FormalPara Zusammenfassung

Deutschland verfügt im internationalen Vergleich über eine hohe Anzahl an Ärztinnen/Ärzten und Pflegefachpersonen, wie man Berichten und Ergebnissen aus Datenbanken der EU, der OECD und der WHO entnehmen kann. Werden die Zahlen auf Krankenhausebene betrachtet, bewegt sich Deutschland im Mittelfeld. Unter Hinzunahme von stationären Fallzahlen rangiert Deutschland im unteren Bereich. Befragungsdaten von Pflegefachpersonen aus zwölf Ländern vor über zehn Jahren haben bereits gezeigt, dass Pflegende in skandinavischen Ländern, den Niederlanden und der Schweiz deutlich weniger Patientinnen und Patienten versorgen müssen als Pflegende in Deutschland. Dieselbe Studie (RN4CAST) hat auch die Bewertung der Arbeitsumgebung erhoben und die Ergebnisse sind ebenfalls in den zuvor genannten Ländern besser. Doch nicht nur die Arbeitsumgebung unterscheidet sich international, sondern auch die Aufgabenteilung in Krankenhäusern, laut Ergebnissen der MUNROS-Studie.

In an international comparison, Germany has a high number of physicians and nurses, as can be seen in reports and results from databases of the EU, OECD and WHO. Looking at the figures at the hospital level, Germany is in the average range. If inpatient cases are included, Germany ranks in the lower range. Survey data of nurses from twelve countries more than ten years ago have already shown that nurses in Scandinavian countries, the Netherlands and Switzerland have to care for significantly fewer patients than nurses in Germany. The same study (RN4CAST) also surveyed the assessment of the work environment, and the results are also better in the previously mentioned countries. However, not only the working environment differs internationally, but also the division of tasks in hospitals, according to the results of the MUNROS study.

1 Einleitung

Deutschland verfügt im internationalen Vergleich über eine hohe Anzahl an Ärztinnen/Ärzten und Pflegefachpersonen. So nahm Deutschland im Jahr 2018 im Report „Health at a Glance: Europe 2020“ Rang zwei bzgl. der Zahl der Pflegefachpersonen je 1.000 Einwohner ein, nur Finnland verfügte über mehr Pflegepersonal; das ärztliche Personal lag auf Rang 4 (OECD/European Union 2020). Im Bericht „Health and care workforce in Europe: time to act“ der WHO Europe (2022) wird die Anzahl des Gesundheitspersonals im Vergleich von 53 Ländern dargestellt. Auch hier erreicht Deutschland gute Platzierungen – mit Rang 5 beim Pflegepersonal und Rang 9 bei Ärztinnen und Ärzten liegen die Werte bedeutend über den Durchschnittswerten. Diese im Vergleich guten Zahlen stehen im Widerspruch zu der Situation in den Kliniken, die von Überlastungen beim ärztlichen und beim Pflegepersonal gezeichnet ist (z. B. Ärzteblatt 2022a). Um diesem Widerspruch zu begegnen, wird nachfolgend anhand spezifischer Daten für den Krankenhaussektor aufgezeigt, was Ursache für die Situation in den Krankenhäusern sein könnte.

Genaue Zahlen über das Gesundheitspersonal sind für die Personalplanung im Gesundheitswesen unerlässlich, da sie eine Informationsgrundlage für gesundheitspolitische Entscheidungstragende und damit für die Entscheidungsfindung bieten. Länderübergreifende Vergleiche bilden zudem die Grundlage für ein internationales Benchmarking. Dies ermöglicht z. B. voneinander zu lernen und in den Austausch von Beispielen guter Praxis zu gehen. Die von den Ländern zur Verfügung gestellten Daten weisen jedoch Grenzen auf, da die Definitionen für bestimmte Indikatoren sich z. B. für Fachkräfte im Gesundheitswesen unterscheiden können; u. U. ändern sich Verfahren zur Zählweise bestimmter Indikatoren im Zeitverlauf, was eine Längsschnittbetrachtung erschwert, oder einige Indikatoren werden in einigen Ländern nicht erhoben. Trotz dieser Limitationen sind Datenbanken wie von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der Europäischen Union (EU) essenziell für ein Monitoring. Die Datenbasis in diesem Kapitel stützt sich auf die EU-Länder sowie die Schweiz, Norwegen und Island, da die Vergleichbarkeit der Daten sowie die Verfügbarkeit für entsprechende Jahre für diese Länder größtenteils gegeben ist. Anhand dieser Datenbasis wird dargelegt, wie sich die Rangfolge von Deutschland im internationalen Vergleich in Abhängigkeit der verwendeten Indikatoren ändert. Zusätzlich werden Ergebnisse aus Befragungsdaten hinzugezogen, da bestimmte Fragestellungen nicht durch die Inhalte von Datenbanken abgedeckt werden können.

2 Internationale Datenbanken, Datenverfügbarkeit und Vergleichbarkeit

Informationen über Gesundheitspersonalzahlen bieten verschiedene Datenbanken, darunter Eurostat, die OECD, die WHO und die Weltbank (Table 2.1). Für eine Vergleichbarkeit der Daten zwischen verschiedenen Ländern ist eine einheitliche Erfassung erforderlich. Für eine Harmonisierung der Daten begannen Eurostat, die OECD und die WHO im Jahr 2010, einen gemeinsamen Fragebogen zur Erhebung von Daten über Beschäftigte im Gesundheitswesen sowie zu physischen/technischen Ressourcen, Maßnahmen im Gesundheitswesen (seit 2013) (z. B. Belegungstage und Entlasstage) und Migration von Gesundheitspersonal (seit 2015) zu verwenden. Ziel war es, „international vergleichbare Daten zu sammeln, um Schlüsselaspekte und Trends in der Entwicklung des Gesundheitspersonals […] zu überwachen“, die Belastung der nationalen Behörden durch die Datenerhebung zu verringern und die Datenkonsistenz zu verbessern (Lafortune 2016). Obwohl ein gemeinsamer Fragebogen vorliegt, werden die Vorgaben für die Erfassung der Indikatoren nicht von allen Ländern gleichermaßen erfüllt; so gibt es bspw. Länder, in denen Ärztinnen und Ärzte nur dann in den Statistiken abgebildet sind, wenn sie im Krankenhaus arbeiten oder angestellt sind, beim Pflegepersonal sind teilweise Hebammen inkludiert (z. B. Spanien und Irland), da diese nicht in jedem Land eine eigene Berufsgruppe darstellen. Falls von der vorgegebenen Definition abgewichen wird, liegt diese Information je Land und Indikator für jede Datenbank vor. Dies ist für die Interpretation der Daten von Bedeutung, da so bspw. mögliche große Abweichungen erklärt werden können. Für die Interpretation der Daten ist des Weiteren relevant, ob die Zahlen das Gesundheitspersonal abdecken, das entweder (1) in der klinischen Praxis tätig ist (practicing), (2) Personen in Bereichen außerhalb der Patientenversorgung einschließt (professionally active), z. B. Lehre, Wissenschaft, Management, oder auch (3) Personen außerhalb der Praxis berücksichtigt (licensed to practice), z. B. im Ausland lebende oder Rentnerinnen und Rentner.

Tab. 2.1 Überblick zu internationalen Datenbanken mit Informationen zu Gesundheitspersonal (Stand 12/2022)

Die Wahl der Datenbank richtet sich nach den Ländern und Indikatoren, die in die jeweiligen Analysen eingeschlossen werden sollen. Eurostat stellt Daten der EU, Großbritannien, von Beitrittskandidaten sowie von Nicht-EU-Schengen-Staaten bereit. Die OECD bietet Daten zu den 38 Mitgliedsländern sowie zu einigen Nicht-Mitgliedsländern (Stand 2022). Die WHO hat zwei Datenbanken mit Informationen zu Gesundheitspersonal – (1) Global Health Observatory (GHO), die Länder weltweit abdeckt, und Health For All (HFA DB), die von der WHO Europa bereitgestellt wird und 53 Länder umfasst. Die GHO enthält als einzige Datenbank Informationen zu Personal im Bereich psychische Gesundheit. Die Datenbank der Weltbank deckt die größte Anzahl an Ländern ab. Zum Themengebiet Gesundheitssystem werden zwölf Indikatoren gelistet, dazu drei zum Gesundheitspersonal – Ärztinnen/Ärzte, Pflegepersonal (inkl. u. a. Hebammen und Pflegehelferinnen und -helfer) und spezialisiertes Personal für den Bereich Chirurgie (inkl. Anästhesie, Geburtshilfe). Die Vergleichbarkeit der Daten zwischen den Ländern ist aufgrund der unterschiedlichen Definitionen und Ausbildungen des medizinischen Personals begrenzt (The World Bank 2022).

3 Verfügbarkeit von Ärztinnen/Ärzten und Pflegepersonal im internationalen Vergleich

Ein gebräuchlicher Indikator für die Verfügbarkeit von Ärztinnen/Ärzten und Pflegefachpersonen ist die Anzahl in Personen (statt Vollzeitäquivalenten) pro 1.000 oder 100.000 Einwohner. Fig. 2.1 zeigt dies für das Jahr 2019 pro 1.000 Einwohner, inklusive der Einordnung in Abhängigkeit vom EU-Durchschnitt (ungewichtet). Die Verfügbarkeit von Ärztinnen/Ärzten und Pflegefachpersonen (inkl. ausgebildeter Pflegehelferinnen und -helfer, exkl. Servicekräfte) über alle Sektoren, d. h. in der ambulanten und stationären Versorgung sowie Langzeitpflege und Rehabilitation, ist innerhalb der 30 betrachteten Länder sehr unterschiedlich. Deutschland rangiert auf Platz fünf mit 4,39 Ärztinnen/Ärzten pro 1.000 Einwohner und befindet sich damit über dem EU-Durchschnitt von 3,9. Die meisten Ärztinnen/Ärzte pro Einwohner befinden sich in Österreich (5,31), Norwegen (4,97) und Litauen (4,57); Portugal und Griechenland weisen höhere Werte auf, was durch die inkludierten approbierten (statt nur praktizierenden) Personen begründet ist. Polen (2,37), Luxemburg (2,98) und Belgien (3,16) verfügen über die geringste Anzahl an Ärztinnen/Ärzten pro 1.000 Einwohner.

Abb. 2.1
figure 1

Praktizierendes ärztliches und pflegerisches Personal pro 1.000 Einwohner 2019 Hinweise: Der EU-Durchschnitt ist nicht gewichtet; Pflegepersonal ohne direkten Patientenkontakt inkludiert: Irland, Frankreich, Portugal, Slowakei; Pflegepersonal in Griechenland schließt nur Pflegepersonal im Krankenhaus ein, dadurch hohe Unterschätzung; Pflegepersonal ohne ambulante Versorgung: Schweiz; Ärztinnen/Ärzte ohne direkten Patientenkontakt inkludiert: Slowakei; alle approbierten Ärztinnen/Ärzte inkludiert: Griechenland, Portugal; Daten aus 2018: Luxemburg (Pflegepersonal), Slowakei (Pflegepersonal), Finnland (Ärztinnen); Daten aus 2017: Polen (Ärztinnen/Ärzte). (Datenquelle: Eurostat-Datenbank, Health personnel (excluding nursing and caring professionals), Nursing and caring professionals; Abbildung in Anlehnung an State of Health in the EU, Deutschland Länderprofil Gesundheit 2021)

Auf dem sechsten Rang befindet sich Deutschland (11,79) beim Pflegepersonal und liegt auch hier deutlich über dem EU-Durchschnitt (8,4 pro 1.000 Einwohner). Auffallend sind die hohen Werte der Nicht-EU-Länder Schweiz (17,95), Norwegen (17,88) und Island (15,36), wobei die Zahlen für die Schweiz geringfügig unterschätzt sind, da der ambulante Bereich nicht in der Statistik enthalten ist. Über weniger als die Hälfte des Pflegepersonals als in Deutschland verfügen Bulgarien (4,38), Lettland (4,39) und Polen (5,10), die auf den letzten Plätzen rangieren.

Es sind keine Daten verfügbar, wie sich das Personal auf die verschiedenen Sektoren aufteilt (ambulant, stationär, Langzeitpflege, Rehabilitation). Für den Krankenhaussektor kann jedoch auf detaillierte Zahlen zugriffen werden, wenn auch nur auf unvollständiger Datenbasis; für das Jahr 2019 konnten 17 Länder berücksichtigt werden, davon 14 aus der EU (Fig. 2.2). Des Weiteren werden im Folgenden Vollzeitäquivalente (VZÄ) verwendet, da diese Angaben einen genaueren Vergleich ermöglichen, denn der Unterschied zwischen Personen und VZÄ schwankt bspw. zwischen Rumänien (99,7 %) und Ungarn (94,8 %) einerseits sowie Island (72,5 %) und Deutschland (73,8 %) andererseits stark (eigene Berechnungen basierend auf Eurostat-Daten).

Abb. 2.2
figure 2

Krankenhauspersonal gesamt, Vollzeitäquivalente, pro 100.000 Einwohner 2019. Hinweis: Der Mittelwert (ungewichtet, eigene Berechnung) schließt alle in der Abbildung inkludierten EU-Länder ein. (Datenquelle: Eurostat-Datenbank, Hospital Employment)

Im Mittel (bezogen auf die inkludierten 14 EU-Länder) arbeiteten im Jahr 2019 in Krankenhäusern 1.347 VZÄ pro 100.000 Einwohner. Deutschland nimmt mit 1.262 VZÄ in diesem Ländervergleich Rang 11 von 17 ein und befindet sich damit unter dem Mittelwert. Die Schweiz (1.993) und Norwegen (1.906) verfügen über das meiste Krankenhauspersonal (+58 bzw. +51 % im Vergleich zu Deutschland); die Slowakei (793), Rumänien (967) und Estland (994) bewegen sich auf den hinteren Rängen. Wie die Berufsgruppen anteilig im Krankenhaus in jedem Land vertreten sind, kann keiner internationalen Datenbank entnommen werden, da Informationen zu bspw. Therapieberufen, Psychologinnen/Psychologen, Apothekerinnen/Apothekern, Personal in den Bereichen Technischer Dienst und Verwaltung nicht verfügbar sind.

Für die beiden größten Berufsgruppen ärztliches und pflegerisches Personal liegen detaillierte Kennzahlen vor (Fig. 2.3). Im Mittel (bezogen auf 14 EU-Länder) gibt es auf 1.000 Einwohner 2,06 Ärztinnen/Ärzte (VZÄ) und 4,50 Pflegefachpersonen (inkl. Hebammen; VZÄ) in Krankenhäusern. Die Anzahl der Ärztinnen/Ärzte (2,12; Rang 8 von 17) und des Pflegefachpersonals (4,74; Rang 10 von 17) erreicht für Deutschland Werte leicht über dem Durchschnitt. Dänemark (3,02), die Schweiz (2,72) und Norwegen (2,66) sind die Spitzenreiter beim ärztlichen Personal; Norwegen (8,11) und Dänemark (6,35) ebenfalls beim pflegerischen Personal, gefolgt von Österreich (5,86). In Norwegen gibt es auf eine Ärztin/einen Arzt mehr als 3 Pflegefachpersonen (3,1), während sich das Verhältnis in den meisten anderen Ländern um 2,2 Pflegende je Ärztin/Arzt bewegt (gilt auch für Deutschland). Im Vergleich zu den Mittelwerten sind in Rumänien, Ungarn, den Niederlanden, Estland und der Slowakei die Personalquoten über beide Berufsgruppen hinweg am geringsten. Belgien und Litauen bilden die beiden Extreme beim ärztlichen Personal (0,7 bzw. 3,5 Ärztinnen/Ärzte je 1.000 Einwohner), was ursächlich in beiden Ländern an der Zählweise liegt, denn in Belgien sind nur festangestellte Ärztinnen/Ärzte in der Statistik für das Krankenhauspersonal aufgenommen, jedoch sind die meisten von ihnen selbstständig in Krankenhäusern tätig, was eine hohe Unterschätzung mit sich bringt; in Litauen arbeiten Ärztinnen/Ärzte oftmals mehr als das, was einer Vollzeitstelle entspricht, sodass eine Ärztin/ein Arzt nicht mit dem Wert von 1,0 gewertet wird, sondern mit 1,25 oder 1,5 (Gerkens und Merkur 2020; Eurostat 2021).

Abb. 2.3
figure 3

Ärztliches und Pflegerisches (inkl. Hebammen) Personal in Krankenhäusern, Vollzeitäquivalente, je 1.000 Einwohner 2019. Hinweise: Durchschnitt (ungewichtet, eigene Berechnung) schließt alle in der Abbildung inkludierten EU-Länder ein; nur festangestellte Ärztinnen/Ärzte: Belgien; graue Linien stellen das Verhältnis von Ärztinnen/Ärzten zu Pflegepersonal dar. (Datenquelle: Eurostat-Datenbank – Health personnel in hospitals)

Um ein umfassenderes Bild über das verfügbare Personal in Krankenhäusern zu erhalten, wurden in einem weiteren Schritt die Fälle, d. h. der Indikator Krankenhausentlassungen (discharges), hinzugenommen und ins Verhältnis zum ärztlichen und pflegerischen Personal gesetzt (Fig. 2.4). Dafür konnten 16 Länder (13 aus der EU) eingeschlossen werden. Der Mittelwert (bezogen auf 13 EU-Länder) liegt bei 11,7 Ärztinnen/Ärzten und 26,8 Pflegefachpersonen je 1.000 Fälle. Deutschland erreicht in diesem Vergleich Rang 14 von 16 und somit den drittletzten Platz, vor Ungarn und Rumänien. Deutlich mehr Personal gibt es für Patientinnen und Patienten in Norwegen (2,7 mal mehr Pflegende als in Deutschland) und Dänemark (2,5 mal mehr Ärztinnen/Ärzten als in Deutschland). Im Vergleich zur Fig. 2.3 sind die Niederlande nun deutlich über dem Mittelwert angesiedelt, was bedeutet, dass die Verfügbarkeit des Personals zunächst unterdurchschnittlich erscheint, aber in Relation zu den Fallzahlen angemessen ist.

Abb. 2.4
figure 4

Ärztliches und pflegerisches Personal inkl. Hebammen, Vollzeitäquivalente, pro 1.000 Fälle 2019. Hinweis: Der Mittelwert (ungewichtet) schließt alle in der Abbildung inkludierten EU-Länder ein. (Datenquelle: Eurostat-Datenbank; Datensatz „Krankenhausentlassungen nach Diagnose, stationäre Patienten, je 100.000 Einwohner“ und „Krankenhauspersonal“)

Das Ergebnis von Deutschland ist ein (aber nicht der einzige) Erklärungsversuch, warum die Belastung in den Krankenhäusern so hoch ist: Das Personal muss im Vergleich zu anderen Ländern viel mehr Patientinnen und Patienten versorgen bzw. es gibt zu wenig Personal für die hohe Anzahl an Fällen in Deutschland. Das sind jedoch keine neuen Erkenntnisse; sie wurden bereits mit OECD-Daten aus dem Jahr 2013 dargestellt, mit ähnlichen Ergebnissen für Deutschland (Zander et al. 2017). Auch die internationale RN4CAST-Studie hat Ergebnisse zur Personalbesetzung bei Pflegefachpersonen ermittelt (s. Sect. 2.5). Inwieweit die Covid-19-Pandemie die Personal- und Patientenzahlen beeinflusst hat, ist wahrscheinlich demnächst absehbar, wenn für 2021 die Angaben vollständig verfügbar sind.

4 Vergütung im internationalen Vergleich

In der Diskussion um zu wenig ärztliches und pflegerisches Personal in deutschen Krankenhäusern wird u. a. darüber debattiert, ob eine höhere Entlohnung einen Anreiz schaffen würde, mehr Personal zu gewinnen. Fig. 2.5 gibt einen Überblick zur Vergütung von angestellten Ärztinnen/Ärzten (auch außerhalb von Krankenhäusern) und Pflegefachpersonen in Krankenhäusern in 24 Ländern (21 EU-Länder) im Vergleich zum durchschnittlichen Lohn der Bevölkerung des jeweiligen Landes.

Abb. 2.5
figure 5

Vergütung von Ärztinnen/Ärzten (Angestellte Fachärztinnen/-ärzte) und Pflegefachpersonen (in Krankenhäusern) im Vergleich zum Durchschnittslohn (entspricht Wert 1) im Land 2020. Hinweise: Abweichung von der Definition beim Pflegepersonal (Unter- und Überschätzung der Werte möglich): Belgien, Dänemark, Finnland, Niederlande, Portugal, Schweiz, Ungarn; Werte für Lettland Litauen, Deutschland (Pflegepersonal) aus 2018, Werte für Frankreich aus 2019. (Datenquelle: OECD – Datenbank, Remuneration of specialists bzw. nurses (Salaried, income per average wage))

Die Daten sollten nur als Annäherung betrachtet werden, da häufig geschätzte Werte übermittelt werden sowie Werte, die von der Definition abweichen. Angestellte Ärztinnen/Ärzte verdienen in den meisten Ländern das 2,1- bis 2,9-Fache im Vergleich zum Durchschnittseinkommen, in vier Ländern liegt der Wert um das 3,0- bis 3,5-Fache, so auch in Deutschland (3,4), in vier weiteren Ländern zwischen 1,4 und 1,8 (Polen, Lettland, Litauen, Norwegen). Für das Pflegepersonal liegen die Werte im Bereich des Durchschnittseinkommens (Deutschland 1,1), mit leicht unterdurchschnittlichem Einkommen in der Schweiz, Lettland und Litauen (0,9). In Belgien lag die Vergütung von Pflegefachpersonen im Jahr 2020 um 60 % über dem Durchschnittseinkommen. 2020 wurde von der belgischen Regierung ein Reformpaket zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegenden gestartet (mit einem Volumen von 1 Mrd. €), was u. a. eine Lohnerhöhung vorsah (mehr zu den Reformen siehe Fallbeispiel 8, WHO Europe 2022). In Deutschland ist der Ruf nach höheren Löhnen in der Pflege nicht am lautesten, vielmehr ist es der nach mehr Pflegepersonal, um eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. So wurde 2022 nach elf Wochen Streik ein Tarifvertrag „Entlastung“ mit den Universitätsklinika in Nordrhein-Westfalen verabschiedet, der u. a. die Personalbesetzung festlegt, sowie Entlastungstage bei Unterschreiten der Besetzung (Bibliomed 2022). An der Charité in Berlin haben nach 15 Jahren Ärztinnen und Ärzte ebenfalls gestreikt, für bessere Arbeitsbedingungen und für mehr Gehalt, mit einer Einigung zu beiden Forderungen (Ärzteblatt 2022b).

5 Arbeitsumgebung und Tätigkeiten in Krankenhäusern im internationalen Vergleich

5.1 RN4CAST-Studie

Für die Themen Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit gibt es keine Indikatoren in internationalen Datenbanken, sodass für solche Fragestellungen auf Befragungsdaten zurückgegriffen werden muss. Die bisher größte Befragung unter Pflegefachpersonen war die RN4CAST-Studie (2009–2011), die in 488 Akutkrankenhäusern in zwölf Ländern Europas über 33.659 Pflegende (Deutschland: 49 Krankenhäuser, 1.508 Pflegefachpersonen) u. a. zu ihrer Arbeitssituation, -umgebung und -zufriedenheit befragt hat. Die Studie hat ermittelt, dass Pflegefachpersonen in Deutschland mehr Patientinnen und Patienten versorgen müssen (9,9 Patienten in einer Tagschicht) als bspw. Pflegende in Norwegen (3,7), den Niederlanden (4,8), der Schweiz (5,3), Schweden (5,4), Finnland (5,5), Irland (5,6) Belgien (7,6) und England (7,8) (Aiken et al. 2013). Setzt man diese Personalzahlen ins Verhältnis zu der subjektiven Einschätzung, ob ausreichend Pflegepersonal für eine gute Pflege vorhanden sei, so ist unter Hinzunahme der Ergebnisse aus allen zwölf Ländern eine starke Korrelation (r > 0,7) vorhanden (Fig. 2.6). Die Fig. 2.62.11 stellen jeweils zwei Ergebnisse der RN4CAST-Studie ins Verhältnis (z. B. Burnout und Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation [Fig. 2.7]; fehlende Vorbereitung einer Entlassung und geringe Zusammenarbeit zwischen ärztlichem und pflegerischem Personal [Fig. 2.9]), mit Korrelationen zwischen 0,727 und 0,913, was auf einen hohen Zusammenhang hindeutet, jedoch keine Kausalität darstellt (eigene Berechnung auf Grundlage von Aiken et al. 2012; Aiken et al. 2013; Heinen et al. 2013). Auffallend sind die kontinuierlich besseren Ergebnisse für die skandinavischen Länder, die Niederlande und die Schweiz, die auch in der Personalbesetzung über die besseren Werte verfügen (Aiken et al. 2013).

Abb. 2.6
figure 6

Patienten/Pflegekraft-Verhältnis (Tagschicht); Stimme nicht zu: Die Besetzung mit Pflegefachkräften ist ausreichend, um eine gute Pflege zu gewährleisten (Y-Achse)

Abb. 2.7
figure 7

Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation; Burnout

Abb. 2.8
figure 8

Stimme nicht zu: Enge Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften und Ärztinnen/Ärzten (X-Achse); Patientinnen/Patienten: Definitive Weiterempfehlung des Krankenhauses (Y-Achse)

Abb. 2.9
figure 9

Stimme nicht zu: Enge Zusammenarbeit zwischen Pflegekräften und Ärztinnen/Ärzten (X-Achse); Nicht durchgeführte Tätigkeit: Patienten für die Entlassung vorbereiten (Y-Achse)

Abb. 2.10
figure 10

Beschwerden von Patienten oder Angehörigen (X-Achse); Keine Empfehlung des Krankenhauses als Arbeitsplatz für Pflegekräfte (Y-Achse)

Abb. 2.11
figure 11

Schlechte oder mittelmäßige Arbeitsumgebung; Anteil der Pflegekräfte, die die Sicherheit in ihrem Krankenhaus als „mangelhaft“ oder „ungenügend“ bewerten (Y-Achse)

5.2 MUNROS-Studie

Das Tätigkeitsprofil von Ärztinnen/Ärzten und Pflegefachpersonen ist ebenfalls nicht Bestandteil von Datenbanken, jedoch relevant, wenn es um die Personalplanung, Aufgabenteilung und -übernahme geht. Hier gibt es international große Unterschiede, auch weil u. a. die Akademisierungsquote des Pflegepersonals in Deutschland gering ist (Bergjan et al. 2021). Die internationale Studie MUNROS hat bei Ärztinnen/Ärzten und Pflegefachpersonen in neun Ländern Europas nach der Durchführung von konkreten Tätigkeiten bei Patientinnen und Patienten mit Herzinfarkt und Brustkrebs gefragt. In Ländern mit Reformen zwischen 2010 und 2015 bzgl. einer Ausweitung von offiziellen Rollen (England, Niederlande, Schottland vs. Länder ohne Reformen: Deutschland, Italien, Norwegen, Polen, Tschechien, Türkei) berichteten Pflegefachpersonen und speziell Advanced Practice Nurses (APN), häufiger bestimmte Aufgaben im Bereich der Versorgung bei Brustkrebs durchzuführen. Von insgesamt 36 Aufgaben betraf dies zwölf Tätigkeiten, z. B. die Verschreibung von Medikamenten, körperliche Untersuchen und Veranlassung von Untersuchungen bzgl. Rezidiven, Anpassung von Chemotherapie, Informieren der Patientinnen zu Testergebnissen sowie zu klinischen und nicht-klinischen Folgen der Behandlung. Für Patienten mit Herzinfarkt waren ebenfalls Unterschiede bei 17 von 29 Tätigkeiten im Bereich der Verschreibung von Medikamenten sowie der Nachsorge vorhanden, jedoch nicht bzgl. Diagnosestellung und Therapie. Ein weiteres Ergebnis ist, dass die meisten Aufgaben von beiden Berufsgruppen durchgeführt wurden (Maier et al. 2018).

6 Fazit

Im internationalen Vergleich gibt es in Deutschland eine hohe Anzahl an Ärztinnen/Ärzten und Pflegefachpersonen bezogen auf den Anteil in der Bevölkerung. Deutschland weist zugleich jedoch auch eine hohe Anzahl an stationären Patientinnen und Patienten auf, und dafür ist das verfügbare Krankenhauspersonal knapp bemessen. Dass eine geringe Personalbesetzung sich auch auf die Versorgungssituation auswirkt, legen systematische Übersichtsarbeiten dar, die den Zusammenhang zwischen Anzahl der Patientinnen und Patienten und verfügbaren Pflegfachperson (patient-to-nurse ratio) geprüft haben. Die Ergebnisse zeigen einen positiven Effekt, d. h. weniger Patienten je Pflegefachperson führen zu besseren Ergebnissen bei Patienten wie bspw. geringerer Mortalität, kürzeren Verweildauern, weniger unerwünschten Ereignissen wie z. B. Dekubiti, Stürze, Pneumonien, Harnwegsinfekte (Kane et al. 2007; Shekelle 2013; Griffiths et al. 2014). Eine Studie in Australien hat sich den Effekt der Einführung von gesetzlich vorgeschriebenen Patienten-zu-Pflegekraft-Verhältnissen angeschaut. Es wurde zum einen festgestellt, dass weniger Patienten pro Pflegefachpersonen die Ergebnisse für Mortalität, Verweildauer und Wiederaufnahmen verringern, zum anderen wurde anhand von Schätzungen dargelegt, dass die Kosten einer höheren Verweildauer und mehr Wiederaufnahmen doppelt so hoch sind wie die Kosten von mehr Personal (McHugh et al. 2021). Solche Studien gibt es für Deutschland bisher nicht, dennoch besteht die Annahme, dass die Effekte von mehr Pflegepersonal auf die Patientenergebnisse ähnlich positiv wären.

Gesundheitspersonalzahlen aus internationalen Datenbanken haben einen hohen Mehrwert, um einen Überblick zu erhalten und die Situation im eigenen Land bewerten zu können. Die Datenbasis hat jedoch auch ihre Limitationen, zum einen, weil trotz Versuchen der Harmonisierung noch Unterschiede in den Erhebungsmethoden zwischen den Ländern bestehen, was einen Vergleich erschwert, zum anderen sind die Daten nicht differenziert genug, um z. B. Aussagen zur Versorgungssituation im internationalen Vergleich in spezifischen Bereichen des Krankenhaussektors zu ermöglichen, wie bspw. in Notaufnahmen, Pädiatrien und Intensivstationen. Ob in absehbarer Zeit durch die angestrebte Ambulantisierung eine Entlastung für den stationären Bereich geschaffen werden wird, werden zukünftige Studien ermitteln. Darüber hinaus sollte jedes Krankenhaus bestrebt sein, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um das vorhandene Personal auch zukünftig halten zu können (siehe den Beitrag zu Magnetkrankenhäusern, Chap. 7 in diesem Band).