FormalPara Zusammenfassung

In der Gesamtbetrachtung zeichnet sich das Gesundheitssystem der Schweiz im internationalen Vergleich gleichermassen durch seine grosse Leistungsfähigkeit (pars pro toto: die Lebenserwartung der Schweizer wird nur von derjenigen der Japaner übertroffen) wie durch seine hohen Kosten (2019: 82,1 Mrd. CHF entsprechend einem Anteil von 11,3 % am Bruttoinlandsprodukt) aus. Die Ausgaben der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP), des grössten Schweizer Kostenträgers im Gesundheitswesen, betrugen im Jahr 2019 29,6 Mrd. CHF oder 36,9 % der gesamten Gesundheitsausgaben. Von den Gesundheitsausgaben entfielen nach Angaben des Bundesamts für Statistik (BFS) 2,4 % bis 2,8 % auf Laborleistungen; je nach Abgrenzung und Datenquelle ergeben sich anteilig zwischen 1,6 % (aufgeschlüsselt nach Leistungserbringern: Anteil der Medizinischen Labors, dem BFS folgend) und 4,7 % (aufgeschlüsselt nach Kostengruppen: Anteil der Laborleistungen an den Bruttokosten der OKP unter Einbezug der von Praxislaborleistungen, der OBSAN-Statistik folgend). Dem steht gegenüber, dass nach verbreiteter Expertenmeinung etwa 70 % aller klinischen Entscheide von labormedizinischen Ergebnissen massgeblich beeinflusst werden. Nach den Standards der evidenzbasierten Medizin kommt einem Expertenkonsens jedoch nur eine geringe Beweiskraft zu. Vor dem Hintergrund steigender Ansprüche an den Nachweis der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit medizinischer Massnahmen ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, den Nutzen der Laboratoriumsmedizin aus patientenbezogener und gesellschaftlicher Perspektive anhand exemplarischer Testverfahren zu dokumentieren.

2.1 Lebenserwartung

Die Lebenserwartung der schweizerischen Bevölkerung liegt im europäischen Vergleich mit durchschnittlich 83,75 Jahren (für Neugeborene in 2019; Männer 81,9, Frauen 85,6 Jahre) an vorderer Stelle. Im weltweiten Vergleich wird die Lebenserwartung Schweizer Neugeborener lediglich von derjenigen in Japan geborener Menschen übertroffen; die Lebenserwartung im weltweiten Durchschnitt liegt aktuellen Berechnungen der Word Health Organization (WHO) zufolge bei 73,4 Jahren (alle Angaben für das Jahr 2019; Datenquelle: Bundesamt für Statistik, BFS 2020).

Zu den wesentlichen Determinanten der Lebenserwartung zählen neben genetischen Faktoren und sozioökonomischen Standards, insbesondere hinsichtlich Ernährungsniveau, Bildungs- und Hygienestandards, vor allem Lebensstilfaktoren (begrenzend wirken zum Beispiel Rauchen, ein übermässiger Alkoholkonsum und Bewegungsmangel) und die Qualität der medizinischen Versorgung. Die im internationalen Vergleich sehr hohe und altersstandardisiert weiter zunehmende Lebenserwartung bietet daher einen wichtigen globalen Hinweis auch auf die hohe Leistungsfähigkeit des schweizerischen Gesundheitssystems.

2.2 Gesundheitsausgaben

Das Schweizer Krankenversicherungsgesetz (KVG) sieht vor, dass die Obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) für alle in der Schweiz lebenden Personen verpflichtend ist. Die OKP übernimmt demnach die Kosten aller medizinischen Grundleistungen gemäss KVG. Um die Leistungen der Grundversicherung zu ergänzen, können Zusatzversicherungen abgeschlossen werden, die beispielsweise Zahnbehandlungen oder bestimmte alternativmedizinische Therapien abdecken (vgl. Bundesamt für Gesundheit, BAG 2021).

Auf vergleichsweise hohem Niveau bewegen auch sich die Schweizer Gesundheitsausgaben in Höhe von insgesamt 82,1 Mrd. CHF entsprechend einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 11,3 % im Jahr 2019. Die Gesundheitsausgaben stiegen seit 1996 (37,8 Mrd. CHF) zwar nominal sehr deutlich an, im Verhältnis zum BIP (9,0 % in 1996) jedoch in den letzten 25 Jahren eher moderat (Datenquelle: BFS 2021a). Die Ausgaben im Jahr 2019 entsprechen durchschnittlich pro Kopf und Monat einem Betrag von 798 CHF, womit die Schweiz – mit einigem Abstand zu den an erster Stelle stehenden Vereinigten Staaten – international sowohl mit dem Anteil am BIP als auch pro Kopf den zweithöchsten Wert aufweist.

Von den 798 CHF pro Person wurden der BFS-Statistik folgend 302 CHF von der OKP gedeckt, 149 CHF kamen direkt aus staatlichen Leistungen. Nach Berücksichtigung weiterer Kostenträger (vor allem Sozial- und Unfallversicherungen, andere Träger der sozialen Sicherheit, Zusatzversicherungen) verblieb ein Restbetrag von 199 CHF, der von den privaten Haushalten (zusätzlich zu Versicherungsprämien und Steuern) direkt bezahlt werden musste. Die OKP trägt dementsprechend mit 29,6 Mrd. CHF (36,9 %) den grössten Anteil der Schweizer Gesamtausgaben für Gesundheit (Datenquelle: BFS 2021a).

Nach Leistungserbringern aufgeschlüsselt, entfallen die anteilig höchsten Kosten des Schweizer Gesundheitswesens auf Krankenhäuser (30,2 Mrd. CHF oder 36,8 % in 2019), sozialmedizinische Institutionen (13,6 Mrd. CHF oder 16,6 %) sowie Arztpraxen und ambulante Zentren (einschliesslich dort erbrachter Laborleistungen; 12,6 Mrd. CHF oder 15,4 %). Ausweislich der BFS-Statistik sind die führenden ausgabenwirksamen Leistungskategorien ambulante (mit 21,4 Mrd. CHF in 2019) und stationäre (15,7 Mrd. CHF) Kurativbehandlungen, gefolgt von den Kosten für Langzeitpflege (16,6 Mrd. CHF) und Gesundheitsgüter (12,4 Mrd. CHF). Die labormedizinischen Leistungen tauchen in der BFS-Statistik nur als Unterkategorie der «unterstützenden Dienstleistungen» auf; diese betrugen (zusammen mit Kosten für Transport und Rettung) insgesamt 6,7 Mrd. CHF im Jahr 2019. Weiter aufgeschlüsselt entfielen davon auf Laboranalysen 1,99 Mrd. CHF (oder etwa 2,4 % der Gesamtkosten); nach Leistungserbringern auf Medizinische Labors 1,32 Mrd. CHF (oder 1,6 % der Gesamtkosten im Jahr 2019; Datenquelle: BFS 2021b).

Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (OBSAN) berichtet anders als das BFS die jährlichen Bruttokosten der OKP, welche alle Rechnungen umfassen, die im Rahmen der OKP vergütet werden, also einschliesslich der Kostenbeteiligung der versicherten Personen (zum Beispiel Franchise, Selbstbehalte, Beiträge zu den Kosten von Spitalaufenthalten). Die Aufschlüsselung der OKP-Bruttokosten von 34,4 Mrd. CHF (im Jahr 2019) nach Leistungsgruppen zeigt, dass die Kosten für ärztliche Behandlung mit 8,3 Mrd. CHF (entsprechend einem Anteil von 24,0 %) am höchsten sind, gefolgt von den getrennt ausgewiesenen Kosten der Spitäler für stationäre (7,0 Mrd. CHF oder 20,4 %) und ambulante (6,7 Mrd. CHF oder 19,5 %) Leistungen (Abb. 2.1; Datenquelle: OBSAN 2020).

Abb. 2.1
figure 1

Bruttoausgaben der OKP nach Leistungsgruppen (2019). Grafische Darstellung in Anlehnung an OBSAN (2020)

2.3 Rolle der Laboratoriumsmedizin

2.3.1 Kosten der Laboratoriumsmedizin

Die Kosten für Laboranalysen im Jahr 2019 werden vom BFS (mit Stand der Datenbank vom 31.03.2021) über alle Leistungserbringer und alle Finanzierungsregime hinweg mit 1,99 Mrd. CHF angegeben. Der Kostenanteil der Laboratorien an den Gesamtausgaben der OKP von mehr als 34,4 Mrd. CHF belief sich zuletzt bei absoluten Ausgaben in Höhe von 970 Mio. CHF (2019) auf 2,8 %, was einer leichten Zunahme gegenüber dem Anteil von 2,5 % im Jahr 2000 (damals nominal 393 Mio. CHF von insgesamt 15,7 Mrd. CHF Bruttoausgaben der OKP) entspricht (Datenquelle: OBSAN 2020). Bei Einbeziehung von Praxislaborleistungen beläuft sich die Kostengruppe der Labore innerhalb der Leistungen der OKP auf knapp 1,61 Mrd. CHF (2019), was dann einem Anteil von insgesamt etwa 4,7 % entspricht (das heisst ca. 16 CHF pro Person je Monat; Datenquelle: BAG 2021).

Dem Schlussbericht des BAG zum «Monitoring Analysenliste 2013–2015» vom 23. April 2019 folgend, dessen erklärtes Ziel «die fortlaufende Beobachtung der Laborlandschaft Schweiz und der Kostenentwicklung im Bereich der Laboranalysen» ist, betrug der von allen Leistungserbringern zusammen generierte Umsatz mit Laborleistungen im Jahr 2015 1,5 Mrd. CHF. Von der Gesamtzahl der abgerechneten Analysen in Höhe von 91,1 Mio. entfielen mengenmässig 44 % auf ärztliche Praxislaboratorien, 34 % auf Privatlaboratorien und 22 % auf Spitallaboratorien. Der Umsatz entwickelte sich im jüngsten Betrachtungszeitraum von 2013 bis 2015 vergleichbar mit der Entwicklung der Gesamtausgaben der OKP, bzw. war bezogen auf die über die Analysenliste abgerechneten Leistungen an der von der OKP vergüteten Gesamtleistung der Untersuchung des BAG folgend seit 2008 leicht rückläufig. Der generierte Umsatz verteilte sich anteilig zu 30 % auf Ärzte, 49 % auf Privatlabors und 21 % auf Spitäler. Damit erzielten die ärztlichen Praxislaboratorien je abgerechnete Analyse (einschliesslich Taxen und Zuschlägen, auf welche im Jahr 2015 bei Privatlabors und Spitälern 20 % entfiel) durchschnittlich 11,10 CHF, die Spitallaboratorien 15,70 CHF und die Privatlaboratorien 24,00 CHF – bei einem Durchschnitt über alle Leistungserbringer von 16,50 CHF (alle Zahlen für das Jahr 2015). Für die Schweizer Privatlaboratorien spielte neben der klinischen Chemie gemessen am Umsatz die Mikrobiologie die grösste Rolle, bei den Spitallabors ausserdem die Hämatologie. Die veröffentlichten BAG-Analysen adressieren die Unterschiede im Spektrum der erbrachten Leistungen nur sehr grob und damit unvollständig (Datenquelle: BAG 2020a).

2.3.2 Annahmen zum Nutzen der Laboratoriumsmedizin

Dem auf das Schweizer Gesundheitswesen bezogen kleinen Kostenanteil der Laboratorien steht auf der Nutzenseite gegenüber, dass nach in der wissenschaftlichen Literatur weithin geteilter Expertenmeinung nicht weniger als 70 % aller klinischen Entscheide von labormedizinischen Ergebnissen massgeblich beeinflusst würden (vgl. hierzu u. a. bei Forsman 1996; Price 2000; Beastall 2013).Footnote 1 Nach allgemein akzeptierten Standards der evidenzbasierten Medizin (vgl. Sackett et al. 1996) kommt einem Expertenkonsens jedoch nur der niedrigste Rang für die Qualität bzw. Stärke (oder «Beweiskraft») einer Schlussfolgerung zu, und selbst die Qualifizierung dieses «70 %-Claims» als Konsensus erscheint unseren eigenen Rechercheergebnissen im Rahmen der Gutachtenerstellung zufolge hinterfragbar. Denn alleine der Umstand, dass häufiges Zitieren einer Aussage ihr einen Anschein von Legitimität verleihen kann, bedeutet noch nicht eine (positive) Evaluation ihrer Evidenzstärke und impliziert per definitionem noch keine Aussage über den patientenbezogenen oder gesellschaftlichen Nutzen (vgl. hierzu bei Guyatt et al. 2008; Bolea-Alamañac et al. 2014; Bandelow et al. 2021).

2.3.3 Anforderungen an den Nachweis (die «Evidenz») des Nutzens

In Anlehnung an das international gebräuchliche «Grades of Recommendation Assessment, Development and Evaluation» - oder kurz «GRADE»-System – muss eine Nutzenkategorisierung mit einer Bewertung des klinisch-therapeutischen Effekts auf seine Relevanz für Patienten und aus Public Health-Perspektive beginnen, die Grösse der beobachteten Effekte berücksichtigen und den «Grad des Vertrauens» in die vorliegenden Daten bestimmen. Dieses Vertrauen wird regelmässig bestimmt von der Position auf der Pyramide möglicher Evidenzniveaus, an deren Spitze randomisierte klinische Studien (und Meta-Analysen derselben) stehen, gefolgt von prospektiven Kohortenstudien, retrospektiven vergleichenden Studien und Fallserien – und zuletzt dem blossen Konsens von Experten. Zusätzliche Kriterien für die Bewertung internationaler Daten sind deren Relevanz im Schweizer Versorgungskontext sowie definierte Qualitätsmerkmale der jeweiligen Studien (vgl. Guyatt et al. 2008; dazu auch Umsetzungspapier 5/2012 von SwissHTA, Schlander et al. 2012).

2.3.4 Kosten/Nutzen-Verhältnis der Laboratoriumsmedizin in der (gesundheits-) politischen Diskussion

Vor diesem Hintergrund vielleicht etwas überraschend wird die Labormedizin in der Schweiz von interessierter Seite immer wieder unter doppelten Rechtfertigungsdruck gesetzt: einerseits werden gelegentlich die Kosten einzelner labormedizinischer Tests mittels Auslandspreisvergleich öffentlichkeitswirksam skandalisiert, oftmals ohne adäquate Berücksichtigung der jeweiligen Kostenniveaus und von Kaufkraftunterschieden. Andererseits entstehen von regulatorischer Seite neue Hürden durch tendenziell stark zunehmende Anforderungen an den Beleg des Nutzens und des Kosten/Nutzen-Verhältnisses diagnostischer Verfahren.

2.4 Regulatorisches Umfeld der Laboratoriumsmedizin

In der Schweiz werden labormedizinische Leistungen im Krankenversicherungsgesetz (KVG) in Artikel 52 adressiert, worunter «Analysen und Arzneimittel, Mittel und Gegenstände» fallen. Unter Berücksichtigung der Grundsätze nach den Artikeln 32 Abs. 1 («WZW-Kriterien»: Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der durch die OKP zu erstattenden Leistungen) und 43 Abs. 6 (hohe Qualität und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten) werden in einer Analysenliste (AL) diejenigen Analysen, die von der OKP übernommen werden, mitsamt den jeweiligen Tarifen benannt (Datenquelle: KVG 2020).

Der Bundesrat verabschiedete im Januar 2013 eine Strategie «Gesundheit2020». Mit nicht weniger als 36 Massnahmen sollten laut BAG die Lebensqualität gesichert, die Chancengleichheit gestärkt, die Versorgungsqualität erhöht und die Transparenz verbessert werden. Im Bericht «Gesundheit2020» des BAG werden als zentrale Herausforderungen die Zunahme chronischer Krankheiten, die Sicherung der Finanzierung eines «weiter wachsenden Gesundheitssektors» sowie Steuerbarkeit und Transparenz herausgestellt. Die Labormedizin kommt (mit Ausnahme einer Grafik zu den Kosten des Gesundheitssystems aus der Perspektive der OKP) in diesem Bericht nicht vor (vgl. BAG 2013). In einem Update der «Gesundheitspolitische[n] Strategie des Bundesrates 2020–2030» vom Dezember 2019 wurden acht Ziele und sechzehn Massnahmen spezifiziert, welche den Eindruck eines stärkeren Fokus auf Kostendämpfung als auf Wertsteigerung vermitteln. Wiederum wird die Laboratoriumsmedizin nicht adressiert (vgl. BAG 2019).

Auf europäischer Ebene wurde eine neue Verordnung zu «In Vitro Diagnostics» (IVDs) im Mai 2017 in Kraft gesetzt (Datenquelle: EUR-Lex 2017); die nationalen Übergangsfristen werden fünf Jahre nach der Veröffentlichung im Mai 2022 enden (EU-Kommission 2019). Mit der Verordnung wird nicht nur eine neue Risikoklassifizierung eingeführt (vgl. die Abschn. 4.1.2., «Companion Diagnostics», und 5.6.3, sondern auch umfangreiche Dokumentationspflichten für die technische Qualität und die klinische Bewertung der Produkte in einem Bericht, der Informationen über die wissenschaftliche Validität, die Analyseleistung, die klinische Leistung und eine Zusammenfassung enthalten muss.

Vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) wurde, anknüpfend an die internationale Entwicklung seit den frühen 1990er-Jahren und an eine intensive vorangegangene Diskussion in der Schweiz, mit dem Jahr 2015 ein «HTA-Programm» lanciert (vgl. BAG 2015). HTA steht für «Health Technology Assessment», ein systematisches Verfahren zur Evaluation medizinischer Technologien mit dem für die Schweiz spezifischen Ziel, die Erfüllung der «WZW-Kriterien» des KVG Art. 32 zu prüfen und Entscheide über die Kostenerstattung von Leistungen durch die OKP zu informieren (vgl. BAG 2017). Diagnostika standen – mit ganz wenigen Ausnahmen – bislang nicht im Zentrum des HTA-Programms beim BAG:

Vitamin D-Tests in Risikogruppen erwiesen sich im Rahmen des HTA-Programms des BAG mangels aussagekräftiger Studien als nicht evaluierbar, Verfahren zur Evaluation von Praxislabortests und von Vitamin B12-Tests bei Verdacht auf Vitamin B12-Mangel sowie von Folsäuretests bei Verdacht auf Folsäuremangel sind noch nicht abgeschlossen, und eine Evaluation von Blutzuckerselbstmessungen bei nicht insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ 2 blieb – trotz belegter Wirksamkeit auf den prognostisch bedeutsamen Marker HbA1c in randomisierten klinischen Studien – den Autoren zufolge ohne ein Ergebnis (Datenquelle: BAG 2020b).

2.5 Nachweis des Nutzens der Laboratoriumsmedizin

Zukünftig ist – durchaus mit guten Gründen – mit vermehrten Überprüfungen (labor-)diagnostischer Massnahmen im Rahmen von HTAs zu rechnen. Die ersten Praxisbeispiele beim BAG und vor allem die langjährigen einschlägigen Erfahrungen internationaler HTA-Institute – beispielsweise in Australien, Kanada und England – verdeutlichen, dass damit weit höhere Evidenzanforderungen als noch in der jüngeren Vergangenheit üblich einhergehen werden.

Was auf der Ebene der Evaluation einzelner Tests gilt, trifft erst recht auf eine globale Bewertung des Nutzens der Laboratoriumsmedizin zu. Die bisherigen grossen gutachterlichen Berichte zum klinischen (patientenbezogenen) Nutzen sowie zum Nutzen aus der Public Health- und der volkswirtschaftlichen Perspektive beruhten deshalb zu wesentlichen Teilen auf systematisch erfassten Expertenmeinungen (vgl. bei Löffert und Damerau 2014; exemplarisch für Deutschland) und kursorischen Fallbeispielen (vgl. bei The Lewin Group 2005, 2008, 2009, 2010; Beispiele aus den Vereinigten Staaten) oder – die Schweiz betreffend – einer rein auf die wirtschaftlichen Aspekte bezogenen Betrachtung auf der Basis einer strukturierten Befragung Schweizer Privat- und Spitallabore (vgl. Reuschling et al. 2020).

Mit der vorliegenden Arbeit wird deshalb der Versuch unternommen, anhand von Labortests, die bei der Bekämpfung der grössten Verursacher der Krankheitslast der Schweizer Bevölkerung zum Einsatz kommen, den patientenrelevanten und den Public Health-bezogenen Nutzen der Laboratoriumsmedizin nicht nur zu illustrieren, sondern in wissenschaftlich transparenter Weise zu dokumentieren und – in den durch den limitierten Umfang der Arbeit gesetzten Grenzen – in den jeweiligen klinischen Kontext einzuordnen.