1 Verständnis, Funktion und Bedeutung des frühen Termins

1.1 Erörterung und persönliche Anhörung als zentrale Bestandteile des prozesshaften Geschehens

Die/der Familienrichter*in kann in einer Kinderschutzsache erst dann entscheiden, wenn sie/er sich zu den entscheidungserheblichen Einzelheiten des Sachverhalts eine Überzeugung gebildet hat. Der Weg von der Annahme des Jugendamts, dass ein familiengerichtliches Verfahren zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlich ist (§ 8a Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGB VIII) bzw. einem (nicht abgeschätzten) Gefährdungsrisiko (§ 8a Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB VIII) bei Einleitung des gerichtlichen Verfahrens hin zur (vollen) richterlichen Überzeugung davon, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder nicht, ist ein prozesshaftes Geschehen.

Für die Gestaltung dieses prozesshaften Geschehens macht das Gesetz den Familienrichter*innen Vorgaben, wie sie zu verfahren haben (Verfahrensvorschriften). Zentrale Bestandteile des vom Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens sind die persönliche Anhörung insbesondere der Eltern und des Kindes (s. u. 3.1.4), die (einfache) Anhörung insbesondere des Jugendamts und der Pflegepersonen (s. u. 3.1.5) sowie die Erörterung der Sache mit den Beteiligten in einem Termin (s. u. 3.1.6).

1.2 Keine mündliche Verhandlung

Dagegen kennt das FamFG für Kindschaftssachen im Allgemeinen und für Kinderschutzverfahren im Besonderen keine mündliche Verhandlung. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die mündliche Verhandlung (v. a. die §§ 128, 137 ZPO) gelten in Kindschaftssachen nicht. Denn über die Verweisung in § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG finden die Vorschriften der ZPO über die mündliche Verhandlung nur für Ehe- und Familienstreitsachen Anwendung. Der Begriff der mündlichen Verhandlung in der ZPO ist ein terminus technicus und mit bestimmten Rechtswirkungen verbunden. Entgegen einer weitverbreiteten Praxis ist es falsch, in Kindschafts- und Kinderschutzverfahren von einer mündlichen Verhandlung zu sprechen.Footnote 1

Auch inhaltlich ist ein Anhörungs- und Erörterungstermin etwas ganz anderes als ein Verhandlungstermin, in dem die Parteien bzw. Beteiligten über einen für sie disponiblen Gegenstand „vor dem Gericht“ (§ 128 Abs. 1 ZPO) verhandeln. Der Anhörungs- und Erörterungstermin in einer Kinderschutzsache ist ein Verfahrensinstrument der aktiv gestaltenden und ermittelnden Richter*innen, die im Vorfeld und im Nachgang sorgfältige Überlegungen dazu anstellen müssen, wie sie gleichermaßen gründlich wie beschleunigt im Wege des Strengbeweises und des flexiblen Freibeweises die erforderlichen Tatsachen zusammentragen und wen mit welchem Wissen und welcher Expertise sie dazu heranziehen. Vorbereitung und Durchführung des frühen Termins entscheiden nicht selten darüber, ob ein Verfahren von Anfang an auf „das richtige Gleis gesetzt“ wird oder nicht, ein vorhandenes Zeitfenster für einen effektiven und verhältnismäßigen Kinderschutz genutzt wird oder nicht.

1.3 Erörterungstermin

Das FamFG sieht einen Erörterungstermin vor. Den Erörterungstermin regelt das FamFG in einer allgemeinen und zwei speziellen Vorschriften:

  • für alle Angelegenheiten und Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit in § 32 FamFG,

  • für alle Kindschaftssachen in § 155 Abs. 2 FamFG,

  • nur für Kinderschutzverfahren ergänzend in § 157 FamFG.

1.4 Anhörungstermin (persönliche Anhörung)

Das FamFG sieht ferner die persönliche Anhörung in einem Anhörungstermin vor. Es regelt sie in einer allgemeinen und einer speziellen Vorschrift:

  • für alle Angelegenheiten und Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit in § 34 FamFG,

  • für alle Kindschaftssachen in § 159 FamFG (Kind) und in Kinderschutzverfahren in § 160 Abs. 1 S. 2 FamFG (Eltern) (s. a. Rechtliche Vorgaben zur Kindesanhörung und kindgerechte Anhörung [➔ Kap. 5], Anhörung und Mitwirkungspflichten der Beteiligten [➔ Kap. 4]).

Der Gesetzgeber hat mit Wirkung zum 01.07.2021 die Bestimmung des § 159 FamFG neu gefasst und die persönliche Anhörung des Kindes ausdrücklich um die richterliche „Verschaffung eines persönlichen Eindrucks“ ergänzt (§ 159 Abs. 1 FamFG).Footnote 2

1.5 Einfache Anhörung

Schließlich sieht das FamFG die (einfache) Anhörung des Jugendamts (§ 162 FamFG) und der Pflegepersonen (§ 161 FamFG) vor. Die (einfache) Anhörung kann im Gegensatz zur persönlichen Anhörung grundsätzlich schriftlich, fernmündlich oder auf sonstige Weise erfolgen. Eine Ausnahme findet sich z. B. in § 155 Abs. 2 S. 3 FamFG: Wie die Anhörung des Jugendamts in den dort genannten Fällen (insbesondere auch in Kinderschutzverfahren) stattzufinden hat, schreibt das Gesetz dem Familiengericht vor: nämlich im Termin.

1.6 Kombiniert-einheitlicher (früher) Anhörungs- und Erörterungstermin

Anhörungstermin und Erörterungstermin werden in der Regel – schon im Hinblick auf das BeschleunigungsgebotFootnote 3 – als kombiniert-einheitlicher (früher) Anhörungs- und Erörterungstermin durchzuführen sein.

Zwar sind (mündliche) Erörterung und persönliche Anhörung im Ausgangspunkt zu unterscheiden und voneinander abzugrenzen.Footnote 4 Während die persönliche Anhörung der Eltern nach § 160 Abs. 1 S. 2 FamFG in erster Linie der Feststellung des Sachverhalts und der Gewährung rechtlichen Gehörs dient, wollte der Gesetzgeber mit dieser besonderen Erörterungspflicht bei Kindeswohlgefährdung dazu beitragen, die Eltern noch stärker in die Pflicht zu nehmen und auf sie einzuwirkenFootnote 5 (s. a. Kindesschutz im BGB, FamFG und SGB VIII [➔ Kap. 1]).

Freilich werden sich die Themen der persönlichen Anhörung einerseits und des Erörterungsgesprächs andererseits häufig überschneiden. Auch die Erörterung dient letztlich der Sachverhaltsaufklärung.Footnote 6 Ganz deutlich wird dies bei der Sachaufklärung zu der Tatbestandsvoraussetzung in § 1666 Abs. 1 BGB, ob „die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden …“. Ob die Mitwirkungsbereitschaft der Eltern vorhanden und prognostisch tragfähig ist, wird sich häufig im Rahmen des Erörterungsgesprächs zeigen.

Das Gesetz sieht für den Fall, dass mehrere Beteiligte persönlich anzuhören sind, ausdrücklich vor, dass die Anhörung einer/eines Beteiligten in Abwesenheit der anderen Beteiligten (also in einem gesonderten Termin) stattzufinden hat, falls dies zum Schutz der/des anzuhörenden Beteiligten oder aus anderen Gründen erforderlich ist (§ 33 Abs. 1 S. 2 FamFG). Gleiches gilt für die Erörterung der Kindeswohlgefährdung; sie ist in Abwesenheit eines Elternteils durchzuführen, wenn dies zum Schutz einer/eines Beteiligten oder aus anderen Gründen erforderlich ist (§ 157 Abs. 2 S. 2 FamFG).

Das Kind soll gemäß § 159 Abs. 4 S. 3 FamFG im Regelfall in Anwesenheit (nur) der/des Verfahrensbeiständin/-beistands (und also in Abwesenheit der übrigen Beteiligten in einem gesonderten Termin) angehört werden.Footnote 7 Schließlich soll die Erörterung, wie einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls begegnet werden und welche Folgen die Nichtannahme notwendiger Hilfen haben kann, nur in geeigneten Fällen auch mit dem Kind stattfinden (§ 157 Abs. 1 FamFG).

2 Überlegungen im Vorfeld des frühen Termins

2.1 Zeitpunkt des frühen Termins: Spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens

Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls gehören zu den vorrangig und beschleunigt durchzuführenden Kindschaftssachen (Vorrang- und Beschleunigungsgebot nach § 155 Abs. 1 FamFG). Der Erörterungstermin soll deshalb spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden (§ 155 Abs. 2 S. 2 FamFG). Er wird aus diesem Grund auch früher (Anhörungs- und) Erörterungstermin genannt. „Spätestens“ bedeutet, dass der Termin je nach dem mitgeteilten Grad der Gefährdung gegebenenfalls auch früher stattzufinden hat.Footnote 8

Die telefonische Absprache eines binnen weniger Wochen stattfindenden Termins mit sämtlichen (professionellen) Akteuren (insbesondere Verfahrensbeistandschaft, Jugendamt, Verfahrensbevollmächtigten der Eltern) gleicht mitunter der Quadratur des Kreises. Umso wichtiger ist der strikte Umgang mit Terminsverlegungsgesuchen. Dass Kinderschutzverfahren Vorrang genießen, wirkt sich vor allem bei Terminsverlegungen aus. Einem Antrag (z. B. des Jugendamts oder einer/eines Rechtsanwältin/-anwalts) auf Verlegung eines Termins in einer Kinderschutzsache mit der Begründung, die Fachkraft des Jugendamts oder die/der Rechtsanwältin/-anwalt sei wegen eines kollidierenden Gerichtstermins verhindert, darf nur stattgegeben werden, wenn der andere Termin ebenfalls eine Vorrang genießende (also gleichrangige) Sache zum Gegenstand hat. Wenn dagegen der kollidierende Termin eine Strafsache oder eine allgemeine Zivilsache oder eine Unterhaltssache zum Gegenstand hat, ist das Verlegungsgesuch zurückzuweisen.

Praxistipp

Gewährt das Gericht den übrigen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu einem solchen Terminsverlegungsgesuch, sollten sie mit dieser Begründung einer Verlegung widersprechen. Dies ist ein Baustein, um überlange Kinderschutzverfahren zu verhindern.

Der frühe Anhörungs- und Erörterungstermin kann zu einer Endentscheidung führen, es können je nach Ermittlungs- und Gehörsgewährungsbedarf im Einzelfall aber auch ein oder mehrere weitere Anhörungs- und Erörterungstermine folgen. Insbesondere nach der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens bietet sich ein weiterer Anhörungs- und Erörterungstermin auf dann durch das Gutachten und sonstige Ermittlungsergebnisse erweiterter Tatsachengrundlage an; in vielen Fällen ist es hilfreich bzw. geboten, dass die/der Sachverständige in diesem Termin ihr/sein schriftliches Gutachten mündlich erläutert (§ 30 Abs. 1 FamFG, § 411 Abs. 3 S. 1 ZPO, s. a. Aufgaben des Familiengerichts bei Einholung eines Sachverständigengutachtens [➔ Kap. 38]).

2.2 Vorbereitung des Termins

Das Familiengericht hat den (frühen) Anhörungs- und Erörterungstermin mit besonderer Sorgfalt vorzubereiten. Dem Kind ist eine/ein Verfahrensbeiständin/-beistand rechtzeitig („so früh wie möglich“) zu bestellen (§ 158 Abs. 1 S. 2 FamFG). Die/der Richter*in hat sich die Frage vorzulegen, welche Ermittlungen sie/er schon im Vorfeld des Termins im Wege des Freibeweises (§ 29 FamFG) etwa durch Telefonate anstellt. Insbesondere kommen Telefonate mit dem Jugendamt in Betracht, um etwa offene Fragen aus der Anrufungsschrift zu klären. Die Erfahrung lehrt, dass vieles, was häufig erst Wochen oder Monate nach dem frühen Termin durch eine/n dann beauftragte/n Sachverständige*n im Wege der schlichten Befragung von Bezugspersonen des Kindes zu Tage gefördert wird, bereits in Vorbereitung des frühen Termins durch richterliche Telefonate ermittelt und sodann zum Gegenstand von Anhörung und Erörterung gemacht werden kann.

Eine Abstimmung zwischen Gericht und Jugendamt bereits im Vorfeld des Anhörungs- und Erörterungstermins kann auch im Hinblick auf die zu ermittelnde Einschätzung des Jugendamts zur Erfolgsaussicht weiterer Hilfen erforderlich sein, zumal keine Anordnungskompetenz des Gerichts bezüglich der Erbringung öffentlicher Hilfen nach dem SGB VIII gegenüber dem Jugendamt besteht.Footnote 9 Mitunter ist die rechtliche Vaterschaft für ein Kind aus den Akten nicht abschließend zu beurteilen oder es ist fraglich, ob Sorge erklärungen (i.S.v. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) vorhanden sind. Diese Fragen können mit der/dem Verfahrensbevollmächtigten oder wiederum mit dem Jugendamt im Vorfeld geklärt werden.

In personeller Hinsicht hat das Familiengericht zu prüfen, wer zum Termin zu laden ist. Zu klären ist ferner, wer eventuell eine/n Dolmetscher*in für welche Sprache benötigt. Auch ein nicht sorgeberechtigter Elternteil ist zu beteiligen, wenn er selbst Träger der Elternverantwortung nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, also rechtlicher Elternteil im Sinne von § 1591 BGB oder § 1592 BGB ist und – im Rahmen einer Sorgerechtsübertragung – eine alternative Betreuungsmöglichkeit bieten kann. Freilich dürfte sich letztere Voraussetzung häufig erst im Laufe des Verfahrens klären lassen, sodass die Erörterung grundsätzlich auch mit diesem Elternteil zu erfolgen hat.Footnote 10

Zur Vorbereitung gehört es auch abzuklären, ob eine/ein Beteiligte*r eventuell in Abwesenheit der anderen Beteiligten anzuhören sein wird und ob das Kind am Erörterungsgespräch teilnehmen soll.

Nach Sinn und Zweck des Erörterungsgesprächs, eine effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten und alle damit befassten Personen „an einen Tisch“ zu bringen, können auch weitere Personen zum Erörterungstermin geladen werden. In Fällen der Delinquenz des Kindes oder der/des Jugendlichen können etwa Polizeibeamt*innen geladen werden, welche die Kinder bzw. die Familie oft gut kennen und für die Gefahreneinschätzung wertvolle Hinweise geben können. In Fällen der Schuldistanz ist die Einbeziehung der Klassenlehrer*innen und/oder der Schulsozialarbeiter*innen oder -psycholog*innen hilfreich. Sind bereits Hilfen eingesetzt, können auch die Familienhelfer*innen, Bezugsbetreuer*innen usw. einbezogen werden, die unmittelbar aus der Zusammenarbeit mit den Eltern und dem Kind berichten können.Footnote 11

Praxistipp

Auch das Jugendamt sollte in seiner Anrufungsschrift seinen in diesem Verfahrensstadium regelmäßig bestehenden Informationsvorsprung nutzen und dem Familiengericht proaktiv Hinweise zur Gestaltung des frühen Termins geben (Vaterschafts- und Sorgerechtsverhältnisse, soweit bekannt; Erfordernis einer/eines Dolmetscherin/Dolmetschers; aus sozialpädagogischer Sicht noch nicht geklärte, aber klärungsbedürftige Punkte; Hinzuziehung weiteren – psychologischen, kinder- und jugendpsychiatrischen, allgemein medizinischen oder gerichtsmedizinischen – Sachverstandes). Familienrichter*innen sollten dafür beispielsweise in fallübergreifenden Gesprächen im Rahmen interdisziplinärer Arbeitskreise werben.

Das Familiengericht hat das persönliche Erscheinen der Eltern zum Termin anzuordnen (§ 157 Abs. 2 S. 1 FamFG) und gemäß § 33 Abs. 4 FamFG in der Ladung auf die Folgen des Ausbleibens hinzuweisen (s. a. Anhörung und Mitwirkungspflichten der Beteiligten [➔ Kap. 4]). Selbstverständlich sind auch Jugendamt und Verfahrensbeiständin/-beistand vom Termin zu benachrichtigen.

2.3 Erörterung der Kindeswohlgefährdung auch mit dem Kind?

In geeigneten Fällen soll auch das Kind an dem Termin teilnehmen. Eine gemeinsame Erörterung mit dem Kind wird – so der Gesetzentwurf der Bundesregierung – „in der Regel notwendig sein, wenn die Drogensucht oder wiederholte Straffälligkeit des Kindes bzw. der/des Jugendlichen Anlass zu dem Verfahren gegeben haben, um auf die gefährdeten Kinder einzuwirken“.Footnote 12 Eine weitere in der Praxis häufige Fallgruppe sind schuldistanzierte Kinder.Footnote 13 Die/der Richter*in sollte die Frage, ob das Kind an dem Erörterungstermin (ganz oder zeitweise) teilnimmt, unbedingt mit der/dem Verfahrensbeiständin/-beistand und gegebenenfalls auch mit dem Jugendamt abklären. Es gilt auf jeden Fall zu verhindern, dass der Erörterungstermin für das Kind zu einem Tribunal vor den versammelten weiteren Beteiligten gerät. Auch ein straffällig gewordenes, Drogen konsumierendes oder schulabstinentes Kind bleibt ein Kind.

Wie im Falle der Kindesanhörung nach § 159 FamFG kann die Erörterung mit dem Kind aber auch ohne die Eltern (gegebenenfalls aber im Beisein der/des Verfahrensbeiständin/-beistands, § 159 Abs. 4 S. 3 FamFG) erfolgen.Footnote 14

2.4 Persönliche Anhörung einer/eines Beteiligten und Erörterung in Abwesenheit der übrigen Beteiligten?

Im Gesetzgebungsverfahren hat der Bundesrat darauf hingewiesen, „dass es Fälle geben kann, in denen beispielsweise aufgrund erkennbarer familiärer Gewalt ein persönliches Erscheinen beider Eltern nicht sinnvoll und sogar mit Gefahren für einen Elternteil oder das Kind verbunden sein kann. Daher sollte dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt werden, in entsprechenden Fällen von dem persönlichen Erscheinen eines Elternteils abzusehen.“Footnote 15 § 157 Abs. 2 S. 2 FamFG sieht deshalb vor, dass das Familiengericht die Erörterung in Abwesenheit eines Elternteils durchführt, wenn dies zum Schutz einer/eines Beteiligten oder aus anderen Gründen erforderlich ist. Diese Regelung steht im Gleichklang mit der Bestimmung in § 33 Abs. 1 S. 2 FamFG zur persönlichen Anhörung.

Eine solche getrennte Erörterung kommt in Betracht,

  • wenn zu befürchten ist, dass ein Elternteil in Anwesenheit des anderen „nicht mit der Sprache herausrückt“,Footnote 16

  • wenn häusliche GewaltFootnote 17 bzw. PartnerschaftsgewaltFootnote 18 in Rede steht,

  • wenn ein Zusammentreffen der Beteiligten im Hinblick auf im Vorfeld ausgeübte oder angedrohte Gewalthandlungen für eine/n Beteiligte*n mit einem besonderen Gefährdungsrisiko verbunden wäre,Footnote 19 das auch durch gerichtsorganisatorische Maßnahmen nicht oder nicht ausreichend sicher ausgeschaltet werden kann oder angesichts sonstiger Umstände vermieden werden sollte.Footnote 20

Ferner kann die Erörterung in Abwesenheit eines Elternteils auch dann stattfinden, wenn dies aus anderen Gründen erforderlich ist, was etwa bei einem länger andauernden Auslandsaufenthalt oder einer schwerwiegenden, die Mobilität einschränkenden Erkrankung eines Elternteils der Fall sein kann.Footnote 21

Allerdings muss das Gericht stets im Blick haben, ob bei einer getrennten Erörterung der damit verfolgte Zweck erreicht werden kann.Footnote 22

Praxistipp

Verfahrensbevollmächtigte, Verfahrensbeiständ*innen und Fachkräfte des Jugendamts sollten in Fällen, in denen sie die persönliche Anhörung eines Elternteils oder die Erörterung der Kindeswohlgefährdung mit einem Elternteil in Abwesenheit des anderen Elternteils für geboten halten (etwa weil es der in ein Frauenhaus geflüchteten Mutter nicht zuzumuten ist, ihre Sicht der Dinge in Anwesenheit des Vaters zu schildern), dem Gericht frühzeitig einen entsprechenden Hinweis geben und diese vom Gesetzgeber ausdrücklich eröffnete Verfahrensweise anregen.

3 Die Durchführung des frühen Termins

3.1 Sitzordnung im Gerichtssaal

Nur scheinbar unwichtig ist die Frage, wer im Gerichtssaal während des Anhörungs- und Erörterungstermins wo Platz nimmt. Die/der Richter*in sollte dies nicht dem Zufall überlassen, sondern im Rahmen ihrer/seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse nach § 176 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) die Sitzordnung festlegen. Ganz allgemein empfiehlt sich eine nicht konfrontativ-oppositionelle Anordnung der Tische und Stühle. Besonders geeignet erscheint die Anordnung der Tische und Stühle in Form eines abgeflachten Halbkreises gegenüber der Richterbank. An den äußeren Enden des Halbkreises bzw. – falls sich eine oppositionelle Anordnung aus technischen Gründen nicht verhindern lässt – einander gegenüber sollten die Eltern und die/der Verfahrensbeiständin/-beistand Platz nehmen. Denn diese/dieser hat einseitig die Interessen des Kindes wahrzunehmen und ist – wenn überhaupt – die/der einzige Interessengegner*in der Eltern. Keinesfalls sollte das Jugendamt diese Position einnehmen. Denn das Jugendamt ist nicht einseitige Interessenvertretung des Kindes, sondern die unabhängige sozialpädagogische Fachbehörde, deren Fachkräfte überdies in vielen Fällen nach Abschluss des Verfahrens weiter mit den Eltern zusammenarbeiten müssen. Dem entspricht eine „neutrale“ Positionierung des Jugendamts im Saal. Auch wenn viele Eltern in Kinderschutzverfahren das Jugendamt als Gegner (oder Ankläger) empfinden, sollte diese der gesetzlichen Rolle des Jugendamts nicht entsprechende Zuschreibung nicht noch durch eine die Gegnerschaft zum Ausdruck bringende Sitzordnung verstärkt werden.

Praxistipp

Falls Richter*innen nicht von sich aus auf eine dergestalt „richtige“ Sitzordnung achten, sollten Fachkräfte des Jugendamts und Verfahrensbeiständ*innen sie etwa bei fallübergreifenden Gesprächen im Rahmen interdisziplinärer Arbeitskreise dafür sensibilisieren.

3.2 Gestaltung des Ablaufs

Wie das Familiengericht den Ablauf des Anhörungs- und Erörterungstermins gestaltet, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der/des Richterin/Richters.Footnote 23 Nach § 28 Abs. 1 S. 1 FamFG hat das Gericht darauf hinzuwirken, dass die Beteiligten sich rechtzeitig über alle erheblichen Tatsachen erklären und ungenügende tatsächliche Angaben ergänzen.

Es empfiehlt sich, die folgenden Abschnitte wenigstens gedanklich, wenn nicht sogar expressis verbis, auseinanderzuhalten. Dies stellt Transparenz für die Erschienenen her. Dass jede/r Erschienene von Anfang an weiß, wann sie/er an der Reihe ist, mag in dem einen oder anderen Fall das Aufkommen von Ungeduld verhindern:

  • Feststellung, wer erschienen ist.

  • Klarstellung der Funktionen (insbesondere der/des Verfahrensbeiständin/-beistands und des Jugendamts) in für die Eltern nachvollziehbarer Weise.

  • Einführung in den Sach- und Verfahrensstand.

  • Keinesfalls dürfen die Beteiligten in die Versuchung gebracht werden, Sachanträge (d. h. Anträge, die sich nicht auf Verfahrensfragen beziehen) zu stellen. Es handelt sich um ein Amtsverfahren, in dem Sachanträge zu kindesschutzrechtlichen Maßnahmen keinen Platz haben.

  • Bekanntgabe des „Terminsprogramms“ (Warum sind wir heute hier? Was passiert? Wer ist wann dran?).

  • Persönliche Anhörung der Eltern.

  • Anhörung der/des Verfahrensbeiständin/-beistands.

  • Anhörung des Jugendamts.

  • Anhörung von Auskunftspersonen oder Zeug*innen.

  • Stellungnahmen der Verfahrensbevollmächtigten der Eltern.

  • Erörterung der Rechtslage (Voraussetzungen und Rechtsfolgen der §§ 1666, 1666a BGB). Welche Schäden sind beim Kind schon eingetreten, welche Schäden stehen bevor? Abklären, welche öffentlichen Hilfen notwendig und geeignet sind. Einwirken auf die Eltern, die notwendigen öffentlichen Hilfen in Anspruch zu nehmen. Koordinierung und Vernetzung der professionell Beteiligten.Footnote 24 Das Familiengericht hat gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 FamFG die Beteiligten auf einen rechtlichen Gesichtspunkt hinzuweisen, wenn es ihn anders beurteilt als die Beteiligten und seine Entscheidung darauf stützen will. Kommt als milderes Mittel die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil in Betracht, hat die/der Richter*in gemäß § 28 Abs. 2 FamFG auf einen solchen sachdienlichen Antrag hinzuwirken.Footnote 25

  • Vorbereitung Sachverständigenbeweis (Welche Fragen sind einer/einem Sachverständigen vorzulegen und welche nicht [etwa weil sie einfacher und schneller im Freibeweisverfahren anderweitig geklärt werden können]? Welchen Sachverstand muss die/der Sachverständige haben? Welche Person kommt in Betracht? Sind Entbindungen von der Schweigepflicht einzuholen?).

  • Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich (§ 157 Abs. 3 FamFG)?

Eventuell ist in Betracht zu ziehen, bestimmte Personen (die nicht Beteiligte sind) nur zu einzelnen Abschnitten hinzuzuziehen (Auskunftspersonen wie Lehrer*innen, Polizeibeamt*innen).

Die aufgezählten einzelnen Abschnitte/Verfahrenshandlungen werden thematisch oft ineinander übergehen. So dient etwa nicht nur die persönliche Anhörung, sondern auch die Erörterung der Sachaufklärung.

Die Reihenfolge des Vorgehens muss sich nach den Bedürfnissen und Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls richten. Oft wird es sich anbieten, mit der persönlichen Anhörung der Eltern zu beginnen. Denn die Eltern werden sich häufig im Vorfeld überlegt haben, was sie sagen wollen. Und sie werden sich erst dann auf das von den anderen Anwesenden Geäußerte einlassen und ihnen gestellte Fragen mit der notwendigen Konzentration beantworten können, wenn sie losgeworden sind, was ihnen wichtig ist und was sie „mitgebracht“ haben. Die/der Familienrichter*in sollte den Eltern verdeutlichen, dass sie in dem mündlichen Termin die Möglichkeit haben, sich losgelöst von den Formulierungen ihrer Verfahrensbevollmächtigten in ihren eigenen Worten zur Sache zu äußern und ihre Sicht der Dinge zu schildern. Häufig kann es sinnvoll sein, die Eltern zunächst im Zusammenhang reden zu lassen, bevor ihnen einzelne Fragen gestellt werden. Dabei sollte die/der Familienrichter*in den Eltern durchaus auch den Raum gewähren, Emotionen und Temperament zu zeigen. Nur auf diese Weise ist es möglich, sich ein unverstelltes Bild von den Eltern zu machen.

Auf keinen Fall sollte die/der Richter*in mit der Anhörung des Jugendamts beginnen. Denn das Jugendamt ist weder die anklagende Behörde noch das Ermittlungsorgan des Familiengerichts, das zu Beginn des Termins quasi über den Stand seiner Ermittlungen zu berichten hätte. Insbesondere nach vorausgegangener Inobhutnahme ist es in Bezug auf das Jugendamt wichtig (gegenüber den Eltern und ihren Verfahrensbevollmächtigten) klarzustellen, dass es in dem Anhörungs- und Erörterungstermin nicht um die Feststellung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Inobhutnahme (als Verwaltungsakt) geht. Mitunter empfiehlt sich der Hinweis, dass die Aufarbeitung dieses in der Vergangenheit liegenden Geschehens gegebenenfalls die Aufgabe eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist.

3.3 Terminsvermerk

Über Termine und persönliche Anhörungen hat das Gericht einen Vermerk zu fertigen (§ 28 Abs. 4 S. 1 FamFG). In den Vermerk sind die wesentlichen Vorgänge des Termins und der persönlichen Anhörung aufzunehmen.

Der Vermerk dient zunächst dazu, die Beteiligten, auch soweit sie bislang nicht (aktiv) am Verfahren teilgenommen haben, über Inhalt und Ergebnisse eines Termins oder einer Anhörung zu informieren, sodass sie zukünftig ihre Beteiligtenrechte effektiv wahrnehmen und ihr Verfahrensverhalten hieran ausrichten können. Insbesondere soll der Vermerk eine Stellungnahme zum Verfahren, einschließlich der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen (vgl. § 37 Abs. 2 FamFG), erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen, indem er den Beteiligten die für eine Äußerung notwendige Kenntnis vom Verfahren verschafft. Zum anderen gewinnt der Vermerk Bedeutung im Beschwerdeverfahren, indem er dem Beschwerdegericht die Prüfung erleichtert, inwieweit nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG eine Wiederholung einzelner Verfahrensschritte erforderlich ist.Footnote 26 Die letztgenannte Funktion des Terminsvermerks hat an Bedeutung verloren, seit der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.07.2021 die Bestimmung des § 68 FamFG geändert hat. Jetzt ist in § 68 Abs. 5 Nr. 1 FamFG geregelt, dass in Hauptsacheverfahren, in denen die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666, 1666a BGB in Betracht kommt, das Beschwerdegericht nicht mehr von der Durchführung eines Termins absehen kann.Footnote 27

4 Fazit

Der frühe Anhörungs- und Erörterungstermin in einer Kinderschutzsache ist ein zentrales Instrument der/des das Verfahren aktiv gestaltenden und von Amts wegen ermittelnden Familienrichterin/-richters. Das Familiengericht sollte die Zeit bis zum Stattfinden des frühen Termins nutzen, um mittels des flexiblen Erkenntnisinstruments des Freibeweises Anhörung und Erörterung vorzubereiten. Ferner können Jugendamt und Verfahrensbeiständin/-beistand durch frühzeitige Hinweise auf offene Fragen, hinzuzuziehenden weiteren Sachverstand weiterer Professionen und im frühen Termin zu befragende Auskunftspersonen zum Gelingen des frühen Termins proaktiv beitragen. Schließlich sollte das Familiengericht den frühen Termin nutzen, um das weitere Verfahren planmäßig zu gestalten.