Die Praktik der Atemarbeit beruht wesentlich auf der Interaktion zwischen den Atemlehrer*innen und den Klient*innen. Die Atemarbeit erweist sich in diesem Sinne als ein arbeitsteiliger Prozess, an dem sowohl die Atemlehrer*innen als auch die Klient*innen koproduktiv beteiligt sind. Dabei ist einerseits festzustellen, dass die sprachlichen Erklärungen und Instruktionen der Atemlehrer*innen wesentlich für die Kultivierung spezifischer Formen leiblichen Zur-Welt-Seins sind. Andererseits wird aber ebenso deutlich, dass die Atemarbeit in verschiedenerlei Hinsicht an den Rändern des Kommunikativen (und des Kommunizierbaren) operiert. Wie, so lässt sich vor diesem Hintergrund fragen, ist die Interaktionsordnung der Atemarbeit ‚gebaut‘? Und wie hängen symbolisch-performative und leiblich-individuell erfahrbare Dimensionen des Tuns zusammen?

Ich gehe bei der Beantwortung dieser Fragen folgendermaßen vor: In einem ersten Schritt zeige ich – das Thema des vorangehenden Kapitels fortführend und vertiefend –, wie den Klient*innen die praktischen und normativen Anforderungen der Atemarbeit zunächst sprachlich vermittelt werden (6.1). Deutlich wird hierbei: Die Atemarbeit zielt auf eine auf Dauer gestellte und nach ‚innen‘ gerichtete Form des Wahrnehmens. Im nächsten Abschnitt (6.2) beschäftige ich mich mit den Besonderheiten atemarbeitsspezifischer Interaktion. Hierbei sind drei Charakteristika bzw. Einschränkungen auszumachen: Die Atemarbeit verfährt erstens in kommunikativer Hinsicht primär unidirektional. Das heißt, die Atemlehrer*innen geben Anweisungen, die Klient*innen versuchen, diese umzusetzen. Die Atemarbeit stellt zweitens eine vergleichsweise schweigsame und bewegungsarme Praktik dar. Schließlich besteht drittens – und dies erweist sich für ein Verständnis der Atemarbeit als wesentlich – die zentrale klient*innenseitige Herausforderung vor allem darin, die sprachlichen Instruktionen in deren leibliche Praxis zu übersetzen. Der letzte Abschnitt (6.3) widmet sich ausführlich diesen Schnittstellen zwischen Sprache und Leiblichkeit. Er geht der Frage nach, wie diese beschaffen sein können und welche praktischen Implikationen sich daraus für das Tun der Klient*innen ergeben.

1 Die Atemarbeit als ‚innere‘ Aufmerksamkeitsschule

Eine zentrale Rolle bei der interaktiven Ausgestaltung von Sitzungen nehmen die Atemlehrer*innen ein. Grundsätzlich lässt sich sagen: Atemarbeit als Dienstleistungsangebot zeichnet sich dadurch aus, dass sie angeleitet stattfindet. Dies geschieht nicht nur im Hinblick darauf, dass die Klient*innen während der Phase des eigentlichen Atmens konkrete Instruktionen von den Atemlehrer*innen bzw. -therapeut*innen erhalten. Ebenso sind es die Atemlehrer*innen, die die Sitzungen zeitlich managen und dirigieren. Sie sind es demgemäß, die die praktischen und normativen Anforderungen kommunizieren, die das Tun der Klient*innen wesentlich regulieren. Die Atemlehrer*innen fungieren als dramaturgische Erlebnisexpert*innen, und zwar insofern, als die Klient*innen ihnen eine derartige Zuständigkeit und Kompetenz – in Form der entsprechenden Gestaltungsautorität – in situ auch zugestehen (vgl. Grundmann 2017; Pfadenhauer 2010). Praktisch betrachtet setzt dies voraus, dass man den Anweisungen der Atemlehrer*innen Folge leistet und das eigene Tun daran orientiert. Es bedarf dementsprechend einerseits eines grundsätzlichen Vertrauens in das Tun der Atemlehrer*innen, zugleich muss man die von ihnen situativ ausgestaltete „Wirklichkeitsordnung“ (Berger/Luckmann 2007 [1966]: 24) als eine legitime anerkennen. Wenn man, so Goffman (2001: 67), „die Konventionen und Normen als gegeben akzeptiert (und die eigenen Handlungen daran ausrichtet), dann stellt man faktisch das Vertrauen in diese Ordnung über sich selbst. Würde man das nicht tun“, so Goffman (ebd.) weiter, „könnte man schwerlich die anstehenden Aufgaben bewältigen, denn man hätte einfach kaum anstehende Aufgaben“.

Generell gilt jedoch, dass die Atemlehrer*innen (in den von mir beobachteten Einzelsitzungen) den konkreten Sitzungsablauf nicht einfach diktieren. In vielen Situationen sind interaktive Abstimmungen zwischen den Klient*innen und den Atemlehrer*innen zu beobachten. Zeitmanagement bedeutet dementsprechend auch Kommunikationsmanagement. Um lediglich ein Beispiel zu nennen: So gibt etwa die Klientin im Vorgespräch zu erkennen, dass ihre Narration zu Ende ist oder zumindest zu Ende gehen könnte. Der Atemtherapeut ergreift die Chance und leitet kommunikativ zur Phase des eigentlichen Atmens über: „Okay gut. Na gut, dann lassen wir uns überraschen“ (VA-2) – was gleichzeitig auch der Hinweis dafür ist, dass man sich nun von der Couch erheben und sich zur Matratze begeben kann bzw. soll, was der Atemtherapeut kommunikativ unterstreicht, indem er sich selbst von seinem Lehnstuhl erhebt.

Dies leitet unmittelbar zu der Frage über, welche zeitlichen Phasen in Atemtherapie-Einzelsitzungen idealtypisch unterschieden werden können. Es lässt sich folgende Struktur ausmachen: Es findet 1.) eine Begrüßung statt (in meinem Fall in Form eines Handschlags); man macht 2.) gegebenenfalls ein wenig Smalltalk; der Atemtherapeut schlägt vor, Platz zu nehmen und unterbreitet ein Erzählangebot: Es kommt 3.) zum Vorgespräch; die beiden Gesprächspartner*innen beenden das Gespräch und der Atemtherapeut leitet 4.) zum eigentlichen Atmen über; es folgt 5.) ein Nachgespräch, in dem entweder das Erlebte thematisiert und/oder auf spezifische „Themen“ eingegangen wird, die entweder bereits im Vorgespräch eine Rolle gespielt haben oder die während der Sitzung „aufgetaucht“ sind; die Sitzung endet 6.) (oftmals) mit einer Terminvereinbarung (außer, man hat etwa seinen Kalender nicht dabei, dann kann dies telefonisch oder per E-Mail nachgeholt werden), 7.) der Bezahlung und schließlich 8.) der Verabschiedung (siehe Abb. 6.1).Footnote 1

Abb. 6.1
figure 1

Idealtypischer Ablauf von Atemtherapie-Einzelsitzungen

Ich fokussiere in den folgenden Kapiteln nicht auf den gesamten Ablauf der Sitzungen, sondern auf das ‚Herzstück‘ der Atemarbeit, die Phase des eigentlichen Atmens. Meine grundlegende Fragestellung in diesem Kapitel lautet: Wie werden Atem-Erfahrungen interaktiv hergestellt?Footnote 2 Diese Frage ist nicht nur von soziologischer, sondern auch von praktischer Relevanz für die Teilnehmer*innen. Denn insbesondere Novizi*innen finden sich in einer Situation wieder, in der sie einer Orientierung bedürfen. Es geht nicht nur darum, kognitiv festzustellen, um welche spezifische Situation es sich hier handelt, sondern um die Frage, was konkret zu tun ist. Wie stellt sich die Interaktionssituation in einer Atemtherapie-Einzelsitzung aus der Klient*innen-Perspektive dar?

Wie in Abschnitt 5.3 gezeigt, wird die Phase des eigentlichen Atmens durch klient*innenseitige Einrichtungs- und gegebenenfalls auch Einstimmungspraktiken gerahmt bzw. vorbereitet. Danach ist in den Einzelsitzungen zumeist eine Art der ‚leiblichen Hinführung‘ zu beobachten, wie sie in ähnlicher Art und Weise beispielsweise auch aus der Achtsamkeitsmeditation bekannt ist.Footnote 3 Hierbei wird die Aufmerksamkeit langsam von den Füßen beginnend bis hin zum Kopf ‚durch den Körper‘ geführt. Sodann wird auf das Atmen selbst fokussiert. Die Phase des eigentlichen Atmens dauert bei eineinhalbstündigen Einzelsitzungen ungefähr 45 Minuten bis zu einer Stunde. Deren Ende wird von den Atemlehrer*innen sprachlich angezeigt. So wird man etwa dazu aufgefordert, sich „langsam die Zeit“ zu nehmen, „zurückzukommen“ (AS-5). Man kann sich also nicht beliebig lange von seinem Alltag distanzieren, sondern muss zu einem bestimmten Zeitpunkt zuerst das bewusste Atmen beenden und später dann irgendwann auch wieder die Praxisräumlichkeiten verlassen.

Wie stellt sich die Situation zu Beginn des eigentlichen Atmens dar? Setzt man zunächst lediglich deskriptiv an, dann hat man folgende Szene vor sich: Ich liege mit (noch) geöffneten Augen mit dem Rücken auf der Matratze. Manfred kniet auf einem Kissen sitzend direkt neben mir. Da es sich um meine erste Sitzung handelt, schildert Manfred, bevor es losgeht, die prinzipielle Vorgehensweise ausführlicher:

Manfred: Ja okay, als Erstes kannst du jetzt einfach einmal spüren, wie du da liegst (I: mhm), die Unterlage so bewusst wahrnehmen (I: ja). Das heißt, du bringst eben die Aufmerksamkeit (-- --) in den Körper hinein (-- -- -). Und natürlich werden immer wieder Gedanken auftauchen (I: mhm) und äh wenn du einfach merkst, dass du in Gedanken bist, dann bring einfach die Aufmerksamkeit wieder zurück auf den Atem in den Körper hinein (I: okay okay). Und am besten ist es einfach auch (-- --) sich dafür nicht irgendwie äh zu kritisieren. Das ist auch so eine (I: okay) Tendenz, nicht, da kriegt man die Anleitung „Geh mit der Aufmerksamkeit nach innen.“ (I: ja) und dann merkt man „Ah, meine Aufmerksamkeit ist nicht innen, sondern ist bei den Gedanken“ (I: ja), wo man sich dann dafür kritisiert (I: mhm mhm). Das ist ja schon wieder dann ein weiterer Gedanke (I: @ja genau@) ( )), sondern einfach sich vorstellen „Okay, ich denk einfach.“, ja, weil […] der Kopf produziert dauernd Gedanken (I: ja) und zieht damit die Aufmerksamkeit auf sich und das ist halt auch eine Angewohnheit (I: mhm) und (-- --), dass (es) einfach gut ist, drauf aufmerksam zu werden (I: ja) und dann die Aufmerksamkeit wieder in den Körper zurückzubringen. [AS-1]

Manfred macht in einem ersten Schritt grundlegend mit basalen praktischen Anforderungen der Atemarbeit vertraut. Dass es sich dabei nicht bereits um Instruktionen im engeren Sinne, sondern vielmehr um Ex-ante-Erklärungen handelt bzw. seine Äußerungen von mir entsprechend interpretiert werden, wird unter anderem auch daran erkennbar, dass ich in der Situation meine Augen noch geöffnet habe: Ich blicke Manfred an, folge seinen Äußerungen aktiv, indem ich bisweilen – Zustimmung und Verständnis kommunizierend – nicke. An dieser Stelle versuche ich also noch gar nicht meine „Aufmerksamkeit in den Körper hinein[zubringen]“, wie Manfred formuliert. Die zentrale Anschlussaktivität besteht im aktiven Zuhören. Was hat es nun konkret mit Manfreds Erklärung auf sich?

Die praktische Funktion derartiger Erklärungen besteht darin, den Klient*innen eine grobe Orientierung über die grundlegenden und normativ erwünschten Klient*innen-Verhaltensrepertoires in der Atemarbeit zu bieten – sozusagen eine kurze Einführung darüber, wie man ‚richtig‘ an der Praktik der Atemarbeit partizipiert und zum (mehr oder minder) kompetenten Teilnehmer wird (zur Frage der Kompetenz-Produktion siehe 7.2). Für die soziologische Analyse bieten solche Erklärungen wichtige Anhaltspunkte für ein Verständnis der sozialen Welt der Atemarbeit und ihrer praktischen und normativen Ordnung(en). Zum einen wird hier bereits ersichtlich: Das Atmen der Atemarbeit besteht – anders als zumeist im Alltag – nicht bloß darin, das Atmen bloß geschehen zu lassen. Zum anderen zeigt sich hier, dass sich die Dinge weder von selbst verstehen, noch vollzieht sich die Atemarbeit kommunikativ-selbstexplikativ, also so, dass man durch Vorzeigen demonstrieren könnte, wie ‚richtiges‘ Atmen in der Atemarbeit funktioniert (vgl. Schindler 2011). Es bedarf vielmehr einer sprachlichen Meta-Praktik, die das, was in der Folge geschehen soll, zum Gegenstand hat. Was lässt sich inhaltlich dazu sagen? Welche normativ erwünschten Verhaltensrepertoires werden von Manfred in seiner Erklärung nahegelegt und wie beschreibt er diese?

In Manfreds Erklärungen wird deutlich, dass das grundlegende Verhaltensrepertoire der Atemarbeit auf Praktiken des Wahrnehmens basiert („einfach einmal spüren“, „bewusst wahrnehmen“, „Aufmerksamkeit“). Als gerichtet können diese Formen des Wahrnehmens charakterisiert werden, da Wahrnehmungsobjekte benannt werden, die alles andere als beliebig sind: man selbst auf der Matratze („spüren, wie du da liegst, die Unterlage so bewusst wahrnehmen“), der eigene Körper („in den Körper hinein“) und der „Atem“. Kommunikativ unterstrichen wird die Spezifik der geforderten Wahrnehmungsselektivität durch die Nennung unerwünschter Wahrnehmungsobjekte, nämlich „Gedanken“. Soll heißen: Nicht alles, was man in der Situation wahrnehmen kann oder könnte, ist vor dem Hintergrund der praktischen und normativen Organisation der Atemarbeit eine willkommene Wahrnehmung. Dies wird auch daran deutlich, dass Manfred das nicht-intendierte Auftreten („auftauchen“) von Gedanken nicht nur antizipiert, es wird auch als praktisches Problem kommuniziert, das einer Bewältigung bedarf (vgl. auch Eisenmann/Oberzaucher 2019: 35 ff. am Beispiel meditativer Praktiken). Die nahegelegte Bewältigungsstrategie ist die einer Refokussierung, mittels derer der ‚Normalzustand‘ der Atemarbeit wiederhergestellt werden soll: „bring einfach die Aufmerksamkeit wieder zurück“. Da im Falle des Auftretens unerwünschter Aufmerksamkeitsobjekte die Aufmerksamkeit immer zurückgebracht werden (bzw. man im besten Falle gar nicht erst abgelenkt werden) soll, erscheint die Praktik der Atemarbeit nicht nur als eine Praktik gerichteten Wahrnehmens, sondern auch als eine Praktik beständigen fokussierten Wahrnehmens (vgl. auch Ehrensperger 2020: 169 ff.).

Das Auftreten von Gedanken kann – so eine weitere kommunikative Antizipation Manfreds – allerdings Folgeprobleme heraufbeschwören: evaluative Meta-Gedanken, also Bewertungen des eigenen Tuns („wo man sich dann dafür kritisiert. Das ist ja schon wieder dann ein weiterer Gedanke“). Auch diese bedürfen der handlungspraktischen Bewältigung, nämlich der Etablierung einer Haltung, die man als evaluative Indifferenz bezeichnen kann. Gelingt es, eine solche Haltung einzunehmen, dann erscheinen auftretende Gedanken, so die Implikation von Manfreds Darstellung, eben nicht mehr als Probleme, sondern ‚bloß‘ als Wahrnehmungsobjekte, die es zwar zu registrieren gilt, die aber in letzter Konsequenz lediglich einen Anlass dafür darstellen, zu re-fokussieren („und dann die Aufmerksamkeit wieder in den Körper zurückbringen“), das heißt, die gewünschte Form des gerichteten Wahrnehmens wiederherzustellen.Footnote 4

Was lässt sich aus den Erklärungen Manfreds folgern? Zum einen kann man feststellen, dass die oben geschilderte, durch das soziomaterielle Arrangement der Atemarbeit (mit-)ermöglichte Etablierung eines engen und stabilen Wahrnehmungsraums im Tun der Klient*innen gleichsam seine praktische Fortsetzung finden soll: Der zu erbringende Anteil der Herstellung eines solchen Wahrnehmungsraums, die sich in einer leiblichen Selbstbezüglichkeit manifestiert, wird in der Erklärung Manfreds kommunikativ (stärker) auf den Klienten verlagert: Sie wird zur praktischen Aufgabe. Dies geschieht mittels einer personalen Attribution von Zuständigkeit für bestimmte Formen des Tuns (z. B. in Form einer Verbindung von Wenn-dann-Sätzen und Imperativ: „wenn du einfach merkst, dass du in Gedanken bist, dann bring einfach die Aufmerksamkeit wieder zurück auf den Atem“). ‚Klassisch‘ soziologisch könnte man sagen: Dem Klienten wird explizit eine bestimmte Rolle zugeschrieben, der wiederum bestimmte (erwünschte) Aktivitäten korrespondieren.

Mit der Attribution von Zuständigkeit wird zum anderen auch ein zentrales Charakteristikum der Atemarbeit (mit-)kommuniziert, das diese mit ähnlich gelagerten Erlebnisformaten, wie beispielsweise meditativen Praktiken (vgl. ebd.; Pagis 2009, 2010), gemein hat: Es geht, so lässt sich mit Hahn (2010: 68) argumentieren, um die Kultivierung einer „Kompetenz zu Sonderaufmerksamkeiten“ oder wie man mit Fleck (1983a [1935]: 61) formulieren kann: um eine „gerichtete Bereitschaft zu gewissen Wahrnehmungen“. Allerdings: Wenn man davon ausgeht, dass unterschiedliche soziale Welten sich mit bestimmten Dingen beschäftigen, dann ist die Tatsache, dass die Atemarbeit über spezifische, erwünschte Aufmerksamkeitsobjekte verfügt, noch nicht per se charakteristisch für sie. So hält auch Markus Schroer (2014: 200; Hervorh. A.A.) fest: „In jedem sozialen Feld gilt die Aufmerksamkeit nicht beliebigen, sondern ganz bestimmten Ereignissen“. Es stellt sich also die Frage, was Sonderaufmerksamkeit im Falle der Atemarbeit genau meint.

Zwei Dinge sind für eine nähere Bestimmung relevant: Erstens sind die Aufmerksamkeitsobjekte der Atemarbeit insofern relativ spezifisch, als sie vergleichsweise unwahrscheinliche, in gewissem Sinne nicht-alltägliche Objekte der Wahrnehmung darstellen. Um hier an die Ethnosemantik des Feldes anzuschließen: Eine in der Atemarbeit hergestellte und kultivierte ‚Innen‘-Orientierung („in den Körper hinein“) ist, vor allem im Hinblick auf die hier eingeforderte Dauer und Kontinuität der Zuwendung, gewiss nur unter bestimmten Umständen – etwa bei Vorhandensein entsprechender zeitlicher und räumlicher Ressourcen – möglich. Es geht hier also weniger darum, dass unterschiedliche soziale Welten auf jeweils spezifische Wahrnehmungsobjekte fokussieren, sondern vielmehr darum, welcher Typus von Wahrnehmungsobjekten, nämlich ‚innere‘ Objekte, in den Fokus der Aufmerksamkeit gerät. Zweitens spielen die eben erwähnte Dauer und Kontinuität der Zuwendung eine bedeutende Rolle. Das heißt: Es geht nicht nur darum, etwas Bestimmtes wahrnehmbar zu machen, sondern ganz wesentlich auch darum, wie dies gemacht wird. Es ist die Kombination aus beidem – die Etablierung einer auf Dauer gestellten und damit auch möglichst störungsfreien, nach ‚innen‘ gerichteten Form des Wahrnehmens –, die hier als praktische und normative Anforderung kommuniziert wird, eine kontinuierliche „hyperawareness of the body“ (Pagis 2009: 265).

Potenziell problematisch sind, so Manfreds Darstellung, nicht die Wahrnehmungsobjekte, die in seinen Äußerungen als gegeben vorausgesetzt werden (sie werden nicht problematisiert), sondern der Prozess des Wahrnehmens dieser Objekte. Soll heißen: So wie Schulen für Erstklässler*innen (anfangs) die „Funktion von Aufmerksamkeitsschulen“ (Bergmann 2013: 291) haben, bevor kognitive Inhalte vermittelt werden können, scheint auch die Atemarbeit eine Aufmerksamkeitsschule zu sein, in der eine spezifische Form einer selbstbezüglichen „Fokussierungsfähigkeit“ (ebd.) gefragt ist. Im folgenden Abschnitt beschäftige ich mich mit der Frage, wie dies in der Atemarbeit interaktiv umgesetzt wird.

2 Die Interaktionsordnung der Atemarbeit

Interpretiert man das Erlebnisformat der Atemarbeit konsequent aus der Perspektive einer Soziologie der Praktiken, dann stehen die beteiligten Entitäten (Teilnehmer*innen, Dinge etc.) in verschiedenerlei Verbindung zueinander. Die Bedeutung architektonischer und materieller Infrastrukturen als wesentliche Bedingungen für die Erzeugung von Alltagstranszendenz und die Produktion eines erlebbaren Hier und Jetzt habe ich bereits skizziert. Als zentral – vor allem in der Phase des eigentlichen Atmens – erweist sich zudem die Interaktion zwischen den Atemlehrer*innen bzw. -therapeut*innen und den Klient*innen. Neben dem bereits genannten Aspekt, dass es die Atemlehrer*innen sind, die die Sitzungen dirigieren und die Klient*innen instruieren, lässt sich überdies feststellen, dass es sich um einen spezifischen Interaktionstypus handelt.

Sowohl von gegenstandsspezifischem als auch analytischem Interesse ist hierbei, dass sich die Art und Weise, wie die Atemlehrer*innen und die Klient*innen in der Phase des eigentlichen Atmens miteinander interagieren, vom ‚Standard‘-Typus (sprachlicher) Kommunikation, wie er beispielsweise im Rahmen der Ethnomethodologie und insbesondere der Konversationsanalyse untersucht und theoretisch modelliert wird (vgl. Bergmann 1988; Schegloff 2012), radikal unterscheidet: Die Atemarbeit irritiert die Vorstellung von Interaktionen und situativer Ordnungsbildung, die darauf aufbaut, dass die Beteiligten ihr Tun für andere fortlaufend – sprachlich und/oder mittels körperlicher Darstellungen – performativ erkenn- und verstehbar machen und die jeweilige Anschlussaktivität wiederum darüber Aufschluss gibt, wie die vorangegangene Aktivität interpretiert wurde, was wiederum eine entsprechende Anschlussaktivität nach sich zieht und so weiter. Eine solche, sich sequenziell vollziehende und reziprok organisierte conversation of gestures (Mead) – das heißt: gegenseitige Abstimmung über die Zeit hinweg – liegt bei der Atemarbeit nur bedingt vor.

Drei Einschränkungen bzw. Besonderheiten sind dabei hervorzuheben; zusammengenommen erlauben sie es, die für die Atemarbeit typische Interaktionsordnung (Goffman 2001) während der Phase des eigentlichen Atmens genauer zu bestimmen: (a) Die sprachliche Kommunikation erfolgt zu einem Großteil unidirektional und damit nicht-reziprok. (b) Die Praktik der Atemarbeit operiert vergleichsweise schweigsam und hochgradig bewegungsarm. Die Anschlussaktivitäten fallen dementsprechend sozusagen wenig kommunikativ aus. (c) Aus der Perspektive der Klient*innen betrachtet, stellt sich die praktische Herausforderung darin, die verbalen Instruktionen ins Medium leiblicher Praxis zu übersetzen. In theoretischer Hinsicht bedeutet dies: Die Atemarbeit operiert somit wesentlich an den Übergängen zwischen symbolisch-performativen und affektiv-sinnlichen Verhaltensdimensionen – man könnte auch sagen: an den Schnittstellen zwischen öffentlichem und implizitem Sinn (siehe auch 2.1.2 sowie 2.3.2).

(a) Unidirektionale Kommunikation

Obwohl es sich bei der Atemarbeit um eine Praktik handelt, die insbesondere darauf zielt, spezifische Formen leiblicher Selbst- und Welterfahrung herzustellen, erweist sich die Berücksichtigung symbolischer Dimensionen des Tuns (siehe 2.3.3) als zentral für ein Verständnis des praktischen Vollzugsgeschehens. Insofern die Atemlehrer*innen die Klient*innen vorrangig verbal instruieren, ist Sprache – sieht man von gelegentlichen Berührungen ab – das zentrale kommunikative Mittel der Interaktion mit den Klient*innen. Allerdings: Obwohl die Atemarbeit auch in der Phase des eigentlichen Atmens keine stumme Praktik ist, operiert sie bisweilen recht schweigsam. Die Atemlehrer*innen leiten das Tun der Klient*innen zwar verbal an, aber die Klient*innen selbst melden sich – im Vergleich dazu – eher selten zu Wort (wenn sie dies tun, schließen sie in den meisten Fällen auch nicht unmittelbar an die sprachlichen Äußerungen der Atemlehrer*innen an; zur Schweigsamkeit vgl. auch Boldt 2020).

In meiner ersten Atemsitzung wurde die Frage danach, ob und unter welchen Bedingungen man in der Phase des eigentlichen Atmens „was sagen“ soll, auf Nachfrage meinerseits explizit von Manfred erörtert:

Ich: […] Und wenn, also, dazwischen, sollte irgendwas sein, soll ich […] was sagen, wenn ich ( )

Manfred: Du kannst immer auch äh aussprechen, was was dir wichtig wäre. So wenn du das Gefühl hast, da ist jetzt irgendetwas […], was gut wäre, wenn ich das weiß (I: okay okay) oder (I: mhm) wenn was einfach gut wäre was für dich, dass du=s aussprichst. […] Machmal kann=s auch sein, „Aha, da ist jetzt sowas Wichtiges, das möchte ich mir merken“ ( ), dann (I: aha okay) kann man=s auch aussprechen und dann (ist es) ja. […] Und es kann auch sein, dass ich zwischendurch einfach einmal frag (I: ja ( )) und du kannst aber dann entscheiden, ob du überhaupt antworten willst. Also das (I: okay) kann einfach so sein, dass dass du das Gefühl hast, du bist jetzt tiefer in dir drinnen und da ist überhaupt kein Impuls jetzt (I: mhm) was zu sagen. […] Dann ist eher dem besser dem zu vertrauen. [AS-1]

Soziologisch interpretiert, betreffen Manfreds Erläuterungen die Frage der normativen Organisation der Atemarbeit. Interessant ist hierbei: Ob man sich verbal an den Atemtherapeuten wenden soll, wird in Manfreds Darstellung konsequent individualisiert. Er verweist ausschließlich auf individuelle Kriterien, anhand derer der Klient selbst darüber befinden soll. So ist etwa von „Gefühl“ oder von „Impuls“, von „was dir wichtig wäre“ und „wenn es einfach gut wäre für dich“ die Rede. Machen soll der Klient also genau das, was sich in der Situation ‚richtig‘, ‚stimmig‘, ‚passend‘ für ihn anfühlt. Sprachliche Mitteilungen sind dann gefragt, wenn ein Bedürfnis danach besteht. Besonders deutlich wird eine derartige Individualisierung, wenn man sich vor Augen führt, dass selbst basale Reziprozitätsnormen explizit außer Kraft gesetzt werden: Nicht einmal eine an den Klienten gerichtete Frage verlangt in der Phase des eigentlichen Atmens nach einer Antwort („du kannst aber dann entscheiden, ob du überhaupt antworten willst“; siehe für den alltäglichen ‚Normalfall‘ der Paarsequenz bestehend aus Frage und Antwort aus konversationsanalytischer Perspektive Eberle 1997: 252 f. sowie Schegloff 2012: 249 ff.). Deutlich wird hier wiederum auch: Das gefühlte Hier und Jetzt wird kommunikativ aufgewertet. Man solle sich weniger an dem orientieren, was gemeinhin – und zwar weitgehend situationsunabhängig – als normativ angemessen erscheint, sondern einzig und allein daran, was sich situativ richtig anfühlt.

Wie stellen sich die Verbalisierungen im Rahmen der Atemsitzungen dar? Um lediglich einen groben Überblick zu geben: Während meiner Atemsitzungen habe ich nur ein einziges Mal – dem Reziprozitätsmodell von Interaktion entsprechend – direkt an Manfreds verbale Äußerungen angeschlossen, nämlich bei einer Nachfrage, wie eine Instruktion zu verstehen sei. In allen anderen Fällen waren nicht Manfreds Aussagen der Gegenstand meiner verbalen Äußerungen. Vielmehr habe ich eigeninitiativ – das heißt, ohne dass eine kommunikative Äußerung an mich gerichtet worden wäre – auf mein eigenes Tun referenziert und über dieses berichtet; beispielsweise, um Manfred über Schwierigkeiten in Kenntnis zu setzen, die mir die praktische Umsetzung der Instruktionen bereiteten (so etwa, wenn es mir nicht gelungen ist, einen kontinuierlichen Aufmerksamkeitsfokus zu etablieren).Footnote 5 Dabei war bisweilen zu beobachten, dass Manfred meine Verbalisierungen aufgegriffen hat und unmittelbar mit entsprechend zugeschnittenen Instruktionen (etwa in Form von Hilfestellungen, um Probleme bewältigen zu können) darauf reagiert hat.

Zusammenfassend kann man sagen: Instruktionen werden – sozusagen im Idealfall – stillschweigend umgesetzt und wenn die Klient*in sprechen, ist dies zumeist keine Reaktion auf vorangegangene Äußerungen der Atemlehrer*innen. Aus den verbalen Äußerungen der Klient*innen folgt kein bzw. nur in Ausnahmefällen ein sprachlicher Austausch, sondern neue Instruktionen, die wiederum einer praktischen Umsetzung bedürfen. Die sprachliche Kommunikation verfährt (weitgehend) unidirektional. Die Ausgestaltung der Redebeiträge orientiert sich in diesem Sinne wesentlich am Telos der Atemarbeit: der Herstellung eines leiblichen Selbstbezugs. Die Interaktionsordnung ist so ‚gebaut‘, um dieses Ziel bestmöglich erreichen zu können.

(b) Schweigsamkeit und Bewegungsarmut

Trotz der Bedeutung und praktischen Relevanz der verbalen Instruktionen (ohne sie keine Atem-Sitzungen) erweist sich die Atemarbeit allerdings nicht nur als eine vergleichsweise schweigsame Praktik, weil sich die Klient*innen während der Phase des eigentlichen Atmens wenig einbringen, sondern vielmehr mit der Umsetzung der Instruktionen beschäftigt sind. Auch die sprachliche Praxis der Atemlehrer*innen enthält jede Menge Schweigephasen. So sind zwar die Instruktionen zu Beginn der Sitzungen, die zumeist aus der oben schon erwähnten leiblichen Hinführung bestehen, noch vergleichsweise dicht, doch auch sie zeichnen sich bereits durch viele und zum Teil auch vergleichsweise lange Pausen von bis zu 53 Sekunden aus.Footnote 6 Um dies zu verdeutlichen, präsentiere ich in der Folge ein empirisches Beispiel vom Beginn der Phase des eigentlichen Atmens, in der Manfred meine Aufmerksamkeit ‚durch den Körper führt‘. Ich empfehle den Leser*innen, die Pausen (-- entspricht einer Sekunde) nicht zu übergehen, sondern die Sekunden beim Lesen mitzuzählen:

Manfred: Ja, nimm einfach deinen Körper wahr, das ist quasi immer (--) das erste so wieder (-- --), von innen her Kontakt aufnehmen. (-- --) Dass du spürst, wie die Beine da liegen und sie wirklich (--) so als würdest du sie auch (--) von innen her spüren oder als würdest du dich als (--) Bein spüren. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --). Und auch so den Beckenbereich bewusst wahrnehmen, auf der Unterlage liegend, sich der Unterlage anvertrauend (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --). Genau, ( ) ja (-- -- --) bis=du auch deinen unteren und oberen Rücken bis hinauf zu den Schultern spüren kannst (-- -- --), sich der ganze Bereich sich jetzt auch ein Stück entspannen darf (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --). Schultern, dann die Arme und Hände (-- --) jetzt auch einfach entspannen dürfen. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --) Und jetzt kannst du ganz mit der Aufmerksamkeit in den Kopf gehen, sodass du dir vorstellst, als würde sich das (-- --) ganze Gewicht des Kopfes tiefer in den Polster hineinsenken (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --) Und gleichzeitig kannst du dir vorstellen, dass sich das Gehirn entspannt vor allem vielleicht im Stirnbereich (-- --), der sich vielleicht noch aktiv anfühlen wird, und sich das auch mehr und mehr beruhigt (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --). So als würde sich der Kopf leeren. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --) Und auch die Augen dürfen sich ganz entspannen (-- --), so als würden sie ein Stück tiefer in den Augengrund sinken (-- --) und (--) sich nach innen wenden. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --) Und jetzt kannst du ganz mit der Aufmerksamkeit zum Atem gehen (-- -- --), auch spüren wie der Atem einströmt und ausströmt (-- -- -- --) [ES-5]

Während die Ex ante-Erklärungen noch vergleichsweise rasch vorgetragen werden und die Pausen gering und kurz sind (siehe oben), ändert sich Manfreds Kommunikationsstil bei den eigentlichen Instruktionen: Die Pausen werden länger und das Sprechen wird vor allem auch bedeutend ruhiger und bedächtiger. Deutlich wird hier, dass Manfred das Geschehen in zeitlicher Hinsicht aktiv steuert (vgl. auch Eisenmann/Oberzaucher 2019: 35). Dies hat zwei praktische Implikationen: Zum einen wird den Klient*innen (nicht wenig) Zeit dafür eingeräumt, die Instruktionen umzusetzen. Bis zur nächsten Instruktion hat man gewissermaßen sonst nichts zu tun, als zu versuchen, die aktuelle zu realisieren und man tut dies (sofern man seine Praxis konsequent an den Instruktionen orientiert) auch so lange, bis die Atemlehrer*innen eine neue Instruktion formulieren. Zum anderen wird das Tun der Klient*innen – im Vergleich zu alltäglichen Interaktionssituationen – durch die langen Pausen und das ruhige Sprechen verlangsamt. Man könnte auch sagen: Manfred regt performativ zu einem Zur-Ruhe-Kommen an. Die relativ stark ausgeprägte Schweigsamkeit intensiviert sich im Fortgang der Sitzungen. Die Atemlehrer*innen nehmen sich (auch im Falle der Atemschule) immer mehr zurück, die sprachlichen Instruktionen werden weniger. So kommt es mitunter vor, dass bis zu 20 Minuten gar keine verbale Äußerung der Atemlehrer*innen zu vernehmen ist. Die Klient*innen werden sich selbst überlassen und darüber hinaus wird auch ihre auditive Aufmerksamkeit nicht mehr beansprucht. Sie sind im Idealfall mit sich selbst beschäftigt.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Dieses Mit-sich-selbst-Beschäftigt-Sein ist im Falle der von mir beobachteten Einzelsitzungen und in der Atemschule kein sonderlich expressiver Akt. Nicht nur die auditiven Anteile des Tuns werden nach und nach stark verringert, auch die visuellen (An-)Zeichen sind auf ein Minimum reduziert. Die Anschlussaktivitäten der Klient*innen vollziehen sich in performativer Hinsicht wenig signifikant. Sie sind in hohem Maße ausdrucks- und bewegungsarm. Betrachtet man die Videoaufnahmen, so sieht man auf Matratzen liegende, weitgehend regungslose Körper, deren auffälligste ‚kommunikative‘ Äußerungen darin bestehen, dass sich deren Brustkorb – wohl stärker als in Alltagssituationen – hebt und senkt und die auch nur in sehr geringem Ausmaß Laute von sich geben (etwa jene, die durch die durch das intensivierte Ein- und Ausatmen entstehen).Footnote 7 So halten auch Clemens Eisenmann und Frank Oberzaucher (2019: 35) am Beispiel instruierter Gruppenmeditationen fest, dass „der eigene stille Vollzug an die Stelle einer möglichen Turn-Übernahme tritt“. Gemäß dem Telos der Atemarbeit, eine leibliche Selbstbezüglichkeit zu etablieren, lässt sich folglich konstatieren: Primär handlungspraktisch relevant ist für die Teilnehmer*innen atemtherapeutischer Praktiken nicht die performative Produktion körperlicher Darstellungen, die von anderen ko-präsenten Anwesenden hinsichtlich ihrer kommunikativen Anteile gedeutet werden könnten, sondern bestimmte Formen affektiven Erfahrens. Der Körper der Klient*innen fungiert nur in einem sehr eingeschränkten Sinne als Kommunikationsmedium, er ist primär ‚Instrument‘ des Erlebens.

(c) Leibliches Übersetzen

Anhand der Instruktionen wird deutlich, dass es in der Atemarbeit freilich nicht darum geht, sich irgendwie sich selbst zuzuwenden. Die Anleitungen der Atemlehrer*innen stellen vielmehr, einen kommunikativen Rahmen dafür bereit, um spezifische Formen leiblichen Zur-Welt-Seins zu etablieren. Die zentrale handlungspraktische Anforderung an die Klient*innen besteht dementsprechend darin, die Instruktionen praktisch umzusetzen. Sie müssen leiblich an das Gesagte ‚andocken‘. Als praktische Voraussetzungen für die Herstellung präsentischer Selbstbezüge fungieren im Kontext der Atemarbeit dementsprechend neben den gekonnten und (im Idealfall) ‚treffenden‘ Anleitungen der Therapeut*innen Fertigkeiten bzw. Gewohnheiten auf Klient*innenseite, die es erlauben, mehr oder minder abstrakte symbolische Inhalte leiblich in die Praxis zu übersetzen (vgl. Renn 2004). Die Atemarbeit operiert damit, wie ich in der Folge ausführlicher zeigen werde, ganz wesentlich an den Schnittstellen zwischen symbolisch-performativen Dimensionen der Praktik einerseits (den verbalen Instruktionen der Atemlehrer*innen) und affektiv-sinnlichen andererseits (der Herstellung einer leiblichen Selbstbezüglichkeit auf Seite der Klient*innen).

Wichtig ist vor diesem Hintergrund, dass damit auch Prozesse (klient*innenseitiger) Sinnkonstitution an den Übergängen vom Abstrakten zum Konkreten angesiedelt sind. Während zwar für Außenstehende kaum erkennbar wird, wie die Klient*innen im Detail anschließen, so wird doch die Bedeutung dessen, was gesagt wird, erst in der Anschlussaktivität der Klient*innen erzeugt. Übersetzen bedeutet in diesem Sinne also immer auch, (neue) Bedeutungen zu generieren. Pragmatistisch informiert lässt sich sagen: Die Bedeutung des Gesagten ist diesem nicht immanent, sondern sie ist von den Konsequenzen her zu bestimmen, das heißt abhängig von den erfahrbaren Effekten, die das Gesagte ermöglicht, evoziert usw. (vgl. Dewey 2007 [1925]: 181, 186, 258). Die Bedeutung der Instruktionen wird in gewissem Sinne im praktischen Gebrauch des Gesagten bestimmt (vgl. Crossley 2001: 41 ff.). Öffentlicher und impliziter Sinn, das Gesagte und die daran anschließende praktische Umsetzung sind in der Praxis der Atemarbeit aufs Engste sequenziell miteinander verwoben (bzw. sollen dies im Idealfall sein) (vgl. auch Shilling 2018).

Bevor ich mich den Schnittstellen zwischen den Instruktionen und den Anschlussaktivitäten der Klient*innen empirisch zuwende, ist es wichtig, an dieser Stelle nochmals an die methodologischen Implikationen dieses Zusammenhangs von öffentlichen und impliziten Sinndimensionen zu erinnern: So kann zwar Eisenmann und Oberzaucher (2019: 34) zugestimmt werden, dass selbst „‚innerliche‘ Wahrnehmungen […] unter Bedingungen körperlicher Kopräsenz von den Beteiligten eingeübt, besprochen und wechselseitig anerkannt [werden] und somit der soziologischen Analyse durchaus zugänglich“ sind. Gleichwohl kann sich eine Soziologie leiblicher Praxis im hier verstandenen Sinne nicht darauf beschränken, Praktiken lediglich aus einer (technisch unterstützten) Draufsicht zu beobachten – etwa indem allein das Kommunizieren über das praktische Tun (z. B. in Form der Instruktionen oder der verbalen Rückmeldungen der Klient*innen) und die performativen Dimensionen des Geschehens (z. B. die ruhiggestellten Körper oder die Art und Weise, wie die Therapeut*innen sprechen) Berücksichtigung finden. Wenn affektiv-sinnliche Dimensionen als solche unberücksichtigt bleiben, werden sie soziologisch als Black Box behandelt: Das Wie der leiblichen Anschlussaktivitäten gerät nicht in den Blick (vgl. auch Csordas 1993. 140 f. sowie Antony 2017a, 2018; Müller 2017). Die Frage, der sich eine Soziologie leiblicher Praxis annehmen muss, ist folglich die, wie sich die Anschlussaktivitäten konkret ausgestalten, wie also praktische Bedeutungen an den Übergängen zwischen verbaler Instruktion und leiblichem Tun der Klient*innen generiert werden.

3 Atemarbeit an den Schnittstellen zwischen symbolischer Vermitteltheit und leiblichem Erfahren

Insofern die Praktik der Atemarbeit darauf zielt, spezifische Formen ge- und erlebter Körperlichkeit zu kultivieren, stellt sich im Folgenden also die Frage, wie mittels verbaler Instruktionen kommunizierte symbolische Inhalte mit den klient*innenseitigen Leibschemata zusammenhängen bzw. in welchem Verhältnis diese zueinanderstehen (können). Ich unterscheide vier verschiedene Typen von Anschlüssen: Ich wende mich zunächst (a) ausführlich solchen Anschlussaktivitäten zu, die aus meiner Teilnehmerperspektive als gelungen empfunden wurden. Diese zeichnen sich durch eine praktische Gewissheit im Sinne eines Gefühls des Anschließen-Könnens aus. Die Tatsache, dass es auch solche gibt, die nicht gelingen oder bei denen der Anschluss zumindest nicht gleichermaßen stabil ist, macht aber auch deutlich, dass die Herstellung einer leiblichen Selbstbezüglichkeit mitunter eine vergleichsweise fragile und störanfällige Angelegenheit sein kann. Ich erläutere in der Folge drei Formen nicht-gelingender bzw. weniger stabiler Verbindungen zwischen den verbalen Instruktionen und den leiblichen Anschlussaktivitäten: (b) jene, die gar nicht gelingen, weil entsprechende Leibschemata fehlen, (c) solche, bei denen zwar prinzipiell ein basales praktisches Verständnis gegeben ist, der praktische Vollzug aber durch sekundäre Probleme irritiert wird und damit die Umsetzung der Instruktionen zumindest temporär scheitert und schließlich (d) solche, bei denen die Anschlüsse spezifikationsbedürftig sind und sich im Modus eines praktischen Experimentierens vollziehen (Ad hoc-Anschlüsse).

(a) Gelungene Anschlüsse im Modus impliziten Wissens

Um gelungene Anschlussaktivitäten veranschaulichen und deren Operationsmodus analysieren zu können, greife ich hier abermals auf einen Ausschnitt der oben präsentierten Transkription zurück, die ich zum Zwecke der Demonstration des Zeitmanagements des Atemlehrers und der Schweigephasen bisher allerdings ohne die dazugehörigen Feldnotizen wiedergegeben habe. Will man den Zusammenhang zwischen Instruktionen und den Anschlussaktivitäten in den Blick nehmen, bedarf es beider Datentypen: der Transkription des Gesagten und der Verschriftlichung meiner Reaktionen auf das Gesagte. Ich fokussiere zuerst auf die Frage, in welcher Art und Weise Manfreds Instruktionen von mir verstanden werden, das heißt, welche praktischen Bedeutungen sie im Zuge meiner Anschlussaktivität erlangen. In der Folge zeige ich, dass es die praktische Verfügbarkeit ‚passender‘ Leibschemata ist, die es erlaubt, im Modus impliziten Wissens an Manfreds Instruktionen anzuschließen. Zu guter Letzt gehe ich darauf ein, wie sich Anschlüsse im Modus impliziten Wissens aus der Erfahrensperspektive des Klienten darstellen.

Manfred: Ja, nimm einfach deinen Körper wahr, das ist quasi immer (--) das erste so wieder (-- --), von innen her Kontakt aufnehmen. (-- --) Dass du spürst, wie die Beine da liegen und sie wirklich (--) so als würdest du sie auch (--) von innen her spüren oder als würdest du dich als (--) Bein spüren. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --). Und auch so den Beckenbereich bewusst wahrnehmen, auf der Unterlage liegend, sich der Unterlage anvertrauend (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --). Genau, ( ) ja (-- -- --) bis=du auch deinen unteren und oberen Rücken bis hinauf zu den Schultern spüren kannst (-- -- --), sich der ganze Bereich sich jetzt auch ein Stück entspannen darf (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --). Schultern, dann die Arme und Hände (-- --) jetzt auch einfach entspannen dürfen. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --) Und jetzt kannst du ganz mit der Aufmerksamkeit in den Kopf gehen, sodass du dir vorstellst, als würde sich das (-- --) ganze Gewicht des Kopfes tiefer in den Polster hineinsenken. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --)

Manfreds Rede vom Hineinsenken des Kopfes in die Matratze empfinde ich als hilfreich. Sein Hinweis unterstützt mich dabei, das Gesagte umzusetzen. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf die genannten Körperregionen und versuche, diese bzw. meinen ganzen Körper schwer zu machen und zu entspannen. Wie ich dies konkret mache, ist schwer in Worte zu fassen. Das Schwer-Machen entzieht sich weitgehend einer Beschreibung. Gleichwohl empfinde ich das Setzen der Aufmerksamkeitsfokusse als auch die Aufforderungen, zu entspannen und den Körper schwer werden zu lassen, in der Situation als unproblematisch. Ich kann das Gesagte intuitiv verstehen – obwohl Manfred die betreffenden Tätigkeiten nicht weiter spezifiziert. Er spricht Dinge an, die ich kann. Wichtig erscheint mir auch: Das Herstellen einer bewussten Aufmerksamkeit erlaubt es überhaupt erst, wahrnehmen zu können, ob eine Umsetzung gelingt. Gelänge es mir nicht, die Aufmerksamkeit zu fixieren, könnte ich auch nicht sagen, ob mein Körper schwer wird oder eben nicht, ob es mir gelingt, zu entspannen oder nicht. [ES-5]

An den Feldnotizen wird zunächst deutlich, dass Manfreds Instruktionen nicht nur insofern eine praktische Bedeutung für mein eigenes Tun zukommt, weil sie als Aufforderungen zu verstehen sind, bestimmte Dinge zu tun und das Gesagte umzusetzen. Die Instruktionen haben einen weiteren Effekt: Manfreds Formulierungen erscheinen mir überdies als praktisch hilfreich im Hinblick auf die Umsetzung der Instruktionen. Es werden – so stellt es sich hier aus der Perspektive des Klienten dar – nicht nur konkrete praktische Ziele formuliert und damit die Praxis des Klienten kommunikativ orientiert. Es wird darüber hinaus kommunikativ ein Rahmen geschaffen, der mich bei der Umsetzung der explizierten Ziele unterstützt. Manfreds Rede vom „Gewicht des Kopfes“, den man „tiefer in den Polster hineinsenken“ solle, empfinde ich als Adressat somit in einem doppelten Sinne als instruktiv: Mir wird kommuniziert, was zu tun ist, zugleich gibt die Art und Weise, wie die Instruktionen formuliert werden, auch praktische Hilfestellungen. Sie sind also nicht nur in dem Sinne passend, als sie unmittelbare Anschlüsse erlauben. Sie sind auch ‚treffend‘, weil in den Instruktionen anschaulich mitvermittelt wird, wie das Gesagte umgesetzt werden könnte.

Wie ist es um die Art und Weise des Anschlusses bestellt? Mit Blick auf die Instruktionen wird hier deutlich, dass sich Manfred auch im Alltag (mehr oder weniger) gebräuchlicher Ethnokategorien bedient, um mein Tun anzuleiten: zum Beispiel der Rede vom „bewussten Wahrnehmen“, von „Aufmerksamkeit“, dem „Spüren“, aber auch vom „Entspannen“. Man hat es hier mit einem „Empfindungsvokabular“ (Knorr Cetina 1988: 98) zu tun, das zwar qua symbolischer Verfasstheit abstrakt, aber nichtsdestoweniger praktisch anschlussfähig ist. Dies wird daran deutlich, dass es mir ohne weitere Explikationsleistungen oder Erklärungen gelingt, an derartige Instruktionen habituell anzuschließen („Er spricht Dinge an, die ich kann.“). Relevant ist hierbei: Dies gilt nicht nur für das obige Beispiel, das aus meiner fünften Atemsitzung stammt. Bereits in meiner ersten Sitzung – das heißt, zu einem Zeitpunkt, an dem ich über keinerlei atemarbeitsspezifische (oder ähnliche) Vorerfahrungen verfügt habe – wusste ich, was bei den entsprechenden Aufforderungen zu tun ist.

Ein derartiges unmittelbares Anschließen-Können impliziert also erstens, dass Manfred mittels der Instruktionen Leibschemata ‚anspricht‘, die nicht erst in situ entwickelt werden müssen. Ich verfüge bereits über die entsprechenden Fertigkeiten, die es mir erlauben, das Gesagte situativ und intuitiv ‚in‘ meine Praxis zu übersetzen. Das bedeutet aber ebenso, dass die Atemarbeit offensichtlich (auch) alltägliche Leibschemata mobilisiert, um spezifische(re) Formen der Verkörperung zu kultivieren. Zwar mag die Situation samt dem entsprechenden soziomateriellen Arrangement einigermaßen unwahrscheinlich sein (und gegebenenfalls auch als außeralltäglich erfahren werden), aber die Fertigkeiten, die hier praktisch gefragt sind, sind keineswegs derart speziell, dass ohne einschlägige Vorerfahrungen ein praktisches Verstehen der Instruktionen nicht möglich wäre. Man könnte auch sagen, dass alltägliche Leibschemata hier gleichsam in den Dienst der Etablierung spezieller Formen der Herstellung von Körperlichkeit gestellt werden. (Die Leser*innen mögen die obige Transkription nochmals lesen und das für sich überprüfen. Gelingt es auch Ihnen, praktisch an das Gesagte anzuschließen?)

Zumindest bestimmte Phasen der Atemarbeit – wie etwa die hier in den Blick genommene leibliche Hinführung – beruhen dementsprechend auf in die Situation importierte Leibschemata. Diese sind insofern als relativ situationsunabhängig zu verstehen, als sie zwar in der Atemarbeit mobilisiert, aber nicht notwendigerweise auch erst in situ produziert werden. Das ist deswegen alles andere als trivial, weil hier deutlich wird, dass die Atemarbeit eben auch auf transsituativ eingebrachten Leibschemata aufbaut (vgl. Scheffer 2013: 93, 102, 108; 2017: 495 f.). Die Instruktionen treffen nicht auf Tabula-rasa-Körper, sondern auf leiblich empfängliche und prädisponierte Körper.

Gleichwohl muss vor dem Hintergrund des Gesagten deutlich gemacht werden, dass in der Atemarbeit mitunter auch speziellere – soll heißen: atemarbeitsspezifischere – Leibschemata gefragt sind, die, anders als basale Wahrnehmungs- und (Muskel-)Entspannungsfertigkeiten, nicht gleichermaßen alltäglich sind. So fordert Lisa in der Atemschule etwa zu Folgendem auf:

Lisa: Und gehst mit deiner ganzen Aufmerksamkeit […] zu deinem Atem (-- -- -- -- -) und lässt ihn langsam tiefer werden. (--) Du atmest durch die Nase ein (-- -) und wenns möglich ist auch durch die Nase aus. (-- -- --) Und bei jedem Ausatem lässt du bewusst alle Muskeln los. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- --) [AS]

Die hier angesprochene Kopplung von Ausatemvorgang und dem Loslassen der Muskeln („Und bei jedem Ausatem lässt du bewusst alle Muskeln los“) mag unauffällig erscheinen. Sie stellt aber ein Muster dar, das in den verschiedensten Sitzungen immer wieder sprachlich aufgerufen wird. Zwei unterschiedliche Leibschemata – das bewusst wahrgenommene Ausatmen einerseits und das Entspannen der Muskeln andererseits – werden hier kommunikativ miteinander verbunden: Beide Tätigkeitstypen sollen, so die Instruktion, synchron vollzogen werden (siehe auch 7.1.4). Wie schließe ich daran an?

Die von der Atemlehrerin vorgeschlagene Kopplung von „Loslassen“ bzw. „Entspannen“ der Muskeln und dem Ausatemvorgang ist mir bereits von den Einzelsitzungen bekannt. Ich habe den Eindruck, dass ich durch meine Vorerfahrungen in der Atemarbeit ein basales praktisches Wissen mitbringe und es mir insgesamt nicht mehr so schwerfällt, die Anweisungen umzusetzen. Ohne viel nachzudenken und ohne, dass mir selbst transparent wäre (und ich nachträglich genauer beschreiben könnte), wie ich dies mache, versuche ich, beim Ausatemvorgang nicht nur die Brust- oder Bauchmuskulatur, sondern meinen ganzen Körper schwerer werden zu lassen und die Muskeln zu entspannen. [AS]

In den Feldnotizen wird zum einen deutlich, dass dieser Tätigkeitstypus als solcher von mir identifiziert wird („ist mir bereits von den Einzelsitzungen bekannt“). Ich, als Teilnehmer, nehme ihn als atemarbeitsspezifisches Muster wahr, das in der Situation als praktische Anforderung erfahren wird, bestimmte Leibschemata zu etablieren („die Anweisungen umzusetzen“). Die Atemarbeit stellt in dieser Hinsicht also auch eine Gelegenheit dar, bestimmte Dinge zu tun, die man im Alltag in dieser Form – und wohl vor allem auch über einen längeren Zeitraum – eher nicht tut.Footnote 8 Zum anderen verweise ich – das ist ein relevanter Unterschied zum ersten Beispiel – auf die Rolle eines im Rahmen der Atemarbeit erworbenen praktischen Vorwissens. Es handelt sich dabei um ein Vorwissen, das als praktischer Erfahrungsschatz fungiert, auf den ich in der Situation zurückgreifen kann, den ich aber in dieser Form erst durch Einübung in vorangegangenen Atem-Sitzungen erworben habe und dementsprechend vorher nicht hatte. In der Atemarbeit werden also nicht nur alltägliche, sondern vielmehr auch sozialweltspezifische leibliche Verhaltensgewohnheiten mobilisiert. Die Atemarbeit baut in diesem Sinne nicht nur auf Alltagskompetenzen auf, sie baut diese sozusagen auch – in bestimmter Art und Weise – (neu) zusammen, indem sie diese kombiniert. Die Instruktionen sind dabei so verfasst, dass sie einerseits zur praktischen Umsetzung auffordern, insofern sie nach entsprechenden praktischen Kompetenzen verlangen. Andererseits bieten sie – sofern die entsprechenden Leibschemata (noch) nicht vorhanden sind – Möglichkeiten zur Einübung. Anders ausgedrückt: Die Instruktionen setzen also entweder bereits eine praktische Sozialisationskarriere voraus oder sie initiieren eine solche. Die Atemarbeit macht dementsprechend nicht nur spezielle(re) Tätigkeiten erforderlich, sie fördert diese auch und regt zu deren Habitualisierung an.

Im Hinblick auf die beiden präsentierten Beispiele ist auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen, der sich für das Verständnis unmittelbarer Anschlussaktivitäten als relevant erweist. Er kommt in beiden Feldprotokollauszügen zum Vorschein: Jene Leibschemata, über die ich habituell verfüge, operieren, das wurde bereits angedeutet, im Modus impliziten Wissens. Dies hat zwei Implikationen. Erstens: Die Tatsache, dass mir ‚passende‘ Leibschemata unmittelbar praktisch verfügbar sind, impliziert zum einen, dass ich mein Tun nicht (im engeren Sinne) intentional steuern oder gar eine reflexive Haltung einnehmen müsste, indem ich darüber nachdenke, wie die Formulierungen womöglich zu verstehen sind oder in welcher Art und Weise ich anschließen könnte. Mein Leib, so kann man mit etwas Vorsicht formulieren, reagiert autonom auf das Gesagte. Leibschemata situativ mobilisieren zu können, impliziert eine gefühlte praktische Gewissheit (vgl. Loenhoff 2012a), de facto anschließen zu können. Das als passend empfundene Verhaltensrepertoire drängt sich in der Situation – ohne dass dies von mir entschieden werden müsste – gleichsam auf. Es geschieht das, was die Situation praktisch verlangt.

Zweitens: Dass die Anschlussaktivitäten im Modus impliziten Wissens erfolgen, wird zum anderen auch daran deutlich, dass sie mir während des Tuns keineswegs transparent und sie damit auch ex post – im Prozess der Verschriftlichung – nur bedingt einholbar sind. So lässt sich zwar in der Situation zweifelsfrei für mich feststellen, ob es gelingt, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperregionen zu lenken oder auch den Körper schwer zu machen und zu entspannen. Ich spüre die Konsequenzen meines Tuns. Gleichwohl weiß ich nicht (genau) bzw. zumindest nicht kognitiv, wie ich das mache (dies gilt unabhängig davon, dass es freilich naturwissenschaftliche Erklärungen – etwa muskelphysiologischer Art – dafür gibt). Es ist mir folglich zwar möglich, in situ zu bestimmen, ob die Anschlussaktivitäten passend sind, ebenso nehme ich während des Tuns eine spürend-evaluative Haltung hinsichtlich der Frage ein, ob es beispielsweise gelingt, den Körper schwer zu machen (siehe auch 7.2.3) – was wiederum die entsprechenden Wahrnehmungsfokusse voraussetzt. Aber das genaue Wie des Anschlusses bleibt mir als Ausführenden letztlich verborgen: Es ist weder reflexiv zugänglich noch während des Tuns im Fokus der Aufmerksamkeit. Wichtig ist hierbei: Die geschilderten Verhaltensweisen sind nicht deswegen eine Black Box, weil sie soziologisch unzugänglich bleiben würden (etwa weil man die Sitzungen zum Beispiel lediglich auf Video aufnimmt und nicht praktisch partizipiert). Vielmehr zeichnet sich der Operationsmodus habitueller Anschlüsse im Modus impliziten Wissens dadurch aus, dass sich dieser – aus der Perspektive des praktisch involvierten Teilnehmers betrachtet (!) – im situativen Vollzug blackboxiert vollzieht (Knorr Cetina 2002: 138 ff.).Footnote 9

Derlei Situationen unterscheiden sich in systematischer Hinsicht nicht von solchen unserer alltäglichen Lebensführung, die wir gewohnheitsmäßig zu bewältigen im Stande sind. So wie beispielsweise die ausgestreckte Hand meiner Bekannten – wenn wir nicht gerade in pandemischen Zeiten leben, in denen Körperkontakt (zu Nicht-Haushaltsmitgliedern) vermieden werden soll – mich dazu animiert, ihr auch meine Hand entgegenzustrecken, ihre Hand (nicht zu fest) zu drücken und (ein wenig und auch nicht zu lange) zu schütteln und ich dabei bestimmte vor allem motorische Leibschemata mobilisiere, werden auch die Teilnehmer*innen im Rahmen der Atemarbeit qua verbaler Instruktionen förmlich leiblich dazu angeregt, bestimmte Dinge zu tun. Die verbalen Instruktionen haben – so wie die ausgestreckte Hand – ein verhaltensorientierendes und (im Idealfall) auch ein verhaltensevozierendes Potenzial. Sie animieren dazu, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten und (sich) auf eine spezifische Weise zu erfahren. Dies hat aber, um dies nochmals zu betonen, zur Voraussetzung, dass es zu einer praktischen Korrespondenz zwischen den Instruktionen und vorhandenen Leibschemata kommt.

(b) Misslungene Anschlüsse: Fehlende Leibschemata

Nun wird allerdings gerade anhand nicht-gelingender Fälle deutlich, dass es sich bei der Atemarbeit nicht um einen selbstläufigen Prozess handelt, in dem lediglich auf den Körper zugegriffen und dieser für bestimmte Zwecke ohne praktische Schwierigkeiten und ‚Widerständigkeiten‘ instrumentalisiert werden kann. Der oben beschriebene Fall des Matchings zwischen verbalen Instruktionen und als passend empfundenen Leibschemata stellt nicht per se den empirischen Normalfall dar, zumal wenn es sich um Noviz*innen handelt. Für eine soziologische Analyse ist es folglich wesentlich und überdies lehrreich, sensibel dafür zu sein, dass es im Rahmen der Atemarbeit vielfältige Situationen der Unbestimmtheit und der erlebten praktischen Ungewissheit geben kann. Es handelt sich dabei um Situationen, in denen etwas nicht verstanden wird, Anschlüsse sich nicht ‚einfach‘ intuitiv vollziehen oder passende Anschlüsse erst situativ und improvisierend erarbeitet werden müssen.

In diesem Sinne ist auch die praxeologische Tendenz, ‚funktionierende‘ Körper theoretisch a priori zu setzen, problematisch (siehe auch 2.1.3). Dabei dient die Vorstellung, dass sich Körper unproblematisch in Praktiken ‚einfügen‘, vor allem der Plausibilisierung der Annahme, dass sich Praktiken einigermaßen stabil vollziehen und derart zur (Re-)Produktion sozialer Ordnung beitragen. Hierbei besteht nicht nur das potenzielle Problem der theoretischen Übergeneralisierung eines empirischen Spezialfalls. Ebenso erweisen sich gerade Fälle, in denen etwas nicht gelingt, oftmals als instruktiv für das Verständnis sozialer Phänomene und damit eben auch: deren Funktionieren.Footnote 10 Zu erwarten ist dementsprechend, dass auch die nicht-gelingenden und prekären Anschlussaktivitäten zumindest ‚indirekt‘ Auskunft über die oben erläuterten gelingenden Anschlussaktivitäten geben und es erlauben, die bisherigen Schlussfolgerungen zu plausibilisieren und weiterzudenken.

Wie stellen sich Situationen dar, in denen Anschlüsse praktisch nicht möglich sind? Diese Frage behandle ich anhand eines besonders markanten Falls, der sich im Zuge meiner Teilnahme an den Österreichischen Atemtagen ereignet hat, die vom Verein atman jährlich organisiert werden. Zur Kontextualisierung: Die Atemtage sind eine Veranstaltung, bei der das Atemtherapie-Klientel und Interessierte zusammenkommen, um sich auszutauschen, Vorträge zu hören und darüber hinaus gemeinsam unterschiedliche praktische Übungen zu machen. Das Folgende ereignet sich im Rahmen einer Übung mit dem französischen „Rebirther und Trainer in Rebirthing-Atemarbeit“Footnote 11 Luc Enaut. Enaut selbst bezeichnet die Übung als ein „meeting in the dimension of the heart“ (AT). Während Enaut in Englisch spricht, übersetzt Wilfried Ehrmann, der ebenfalls anwesend ist, kontinuierlich ins Deutsche. Die Übung läuft folgendermaßen ab: Die Teilnehmer*innen stehen, sich an den Händen haltend im Kreis und werden im Anschluss daran aufgefordert, sich durch den Raum zu bewegen – teils geschieht dies langsam gehend, teils in Form bedächtiger, tanzender Bewegungen. Sodann fordert Enaut die Teilnehmer*innen auf, sich Personen zu suchen und – während des Atmens – kontinuierlich Augenkontakt mit diesen zu halten und schließlich auch mittels Berührungen den Körperkontakt zu anderen zu suchen. Dies nimmt verschiedene Formen an: von still dastehenden, sich bei den Händen haltenden und sich in die Augen blickenden Teilnehmer*innen bis hin zu improvisierend-tanzenden Paaren, deren Interaktion bewegungslastiger ausfällt. Ich beziehe mich in der Folge auf den Beginn der Übung, bei dem Enaut die Aufmerksamkeit der Teilnehmer*innen auf unterschiedliche Körperregionen und deren Atmen lenkt, aber ebenso zu Dingen auffordert, die mir (als einigermaßen skeptischem Novizen) bei der Umsetzung praktische Schwierigkeiten bereiteten.

Luc Enaut (LE): Put now your awareness in your feet.

Wilfried Ehrmann (WE): Bring jetzt deine Aufmerksamkeit in deine Füße. (-- -- --)

LE: Make sure they are well placed on the ground.

Ich spüre nochmals nach, ob ich einen festen und sicheren Stand habe und passe meine Fußposition leicht an, in dem ich den rechten Fuß etwas weiter nach außen stelle.

WE: Und schau drauf, dass sie gut auf den Boden geerdet sind. (-- -- -- -- --)

LE: Make sure that you are aware around this anchored into the ground.

WE: Und dass du gut verankert bist. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --)

LE: Make also sure that from the top of your head that you are well connected to the cosmos.

Bei dieser Aussage merke ich auf – nicht nur, weil das für mich einen gewissen ‚esoterischen‘ Anstrich hat, sondern weil sich auch die Frage der praktischen Umsetzung dieser Instruktion für mich stellt. Ich weiß schlicht nicht, was genau ich wie tun soll – vor allem auch, weil ich über kein entsprechendes Verhaltensrepertoire verfüge, das es mir (in irgendeiner Art und Weise) erlauben würde, mich mit dem „Kosmos“ zu verbinden. Ich versuche, die Instruktion zu ignorieren und mich auf meinen Atem zu konzentrieren.

Bei der ersten Instruktion („Put now your awareness in your feet. […] Make sure they are well placed on the ground.“) gelingt es mir, praktisch an diese anzuschließen. Ich bringe meine Aufmerksamkeit in meine Füße („Ich spüre nochmals nach…“) und passe daraufhin meinen Stand ein wenig an, indem ich ihn verbreitere. Bei der Instruktion, sich mit dem Kosmos zu verbinden, gelingt es mir hingegen nicht (mehr), unmittelbar darauf zu reagieren. Für ein Verständnis dieses Nicht-anschließen-Könnens erweist sich der Vergleich zwischen den beiden Instruktionen als aufschlussreich. Denn anders als die vorangehende Instruktion ist die Aufforderung, sich mit dem Kosmos zu verbinden, abstrakter: Sie enthält keine (oder bestenfalls vage) Hinweise darauf, was konkret zu tun ist. Dies impliziert auch: Sie ist im Vergleich zur vorangegangenen Instruktion in situ praktisch spezifikationsbedürftiger. Mir fehlen allerdings in der Situation passende Verhaltensrepertoires, die es erlauben würden, das Gesagte in meine Praxis zu übersetzen. Die Aufforderung wird von mir als problematisch wahrgenommen; ich werde auf mein eigenes Tun zurückgeworfen und meine praktische ‚Unzulänglichkeit‘ wird mir in der Situation offenbar („merke ich auf“). Die Aufforderung ist darüber hinaus in einem weiteren Sinne problematisch für mich. Es drängt sich eine kognitive Assoziation auf: Die Instruktion, sich mit dem Kosmos zu verbinden, hat einen „gewissen ‚esoterischen‘ Anstrich“ für mich. Es kommt also zu einem doppelten mismatch, der für mich als solcher auch erfahrbar wird – einerseits in praktischer Hinsicht: Mir stehen keine entsprechenden Leibschemata zur Verfügung, die dem Gesagten praktisch korrespondieren würden; andererseits nehme ich eine kognitiv-evaluative Haltung gegenüber dem Gesagten ein und kategorisiere die Instruktion – in einem gewissen Sinne abschätzig – als „esoterisch“. Es passiert hier also genau das, was man – wie Enaut während der Übung wiederholt formuliert – eigentlich vermeiden sollte: „without any judgements“, „no judgements“ (AT). Der Anschluss an die Praktik gelingt nicht.

Als aufschlussreich für ein weitergehendes Verständnis dieses Falls erweist sich ein Interview, das ich mit Birgit*, einer Teilnehmerin der Atemtage, einige Zeit später geführt habe (I-4): Ich nutze die Gelegenheit, um das Geschehnis zu thematisieren. Zunächst führt Birgit, die schon länger an der sozialen Welt der Atemarbeit partizipiert und auch mit anderen ganzheitlichen Praktiken Erfahrungen gesammelt hat, die enge Verbindung zwischen verbalen Instruktionen und ihrem körperlichen Tun aus:

Birgit: […] und jetzt das geht halt jetzt also dadurch, dass ich dass mein Körper das einfach kennt und so oder ich brauche nur wahrscheinlich ein Wort oder, also das richtige Wort halt […], also da brauche ich jetzt gar nicht mehr irgendwas überlegen oder so, das ist schon, mein Körper macht viel dann auch von alleine (I: Mhm mhm), also ich brauche mich dann gar nicht mehr ko- konzentrieren oder jetzt irgendwas ah, ja.

Ich: Kannst du ein konkretes Beispiel nehmen, also nennen? Also sagen wir jetzt

Birgit: Naja, zum Beispiel was du vorher gesagt hast, dieses Mit-dem-Universum-verbinden oder so

Ich: Mhm oder Kosmos, aber beides, beides ist genannt worden.

Birgit: mit dem Kosmos verbinden, das ist einfach, also das hab ich schon eben so oft erfahren dann auch, also das sind einfach, also mein Körper, also, hat halt da, anscheinend ein gewisses, hm eine gewisse, Empfindung (I: Mhm) wenn er das, ah, hört, und die kommt dann sofort, also die ist jetzt zum Beispiel auch da.

Wenngleich die Aussagen Birgits im Interview eben verbale Darstellungen sind und insofern nicht als kommunikative Validierungen für die oben präsentierte Analyse gelingender Anschlüsse im Modus impliziten Wissens missverstanden werden sollten, so geben sie doch zentrale Hinweise darauf, dass es durch eine längere Partizipation („das hab ich schon eben so oft erfahren“) in der sozialen Welt der Atemarbeit möglich ist, eine enge Verbindung zwischen den verbalen Instruktionen (den „richtige[n]“ Wörtern) und der leiblich fundierten Praxis – konkreter: spezifischen Leibschemata – herzustellen. Es kommt dabei, folgt man Birgits Darstellungen, zu einer Kopplung zwischen symbolischen Inhalten (z. B. der Rede vom „Kosmos“), die sich in einer unmittelbaren Reaktion des Körpers („mein Körper macht viel dann auch von alleine“) und spezifischen „Empfindungen“ manifestiere. Birgit müsse – das wird auch an der Differenzierung zwischen einem personalen handelnden Ich und ihrem Körper deutlich – nichts tun, sondern es ist ihr Körper, der agiert und fühlt. Auf meinen Hinweis, dass es allerdings auch andere Instruktionen, wie beispielsweise die „Wurzelmetapher“, gebe, die für mich als Novizen „anschaulicher“ wären und die es mir ermöglichen würden, „irgendwie konkrete Anstrengungen [zu] unternehmen“ das Gesagte umzusetzen, auch wenn es mir im Nachhinein schwerfiele, mein Tun zu verbalisieren, entgegnet Birgit Folgendes:

Birgit: Naja, also weil für mich ist halt auch nicht viel Unterschied, ob ich mich jetzt mit der Erde verbinde oder ob ich mich mit dem Kosmos verbinde, das eine ist halt nach oben und das andere ist eher so nach unten gerichtet.

Ich hake nach:

Ich: Ja aber Wurzeln schlagen und so da- das ist irgendwie

Birgit: Also wei- weil man sich mehr darunter, also man hat halt einen Baum, also man kann es sich besser vorstellen meinst jetzt, oder man hat mehr Bezug dazu vielleicht (I: Ja, ich denke schon). Ja=ja, das stimmt schon, also das, da gebe ich dir auch Recht, weil das war bei mir auch zuerst, also, das ist zuerst gegangen und dann irgendwann kommen so Erfahrungen, also, wo es dann halt vielleicht in d-, Richtung Spiritualität geht @oder so@ (I: Mhm) also so, ahm, ja schon so, mehr nach oben und das ist ja auch eben dieses, dieses Kronenchakra zum Beispiel (I: Mhm, ja) was, ah ja, wo ich ja auch lange, also ich hab überhaupt lange zu den Chakren, ich hab mir immer gedacht, wofür braucht man das? (I: Ja) Oder, das war für mich, da war ich ein bisschen, weiß nicht warum, aber da hab ich mir immer gedacht, das ist für mich nicht wichtig oder das brauche ich nicht und das ist aber jetzt […] für mich sehr spürbar und, und das, also wie wenn=es halt so Tore sind oder Öffnungen und da ver- verbindet man sich halt @, oder da, da spürt man halt die Verbindung, wird sie halt erfahrbar (I: mit) zum Beispiel (I: mit) mit dem Kosmos, also mit dem Kosmos spür ich es halt über das Kronenchakra, also über den über den Bereich (I: Aha) und wenn ich jetzt, wenn ich jetzt denken würde an Wurzeln, dann wäre es halt auch vom Wurzelchakra, also in in dem Bereich halt einfach wie man immer das auch nennt

Ich: […] woher soll ich denn wissen gewissermaßen, dass der Kosmos mit dem Kronenchakra in irgendeinem Zusammenhang steht

Birgit: Naja, das ist halt, also da, das ist halt auch das Konzept, das ich jetzt hab, dadurch ich immer wieder mit Chakren konfrontiert worden bin, obwohl ich es gar nicht @wollte@ (I: Ja ja). Also weißt, (I: Ja=ja) […] da ist halt und da ist halt dann das Chakra oder so, aber irgendwie dadurch, dass ich=es halt in dem Bereich spüre, aber jetzt weiß ich nicht, spüre ich es deswegen, weil ich dieses Konzept kenne, oder spüre ich es deswegen, weil=es so ist?

Obwohl sich auch Birgit selbst nicht genau erklären kann, inwiefern ihr kognitives Wissen um „Konzepte“, die Chakren, dazu beiträgt, dass sie bei den entsprechenden Instruktionen bestimmte Körperregionen „spürt“, so geben ihre Ausführungen doch zentrale Hinweise darauf, dass ein kompetentes Agieren in der sozialen Welt der Atemarbeit sozialisatorische Karrieren und auch eine entsprechende Bereitschaft zur Voraussetzung hat, sich auf unterschiedliche Praktiken und theoretische Konzepte (und den mit ihnen verbundenen Plausibilitätsansprüchen) einzulassen. Man erarbeitet sich nach und nach Leibschemata, die zu den atemarbeitsspezifischen Ethnokategorien ‚passen‘. Die Verbindungen werden – wie es scheint unwillkürlich – nach und nach verfestigt (ähnlich wie es auch beim Beispiel der Kopplung zwischen Ausatem und dem Entspannen zutage getreten ist, das allerdings hinsichtlich der erforderlichen Leibschemata ohne Zweifel alltagsnäher operiert). Bestimmte Leibschemata werden Teil von sich in Praktiken entfaltenden „Wirkungs- und Verweisungszusammenhänge[n]“ (Scheffer 2017: 487).

Auch wenn dies auf der Grundlage des Interviews nicht im Detail nachvollzogen werden kann, so sind in diesem Zusammenhang insbesondere Birgits Hinweise zu den Chakren (vgl. auch S. 100, Anm. 14) äußerst instruktiv. In Birgits Fall hat es das, wie sie selbst sagt, „Konzept“ des Chakras und die damit verbundenen körperlichen Empfindungen erlaubt, gleichsam eine Brücke zwischen der abstrakten Rede vom Kosmos und einem dazu passenden Leibschemata zu bauen bzw. ein solches gegebenenfalls überhaupt erst zu finden. Möglich erscheint dies deswegen, weil den Chakren – anders als dem Kosmos – relativ klar lokalisierbare körperliche „Empfindungen“ korrespondieren, die nicht nur in kodifizierter Form vorliegen, sondern auch bei den entsprechenden Übungen relativ genau beschrieben werden (so wird das Kronenchakra etwa in der Scheitelgegend lokalisiert).Footnote 12 Während die Rede von „Erdung“ oder vom Verbinden mit dem „Kosmos“ also bestenfalls allgemeine Orientierungen (oben – unten) bietet, ermöglicht es die Verbindung zwischen Chakren und spezifischen Leibschemata (in Form des Spürens bestimmter Körperregionen), sozusagen die praktische Lücke zwischen abstrakten Konzepten und konkreten Verhaltensrepertoires zu füllen bzw. beides miteinander zu verschränken.

In der Atemarbeit greifen somit konkretes leibliches Tun und die symbolischen Konzepte auf komplexe Art und Weise ineinander. Nach und nach lassen sich – im Falle des Gelingens – stabile Verbindungen zwischen diesen beiden praktisch relevanten Aspekten der Atemarbeit etablieren. „Die Verfestigung zeigt sich dort, wo Elemente zu einer unauflösbaren, sich wechselseitig informierenden, selbsttragenden (interdependenten) Einheit zusammen wachsen“ (Scheffer 2013: 108). Dabei gilt generell: Auch wenn die Atemlehrer*innen nicht immer im Detail sagen, was man tun soll, so stecken doch die verschiedenen symbolischen Hinweise und Konzepte einen (groben) Rahmen ab. Innerhalb dessen kann man sich als passend empfundene Leibschemata erarbeiten oder bereits erworbene Leibschemata (die wiederum spezifischen Konzepten korrespondieren können) mit (anderen) abstrakten Konzepten verbinden (vgl. auch Pagis 2010 am Beispiel der Meditation sowie Lande 2007; Müller 2015: 276 ff.). Es entsteht gleichsam ein ganzes Netz aus affektiv-sinnlichen Erfahrungen und damit verknüpften symbolischen Inhalten, das sich an seinen Knotenpunkten verdichtet – wobei diese Knotenpunkte als habituelle Anschlussaktivitäten im Modus impliziten Wissens erfahren werden. Wichtig ist dabei: Die Konzepte werden eben nicht lediglich kognitiv verstanden, sie werden zu „embodied concept[s]“ (Pagis 2010: 472; Hervorh. A.A.; vgl. auch Merleau-Ponty 1974 [1945]: 275 ff., 458 f.). Bei Noviz*innen hingegen erscheinen die Verbindungen bisweilen (noch) weniger dicht und fixiert; das Netz ist (noch) etwas löchrig.

(c) Irritierte Anschlüsse (am Beispiel störender Gedanken)

Im Falle gelungener Anschlussaktivitäten erscheinen die Situationen determiniert. Die unterschiedlichen Elemente passen zueinander. Leibschemata müssen nicht bewusst intendiert erzeugt werden, sie drängen sich förmlich auf, sie liegen nahe. Im Falle eines Nicht-anschließen-Könnens hingegen sind die Situationen maximal indeterminiert (vgl. Dewey 1942Footnote 13): Es gibt nicht mal eine lose Verbindung zwischen Instruktion und einem dazu passenden Verhaltensrepertoire. Fasst man die Unterscheidung zwischen determinierten und indeterminierten Situationen nicht als eine kategoriale Differenz, sondern als eine graduelle auf, die überdies dynamisch umschlagen kann, dann bilden determinierte und indeterminierte Situationen folglich die beiden Pole eines Kontinuums, innerhalb dessen sich leibliche Anschlussaktionen vollziehen können. In der Folge beschäftige ich mich mit zwei Formen von prekären Anschlüssen, die zwischen den beiden Polen verortet werden können. Denn auch in der Atemarbeit gibt es einerseits Situationen, die ihren determinierten Status aufgrund von Irritationen unterschiedlicher Art einbüßen und andererseits solche, die sich sozusagen als (re-)determinierungsbedürftig erweisen.

Der erste Fall liegt dann vor, wenn eine Anschlussaktivität zwar prinzipiell gelingt, weil die entsprechenden Leibschemata verfügbar sind, sich der nachfolgende Vollzug aber als problematisch erweist. Man scheitert also nicht schon am Setzen der Anschlussaktivität selbst, sondern daran, dass die Ausführung in der Folge nicht auf Dauer gestellt werden kann. Hierzu ein empirisches Beispiel für eine Störung aufgrund des Auftretens von Gedanken (vgl. hierzu auch Ehrensperger 2020: 169 ff.) – einem Problem, dem ich während meines Tuns immer wieder begegnen sollte:

Manfred: Genau. Und dann kannst du die Aufmerksamkeit einmal in die Füße bringen. (-- -- --) Sodass du von innen her deine Füße spürst (-- --), auch verbunden mit dem Gewicht, dass sie auf die Unterlage ausüben. Also wie sie leicht in die Unterlage sinken mit (-- --) dem Gewicht, dass sie einfach haben. (-- -- --) Und du kannst dir vorstellen, dass (-- -- -- --) Spannungen, die vielleicht jetzt in den Füßen sind (-- --), in die Unterlage abfließen. (-- -- --) Dass sich die Füße ein Stück mehr entspannen können.

Schon zu Beginn dieser Anleitungen fällt es mir schwer, den Fokus der Aufmerksamkeit auf die von Manfred angesprochenen Körperteile bzw. Körperregionen zu richten. Immer wieder werden die Versuche durch kurze Gedankengänge unterbrochen, die unter anderem auch diese ‚Fehlversuche‘ – sinngemäß gesprochen: „Das klappt nicht.“ – zum Inhalt haben […]. Überhaupt kam es während der ‚Hinführung‘ immer wieder zu wechselnden Episoden zwischen dem Gefühl, die Aufmerksamkeit augenblicklich fokussieren zu können, und dem Gefühl, dass ich eine Fokussierung der Aufmerksamkeit aufgrund des Auftretens von Gedanken nicht zustande bringe. [ES-1]

Das Problem besteht hier nicht darin, dass es mir nicht gelingen würde, prinzipiell an Manfreds Instruktionen anzuschließen. Es ist vielmehr sekundärer Natur: Es betrifft die Herstellung einer kontinuierlichen Fokussierung auf jene von Manfred angesprochenen Körperregionen. Hier passiert also genau das, was Manfred im Vorgespräch bereits kommunikativ antizipiert und damit als mögliches Problem markiert hat (siehe 6.1): Es treten Gedanken auf, die meine Versuche der Herstellung einer stabilen Aufmerksamkeitsfokussierung unterminieren. Dies geschieht freilich nicht in von mir intendierter Weise. Die Gedanken drängen sich auf, sie drängen gleichsam in die Situation. Das praktische Problem, das sich aus der Perspektive des Teilnehmers stellt, ist dabei folgendes: Gedanken beanspruchen Aufmerksamkeitsressourcen für sich, die eigentlich – gemäß der Instruktionen Manfreds und dem allgemeinen Telos der Atemarbeit – für die Herstellung eines gefühlten, selbstbezüglichen Hier und Jetzt benötigt würden. Es ist nicht der eigene Körper, der leibliche Vollzug, der hier Gegenstand der Aufmerksamkeit ist, sondern die symbolischen Inhalte reflexiver Prozesse. Gedanken stellen also unerwünschte Aufmerksamkeitsobjekte dar, insofern sie den angestrebten Gegenwartsbezug irritieren.

Deutlich wird dies im obigen Beispiel insbesondere anhand des Inhalts der Reflexionen: Sie referenziert auf unmittelbar Vergangenes, nämlich die eigenen Fehlversuche, denen gegenüber ich eine reflexiv-evaluative Haltung einnehme („Das klappt nicht.“). Es kommt nicht nur zu einer Ab-, sondern auch zu einer Rückwendung, die zeitlich über die gegenwärtige Situation hinausweist. Das wahrnehmbare Hier und Jetzt bricht temporär zusammen. Die Möglichkeit, prinzipiell anschließen zu können, stellt also keineswegs sicher, dass auch der nachfolgende praktische Vollzug gelingt und aufrechterhalten werden kann. Die Situation wird von einer determinierten zu einer temporär indeterminierten. Die Praxis ist ‚brüchig‘ und bedarf kontinuierlicher ‚Reparaturen‘ in Form von Refokussierungen. Sie changiert zwischen einem Gefühl des Gelingens und einem Gefühl des praktischen Scheiterns.

(d) Fragile Anschlüsse: Ad-hoc-Anschlüsse

Als vergleichsweise fragile, tendenziell von einem Scheitern bedrohte Situationen erweisen sich auch solche, in denen kein vollständiger match zwischen den Instruktionen und den leiblichen Anschlussaktivitäten gegeben ist. Die Instruktionen geben zwar eine prinzipielle Orientierung, aber es bleibt eine ‚Lücke‘, die praktisch ausgefüllt werden muss. Die Situation ist also nicht vollständig, sondern lediglich teildeterminiert. Das schafft, wie zu zeigen sein wird, einerseits bestimmte praktische Gestaltungsspielräume, aber auch gewisse Zwänge. Veranschaulichen möchte ich dies anhand eines Beispiels, in dem ein leibliches Andocken an das Gesagte zunächst – innerhalb einer kurzen Zeitspanne – nicht gelingt, die Atemlehrerin allerdings unmittelbar im Anschluss eine weitere Instruktion einbringt und das vorher Gesagte somit weitestgehend und praktisch hinreichend spezifiziert:

Lisa: Und jetzt bitte ich dich, dass du dich ganz bewusst auf deinen Brustkorb konzentrierst und versuche, in die reine Brustatmung überzugehen

An diesem Punkt denke ich kurz (sinngemäß), dass ich ja eigentlich noch gar nicht weiß, durch was sich die „reine Brustatmung“ handlungspraktisch auszeichnet. Ich habe zwar eine grobe Vorstellung davon, aber bisher hat die Unterscheidung zwischen Bauch- und Brustatmung in meiner Atem-Praxis keine Rolle gespielt. [AS]

Ersichtlich wird anhand des Beispiels, dass mir in dieser Situation – ähnlich wie beim obigen „Kosmos“-Beispiel – keine als passend empfundenen Leibschemata zur Verfügung stehen, die ich unmittelbar mobilisieren hätte können (was u. a. auch Reflexionsprozesse anstößt – „denke ich kurz“): Ich bin mit einer neuen praktischen Anforderung konfrontiert und überdies stellt mir die Atemlehrerin keine hinreichend expliziten Hinweise zur Verfügung, um in situ eine passende Anschlussaktivität generieren zu können (ich habe lediglich eine „grobe Vorstellung“). Ich weiß nicht (wie genau) weiter. Glücklicherweise nimmt die Atemlehrerin kurz darauf eine verbale Spezifikation in Form einer praktischen Erklärung vor:

Lisa: (-- -- -) sodass die Bauchdecke ruhig bleibt, entspannt, nur der Brustkorb sich weitet, bis hinauf zu den Schultern (-- -- -- -- -- -- -- --)

Ich greife ihre Erklärung dankbar auf:

Das „sodass die Bauchdecke ruhig bleibt“ war für mich das entscheidende Stichwort, was die praktische Umsetzung der Brustatmung anlangt. Ich versuche nun, die Bauchmuskulatur so ruhig wie möglich zu halten und die Luft vor allem in den Brustbereich strömen zu lassen, sodass sich eben vor allem die Brustmuskulatur bewegt – obwohl es teilweise gar nicht so einfach ist, lediglich zu erspüren, wie gut dies gelingt. Ich spüre zwar eine klare Veränderung, aber wie viel oder wenig sich nun der Bauch mitbewegt, lässt sich nur sehr schwer abschätzen. Es wäre fast notwendig, denke ich mir, dies auch visuell nachvollziehen zu können.

Lisa liefert mit ihrer nachgeschobenen Instruktion eine Konkretion des Wie der Anschlussaktivität („sodass die Bauchdecke ruhig bleibt, […] nur der Brustkorb sich weitet“). Dieser Hinweis ermöglicht es mir zumindest, einen Versuch zu unternehmen, zu den Instruktionen passende Leibschemata situativ zu entwickeln, ja diese förmlich zu finden. Deutlich wir hier jedoch auch, dass die Atemlehrerin keine Hinweise darauf gibt, was unter „ruhig“ oder „entspannt“ zu verstehen ist bzw. wie sich beides anfühlen soll. Dem korrespondierend bleibt auch bei mir in praktischer Hinsicht eine Ungewissheit bestehen: Es ist „nicht so einfach […], lediglich zu erspüren, wie gut dies [die Bauchmuskulatur möglichst nicht zu bewegen; A.A.] gelingt. Ich spüre zwar eine klare Veränderung, aber wie viel oder wenig sich nun der Bauch mitbewegt, lässt sich nur sehr schwer abschätzen“. Insofern es darüber hinaus auch keine externe Bewertungsinstanz oder andere Möglichkeiten der Kontrolle (wie visuelle Formen der Beobachtung oder eine konkrete Rückmeldung Lisas) gibt, bedarf es gewissermaßen unausweichlich einer praktischen Spezifikation im Vollzug. Es stehen keine ‚objektiveren‘ Kriterien zur Verfügung. Ich bin förmlich dazu gezwungen, eine passende Anschlussaktivität im Trial-and-Error-Modus praxisimmanent zu kreieren: Die Aufmerksamkeit ist auf die Bauchdecke gerichtet. Ich taste mich in der Folge spürend – gleichsam experimentell – an die ‚passenden‘ Leibschemata heran und muss letztlich auch für mich selbst fühlend bestimmen, ob und wann „ruhig“ auch in einem individuell und affektiv erfahrbaren Sinne realisiert ist. Ad-hocing (vgl. Garfinkel 1967: 21 f.) meint vor diesem Hintergrund, dass man praktische Vollzüge unter Bedingungen praktischer Ungewissheit aus der Situation heraus und quasi-experimentell vervollständigt und weiterspinnt. Das ist in einem gewissen Sinne riskant und birgt immer auch die Gefahr des Scheiterns.

4 Fazit

Die Interaktionsordnung der Atemarbeit bewegt sich – während der Phase des eigentlichen Atmens – in zwei wesentlichen Hinsichten an den Rändern des Kommunikativen. Erstens erfolgt die sprachliche Kommunikation zwischen den Atemlehrer*innen und den Klient*innen zumeist unidirektional: Die Atemlehrer*innen instruieren, die Klient*innen versuchen das Gesagte leiblich-praktisch umzusetzen. Es ist nicht ein kommunikativer Austausch im Sinne eines Reziprozitätsmodells von Kommunikation, der hier beobachtet werden kann. Die kommunikativen Aktivitäten sind primär darauf ausgerichtet, eine leibliche Selbstbezüglichkeit auf Seiten der Klient*innen zu ermöglichen. Dies wird besonders am Fall der expliziten Negation von Reziprozitätsnormen deutlich: Selbst wenn sie gefragt werden, sollen die Klient*innen nur dann antworten, wenn dies der Zielsetzung, ein gefühltes Hier und Jetzt zu erzeugen, nicht hinderlich ist. Der Fokus gilt dem eigenen Tun und der Entwicklung einer auf Dauer gestellten, nach ‚innen‘ gerichteten Form des Wahrnehmens.

Die Interaktionsordnung der Atemarbeit erweist sich zweitens als vergleichsweise schweigsam und bewegungsarm. Dies trifft nicht nur auf das Schweigen der Klient*innen zu. Auch das langsame und bedächtige Sprechen der Atemlehrer*innen zeichnet sich durch viele und lange Pausen aus, die sich im Laufe der Sitzungen ausdehnen, bis sich die Atemlehrer*innen schließlich für einen längeren Zeitraum (sprachlich-)kommunikativ weitestgehend aus der Situation zurückziehen. Durch die Pausen – also durch Abwesenheit von Kommunikation – wird ein ‚Raum‘ geschaffen, in dem die Klient*innen weitgehend sich selbst überlassen bleiben. Das bedeutet auch: Ihre Aufmerksamkeit wird in auditiver Hinsicht nicht mehr beansprucht. Sie ist für die Beobachtung des eigenen Tuns reserviert. Die Atemarbeit verfährt aber nicht nur relativ schweigsam, sondern auch in visueller Hinsicht stark reduziert. Die Anschlussaktivitäten der Klient*innen zielen nicht darauf, körperliche Darstellungen zu produzieren und damit das eigene Tun performativ zur Schau zu stellen. Die in der Atemarbeit zu kultivierende Form von Körperlichkeit zielt vielmehr darauf, einen Körper hervorzubringen, der als ‚Instrument‘ des leiblichen Erfahrens in Anspruch genommen werden kann.

In diesem Sinne negiert die Atemarbeit zwar keineswegs die in verschiedenen praxistheoretischen, aber auch wissenssoziologischen Ansätzen betonte Einsicht, dass „jedes Tun eine stets mitlaufende kommunikative Seite hat, mit der es anzeigt, was es für ein Tun ist“ (Hirschauer 2016a: 55). Gleichwohl wird an ihr aber besonders deutlich, dass selbst ein breiter Kommunikationsbegriff, wie er etwa im Anschluss an die Ethnomethodologie vertreten wird, der alle Formen körperlichen (An-)Zeigens als ein Kommunizieren begreift (siehe 2.3.2), es nicht erlaubt, die handlungspraktisch relevanten Aspekte der Praktik der Atemarbeit zu erfassen.Footnote 14 „The activities whereby members produce and manage settings of organized everyday affairs“ sind eben – anders als Garfinkel (1967: 1) programmatisch argumentiert – keineswegs identisch „with members’ procedures for making those settings ‚account-able‘“. Die ‚Öffentlichkeit‘ von Praktiken hat offensichtlich ihre Grenzen. Die Berücksichtigung nicht-kommunikativer, aber individuell erfahrbarer Dimensionen des Tuns ist damit nicht allein theoretisch induziert, sondern in den praktischen Relevanzen und Selektivitäten sozialer Aktivitäten selbst verortet. Insofern also Praktiken nicht bei der Haut Halt machen, sollte es auch unser Verständnis von Sozialität nicht.

Gleichwohl wird an der Atemarbeit ebenso deutlich, dass kommunikative und nicht-kommunikative, aber auch symbolische und nicht-symbolische Dimensionen des Tuns mehr oder weniger eng miteinander zusammenhängen (können).Footnote 15 Aus der Klient*innenperspektive betrachtet bedeutet dies: Eine zentrale praktische Herausforderung der Atemarbeit besteht darin, das Kommunizierte handlungspraktisch umzusetzen – konkreter: die verbalen Instruktionen in die Praxis zu übersetzen und derart die mediale Transformation vom Gesprochenen zum leiblichen Vollzug zu meistern (vgl. hierzu auch McIlwain/Sutton 2013; Müller 2015; Pagis 2010). Die Konstitution von Bedeutungen vollzieht sich dementsprechend wesentlich an den Schnittstellen zwischen symbolisch-performativen Dimensionen und den im wahrsten Sinne des Wortes er-spürten Anschlussaktivitäten der Klient*innen. Die Klient*innen sind, mit Merleau-Ponty (1974 [1945]: 209; Hervorh. A.A.) gesprochen, dazu aufgefordert, nicht eine „kategoriale“, sondern eine „konkrete Einstellung“ zum Gesagten zu etablieren (vgl. auch Waldenfels 2000: 138 ff.): Es geht nicht um intellektuelles Verstehen, sondern um leibliches Erfahren, um eine ge- und erlebte Verkörperung der Instruktionen.

Welche Art von Verbindungen dabei etabliert werden können und ob sich diese als einigermaßen stabil erweisen, hängt wesentlich davon ab, ob eine praktische Korrespondenz zwischen den Instruktionen und den als passend empfundenen Leibschemata besteht bzw. ob eine solche hergestellt werden kann. Diese manifestiert sich in einer gefühlten Passung zwischen dem Gesagten und dem eigenen Tun. Eine derartige erlebte Passung ist allerdings kein Selbstläufer. Sie bewegt sich vielmehr zwischen den Polen einer als gelungen erlebten Anschlussaktivität im Modus impliziten Wissens einerseits und – wie im Falle des „Kosmos“-Beispiels – der Erfahrung, dass passende Leibschemata schlicht fehlen und man folglich nicht an die Instruktionen anschließen kann, andererseits. Dass die Verbindungen zwischen dem Gesagten und den leiblichen Anschlussaktivitäten insbesondere bei Noviz*innen mitunter wenig stabil sind, wird auch daran deutlich, dass Anschlussaktivitäten entweder gestört werden können (zum Beispiel durch das Auftreten von Gedanken) oder diese nicht unmittelbar praktisch verfügbar sind. Die Situation ist indeterminiert und damit (re-)determinierungsbedürftig.

Symbolische bzw. reflexive Anteile des Tuns einerseits und affektiv-sinnliche andererseits sind zwar als unterscheidbare Modi der Selbst- und Welterfahrung zu betrachten, die als solche auch in der Erfahrung verankert sind: So fühlt es sich etwa anders an, ob man über Dinge nachdenkt, über diese spricht oder ob man sie in situ erfährt. Aber Symbolisches und Leiblichkeit stehen nicht im Gegensatz zueinander (vgl. auch Shilling 2018). Entsprechend sollte man auch in theoretischer Hinsicht – selbst wenn man primär an Fragen praktizierter Körperlichkeit interessiert ist – nicht von einem Entweder-oder starten oder gar das Symbolische gegen das Körperlich-Materielle ausspielen. An den teils fragilen Verbindungen zwischen den verbalen Instruktionen der Atemlehrer*innen und den leiblichen Anschlussaktivitäten der Klient*innen wird deutlich, dass es eines Denkens im Modus des Sowohl-als-auch bedarf. Für die Interaktionsordnung der Atemarbeit ist entscheidend: Es sind die Erklärungen und Instruktionen der Atemlehrer*innen, die einen kommunikativen Raum dafür schaffen, passende vorhandene Leibschemata zu mobilisieren oder aber neue zu entwickeln. Erfahrungen können allerdings nicht herbeigeredet werden. Es bedarf auch anschlussfähiger Körper. Sofern diese (noch) nicht anschlussfähig sind, müssen sie leiblich anschlussfähig gemacht werden. Im Idealfall entsteht ein engmaschiges Netz zwischen kommunizierten symbolischen Inhalten und diesen korrespondierenden Leibschemata. Wie selbst die Atmung – also nicht gerade das, was man gemeinhin mit Sozialität assoziiert – zum Teil eines solchen Netzes werden kann, dem wende ich mich im folgenden Kapitel ausführlicher zu.