuräumen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Gefährdungspotenziale übersehen werden und die Kinder in Folge unangemessener Rückführungsentscheidungen weiteren erheblichen Belastungen ausgesetzt werden (Rücker et al. 2015b; Rücker & Petermann 2019).

3 Entscheidung für die voraussichtlich längerfristige Fremdunterbringung eines Kindes

Gleichermaßen wie die Beurteilung der Notwendigkeit einer vorübergehenden Schutzmaßnahme stellt auch die Einschätzung der Notwendigkeit einer voraussichtlich längerfristigen Fremdunterbringung eines Kindes eine bedeutsame Herausforderung dar, wobei Fehleinschätzungen in die eine oder andere Richtung mit erheblichen Belastungen für Kinder und die Eltern und gegebenenfalls Grundrechtsverletzungen verbunden sind. Ambulante Hilfen genießen im Verhältnis zu Fremdunterbringungen gegen den Willen der Eltern Vorrang, solange sie zur Abwehr bestehender Gefahren geeignet erscheinen. Entsprechend ist es sehr bedauerlich, dass in Deutschland bislang keine einzige kontrollierte Studie zur Wirkung und Nachhaltigkeit ambulanter Hilfekonzepte bei verschiedenen Formen von Kindeswohlgefährdung durchgeführt wurde. Dies zwingt Fachkräfte und Sachverständige zum Rückgriff auf schwer kontrollierbare Erfahrungswerte oder internationale Befunde (z. B. Gubbels et al. 2019) und ist eine Teilerklärung für die in verschiedenen Teilen Deutschlands sehr unterschiedlichen Fremdunterbringungsquoten (Mühlmann 2019). Insgesamt muss man sich neben den Chancen auch der Grenzen ambulanter Hilfen bewusst sein. Es ist wichtig zu erkennen, wenn die verfügbaren oder bereitgestellten ambulanten Hilfen nicht ausreichen können, um eine Gefährdung des Kindes abzuwenden, und in diesen Situationen entweder ambulante Hilfen erst gar nicht zu beginnen oder bei laufenden Hilfen zeitnah zu handeln. Andernfalls kann es zu erneuten Gefährdungsereignissen kommen oder es verstreicht wertvolle Zeit, in der die Kinder weiterhin schädigenden Entwicklungsbedingungen ausgesetzt sind, anstehende Entwicklungsaufgaben nur unzureichend bewältigen können und das Risiko für Fehlanpassungen sukzessive steigt (Kindler 2010; Schmid & Fegert 2019). Eine Übersicht über Gegenanzeigen und Ausschlussgründe für ambulante Hilfen zur Erziehung in Gefährdungsfällen findet sich in den Kap. 29, 30 und 31 (s. a. Hilfe- und Fördermöglichkeiten dies- und jenseits der Kinder- und Jugendhilfe [Kap. 29]).

Bei der Abwägung, ob allein eine Fremdunterbringung zur Abwehr bestehender Gefahren als geeignet angesehen werden muss, ist immer eine umfassende Prüfung im Einzelfall erforderlich. Orientierung können Befunde aus internationalen Studien bieten, die Risikofaktoren für scheiternde ambulante Hilfeverläufe erfasst haben. Die Befunde einer Meta-Analyse, in die die Ergebnisse 20 internationaler Studien einflossen, ergaben, dass durch die Bereitstellung ambulanter Kriseninterventionen zwar das Funktionsniveau vielfältig belasteter Familien im Schnitt verbessert werden konnte, Fremdunterbringungen letztendlich aber nur bei denjenigen Familien verhindert werden konnten, bei denen es zum Zeitpunkt des Hilfebeginns noch zu keiner Gefährdung des Kindeswohls durch Misshandlung oder Vernachlässigung gekommen war (Al et al. 2012). Eine groß angelegte Studie aus den USA (Horwitz et al. 2011) als auch eine kleine Studie aus Deutschland (Kindler et al. 2008) kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass Familien nach einem festgestellten bzw. wahrscheinlichen Gefährdungsereignis und dem Vorliegen von mehr als drei weiteren erheblichen Belastungsfaktoren (wie elterliche Psychopathologie oder Suchterkrankung, Überforderung in der Erziehung, ein hohes Ausmaß vom Kind gestellter Erziehungsanforderungen, Misshandlungserfahrungen der Eltern in der eigenen Kindheit, Armut etc.), eine Fremdunterbringung infolge erneuter Gefährdungsereignisse im weiteren Verlauf kaum vermieden werden konnte. Darüber hinaus konnte auch die Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern zur Inanspruchnahme von Hilfen als wichtiger Prädiktor hinsichtlich der Wirkung ambulanter Hilfsangebote zur Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen identifiziert werden (Littell & Girvin 2005).

Auch wenn v. a. die internationalen Befunde aufgrund der Unterschiedlichkeit der Hilfesysteme und Hilfsangebote nicht unmittelbar auf die Situation in Deutschland übertragen werden können, weisen sie doch insgesamt auf eher geringe Erfolgschancen ambulanter Hilfen hin, wenn es in Familien sowohl bereits zu einem Gefährdungsereignis gekommen ist, gleichzeitig eine Kumulation von relevanten Belastungsfaktoren vorliegt und die Eltern wenig Bereitschaft zur Annahme von Unterstützung zeigen. Etablierte diagnostische Verfahren mit geprüfter Vorhersagekraft zur Notwendigkeit einer Fremdunterbringung von Kindern in Kinderschutzfällen existieren derzeit in Deutschland nicht. Zumindest aber lassen sich zu berücksichtigende Faktoren benennen, zu welchen zum Teil geprüfte Verfahren vorliegen. Zu berücksichtigen sind insbesondere (a) die von Kindern gestellten Fürsorge- und Erziehungsanforderungen im Verhältnis zu (b) den Erziehungsfähigkeiten der Eltern (s. a. Pflege, Versorgung und Vermittlung emotionaler Geborgenheit [Kap. 26] und Erziehungsfähigkeit und –bereitschaft: Vermittlung von Regeln und Förderung [Kap. 27]). Weiter ist (c) das Ausmaß der Gefahr erneuter Schädigungsereignisse festzustellen. Hier gibt es geprüfte Verfahren (siehe Infokasten).

Einschätzung der Gefahr erneuter Vernachlässigung oder Misshandlung

Nach bekannt gewordenen Vernachlässigungs- oder Misshandlungsereignissen werden bezogen auf einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren in etwa 30–40 % der Misshandlungsfälle und etwa 50–60 % der Vernachlässigungsfälle weitere Gefährdungsereignisse registriert, sofern weitere Kinder in der Familie leben (z. B. Jonson-Reid et al. 2003). Im Einzelfall kann dieses Risiko deutlich geringer, aber auch höher ausfallen. Entsprechend hat sich gezeigt, dass es die „typische“ Vernachlässigungs- oder Misshandlungsfamilie nicht gibt, sondern Untergruppen mit unterschiedlich vielen Belastungen und Risiken (z. B. Rijbroek et al. 2019). Im Gerichtsverfahren können Schutzmaßnahmen an diesen Umstand angepasst werden, wenngleich nach Vernachlässigung bzw. Misshandlung in jedem Fall Maßnahmen zur Senkung des Rückfallrisikos erforderlich sind. Hierfür ist eine Einschätzung der Wiederholungsgefahr notwendig. Wichtige Faktoren für die Einschätzung der Gefahr erneuter Vernachlässigung oder Misshandlung im Einzelfall sind:

  • In ihrer Kindheit von Elternteilen selbst erfahrene Vernachlässigung oder Misshandlung

  • Persönlichkeitsauffälligkeiten in Form einer sehr hohen Impulsivität (im Hinblick auf Misshandlung)

  • Elterliche psychische Erkrankungen, wobei Depressionen und Alkoholerkrankungen mit einer merklichen, aber moderaten Erhöhung des Wiederholungsrisikos einhergehen. Stärkere Effekte finden sich für antisoziale Persönlichkeitsstörungen, emotional instabile Persönlichkeitsstörungen, eine Abhängigkeit von illegalen Substanzen (außer Cannabis), akute paranoid gefärbte psychotische Erkrankungen und einen Intelligenzquotienten unter 60 (letzteres nur im Hinblick auf Vernachlässigung)

  • Partnerschaftsgewalt, insbesondere wenn es sich um verletzungsträchtige Gewalt handelt, die in ein Muster von Kontrolle und Demütigung der Partnerin bzw. des Partners eingebettet ist

  • Soziale Isolation

  • Merkmale des Kindes, die dessen Versorgung sehr anstrengend machen, etwa frühe Regulationsstörungen (z. B. Schreibaby), ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörungen bzw. ausgeprägtes oppositionelles Verhalten

  • Frühere, plausible Gefährdungsmitteilungen (auch im Hinblick auf Geschwister)

  • Elterliche Verantwortungsabwehr, d. h. Elternteile sehen sich trotz einer aktuellen belegten oder sehr wahrscheinlichen Vernachlässigung bzw. Misshandlung nicht in der Verantwortung, Schritte der Veränderung zu gehen

Nähere Erläuterungen zu den einzelnen Faktoren und ihrer Erfassung sind bei Kindler et al. (2006, S. 441–445) frei im Internet zugänglich. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Berücksichtigt werden sollten bei der Gefährdungseinschätzung allerdings nur Faktoren, welche in mindestens zwei Längsschnittstudien als bedeutsame Vorhersagefaktoren identifiziert werden konnten (für eine Forschungsübersicht s. Kindler 2006, S. 201–210). Es liegen mehrere Zusammenstellungen vorhersagestarker, hinreichend voneinander verschiedener und einigermaßen gut erkennbarer Faktoren in Form von Instrumenten vor, die sich in Kinderschutzverfahren als aussagekräftig erwiesen haben (van der Put et al. 2017). In einer deutschen Studie mit dem Risikomodul des Kinderschutzbogens der Städte Stuttgart, Düsseldorf und Hamburg fanden sich bezogen auf drei Jahre in Kinderschutzfällen mit maximal einem Risiko keine Rückfälle, bei denen nachfolgend Kinder zu Schaden kamen. Bei zwei bis drei Risiken lag diese Häufigkeit bei 13 % und bei vier oder mehr Risiken bei mehr als 50 % (Kindler et al. 2008; Stobel et al. 2008). In einer vergleichbaren amerikanischen Studie lagen die Raten erneuter bestätigter Gefährdungsereignisse innerhalb eines Jahres bei einem geringen Risiko bei 0 %, bei einem mittleren Risiko bei 8 %, bei einem hohen Risiko bei 14 % und bei einem sehr hohen Risiko bei 29 % (Baird et al. 1995). Die angesprochenen Verfahren können nicht zur Risikoeinschätzung bei innerfamiliär drohender sexueller Gewalt gegen Kinder eingesetzt werden (s. hierzu Graf et al. 2018; Palusci & Ilardi 2020).

Da in der Regel in Kinderschutzverfahren Hilfen zur Wiederherstellung der Erziehungsfähigkeit benötigt werden, stellen außerdem auch die Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern, ambulante Hilfen zu nutzen bzw. von ihnen zu profitieren, einen zu berücksichtigenden Gesichtspunkt dar. Hierzu liegen zumindest einzelne Befunde (Platt & Riches 2016) und Zusammenstellungen für eine umfassende Einschätzung vor (s. a. Hilfe- und Fördermöglichkeiten dies- und jenseits der Kinder- und Jugendhilfe [Kap. 29]). Schließlich sind auch die Willensäußerungen der betroffenen Kinder zu erfassen, welche allerdings reflektiert werden müssen (s. a. Wie verstehen Kinder Misshandlung, Vernachlässigung und Missbrauch [Kap. 18]). Hierbei ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass Kinder, wenn die Fremdunterbringung mit einem Ende von Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch verbunden ist, häufig zuvor ablehnende Willensäußerungen überdenken und sich nach einiger Zeit zustimmend äußern (Merritt & Franke 2009).

4 Situation und Entwicklung von Kindern in längerfristiger Fremdunterbringung

Da Gerichte mögliche Auswirkungen einer Herausnahme auf das Kindeswohl bei einer Entscheidung bedenken müssen und Laien hier manchmal idealisierte oder katastrophische Vorstellungen des Aufwachsens getrennt von den Eltern hegen, ist es wichtig, dass in Kinderschutzverfahren Wissen über Entwicklungsläufe von Kindern in Fremdunterbringung vorhanden ist und vorgetragen wird.

4.1 Fremdplatzierte Kinder als vulnerable Gruppe

Kinder in Fremdunterbringung stellen zunächst einmal eine deutlich belastete Gruppe von Kindern dar. Die überwiegende Mehrheit fremdplatzierter Kinder war in ihrer Herkunftsfamilie multiplen Belastungen, ungünstigen Erziehungsbedingungen und potenziell traumatisierenden Erfahrungen ausgesetzt (Schmid et al. 2013; Walter 2004). Darüber hinaus stellt auch die Fremdplatzierung an sich ein kritisches Lebensereignis für die Kinder dar. Betroffene Kinder müssen die Trennung von ihren Bezugspersonen und erhebliche Veränderungen im sozialen Umfeld verkraften und sich an neue Bezugspersonen, Abläufe und Regeln anpassen. Neben der Trauer über den Verlust der Bezugsperson erleben die Kinder Verunsicherung über den Grund und die Dauer der Fremdunterbringung, fühlen sich gegebenenfalls verantwortlich, empfinden Scham oder Besorgnis bezüglich ihrer Eltern (Baker et al. 2013; Mitchell 2016; Mitchell & Kuczynski 2010).

Fremdplatzierte Kinder und Jugendliche weisen als Gruppe betrachtet aufgrund dieser Belastungserfahrungen ein sehr hohes Risiko multipler Probleme auf, wie Entwicklungsverzögerungen, Schulprobleme, Verhaltensauffälligkeiten, psychische Störungen und Bindungsstörungen (Bernard et al. 2015; Fearon et al. 2010; Fisher 2015; Nusslock & Miller 2016; Zimmermann 2015). Nationale und internationale Studien berichten beispielsweise übereinstimmend von klinisch relevanten psychischen Problemen bei 30 % bis 60 % der Pflegekinder, d. h. dass Pflegekinder im Vergleich zu anderen Kindern ein mindestens doppelt so hohes Erkrankungsrisiko aufweisen (DJI & DIJuF 2006; Fisher 2015; Kindler et al. 2010; Pérez et al. 2011). Bei Heimkindern werden noch höhere Raten von ca. 70 % bis 80 % berichtet (Dölitzsch et al. 2014; Schmid et al. 2013; Schröder et al. 2017). Diese Befunde bedeuten nicht, dass es sich bei der Fremdunterbringung in den untersuchten Fällen vielfach um Fehlentscheidungen gehandelt hat. Der Vergleich mit Kindern, die nach Gefährdung bei den Eltern verbleiben, ist nur sehr beschränkt möglich, da in allen Kinderschutzsystemen bei schwereren Gefährdungsfällen (und damit häufig schwerer geschädigten Kindern) massiver interveniert werden muss. Aber sie zeigen, dass mit Fremdunterbringungen als Intervention vorsichtig umgegangen werden sollte oder zumindest in Kinderschutzfällen nicht erwartet werden sollte, dass mit der Beendigung der Gefährdung infolge einer Herausnahme rasch und regelhaft eine Normalisierung des Entwicklungsverlaufs eintritt. Trotzdem hellt sich das Befundbild unter einer Verlaufsperspektive auf.

4.2 Entwicklungsverläufe

Neben dem Schutz vor (weiteren) erwartbaren Schädigungen im familiären Umfeld, eröffnen längerfristige Fremdplatzierungen Kindern die Chance auf positive Entwicklungsverläufe. Nationale und internationale Befunde weisen darauf hin, dass sich bei Kindern nach einem Wechsel in eine günstige Fürsorgeumgebung mehrheitlich positive Veränderungen, z. B. im Entwicklungsstand, im schulischen Verhalten, der Beziehungsfähigkeit und der psychischen Gesundheit zeigen (Übersicht s. Kindler 2010). Auch wenn ein vollständiges Aufholen im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne entsprechende Belastungserfahrungen oft nicht möglich ist, zeigt sich bei den Kindern doch ein erstaunliches Potenzial, von positiven Veränderungen in den Fürsorgebedingungen zu profitieren.

Forschungsbefunde liegen vorwiegend zum Verlauf der Bindungsentwicklung und der psychischen Belastung von Kindern in Fremdunterbringung vor. Im Hinblick auf die Beziehungsfähigkeit der Kinder, welche gegebenenfalls auch durch wiederholte Bindungsabbrüche zusätzlich belastet ist, bieten Dauerpflegefamilien im Gegensatz zu Heimen den Vorteil, dass sie Kindern ein Aufwachsen in einem sicheren familiären Kontext ermöglichen und durch das Vorhandensein fester Fürsorgepersonen die Voraussetzung für den Aufbau von Bindungsbeziehungen zu den Pflegeeltern schaffen. Die Befunde einer Meta-Analyse weisen darauf hin, dass der Bindungsaufbau bei Pflegekindern prinzipiell gut gelingen kann, wobei Pflegekinder ebenso häufig sichere Bindungsmuster zu ihren Pflegeeltern aufbauen können wie der Durchschnitt von Kindern, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen (van den Dries et al. 2009). Bei mehrjährigen Aufenthalten in der Pflegefamilie berichtet ein Großteil der Pflegekinder zudem von einer deutlichen Verbundenheit mit den Pflegeeltern und wünscht sich vermehrt einen langfristigen Verbleib in der Pflegefamilie. Positive Bindungserfahrungen, bei denen die Kinder ein hohes Ausmaß an emotionaler Wärme und Sicherheit erfahren, stellen einen bedeutsamen Schutzfaktor für die weitere Entwicklung der Kinder dar. Das Erleben emotionaler Sicherheit in der Bindungsbeziehung zu den Pflegeeltern ermöglicht es den Kindern, sich verstärkt auf ihre Entwicklungsaufgaben und die schulische Entwicklung zu fokussieren, und trägt dazu bei, dass Belastungserfahrungen besser bewältigt werden können (Cheung et al. 2011; Li et al. 2019; Rutter 1990). Obwohl Pflegefamilien als Form der Unterbringung in Deutschland nahezu ausschließlich bei jüngeren Kindern genutzt werden, werden Pflegefamilien in anderen europäischen Ländern auch bei älteren Kindern eingesetzt und Studien deuten darauf hin, dass auch ältere Kinder von den Bindungserfahrungen in einer Pflegefamilie mehrheitlich profitieren (Joseph et al. 2014).

Nichtsdestotrotz kann der Bindungsaufbaubei Pflegekindern allerdings auch sehr leicht irritiert werden (Dozier et al. 2001), was sich u. a. darin zeigt, dass Pflegekinder im Vergleich zu anderen Kindern deutlich häufiger desorganisierte Bindungen aufweisen (van den Dries et al. 2009). Das Problem ist, dass Kinder mit Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen häufig ihre Bedürfnisse nicht eindeutig zeigen können, was es den Pflegeeltern schwer macht, feinfühlig auf die Kinder einzugehen, und die Kinder gleichzeitig aufgrund ihrer Vorerfahrungen auf ein sehr hohes Maß an Feinfühligkeit angewiesen sind, um eine sichere Bindung entwickeln zu können (Dozier & Bernard 2019; Dozier et al. 2001). Es bedarf deshalb zum einen wirksamer Unterstützungsangebote, um Pflegefamilien beim Bindungsaufbau zu unterstützen. Ein in den USA entwickeltes und sehr positiv evaluiertes Programm stellt das Attachment and Biobehavioral Catch-Up Programm (ABC) von Mary Dozier dar (Dozier & Bernard 2019), mit welchem auch im Rahmen eines ersten Pilotprojekts in Deutschland Pflegefamilien erfolgreich beim Bindungsaufbau unterstützt werden konnten (Zimmermann et al. 2021). Zum anderen ist es wichtig, bei Entscheidungen über Pflegekinder diese Vulnerabilität zu bedenken und zusätzliche Belastungen oder Anforderungen nur nach gründlicher Diagnostik zu beschließen.

Im Vergleich kann in stationären Einrichtungen den Bindungsbedürfnissen der Kinder weniger Rechnung getragen werden und die Möglichkeiten für einen positiven Bindungs- und Beziehungsaufbau erscheinen deutlich beschränkt (Bullock et al. 2016). Eine internationale Meta-Analyse weist darauf hin, dass es den meisten Kindern in Einrichtungen nicht gelingt, ein sicheres Bindungskonzept zu entwickeln (Lionetti et al. 2015). Auch bei den vorhandenen Studien aus Deutschland konnten bei einem großen Anteil der Kinder keine stabilen oder desorganisierte Strategien beobachtet werden (Nowacki & Schoelmerich 2010; Schleiffer & Müller 2002). Bei diesen Befunden spielt sicherlich auch eine wesentliche Rolle, dass sich Pflege- und Heimkinder in ihren Charakteristika unterscheiden, wobei Kinder, die in Heimen untergebracht werden, meist bereits älter sind und mehr Problemverhalten aufweisen. Insgesamt ist aber davon auszugehen, dass v. a. auch die strukturellen Bedingungen (Mitarbeiterfluktuation, Schichtdienst, Fokus auf pädagogischen Aspekten statt auf Beziehungsaufbau) hierzu beitragen (Bovenschen & Spangler 2014).

Zur Entwicklung von Verhaltensproblemen bei Kindern in Fremdunterbringung ist die Befundlage nicht ganz eindeutig. Bei Untersuchungen von Jugendlichen in Heimen konnten im Schnitt deutliche Kompetenzzugewinne und eine Reduktion von Erlebens- und Verhaltensproblemen festgestellt werden (Schmid et al. 2013). Dies gelingt aber nicht in jedem Fall, wozu die ganz erhebliche Unterversorgung mit Psychotherapie bei Heimkindern und das oft nur eingeschränkte Angebot an stabilen Beziehungen zu Betreuungspersonen, Eltern und Geschwistern beitragen. Deshalb weisen Verhaltensprobleme auch eine nicht zu unterschätzende Stabilität auf und scheinen insgesamt schwerer durch Veränderungen der Fürsorgebedingungen veränderbar zu sein als beispielsweise die Bindungsentwicklung von Kindern (Gabler et al. 2014; Lang et al. 2016). Bei Pflegekindern konnten Studien teilweise eine Abnahme von internalisierenden und externalisierenden Problemen über die Zeit verzeichnen, wohingegen in einer internationalen Meta-Analyse bei Pflegekindern im Durchschnitt keine erheblichen positiven Veränderungen im Ausmaß internalisierender und externalisierender Probleme festgestellt werden konnten (Goemans et al. 2015). Vor allem ist es hier als ein Problem zu sehen, dass Pflegeeltern im Umgang mit entstandenen oder zum Zeitpunkt der Unterbringung bereits vorhandenen erheblichen psychischen Auffälligkeiten nicht geschult sind und ohne intensive fachliche Unterstützung schnell an ihre Grenzen geraten. Ganz eindeutig zeigen die Befunde für diese Fälle eine mangelnde therapeutische Versorgung von Kindern in Pflegefamilien, sodass etwa nur ein Drittel der Kinder in Pflegefamilien mit behandlungsbedürftigen Auffälligkeiten tatsächlich auch therapeutische Unterstützung erhält (Kindler 2010). In stationären Einrichtungen kann im Schnitt zwar von einem leichteren und systematischeren Zugang zu Diagnostik und therapeutischen Hilfen ausgegangen werden, allerdings ist auch hier insgesamt eine Unterversorgung belegt und zudem weist die Kooperation zwischen Jugendhilfe und psychiatrischer Versorgung einen bedeutsamen Optimierungsbedarf auf (Besier et al. 2009; Schmid & Fegert 2019).

In der Summe ist für Gerichte, die mögliche negative Folgen einer Fremdunterbringung bei der Entscheidungsfindung bedenken müssen, festzuhalten, dass Bindungsabbrüche, unabhängig von der Qualität der Bindungen, eine Belastung darstellen und Kinder in Fremdunterbringung eine belastete Gruppe sind. Auch bei Vorerfahrungen von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch gelingt Pflegekindern aber mehrheitlich der Aufbau sicherer Bindungen zu den Pflegeeltern und Kinder in stationären Einrichtungen bauen mehrheitlich, allerdings nicht in jedem Einzelfall, bestehende Verhaltensauffälligkeiten ab.

4.3 Stabilität und Qualität der Fürsorge als wesentliche Gelingensbedingungen von Fremdplatzierungen

Eine Grundvoraussetzung dafür, dass Kinder in Fremdunterbringung von dieser profitieren können, ist, dass die Platzierung eine ausreichende Stabilität aufweist. Die Befunde bei Kindern in Heimunterbringung weisen darauf hin, dass der Erfolg der Maßnahme mit der Dauer der Hilfe in einem stabilen Umfeld einhergeht (Schmid & Fegert 2019). Etwa jede fünfte Fremdplatzierung endet jedoch innerhalb eines Jahres mit einem Abbruch (ebd.). Folglich durchläuft eine Vielzahl fremdplatzierter Kinder häufig mehrere Pflegefamilien oder Heimplatzierungen, was erhebliche negative Folgen für die Entwicklung der Kinder hat. Es ist nachgewiesen, dass das Risiko für die Entwicklung von psychischen Problemen, Verhaltensauffälligkeiten, Bindungsproblemen, Schulschwierigkeiten sowie Delinquenz und Suchtproblemen mit der Anzahl an Unterbringungswechseln und damit einhergehenden Bindungsabbrüchen steigt (Pérez et al. 2011; Semanchin Jones & LaLiberte 2017; Strijker et al. 2008). Mit der Zeit kann sich ein Teufelskreis entwickeln aus wachsenden Erziehungsanforderungen durch das Kind, denen die Betreuungspersonen gerecht werden müssen, und wiederholten Abbrüchen von Unterbringungen, was die Eingliederung von Kindern zunehmend erschwert. Die gesellschaftliche Teilhabe und Lebensqualität von Kindern mit vermehrten Abbrüchen ist langfristig erheblich eingeschränkt (Aarons et al. 2010).

Um Krisen und Abbrüche zu verhindern und angemessen auf die spezifischen Bedürfnisse der Kinder eingehen zu können, ist es wichtig, im Zuge der Unterbringung die Belastungen und Erziehungsanforderungen des Kindes (wie spezifische Förderbedarfe, delinquentes Verhalten, Schulprobleme, psychische und physische Probleme) angemessen zu erfassen und bei der Hilfeplanung und Bereitstellung der notwendigen Hilfen ausreichend zu berücksichtigen (Kindler 2010). Gerade auch bei Pflegefamilien, die im Gegensatz zu Fachkräften in Einrichtungen im Umgang mit psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten in der Regel nicht geschult sind, ist es wichtig, von Anfang an ausreichend fachliche Unterstützung bereitzustellen. Darüber hinaus kann auch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen an den spezifischen Herausforderungen der Fremdunterbringung an sich zur Verringerung der Belastung, der Akzeptanz und somit zu Stabilität und Erfolg der Maßnahme beitragen. Ansatzpunkte bieten hier beispielsweise die Biografiearbeit (Lattschar & Wiemann 2018), welche den Kindern und Jugendlichen helfen kann, der Situation Sinnhaftigkeit zu verleihen, was sich positiv auf Selbstvertrauen, Wohlbefinden und Identitätsbildung der Kinder auswirken kann (Watson et al. 2015; Willis & Holland 2009).

Schließlich stellt auch die Zustimmung und Mitarbeit der leiblichen Eltern einen nicht zu vernachlässigenden Faktor hinsichtlich des Gelingens von Fremdplatzierungen dar (Schmid & Fegert 2019). Insbesondere in Fällen, in denen eine zeitnahe Rückführung angestrebt wird, ist es lohnenswert, soweit möglich, bereits im Vorfeld einer Unterbringung auf die Mitarbeit der Familie hinzuwirken, da dies auch ein gutes Fundament für die Elternarbeit bietet (ebd.). Da die Eltern in der Eingewöhnungsphase sehr bedürftig sind und es für sie schwierig ist zu akzeptieren, nicht selbst ausreichend für ihr Kind sorgen zu können, ist wichtig, diese von Anfang an einzubinden und ihnen sensibel und wertschätzend zu begegnen (ebd.). Für Gerichtsverfahren bedeuten die Befunde zur Bedeutung der Zustimmung von Eltern zu einer Fremdunterbringung, dass ein Werben um die Einwilligung der Eltern auch dann sinnvoll ist, wenn eine strittige Entscheidung gut begründet werden kann. Selbst wenn Eltern nicht expressis verbis einwilligen können, mildert ein intensives Bemühen um ihre Zustimmung doch häufig die Entschiedenheit elterlichen Widerstandes.

5 Wahl der geeigneten Unterbringungsform

Um für Kinder eine stabile Situation zu schaffen, ist es außerdem wichtig, eine geeignete Unterbringungsform zu wählen. Eine einfache Heuristik gibt es auch für diese Entscheidung nicht, sondern es bedarf stets einer einzelfallbezogenen Abwägung unter Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse des einzelnen Kindes (Kindler 2010).

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass den Bindungsbedürfnissen v. a. jüngerer Kinder in einer Pflegefamilie eher Rechnung getragen werden kann als in Heimeinrichtungen. Darüber hinaus werden Platzierungen in einer Pflegefamilie von Kindern in der Regel auch weniger stigmatisierend erlebt und Pflegekinder äußern im Schnitt mehr Zufriedenheit mit der Betreuungssituation und den Bezugspersonen als Heimkinder (Delfabbro et al. 2002). Bindungsproblematiken (z. B. gravierende Bindungsstörungen, Probleme mit zwischenmenschlichem Vertrauen), verursacht durch wiederholte Bindungsabbrüche und Misshandlungserfahrungen, können es Kindern jedoch erschweren, sich auf die Bindungsangebote von Pflegeeltern einzulassen, was im Gegenzug auch die Pflegeeltern überfordern kann. Bei Unterbringung in einer Pflegefamilie sind in diesen Fällen eine intensive Vorbereitung und therapeutische Begleitung der Familie dringend erforderlich. Bei sehr geringer Bereitschaft, sich auf neue Beziehungen einzulassen, kann allerdings auch die Unterbringung in einer Einrichtung mit einem Netz von Bezugspersonen erfolgversprechender im Hinblick auf die Herstellung einer langfristig stabilen, entwicklungsförderlichen Situation sein, auch wenn die Chance auf korrigierende Bindungserfahrungen in diesem Fall eher gering ist (Friedrich & Schmid 2014).

Ähnliches gilt für das Vorliegen von erheblichen Erziehungsanforderungen des Kindes aufgrund von psychischen Problemen, Entwicklungsverzögerungen, Schulproblemen etc. Grundsätzlich stellen diese keine Kontraindikation für die Unterbindung in eine Pflegefamilie dar (Oosterman et al. 2007). Vielmehr kann die Mehrheit der Pflegekinder über die Zeit positive Entwicklungen in diesen Entwicklungsbereichen verzeichnen (s. o.). Extrem aggressive Verhaltensweisen, erhebliche Einschränkungen in der Selbstregulation und Grenzverletzungen des Kindes zählen auf der anderen Seite jedoch zu den wichtigsten Vorhersagefaktoren eines Scheiterns von Pflegeverhältnissen (Aarons et al. 2010; Oosterman et al. 2007). Bei der Unterbringung von Kindern mit entsprechenden Auffälligkeiten in einer Pflegefamilie ist folglich auf eine angemessene Aufklärung der Pflegeeltern über die Probleme des Kindes und die Bereitstellung eines Netzwerks an notwendigen Hilfen und Unterstützungsmaßnahmen zu achten (Kindler 2010). In einigen Fällen sollte allerdings eher eine Erziehungsstelle (pädagogisch/therapeutisch geschulte Pflegeeltern) in Betracht gezogen werden oder eine Unterbringung in einer therapeutisch qualifizierten Einrichtung, um den besonderen Bedürfnissen der Kinder ausreichend gerecht zu werden (ebd.). Bei weniger pädagogisch qualifizierten Einrichtungen besteht auf der anderen Seite jedoch durchaus auch die Gefahr von negativen Lernprozessen beim Kind durch auffällige Verhaltensweisen anderer Kinder (ebd.).

Schließlich stellt für das Gelingen einer Unterbringung in einer Pflegefamilie die gegenseitige Akzeptanz von Pflegeeltern und leiblichen Eltern einen wichtigen Punkt dar, da es andernfalls beim Kind zu heftigen Loyalitätskonflikten kommen kann oder auch die Pflegeeltern unter der Ablehnung durch die leiblichen Eltern leiden (Friedrich & Schmid 2014). Grundsätzlich ist es wichtig, Pflegeeltern und leibliche Eltern durch Beratung beim Aufbau von Akzeptanz zu unterstützen. In manchen Fällen kann aber auch die Heimunterbringung die bessere Alternative darstellen, da durch deutlicher wahrnehmbare Rollenunterschiede und eine professionelle Beziehungsgestaltung Konflikte leichter abgemildert werden können (Kindler 2010).

6 Fazit

Entscheidungen hinsichtlich der Notwendigkeit einer Fremdunterbringung stellen eine große Herausforderung dar und benötigen gründlicher Abwägung, da Fehlentscheidungen in die eine oder andere Richtung gravierende Folgen für die betroffenen Kinder und ihre Eltern haben können. Trennungen von den Eltern sind für Kinder mit erheblichen emotionalen Belastungen verbunden, welche jedoch gegebenenfalls in Kauf genommen werden müssen, um das Wohl des Kindes zu schützen. Eine gründliche Analyse von bisherigen Gefährdungsmomenten, relevanten Risikofaktoren und der Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern, Hilfen anzunehmen, ist bei der Abwägung, inwieweit Familien von ambulanten Hilfen ausreichend profitieren können, um eine Gefährdung des Kindes zu verhindern, oder ob eine Fremdunterbringung zum Schutz des Kindes erforderlich ist, zentral. Insgesamt stellen fremdplatzierte Kinder aufgrund ihrer Vorerfahrungen eine sehr belastete und vulnerable Gruppe dar, welche aber von positiven Veränderungen in den Fürsorgebedingungen im Schnitt erstaunlich profitieren können. Damit dies gelingen kann, bedarf es allerdings stabiler Platzierungen mit einer hohen Fürsorgequalität. Eine unzureichende therapeutische oder pädagogische Versorgung der Kinder, eine unzureichende Unterstützung der Bezugspersonen und wiederholte Unterbringungswechsel stellen auf der anderen Seite ein erhebliches Risiko für Entwicklung, Teilhabe und Lebenszufriedenheit der betroffenen Kinder dar. Für ein Gelingen von Fremdplatzierungen bedarf es somit einer gründlichen Diagnostik der spezifischen Bedarfe der Kinder, welche sowohl die Auswahl der Unterbringungsform als auch die Auswahl der bereitgestellten Hilfen leiten sollte.