1 Einleitung

Die Bedeutung der elterlichen Erziehung und Förderung für eine gesunde und positive kindliche Entwicklung ist inzwischen empirisch gut belegt (Holden 2014). Im Folgenden wird zunächst beschrieben, aus welchen Komponenten das elterliche Erziehungsverhalten besteht und welche Faktoren deren Zusammenspiel beeinflussen. Danach werden Merkmale elterlicher Förderung erläutert, die auch für die Beschreibung elterlicher Fähigkeiten im Kontext von Kindeswohlgefährdung relevant sind. Anschließend wird vertiefend auf die Vermittlung von Regeln und Werten als Kern der Erziehung eingegangen, bevor die gemeinsame Bedeutung von Erziehung und Förderung für das Kindeswohl herausgestellt wird. Der Begriff der Erziehung hat eine lange Geschichte und vielfältige Ausprägungen erfahren (Callo 2002; Winkler 2010). Teilweise schließt er die Förderung des Kindes und das Wirken vieler Personen und Institutionen mit ein. Hier stehen jedoch Eltern im Mittelpunkt. Zudem werden, angelehnt an die Struktur der richterlichen Kindeswohlprüfung (z. B. BGH 6.12.1989 – IVb ZB 66/88 m. w. N.), Erziehung und Förderung als zwei verschiedene, wenn auch eng miteinander verbundene Aspekte behandelt.

2 Elterliche Erziehung

Erziehung kann als „Bildung und Förderung des Geistes und Charakters eines Heranwachsenden“ definiert werden (Ecarius 2007). Im Grundgesetz wird Erziehung, neben der Pflege, als „das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ bezeichnet (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). In der Forschung und Praxis wird das elterliche Erziehungsverhalten unterschiedlich beschrieben. Es können dimensionale, partielle und typologische Herangehensweisen unterschieden werden (Kindler 2006a). Dimensionale Ansätze erfassen die Merkmale elterlichen Erziehungsverhaltens auf einer oder mehreren Dimensionen, etwa auf einer Dimension mit den Polen „Wärme vs. Feindseligkeit“ oder einer Dimension mit den Polen „hohes vs. niedriges elterliches Engagement“ in Bezug auf Vermittlung von Regeln und Werten. Partielle Ansätze fokussieren einen Ausschnitt des Prozesses der Vermittlung von Regeln und Werten, wobei dieser Ausschnitt beispielsweise die innerpsychischen Prozesse bei dem erziehenden Elternteil betreffen kann (etwa die Erwartungen an das kindliche Verhalten) oder bestimmte Bereiche von Werten oder Regeln (z. B. Sicherheit, Hygiene und Sauberkeitserziehung) oder Ausprägungen des Erziehungsverhaltens (etwa die Intensität und Form von Strafen) (Kindler 2006a).

Anhand von typologischen Ansätzen werden bestimmten Ausprägungen bzw. Ausprägungskombinationen zu Typen zusammengefasst, die häufig auch als Erziehungsstile bezeichnet werden. In der Theorie und Praxis lassen sich mehrere unterschiedliche Erziehungsstile unterscheiden, die durch grundlegende Einstellungen und Verhaltensmuster charakterisiert sind und deshalb Eltern-Kind-Interaktionen wesentlich mitbestimmen. Eine der bekanntesten Klassifikation von Erziehungsstilen unterscheidet je nach Ausmaß von erzieherischer Kontrolle und emotionaler Wärme der Eltern drei Erziehungsstile (Baumrind 1973, 1989):

  • autoritär (viel elterliche fordernde Kontrolle bei gleichzeitig wenig Wärme),

  • permissiv/nachgiebig (wenig elterliche fordernde Kontrolle, aber viel Wärme) und

  • autoritativ (viel elterliche fordernde Kontrolle und viel Wärme vorhanden).

Der autoritäre und permissive Erziehungsstil wurden dabei als Gegensätze verstanden und der autoritative Erziehungsstil als positive Synthese. Gestützt auf ein Forschungsprogramm mit Beobachtungen und Interviews,Footnote 1 in dem Eltern mit verschiedenen Erziehungsstilen und ihre Kinder bis ins Jugendalter begleitet wurden, fanden sich Vorteile eines autoritativen Erziehungsstils im Hinblick auf soziale Fähigkeiten und Selbstständigkeit der Kinder. Später gab es an diesem Konzept noch zwei Änderungen. Zum einen wurde das Modell um eine vierte Erziehungstendenz ergänzt: Beim permissiven Erziehungsstil wurde zwischen einer nachgiebigen Erziehungshaltung mit einer warmen und akzeptierenden Grundeinstellung der Eltern und einer vernachlässigenden Erziehungshaltung mit einer kalten und ablehnenden Grundeinstellung der Eltern differenziert (Maccoby & Martin 1983). Tab. 14.1 stellt diese Klassifikation der vier Erziehungsstile grafisch dar.

Tab. 14.1 Klassifikation von Erziehungsstilen. (Maccoby & Martin 1983)

Eine zweite Veränderung ergab sich, als Baumrind (2013) die Art und Weise untersuchte, wie autoritäre und autoritative Eltern erzieherische Kontrolle ausübten und dabei herausfand, dass autoritative Eltern ihren Kindern vergleichsweise mehr Mitspracherecht beim Formulieren von Regeln einräumten, die dann aber auch eingehalten werden mussten. Regelverstöße hatten bei autoritativen Eltern Folgen, die aber vergleichsweise milde waren und auf die Einsicht der Kinder abzielten. Viele empirische Studien aus einer größeren Anzahl unterschiedlicher Kulturen konnten die Zusammenhänge zwischen Erziehungsstilen und kindlicher Entwicklung belegen, wie etwa die positive Wirkung von einem autoritativen Erziehungsstil auf psychosoziale Kompetenzen, mehr schulischen Erfolg und weniger internalisierte und externalisierte Verhaltensauffälligkeiten (Steinberg 2001; Pinquart & Kauser 2018). Ein übermäßig strenges elterliches Erziehungsverhalten gilt als Vorhersagefaktor für die Entwicklung von kindlichem Problemverhalten (Deater-Deckard et al. 2012), dagegen kann eine Mitsprache und Eigenständigkeit fördernde und liebevolle Erziehung kindliche Verhaltensprobleme reduzieren und sozial-emotionale Kompetenzen stärken (Matte-Gagné et al. 2015).

Die Erziehungsanforderungen an Kinder ändern sich in Abhängigkeit von deren Alter. Auch Temperament und Persönlichkeit von Kindern sind wichtig (Bates et al. 2019). Dementsprechend geht es in den erzieherischen Situationen darum, eine gute Passung zwischen den kindlichen Bedürfnissen, Erziehungsanforderungen und der Gestaltung der Umwelt des Kindes durch die Eltern herzustellen (Petermann 2017). Das Konzept der Passung ist weder in der Forschung noch in der Praxis leicht greifbar zu machen. Jedoch lassen sich einige Kernbefunde anführen. So wird etwa mit zunehmendem Alter das Aufgreifen, Vor- und Nachbesprechen von Konflikt- und Problemsituationen für die Erziehung immer wichtiger, weil Eltern in den entsprechenden Situationen zunehmend seltener dabei sind (Stattin & Kerr 2000). Zugleich müssen Bereiche von Selbstständigkeit und Privatsphäre immer wieder neu ausgehandelt und allmählich ausgeweitet werden. Hinsichtlich des Temperaments von Kindern hat sich gezeigt, dass besonders furchtsame Kinder von elterlicher Unterstützung und einer feinfühligen Heranführung an neue Erfahrungen besonders profitieren, während Kinder, die sich schlecht kontrollieren können, besonders auf freundlich, aber beständig vertretene Regeln angewiesen sind (Bates et al. 2019).

Die Erziehungsprozesse und ihre Bestandteile sind komplex und miteinander vernetzt, was in dem Prozessmodell in der Abb. 14.1 anschaulich dargestellt wird.

Abb. 14.1
figure 1

Prozessmodell nach Belsky (1984)

Die Entwicklung eines Kindes wird direkt durch das elterliche Erziehungsverhalten und Merkmale des Kindes beeinflusst. Indirekt nehmen die Persönlichkeitsmerkmale der Eltern einschließlich ihrer gesundheitlichen Situation, der Qualität der elterlichen Partnerschaft, die Arbeitssituation und Lebenserfahrung der Eltern, deren soziales Netzwerk, die ökonomische Lage sowie die bisherigen Erfahrungen der Eltern mit dem Kind Einfluss (Belsky 1984). Es ist wichtig, die Einflüsse, denen elterliches Erziehungsverhalten unterliegt, mit zu bedenken, weil Unterstützungsmaßnahmen häufig sowohl beim Erziehungsverhalten selbst als auch bei den Bedingungen, unter denen Eltern erziehen, ansetzen müssen.

3 Elterliche Förderung

Unter Förderung werden alle elterlichen Verhaltensweisen verstanden, die das Kind unterstützen und auf dessen geistige und psychomotorische Entwicklung abzielen (Jacob & Zeddies 2020). Sie beinhaltet sowohl direkte als auch indirekte (motivfördernde) Anregung zur Exploration, aber auch die Förderung der Anstrengungsbereitschaft und Evaluation des eigenen Tuns. Zudem wird Förderung auch auf die Entwicklung einer positiven Identität bezogen, also die Förderung einer Auseinandersetzung mit dem eigenen „Gewordensein“ und den eigenen Zugehörigkeiten (Jacob & Wahlen 2006).

Förderung lässt sich erfassen über die Bereitschaft und Fähigkeit, dem Kind grundlegende Lernchancen zu eröffnen und sie/ihn bei Bedarf bei der Bewältigung altersentsprechend anstehender Entwicklungsaufgaben zu unterstützen (Hammesfahr 2019). Grundlegend zählt bei Kindern im Schulalter die Sicherstellung eines regelmäßigen Schulbesuchs und die Begleitung der schulischen Entwicklung des Kindes zur Förderung durch Eltern. Unter bestimmten Umständen (z. B. Entwicklungsrückstände, keine anderen Kinder im sozialen Umfeld) kann auch der Besuch einer Kindertagesstätte als grundlegend erforderlich angesehen werden.

Anregende Erfahrungen sind für die geistige Entwicklung von Kindern bereits in den ersten Lebensjahren essenziell, wobei es auf die Qualität dieser Erfahrungen ankommt. Dies konnte vielfach empirisch nachgewiesen werden (McCormick et al. 2020). Zum Beispiel wurden Zusammenhänge zwischen dem Anregungsgehalt der Umgebung innerhalb und außerhalb der Familie von Kindern und dem Entwicklungsstand beobachtet (Vandell & Wolfe 2000). Insbesondere soziale Einflüsse (z. B. Anregung durch gemeinsames Spiel, gemeinsam gelesene Bilderbücher oder den Einbezug von Kindern in Alltagsaktivitäten) auf die kognitive Entwicklung (z. B. Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Problemlösefähigkeiten etc.) wurden vielfach belegt (Zimmermann & Spangler 2001). Mangelnde elterliche Förderung hängt wiederum mit Bildungsmisserfolgen (bis hin zu Schulschwänzen und Schulabsentismus) von Kindern aus ohnehin schon ungünstigen sozialen Umständen zusammen (Fahrenholz 2020). Weiterhin wurde der Anregungsgehalt familialer Alltagspraktiken („Home Literacy Environment“) für die sprachliche und kognitive Entwicklung der Kinder untersucht und Einflüsse auf das Laut- und Buchstabenbewusstsein, Entwicklung sprachlicher Kompetenzen sowie Lesen- und Schreibenlernen beschrieben (Niklas & Schneider 2013).

Im Hinblick auf die Förderung ihrer Kinder nehmen die Eltern als Interaktionspartner und verantwortliche Gestalter der kindlichen Lebenswelt eine zentrale Rolle ein. Ergebnisse von Kurz- und Langzeitstudien betonen mehrere zentrale Aspekte elterlichen Verhaltens, wie etwa die grundlegende Bereitschaft der Eltern bzw. eines Elternteils, auf Fragen des Kindes einzugehen und seine Interessen, Neugier und Wissbegier zu unterstützen (Kindler 2006b). Eltern können ihre Kinder im familiären Alltag auf vielseitige Art und Weise fördern, etwa durch feinfühlige Herausforderungen kindlicher Fähigkeiten, verbunden mit Vertrauen in ihre Fähigkeiten, einfühlsame Unterstützung bei Schwierigkeiten, Einbezug des Kindes in elterliche Aktivitäten, Wertschätzung kindlicher Leistungen sowie eine anregend gestaltete Umwelt, die Selbstbildungsprozesse bei den Kindern anregt und fördert (Shonkoff & Phillips 2000). Es lassen sich Befunde dafür finden, dass eine unterstützende und anregend gestaltete Umwelt vorgeburtlich bedingte Defizite kompensieren kann (Kendler et al. 2015).

Ein exzessiver Fernseh- und/oder Medienkonsum im häuslichen Umfeld ist auch mit eng mit unzureichender familiärer Förderung verbunden. Dabei sind die Maßstäbe für exzessive Mediennutzung oftmals subjektiv (Kammerl et al. 2012) und kulturell bedingt, an dieser Stelle wird von einer chronisch übermäßigem bzw. pathologischen Mediennutzung gesprochen (d. h. mehrere Stunden am Tag, s. a. van Egmond-Fröhlich et al. 2007; Zemp & Bodenmann 2015). Abgesehen davon, dass der Fernsehkonsum von Kindern und Eltern korrespondiert, berichten bislang vorliegende Studien weitgehend übereinstimmend, dass ein erhöhter Fernsehkonsum mit deutlichen negativen Effekten auf die kognitive, soziale und persönliche Entwicklung einhergeht (Bak 2010).

4 Regelvermittlung

Beim Blick auf elterliche Erziehungsfähigkeit steht die Regel- und Wertevermittlung – insbesondere im Alltagsverständnis von Erziehung – oftmals im Vordergrund (Kindler 2006a).

Damit Eltern ihre Werte und Regeln tatsächlich vermitteln können, ist es notwendig, dass Kinder diese Werte und Regeln verinnerlichen (internalisieren) und sie auch in Abwesenheit der Eltern als wesentlich empfinden. Längsschnittstudien zeigen, dass tragfähige Bindungsbeziehungen – die Eltern müssen als stabile und positive Vertrauenspersonen fungieren – einen solchen Prozess wesentlich unterstützen (Bretherton et al. 1997; Goffin et al. 2018). Weiter ist es wichtig, dass die Bedürfnisse von Kindern nach körperlicher Versorgung und Schutz erfüllt sind. Vorhandene Defizite im Bereich Pflege und Versorgung eines Kindes (d. h. Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Wohn- und Schlafplatz, Hygiene und medizinische Versorgung sowie Schutz vor erkennbaren Gefahren) können sich ungünstig auf die kindliche Bereitschaft zur Annahme von elterlichen Werten und Regeln auswirken (Koenig et al. 2004).

Welche Regeln und Werte Eltern vermitteln, hängt wesentlich vom Alter des Kindes sowie kindlichen Merkmalen ab. Zunächst stehen etwa Regeln für die Sicherheit des (Klein-)Kindes im Vordergrund, erst danach kommen Regeln für ein sozial angemessenes Verhalten hinzu. Welche Regeln wann vermittelt werden, ist unter anderem kulturell bedingt: Zum Beispiel fangen die Eltern mit der Sauberkeitserziehung in vielen Kulturen früher an als in Deutschland, wo Sauberkeitserziehung vor allem im dritten Lebensjahr stattfindet. Auch die hierzulande verbreitete Praxis, Kindern zu vermitteln, sie sollten alleine, möglichst im Kinderzimmer schlafen, wird von vielen Kulturen nicht geteilt, die einem häufigen Körperkontakt zwischen jüngeren Kindern und ihren Eltern einen hohen Wert beimessen (Morelli et al. 1992). Allerdings wird zunehmend auch von deutschsprachigen empirischen Studien die Bedeutung des Körperkontakts für die Gesundheit, Regulation und Entwicklung des Säuglings sowie für die Eltern-Kind-Interaktion betont (Streit et al. 2014).

Für den Prozess der Vermittlung selbst hat sich Beständigkeit in Tagesabläufen, Regeln und Reaktionen auf das Verhalten des Kindes (z. B. Bridgett et al. 2015) sowie eine als induktive Disziplin bezeichnetes elterliches Verhalten, bei dem Regeln erklärt und das Verständnis des Kindes gefördert wird, als positiv erwiesen (Mounts & Allen 2019). Liebesentzug, Ignorieren und harte Strafen, einschließlich Körperstrafen, haben sich dagegen als problematisch erwiesen (Gershoff et al. 2018). Bezüglich körperlicher Bestrafung von Kindern und Jugendlichen lässt sich zwar generell ein Rückgang der Körperstrafe als Disziplinierungsinstrument beobachten (Werner 2018), jedoch ist international bei Ländern, die Gewalt in der öffentlichen Debatte und justiziell nicht ächten (z. B. Frankreich und Spanien) kaum Rückgang von Gewalt beobachtbar (Trunk 2010).

5 Welche Bedeutung hat die Erziehung und Förderung für das Kindeswohl?

Es lassen sich Schädigungseffekte für erzieherische Vernachlässigung belegen. Die Grenzziehung zu „nur“ problematischen, aber noch nicht gefährdenden Erziehungssituationen ist allerdings nicht einfach. Wenn sich jedoch bei betroffenen Kindern bereits Beeinträchtigungen der Befindlichkeit oder Fehlentwicklungen zeigen, kann die Schwelle zu einer mit ziemlicher Sicherheit vorherzusehenden erheblichen Schädigung überschritten sein (Gerber & Kindler 2020). Es bedarf dann einer einzelfallbezogenen Diagnostik, die sowohl Schwere und Prognose von Auffälligkeiten beim Kind als auch die erzieherischen Fähigkeiten der Eltern berücksichtigt (s. a. Vermittlung von Regeln und Förderung [Kap. 27]). Bezüglich der Kombination von Eltern mit Einschränkungen in der Fähigkeit, Regeln zu vermitteln, und einem bereits verhaltensauffälligen Kind ist zudem die Möglichkeit gewalttätig eskalierender Konflikte oder einer negativen Beziehungsdynamik zu bedenken. In der frühen und mittleren Kindheit nehmen eskalierende Konflikte oftmals die Form sogenannter Zwangszirkel an. Zwangszirkel bezeichnen negative Interaktionen (Liel 2018) in Form eines Musters wiederkehrender wechselseitiger Eskalation in Konflikten zwischen Eltern oder anderen Erziehungspersonen und Kindern, sobald die Kinder mit erzieherischen Begrenzungen konfrontiert werden. Dieses Muster zeigt sich im Gegensatz zu gelegentlichen Konflikteskalationen (z. B. bei Wutanfällen in der Trotzphase) besonders häufig, durchgängig und intensiv, wenn Kinder selten und inkonsequent mit Regeln und erzieherischen Begrenzungen konfrontiert werden. Eltern versuchen ihre Regeln teils schwach oder inkonsistent, dann jedoch teils auch mit Gewalt und Drohungen, durchzusetzen, die Kinder lernen jedoch mit der Zeit, dass sie sich durch eine Eskalation (z. B. einen immer heftigeren Wutanfall) den elterlichen Regeln erfolgreich entziehen können. Falls sich solches eskalierendes Konfliktverhalten auch in pädagogischen Einrichtungen (Kindergarten, Schule oder Hort) zeigt, können sich aggressive Auffälligkeiten sowie Lernrückstände weiter verfestigen. Diese negativen Erfahrungen, die Kinder sammeln, häufen sich, die Kinder erleben oftmals auch sozialen Ausschluss. Später suchen sich die Jugendlichen (meist Jungen) dann Peers, die ihnen ähnlich sind und die ähnliche Verhaltenstendenzen zeigen und mit denen sie weiter mit antisozialem Verhalten experimentieren können (Görgen et al. 2013). Diese Entwicklung ist zugleich ein Vorhersagefaktor für spätere aggressive Verhaltensauffälligkeiten und Problemverhalten (Plener und Fegert 2020; Patterson et al. 1992).

Trotz der eingangs beschriebenen Bedeutung elterlicher Förderung für die kognitive Entwicklung und der ausdrücklichen Erwähnung des „geistigen Wohls“ von Kindern im § 1666 Abs. 1 S. 1 BGB wird dieser Aspekt im Kontext von Kindeswohlgefährdung bisher nur randständig behandelt. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich mangelnde Förderung und Anregung nahezu durchgängig in chronischen Prozessen manifestieren. Krisenhafte, lebensbedrohliche Zuspitzungen fehlen. Zudem ist häufig schwer festzustellen, welche Bedeutung Anlage und Umwelt im Einzelfall bei Entwicklungsrückständen und kognitiven Defiziten zukommt (Kindler 2006b).

Einschränkungen der elterlichen Förderfähigkeiten in den ersten Lebensjahren sind mit den Kriterien einer Kindeswohlgefährdung (d. h. vorhersehbar erhebliche Beeinträchtigung der kindlichen Entwicklung) vor allem dann zu greifen, wenn bei Kindern Entwicklungsrückstände und kognitive Defizite in einem Ausmaß bestehen, die von Kindern in der Regel ohne Förderung nicht mehr aufgeholt werden können und die Eltern trotzdem Fördermaßnahmen ablehnen oder durch mangelnde Mitarbeit unwirksam machen. Von stärkeren Eingriffen kann in der Regel aber abgesehen werden, sofern Auflagen zur Inanspruchnahme von Förderung und Unterstützung durch Frühförderung und Jugendhilfe von der Familie angenommen werden.

Fehlende elterliche Förderung während der mittleren Kindheit und im Jugendalter kann sich auch in mangelnder Durchsetzung der Schulpflicht seitens der Eltern manifestieren. Chronische Formen der Schulverweigerung, die in Deutschland zugenommen haben, haben vielfältige Gründe: Teils sind die Eltern durch ihre eigene Einstellung zur Schule (Abwertung der Schule) oder durch ihre psychischen Probleme (insbesondere Angst) an einer angemessenen Förderung des Schulbesuchs gehindert, teils ist die Schulverweigerung einem antisozialen Lebensstil oder einem generellen Zusammenbruch der Eltern-Kind-Autoritätsbeziehung geschuldet (Kearney 2001). Vielfach zählen allerdings auch BullyingFootnote 2 in der Schule oder eine Fehlplatzierung des Kindes im Schulsystem zu den Ursachen der Schulverweigerung. Zu den Folgen anhaltender Verletzung der Schulpflicht und Schulverweigerung gehören ein niedrigerer Schulabschluss, erschwerte berufliche Integration, eingeschränkte Verdienstmöglichkeiten sowie nicht zuletzt geringere soziale Teilhabe und höheres Delinquenzrisiko (Bollweg 2020). Mögliche Langzeitfolgen beziehen sich auf individuelle Lebens- und Berufsbiografien, aber auch die ökonomischen bzw. „volkswirtschaftlichen“ Folgen dürfen nicht unterschätzt werden (Weckel 2017). Zeigt die Diagnostik der Schulverweigerung vor allem in der Familie liegende Gründe, so kommt eine Einstufung als Kindeswohlgefährdung insbesondere dann in Betracht, wenn die Schulverweigerung bereits früh in der Schullaufbahn einsetzt, da jüngere Schulkinder sich regelmäßig selbst noch nicht ausreichend um ihren Schulbesuch kümmern können. Außerdem liegt eine Einstufung als Kindeswohlgefährdung nah, wenn hinter der Schulverweigerung ein die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes übermäßig einschränkender Versuch der Eltern steht, außerfamiliäre Einflüsse vom Kind fernzuhalten. Alternativ kann die Schulverweigerung nur den sichtbarsten Ausdruck eines generellen elterlichen Verlustes von erzieherischem Einfluss auf das Kind oder einer anderen schweren Form von Einschränkung der Erziehungsfähigkeit darstellen.

6 Fazit

Die Erziehungsaufgabe der Eltern gegenüber ihren Kindern besteht zunächst und grundlegend darin, eine aktuell vorhandene und/oder potenziell entstehende Entwicklungsbedrohung des Kindes zu regulieren und ihr entgegenzuwirken. Diese Regulationsfunktion wird so erfüllt, indem die Eltern die Einflüsse beeinträchtigender innerer und äußerer Faktoren verringern oder gar verhindern (Jacob & Zeddies 2020). Im Hinblick auf die Vulnerabilität des Kindes nehmen sie somit eine Schutzfunktion wahr und verhalten sich als begünstigender Umweltfaktor im Mikrosystem des Kindes. Misslingt das Ausüben dieser Schutzfunktion, kommen Kinderschutzinterventionen in Betracht.

Darüber hinaus ermöglichen Eltern ihren Kindern durch ein positives Vorbild sowie durch klare Regeln und verlässliche Absprachen eine Orientierung. Ein eindeutig und zuverlässig Grenzen setzendes Erziehungsverhalten fördert die Übernahme von sozialen Normen sowie die Entwicklung eines angemessenen Sozialverhaltens (Petermann 2017). Dieses Erziehungsverhalten zeichnet sich durch kontinuierliche differenzierte positive und negative Rückmeldungen, die mit dem gezeigten Verhalten des Kindes verknüpft sind. So wird es den Kindern möglich, ihr Verhalten zunehmend eigenständig zu regulieren. Hilfen zur Erziehung und Elternbildung sind aus dem Sozialstaatsprinzip erwachsende freiwillige Maßnahmen, die Eltern darin unterstützen, eine solch förderliche Rolle zu spielen.