FormalPara Zusammenfassung

Der bestehende Fachkräftemangel und der Wettbewerb um Fachkräfte stellen deutsche Krankenhäuser vor die immer größere Herausforderung, qualifiziertes Pflegepersonal zu gewinnen und zu halten. Die Covid-19-Pandemie rückte die Thematik der Arbeitsbedingungen und die Rolle des Gesundheitspersonals in deutschen Krankenhäusern verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Das vierjährige EU-Projekt Magnet4Europe setzt das Magnet-Konzept mit dem Ziel um, das klinische Arbeitsumfeld in über 60 Krankenhäusern in ganz Europa zu verbessern und bewertet die Wirksamkeit der Umsetzung. In Deutschland hat das Projekt in vielen teilnehmenden Krankenhäusern bereits nach kurzer Zeit erste Veränderungen erzielen können. Dieses Kapitel skizziert die Hintergründe für das Interesse an der Umsetzung des Magnet-Konzepts in Deutschland und stellt das Magnet4Europe-Projekt vor.

The ongoing shortage of healthcare professionals and the competition for qualified staff confronts German hospitals with the increasing challenge of recruiting and retaining qualified nursing staff. The Covid-19 pandemic has put the issue of working conditions and the role of healthcare professionals in German hospitals in the public spotlight. The Magnet4Europe project, a four-year EU project, is implementing the Magnet concept with the aim of improving the clinical work environment in more than 60 hospitals across Europe and evaluating the effectiveness of its implementation. In Germany, the project has been able to achieve initial changes in many participating hospitals after a relatively short period of time. This chapter outlines the background for the interest in implementing the Magnet concept in Germany and presents the Magnet4Europe project.

1 Hintergrund

Die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern sind seit Jahren Schwerpunkt der Gesundheitssystemforschung und aktuell kommt diesem Thema eine besonders hohe Aufmerksamkeit zu (Benedix und Medjedovic 2014; Bräutigam et al. 2014; Lasater et al. 2021). Aufgrund einer vermehrt ökonomisch-betriebswirtschaftlichen Ausrichtung von Krankenhäusern mit der Einführung des diagnosebezogenen Gruppierungssystems (DRGs) im Jahr 2003 zeigt sich eine steigende Arbeitsverdichtung für das Gesundheitspersonal in deutschen Krankenhäusern (Braun et al. 2010; Simon 2014). Durch die Covid-19-Pandemie ist die Arbeitsbelastung zusätzlich gestiegen und die Themen Pflegepersonalmangel sowie die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals rücken verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit (Gräske et al. 2021; Kramer et al. 2021; DGIIN 2022).

Studien zeigen, dass Pflegefachpersonen häufiger unter Burnout, Angst- und Schlafstörungen sowie anderen psychischen Erkrankungen leiden als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen Arbeitsbereichen (Bär und Starystach 2018; Kim et al. 2018). Inzwischen ist bekannt, dass die Ursachen der erhöhten Belastung bei Pflegefachpersonen nicht ausschließlich auf die individuelle Belastbarkeit oder unzureichende Bewältigungsstrategien zurückzuführen sind, sondern vielmehr in der Arbeitsumgebung von Krankenhäusern liegen (Aiken et al. 2012).

Bereits vor der Covid-19-Pandemie gaben zahlreiche Pflegefachpersonen in deutschen Krankenhäusern an, den Beruf frühzeitig aufgeben zu wollen bzw. Alternativen zu suchen (Simon et al. 2005; Bruxel 2011; Zander 2017). Obwohl der Großteil der Pflegefachpersonen in Deutschland den Pflegeberuf gerne ausübt, verbleiben diese nur durchschnittlich sieben bis acht Jahre darin (Bruxel 2011). Die Beweggründe für den vorzeitigen Berufsausstieg sind divers. Unter den Gründen finden sich z. B. Unzufriedenheit mit strukturellen Arbeitsplatzbedingungen, geringe Mitentscheidungsmöglichkeiten oder mangelnde Wertschätzung (Blum et al. 2004; Larsen und Lauxen 2015). Zudem erfahren Pflegefachpersonen häufiger ein Missverhältnis zwischen Arbeitsaufwand und erlebter Belohnung (effort versus reward) (Hasselhorn et al. 2004; Gräske et al. 2021).

Mit dem Auftreten der Covid-19-Pandemie wurde die Arbeitsbelastung zusätzlich erhöht. In einer Befragung von Pflegefachpersonen, die zum Zeitpunkt der sogenannten dritten Welle der Pandemie durchgeführt wurde (April 2021), gaben über 70 % des Pflegepersonals von Intensivstationen, Notaufnahmen und Rettungsdienst an, sich überlastet zu fühlen. Etwa 30 % der befragten Pflegenden gaben an, den Beruf in den nächsten zwölf Monaten verlassen zu wollen – 75 % davon aufgrund der pandemiebedingten Belastungen (DGIIN 2022). In einer anderen Umfrage aus dem Jahr 2021, an der 2.689 Pflegende in Deutschland teilnahmen, gaben 38,3 % der Pflegefachpersonen an, dass sie mehrmals im Monat oder häufiger daran denken, den Pflegeberuf zu verlassen (Gräske et al. 2021).

Schlechte Arbeitsbedingungen führen nicht nur zu einer erhöhten Abwanderung vorhandener Pflegefachpersonen in andere Einrichtungen, Berufe oder Länder, sondern auch zu einem Mangel an motiviertem Nachwuchs. Der bestehende Fachkräftemangel und der Wettbewerb um das verbleibende Personal stellen deutsche Krankenhäuser vor die immer größere Herausforderung, qualifiziertes Pflegepersonal zu gewinnen und zu halten (DKI 2019) Krankenhäuser sind darum angehalten, geeignete und nachhaltige Strategien zu finden, mit denen sie die klinische Arbeitsumgebung verbessern können, um von Pflegefachpersonen als attraktiver Arbeitsplatz wahrgenommen zu werden (Kroezen et al. 2015; DKI 2019). Hier setzt das U.S.-amerikanische Magnet-Konzept als eine mögliche Strategie an. In den USA gelten Magnet-Krankenhäuser als Organisationen mit besonders guten Arbeitsbedingungen und Erbringer exzellenter Pflegequalität. Die Prinzipien des Magnet-Konzepts haben zum Ziel, das Arbeitsumfeld im Krankenhaus durch umfassende Organisationsentwicklung und einen damit einhergehenden Kulturwandel zu verbessern, sodass das Personal und die Patientinnen und Patienten davon profitieren (Weeren 2019; ANCC 2021). Den Namen „Magnet“ hat das Konzept von der magnetischen Anziehungskraft, die zertifizierte Krankenhäuser auf Pflegende ausüben.

In Deutschland haben sich 20 Krankenhäuser auf den Weg gemacht, das Magnet-Konzept zu implementieren (Maier et al. 2022). Begleitet durch die Magnet4Europe-Studie sollen einerseits die Wirksamkeit des Magnet-Konzepts in europäischen Krankenhäusern evaluiert und andererseits mögliche Barrieren der Übertragbarkeit eines U.S.-amerikanischen Konzepts auf Europa untersucht werden (Sermeus et al. 2022).

Nachfolgend werden das Magnet-Konzept und die Studie vorgestellt, anschließend wird spezifisch auf die Entwicklungen in Deutschland eingegangen.

2 Das Magnet®-Konzept

Die Magnet®-Intervention ist eine in den Vereinigten Staaten von Amerika und anderen Rechtsbarkeiten eingetragene Marke des ANCC und wird unter Lizenz des ANCC verwendet. Alle Rechte sind ANCC vorbehalten.

2.1 Ursprung und Schlüsselelemente

Der Ursprung des U.S.-amerikanischen Magnet-Konzepts reicht bis in die 1980er Jahre zurück. Damals existierte ein Pflegepersonalmangel in den USA, ähnlich wie in Europa heute (Hayes et al. 2006; Buerhaus 2008). Die Einführung eines fallbezogenen Vergütungssystems im Medicare-Programm der USA verringerte zunehmend die Verweildauer der Patientinnen und Patienten, bei gleichzeitig steigendem Leistungsdruck für Mitarbeitende (Fetter et al. 1991). Aufgrund der sich verschlechternden Arbeitsbedingungen wurde es für Krankenhäuser schwieriger, Pflegepersonal zu finden und vorhandenes zu halten (Kramer und Schmalenberg 1988). Zeitgleich gab es jedoch wenige Krankenhäuser, die eine starke Anziehungskraft auf Pflegepersonen ausübten und Personal langfristig halten konnten. Um herauszufinden, welche Gründe dieses Phänomen hatte, initiierte die American Academy of Nursing (AAN) 1983 eine Studie. Mithilfe dieser Studie wurden Einflussfaktoren ermittelt, die insbesondere hochqualifizierte Pflegefachpersonen anzogen sowie eine langfristige Bindung förderten (McClure et al. 1983). Die Gründe lagen u. a. in guten Arbeitsbedingungen, guter Personalausstattung, einer hohen Mitbestimmung der Pflege und einem aktivierenden Führungsstil (Aytekin Lash und Munroe 2005). Aus der Festlegung und Systematisierung dieser Merkmale entstand schließlich das Magnet-Konzept, das heute folgende fünf Schlüsselelemente umfasst: (1) Empirische Ergebnisse, (2) Transformationale Führung, (3) Strukturelles Empowerment, (4) Exemplarische professionelle Pflegepraxis und (5) Neues Wissen und Innovation (ANCC 2021). Im Rahmen des Magnet-Anerkennungsprogramms des im Jahr 1990 gegründeten American Nurses Credentialing Centers (ANCC) können sich Krankenhäuser seither als Magnet-Krankenhaus zertifizieren lassen (Aytekin Lash und Munroe 2005).

  • Mithilfe von empirischen Ergebnissen wird der kontinuierliche Verbesserungsprozess überprüft und der Vergleich mit anderen Krankenhäusern ermöglicht. Dafür werden pflegesensitive Indikatoren (z. B. Sturz mit Verletzungsfolge, Infektionsrate bei Blasenkathetern), die Mitarbeitendenzufriedenheit beim Pflegepersonal sowie die Patientenzufriedenheit erhoben.

  • Transformationale Führung betrifft das Verhalten pflegerischer Leitungspersonen. Transformationale Führungspersönlichkeiten treiben Innovation voran, sie stimulieren und inspirieren Pflegende, außerordentliche Ergebnisse zu erzielen und zugleich selbst Führungsqualitäten zu entwickeln.

  • Strukturelles Empowerment betrifft Strukturen und Prozesse, die Pflegende dazu befähigen, sich weiterzuentwickeln und selbstständiger zu agieren. Pflegende werden an Entscheidungsfindungen beteiligt und tragen Verantwortung für eigene Pflege-Projekte.

  • Exemplarische professionelle Pflegepraxis wird durch die Entwicklung und Implementierung professioneller Pflegemodelle und einem evidenzbasierten Arbeiten mit und von Pflegefachpersonen erreicht.

  • Neues Wissen und Innovation bezieht sich auf die Etablierung professioneller Pflegeforschung im Krankenhaus sowie auf Entwicklung und Einsatz von innovativen und evidenzbasierten Versorgungsmethoden.

Diese fünf Schlüsselelemente stehen im Kontext globaler Themen in Pflege und Gesundheitsversorgung. Pflegepersonen engagieren sich über den Klinikalltag hinaus an innovativen Modellen zur Versorgung der Bevölkerung in der Region (ANCC 2021).

Um den Magnet-Status zu erhalten, müssen Krankenhäuser einen intensiven Prozess eines weit gefassten Organisationswandels und eine Organisationsentwicklung durchlaufen, die u. a. eine breite Beteiligung der Mitarbeitenden ermöglichen und erfordern. Nach der Bewerbung des Krankenhauses wird der Status quo mit einer Gap-Analyse erfasst, in der der aktuelle Stand schriftlich dokumentiert und anhand von 77 Kategorien mit dem Sollzustand eines Magnet-Krankenhauses verglichen wird. Mit der anschließenden Erstellung eines Berichts für ANCC werden qualitative und quantitative Nachweise über die Mitarbeitendenqualifikation und -zufriedenheit sowie die Patientenversorgung und -ergebnisse schriftlich dokumentiert. Bei positiver Bewertung durch den ANCC findet eine Vor-Ort-Begehung (site visit) statt, gefolgt von einer weiteren Bewertung des Beurteilungsberichts und einer abschließenden Beurteilung, ob das Krankenhaus den Magnet-Status erreicht hat. Die Anerkennung als Magnet-Krankenhaus wird für vier Jahre gewährt. Die Kosten der Magnet-Anerkennung belaufen sich auf eine Antragsgebühr von $ 6.000 und eine Begutachtungsgebühr nach lizensierter Bettenzahl zwischen $ 61.000 und $ 121.000 (ANA 2017).

2.2 Weltweit zertifizierte Einrichtungen

Das erste Magnet-Krankenhaus der Welt war das University of Washington Medical Center in Seattle, Washington, im Jahr 1994. Ein Jahr später folgten das Hackensack Meridian – Hackensack University Medical Center, New Jersey, und das Emory Saint Joseph’s Hospital in Atlanta, Georgia. Aktuell gibt es weltweit 601 Magnet-Krankenhäuser (Stand: Dezember 2022). Die überwiegende Mehrheit befindet sich in den USA. Außerhalb der USA gibt es derzeit 15 Krankenhäuser in elf Ländern (Australien (2 ×), Belgien, Brasilien, China, England, Japan, Jordanien, Kanada, Libanon, Saudi-Arabien (3 ×), Taiwan, Vereinigte Arabische Emirate). Die beiden europäischen Magnet-Krankenhäuser sind das Universitätsklinikum Antwerpen in Belgien und das Nottingham University Hospitals NHS Trust – City Hospital in England (ANA 2022).

2.3 Evidenzlage zu Magnet

2.3.1 Evidenz zu Arbeitsbedingungen und Wohlbefinden von Mitarbeitenden

Ergebnisse aus mehreren U.S.-amerikanischen Studien deuten darauf hin, dass sich die Arbeitsbedingungen sowie die Zufriedenheit und das Wohlbefinden von Pflegefachpersonen in Krankenhäusern verbessern, nachdem das Magnet-Konzept umgesetzt worden ist, jedoch ist dies nicht bei allen Studien und bei allen Ergebnissen konsistent der Fall. Zudem stammen nahezu alle Studien aus den USA. Derzeit gibt es wenig Forschung in anderen Ländern.

In einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 wurden statistisch signifikante Verbesserungen hinsichtlich der Zufriedenheit am Arbeitsplatz und der Fluktuation von Krankenhauspersonal in Magnet-Krankenhäusern im Vergleich zu Nicht-Magnet-Krankenhäusern identifiziert (Petit Dit Dariel und Regnaux 2015).

Bei einer weiteren systematischen Analyse der internationalen Literatur durch eine spanische Studiengruppe zu der Thematik Magnet-Krankenhaus konnten 21 auswertbare Studien identifiziert werden. Die Ergebnisse dieser Analyse zeigten, dass Magnet-Krankenhäuser verglichen mit Nicht-Magnet-Krankenhäusern eine bessere Dienstbesetzung mit Fachpersonal, eine höhere Arbeitszufriedenheit der Pflegenden und eine geringere Fluktuation aufwiesen (Márquez-Hernández et al. 2020).

Bezüglich des Akademisierungsgrades von Pflegefachpersonen zeigen sich ebenfalls positive Ergebnisse in Magnet-Krankenhäusern: Eine Umfrage aus vier U.S.-Staaten von 26.276 Pflegefachpersonen aus 567 Akutkrankenhäusern ergab, dass Magnet-Krankenhäuser bessere Arbeitsumgebungen bieten und einen höheren Anteil akademisierter Pflegefachpersonen aufweisen, die Pflegepersonen zufriedener sind und weniger Burnout-Erkrankungen haben (Kelly et al. 2012). Spätere Untersuchungen zeigten ebenfalls einen höheren Anteil an Pflegefachpersonen mit Bachelor-Abschluss (McHugh et al. 2013) sowie eine höhere Zufriedenheit, geringere Burnout-Raten und weniger Fluktuation beim Pflegepersonal in Magnet-Krankenhäusern (Kutney-Lee et al. 2015).

2.3.2 Evidenz zur Qualität der Versorgung und der Patientenzufriedenheit

Studien untersuchten die Wirksamkeit des Magnet-Konzepts hinsichtlich bestimmter Versorgungsergebnisse und der Patientenzufriedenheit. Die überwiegende Mehrheit dieser Untersuchungen zeigt, dass sich der Magnet-Status eines Krankenhauses positiv auf die Qualität der Versorgung sowie auf die Zufriedenheit von Patientinnen und Patienten auswirkt.

In einer systematischen Übersichtsarbeit wurden bei drei von sieben Studien statistisch signifikante Verbesserungen hinsichtlich der Patientenergebnisse gefunden: weniger Dekubitus-Fälle, weniger erfolgslose Wiederbelebungsversuche und geringere Mortalität in Magnet-Krankenhäusern im Vergleich zu Nicht-Magnet-Krankenhäusern (Petit Dit Dariel und Regnaux 2015).

Eine weitere systematische Analyse zeigte eine positive Wirkung des Magnet-Status auf die Versorgungsergebnisse. Im Vergleich zu Nicht-Magnet-Krankenhäusern wurden in Magnet-Krankenhäusern 5 % weniger Stürze, 21 % weniger Dekubitus-Fälle und eine um 14 % geringere Sterblichkeit festgestellt. In einer der einbezogenen Studien zeigte sich außerdem, dass in Magnet-Krankenhäusern im Vergleich zu Nicht-Magnet-Krankenhäusern deutlich weniger Blutvergiftungen bei Patientinnen und Patienten mit zentralvenösen Zugängen auftraten (Márquez-Hernández et al. 2020).

Dass Magnet-Krankenhäuser mit einer geringeren Sterblichkeit verbunden sind, zeigt eine systematische Überprüfung aus dem Jahr 2022. Zehn der eingeschlossenen Studien ergaben, dass die Sterblichkeitsraten in Magnet-Krankenhäusern niedriger waren, wohingegen es in drei Studien keinen Unterschied bei den Sterblichkeitsraten in Magnet-Krankenhäusern und Nicht-Magnet-Krankenhäusern gab (Bilgin und Ozmen 2022).

Statistisch signifikant höhere Werte in der Patientenzufriedenheit zeigte eine Datenanalyse von Sekundärdaten aus drei verschiedenen Datenbanken (ANCC, American Hospital Association und Hospital Consumer Assessment of Healthcare Providers and Systems) in Magnet-Krankenhäusern (Witkoski Stimpfel et al. 2016). 2018 wurden diese Ergebnisse mit einer weiteren Studie von McCaughey et al. bestätigt. Die Ergebnisse zeigen, dass Patientinnen und Patienten, die in einem Magnet-Krankenhaus behandelt wurden, zufriedener waren und eher das Krankenhaus weiterempfehlen würden (McCaughey et al. 2018).

2.3.3 Ökonomische Ergebnisse für Krankenhäuser

Nur wenige Studien haben sich bislang der Frage des finanziellen Effekts des Magnet-Status für Krankenhäuser gewidmet. Jedoch wurde 2010 ein Business Case für die Magnet-Implementierung entwickelt (Drenkard 2010). Die Kosteneinsparungen wurden auf bis zu $ 2.323.350 geschätzt, minus direkte Kosten, die mit der Erlangung des Magnet-Status verbunden sind (zwischen $ 46.000 und $ 251.000). Die Berechnungen zeigen die Spanne der Kosteneinsparungen, die ein 500-Betten-Krankenhaus mit der Umsetzung des Magnet-Konzepts erzielen könnte. Die Kalkulation kann bspw. als Grundlage zur Bewertung von Vorleistungen und benötigten Ressourcen verwendet werden (Drenkard 2010).

Mit einer Kombination von Daten aus der jährlichen Umfrage der American Hospital Association, den Berichten des Hospital Cost Reporting Information System (Centers for Medicare & Medicaid Services) und Daten vom ANCC über Krankenhäuser mit Magnet-Status von 1998 bis 2006 untersuchten Jayawardhana et al. (2014) den Zusammenhang zwischen der Erlangung des Magnet-Status und den stationären Kosten und Gewinnen. Regressionsanalysen ergaben einen positiven und signifikanten Zusammenhang des Magnet-Status mit den stationären Kosten und Nettoeinnahmen. Krankenhäuser mit Magnet-Status wiesen einen durchschnittlichen Anstieg der stationären Kosten um 2,46 % und der stationären Nettoeinnahmen um 3,89 % auf. Die Forschenden schlussfolgerten, dass die Erlangung des Magnet-Status für Krankenhäuser einerseits kostspielig ist, jedoch werden diese Kosten andererseits durch höhere stationäre Nettoeinnahmen ausgeglichen. Laut der Kalkulation erhöhen sich die stationären Einnahmen der Krankenhäuser bereinigt im Durchschnitt um $ 104,22 bis $ 127,05 pro Entlassung, nachdem sie Magnet geworden sind. Das entspricht zusätzlichen Einnahmen von $ 1.229.770 bis $ 1.263.926 pro Jahr (Jayawardhana et al. 2014).

3 EU-Projekt Magnet4Europe

Im Januar 2020 startete das vierjährige internationale Projekt Magnet4Europe. Ziel des Projekts ist es, das Arbeitsumfeld in mehr als 60 Krankenhäusern in sechs europäischen Ländern zu verbessern. Magnet4Europe wird wissenschaftlich evaluiert mittels einer Randomisiert-Kontrollierten-Studie (RCT) sowie qualitativer Begleitevaluation. Geprüft wird dabei die Übertragbarkeit des U.S.-amerikanischen Magnet-Konzepts auf Europa. Durch von Stakeholdern mitgestaltete Anpassungen soll das Magnet-Modell für den europäischen Kontext modifiziert werden. Im Folgendem wird das Magnet4Europe Projekt im Allgemeinem sowie spezifisch für Deutschland beschrieben (MAGNET4EUROPE 2022).

3.1 Allgemeines zum Projekt

Magnet4Europe wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union unter der Fördervereinbarung Nr. 848031 gefördert. Das Ziel des Projekts ist es, durch einen organisatorischen Wandel in europäischen Krankenhäusern die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von pflegerischem und ärztlichem Personal zu verbessern. An diesem Projekt nehmen insgesamt über 60 Krankenhäuser in den Ländern Belgien, Deutschland, England, Irland, Norwegen und Schweden teil (Sermeus et al. 2022).

Magnet4Europe verwendet ein Methoden-Mix-Design, um die direkte und indirekte Wirkung der Magnet-Implementierung auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden des Gesundheitspersonals zu ermitteln sowie Effekte auf Patientinnen und Patienten zu untersuchen. Es handelt sich um ein Cluster-randomisiertes kontrolliertes Studiendesign (RCT) mit Wartelistenkontrollen, d. h. für die Studie wurden die Krankenhäuser in zwei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe der Krankenhäuser startete im Oktober 2020 mit der Intervention, die zweite Gruppe folgte im Mai 2021. Die Intervention von Magnet4Europe beinhaltet die Umsetzung des Magnet-Konzepts in den Krankenhäusern mithilfe der folgenden fünf Interventionskomponenten:

  1. 1.

    Kostenfreier Zugang zu den Inhalten von Magnet®: Magnet-Manual, Gap-Analyse

  2. 2.

    Partnerschaft (Twinning) der europäischen Krankenhäuser mit jeweils einem Magnet-zertifizierten U.S.-Krankenhaus

  3. 3.

    Internationale Lerngruppen aller beteiligten Krankenhäuser aus den USA und Europa, den Forschungsteams und weiteren Stakeholdern

  4. 4.

    Schaffung einer kritischen Masse an teilnehmenden Krankenhäusern und nationale Vernetzung

  5. 5.

    Bereitstellung der Ergebnisse der jährlich stattfindenden Mitarbeitenden-Befragung

Die Datenerhebungen umfassen Befragungen des pflegerischen und ärztlichen Personals, Interviews und Fokusgruppen sowie die Analyse von Patientenentlassdaten und weiteren krankenhausspezifischen Daten. Im Laufe des Projekts haben jährliche Mitarbeitenden-Befragungen zur Zufriedenheit sowie zum Wohlbefinden stattgefunden, um Unterschiede zwischen den beiden Gruppen sowie Veränderungen im Zeitverlauf messen zu können; dies wird weiterhin fortgesetzt. Zudem werden auch Gruppen- und Einzelinterviews geführt, um den Implementierungsprozess und damit verbundene Herausforderungen und förderliche Aspekte zu identifizieren.

Die Gesamtprojektleitung von Magnet4Europe liegt bei Prof. Walter Sermeus (KU Leuven, Belgien) und Prof. Linda Aiken (University of Pennsylvania, USA). Deutscher Projektpartner im Magnet4Europe Projekt ist das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen der TU Berlin (Sermeus et al. 2022).

3.2 Magnet4Europe in Deutschland

Das Magnet-Konzept wird bereits seit längerem in Fachkreisen als eine Strategie für Krankenhäuser in Deutschland diskutiert. Am Magnet4Europe-Projekt nehmen 20 deutsche Krankenhäuser teil. Zusätzlich zur EU-finanzierten Magnet4Europe-Studie wird für Deutschland das Projekt „Begleitforschung für Deutschland“ von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert. Mithilfe der Begleitforschung konnten u. a. die Teilnahme an der Magnet4Europe-Studie für alle interessierten deutschen Krankenhäuser ermöglicht sowie eine Reihe von weiteren Aktivitäten angestoßen werden.

Größe und Merkmale der 20 teilnehmenden Krankenhäuser variieren; was sie eint, ist jedoch die Motivation, das Arbeitsumfeld für die Pflege zu verbessern. Es gibt kleinere Häuser mit ca. 100 Betten bis hin zu großen Kliniken mit über 2.000 Betten. Neun der 20 Krankenhäuser sind Universitätsklinika. Geographisch verteilen sich die teilnehmenden Kliniken über ganz Deutschland, wie der Fig. 7.1 entnommen werden kann.

Abb. 7.1
figure 1

Standorte von an Magnet4Europe teilnehmenden Krankenhäusern

Seit dem Start im Januar 2020 bis 2022 haben die deutschen Krankenhäuser bereits zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Zunächst stellte jede Klinik mit einer Gap-Analyse den Ist-Zustand fest, um den aktuellen Stand in Bezug auf die Situation der Pflege und deren Arbeitsumfeld einzuschätzen. Daraufhin wurde ein Maßnahmenplan erstellt. In diesem Prozess nahmen die Twinning-Krankenhäuser in den USA eine wichtige Rolle ein, die aufgrund ihres zum Teil jahrelangen Magnet-Status über viel Erfahrung verfügen. Zunächst fand der Austausch zwischen den Partnern rein virtuell statt, meist wöchentlich oder zweiwöchentlich. Mit dem Wegfall einiger Reisebeschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie haben im Jahr 2022 bereits mehrere Krankenhäuser entweder den Twinning-Partner in Deutschland empfangen oder diesen in den USA besucht. Erste Erfahrungsberichte über gegenseitige Besuche der Partner-Kliniken zeigen eine große inspirierende und motivierende Wirkung in beide Richtungen, d. h. auch die erfahrenen U.S.-Kliniken profitieren von ihren deutschen Partnern.

Ein weiteres wichtiges Element für Magnet4Europe in Deutschland sind die regelmäßig stattfindenden nationalen Netzwerkmeetings, organisiert von der TU Berlin. Auch diese Meetings finden zumeist virtuell statt. Das erste Netzwerkmeeting in Präsenz fand im Oktober 2022 in Berlin auf dem deutschen Pflegetag statt. In den Netzwerkmeetings werden spezifische Herausforderungen und Lösungsansätze für die Magnet-Umsetzung im deutschen Kontext diskutiert.

Insbesondere durch die Vernetzung der Kliniken hat das Magnet4Europe Projekt bereits jetzt eine Reihe von Veränderungen in Deutschland bewirkt. Erste Meilensteine wurden z. B. in Bezug auf Pflegeführung, Empowerment, Akademisierung sowie Datenerhebung für ein nationales Benchmark gesetzt.

4 Fazit

Das Magnet4Europe Projekt zielt darauf ab, die Übertragbarkeit, Implementierung, Skalierung und Wirksamkeit des Magnet-Konzepts im europäischen Kontext zu bewerten (Sermeus et al. 2022). Trotz des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie zum Start des Magnet4Europe-Projekts haben sich die deutschen wie auch die weiteren europäischen Kliniken mit viel Energie, Motivation und Tatkraft auf den Weg gemacht, das Magnet-Konzept zu implementieren, um die Arbeitsbedingungen und damit die psychische Gesundheit des Gesundheitspersonals zu verbessern. Die Einbettung einer solchen komplexen Intervention im Krankenhaus benötigt Zeit und Auswirkungen können möglicherweise erst nach mehreren Jahren erkennbar werden. Jedoch zeigen sich in Deutschland bereits nach drei Jahren des Magnet4Europe-Projekts eine Reihe von Veränderungen. Insbesondere in einer Zeit, die geprägt ist von Pflegepersonalmangel und hoher Arbeitsbelastung, haben die teilnehmenden Kliniken gezeigt, dass sie die Situation des pflegerischen und ärztlichen Personals aktiv verbessern möchten. Erste Erfolge zeigen sich in der Etablierung der transformationalen Führung sowie im Empowerment und in der Akademisierung der Pflege. Die Benchmark-Initiative einzelner deutscher Kliniken zeigt eine Wirkung über die Grenzen von Magnet4Europe hinaus und stößt sogar auf internationales Interesse (kma-online 2022). Inwieweit die Implementierung von Magnet zu messbaren Verbesserungen der psychischen Gesundheit von Gesundheitspersonal sowie zu verbesserten Patientenergebnissen führt, wird die wissenschaftliche Evaluation von Magnet4Europe zeigen. Dennoch kann gesagt werden, dass das Magnet-Konzept eine Chance für Deutschland bietet, um aktuellen Herausforderungen in der Krankenhauslandschaft zu begegnen. Jedoch darf nicht versäumt werden, wichtige Stakeholder und politische Entscheidungsträger mit ins Boot zu holen, um bestehende Barrieren im gesamtgesellschaftlichen Kontext überwinden zu können, damit Krankenhäuser sowie andere Gesundheitsinstitutionen über die Grenzen des Magnet4Europe-Projekts hinaus von den positiven Effekten profitieren können.