1 Hilfen und Schutzkonzepte als Teil der Abwendung von Gefahren

Liegt eine Kindeswohlgefährdung vor, besteht der Sinn des familiengerichtlichen Kinderschutzverfahrens darin, die Situation betroffener Kinder deutlich zu verbessern. Das Recht gebraucht hierfür in § 1666 Abs. 1 BGB den Begriff einer „Abwendung der Gefahr“. Nicht festgelegt hat der Gesetzgeber, mit welchem Grad an Sicherheit und Nachhaltigkeit eine vorhandene Gefahr abgewendet werden soll.

Reflexionsfrage

In einer Familie ist es zur Misshandlung eines Kleinkindes gekommen, das hierbei Verletzungen erlitten hat, die schwerwiegend, aber nicht lebensbedrohlich waren und auch nicht zu dauerhaften Beeinträchtigungen geführt haben. Eine Sachverständige trägt vor, die Wiederholungsgefahr wäre gering und könne durch geeignete ambulante Hilfen, die die Eltern bereit sind anzunehmen, sowie ein Schutzkonzept weiter gesenkt werden. Zugleich weist sie darauf hin, dass eine erneute Misshandlung in der Familie durch die empfohlene ambulante Hilfe und ein Schutzkonzept nicht völlig ausgeschlossen werden könne und, falls es zu einer weiteren Misshandlung kommt, eine schwere, vielleicht sogar tödliche Verletzung des Kindes keineswegs unmöglich sei.

Was bedeutet hier Abwendung der Gefahr? Verlangen die geforderte „effektive Gefahrenabwehr“ (Staudinger/Coester 2020, § 1666 BGB Rn. 212) und der Anspruch eines Kindes auf Schutz durch den Staat (BVerfG 3.2.2017 – 1 BvR 2569/16) einen Ausschluss der Wiederholungsgefahr und daher eine längerfristige Trennung des Kindes von den Eltern? Oder kann, wie wir argumentieren würden, im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs im Fall einer Trennung und den hierfür sehr strengen Prüfmaßstab des § 1666a BGB die Gefahr bereits dann abgewehrt gelten, wenn ein geringes Wiederholungsrisiko durch Hilfen weiter gemindert werden kann?

Der Text startet mit dieser Reflexion, um deutlich zu machen, dass sich die nachfolgenden Informationen zur Auswahl von Hilfen und Schutzkonzepten in rechtliche Abwägungsprozesse einfügen (müssen). Im Beispiel zur Reflexionsfrage wird von einer Wirksamkeit ambulanter Hilfen ausgegangen. Jedenfalls gibt die Sachverständige an, mit geeigneten, weil wirksamen Hilfen könne die Gefahr erneuter Misshandlung noch weiter gesenkt werden. Wie aber sehen solche wirksamen Hilfen nach gegenwärtigem Wissensstand aus? Wie kann die elterliche Bereitschaft zur Inanspruchnahme entsprechender Hilfen im Verfahren gefördert werden und wie können begleitende Maßnahmen im Sinne eines Schutzkonzeptes gestaltet werden?

2 Grundlagen von Wirkungsforschung

Im Fall einer Kindeswohlgefährdung stehen Grundrechte auf dem Spiel. Daher kommt der Wirksamkeit von einzelnen Hilfen bzw. Hilfekonzepten, hier verstanden als Verbindungen mehrerer Hilfen, große Bedeutung zu. Dies gilt besonders bei ambulanten Maßnahmen, weil hier Eltern im Alltag weiter direkten Zugriff auf ihre Kinder haben. Nun ist allerdings die Wirksamkeit von Hilfen gar nicht so einfach festzustellen. Im Einzelfall steht bei erneuten Gefährdungsereignissen im weiteren Verlauf zwar rückblickend fest, dass die eingesetzten Hilfen nicht ausgereicht haben. Dann ist es allerdings zu spät. Um bereits im Gerichtsverfahren wirksame und deshalb geeignete Hilfen auswählen zu können, ist es zwangsläufig notwendig, auf Erfahrungen mit anderen, möglichst vergleichbaren Fällen zurückzugreifen. Ein solches Zurückgreifen hat vor Gericht dann häufig die Form eines Erfahrungsberichts (z. B. „damit haben wir als Jugendamt gute Erfahrungen gemacht“). Naturgemäß sind solche Erfahrungen schwer zu objektivieren, sowohl im Hinblick darauf, ob andere Fachkräfte eines Jugendamtes ebenfalls positive Erfahrungen mit einem bestimmten Hilfekonzept berichten würden, als auch bezogen auf die Übertragbarkeit der Erfahrung von früheren auf den jetzigen Fall, die von der Ähnlichkeit der Fälle und des tatsächlichen Hilfeangebots abhängt. Da Erfahrungen mit Hilfekonzepten von Jugendämtern nicht systematisch ausgewertet werden, sind auch tiefer gehende kritische Fragen berechtigt, ob wahrgenommene positive Fallverläufe nicht vielleicht andere Gründe haben könnten, die mit dem Hilfekonzept wenig zu tun haben (z. B. Zufall, Wirkung der Persönlichkeit einer bestimmten Fachkraft, die beim Träger der Hilfe eventuell aber gerade gar nicht zur Verfügung steht).

Um hier zumindest in den Grundlinien für etwas mehr Objektivität und Substanz zu sorgen, gibt es Wirkungsforschung (für eine kurze Einführung siehe Fraser & Galinsky 2010), d. h. Studien, in denen bei einer Gruppe von Familien mit Gefährdungslagen ein Teil eine bestimmte, zu erprobende Hilfe erhält und ein weiterer Teil mit ähnlichen Gefährdungslagen andere, bereits eingeführte und übliche Maßnahmen. Systematisch ausgewertet wird dann, ob sich die beiden Gruppen nach einiger Zeit im Hinblick auf erneute Gefährdungsereignisse, Veränderungen in den elterlichen Erziehungsfähigkeiten, kindliche Entwicklung oder andere interessierende Ergebnisfaktoren in einer statistisch gegen den Zufall abgrenzbaren Weise unterscheiden. Besteht ein Unterschied und fällt er zugunsten der zu erprobenden Hilfe aus, so spricht dies für deren Wirksamkeit. Noch sicherer sind die Schlussfolgerungen, wenn zusätzlich geprüft wird, ob im Hilfekonzept angestrebte Zwischenschritte erreicht werden (z. B. eine positivere Sicht der Eltern auf das Kind, mehr Verständnis für angemessene Erziehungsregeln) und diese Veränderungen die Gruppenunterschiede statistisch erklären (sogenannte Mediationsanalyse). Vergleichsgruppen ohne Hilfeangebot, wie bei Placebo-Studien in der Medikamentenforschung, kann es im Kinderschutz nicht geben, weil von Gefährdung betroffene Kinder und ihre Familien in allen Staaten, die eine solche Forschung betreiben, Anspruch auf Hilfe haben. Aus Wirkungsforschung lässt sich nicht sicher ableiten, dass eine bestimmte Hilfe in einer konkreten Familie, um die es im Verfahren geht, tatsächlich wirken wird, da auch deutliche Gruppenunterschiede nicht in jedem Einzelfall bestehen müssen. Als Hintergrundorientierung können die Ergebnisse aber genutzt werden, um Hilfen von vornherein möglichst erfolgversprechend auszugestalten. Wie in der Medizin und in der Psychotherapie lässt sich auch für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zeigen, dass der Einbezug von Wirkungsforschung zu positiveren Fallverläufen beiträgt (z. B. Wulczyn et al. 2015). Das bedeutet aber natürlich nicht, dass belegbar wirksame ambulante Hilfen in jedem Gefährdungsfall geeignet und verantwortbar wären. Das lässt sich schon allein deshalb nicht aus Wirkungsforschung zu ambulanten Hilfen im Kinderschutz folgern, weil in allen Rechtsordnungen bei besonders gefährdeten Kindern auf das Mittel der Fremdunterbringung zurückgegriffen wird. Deshalb ist es wichtig, Ausschlusskriterien für ambulante Hilfen zu beachten (für eine Übersicht s. a. Hilfe- und Fördermöglichkeiten dies- und jenseits der Kinder- und Jugendhilfe [ Kap. 29]) und das Ausmaß der Gefahr erneuter Gefährdung im Einzelfall einzuschätzen (für eine Übersicht relevanter Faktoren s. a. Folgeabwägung bei außerfamiliärer Unterbringung [ Kap. 34]).

In Deutschland wird derzeit noch kaum Wirkungsforschung im Kinderschutz betrieben. Im Vergleich zur Festlegung von Veränderungszielen (etwa im Hilfeplan) erfährt die Frage, wie diese Veränderungen am besten mit den Eltern erreicht werden können, weniger Aufmerksamkeit. Daher muss auf internationale Befunde, vor allem aus den Niederlanden, Schweden, England, Israel und den USA zurückgegriffen werden. Ergebnisse von Wirkungsforschung im Kinderschutz werden im Studium der Sozialen Arbeit in Deutschland zudem bislang kaum vermittelt. Daher sind an dieser Stelle nur gut fortgebildete Fachkräfte der Jugendämter im Verfahren auskunftsfähig und die Aufgabe, Wirkungsbefunde einzubringen, fällt häufig Sachverständigen zu. Mit geeigneten Wirkungsbefunden kann etwa argumentiert werden, wenn Gerichte in ihrem Beweisbeschluss zu einem Sachverständigengutachten danach fragen, welche Maßnahmen zur Abwehr einer bestehenden Gefahr geeignet erscheinen.

3 Wirksame ambulante Hilfen und Hilfekonzepte nach Misshandlung bzw. Vernachlässigung

Die international rasch anwachsende Zahl an Wirkungsstudien für den Kinderschutz wird in aktuellen Forschungsübersichten immer wieder zusammengefasst (z. B. Gubbels et al. 2021; Whitcombe-Dobbs & Tarren-Sweeney 2019). Zudem beschreibt eine Reihe von Büchern die Befundlagen ausführlicher (Dixon et al. 2017; Reece et al. 2014). Viele Arbeiten adressieren allerdings eher die wissenschaftliche Diskussion, d. h. es wird genau beschrieben, wie und mit welchem Ergebnis die Wirkung geprüft wurde, während die Interventionen selbst weniger genau beschrieben werden. Für die Praxis verfasste Arbeiten stammen aber unter anderem von Horwath (2013) für Kindesvernachlässigung und von MacDonald (2001) für Vernachlässigung und Kindesmisshandlung. Zudem gibt es Datenbanken, die für verschiedene Fallkonstellationen im Kinderschutz belegbar wirksame Hilfen und weiterführende Informationen auflisten (z. B. https://whatworks-csc.org.uk/evidence-store/; www.cebc4cw.org). Zwei Beispiele für empirisch gut abgesicherte Hilfekonzepte im Kinderschutz finden sich in den nachfolgenden beiden Übersichten. Beide Konzepte sind in Deutschland bislang nicht flächendeckend eingeführt, können aber überall als Anregung für die Gestaltung von Hilfen genutzt werden.

Konzept 1: SafeCare

SafeCare ist eines der wenigen, belegbar wirksamen Programme für vernachlässigende Eltern mit Kindern im Alter von 0 bis 5 Jahren. Kern der Hilfe sind didaktisch aufbereitete Gesprächs- und Übungseinheiten zu verschiedenen konkreten Themen rund um Fürsorge und Erziehung von Kindern (z. B. das Kind versorgen, wenn es krank ist; Sicherheit im Haushalt). Die Hilfe wird durch eine geschulte und supervidierte Fachkraft in wöchentlichen Terminen erbracht. Welche Einheiten in einer Familie bearbeitet werden, kann im Einzelfall entschieden werden. Der Grundidee nach sollen aber nicht nur Themen bearbeitet werden, bei denen bereits deutliche Probleme aufgetreten sind, sondern auch zukünftig eventuell relevante Themen. Meist dauert das Programm 18 bis 20 Wochen. Vorschläge und Materialien zu mehreren Einheiten sind veröffentlicht (Lutzker & Bigelow 2001). SafeCare war nicht nur in Modellversuchen, sondern auch in der Fläche wirksam um weitere Vernachlässigung unwahrscheinlicher zu machen (Chaffin et al. 2012). Obwohl in den USA entwickelt, war das Programm auch in anderen Ländern, etwa Israel und Spanien, erfolgreich (Guastaferro und Lutzker 2022). Wesentliche Stärken des Ansatzes scheinen in der konkreten, systematischen und proaktiven Anleitung der Eltern zu bestehen.

Konzept 2: Eltern-Kinder-Interaktionstherapie

Die Eltern-Kind-Interaktionstherapie, geeignet für Eltern mit Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter, wurde als Ansatz für Familien nach einer Kindesmisshandlung angepasst und erfolgreich eingesetzt, wobei die Rate wiederholter Misshandlung gesenkt werden konnte (Whitcombe-Dobbs & Tarren-Sweeney 2019). Der Ansatz wurde in 1970er-Jahren entwickelt, hat sich weit verbreitet und verbindet Elemente von Spieltherapie und Verhaltenstherapie (für eine Übersicht siehe Niec 2018). Eine therapeutisch geschulte Fachkraft unterstützt die Eltern über 12 bis 14 Termine in direkter Interaktion mit ihren Kindern. In einer ersten Phase steht die Stärkung einer positiven Eltern-Kind-Beziehung im gemeinsamen Spiel im Mittelpunkt. In einer zweiten Phase rückt das angemessene Setzen von Grenzen in der Erziehung und der elterliche Umgang mit Verhaltensproblemen von Kindern ins Zentrum. Da es sich nach einem Kinderschutzvorfall bei den Eltern häufig um eher unfreiwillige Klienten handelt, ist die motivierende Gesprächsführung mit Eltern vor und während der Hilfe von großer Bedeutung (Webb et al. 2017). In den Einzelfällen sind zudem, je nach individuellem Bedarf, zusätzliche Maßnahmen erforderlich, etwa ein Haushaltsorganisationstraining (ISS 2012) oder ein psychiatrisch-therapeutisches Angebot bei elterlichen Problemen mit der Impulskontrolle.

Aus diesen und anderen positiven Beispielen von Hilfen mit Wirkungsbelegen lassen sich einige Leitlinien für die Gestaltung von Hilfen nach Vernachlässigung bzw. Misshandlung ableiten (Kindler & Spangler 2005). Bei Vernachlässigung scheint etwa die konkrete Anleitung wichtig, bei Misshandlung der doppelte Schwerpunkt auf der Förderung einer positiven Beziehung zum Kind und dem konstruktiven Umgang mit Konflikten. Eine Zusammenstellung der Merkmale, die empirisch eher erfolgreiche Hilfekonzepte in Gefährdungsfällen auszeichnen, findet sich im Fachbeitrag Potenziale, Grenzen und Risiken von helfenden und schützenden Interventionen [ Kap. 30]. Hilfen, die in der Krisenbewältigung stecken bleiben und nur praktische Unterstützung für Eltern leisten können, ohne Themen von Fürsorge und Beziehung zu den Kindern zu bearbeiten, sind nicht intensiv genug und können daher weitere Gefährdungsereignisse eher nicht verhindern (Gubbels et al. 2021). Für einige besondere Zielgruppen im Kinderschutz, etwa lernbehinderte Eltern, gibt es spezifische Wirkungsstudien zu besonderen Hilfekonzepten (für eine Übersicht siehe Coren et al. 2018). Es lässt sich zeigen, dass mit Vorgehensweisen, die an die Auffassungsmöglichkeiten und das Tempo bei lernbehinderten Eltern angepasst sind, vielfach bedeutsame Zuwächse in Erziehungsfähigkeiten erreicht werden können. Bei suchtkranken Eltern sind die Erfolgsaussichten ambulanter Hilfen dagegen geringer, selbst wenn Suchtbehandlung und Hilfe zur Erziehung kombiniert werden (für eine Forschungsübersicht siehe Neo et al. 2021). Eine zumindest zeitweise Eltern-Kind-Trennung kann deshalb häufig nicht vermieden werden. Besonders schwierig im Kinderschutz sind Familien mit multiplen und chronischen Problemen (Tausendfreund et al. 2012; Tausendfreund & Knot-Dickscheit 2020; Veerman & van Yperen 2007). Wenn hier ambulante Hilfen überhaupt verantwortbar erscheinen, müssen in der Regel mehrere Maßnahmen im Rahmen eines Hilfekonzepts kombiniert werden. Daher spielt die Intervision der Helfenden, also häufiger Austausch und Absprache zwischen ihnen, eine wichtige Rolle (Visscher et al. 2021). Auch häufige Kontakte zwischen Fachkräften und Familie sind ein Wirkfaktor. Familien mit multiplen und chronischen Problemen sind besonders von Abwertung betroffen, daher ist eine unterstützende Haltung der Fachkräfte, die mit der Familie arbeiten sollen, besonders bedeutsam, ebenso die Orientierung auf die Bedürfnisse der Kinder, die in der Fülle der Probleme der Erwachsenen leicht verloren geht. Bei Familien mit multiplen und chronischen Problemen besteht ein besonderes Risiko von Schädigungsprozessen, die trotz Hilfen weiterlaufen, etwa anhaltender Mangelversorgung oder immer wieder auftretender Gewalt. Daher sind ein gutes Monitoring des Hilfeverlaufs und die regelmäßige Kontrolle der Hilfeziele sehr wichtig, gegebenenfalls mit der letztlichen Entscheidung einer Fremdunterbringung, wenn die Situation von Kindern in der Familie nicht deutlich verbessert werden kann.

4 Einzelfallbezogene Schutzkonzepte und Kontrolle bei Misshandlung und Vernachlässigung

Um Kinder in Institutionen (z. B. stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe) vor Übergriffen und Gewalt zu schützen, wurden institutionelle Schutzkonzepte entwickelt und für alle Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich in § 45 Abs. 2 SGB VIII verankert (s. a. Potenziale, Grenzen und Risiken von helfenden und schützenden Interventionen [ Kap. 30]). Aber auch einzelfallbezogen erfahren Schutzkonzepte zunehmend Verbreitung, und können in dieser Form im familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren eine Rolle spielen. Allerdings sind einzelfallbezogene Schutzkonzepte (noch) nicht überall verbreitet und Standards hierzu fehlen ebenso wie Wirkungsbefunde (Lenkenhoff et al. 2013). Gemeint sind mit einzelfallbezogenen Schutzkonzepten konkrete und verschriftlichte Anforderungen an Eltern sowie Verabredungen und Absprachen mit Fachkräften bzw. Stellen, die mit der Familie bzw. den Kindern in Kontakt stehen. Vereinzelt geht es auch um den Einbezug anderer erwachsener Bezugspersonen eines Kindes (z. B. den Großeltern). Anforderungen und Absprachen sowie gegebenenfalls Erklärungen der Eltern, dass sie hiermit einverstanden sind und Fachkräfte in diesem Rahmen von Schweigepflichten entbinden, sollen helfen, weitergehende Eingriffe zu vermeiden und Hilfen sicherer zu gestalten. Weder im § 1666 BGB noch in den entsprechenden Vorschriften des SGB VIII finden sich bislang die Begriffe „Schutzkonzept“ bzw. „Schutzplanung“ (Prozess der Erstellung eines Schutzkonzeptes). Einzelne Bausteine von Schutzkonzepten sind aber schon lange in der Kinderschutzpraxis verankert. Mehrere potenzielle Elemente von Schutzkonzepten, etwa Ge- und Verbote sowie Auflagen, werden sogar ausdrücklich in § 1666 Abs. 3 BGB genannt. Andere Elemente, beispielsweise Absprachen des Jugendamtes mit der Schule, dort auf die Regelmäßigkeit des Schulbesuchs und den Pflegezustand eines Kindes zu achten, können vom Jugendamt oder der Verfahrensbeiständin bzw. dem Verfahrensbeistand vorgeschlagen, und das Einverständnis der Eltern sowie die Erteilung entsprechender Schweigepflichtentbindungen können im Verfahren protokolliert werden. Im Einzelfall kommt auch eine Ersetzung der elterlichen Einwilligung in Schweigepflichtentbindungen in Betracht. Im Hinblick auf die gerichtliche Überprüfung von Ge- und Verboten betont Coester (Staudinger/Coester 2020, § 1666 BGB Rn. 294), „insbesondere sollten auch Ge- oder Verbote als „längerdauernde Maßnahmen“ angesehen werden“, damit eine gerichtliche Kontrolle entsprechend § 166 FamFG stattfinden kann. Ansonsten kann das Jugendamt gebeten werden, ein Scheitern oder Schwierigkeiten bei der Umsetzung eines Schutzkonzeptes dem Gericht mitzuteilen. Keinesfalls sollte aber angenommen werden, dass das Jugendamt sich automatisch für die Überprüfung eines im Verfahren besprochenen Schutzkonzeptes zuständig fühlt.

Um eine Übersicht zu geben, können mehrere mögliche Bausteine von Schutzkonzepten aufgezählt werden (Gerber & Kindler 2020, S. 83):

  • Aktivierende Absprachen (z. B. Großeltern oder Verwandte, die bereit sind, ein Kind während bestimmter Zeiten zu sich zu nehmen);

  • Absprachen, die dem möglichst raschen Entdecken einer Gefährdung dienen (z. B. Verabredungen mit der Schule beim Umkleiden zum Sportunterricht auf Verletzungen oder Hämatome zu achten; Erklärungen der Eltern, Hausbesuche durch das Jugendamt zuzulassen);

  • Absprachen, die die Hilfesuche unterstützen oder erleichtern (z. B. Verabredung mit einem Kind zur Ansprechbarkeit der Schulsozialarbeiterin bzw. des Schulsozialarbeiters bei erneuten Problemen);

  • Absprachen zum Informationsfluss und Reaktionsgeschwindigkeit (z. B. Verabredung mit der Suchtberatungsstelle über regelmäßige Mitteilungen zur Wahrnehmung von Terminen, Vereinbarung mit ambulanter Familienhilfe über sofortige Rückmeldung, falls ein Termin ausfällt);

  • (Selbst-)Verpflichtung von Sorge- oder Erziehungsberechtigten (z. B. einen regelmäßigen Besuch des Kindergartens zu gewährleisten, keine Suchtstoffe mehr in Anwesenheit der Kinder zu konsumieren).

Eltern mittels Ge- oder Verboten bzw. Auflagen auf ein bestimmtes Verhalten verpflichten zu wollen oder im Hinblick auf überzeugend wirkende elterliche Selbstverpflichtungen von solchen Maßnahmen vorläufig abzusehen, erscheint nach Befunden aus der Gesundheitspsychologie, der pädagogischen Psychologie und der kognitiven Verhaltenstherapie (Bruhn et al. 2016) sowie dem Strafrecht (Weigelt 2009) prinzipiell nur dann erfolgversprechend, wenn:

  • die Eltern über die nötigen Fähigkeiten und Ressourcen tatsächlich verfügen;

  • sie eine innere Verpflichtung eingehen und nicht durch Kritik, Unverständnis oder Beschwerden eine große innere Distanz zu demjenigen Verhalten erkennen lassen, auf das sie verpflichtet werden sollen;

  • eine Kontrolle verabredet werden kann, sodass Verstöße prinzipiell entdeckt werden können;

  • ein Mindestmaß an elterlichem Selbstwirksamkeitserleben gegeben ist, da andernfalls unter Umständen zwar Zusagen gemacht werden, die Anstrengungsbereitschaft aber eher gering ist (Gerber & Kindler 2020).

Entsprechend machen solche Maßnahmen bzw. elterliche Selbstverpflichtungen keinen Sinn oder erzeugen schlimmstenfalls ein falsches Sicherheitsgefühl, wenn Eltern hilflos, chronisch überfordert, uneinsichtig oder gesundheitlich in relevanter Weise eingeschränkt sind bzw. Möglichkeiten zur Kontrolle fehlen, etwa weil es sich um ein sehr abgeschottetes Familiensystem handelt. Für das grundsätzliche Verhältnis zwischen Hilfen und Auflagen bzw. Absprachen, die der Kontrolle elterlichen Verhaltens gegenüber den Kindern dienen (z. B. das Zulassen von Hausbesuchen durch das Jugendamt, regelmäßige Vorstellungen der Kinder in einer pädiatrischen Praxis und Absprachen mit Schule und Kita), gilt zudem, dass durch Kontrolle eine erneut auftretende Gefährdung unter Umständen vergleichsweise früher entdeckt werden kann und das Wissen darum die Selbstkontrolle von Eltern zeitweise stärken kann. Von einer tatsächlichen Abwehr bestehender Gefahren kann aber nur dann gesprochen werden, wenn es positive Veränderungen bei denjenigen Prozessen gibt, die in der Vergangenheit zu einer Gefährdung geführt haben. Kontrolle ist als alleinige Maßnahme daher ungeeignet, um Gefahren für das Kindeswohl abzuwehren. Sie kann möglichst erfolgversprechend ausgestaltete Hilfen nur ergänzen und dabei eine wichtige Rolle spielen. Manchmal in Verfahren auftretenden Fantasien, die Vereinbarung eines Kontrollregimes mit Hausbesuchen und Arztterminen ohne inhaltliche Arbeit mit der Familie reiche aus, damit „nichts mehr passieren kann“, ist aber entgegen zu treten.

Als feindselig erlebte Kontrolle kann bei Eltern allerdings Widerstand, Rückzug und Bereitschaft zu Täuschungsmanövern auslösen. Daher wurde in der sozialpädagogischen Literatur diskutiert, wie Kontrolle möglichst konstruktiv gestaltet werden kann (Radewagen et al. 2018; Schone 2019). Auf der Grundlage längsschnittlicher, qualitativer Daten hat Wolf (2015, S. 222 ff.) mehrere Vorschläge unterbreitet. Kontrolle soll demnach möglichst nicht durch völlig fremde Personen ausgeübt werden, sondern durch Fachkräfte, die sich Zeit für ein Vertraut-Werden mit den Eltern nehmen. Was kontrolliert wird, soll transparent, begrenzt und inhaltlich aus zuvor bestehenden Gefährdungslagen abgeleitet sein. Die Familie soll zudem eine Perspektive bekommen, wann Kontrolle wieder endet bzw. verringert wird.

5 Eltern gewinnen und einbeziehen

Wirkungsforschung und möglichst wirksam ausgestaltete Hilfen machen die Mitarbeit von Eltern nicht überflüssig. Ganz im Gegenteil: Studien zeigen durchgängig, dass weitere Gefährdungsereignisse unwahrscheinlicher werden, wenn Eltern für wirksam ausgestaltete Hilfen gewonnen werden können und die Zusammenarbeit mit Fachkräften letztendlich positiv erleben (z. B. Cheng & Lo 2015). Selbst bei Fremdunterbringungen entwickeln sich Kinder besser, wenn die Eltern die Maßnahme nicht entschieden ablehnen (z. B. Strijker & Knorth 2009). Deshalb ist es im familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren sowie im Vorfeld und Nachgang zum Verfahren wichtig, um Einverständnis und Mitarbeit der Eltern zu werben. Daher wurden hierfür eine Reihe von Gesprächstechniken (z. B. Motivational Interviewing: Hall et al. 2020) und Konzepten (z. B. der „Signs of Safety-Ansatz: Turnell & Edwards 1999“) für Kinderschutzfälle entwickelt. Wesentliches Kennzeichen einer Gesprächsführung entsprechend dem Ansatz von „Motivational Interviewing“ ist es beispielsweise, sich im Gespräch auf die momentane Haltung der Eltern gegenüber einem Hilfe- und Schutzkonzept einzustellen, insbesondere elterliche Ambivalenzen ausdrücklich anzuerkennen und sie nicht zu übergehen oder für unzulässig zu erklären. Vor- und Nachteile einer Mitarbeit aus Sicht der Eltern sollen vielmehr angesprochen und offen diskutiert werden. Kern des „Signs of Safety“-Konzepts ist es, den Blick nicht nur auf Gefährdungsereignisse und Risiken, sondern auch auf familiäre Schutzfaktoren zu richten und Eltern wie Kindern Raum zu geben, um eigene Vorschläge zur Gefahrenabwehr zu machen (für eine Forschungsübersicht zu diesem Konzept siehe Kindler 2021). Beide angesprochenen Beispiele adressieren nicht vorrangig das Familiengericht, sondern Jugendämter und, was die Gesprächsführung anbelangt, auch Verfahrensbeiständinnen und Verfahrensbeistände sowie Sachverständige. Bei Beauftragungen sollten Kompetenzen in der Gesprächsführung mit Eltern für Gerichte eine Rolle spielen. Zudem ist es sinnvoll, zu wissen, welche Konzepte zuständige Jugendämter in der Zusammenarbeit mit Eltern in Kinderschutzfällen anwenden. Vertraut sein sollte den Gerichten auch der Begriff der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII als Prozess, in dem zusammen mit Kindern, Eltern und beteiligten Fachkräften der Verlauf von Hilfen zur Erziehung regelmäßig ausgewertet und, möglichst einvernehmlich, eventuell notwendige Anpassungen vorgenommen werden (Schrapper 2018; Ader & Schrapper 2020). Für die Anhörungen von Eltern im Verfahren ist es wichtig, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs allein die Mitarbeit der Eltern nicht zwangsläufig fördert, etwa wenn Eltern nicht direkt angesprochen werden (sondern nur ihre Rechtsvertretung), ausschließlich Probleme und Fehlverhaltensweisen der Eltern thematisiert werden, keinerlei Verständnis für die Situation der Eltern geäußert wird und von den Eltern eingebrachte Punkte übergangen werden. Da das Mitgefühl der Professionellen im Kinderschutzverfahren verständlicherweise meist vorrangig Kindern gilt, die Vernachlässigung, Misshandlung oder sexuelle Gewalt erleben mussten, hilft es manchmal, sich klar zu machen, wie existenziell bedeutsam die Situation im Kinderschutzverfahren auch für viele betroffene Eltern ist, was sich etwa daran ablesen lässt, dass die Herausnahme eines Kindes die Lebenserwartung betroffener Eltern signifikant verkürzt (z. B. Wall-Wieler et al. 2018).

Zu betonen, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Eltern im Kinderschutz ist, bedeutet natürlich nicht, dass eine solche Zusammenarbeit immer zu erreichen ist oder um jeden Preis erreicht werden sollte. Das familiengerichtliche Kinderschutzverfahren zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass notfalls auch gegen den Willen der Eltern erforderliche und geeignete Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Zudem zeigt die Befundlage klar, dass nicht die Annahme von Hilfen per se, sondern nur die Annahme von Hilfen, die Problemlagen und Gefährdungsursachen tatsächlich adressieren, weiteren Gefährdungsereignissen vorbeugt (z. B. Fuller & Zhang 2017). Nur an solchen, prinzipiell zur Abwehr vorhandener Gefahren geeigneten Hilfen, bemisst sich entsprechend die Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern zur Mitarbeit (für eine nähere Aufschlüsselung der Faktoren, die insgesamt bei der Einschätzung der Bereitschaft und Fähigkeit von Eltern zur Mitarbeit bei der Abwehr von Gefährdung berücksichtigt werden sollten, s. a. Hilfe- und Fördermöglichkeiten dies- und jenseits der Kinder- und Jugendhilfe [ Kap. 29]). Gerade wenn Fälle rasch das Familiengericht erreichen, etwa weil umgehend nach einer Gefährdungsmitteilung beim Jugendamt ein Erörterungstermin nach § 157 Abs. 1 FamFG beantragt wird, gilt aber auch, dass eine anfänglich abwehrende oder bagatellisierende Haltung von Eltern kein Beleg für eine dauerhaft unkooperative Haltung ist, sondern eher im Bereich des Erwartbaren liegt (für eine Forschungsübersicht siehe Ward et al. 2014). Zudem verhaken sich die Erlebens- und Sichtweisen von Eltern und Fachkräften im Vorfeld eines familiengerichtlichen Kinderschutzverfahrens manchmal auf unglückliche Weise, sodass eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich erscheint. Es ist daher sinnvoll, die neue Arena des familiengerichtlichen Kinderschutzverfahrens zu nutzen, um noch einmal auf Eltern zuzugehen. Haben Eltern zuvor laufende ambulante Hilfen abgebrochen oder ins Leere laufen lassen, kann dies ein Anzeichen für eine fehlende Kooperationsbereitschaft sein. Es ist aber auch möglich, dass der Hilfeansatz unproduktiv war oder berechtigte Anliegen der Eltern ignoriert hat, weshalb die Frage, ob ambulante Hilfemöglichkeiten tatsächlich bereits ausgeschöpft sind, nur nach einer Prüfung des bisherigen Hilfeansatzes am Maßstab tatsächlich geeignet und erforderlich erscheinender Hilfen zu entscheiden ist.

6 Was denn noch alles? Auswahl von Hilfen und Entwicklung von Schutzkonzepten im familiengerichtlichen Kinderschutzverfahren

Manchmal ziehen sich Gerichte auf die Position zurück, es gehe im Verfahren allein um die Entscheidung über einen notwendigen Sorgerechtseingriff. Die Auswahl geeigneter und erforderlicher Hilfen und die Entwicklung eines begleitenden Schutzkonzeptes seien dann Aufgaben eines gegebenenfalls zu bestellenden Pflegers bzw. einer Pflegerin. Richtig an dieser Position ist, dass das Familiengericht weder Jugendämter noch Krankenkassen zur Übernahme bestimmter Leistungen oder zur Überwachung eines Schutzkonzeptes verpflichten kann (s. a. Das Jugendamt als Fachbehörde: Rollen und Aufgaben im Verfahren nach § 1666 BGB [Kap. 36]). Trotzdem muss im Verfahren (nach der Klärung, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt) entschieden werden, wie geeignete und erforderliche Hilfen aussehen, da andernfalls die Grundlage für die Beurteilung des zweiten Tatbestandsmerkmals des § 1666 Abs. 1 BGB, der Bereitschaft und Fähigkeit der Eltern zur (Mitarbeit bei der) Abwehr bestehender Gefahren, fehlt. Ähnliches gilt für begleitende Maßnahmen im Rahmen eines Schutzkonzeptes, die unter Umständen sogar in Form von Ge- bzw. Verboten, Auflagen oder Ersetzungen der elterlichen Einwilligung Bestandteil eines Beschlusses nach § 1666 BGB werden müssen.