1 Einleitung

Der Begriff der Erziehungsfähigkeit bezieht sich eng auf die Begriffe des Kindeswohls und der Kindeswohlgefährdung. In der familiengerichtlichen Praxis wird er in drei Kontexten verwandt: (a) In einer vergleichenden Weise als Teil einer Sorgerechtsentscheidung zwischen Eltern (§ 1671 BGB), (b) als im Einzelfall mehr oder weniger beeinflussbare Fähigkeit von Eltern, wenn über geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erziehungsfähigkeit diskutiert wird und (c) als Komplementärbegriff zur bestehenden Kindeswohlgefährdung (§ 1666 BGB), sodass eine aktuell gegebene erhebliche Einschränkung der Erziehungsfähigkeit einer vorliegenden Kindeswohlgefährdung entspricht. Erziehungsfähigkeit beinhaltet mehrere Aspekte, die verschieden gegliedert werden können, weshalb Gerichte und Verfahrensbeteiligte in Stellungnahmen und Gutachten öfter mit unterschiedlich benannten und zugeschnittenen Dimensionen der Erziehungsfähigkeit konfrontiert werden (für eine aktuelle Übersicht siehe Zumbach & Oster 2020). Neben den erzieherischen Basiskompetenzen hinsichtlich der Pflege und Versorgung des Kindes und emotionaler Feinfühligkeit im Hinblick auf die Vermittlung von Geborgenheit (s. a. [Kap. 26, 28]) sind aus funktionaler Sicht, d. h. einer auf die Aufgaben von Eltern bezogenen Sicht, die beiden in diesem Kapitel besprochenen Dimensionen der Förderung und der erzieherischen Lenkung sowie Grenzsetzung grundlegende Bereiche der Erziehungsfähigkeit (Lack & Hammesfahr 2019, S. 166). Im Folgenden wird zunächst inhaltlich bestimmt, worum es bei der Vermittlung von Regeln und der Förderung geht. Anschließend werden die Formen sowie die Einschätzung eingeschränkter Erziehungsfähigkeit im Bereich der Vermittlung von Regeln und Förderung des Kindes beschrieben. Grundlegende Befunde zur Bedeutung von Regelvermittlung und Förderung durch Eltern werden in einem Grundlagentext beschrieben (s. a. Erziehungspsychologie: Bedeutung von Erziehung und Förderung für das Kindeswohl (Regelvermittlung) [Kap. 14]).

2 Vermittlung von Regeln und Förderung

Durch erzieherische Lenkung und Grenzsetzung werden Kindern Orientierungen, Regeln und Werte vermittelt. Teilweise geht es dabei vor allem um Schutz und Sicherheit (z. B. bei der Verkehrserziehung), häufiger um ein gelingendes soziales Zusammenleben (z. B. Regeln zur Konfliktlösung). In einem weiten Sinne dient die Vermittlung von Regeln und Werten darüber hinaus der Ermöglichung eines guten, verantwortlichen Lebens. Dieses Ziel soll über die Einübung und Verinnerlichung grundlegender Regeln sowie die Befähigung zur Reflexion und eigenständigen, wertbezogenen Entscheidungen erreicht werden. Alltagssprachlich wird die Vermittlung von Regeln und Werten teilweise mit dem Begriff der Erziehung gleichgesetzt. Synonym wird von Sozialisation oder sozialen bzw. familiären Einflüssen auf die moralische Entwicklung von Kindern gesprochen. Aktuelle Forschungsübersichten für diesen großen Forschungs- und Wissensbereich finden sich bei Walper et al. (2015) sowie Jensen (2020). Die elterliche Förderung wiederum eröffnet dem Kind Lernchancen auch jenseits der sozialen und moralischen Entwicklung, also etwa im Hinblick auf Weltkenntnis und Kulturtechniken und ermöglicht so die Bewältigung altersentsprechend anstehender Entwicklungsaufgaben (Lack & Hammesfahr 2019). Da an der Förderung von Kindern infolge der allgemeinen Schulpflicht regelhaft Institutionen beteiligt sind, treten als elterliche Beiträge insbesondere die Förderung in der frühen Kindheit, die Zusammenarbeit mit Schulen sowie angemessene Reaktionen auf Schulprobleme, Lernstörungen und Entwicklungsverzögerungen hervor.

3 Formen eingeschränkter Erziehungsfähigkeit im Bereich der Vermittlung von Regeln und Werten

Wenn die Eltern nur eingeschränkt fähig zur Vermittlung von Regeln und Werten sind, lassen sich verschiedene Ausprägungsformen unterscheiden (Kindler 2006):

  • Untersozialisation aufgrund von unzureichender Vermittlung von Regeln und Werten

Fallbeispiel

Ein achtjähriger Junge fällt in der Schule durch häufige Fehlzeiten, unerledigte Hausaufgaben, eine Außenseiterrolle und massive Aggressivität gegen Gleichaltrige so auf, dass Schulausschluss bzw. Sonderbeschulung drohen. Die beruflich sehr eingespannte alleinerziehende Mutter nimmt den Jungen aber als unauffällig wahr und sieht keinen Anlass für eine verstärkte erzieherische Einflussnahme, sodass Untersozialisation zwar nicht als Ursache der Problematik, wohl aber als aufrechterhaltende Bedingung feststeht.

  • Vermittlung abweichender Regeln und Werte, die die Entwicklung eines Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit bedrohen

Fallbeispiel

Ein sechsjähriges Mädchen wird in der isoliert lebenden Familie dazu angehalten, den Kontakt zu anderen Kindern zu vermeiden und sich in der Schule ebenfalls zu isolieren, da die Umwelt von der Familie als gottlos erlebt wird.

  • Elterliche Überforderung mit der Erziehungsaufgabe aufgrund drastisch erhöhter Erziehungsanforderungen seitens des Kindes

Fallbeispiel

Mutter und Stiefvater eines zwölfjährigen Jungen mit ausgeprägter hyperkinetischer Störung des Sozialverhaltens (durch eine Aufmerksamkeitsstörung mitbedingte gravierende Probleme eines Kindes mit dem Einhalten sozialer Regeln) bewältigen die Erziehungsforderungen zweier jüngerer Geschwister des Kindes, sind aber damit überfordert, dem betroffenen Jungen innerhalb und außerhalb der Familie angemessene Grenzen zu setzen.

  • Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Vermittlung von Regeln und Werten im Kontext einer in mehreren Bereichen eingeschränkten Erziehungsfähigkeit

Fallbeispiel

Die alleinerziehende Mutter eines knapp halbjährigen Sohnes ist durch eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10-Kategorie F60.3) sowie eine Lernbehinderung belastet. Sie hat große Schwierigkeiten, im Alltag eine angemessene körperliche Versorgung und Pflege des Kindes zu gewährleisten. Zudem entwickelt sie die Vorstellung, ihren Sohn durch Schimpfen und milde Körperstrafen bereits im ersten Lebensjahr dazu erziehen zu müssen, ruhig zu sein und sich konzentriert füttern zu lassen.

4 Wie lässt sich eingeschränkte Erziehungsfähigkeit im Bereich der Vermittlung von Regeln und Werten einschätzen?

Bei der einzelfallbezogenen Erhebung der Erziehungsfähigkeit im Bereich der Vermittlung von Regeln und Werten verdienen einige Aspekte aufgrund des Forschungsstandes besondere Aufmerksamkeit. Zum Beispiel wird die Rolle unrealistischer, übertriebener Erwartungen der Eltern an die Selbstständigkeit und das Wohlverhalten der Kinder für das Verständnis von Erziehungsschwierigkeiten und Misshandlung hervorgehoben. Auch auf die Bedeutung feindselig verzerrter Ursachenzuschreibungen als Rechtfertigung für harte Bestrafungen oder Untätigkeit wird verwiesen (z. B.: mein Kind zeigt durch sein ungezogenes Verhalten, dass es mich als Mutter/Vater ablehnt) (Azar & Soysa 2000). Des Weiteren wird auf fehlende Erziehungskenntnisse, vor allem hinsichtlich der Versorgung von Kleinkindern, sowie mangelndes Verständnis oder verzerrte Vorstellungen von den Wirkungen elterlichen Bestrafungs- oder Fehlverhaltens hingewiesen (wie etwa Partnerschaftsgewalt oder Suchtmittelgebrauch im Anwesenheit des Kindes) (Dettenborn & Walter 2022).

Damit die Einschätzung zuverlässiger gelingt, ist es empfehlenswert, mehrere Informationsquellen und Kontakte einzubeziehen (Kindler 2006). Dabei können folgende fünf Leitfragen als Strukturierungshilfe herangezogen werden, wobei es sich bewährt hat, sich mit einem Resümee aus allen fünf Punkten auseinanderzusetzen und in der Zusammenschau zu entscheiden, ob eine erhebliche Einschränkung der Erziehungsfähigkeit im Bereich der Vermittlung von Regeln und Werten vorliegt:

4.1 Sind Elternteile von ihrer Lebenssituation und Persönlichkeit her stabil genug, um dem Kind Regeln und Werte zu vermitteln?

Die Vermittlung von Regeln und Werten ist auf ein Mindestmaß an Beständigkeit angewiesen (Marsh et al. 2020). Langanhaltende Schwierigkeiten bei der alltäglichen Lebensbewältigung, instabile und wenig durch Vertrauen geprägte Familienbeziehungen sowie zeitweise Zusammenbrüche der Fürsorge für das Kind können Indizien für eine unzureichende Stabilität der Persönlichkeit und der Lebenssituation der Elternteile sein. Befunde über elterliche psychiatrische Erkrankung, die zu einer sehr instabilen Lebenssituation führen (Plattner 2019), bekräftigen diese Einschätzung. Auch eine schwere körperliche Erkrankung eines Elternteils kann unter ungünstigen Umständen Beständigkeit in der Erziehung sehr erschweren und gleichzeitig die Erziehungsanforderungen infolge der emotionalen Belastung des Kindes steigern. Dies zeigt sich etwa daran, dass Kinder körperlich kranker Eltern als eine Risikopopulation hinsichtlich der Entwicklung psychiatrischer Störungen gelten (Riedesser & Schulte-Markwort 1999), wobei eine Unterteilung nach der Art der körperlichen Erkrankung sinnvoll ist.

  • Krebserkrankung der Eltern: Bei Kindern krebskranker Eltern, die sich in der Endphase befinden, können, wenn sie als Gruppe betrachtet werden, signifikant häufiger depressive und ängstliche Symptome sowie Verhaltensauffälligkeiten beobachtet werden (Siegel et al. 1992). Auch der Selbstwert ist niedriger und soziale Kompetenz ist beeinträchtigt. Allerdings scheint es Jugendlichen besser als Kindern zu gelingen, eine geeignete Copingstrategie zu entwickeln (Christ et al. 1994).

  • Dialysepatienten: Bei Kindern von Dialysepatienten wurden neben Leistungsabfall in der Schule (Hoover et al. 1975) vermehrte Aggressionen beobachtet (Friedlander & Viederman 1982).

  • Neurologische Erkrankungen (z. B. multiple Sklerose, Epilepsie): Der familiäre Zusammenhalt ist weniger ausgeprägt (Peters & Esses 1985), zudem können sich die Familienmitglieder häufig nicht an die Auswirkungen der Krankheit anpassen (Power 1985).

Bei körperlichen Vorerkrankungen von Eltern ist häufiger Angst bei den Kindern beobachtbar, z. B. Angst, dieselbe Erkrankung zu bekommen oder Angst um die Eltern (Arnaud 1959), gleiches gilt für Somatisierungstendenzen oder auch einen niedrigeren Selbstwert (Riedesser & Schulte-Markwort 1999).

Erhoben wird Instabilität in Form von Umzügen, familiären Neuzusammensetzungen und Klinikaufenthalten im Rahmen eines anamnestischen Gesprächs, wobei es sinnvoll ist, möglichst getrennt mit Elternteilen und älteren Kindern zu sprechen. Teilweise können Akten zum Vergleich herangezogen werden. Wechselhaftigkeit und Desorganisation im Familienalltag können manchmal über Tageslaufschilderungen, teilweise aber nur über wiederholte Hausbesuche festgestellt werden.

4.2 Zeigt der Elternteil ein Mindestmaß an Interesse und Engagement bei der Vermittlung von Regeln und Werten?

Ein geringes Maß an Informiertheit über Entwicklung, Stärken, Interessen, Probleme und Wünsche eines Kindes kann Hinweise auf ein eingeschränktes Erziehungsengagement liefern. Ebenso kann eine sehr lückenhafte Informiertheit über Kontakte zu Gleichaltrigen, Freundschaftsbeziehungen sowie Aufenthaltsorte eines Kindes als Indiz dafür gelten, dass das Erziehungsengagement schwach ist. Bei Informationen über bedeutsame Fehlentwicklung des Kindes durch Dritte (wie etwa Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Kinderarzt/-ärztin) deutet eine zeitnahe Reaktion der Eltern (Informations- und Hilfesuche, erzieherische Einflussnahme auf das Kind) auf Interesse und Engagement im Hinblick auf die Erziehungsaufgabe hin, während ausbleibende Nachfragen und eine fehlende erzieherische Einflussnahme auf mangelndes Interesse und Engagement hindeuten. Bloße Schuldzuweisungen an andere sind kein Hinweis auf erzieherisches Engagement. Schließlich muss im Gespräch mit Eltern ein Mindestmaß an (innerer) Auseinandersetzung mit der Erziehungsaufgabe erkennbar sein. Dies betrifft die alltäglichen Herausforderungen im Leben mit Kindern verschiedener Altersgruppen, besonders aber den Umgang mit von Eltern selbst wahrgenommenen Schwächen bzw. Problemen eines Kindes. Gradmesser für ein Mindestmaß an Nachdenken über ein Kind und dessen Erziehung sind nicht die oft sehr ausdifferenzierten Vorstellungen von Mittelschichtseltern, die sich häufig einem Modell intensiver Elternschaft (Hays 1996) verschrieben haben. Können Eltern aber kaum Angaben über Erziehung und ihr Kind machen und nicht über Lösungen für Erziehungsprobleme nachdenken, deutet dies auf Vernachlässigung hin (z. B. Azar et al. 2017).

Die Informiertheit eines Elternteils über ein Kind kann nur eingeschätzt werden, wenn Angaben von Kind und Elternteil oder Beobachtungen mit Angaben des Elternteils verglichen werden. Ob ein Mindestmaß an innerer Auseinandersetzung mit der Erziehungsaufgabe bezüglich eines Kindes erkennbar ist, ergibt sich aus dem Gespräch mit dem Elternteil über das Kind, Erziehungsziele und/oder -mittel. Bei Kindern im entsprechenden Alter ist es sinnvoll zum Vergleich einen Bericht des Kindes über eventuell wahrgenommenes Desinteresse und ausbleibende erzieherische Reaktionen des Elternteils auf Problemsituationen einzuholen. Im Gespräch über erzieherisches Engagement in Reaktion auf Problemanzeigen, etwa durch Schule oder Kindergarten, ist es wichtig bei den Institutionen genau nachzufragen, wie die Eltern angesprochen und was ihnen mitgeteilt wurde, da manchmal potenziell konfliktreiche Themen nur sehr verklausuliert angesprochen werden und manche Eltern dann wenig Chance haben, den Ernst der Lage zu erkennen.

4.3 Bietet das beim Elternteil vorhandene Bild des Kindes realistische Ansatzpunkte für eine angemessene Vermittlung von Regeln und Werten?

Die Eltern haben bestimmte Erwartungen an die Selbstständigkeit und/oder das Wohlverhalten des Kindes. Es ist ungünstig, wenn diese Erwartungen durch alters- und entwicklungsunangemessene und übertriebene Erwartungen geprägt sind und wenn sich in spontanen Äußerungen oder im Gespräch über das kindliche Verhalten grob verzerrende Ursachenzuschreibungen zeigen. Mit Zuschreibungen werden z. B. folgende Annahmen der Eltern gemeint:

  • Das Kind wolle mit seinem Verhalten eine Ablehnung des Elternteils ausdrücken oder will das Elternteil in erster Linie provozieren.

  • Die Eltern hätten keinen Einfluss auf die Verhaltensprobleme des Kindes.

  • Das Kind sei nicht für sein Verhalten in der Schule verantwortlich, vielmehr hätten ausschließlich die Mitschüler*innen oder die Lehrkräfte die Probleme und Schwierigkeiten verursacht.

  • Dem Kind wird erkennbar die Schuld für Fehlentwicklungen im Leben des Elternteils zugeschrieben.

  • Das Kind wird mit einer ausgeprägt negativ wahrgenommenen Person in der Lebenswelt des Elternteils identifiziert (z. B. eine/ein sehr gewalttätige/gewalttätiger Partner*in).

Empirischen Ergebnissen zufolge gehören unangemessene Erwartungen der Eltern oder Ursachenzuschreibungen bezüglich des kindlichen Verhaltens zu Ursachen für Misshandlungen, Vernachlässigung und gravierende Erziehungsschwierigkeiten (Azar 2002).

4.4 Verfügt der betreffende Elternteil über grundlegend angemessene Ziele und Vorgehensweisen bei der Vermittlung von Regeln und Werten?

Von grundlegend angemessenen Zielen und Mitteln in der Erziehung zu sprechen, soll anzeigen, dass im Kinderschutzverfahren nicht die nach gegenwärtigem Wissenstand kindeswohldienlichsten Erziehungsweisen als Messlatte dienen können, auch wenn im Rahmen von Hilfen zur Erziehung gegebenenfalls entsprechende Ziele formuliert werden. Vielmehr geht es um die untere Grenze noch akzeptabler und daher grundlegend angemessener Erziehungsziele und -mittel. Im Hinblick auf Erziehungsmittel kann bei verletzungsträchtigen oder mit erheblichen Schmerzen und/oder Demütigungen verbundenen Bestrafungsformen von unangemessenen Vorgehensweisen gesprochen werden. Weiterhin werden folgende Vorgehensweisen als unangemessen gewertet (Kindler 2006):

  • Das Vorgehen der Eltern ermöglicht dem Kind keine Orientierung (beispielsweise scheinen Bestrafungen willkürlich zu sein).

  • Der Elternteil ignoriert konkret vorhandene Erziehungsanforderungen (z. B. Verhaltensauffälligkeiten des Kindes) trotz sachkundiger Hinweise auf das Problem. Erziehungsempfehlungen von Fachkräften bzw. Anforderungen zur Zusammenarbeit müssen nicht unbedingt befolgt werden, solange der Elternteil eine geeignete oder zumindest erfolgversprechende andere Form findet, erzieherisch auf das Kind einzuwirken.

  • Die Eltern fühlen sich hilflos, hoffnungslos und überfordert bei der Bewältigung von Erziehungsanforderungen und bleiben daher untätig.

Erziehungsziele müssen als unangemessen angesehen werden, wenn ein Elternteil nicht bereit oder nicht in der Lage ist, gesetzlich normierte oder bedeutsame gesellschaftliche Erwartungen (z. B. Schulbesuch) dem Kind gegenüber zu vertreten. Auch wenn das Kind zu kriminellen Aktivitäten oder zum Dulden von sexuellem Missbrauch angehalten wird, müssen die Erziehungsziele als grundlegend unangemessen angesehen werden. Zudem lässt sich von verfehlten, grundlegend unangemessenen Erziehungszielen oder Mitteln sprechen, wenn die Erziehung durch Botschaften an das Kind geprägt ist, die als psychische Misshandlung einzuordnen sind (z. B. Kind ist nichts wert und voller Fehler, s. a. Psychische Misshandlung [Kap. 21]). Vertreten Eltern generell eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder andere radikale bzw. fundamentalistische religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen, so ist dies hier nur relevant insoweit es sich über Erziehungsziele oder -mittel negativ auf ein Kind und sein Wohl auswirkt.

4.5 Welche Erfolge zeigen sachkundige Maßnahmen zur Förderung einer angemessenen elterlichen Vermittlung von Regeln und Werten?

Wenn sachkundige Maßnahmen zur Förderung der elterlichen Erziehungsfähigkeit erfolglos bleiben oder wenn diese Maßnahmen mangels Mitwirkungsbereitschaft der Eltern nicht durchgeführt werden können, wird die Einschränkung eines Elternteils bei der Vermittlung von Regeln und Werten als schwerwiegend eingeschätzt.

5 Wie lässt sich eingeschränkte Erziehungsfähigkeit im Bereich der Förderung des Kindes einschätzen?

Die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten und damit die Förderung des geistigen Wohls von Kindern liegen wesentlich in den Händen von Institutionen, insbesondere der Schulen. Die vergleichsweise große Bedeutung des außerfamiliären Bereichs stellt eine Besonderheit im Hinblick auf den Aspekt des geistigen Wohls von Kindern dar. Zudem wird die geistige Entwicklung durch Anlagen mitbestimmt, verläuft insbesondere in den ersten Lebensjahren hochgradig variabel und hat nur beschränkte Bedeutung für die Verwirklichung zentraler Grundrechte, wie dem Recht auf Leben und Entfaltung der Persönlichkeit. All diese Umstände haben dazu geführt, dass Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit im Bereich Förderung für sich genommen in der Abwägung mit den Belastungen durch Zwangsmaßnahmen eher selten Eingriffe in elterliche Sorgerechte rechtfertigen. Es gibt jedoch Ausnahmen, etwa wenn eine mangelnde frühe Förderung Entwicklungsrückstände erwarten lässt, die auch mit Förderung in der Regel nicht mehr aufgeholt werden können und Eltern zu Gegenmaßnahmen nicht bereit sind, wenn auf Fehlbeschulungen, die mit erheblichem Leid verbunden sind, nicht reagiert wird, wenn Kinder generell vom Schulbesuch ferngehalten und damit in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und dem Erwerb von Gemeinschaftsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden oder wenn von Interessen und Erfolgsaussichten getragene Berufswünsche willkürlich abgelehnt werden. Zudem leistet der Aspekt der Erziehungsfähigkeit im Bereich Förderung häufiger einen Beitrag zur Gesamtbeurteilung, die auch die anderen Dimensionen der Erziehungsfähigkeit einbezieht. Wesentliche bei einer Einschätzung zu berücksichtigende Aspekte sind:

  • Entwicklungs- und Lernstand des Kindes: Für die Erhebung des Entwicklungs- und Lernstandes liegen standardisierte Verfahren vor, die etwa von Fachkräften in der Frühförderung oder schulpsychologischen Diensten eingesetzt werden können. Bei der Auswertung geht es vor allem um die Frage, inwieweit auch mit Förderung nicht mehr aufholbare Entwicklungsrückstände zu erwarten sind bzw. ein einfacher Schulabschluss verunmöglicht wird. Zudem ist zu erörtern, inwieweit Ergebnisse Rückschlüsse auf mangelnde Förderung als Ursache eventueller Beeinträchtigungen zulassen. Dies ist bei Rückständen in einigen Bereichen eher der Fall als bei anderen (z. B. Weltwissen im Vergleich zu logischem Schlussfolgern).

  • Anregungsgehalt der familiären Umwelt: Geachtet werden kann auf den Anregungsgehalt der materiellen Umwelt des Kindes, die geschilderten Eltern-Kind-Aktivitäten und die beobachtbaren Eltern-Kind-Interaktionen (für einen Überblick siehe z. B. Niklas 2015). Im Hinblick auf die materielle Umwelt ist von Bedeutung, inwieweit verschiedene, förderliche Aktivitäten des Kindes ermöglicht werden, bei Kleinkindern etwa körperliche Betätigung (z. B. Ball), einfache Auge-Hand-Koordination (z. B. Formenhaus), Konstruktionsspiele (z. B. Lego), Betrachten und Hören (z. B. Bilderbuch und Märchen-Hörbücher) sowie erste Rollenspiele (z. B. Puppe). Bei Schulkindern geht es um Angaben der Schule zur Bereitstellung von Lernmaterialien durch die Eltern und gegebenenfalls einen Platz für Hausaufgaben in der Wohnung. Hinsichtlich geschilderter Eltern-Kind-Aktivitäten sind in der Regel alle gemeinsamen Aktivitäten innerhalb oder außerhalb der Familien als förderlich anzusehen, wenn sie mit gemeinsamer Aufmerksamkeit (Bilderbuch anschauen), Sprache und Regeleinübung (z. B. Brettspiele), Bewegung und neuen Erfahrungen (z. B. Zoobesuch) verbunden sind. Im Schulalter geht es häufig auch um Fragen der häuslichen Unterstützung bei Lernrückständen. Beobachtungen sind vor allem dann sinnvoll, wenn eine Anforderungs- oder Aufgabensituation in den Mittelpunkt gerückt werden kann, was meist nur von Sachverständigen erwartet werden kann. Im Mittelpunkt steht dann die Frage, inwieweit das Kind so unterstützt wird, dass es eine Anforderung oder Lernsituation möglichst eigenständig erfolgreich meistert (Scaffolding). In der unstrukturierten Beobachtung, die für mehrere Professionen eine Erhebungsmöglichkeit darstellt, hat sich insbesondere die Frage, inwieweit mit jüngeren Kindern gesprochen wird und auf deren Signale reagiert wird, als wichtig für die Förderung erwiesen.

  • Haltung der Eltern gegenüber ihrer Förderaufgabe und der Schulpflicht: Hier kann ausgewertet werden, inwieweit sich Eltern für Entscheidungen betreffend die Förderung eines Kindes verantwortlich fühlen und bereit sind, die geistige Entwicklung des Kindes auch im Alltag zu unterstützen (Kirby & Hodges 2018). Je dringender hier Maßnahmen anstehen, desto bedeutsamer ist es, welche Angaben Eltern hier machen. Weiter kann von Eltern erwartet werden, dass sie (trotz mancher Missstände in Schulen) in der Gesamtabwägung den Schulbesuch ihrer Kinder, soweit Schulpflicht besteht, bejahen, für die Umsetzung eintreten und aus der geteilten Erziehungsverantwortung von Elternhaus und Schule den Schluss ziehen, dass eine Zusammenarbeit von Schule und Eltern nötig ist. Fehlt es an entsprechenden Haltungen, deutet dies auf eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit im Förderbereich hin.

  • Reaktion auf Maßnahmen zur Unterstützung elterlicher Förderfähigkeiten: Führen angebotene Hilfen (z. B. Anleitung im Rahmen einer Frühförderung, Weckservice zur Sicherstellung des Schulbesuchs) oder Angebote, die in einer einladenden Form Eltern informieren und bei ihnen für Fördermaßnahmen werben wollen (z. B. runder Tisch), nicht zu einer Akzeptanz und Unterstützung bzw. Umsetzung von Maßnahmen, die zur Abwendung von Beeinträchtigungen des geistigen Wohls von Kindern nötig sind, so ist die Einschränkung der Erziehungsfähigkeit in diesem Bereich als vergleichsweise schwerwiegender einzuschätzen.