Das Vorliegen psychischer Störungen kann einen bedeutsamen Einfluss auf die Erziehungsfähigkeit haben. In Kinderschutzverfahren ist dabei stets zu prüfen, welche konkreten Auswirkungen sich in Bezug auf das Kindeswohl ergeben.

1 Häufigkeit psychischer Störungen

Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in der Bevölkerung. Nach einer epidemiologischen Untersuchung von Jacobi et al. (2014) erfüllt mehr als jeder vierte Erwachsene (25 % bis 30 %) in Deutschland im Laufe eines Jahres die Kriterien einer voll ausgeprägten psychischen Erkrankung. Unterschiede in den Häufigkeiten zeigen sich dabei abhängig vom Geschlecht (höhere Raten bei Frauen, mit Ausnahme von Störungen mit Substanzmittelkonsum), dem Alter (die höchsten Raten in der Gruppe der 18–34-Jährigen) und dem soziökonomischen Status (höhere Raten bei niedrigem sozioökonomischen Status) (Jacobi et al. 2014). Aufgrund der hohen Prävalenzzahlen gibt es zwangsläufig auch viele Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil an einer psychischen Störung leidet; auf Grundlage internationaler Befunde wird der Anteil betroffener Kinder auf 12,1 % bis 38,5 % geschätzt (van Santvoort et al. 2015).

2 Entwicklungsrisiken bei Kindern psychisch kranker Eltern

Kinder psychisch kranker Eltern stellen eine bedeutsame Risikogruppe dar. Sie weisen u. a. ein erhöhtes Risiko auf, Entwicklungsauffälligkeiten und Erlebens- und Verhaltensprobleme zu entwickeln (Kingston & Tough 2014; Goodman et al. 2011) und zeigen im Vergleich zu anderen Kindern vermehrt Schwierigkeiten im schulischen Bereich (Augustine & Crosnoe 2010; Pearson et al. 2016; Shen et al. 2016; Kersten-Alvarez et al. 2012), wobei sich insbesondere bei Kindern alkoholabhängiger Eltern gehäuft Intelligenzminderungen, Lernstörungen und Schulprobleme beobachten lassen (Kindler et al. 2006). Zudem weisen zahlreiche Studien auf ein erhöhtes Risiko von Kindern mit einem psychisch kranken Elternteil hin, selbst an einer psychischen Störung zu erkranken (McLaughlin et al. 2012; Kessler et al. 2010). Dieses Risiko ergibt sich aus einem Zusammenwirken von genetischen und Umweltfaktoren (Vulnerabilitäts-Stress-Modell, vgl. Abb. 28.1) (Beardslee et al. 2011; Caspi et al. 2003), wobei genetische Faktoren zu einer erhöhten Vulnerabilität der Kinder beitragen, unter ungünstigen Umweltbedingungen an einer psychischen Störung zu erkranken. Gleichzeitig sind die Entwicklungsbedingungen von Kindern in Familien mit einem psychisch kranken Elternteil überzufällig häufig von multiplen Belastungsfaktoren (z. B. Arbeitslosigkeit, finanzielle Sorgen, Partnerschaftskonflikte und -gewalt, alleinerziehender Elternteil, Erziehungs- und Fürsorgedefizite, chronische Erkrankung eines Familienmitglieds, kritische Lebensereignisse) geprägt (Johnson et al. 2018; Bolster et al. 2020). Durch das gleichzeitige Vorliegen günstiger, protektiver Faktoren (z. B. soziale Unterstützung, positives Familienklima, positives Selbstkonzept, soziale Kompetenzen des Kindes) kann das Erkrankungsrisiko bei den Kindern zwar abgemildert werden, jedoch sinken die Kompensationsmöglichkeiten mit steigender Anzahl an gleichzeitig vorliegenden Belastungsfaktoren (Wille et al. 2008).

Abb. 28.1
figure 1

Vulnerabilität-Stress-Modell

Auch wenn viele der betroffenen Kinder sich positiv entwickeln können, stellt ein großer Anteil von ihnen aufgrund von Entwicklungs-, schulischen, oder psychischen Auffälligkeiten erhöhte Erziehungsanforderungen an ihre Eltern. Jedoch weisen diese Eltern aufgrund ihrer Erkrankung und weiterer Belastungen vermehrt Einschränkungen in den Erziehungskompetenzen auf, was mit den Auffälligkeiten der Kinder in Wechselwirkung steht. Im Folgenden wird vertieft auf mögliche Belastungen der Kinder im familiären Umfeld eingegangen, welche für die Bewertung des Unterstützungsbedarfs der Familien und des Gefährdungsrisikos der Kinder in Kinderschutzverfahren von besonderer Bedeutung sind.

3 Besondere Belastungen von Kindern mit psychisch kranken Eltern

Der Verlauf und Schweregrad psychischer Erkrankungen sowie die daraus resultierenden Einschränkungen des psychosozialen Funktionsniveaus sind sehr variabel. Einige psychische Störungen zeigen einen episodischen Verlauf, sodass es zwischendurch zu einem (vollständigen) Rückgang der Symptome kommen kann, andere einen eher chronisch-stabilen oder einen progredienten Verlauf. Auch ein Wechsel der vorherrschenden Symptomatik ist möglich. Abhängig von Krankheitsbild und Schwere der Erkrankungen wirken sich psychische Störungen in unterschiedlicher Weise auf psychische Funktionsbereiche der Betroffen aus, wie Denken, Problemlösen, Gedächtnis, Emotionen, Motivation, Antrieb und Wahrnehmung. Beeinträchtigungen in diesen Bereichen können sich im Interaktions- und Erziehungsverhalten der Eltern widerspiegeln, woraus sich für die Kinder auf vielfältige Weise Belastungen ergeben können. Im Folgenden wird eine Auswahl an möglichen Belastungen vorgestellt, die bei Kindern psychisch kranker Eltern vermehrt vorkommen. Für eine ausführliche Darstellung möglicher Auswirkungen psychischer Störungen auf die Erziehungsfähigkeit von Eltern differenziert nach unterschiedlichen Störungsbildern wird u. a. auf Dettenborn und Walter (2016) und Salzgeber (2020) verwiesen.

3.1 Irritationen des Kindes durch die Symptomatik

Ein Belastungsfaktor stellt für Kinder in akuten Krankheitsphasen ihrer Eltern die Konfrontation mit beängstigenden, irritierenden Symptomen und Verhaltensweisen dar. Insbesondere Wahninhalte, wie sie bei schizophrenen Störungen, aber auch bei schweren Depressionen vorkommen können, sind für Kinder beängstigend, da Kindern die Einordnung der Symptomatik als nicht realitätsbegründet nicht gelingt und diese unter Umständen von starken Ängsten und Erregungszuständen des Elternteils begleitet sein kann (Plattner 2019). Teilweise kann es auch zu Schuldgefühlen bei den Kindern kommen, wenn diese das veränderte elterliche Verhalten nicht einordnen können und die Ursache im eigenen Verhalten (z. B. schlechtes Benehmen, lautes Schreien und Herumtoben) sehen (Schone & Wagenblass 2010).

3.2 Folgen für die Bindungsentwicklung

Psychische Störungen (untersuchte Gruppen: v. a. Mütter mit Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Psychosen und Suchterkrankungen) können sich negativ auf die Fähigkeit von Eltern auswirken, die Bedürfnisse des Kindes angemessen wahrzunehmen und feinfühlig auf diese zu reagieren (Bernard et al. 2018). In Studien konnte ein erhöhtes Risiko für dysfunktionale Verhaltensweisen in der Interaktion mit dem Kind festgestellt werden, z. B. feindselig/harsche oder intrusiv/überstimulierende Verhaltensweisen, Rollenkonfusionen (z. B. Trost vom Kind erwarten, Hilflosigkeit), emotional widersprüchliche sowie emotional flache, zurückgezogene oder abwesende Reaktionen (Eyden et al. 2016; Ziegenhain & Deneke 2014). Solche dysfunktionalenInteraktionsmuster können für Kinder sehr beängstigend und irritierend sein, was dazu führt, dass sie in der Beziehung zu diesem Elternteil unzureichend emotionale Sicherheit erfahren können. Studien weisen auf erhöhte Raten unsicherer bzw. desorganisierter (hochunsicherer) Bindungen zwischen psychisch kranken Eltern und ihren Kindern hin (Hobson et al. 2005; Barnes & Theule 2019). Dabei ist eine hochunsichere Bindung für sich genommen zwar nicht pathologisch, allerdings zeigen Kinder mit einer desorganisierten Bindung vermehrt Defizite in der Emotions- und Verhaltensregulation, was mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten assoziiert ist (Fearon et al. 2010; Groh et al. 2012, 2017, 2014). Bei gravierenden Einschränkungen in der Beziehungsgestaltung durch den psychisch kranken Elternteil (z. B. emotionale Vernachlässigung, Misshandlung) besteht zudem ein erhöhtes Risiko für die Kinder, eine Bindungsstörung zu entwickeln.

Einen weiteren Risikofaktor für die Bindungsentwicklung der Kinder stellen außerdem Beziehungsabbrüche aufgrund von wiederholten Klinikaufenthalten des Elternteils dar. Für die Kinder sind die Klinikaufenthalte oft mit längeren Trennungen von der Bezugsperson verbunden, was zu starken Belastungs- und Trauerreaktionen führen kann, insbesondere wenn keine alternative vertraute Bindungsperson zur Betreuung des Kindes zur Verfügung steht und das Kind vorübergehend fremduntergebracht werden muss (Ziegenhain & Deneke 2014).

3.3 Parentifizierung

In Familien mit einem psychisch kranken Elternteil kommt es zudem gehäuft zu einer (teilweisen) Übernahme der Elternrolle durch die Kinder (Parentifizierung), indem sie z. B. für die Eltern oder jüngeren Geschwister sorgen. Solange die kindlichen Kompetenzen hierbei nicht überschritten werden, es weiterhin eine verfügbare Ansprechperson bei Problemen hat und Unterstützung erfährt, können sich Kinder hierbei u. U. als selbstwirksam und kompetent im Meistern von Schwierigkeiten erleben (Plattner 2020). Überwiegend sind die Kinder durch die Verantwortungsübernahme jedoch überfordert und werden bei der Bearbeitung eigener Entwicklungsaufgaben (schulische Entwicklung, Aufbau eines Freundeskreises) behindert (Macfie et al. 2015). Die Kinder wirken „pseudoreif“ und stellen dabei eigene Bedürfnisse nach Geborgenheit und Fürsorge zurück. Dies geht mit einem erhöhten Risiko von Fehlentwicklungen, v. a. internalisierenden Problemen, bei den Kindern einher (Macfie et al. 2015; van Loon et al. 2017; Schier et al. 2015).

3.4 Erziehungs- und Förderdefizite

Weiter weisen psychisch kranke Eltern abhängig von der Art der Erkrankung, deren Schweregrad und Chronizität mehr oder weniger starke Einschränkungen in den erzieherischen Kompetenzen auf (Überblick bei Dettenborn & Walter 2016; Klein & Moesgen 2019; Berg-Nielsen et al. 2002). Hierzu zählen u. a. ein vermindertes elterliches Engagement, was sich auch in einer verminderten Förderung der Interessen und Fähigkeiten des Kindes sowie der schulischen Entwicklung widerspiegelt, und Schwierigkeiten, den Alltag zu strukturieren. Weiter zeigen sich vermehrt Unsicherheiten in der Erziehung und Lenkungsdefizite. Dabei erhalten die Kinder unzureichend Orientierung, wenn das Erziehungsverhalten schwankend und für die Kinder unvorhersehbar ist. Nicht selten ist die Eltern-Kind-Interaktion von einem Wechsel aus liebevoller, bzw. aufgrund von schlechtem Gewissen teilweise verwöhnender, Zuwendung und unangemessenen Disziplinierungsmaßnahmen und negativen Reaktionen geprägt. Entsprechende Erziehungseinschränkungen tragen dazu bei, dass die Kinder Grenzen zunehmend schlechter akzeptieren können und das Risiko für Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten steigt. In der Folge kann es zu einem Teufelskreis kommen, bei dem die Eltern angesichts ihrer möglicherweise ohnehin eingeschränkten Erziehungs- und Beziehungskompetenzen den wachsenden Erziehungsanforderungen der Kinder immer weniger gerecht werden können (Stadelmann et al. 2010).

3.5 Vernachlässigung und Misshandlung

Kinder psychisch kranker Eltern weisen zudem ein erhöhtes Risiko auf, Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung zu werden (Windham et al. 2004; Deneke 2005). Ist der Elternteil aufgrund einer psychischen Erkrankung in seiner eigenen Lebensführung erheblich beeinträchtigt (z. B. durch Antriebsmangel, Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen bei Depression, Schizophrenie oder Störung mit Substanzmittelkonsum), ist das Risiko hoch, dass er sowohl die emotionalen Grundbedürfnisse des Kindes nicht befriedigen kann, als auch die Ressourcen des Elternteils nicht ausreichen, um die Betreuung, körperliche und medizinische Versorgung des Kindes angemessen sicherzustellen. Insbesondere für Kinder im Säuglings- und Kleinkindalter besteht ein erhebliches Risiko, da in diesem Alter erhöhte Anforderungen bezüglich der Beaufsichtigung und Pflege gegeben sind und die Kinder hinsichtlich ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung besonders verletzlich sind (Plattner 2020).

Bei einigen Störungsbildern kann es auch zu übermäßiger Reizbarkeit und Impulsivität, vermindertem Einfühlungsvermögen sowie feindseligen Einstellungen der Eltern zum Kind kommen (z. B. bei Störungen mit Substanzmittelkonsum, Psychosen, antisozialen, narzisstischen oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen), was für das Kind mit einer erhöhten Gefahr für das Erleben von emotionalen Abwertungen und körperlichen Übergriffen verbunden ist. Bei elterlichen Störungen mit Alkohol- und Substanzmittelkonsum sind die Kinder außerdem häufig von massiven familiären Konflikten und dem Miterleben von Partnerschaftsgewalt betroffen (Dong et al. 2004; Conners-Burrow et al. 2009).

3.6 Tabuisierung und Isolation

Häufig ist das Thema „psychische Erkrankung“ in den Familien tabuisiert. Selbst wenn die Kinder oder Jugendlichen über die Erkrankung informiert sind, besteht für die Kinder oft ein implizites oder explizites Kommunikationsverbot nach Außen (Plass & Wiegand-Grefe 2012). Dies hat nicht nur zur Folge, dass den Kindern Ansprechpartner beim Umgang mit der Belastung fehlen, sondern dass es zu einer sozialen Isolierung kommen kann, wenn Kontakte auf ein Minimum reduziert werden, damit Außenstehende nichts bemerken, oder die Kinder keine Freunde zu sich nach Hause einladen, aus Scham, der kranke Elternteil könnte sich auffällig verhalten (Schone & Wagenblass 2010).

Darüber hinaus besteht auch insbesondere bei Angststörungen der Eltern ein erhöhtes Risiko der sozialen Isolation des Kindes, wenn z. B. durch Klammern, Projizieren eigener Ängste auf das Kind oder Vermeidungsverhalten außerfamiliäre Kontakte und Erfahrungsmöglichkeiten stark eingeschränkt werden (Dettenborn & Walter 2016).

4 Interventionen und Hilfen

Hinsichtlich der Hilfen für die betroffene Familie und die Kinder stellt zunächst die Behandlung und Stabilisierung des Elternteils einen wichtigen Ansatzpunkt dar. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass (z. B. bei depressiven Erkrankungen) eine erfolgreiche Behandlung der psychischen Erkrankung des Elternteils das Belastungsrisiko bei den Kindern bereits deutlich senken kann (Letourneau et al. 2017; Weissman et al. 2006), wohingegen z. B. bei Suchterkrankungen in der Regel von einem deutlich intensiveren Unterstützungsbedarf der betroffen Familien auszugehen ist, um die Belastung der Kinder zu mindern (Kindler et al. 2006). Allerdings nimmt trotz des vergleichsweise guten Versorgungssystems in Deutschland und eines Anstiegs der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems bei psychischen Erkrankungen im Laufe der letzten Jahrzehnte die Mehrheit der Betroffenen nach wie vor keine Behandlung in Anspruch (Jacobi et al. 2014; Mack et al. 2014). Folglich ist davon auszugehen, dass im Kontext von Kinderschutzverfahren bei vielen der von einer psychischen Störung betroffenen Eltern bislang keine entsprechende Diagnostik und angemessene Versorgung erfolgte.

Zudem ist abhängig von Art, Schwere, Verlauf und Komorbidität der psychischen Erkrankung des Elternteils sowie dem Vorliegen weiterer Belastungen in der Familie in vielen Fällen eine reine Fokussierung auf die psychische Stabilisierung des Elternteils nicht ausreichend, um die Kinder hinlänglich zu stützen, sondern es bedarf vielmehr aufeinander abgestimmter, multiprofessioneller Hilfen, die das gesamte Familiensystem berücksichtigen (AFET – Bundesverband für Erziehungshilfe 2020). Um dies zu ermöglichen, bedarf es einer guten Kooperation der Versorgungssysteme der Eltern und der Kinder (z. B. Gesundheitswesen, Bildungswesen, Jugendamt), welche in der Praxis allerdings noch deutlich ausbaufähig ist.

Ein wichtiges Element eines solchen Hilfenetzes stellen im Altersbereich der Kinder von 0 bis 3 Jahren Interventionen zur Verbesserung der elterlichen Reflexionsfähigkeiten und der Beziehungs- und Erziehungskompetenzen dar. Als bindungsbasierte Interventionen sind in Deutschland beispielsweise STEEP™Footnote 1 (Suess et al. 2010) und die Entwicklungspsychologische Beratung (EPB; Pillhofer et al. 2015; Ziegenhain 2007) verbreitet. In Studien konnten bei hochbelasteten, auch psychisch kranken Müttern positive Effekte beider Programme auf die elterliche Feinfühligkeit nachgewiesen werden. Allerdings wurde auch der Bedarf flankierender Hilfen im Hinblick auf das Erreichen nachhaltiger Veränderungen festgestellt (Suess et al. 2016; Bovenschen et al. 2012). Zur Förderung der Erziehungskompetenzen psychisch kranker Eltern liegen außerdem evaluierte, störungsspezifische Gruppenprogramme, z. B. für Mütter mit Depressionen oder Borderline-Persönlichkeitsstörung, vor (Beispiele s. bei Sommer et al. 2020). Zudem können psychisch kranke Eltern u. U. auch von allgemeinen Elternkursen (z. B. Triple P; Sanders et al. 2014) oder einer intensiven Unterstützung im Alltag, z. B. durch eine sozialpädagogische Familienhilfe oder einen Erziehungsbeistand, profitieren (Kuschel et al. 2016; Sommer et al. 2020).

Des Weiteren gibt es auch verschiedene präventive Gruppenprogramme (z. B. „Echt stark!“, Schulze et al. 2014; „Trampolin-Programm“, Klein et al. 2013), die sich an ältere Kinder richten, deren Eltern z. B. an depressiven oder Suchterkrankungen leiden. Wichtige Ziele dieser Angebote sind, das Krankheitsverstehen bei den Kindern, einen offenen Umgang mit der Krankheit in der Familie und die Resilienz (z. B. Aufbau von Selbstwert- und Selbstwirksamkeitsgefühl, Erlernen effektiver Stressbewältigungsstrategien) auf Seiten des Kindes zu fördern. Meta-analytische Befunde lassen darauf schließen, dass Gruppenprogramme für psychisch kranke Eltern und deren Kinder erfolgreich zu einer Reduzierung des Erkrankungsrisikos bei den Kindern beitragen können (Siegenthaler et al. 2012). Außerdem gibt es in einigen Gemeinden Patenschaftsprogramme, durch die dem Kind, z. B. bei einem alleinerziehenden psychisch kranken Elternteil, eine verlässliche Bezugsperson zur Seite gestellt wird, an die es sich bei Sorgen und Problemen wenden kann und welche insbesondere in Krisenzeiten auch Betreuungs- und Versorgungsaufgaben übernehmen kann (z. B. PiB – Pflegekinder in Bremen gemeinnützige GmbH).

Darüber hinaus wurden inzwischen auch multimodale Ansätze entwickelt, die sowohl auf die Behandlung der elterlichen psychischen Erkrankung, die Erarbeitung von Bewältigungsstrategien im Familienkontext, eine Verbesserung der elterlichen Erziehungskompetenzen und der Beziehung zum Kind als auch auf den Aufbau sozialer Stütznetzwerke abzielen. Eine wachsende Anzahl an Psychiatrischen Kliniken hat beispielsweise im Laufe der letzten Jahre Eltern-Kind-Stationen aufgebaut, in die psychisch kranke Eltern gemeinsam mit ihren Säuglingen oder Kleinkindern aufgenommen werden können und neben der psychiatrischen Versorgung auch Unterstützung bei der Beziehungsgestaltung und dem Erziehungsverhalten erhalten (Turmes & Hornstein 2007). Beim neu entwickelten CHIMPs-Net Ansatz, der derzeit an mehreren Zentren in Deutschland eingeführt und evaluiert wird, werden Kinder während der Behandlung der Eltern auf psychische Auffälligkeiten hin untersucht und Kind (und Eltern) erhält (erhalten) abhängig vom Grad der psychischen Belastung des Kindes im Rahmen eines gestuften Vorgehens (Stepped-Care-Modell) passende Intervention (Wiegand-Grefe et al. 2011).

5 Hinweise für das Vorgehen in Kinderschutzverfahren

Es ist wichtig, bei der Einschätzung der Erziehungsfähigkeit der Eltern zu berücksichtigen, dass sich aus den wissenschaftlichen Befunden zu dem erhöhten Gefährdungsrisiko bei Kindern psychisch kranker Eltern keine Schlussfolgerungen für den Einzelfall ableiten lassen (Mattejat 2019). Krankheitsverläufe und Auswirkungen auf das Elternverhalten und die betroffenen Kinder sind sehr individuell. Eine psychische Erkrankung stellt für sich genommen noch keine Einschränkung der Erziehungseignung dar und viele der betroffenen Kinder zeigen auch positive Entwicklungsverläufe (Kindler et al. 2006). Es ist stets zu prüfen, in welcher Weise und mit welcher Schwere sich die Symptomatik auf die Funktionsfähigkeit des Elternteils und die Entwicklung des Kindes auswirkt und welche Ressourcen und Kompetenzen im Familiensystem vorhanden sind. Folgende Fragen sind zu überprüfen (vgl. Mattejat 2019):

  • Sind die Einschränkungen durch die psychische Erkrankung dauerhaft, episodenhaft oder vorübergehend vorhanden?

  • Mit welchen Einschränkungen des Elternteils ist in akuten Phasen zu rechnen?

  • Welche weiteren Belastungsfaktoren sind vorhanden, die sich auf die Stressbelastung des Elternteils auswirken und mit der Erkrankung ggf. in Wechselwirkung stehen?

  • Ergeben sich unmittelbare Einschränkungen im Erziehungsverhalten und Gefährdungssituationen aufgrund der Symptomatik?

  • Welche Erziehungsanforderungen, Belastungen und Ressourcen sind auf Seiten der Kinder gegeben?

  • Welche Kompensationsmöglichkeiten sind vorhanden, z. B. durch einen gesunden Elternteil, das soziale Umfeld, eine gute Anbindung des Elternteils an das medizinische Versorgungssystem, eine gute Anbindung des Kindes an kindbezogene Förder-, Betreuungs- und Versorgungssysteme, sowie die Nutzung allgemeiner oder sozialpädagogischer Hilfen?

Eine Herausforderung im Kontext von Kinderschutzverfahren ist die Situation, dass psychisch kranke Eltern zum einen häufig Angst vor Stigmatisierung haben und sich zum anderen – im Gegensatz zu einer klinischen Diagnostik, bei der sich Hilfe erhofft wird – darum bemühen, einen möglichst positiven Eindruck zu hinterlassen, sodass systematische Verzerrungen der Angaben und Dissimulationstendenzen, also ein Herunterspielen/Verbergen von Symptomen, erwartbar sind (Mattejat 2019). Darüber hinaus erleben Kinder psychisch kranker Eltern häufig starke Loyalitätskonflikte und die Erkrankung des Elternteils ist oft tabuisiert, sodass die Kinder im Gespräch oft schwer belastet sind, beschönigende Angaben machen oder schweigen. Daher ist es schwierig, aussagekräftige Informationen von ihnen über die Situation zu erhalten.

Wichtig sind im Fall einer (vermuteten) psychischen Erkrankung deshalb Einschätzungen von Dritten (z. B. Kinderärztin/-arzt, Pädagog*innen) zu eventuellen Auffälligkeiten und Belastungen des Kindes, sowie Einschätzungen der psychischen Belastung des Elternteils durch ärztliche oder psychologische Expert*innen. Neben der Einholung von Informationen von behandelnden Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen kann es notwendig sein, bei einer fraglichen Kindeswohlgefährdung eine unabhängige ärztliche Meinung zur psychischen Stabilität des Elternteils in Form einer psychiatrischen Begutachtung einzuholen (Plattner 2020). Zudem kann eine qualifizierte Interaktionsbeobachtung zwischen Eltern und Kindern erforderlich sein, um spezifische Auswirkungen der Symptomatik auf die Erziehungs- und Beziehungskompetenzen des Elternteils erkennen zu können.

6 Fazit

Viele Kinder in Deutschland wachsen in Familien auf, bei denen ein Elternteil von einer psychischen Erkrankung betroffen ist. Diese Kinder stellen eine Risikogruppe dar und weisen u. a. ein erhöhtes Risiko auf, selbst an einer psychischen Störung zu erkranken. Dies ergibt sich aus einem Zusammenwirken aus einer genetisch bedingten Vulnerabilität und einer Kumulation an Belastungserfahrungen im familiären Umfeld. Hinsichtlich der Erziehungskompetenzen der Eltern ist wichtig zu berücksichtigen, dass psychische Störungen zu erheblichen Defiziten in den Fürsorge-, Förder- und Erziehungskompetenzen beitragen können, diesbezüglich aber keinesfalls ein deterministischer Zusammenhang besteht. Für eine Gefährdungseinschätzung müssen stets die konkreten Auswirkungen der Erkrankung des Elternteils auf sein Elternverhalten und die Entwicklung des Kindes erfasst werden und zudem auch alle weiteren relevanten Belastungs- und Schutzfaktoren, die in der Familie wirksam sind, in der Gesamtschau betrachtet werden (Mattejat 2019). Zur Unterstützung betroffener Familien liegt in Deutschland ein wachsendes Angebot an Interventionen vor, wobei es für einen erfolgreichen Kinderschutz einer intensiven Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Akteur*innen und Versorgungssystemen (z. B. Gesundheitswesen, Bildungswesen, Jugendamt) bedarf.