FormalPara Zusammenfassung

In Kap. 3 wird der gewählte Zugang zum Thema skizziert, beginnend mit einer Beschreibung des Umfangs des Gegenstands «Laboratoriumsmedizin». Ausgehend von einer Analyse der Krankheitslast der Bevölkerung wurde eine thematische Eingrenzung in der Weise vorgenommen, dass für diejenigen Krankheitsgebiete, die als wichtigste Verursacher von Morbidität und Mortalität in der Schweiz hervortreten, jeweils mindestens ein labormedizinisches Testverfahren ausgewählt und auf seinen Nutzen untersucht wurde. Dieser Abschnitt wird unterstützt von einer Beschreibung der Messung von Krankheitslast (oder «Burden of Disease») mithilfe des Konstrukts der «Disability-Adjusted Life Years» (DALYs).

Für die Evaluation des Nutzens diagnostischer Massnahmen wurden verschiedene «Value Frameworks» vorgeschlagen, die typischerweise analytische Validität, klinische Validität, klinischen Nutzen und ökonomische Aspekte einschliessen. Die vorliegende Studie orientiert sich an den von Fryback und Thornbury (1991) vorgeschlagenen sechs Dimensionen (oder «Level»): 1. «technische Qualität/Validität», 2. «diagnostische Validität»; 3. diagnostischer Impact, 4. therapeutischer Impact, 5. patientenbezogener Nutzen, 6. Nutzen aus gesellschaftlicher Sicht.

Damit umschreibt Kap. 3 die grundlegende Systematik der folgenden indikationsspezifischen Abschn. 4.2 (Krebs und Krebsmedizin mit Fokus auf Lungen-, Darm- und Brustkrebserkrankungen), 4.3 (Muskuloskelettale Erkrankungen), 4.4 (Herz-Kreislauf-Erkrankungen), 4.5 (Psychiatrische Erkrankungen) und 4.6 (Infektionskrankheiten).

3.1 Untersuchungsgegenstand «Laboratoriumsmedizin»

Die Labormedizin umfasst traditionell zahlreiche Teilgebiete, vor allem

  • Klinische Chemie,

  • Hämostaseologie,

  • Hämatologie und Transfusionsmedizin,

  • Mikrobiologie,

  • Immunologie/Serologie,

  • Endokrinologie

    sowie

  • Liquordiagnostik,

  • Molekulare Diagnostik,

  • Toxikologie und Drogenscreening,

    aber auch

  • in pathologischen Labors durchgeführte Diagnostik.

Die klassischen Bereiche veranschaulichen das breite und zugleich sehr vielseitige Spektrum labormedizinischer Leistungen (vgl. hierzu beispielsweise Siegenthaler et al. 2005; Thomas et al. 2005; McPherson und Pincus 2016, stellvertretend für viele Weitere).

Die Labormedizin ist mit allen relevanten Bereichen der gesundheitlichen Versorgung eng verwoben; sie ist integraler Teil des gesamten «Continuum of Care» (vgl. Abb. 4.41 im Abschn. 4.8, «Zwischenfazit») und geht weit über das differentialdiagnostische «Rule-In» oder «Rule-Out» einer bestimmten Erkrankung hinaus: vom Screening zur frühzeitigen Erkennung von Erkrankungen (Beispiele sind u. a. Nachweis okkulten Bluts im Stuhl zur Früherkennung kolorektaler Karzinome oder von genitalen Infektionen mit humanen Papillomviren als Risikofaktor für die Entwicklung von Zervixkarzinomen); Prävention oder prädiktive Massnahmen zur Identifizierung und Behandlung von Risikopersonen (Beispiel Lipidstoffwechselstörungen und Risiko schwerer kardiovaskulärer Ereignisse wie Myokardinfarkte oder ischämische zerebrale Insulte oder «Schlaganfälle»); Behandlungen und Therapien, die auf der Grundlage der Ergebnisse eines Labortests entweder festgelegt oder geändert werden (zum Beispiel therapeutische Einstellung eines Diabetes mellitus); Überwachung oder Monitoring, um festzustellen, ob eine Behandlung anschlägt oder ob einem Patienten die richtige Dosis eines bestimmten Arzneimittels verschrieben wurde, usw. (vgl. Forsman 2002; Regan und Forsman 2006).

Dabei hängt der Nutzen jedweder Diagnostik regelmässig von den daraus resultierenden Konsequenzen ab, was die Komplexität der Evaluation des Nutzens labordiagnostischer Massnahmen erhöht. Auch wenn alle vorstehend aufgelisteten Teilgebiete der Laboratoriumsmedizin ohne jeden vernünftigen Zweifel klinischen Nutzen stiften, ist vor diesem Hintergrund aus Praktikabilitätsgründen doch eine Konzentration auf eine kleine Zahl ausgewählter Testverfahren geboten. Der Versuch einer vollständigen Berücksichtigung aller Teilgebiete der Laboratoriumsmedizin müsste jeden realistischen Rahmen einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden vertieften Evaluation ihres klinischen und gesellschaftlichen Nutzens sprengen.

3.2 Krankheitslast («Burden of Disease»)

Als erstes Kriterium diente die Krankheitslast der Schweizer Bevölkerung, deren Höhe einen Rückschluss auf die Relevanz eines klinischen Anwendungsgebiets zulässt und daher die Auswahl der «Leitindikationen» für die weiteren Evaluationen leitete. Hierfür extrahierten wir aus der Datenbank der Global Burden of Disease (GBD)-Studie 2017 des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME), die auf der Datenbasis der World Health Organization (WHO) abgestützt ist, relevante Informationen zur Krankheitslast in der Schweiz (Datenquelle: IHME 2018; WHO 2018). Die international übliche Masseinheit hierfür sind Disability-Adjusted Life Years (DALYs), die nicht nur die Mortalität aufgrund einer Erkrankung erfassen, sondern auch die aufgrund von Morbidität verringerte Lebensqualität. Sie werden in einer Zahl zusammengefasst, die den aufgrund einer Erkrankung statistisch verlorenen gesunden Lebensjahren entspricht. Tab. 3.1 und Abb. 3.1 zeigen die so gemessenen in der Schweiz krankheitsbedingt verlorenen Lebensqualität und Lebensjahre für die wichtigsten Krankheitsgruppen, sowohl in absoluten Zahlen als auch als Anteil an der gesamten Krankheitslast («Burden of Disease»).

Tab. 3.1 Krankheitslast (Disability-Adjusted Life Years, DALYs) nach Krankheitsgruppen in der Schweiz (2017). Eigene Darstellung in Anlehnung an IHME (2018). NCD, Non-Communicable Diseases. (Nichtübertragbare Erkrankungen)
Abb. 3.1
figure 1

Anteilige Krankheitslast (Disability-Adjusted Life Years, DALYs) nach Krankheitsgruppen in der Schweiz (2017). Grösste Verursacher der Krankheitslast der Schweizer Bevölkerung sind bösartige Neubildungen (Anteil 17,5 %) gefolgt von den Gruppen der muskuloskelettalen und kardiovaskulären Erkrankungen (Anteil je 13,5 %) sowie psychischen und neurologischen Erkrankungen (8,8 % bzw. 7,4 %). – Eigene Darstellung in Anlehnung an IHME (2018)

Insgesamt bilden alleine die fünf Krankheitsgruppen der Tab. 3.1 nahezu zwei Drittel (über 60 %) der gesamten Krankheitslast in der Schweiz ab.

3.2.1 Integrierte Messung von Lebenszeit und -qualität

Disability-Adjusted Life Years («DALYs») sind neben Quality-Adjusted Life Years («QALYs») die vermutlich wichtigsten Vertreter einer Gruppe von Summenmassen, die auch als Health-Adjusted Life Years («HALYs») zusammenfassend beschrieben werden. Sie dienen dem Zweck, die Komplexität der Phänomene Gesundheit und Krankheit so zu reduzieren, dass sie (a) Vergleiche der Krankheitslast («Burden of Disease») unterschiedlicher Gesundheitsstörungen, (b) Vergleiche der Effektivität unterschiedlicher medizinischer Massnahmen und (c) Summenstatistiken zum Gesundheitszustand von Bevölkerungsgruppen und ganzen Staaten ermöglichen. Sie erfassen grundsätzlich die nach den Eintrittswahrscheinlichkeiten («Risiko») von Ereignissen gewichtete Lebenserwartung und die gesundheitsbezogene Lebensqualität (Health-Related Quality of Life, «HRQoL»). Trotz vordergründiger Ähnlichkeit unterscheiden sich beide Masse voneinander in mehrfacher Weise.

3.2.2 Disability-Adjusted Life Years (DALYs)

DALYs wurden mit dem World Development Report der Weltbank 1993 erstmals verwendet und werden im Rahmen der Global Burden of Disease (GBD)-Studien der WHO seit 1996 breit eingesetzt. Sie repräsentieren verlorene gesunde Lebensjahre, werden überwiegend als Mass der Krankheitslast eingesetzt und sind definiert als

$$ \mathrm{DALY}=\mathrm{YLL}+\mathrm{YLD} $$
  • mit YLL, Years of Life Lost, verlorene Lebensjahre durch vorzeitigen Tod im Vergleich zu einer Normlebenserwartung (festgelegt mit 80 Jahren für Männer, 82,5 Jahren für Frauen, angelehnt an die Lebenserwartung der japanischen Bevölkerung)

  • und YLD, Years of Life with Disability, mit krankheitsbedingter Behinderung gelebte Lebensjahre, wobei sich die Methode der Gewichtung des Behinderungsgrades seit 1993 mehrfach änderte.

Die WHO-Methode der DALY-Berechnung beinhaltet darüber hinaus eine kontrovers diskutierte relative Übergewichtung der Krankheitslast von 20- bis 40-jährigen Menschen (WHO 2021).

3.2.3 Quality-Adjusted Life Years (QALYs)

QALYs wurden erstmals 1968 verwendet und seither weiter entwickelt zu einem Mass, das präferenzbasiert die mit einem Gesundheitszustand verbundene (gesundheitsbezogene) Lebensqualität («Health-Related Quality of Life», HRQoL) bewertet und multiplikativ mit der in diesem Zustand verbrachten Zeit verknüpft. Einfache additive Aggregation ergibt dann den Erwartungswert an QALYs nach einer Erkrankung bzw. einer medizinischen Massnahme (abstrahierend von Diskontierung) als

$$ QALYs=\sum \limits_{h=1}^n{W}_h\kern0.5em \times \kern0.5em {t}_h, $$
  • mit wh als Nutzwertindex eines Gesundheitszustands h

  • und th der in diesem Zustand verbrachten Zeit.

QALYs werden sehr häufig im Rahmen von vergleichenden gesundheitsökonomischen Evaluationen (Kosten-Effektivitäts- bzw. Kosten-Nutzwert-Analysen) verwendet. Das damit oft implizit verbundene quasi-utilitaristische Kalkül wiederum ist nicht unumstritten, weil es gut dokumentierte soziale Normen und Präferenzen ausser Acht lässt (vgl. Schlander et al. 2014; Drummond et al. 2015; Neumann et al. 2016; Richardson und Schlander 2018).

3.3 Thematische Eingrenzung

Vor diesem Hintergrund wurden die nachfolgend aufgelisteten Indikationen und – mit Blick auf die verfügbare Datenlage – labordiagnostischen Massnahmen für die vertiefte Analyse ausgewählt:

  1. 1.

    Diagnose und zielgerichtete Therapie bösartiger Neubildungen (Onkologie) mit dem Fokus auf Lungen-, Brust- und Darmkrebs;

  2. 2.

    muskuloskelettale Erkrankungen mit dem Fokus auf die Diagnose der rheumatoiden Arthritis und die Bedeutung spezifischer Antikörper gegen citrullinierte Proteine.

  3. 3.

    Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit dem Fokus auf akuten Myokardinfarkt und die Rolle der Troponin-Tests;

  4. 4.

    psychiatrische Erkrankungen mit dem Fokus auf die Rolle des TSH-Tests bei der Differentialdiagnose depressiver Erkrankungen, ergänzt um den Nutzen des Therapeutic Drug-Monitoring in der Psychopharmakologie,

    und

  5. 5.

    neurologische Erkrankungen mit Blick auf den potenziellen Nutzen der Labormedizin bei Demenz und M. Alzheimer sowie bei multipler Sklerose (siehe das Abschn. 5.5.1, «Zukunftspotenziale ausserhalb der Onkologie»);

  6. 6.

    Ergänzend wurde der Stellenwert labormedizinischer Analysen in der Infektiologie anhand der Beispiele der Hepatitiden und der Sepsis einschliesslich des zunehmenden Problems der Resistenz von Krankheitserregern gegen antimikrobielle Wirkstoffe beleuchtet.

3.4 Nutzenbewertung

Für die so ausgewählten Leitindikationen und Labortests wurden jeweils strukturierte Literaturrecherchen durchgeführt, um den patienten- und Public Health-bezogenen sowie den gesellschaftlichen Nutzen der labormedizinischen Diagnostik zu bestimmen.

3.4.1 Dimensionen des Nutzens

Der Fachliteratur zur Nutzenbewertung lassen sich zahlreiche Value Frameworks entnehmen, welche in der Regel die folgenden vier Dimensionen umfassen: 1. analytische Validität, 2. klinische Validität, 3. klinischer Nutzen, und 4. ökonomische Aspekte (vgl. hierzu u. a. bei Augustovski et al. 2021). Das aus Amerika stammende ACCE-Modell für die Bewertung genetischer Tests setzt sich dementsprechend aus den vier namensgebenden Hauptkriterien «Analytic Validity», «Clinical Validity», «Clinical Utility» sowie erweiternd «Ethical, Legal and Social Implications» zusammen (vgl. Centers for Disease Control and Prevention, CDC 2010).

Auch im formalen Rahmen von Health Technology Assessments (HTAs) nimmt die Evaluation diagnostischer Tests eine immer bedeutendere Rolle ein. Einige nationale HTA-Institutionen, darunter das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) und die Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health (CADTH), haben seit einigen Jahren eigene Prozesse und Kriterien zur systematischen Bewertung von Labortests und diagnostischen Verfahren implementiert.

3.4.2 Stufenmodell der Nutzenbewertung nach Fryback/Thornbury

Bis heute kommt dem von Dennis G. Fryback und John R. Thornbury von der University of Wisconsin-Madison erstmals 1990/1991 vorgestellten sechsstufigen Modell eine grundlegende Bedeutung für alle diagnostikabezogenen Value Frameworks zu (siehe Fryback und Thornbury 1991). Diesem Modell folgen daher die hier vorgelegten Nutzenanalysen der ausgewählten Labortests, deren Ergebnisse nachfolgend zusammenfassend dargestellt werden.

Fryback und Thornbury (1991) differenzieren die folgenden «Level», strukturiert nach Validität, Impact und Nutzen (deutsche Übersetzung der Begrifflichkeiten nach Nachtnebel 2010):

Level 1:

Technische Qualität/Validität:

Reliabilität, Machbarkeit und Trennschärfe;

Level 2:

Diagnostische Validität:

Sensitivität und Spezifität; Diagnosegenauigkeit; prädiktiver Wert;

Level 3:

Diagnostischer Impact:

Auswirkungen von Testbefunden auf die Diagnosefindung;

Level 4:

Therapeutischer Impact:

Einfluss von Testbefunden auf Therapieentscheide;

Level 5:

«Wirksamkeit»/patientenbezogener Nutzen:

Wirkung auf patientenrelevante Endpunkte, d. h., Mortalität, Morbidität, Lebensqualität, (schwere) Nebenwirkungen; Veränderung der «qualitätsadjustierten» Lebenserwartung;

Level 6:

Nutzen aus gesellschaftlicher Sicht:

Ökonomische Messgrössen (Kosten-Nutzen-Relation, idealerweise aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive).

Wann immer im Folgenden Kosten und Kosten/Nutzen-Relationen in die Betrachtung einbezogen werden, wird – soweit nicht ausdrücklich anders vermerkt – stets von der Perspektive der Bruttokosten für die OKP ausgegangen werden.

3.4.3 Gesundheitsökonomische Kosten/Nutzen-Evaluation

In den meisten Fällen liegen ökonomische Kosten/Nutzen-Evaluationen in der Form von Kosten-Effektivitäts-Analysen (Cost Effectiveness Analyses, CEAs) vor, welche sowohl die Kosten als auch den Nutzen ausschliesslich aus einer gesundheitsbezogenen (also in der gesundheitsökonomischen Terminologie nicht «gesellschaftlichen») Partialperspektive betrachten (siehe hierzu beispielsweise Gold et al. 1996; Drummond et al. 2015; Neumann et al. 2016). Zudem werden in den publizierten Vergleichsstudien vielfach alternative klinische Strategien und Diagnose-/Behandlungspfade in toto betrachtet, nicht aber der Wert- bzw. Nutzenbeitrag ihrer einzelnen Komponenten. In solchen Fällen kann der Beitrag der labormedizinischen Diagnostik nur auf der Kostenseite präzise isoliert werden.

In der gesundheitsökonomischen Evaluation werden üblicherweise drei Kostenarten unterschieden (vgl. Gold et al. 1996; Drummond et al. 2015; Neumann et al. 2016): direkte Kosten, indirekte Kosten und intangible Kosten.

3.4.3.1 Direkte Kosten

Direkte Kosten beziehen sich auf diejenigen Ressourcen, die bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen verbraucht werden. Sie umfassen bei prävalenzbasierter Kostenbetrachtung die Ausgaben pro Jahr, bei inzidenzbasierten und vergleichenden Analysen den gesamten aktuellen und zukünftigen Ressourcenkonsum. Die Zukunftskosten können sich bei Gesundheitsstörungen mit andauernden Folgen auf die gesamte Lebenszeit beziehen.

Direkte Kosten lassen sich weiter untergliedern in direkte medizinische und direkte nichtmedizinische Kosten. Direkte medizinische Kosten bezeichnen Ressourcenverzehr und -konsum unmittelbar im Gesundheitssektor. Sie umfassen z. B. ambulante Arztkosten, Medikamente, Heil- und Hilfsmittel, Krankenhausaufenthalte und Laboruntersuchungen, aber auch Rehabilitations- und Pflegeleistungen. Nicht alle direkten medizinischen Kosten können einer OKP-Perspektive zugeordnet werden. Bei den direkten nichtmedizinischen Kosten handelt es sich um den in Geldeinheiten bewerteten unmittelbaren Ressourcenverbrauch, der die Erstellung medizinischer Leistungen unterstützt und im nichtmedizinischen Bereich anfällt, wie etwa Kosten für Haushaltshilfen, Wartezeit sowie Fahrtkosten, aber auch aufgebrachte Zeit von Patienten und Angehörigen.

3.4.3.2 Indirekte Kosten

Indirekte Kosten sind laut Definition der durch Krankheit, Invalidität oder vorzeitigen Tod entstehende Verlust an Wertschöpfungspotenzial. Sie umfassen somit die ökonomischen Konsequenzen von Zeiten der krankheitsbedingten Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit sowie verringerte Arbeitsproduktivität und Produktivitätsausfälle bei vorzeitigem Tod. Für die Bestimmung indirekter Kosten stehen mit dem theoriekonformen Humankapitalansatz und dem realitätsnäheren Friktionskostenansatz zwei unterschiedliche Bewertungsmethoden zur Verfügung, die insbesondere bei chronischen Gesundheitsstörungen zu erheblich divergierenden Ergebnissen führen können.

3.4.3.3 Intangible Kosten

Intangible Kosten sind nicht primär monetär messbare Folgen von Krankheiten oder auch ihrer Behandlung, die die Lebensqualität (z. B. Schmerzen, Schlafstörungen, Stress usw.) oder die Lebenszeit beeinträchtigen.

Sie werden in «Burden of Disease»-Studien als Krankheitslast benannt, die manchmal mit dem Zahlungsbereitschaftsansatz direkt in monetäre Grössen transferiert wird. In der Praxis werden die gesundheitsbezogenen Effekte allerdings meistens mithilfe von DALYs quantifiziert, welche Lebenszeit und -qualität integrieren. In vergleichenden Analysen werden intangible Effekte dagegen auf der Nutzenseite berücksichtigt und in der Regel als QALYs ausgedrückt.

Da für die Monetarisierung von Ressourcenverbräuchen das Opportunitätskostenprinzip Anwendung findet, unterscheidet sich die gesellschaftliche Perspektive von einer Sozialversicherungsperspektive nicht nur durch die Einbeziehung aller (so auch der «indirekten») Kosten, sondern auch in der Bewertung der verbrauchten Ressourcen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es unbeachtlich, wem Kosten entstehen (Individuen, Gruppen von Personen, bestimmten Sozialversicherungen, Arbeitgebern usw.), weshalb aus dieser Perspektive alle Transferleistungen unberücksichtigt bleiben. Leider sind immer noch zahlreiche Publikationen von Kostenstudien insoweit fehlspezifiziert, als sie aufgrund der blossen Berücksichtigung indirekter Kosten eine gesamtgesellschaftliche Perspektive behaupten.

3.4.4 Besonderheiten der Nutzenbewertung von Diagnostika

Darüber hinaus zeigt das Bewertungsschema von Fryback und Thornbury (1991), dass die Bewertung des Nutzens labordiagnostischer Verfahren gegenüber der Evaluation von Therapeutika einige weitere Besonderheiten aufweist.

Die technische oder analytische Validierung stellt die Messeigenschaften und die bestimmungsgemässe Anwendung eines Tests oder Verfahrens dar, worunter im Besonderen die Reliabilität (Messgenauigkeit), Machbarkeit und Schärfe beziehungsweise Präzision sowie weitere technische Daten fallen (vgl. van den Bruel et al. 2007; The Lewin Group 2009).

Zur diagnostischen Validierung eines klinischen Parameters zählen vorrangig Aussagen zu Normbereichen und -abweichungen sowie zum Krankheitsbild. Die Richtigkeit («Accuracy») von labormedizinischen Aussagen ist daher mit statistischen Gütekriterien (diagnostische Sensitivität, diagnostische Spezifität, prädiktive Werte) zu belegen, welche die Diagnosegenauigkeit (oder «diagnostische Validität») von Labortests beschreiben. Diese gibt an, inwieweit ein Test oder eine diagnostische Methode das zu ermittelnde Krankheitsbild tatsächlich entdeckt beziehungsweise voraussagt. Deshalb ist es unabdingbar, die diagnostische von der analytischen Stufe eindeutig zu unterscheiden. Die zentralen labormedizinischen Kenngrössen sind wie folgt definiert (vgl. Köbberling 1991; Saah und Hoover 1997):

  • Die analytische Sensitivität beschreibt die Nachweisstärke eines Labortests.

  • Die diagnostische Sensitivität ist die Fähigkeit eines Labortests, möglichst alle Erkrankten zu erfassen.

  • Die analytische Spezifität beschreibt, inwieweit ein Labortest (nur) das misst, was er vorgibt zu messen.

  • Die diagnostische Spezifität ist die Fähigkeit eines Labortests, gezielt ein Krankheitsbild zu erfassen und somit Fehlzuordnungen gering zu halten.

In der medizinischen Praxis ist insbesondere der prognostische Wert von Test- und Diagnoseverfahren von entscheidender Bedeutung. Die prädiktiven Werte (oder auch Vorhersagewerte) von Testverfahren beschreiben die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient tatsächlich den Zustand aufweist, den der Labortest anzeigt (vgl. Köbberling 1991; Knottnerus und Buntinx 2011). Einige der Implikationen werden im Exkurs zur SARS-CoV-2-Pandemie illustriert, siehe dort (Abschn. 4.7.3 bis 4.7.8) für eine ausführliche Diskussion.

Der positive prädiktive Wert (Positive Predictive Value, PPV) eines diagnostischen Verfahrens gibt die Wahrscheinlichkeit an, wie viele Personen, bei denen ein medizinischer Test positiv ausgefallen ist, auch tatsächlich erkrankt sind (richtig positives Testergebnis). Der positive prädiktive Wert ist abhängig von der Prävalenz einer Erkrankung in der fraglichen Population. Bei einer häufig vorkommenden Krankheit ist die Wahrscheinlichkeit, auch tatsächlich betroffen zu sein, demnach um einiges höher als bei selten vorkommenden Erkrankungen.

Der negative prädiktive Wert (Negative Predictive Value, NPV) gibt an, wie viele Personen, bei denen ein medizinischer Test negativ ausgefallen ist, auch tatsächlich gesund sind (= richtig negatives Testergebnis). Auch dieser hängt von der Prävalenz einer Erkrankung ab. PPV und NPV sind demnach keine konstanten Eigenschaften eines Tests. Bei sinkender Prävalenz der Erkrankung und folglich anteilig weniger tatsächlich Erkrankter innerhalb einer Untersuchungspopulation steigt die Wahrscheinlichkeit bei einem positiven Test, dass dieser ein falsch-positives Ergebnis anzeigt (vgl. Bautsch 2009).

Als Mass der diagnostischen Information eines Labortests dient auch die Likelihood Ratio (LR), die das Chancenverhältnis beschreibt, um wie viel häufiger ein Testergebnis bei einem Kranken im Vergleich mit einer nicht erkrankten Person auftritt (vgl. Knottnerus und Buntinx 2011):

$$ \mathrm{Positiver}\ \mathrm{Vorhersagewert}:\kern0.5em \frac{\mathrm{rp}}{\mathrm{rp}+\mathrm{fp}};\kern0.5em Likelihood- Ratio-\mathrm{positiv}:\kern0.5em \frac{\mathrm{Sensitivit}\ddot{a}\mathrm{t}}{\ \left(1-\mathrm{Spezifi}\ddot{a}\mathrm{t}\right)} $$
$$ \mathrm{Negativer}\ \mathrm{Vorhersagewert}:\kern0.5em \frac{\mathrm{rn}}{\mathrm{rn}+\mathrm{fn}};\kern0.5em Likelihood- Ratio-\mathrm{negativ}:\kern0.5em \frac{\ \left(1-\mathrm{Sensitivit}\ddot{a}\mathrm{t}\right)}{\mathrm{Spezifit}\ddot{a}\mathrm{t}} $$

mit: rp, richtig positiv; fp, falsch positiv; rn, richtig negativ; fn, falsch negativ.

Vorausgesetzt werden muss bei alledem stets die korrekte Durchführung des «präanalytischen» (vorgelagerten) wie auch des «postanalytischen» (nachgelagerten) Prozesses, damit die Gütekriterien in der klinischen Praxis und damit letztlich die Qualität labormedizinischer Massnahmen für die Patienten gewährleistet sind (vgl. hierzu bei Siegenthaler et al. 2005; Thomas et al. 2005; McPherson und Pincus 2016).

Querverweis: Eine ausführliche Erläuterung wichtiger Implikationen für die Interpretation von Testergebnissen bieten die Abschn. 4.7.6 bis 4.7.8 am Beispiel von SARS-CoV-2-Infektionen und Teststrategien im Kontext der COVID-19-Pandemie.