FormalPara Zusammenfassung

Zur Bewältigung des Fachkräfteengpasses in Krankenhäusern werden in Politik und Öffentlichkeit zahlreiche Lösungsstrategien diskutiert. Strategien zur Reallokation der knappen Personalressourcen, bei der neben Maßnahmen zur Personalrekrutierung vor allem auf eine humanressourcenschonende, bedarfsgerechte und Redundanzen vermeidende Versorgung gesetzt werden, kommen dabei jedoch zu kurz. In diesem Beitrag werden zentrale Vorhaben des aktuellen Koalitionsvertrags mit ihrer potenziellen Wirkung auf die Reallokation von Personalressourcen beleuchtet. Im Kern geht es um die Reform der Notfallversorgung verbunden mit einer Reduktion und Zentralisierung von Notfallstandorten, eine sektorenübergreifende bedarfs-, leistungs- und qualitätsorientierte Bedarfsplanung, die Einführung einer pauschalen, sektorengleichen Vergütung für bestimmte Leistungen sowie die Etablierung regionaler Versorgungszentren als niederschwellige Alternative zu Krankenhäusern im herkömmlichen Sinne. Im Ergebnis zeigt sich, dass ein Strukturwandel der Versorgungslandschaft eine erhebliche Verbesserung der Personalallokation im deutschen Gesundheitswesen bewirken kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Strukturwandel sogar unter Berücksichtigung der bereits initiierten Maßnahmen Fachkräfteengpässe im Gesundheitswesen auflösen kann.

In order to tackle the shortage of skilled personnel in hospitals, numerous strategies are being discussed in politics and in the public. However, strategies for the reallocation of the scarce human resources which, in addition to measures for personnel recruitment, focus above all on care that preserves human resources, meets demand and avoids redundancies, are given too little attention. This article examines central projects of the current coalition in Germany and their potential impact on the reallocation of human resources. In essence, the author elaborates on the reform of emergency care combined with a reduction and centralisation of emergency locations, cross-sectoral demand, performance and quality-oriented demand planning, the introduction of a new reimbursement system for day surgeries as well as the establishment of community health centres as an alternative to conventional hospitals. The result shows that a structural change in the health care landscape can bring about a considerable improvement in the allocation of personnel in the German health care system. Taking into account the measures already initiated, it is not unlikely that a structural change can even resolve the shortage of skilled workers in the health sector.

1 Ausgangslage

Trotz der im internationalen Vergleich überdurchschnittlichen Ärztedichte und Versorgungsdichte mit Pflegenden in Krankenhäusern im Verhältnis zur Einwohnerzahl bestehen in vielen Gesundheits- und Pflegeberufen erhebliche Engpasslagen. So stehen für offene Stellen beispielsweise bei Berufen in der Fachkrankenpflege, zu denen auch Fachkrankenpflegerinnen und -pfleger für Intensivpflege und Anästhesie zählen, aktuell nicht genügend entsprechend qualifizierte Arbeitssuchende für eine zeitnahe Besetzung zur Verfügung (Blum et al. 2017; Bundesagentur für Arbeit 2022). Handlungsbedarf zur Verbesserung der Personalsituation besteht nicht nur in stationären Pflegeeinrichtungen, sondern auch in Krankenhäusern.

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat gezeigt, dass eine hohe Bettendichte und Investitionen in zusätzliche Intensivbetten und Beatmungsplätze den zusätzlichen Versorgungsbedarf in einer Ausnahmesituation nicht decken können, solange nicht auch ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal zur Verfügung steht. Ein resilientes Gesundheitssystem bedarf einer nachhaltigen Allokation von qualifiziertem und vorbereitetem Personal, das die Reaktionsfähigkeit und Flexibilität der Versorgung in Krisenzeiten gewährleistet. Angesichts des demographischen Wandels bedeutet eine nachhaltige Allokation aber auch einen schonenden Einsatz der im Gesundheitswesen besonders wertvollen Ressource „Personal“. „Ein ressourcenschonendes Gesundheitswesen“ könnte künftig zu einem neuen Narrativ werden. Ressourcenschonend meint in diesem Kontext, dass vor allem die vorhandenen Personalressourcen so genutzt werden, dass sie eine bedarfsgerechte Versorgung für die Bevölkerung ermöglichen und gleichzeitig eine Überlastung des Personals vermeiden. Bezogen auf die stationäre Versorgung heißt dies vor allem, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, nicht notwendige stationäre Aufenthalte zu vermeiden und mithin über bedarfsnotwendige Strukturen hinausgehende Kapazitäten abzubauen.

Dabei muss außerdem berücksichtigt werden, dass das Arbeitskräftepotenzial, d. h. die Anzahl aller Erwerbspersonen einschließlich einer geschätzten stillen Reserve, die aufgrund fachlicher und persönlicher Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt für eine entsprechende Beschäftigung zur Verfügung stehen, in der Gesundheits- und Pflegeversorgung begrenzt sowie regional ungleich verteilt ist. Angehörige von Heilberufen sind von disruptiven Ereignissen, welche die Gesundheitsversorgung vor besondere Herausforderungen stellen, auch persönlich besonders betroffen. So sind sie beispielsweise in einer Pandemie durch den engen Kontakt mit Infizierten einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt, was den Personalmangel in einer Krise noch verstärken kann (Fischer-Fels 2020).

Die im folgenden präsentierten Lösungsansätze zur Verbesserung der Personalallokation durch Strukturwandel basieren auf dem im Januar 2023 veröffentlichten Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen „Resilienz im Gesundheitswesen – Wege zur Bewältigung künftiger Krisen“ und werden hier ergänzt bzw. weiter ausgeführt. Dabei liegt der Fokus im Wesentlichen auf dem Pflegepersonal. Viele der skizzierten Mechanismen werden jedoch auch auf ärztliches Personal oder andere Berufsgruppen wirken.

2 Differenzierung zwischen strukturell bedingtem und krisenbedingtem Fachkräfteengpass

Strukturell bedingter Fachkräfteengpass

Es ist derzeit nicht nur ein Fachkräfteengpass zu beobachten, sondern vor allem ein Versorgungsengpass, der in den aktuell vorherrschenden Versorgungsstrukturen des deutschen Gesundheitssystems begründet liegt, die durch das vorhandene Personal nicht bedarfsgerecht bedient werden können. So verteilt sich das vorhandene Personal aufgrund der Beharrungstendenzen stationärer Versorgungskapazitäten beispielsweise auf eine hohe Zahl an Betten, die wiederum auf zu viele nicht bedarfsnotwendige Krankenhäuser bzw. Fachabteilungen verteilt sind (Cacace 2020; Schreyögg 2020).

Auch die Systematik der Krankenhausfinanzierung führt teilweise zu ungünstigen Anreizwirkungen. So erhöht das Fallpauschalensystem den finanziellen Druck auf Krankenhäuser und führt zu Einsparmaßnahmen, die sich über viele Jahre vornehmlich in deren Personalplanung widergespiegelt haben (Winter et al. 2020). Das DRG-System differenziert beispielsweise nicht nach Versorgungsstufen, sodass alle Krankenhäuser unabhängig von ihren je nach Versorgungsstufe und Größe unterschiedlich ausfallenden Kosten pro Fall mit denselben Fallpauschalen vergütet werden.

Der Kostendruck auf die Krankenhäuser erhöht sich weiter durch eine unzureichende Investitionsfördersumme nach § 9 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) durch die Bundesländer. Mindestens bis zum Jahr 2019 waren die Investitionsfördersummen rückläufig (DKG 2021).Footnote 1 Um Überschüsse aus der Betriebskostenfinanzierung durch die Krankenkassen zur Kompensation der Förderlücke zu erwirtschaften, wurde daher in vielen Krankenhäusern eine erlösorientierte Personalsteuerung eingesetzt, die tendenziell zu einer Reduzierung des Pflegepersonals führte, anstatt die Personalplanung am tatsächlichen Personalbedarf auszurichten (Hermann und Mussa 2020). Um dieser Anreizwirkung entgegenzusteuern, wurden Pflegeuntergrenzen eingeführt und die Pflegepersonalkosten mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) zum Jahr 2020 aus den Fallpauschalen des DRG-Systems ausgegliedert.

Die historisch und strukturell bedingte hohe Patientenzahl pro Pflegeperson (Pflegeverhältniszahl) verringert letztlich die Arbeitsplatzattraktivität, wodurch die Personalengpässe noch weiter verstärkt werden können. Sie erhöht den Zeitdruck für das Personal und trägt zu erschwerten Arbeitsbedingungen (wie ungünstigen Arbeitszeiten und einer mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf), Fehlzeiten und Mitarbeiterfluktuation bei. Der Anreiz zur Aus- und Weiterbildung bzw. Betätigung in diesem Arbeitsfeld ist daher gering (Ahlers et al. 2020; Bonin 2019).

Eine hohe Pflegeverhältniszahl gefährdet jedoch nicht nur die Arbeitsplatzattraktivität, sondern sowohl die Patientenzufriedenheit als auch die Patientensicherheit und Versorgungsqualität, da eine Vielzahl an unerwünschten pflegesensitiven Ergebnisindikatoren (PSEI) wie Lungenentzündungen, Atemstillstand und Dekubitus mit sinkender Pflegeverhältniszahl signifikant häufiger auftreten (Blume et al. 2021). Der Zusammenhang zwischen der Pflegepersonalausstattung und den PSEIs variiert allerdings stark je nach Fachabteilung und PSEI. Für die Fachabteilungen Kardiologie, Hämatologie und Pneumologie zeigen sich in einer Studie von Dietermann et al. (2021) signifikante Zusammenhänge für vier untersuchte PSEIs. Für die Abteilungen Innere Medizin, Allgemeine Chirurgie, Unfallchirurgie, Neurochirurgie, Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, Dermatologie und Zahnmedizin wurden signifikante Ergebnisse für jeweils zwei PSEIs gefunden. Aktuell kann die genaue Zahl des in deutschen Krankenhäusern tätigen Personals aufgrund der unterschiedlichen Systematisierung der verschiedenen Datenquellen und der daraus resultierenden abweichenden Ergebnisse nicht exakt bestimmt werden (Schreyögg und Milstein 2016). Auch die Entwicklung des Fachkräfteengpasses kann demnach nicht exakt prognostiziert werden, weil diese in starkem Maße von möglichen Strukturreformen von Bund und Ländern der nächsten Jahre determiniert wird. Zudem ist bezüglich der Personalausstattung eine hohe Variation in Abhängigkeit von Standort, Größe und Trägerschaft der Krankenhäuser zu beobachten (Winter et al. 2020).

Krisenbedingter Fachkräfteengpass

Die ohnehin fragile Personalausstattung der Krankenhäuser in Deutschland führt in einer Krise wie der SARS-CoV-2-Pandemie dazu, dass die Patientinnen und Patienten und damit auch das gesellschaftliche Leben insgesamt potenziell gefährdet werden: So bestand die zentrale Begründung für die mehrfach beschlossenen Lockdowns – die u. a. mit privaten Kontaktbeschränkungen, Geschäftsschließungen, Schulschließungen und Veranstaltungsverboten mit dem Ziel, soziale Kontakte zu reduzieren bzw. Infektionsketten zu unterbrechen, einhergingen – darin, eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dabei standen insbesondere Personalengpässe auf Intensivstationen, aber auch auf Normalstationen im Fokus, die sich durch die Krise zuspitzten.

Die Pandemie hat die Arbeitsbedingungen der Pflegenden auf Intensivstationen, aber auch Normalstationen in kurzer Zeit drastisch verschärft und deren Arbeitsbelastung erhöht (Janssens et al. 2021). Hinzu kam die private Belastung durch die veränderten Lebensbedingungen und das persönliche Erkrankungsrisiko. Studien zeigen, dass bei diesen Gruppen das Stresslevel, Symptome von Angst- sowie von posttraumatischen Belastungsstörungen zunahmen. Dies kann insbesondere damit erklärt werden, dass die Pflegekräfte unzureichend mit Schutzausrüstung ausgestattet waren, sich um die eigene Gesundheit sowie um die von Familienangehörigen sorgten, direkten Kontakt mit beatmeten oder sterbenden Covid-19-Erkrankten hatten, Hilflosigkeit, Überforderung und Kontrollverlust erlebten sowie mit Quarantänemaßnahmen konfrontiert waren (u. a. Morawa et al. 2021). Die Erfahrungen der Pflegekräfte mit der Pandemie haben das Potenzial, die Fluktuation zu verstärken und Fachkräfteengpässe zu intensivieren.

Bislang existieren jedoch keine Studien, die im Längsschnitt aufzeigen, dass bedingt durch die Pandemie die Rekrutierung von Fachpersonal erschwert wurde oder eine Abwanderung von Fachpersonen aus der Pflege zu verzeichnen ist. Vielmehr ist die Anzahl der Beschäftigten in der Pflege insgesamt auch während der Pandemie tendenziell gestiegen – möglicherweise aufgrund der Rückkehr von Pflegenden in den Beruf: So gab es im Jahr 2021 gemäß Angaben der Bundesagentur für Arbeit 60.000 erwerbstätige Pflegepersonen mehr als im Vorjahr; die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Pflegeberufen erhöhte sich um 44.000. Der Fachpersonenengpass in der Pflege bleibt letztlich bestehen, zumal vor allem Pflegefachpersonen gesucht werden, während im Jahr 2021 circa 80 % der Arbeitslosen Pflegehelferinnen und -helfer waren; dieser Anteil war in den letzten Jahren ähnlich hoch (Bundesagentur für Arbeit 2022; SVR 2023)

Insbesondere besteht ein Engpass an Fachkrankenpflegepersonen für Intensivpflege und Anästhesie, sodass schon vor der Pandemie die vorhandenen Intensivbetten teilweise gesperrt werden mussten. Zeitweise konnten u. a. aufgrund von Personalengpässen auch während der Pandemie nicht alle dafür geeigneten Intensivbetten in Krankenhäusern, deren Aufstockung zwischenzeitlich sogar noch subventioniert wurde, zur Behandlung von Covid-19-Erkrankten genutzt werden. Auch machte sich verstärkt bemerkbar, was es bedeutet, dass das vorhandene Personal auf zu viele, darunter teilweise für die Versorgung nicht erforderliche oder nicht geeignete Krankenhäuser verteilt ist: Krankenhäusern, die materiell (z. B. mit Beatmungsgeräten) auf die Versorgung der (personalintensiven) Covid-19-Erkrankten vorbereitet wären, fehlen die notwendigen Intensivpflegerinnen und -pfleger dazu – während diese von Krankenhäusern beschäftigt werden, die wiederum materiell nicht für die Behandlung von Covid-19-Erkrankten ausgestattet sind (Schreyögg und Milstein 2020). Disruptive Ereignisse wie die SARS-CoV-2-Pandemie bergen das Potenzial, einen existierenden strukturell bedingten Fachkräfteengpass durch krisenbedingte Engpässe zu verstärken. Dies kann erhebliche volkswirtschaftliche Implikationen haben, wie in der SARS-CoV-2-Pandemie zu erkennen war. Daher erscheint es dringend geboten, außerhalb von akuten Krisenzeiten Fachkräfteengpässe zu reduzieren oder idealerweise zu beseitigen.

3 Reduktion des strukturell bedingten Fachkräfteengpasses durch Strukturwandel

In Politik und Öffentlichkeit werden zahlreiche Lösungsstrategien diskutiert bzw. implementiert, um den Engpass an Fachkräften zu bewältigen, etwa Zuwanderung von Pflegefachpersonen aus anderen Ländern, eine grundsätzliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen und -zufriedenheit oder auch die Akademisierung der Pflegeberufe, um diese attraktiver zu machen, die Generalisierung der Pflegeausbildung, Programme zu Qualitätssicherung und -management sowie eine Entbürokratisierung der Pflegedokumentation, aber auch Telematik-Lösungen und der Einsatz von Robotik. Solche Lösungsstrategien gehen meistens von den aktuellen Versorgungskapazitäten und dem hierbei zu stillenden Personalbedarf aus, werden jedoch nicht ausreichen, um genügend Personal zur Deckung dieses Bedarfs zu rekrutieren. Zwar darf auf die Umsetzung vieler dieser Strategien nicht verzichtet werden (siehe hierzu im Detail das SVR-Gutachten 2023). Von der Gesundheitspolitik dringend, wenn nicht sogar prioritär, verfolgt werden sollte jedoch eine Reallokation der knappen Personalressourcen, bei der neben Maßnahmen zur Personalrekrutierung vor allem auf eine humanressourcenschonende, bedarfsgerechte und Redundanzen vermeidende Versorgung gesetzt werden sollte.

In den nächsten Jahren muss und wird der Transformationsprozess in der Krankenhaus- und Gesundheitsversorgung insgesamt vorangetrieben werden, insbesondere auch, um den Fachkräfteengpass im Krankenhaussektor zu reduzieren. Dabei weisen einige Reformvorhaben, die auch im Koalitionsvertrag genannt sind, in dieser Hinsicht ein besonders hohes Potenzial auf und sollen deshalb im Folgenden beleuchtet werden. Im Kern geht es um die Reform der Notfallversorgung verbunden mit einer Reduktion und Zentralisierung von Notfallstandorten, eine sektorenübergreifende bedarfs-, leistungs- und qualitätsorientierte Bedarfsplanung, die Einführung einer pauschalen, sektorengleichen Vergütung für bestimmte Leistungen (SVR 2018) sowie die Etablierung regionaler Versorgungszentren als niederschwellige Alternative zu Krankenhäusern im herkömmlichen Sinne (SVR 2023). Bei all diesen Reformvorhaben kann nicht nur der Krankenhaussektor losgelöst in den Blick genommen werden. Es muss immer die gesamte Versorgung – darunter vertragsärztliche Versorgung, Rettungsdienst, ambulante sowie stationäre Pflege – einbezogen werden, denn in der Integration der Sektoren liegt der Schlüssel für erfolgreiche Reformen.

3.1 Reform der Notfallversorgung und Zentralisierung

In den letzten Jahren wurde durch verschiedene Analysen herausgearbeitet, dass die Notfallversorgung in Deutschland von zahlreichen Defiziten gekennzeichnet ist. Auf der einen Seite bestehen strukturelle Probleme, infolge derer die zur bedarfsgerechten Versorgung benötigten Mittel nicht zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite fehlt es an Information und Steuerung, wodurch auch die bestehenden Strukturen nicht bedarfsgerecht genutzt werden (Messerle et al. 2021).

Eine Reform der Notfallversorgung hat der SVR Gesundheit bereits in seinem im Jahr 2018 veröffentlichten Gutachten empfohlen (SVR 2018). Leitbild des Konzepts ist es, dass den Patientinnen und Patienten zukünftig sektorenübergreifend koordinierte, klar abgestufte Versorgungspfade zur Verfügung stehen. Hilfesuchenden soll durch die Versorgung „aus einer Hand“ und die zentrale Beratung und Anleitung eine bedarfsgerechte und dabei effiziente Behandlung gewährleistet werden. Unter Rückgriff auf leitliniengestützte Notfallalgorithmen soll eine objektive Einschätzung der Dringlichkeit, die individuelle Auswahl des besten Versorgungspfads und eine (digitale) Begleitung des weiteren Behandlungsablaufs erfolgen. Um dies zu erreichen, sollen die ambulanten und stationären Strukturen eng verzahnt sowie neue Versorgungsangebote eingebunden werden. Der Rettungsdienst wird über die reine Transportleistung hinaus als präklinische Notfallmedizin in das Versorgungssystem integriert (Messerle et al. 2021). Zudem existieren derzeit wesentlich zu viele Krankenhausstandorte mit Notaufnahmen. Die Notfallversorgung sollte künftig nur noch in Integrierten Notfallzentren (INZ) verschiedener Abstufungen an weniger Standorten erfolgen. Das heißt, es existieren nur noch INZ und darüber hinaus keine Notfallambulanzen mehr (SVR 2018). Die Reform sollte mit der Schaffung von regionalen Gesundheitszentren einhergehen, sodass ein niederschwelliges Betreuungsangebot insbesondere für ältere Menschen geschaffen wird, das oftmals bedarfsgerechter ist als eine konventionelle Notfallversorgung (Gruhl 2022).

Eine Reform der Notfallversorgung im oben genannten Sinne hätte verschiedene Implikationen für die Reallokation von Personalressourcen.

Erstens würde eine Neuordnung der Notfallversorgung dazu beitragen, dass die Patientinnen und Patienten bereits durch die Leitstelle gesteuert werden. Das heißt, die Leitstelle entsendet nicht nur Rettungsmittel, sondern die Patientinnen und Patienten erhalten über die Leitstelle Termine in Hausarztpraxen oder INZ, der fahrende ärztliche Bereitschaftsdienst wird entsandt oder die Beratung der Leitstelle führt dazu, dass eine Inanspruchnahme von Leistungen nicht mehr notwendig ist. Im Falle einer Entsendung der Rettungsdienste würde durch die Reform der ökonomische Anreiz zu Transporten in Krankenhäuser entfallen. In der Folge würden erheblich weniger Patientinnen und Patienten in den INZ als walk-ins oder mit Transportmitteln ungeplant eintreffen. Diese Situation kann in Dänemark beobachtet werden, wo in Notaufnahmen nur noch wenige Menschen ungeplant eintreffen.

Diese veränderte Steuerung in die bedarfsgerechten Versorgungsangebote würde zunächst einmal das Personal in den INZ erheblich entlasten. Es würden potenziell deutlich weniger Menschen ankommen, die am zentralen Tresen eine Ersteinschätzung erhalten müssen. Dies legen auch Befragungen der Wartenden in Notaufnahmen nahe: Bei Somasundaram et al. (2018) antworteten 59 %, dass sie bereit wären, stattdessen niedergelassene Ärzte aufzusuchen. Scherer et al. (2017) fanden, dass 55 % der Wartenden die Dringlichkeit ihres eigenen Anliegens als gering bewerten. Demnach erscheint es sehr wahrscheinlich, dass eine verbesserte Steuerung über Leitstellen verbunden mit einer Aufnahme des Rettungsdienstes als eigenständige SGB-V-Leistung dazu führen könnte, die Zahl der ungeplanten INZ-Besuche zu reduzieren.

Zweitens: Sofern eine Reduktion von INZ-Besuchen durch die skizzierten Maßnahmen erreicht werden kann, wird sich die Zahl der stationären Aufnahmen ebenfalls erheblich reduzieren. In Deutschland wird bisher ca. jeder zweite Fall aus der Notaufnahme stationär aufgenommen (Geissler et al. 2017). Vor der Pandemie gelangten ca. 8,5 Mio. Fälle über die Notaufnahmen in die stationäre Versorgung; entsprechend wäre es durch eine Reform der Notfallversorgung denkbar, dass nur noch die Hälfte dieser Fälle stationär aufgenommen wird. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass eine Reform der Notfallversorgung gemäß dem SVR-Modell auch den ökonomischen Fehlanreiz mindern würde, dass eine DRG ein Vielfaches der Vergütung im Vergleich zur derzeitigen Ambulanzpauschale beträgt. Dadurch wird die Aufnahmequote von derzeit 50 % auf den üblichen Anteil in anderen Ländern sinken. Die Niederlande oder Frankreich, die mit dem deutschen Gesundheitssystem strukturell Ähnlichkeiten haben, weisen Quoten von 32 und 22 % auf. Diese Eck- und Vergleichsdaten zeigen, dass eine Reduktion der stationären Notfälle auf die Hälfte oder weniger allein durch eine Reform der Notfallversorgung durchaus realistisch erscheint. Eine Reduktion der stationären Notfälle in dieser Größenordnung ginge mit einer Reduktion von ca. 30 Mio. Patientenpflegetagen einher, was insbesondere das Pflegepersonal in den Fachabteilungen erheblich entlasten würde.

Drittens ist eine Zentralisierung nicht nur im Sinne der Versorgungsqualität geboten. Eine Zentralisierung der Notfallstandorte bündelt Personal an den verbleibenden Standorten. Es entstehen somit Skaleneffekte, sodass die Personalressourcen der Notfallversorgung effektiver genutzt werden können. Die interdisziplinäre und -professionelle Behandlung in den INZ setzt die Verfügbarkeit von ärztlichem Personal unterschiedlicher Facharztrichtungen und eine adäquate Pflegepersonalausstattung voraus, wie sie auch für Notaufnahmen gefordert wird (Behringer et al. 2019). Die Rekrutierung dieses Personals wird eine besondere Herausforderung in der Reform der Notfallversorgung darstellen. Auch in diesem Sinne erscheint eine Konzentration auf weniger Notfallstandorte wichtig.

3.2 Sektorengleiche Vergütung

Patientinnen und Patienten sollen dort behandelt werden, wo sie die medizinisch sinnvollste Behandlung erfahren. Dies betrifft insbesondere sogenannte „sektorengleiche“ Leistungen, die sowohl ambulant als auch stationär erbracht werden können. Beispiele sind u. a. Hernien-OPs oder Kniearthroskopien. Die aktuellen Vergütungsstrukturen im deutschen Gesundheitswesen stehen einer sektorengleichen Leistungserbringung jedoch entgegen. So bestehen in Deutschland starke finanzielle Anreize, sektorengleich behandelbare Fälle stationär aufzunehmen. Damit werden personelle Kapazitäten in der stationären Versorgung gebunden, die für komplexere Fälle dringend benötigt würden. Dies wurde spätestens während der SARS-CoV-2-Pandemie und den damit einhergehenden Versorgungsengpässen deutlich. Gleichzeitig bestehen für viele dieser Leistungen zu wenige ambulante Angebote, obwohl dies oftmals den Patientenpräferenzen entspricht.

Bereits im Gutachten aus dem Jahr 2018 hat der SVR Gesundheit die Entwicklung und Einführung eines Vergütungssystems für sektorengleiche Leistungen empfohlen (SVR 2018). International existieren hierzu sehr ähnliche Konzepte, die in erster Linie eine Ambulantisierung von Operationen vorsehen. Anhand eines Kataloges ambulanter Prozeduren, die sowohl stationär als auch ambulant erbracht werden können, werden diese Prozeduren in gleicher Höhe vergütet, unabhängig davon, ob sie stationär, ambulant im Krankenhaus oder in der ambulant-vertragsärztlichen Versorgung erbracht werden (Schreyögg und Milstein 2020, 2021). Anders als in der Reform der Notfallversorgung geht es hier nicht um Notfälle, sondern primär um elektive Leistungen. Folgt man dem Beispiel vieler anderer Länder Europas, erfolgt der Einstieg in die sektorengleiche Versorgung und Vergütung über ausgewählte elektive Eingriffe.

Ziel der Einführung einer sektorengleichen Vergütung wäre es, einen großen Anteil dieser sektorengleich behandelbaren Fälle aus der stationären Versorgung herauszulösen und stattdessen ambulant am Krankenhaus oder in der vertragsärztlichen Versorgung zu erbringen. Aus der Ambulantisierung von Fällen resultieren wichtige Effekte für den Personalbedarf. Im ambulanten Bereich können die gleichen Leistungen mit weniger Personal erbracht werden als im stationären Bereich. Wenn ein Fall nicht mehr bis zu drei Tage auf einer Station versorgt werden muss, sondern nur noch einige Stunden, wird weniger Personal in den Tages- und Nachtschichten gebunden. Schreyögg und Milstein haben in einem Gutachten für das BMG ermittelt, dass die fallzahlstärksten Top-30-Kurzlieger mit einem geringen medizinischen Schweregrad ein Volumen von rund 2,9 Mio. Fällen pro Jahr aufweisen. Die Top-30-Kurzlieger sind alle gleichzeitig im AOP-Katalog enthalten (Schreyögg und Milstein 2021). Die Gesamtzahl der Kurzlieger, die ambulant behandelt werden könnten, dürfte deutlich über 5 Mio. Fällen liegen. Bei einer angenommenen durchschnittlichen Verweildauer von zwei Tagen für diese Fälle entspräche dies – konservativ geschätzt – einer Reduktion um mindestens 10 Mio. Patientenpflegetage. Da im Jahr 2021 in deutschen Krankenhäusern ca. 120 Mio. Patientenpflegetage erbracht wurden, entspräche dies einer Reduktion um ca. 8 %. Diese Reduktion hätte insbesondere für das Pflegepersonal in der stationären Versorgung unmittelbare Folgen und würde sich auch positiv in der Arbeitsplatzattraktivität niederschlagen. In einigen Fachabteilungen dürfte sich somit außerdem vermeiden lassen, dass Betten aufgrund der Unterschreitungen der Personalpflegeuntergrenzen gesperrt werden. Krankenhäuser könnten sich durch die freiwerdenden Ressourcen wiederum stärker auf die Erbringung von komplexeren Leistungen fokussieren, die ihrer technischen und personellen Ausstattung sowie spezifischer Kenntnisse tatsächlich bedürfen. Zwar wird auch durch ambulante Operationen während des Eingriffs sowie für die Nachsorge Personal – Ärztinnen und Ärzte, Pflegende sowie andere Berufsgruppen wie medizinische Fachangestellte – gebunden, jedoch jeweils nur für kurze Zeit.

Erfahrungen anderer Länder – insbesondere Dänemark, England, Frankreich und Norwegen – zeigen, dass das Instrument der sektorengleichen Vergütung auch kurzfristig effektiv ist. Dabei hängt die Geschwindigkeit der Ambulantisierung auch von dem Grad der ökonomischen Incentivierung ab. Eine stärkere Überdeckung von Leistungen erhöht die Geschwindigkeit. Diesen Hebel nutzt insbesondere England mit dem primären Ziel, weniger Personal zu binden (Milstein und Schreyögg 2021).

Die Einführung einer sektorengleichen Vergütung bewirkt nicht nur eine direkte Reduktion der Personalbindung, sie weist auch ein Potenzial für strukturelle Veränderungen auf, die somit indirekt eine Reallokation von Personalressourcen mit sich bringen können. Eine Fallzahlreduktion in der stationären Versorgung durch nicht bedarfsnotwendige Krankenhäuser könnte die Entscheidung zur Schließung oder Umwandlung dieser Krankenhäuser oder von Abteilungen befördern. Die Option zur Umwandlung eines Krankenhauses wird oftmals nicht zuletzt deshalb verworfen, weil die umliegende Bevölkerung eine wohnortnahe Versorgung von medizinisch wenig komplexen Fällen präferiert. Da diese besagten sektorengleichen Fälle jedoch ambulant oftmals nicht kostendeckend erbracht werden konnten, war man zur Erbringung dieser Fälle auf den Plankrankenhausstatus angewiesen. Die Einführung einer sektorengleichen Vergütung wird daher auch zu einer Flexibilisierung und Integration von Versorgungsstrukturen führen, die eine Reallokation von Personalressourcen ermöglicht. Analog zu der Entwicklung in anderen Ländern ist es zu erwarten, dass künftig eine substanzielle Anzahl an Krankenhäusern der Grundversorgung in regionale Versorgungszentren umgewandelt werden, die dann auch ein ambulantes OP-Zentrum umfassen könnten.

3.3 Regionale Versorgungszentren

Ein Kernproblem der Debatte um die Strukturveränderungen der Krankenhauslandschaft ist die undifferenzierte Verwendung des Krankenhausbegriffs. Dabei wird häufig von einem Krankenhaus ausgegangen, so wie wir es seit Jahrzehnten kannten, das im Grunde alle Leistungen anbietet, die in seinem Einzugsgebiet nachgefragt werden. Spätestens durch die Pandemie ist aber deutlich geworden, dass Krankenhäuser ganz unterschiedliche Leistungen erbringen und es de facto verschiedene Versorgungsstufen gibt. Dabei wissen wir seit langem aus wissenschaftlichen Studien – auch der Sachverständigenrat Gesundheit hat dies in seinem Gutachten 2018 aufgezeigt –, dass bei Notfällen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall längere Fahrten zu großen, gut ausgestatteten Krankenhäusern die Überlebenschancen erhöhen, teils sogar deutlich (SVR 2018). Auch für viele terminierbare Krankenhausleistungen, z. B. Hüftersatz, sind die Ergebnisse in der Regel deutlich besser in großen Krankenhäusern, die diese Leistungen sehr oft erbringen. Es gibt aber andere Leistungen, die wohnortnah erbracht werden können, was die Versorgungssituation der Menschen auf dem Land verbessern würde. Dazu zählt die kurzstationäre Aufnahme von primär älteren Menschen mit unkomplizierten Indikationen, u. a. Harnwegsinfekt, die zu einer Zustandsverschlechterung führen. Dazu gehören außerdem einfachere ambulante Eingriffe sowie Kurzzeitpflege im Anschluss an komplexere Eingriffe in spezialisierten Krankenhäusern. Diese Leistungen werden von der Bevölkerung oft als wohnortnahe Leistungen gewünscht und sind nicht selten ein Hinderungsgrund für die Schließung eines Krankenhauses und mithin die Reduktion stationärer Kapazitäten (Schreyögg und Milstein 2022).

Nicht jeder Standort muss und sollte in ein regionales Gesundheitszentrum umgewandelt werden. Der Aufbau regionaler Versorgungszentren auf der Primärversorgungsebene kann allerdings als elementarer Baustein hin zu einer bedarfsgerechten und humanressourcenschonenden Gesundheitsversorgung dienen. Darunter sind Organisationseinheiten zu verstehen, die einen Hybridstatus zwischen stationärer und ambulanter Versorgung einnehmen können. In England ist diese Form der Versorgung bereits seit vielen Jahren etabliert und wird Community Health Centre oder Community Hospital genannt. Auch in skandinavischen Ländern existiert dieses Modell. Frankreich möchte ebenfalls dieses Modell implementieren (zur Funktionsweise sowie der multiprofessionellen Zusammenarbeit dieser Zentren in anderen Ländern siehe SVR 2023). Die multiprofessionellen Teams in solchen regionalen Versorgungszentren sind näher an der Lebenswelt der Patientinnen und Patienten und stärker mit kooperierenden Leistungserbringern vernetzt. Dadurch besteht das Potenzial, nicht bedarfsnotwendige Strukturen abzubauen und damit auch den Personalbedarf zu verringern.

Im Rahmen des Konzentrations- und Strukturveränderungsprozesses stationärer Kapazitäten könnten Krankenhäuser der Grundversorgung als integrierte regionale Gesundheitszentren für ambulante ärztliche Versorgung umgebaut werden. Diese neue Form der Daseinsvorsorge erlaubt regional individuelle Lösungsmöglichkeiten. So können regionale Gesundheitszentren modular aufgebaut sein und je nach lokalem Bedarf verschiedene Elemente beinhalten. Diese können u. a. ambulante Operationszentren und Kurzliegestationen (auch als allgemeinmedizinische Beobachtungsstationen bezeichnet) integrieren und somit Leistungen bzw. Fälle aus dem personalintensiven stationären Versorgungsbereich übernehmen. Auf den Kurzliegestationen können verschiedene Gruppen von Patientinnen und Patienten behandelt werden: Neben allgemeinmedizinisch zu behandelnden geriatrischen Patienten, die zur Prävention akuter, schwerer Krankheitsverläufe beobachtet werden müssen (eine geriatrische fachärztliche Versorgung kann und sollte in regionalen Gesundheitszentren nicht geleistet werden), sowie Patienten, die vor Ort in einem ambulanten Operationszentrum operiert wurden und zur Nachbeobachtung aufgenommen werden auch solche, die in einem stationären Zentrum operiert wurden und postoperativ so früh wie möglich in ein wohnortnahes regionales Gesundheitszentrum verlegt werden. Auch eine telemedizinische Anbindung an ein Krankenhaus der Regel- oder Maximalversorgung kann so erfolgen (SVR 2023).

Als ein Beispiel für die Ausgestaltung von regionalen Gesundheitszentren kann das Förderprogramm „Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung“ (PORT) der Robert Bosch Stiftung herangezogen werden. Die PORT-Zentren sind auf unterschiedliche Zielgruppen ausgerichtet und jeweils multiprofessionell ausgerichtet. Teilweise werden alle PORT-Leistungen an einem Standort erbracht, bei anderen Zentren sind die kooperierenden Leistungserbringer an unterschiedlichen Orten tätig (Nolting und Ochmann 2021). Bisher existieren in den PORTs keine allgemeinmedizinischen Beobachtungsstationen, die allerdings im Rahmen der Stadtteilklinik Hamburg aufgebaut wurden. Ab 01.07.2023 startet auch ein Innovationsfondsprojekt „Stata-Med“, das die Umwandlung von konventionellen Krankenhäusern in Standorte mit unter anderem allgemeinmedizinischen Beobachtungsstationen erprobt und evaluiert.

Um den Aufbau regionaler Versorgungszentren in der Regelversorgung zu ermöglichen, sind eine Reihe gesetzlicher Änderungen notwendig. Der SVR empfiehlt, die bestehenden Strukturfonds zu flexibilisieren, sodass regionale Gesundheitszentren mit integrierten Versorgungsstrukturen optimal gefördert werden können. Neben der Einführung der bereits erwähnten sektorengleichen Vergütung zum Aufbau ambulanter OP-Zentren wäre eine Gesetzesänderung zur Einrichtung von allgemeinmedizinischen Beobachtungsstationen ohne den Status eines Plankrankenhauses notwendig. Zudem werden Pauschalen für kurzstationäre Beobachtung benötigt, da die Indikationsstellung bei diesen Patienten oftmals nicht adäquat durch Diagnosen im Rahmen des DRG-Systems abgebildet werden kann.

Durch den Aufbau regionaler Versorgungszentren werden künftig dort auch maßgeblich Leistungen erbracht, die bisher in Krankenhäusern der Grundversorgung erbracht wurden. Diese Krankenhäuser haben bisher typischerweise mindestens Fachabteilungen für Innere und Chirurgie, häufig aber weitere Fachabteilungen vorgehalten. Jede dieser Fachabteilungen muss gemäß Pflegeuntergrenzen – seit 2022 sind 90 % aller Fachabteilungen durch Personalpflegeuntergrenzen qualitätsgesichert – einen Mindestumfang an Pflegepersonal vorhalten. Hinzu kommen Ärztinnen und Ärzte sowie andere Berufsgruppen. Gleichzeitig haben Grundversorger nicht selten eine deutlich unterdurchschnittliche Kapazitätsauslastung. Regionale Gesundheitszentren gewährleisten dabei ein niedrigschwelligeres und ressourcenschonenderes Setting. Allein durch die Reduktion von Betten werden Personalressourcen frei, darüber hinaus werden durch die Integration von ambulanten und „semi-stationären“ Strukturen redundante Personalvorhaltungen abgebaut. Auch wenn der konkrete Personalbedarf der jeweiligen regionalen Gesundheitszentren sehr individuell sein wird, ist auch auf der Basis der Erfahrungen anderer Länder zu erwarten, dass diese Form der Versorgung weniger Personal binden wird. Ein Teil des bisherigen Personals kann dann in anderen bestehenden Krankenhäusern tätig werden. Dieses Modell dürfte – folgt man der Erfahrung anderer Länder – insbesondere für eine Umwandlung vieler der 428 Krankenhäuser mit unter 50 Betten (2020), aber auch für viele der 230 Krankenhäuser mit 50 bis 99 Betten (2020) oder Standorte mit mehr als 100 Betten in Frage kommen. Allein in den Krankenhäusern mit bis zu 99 Betten sind im Pflegedienst 20.000 Personen beschäftigt. Diese Zahlen verdeutlichen, dass eine Gesetzesänderung zur Förderung regionaler Gesundheitszentren das Potenzial für eine ressourcenschonendere Nutzung sowie die Möglichkeit zur Reallokation vorhandener Personalressourcen aufweist.

Weitere zu berücksichtigende Aspekte sind, dass diese Strukturveränderung auch eine Reallokation der vorhandenen Investitionsfördermittel auf weniger Krankenhäuser mit sich brächte, was auch den Investitionsstau mindern würde. Der reduzierte finanzielle Druck würde auch die Anzahl der Pflegetage in konventionellen Krankenhäusern reduzieren und das Pflegepersonal könnte anders verteilt werden. Zudem könnte eine multiprofessionelle Zusammenarbeit in Teams in den regionalen Gesundheitszentren zu einer Verbesserung der Arbeitsplatzattraktivität beitragen, was wiederum die Rekrutierungsmöglichkeit von Personal verbessert. Zuletzt sei darauf verwiesen, dass regionale Gesundheitszentren als Anlaufstelle für ambulante Primärversorgung das Potenzial aufweisen, ambulant-sensitive Krankenhausfälle (ASK) zu vermeiden, beispielsweise durch eine leitliniengerechte Behandlung und Überwachung chronischer Erkrankungen (SVR 2018).

3.4 Sektorenübergreifende Bedarfsplanung

Seit langem ist bekannt, dass die Sektoren des deutschen Gesundheitswesens über nicht bedarfsnotwendige Redundanzen verfügen, die auch aufgrund einer fehlenden sektorenübergreifenden Planung existieren. Mit Blick auf eine resiliente und ressourcenschonende Organisation der Akutversorgung muss die Bedarfsplanung zukünftig unter Berücksichtigung unterschiedlicher Versorgungsstufen und Zielgrößen wie Personal- und Geräteausstattung erfolgen. Bereits in seinem Gutachten aus dem Jahr 2018 hat der Rat eine sektorenübergreifende, leistungs- und qualitätsorientierte Bedarfsplanung empfohlen. Die Planung sollte demnach auf Prognosen der Bevölkerungsstruktur und -morbidität sowie auf dem zu erwartenden medizinischen Leistungsbedarf – anstatt wie bisher inputorientiert auf Basis von Bettenkapazitäten und Arztsitzen – basieren.

Dabei könnte bereits in der Planung berücksichtigt werden, dass Leistungen verstärkt sektorenübergreifend beispielsweise in regionalen Gesundheitszentren erbracht werden. Es könnte verstärkt Teamverantwortung geplant und wahrgenommen werden, um die Potenziale einer interprofessionellen Zusammenarbeit auszuschöpfen. Zur Sicherstellung der Qualität sollte bei der leistungsorientierten Planung zudem bestimmt werden, welche personelle und technische Ausstattung zur Erbringung spezifischer Leistungskomplexe erforderlich ist. Die Analyse des bestehenden und die Prognose des zukünftigen Bedarfs an Versorgungsstrukturen würden dadurch vereinfacht. In einer solchen sektorenübergreifenden, leistungs- und qualitätsorientierten Bedarfsplanung sollten das Minimum und das Maximum der bedarfsnotwendigen Leistungserbringer für die wirtschaftliche Erbringung der verschiedenen Leistungskomplexe in der gewünschten Qualität festgelegt werden. Für sektorengleich erbringbare Leistungen, d. h. Leistungen, die entweder stationär oder ambulant erbracht werden können, könnten auf Basis einer solchen Planung zukünftig konkrete Leistungsaufträge regional und zeitlich begrenzt ausgeschrieben werden, um deren Erbringung die klassischen ambulanten und stationären Leistungserbringer sowie neue hybride Organisationsformen konkurrieren würden. Die sektoralen Grenzen für diese Leistungen würden dadurch langfristig aufgelöst (SVR 2018; Messerle und Schreyögg 2021; SVR 2023).

Wünschenswert wären aus Sicht des Rates auch ein Monitoring der Zielerreichungsgrade und kürzere Planungsintervalle einer leistungsorientierten Bedarfsplanung, die sowohl Qualitätskriterien als auch den medizinisch-technischen und pflegerischen Fortschritt berücksichtigen (SVR 2018). In diesem Zusammenhang sollten die personellen und technischen Anforderungen an die Erbringung spezifischer Leistungskomplexe sowie die minimale und maximale Anzahl an Leistungserbringern, mit denen für die Erbringung der verschiedenen Leistungskomplexe ein Versorgungsvertrag abzuschließen ist, nicht nur für den Normalzustand festgelegt werden. Auch für Pandemie- und andere Krisenfälle sollte definiert werden, welche und wie viele Kapazitäten (Betten bestimmter Fachabteilungen, Beatmungsplätze, Intensivplätze, Personal) vorgehalten werden sollten. Dabei sollten intensivmedizinische Kapazitäten nur von Krankenhäusern vorgehalten werden, die dafür entsprechend qualifiziert, also spezialisiert und personell ausgestattet sind (Augurzky et al. 2020; SVR 2023).

Im Idealfall sollte eine sektorenübergreifende Planung die Kapazitäten in der Akutversorgung für das jeweilige Bundesland planen, historisch-basierte nicht bedarfsnotwendige Redundanzen in den Kapazitäten identifizieren und entsprechend beheben. Dabei sollten die Verfügbarkeit und optimale Allokation von Personalressourcen eine zentrale Rolle spielen. Dies würde fast zwangsläufig zu einer stärkeren Zentralisierung von Kapazitäten führen. Leider zeigte sich in den letzten Jahren trotz der Änderungen im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes (KHSG), dass ein Bundesland rechtlich kaum in der Lage ist, ein Krankenhaus oder eine Fachabteilung gegen den Willen des Krankenhausträgers umzuwandeln oder zu schließen. Selbst bei einer guten Begründung über die mangelnde Versorgungsqualität für die Bevölkerung klagen sich Krankenhausträger mit guten Chancen wieder ein (Gruhl 2021; Schreyögg 2022). Solange die Bundesländer nicht gesetzlich ermächtigt werden, rechtssicher die Versorgungslandschaft zu gestalten, wird die Krankenhausplanung eher eine moderierende Rolle einnehmen müssen. Das heißt aber gleichzeitig, dass dem Bundesgesetzgeber über die Ermöglichung von neuen Strukturen sowie über Vergütungsanreize im oben dargestellten Sinne eine noch wichtigere Rolle als in anderen Staaten zukommt. Eine begleitende sektorenübergreifende Bedarfsplanung ist dennoch als Orientierung für Leistungserbringer, Kommunen, Landkreise und andere Beteiligte wichtig.

Eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung, die auf Prognosen der Bevölkerungsstruktur und -morbidität sowie dem zu erwartenden medizinischen Leistungsbedarf – anstatt auf dem Status quo an Bettenkapazitäten und Arztsitzen – basiert, hätte das Potenzial, entweder selbst gemeinsam mit den Leistungserbringern eine Reallokation von Personalressourcen zu bewirken und/oder die bereits genannten drei Instrumente durch planerische Begleitung zu implementieren. Selbst wenn die Bundesländer weiterhin auf eine moderierende Rolle beschränkt sind, erscheint es realistisch, dass durch eine sektorenübergreifende Planung die Zahl der stationären Patientenpflegetage reduziert wird und sich dem in vergleichbaren Ländern, z. B. Frankreich und Niederlande, üblichen Maße annähert. Eine sektorenübergreifende Planung wird über die Pflege hinaus auch eine wichtige Reallokation von Ärztinnen und Ärzten bewirken, da Krankenhausärztinnen und -ärzte künftig in regionalen Gesundheitszentren oder der vertragsärztlichen Versorgung tätig werden könnten.

4 Fazit

Der Beitrag zeigt exemplarisch für ausgewählte, besonders vielversprechende Reformoptionen das Potenzial für eine Reallokation von Personalressourcen durch Strukturveränderungen. Es wurde auch deutlich, dass die Reformvorhaben ineinandergreifen sollten und somit ihre Wirkung noch verstärkt werden kann. Weitere Reformoptionen wie die Reform der Krankenhausvergütung wurden hier nicht beleuchtet, könnten aber ebenfalls eine Verbesserung der Personalallokation bewirken. Die oben quantifizierten Effekten können selbstverständlich nur grobe Schätzungen darstellen, schon allein deshalb, weil die Effekte maßgeblich von der Ausgestaltung und Implementierung künftiger Gesetze abhängen. Dennoch wird deutlich, dass ein Strukturwandel der Versorgungslandschaft die Personalallokation im deutschen Gesundheitswesen erheblich verbessern kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Strukturwandel sogar unter Berücksichtigung der bereits initiierten Maßnahmen wie der Ausbildungsoffensive und einer Verbesserung der Arbeitsplatzattraktivität Fachkräfteengpässe in der Versorgungslandschaft auflösen kann.