Die soziale Welt der Atemarbeit zeichnet sich nicht nur durch eine anbieter*innenseitige Diskursarbeit aus, die darauf zielt, kulturelle Autorität zu produzieren, Vertrauen zu generieren und derart potenzielle Klient*innen zu interessieren. Wie gezeigt wurde, verweisen bereits die diskursiven Äußerungen auf den Websites auf praktische Partizipationsformate, aber ebenso auf affektive Qualitäten von Atemerfahrungen – wie zum Beispiel eine „tiefe Entspannung, in der wir ganz in den Körper, ins Spüren, in die Präsenz kommen“ (W-11) –, die nicht allein kognitiv nachvollzogen werden können. Derartige symbolische Darstellungen referenzieren, mit Karl Mannheim (1980) gesprochen, auf einen konjunktiven Erfahrungsraum, der durchlebt werden muss, um verstanden werden zu können. Zumindest für Leser*innen, die bisher keinerlei Erfahrungen mit der Atemarbeit oder ähnlich gelagerten Praktiken haben, dürfte sich hier also ein (gefühlter) gap zwischen Diskurs und Praxis, zwischen Leseerfahrung und auf die im Text verwiesenen Erfahrungen auftun. In dieser Hinsicht stellt sich sowohl für die Teilnehmer*innen der sozialen Welt der Atemarbeit als auch für Soziolog*innen die Situation ähnlich dar: Beide teilen das Problem, spezifische Erfahrungen (zugänglich) machen zu müssen.

In den folgenden drei empirischen Kapiteln fokussiere ich dementsprechend auf die praktische Herstellung spezifischer Formen von ge- und erlebter Körperlichkeit. Man betritt also jenes Terrain leiblichen Verhaltens, das ich im Theorie-Teil dieses Buches unter Rückgriff auf praxistheoretische Ansätze und den Pragmatismus analytisch abgesteckt habe. Forschungspraktisch gesprochen begebe ich mich von der Rolle eines Diskurse rezipierenden (soziologisch) Interessierten in jene des aktiv Atmenden, der die Praktik der Atemarbeit leiblich auf sich wirken lässt, um diese einer empirischen Rekonstruktion unterziehen zu können. Im vorliegenden Kapitel untersuche ich die Atemarbeit als soziomaterielles Arrangement (siehe die Übersicht in Abschnitt 2.5), das sich als wesentlich für die Hervorbringung eines atemarbeitsspezifischen Erlebnisformates erweist, in dem gezielt die Produktion leiblicher Erfahrungen vorangetrieben wird (5.1). Wie ich in der Folge verdeutliche, beruht das Erlebnisformat der Atemarbeit auf zwei zentralen praktischen Logiken, die im Vollzug ineinandergreifen: der Herstellung einer erfahrbaren Alltagstranszendenz, die sich durch eine räumlich-zeitliche und symbolische Distanzierung von alltäglichen Verrichtungen und Verpflichtungen auszeichnet (5.2), und der Erzeugung eines erlebbaren Hier und Jetzt, das auf der Etablierung eines spezifischen Wahrnehmungsraums und der Herstellung einer bestimmten Form von Leiblichkeit beruht (5.3).

1 Institutionalisierte Formate der Produktion leiblicher Erfahrungen

Die Produktion leiblicher Erfahrungen vollzieht sich bei vielen alltäglichen und routinehaften Verrichtungen, darauf habe ich bereits hingewiesen, oftmals unintendiert und en passant. Leibliche Verhaltensschemata geraten gar nicht erst in den Fokus der Aufmerksamkeit und sie werden nicht thematisch (vgl. Crossley 2007: 82 ff.; Polanyi 1967; 1983 [1966]). Solange beispielsweise Interaktionsgewohnheiten oder Wahrnehmungsfertigkeiten funktionieren, wir Situationen ohne (größere) Probleme bewältigen können, verbleiben diese im Wahrnehmungshintergrund. Darüber hinaus erwerben und modifizieren wir gerade im alltäglichen Tun habituelle Fertigkeiten, aber auch Wahrnehmungs- und Gefühlsrepertoires häufig mehr oder weniger beiläufig auf der Grundlage eines mimetischen Nach- und Mitvollzugs (vgl. Gebauer/Wulf 1998), also nicht ausschließlich (wahrscheinlich auch nur zu einem geringeren Teil) durch explizite Instruktion, sondern vielmehr durch praktische Partizipation an verschiedenen „soziale[n] Ritualisierungen“ (Goffman 2001: 59) und den kollektiven Strategien der Bewältigung unserer alltäglichen Lebensführung. Gerade die uns als gänzlich selbstverständlich erscheinenden, körperlich verankerten Kompetenzen alltäglichen Lebens oder, wie man mit Bourdieu argumentieren kann, gruppen- oder milieuspezifischen Habitusformen werden zumeist nicht explizit und intendiert vermittelt, sondern mittels einer „stillen Pädagogik“ (ebd.: 1993 [1980]: 128), die als solche nicht eigentlich beabsichtigt ist.Footnote 1

Das (unauffällige und unbeschwerte) Atmen macht diese Hintergründigkeit und Beiläufigkeit leiblicher Verhaltensdimensionen – insbesondere leiblich verankerter Gewohnheiten – besonders anschaulich. Da es sich bei der Atmung um eine sogenannte autonome Stoffwechselfunktion handelt und sich diese ohne unser intendiertes Zutun vollzieht, wird sie im alltäglichen, routinierten Tun zumeist nicht zum Gegenstand der Aufmerksamkeit. Dementsprechend begreift Margot Lyon (1997: 96; Hervorh. A.A.) die „relationship between respiratory patterns and subjectivity (in the context of social and cultural life)“ als „a part of the ‚background‘ of our being“. Bemerkbar macht sich die Atmung gemeinhin unter bestimmten Bedingungen: etwa bei Atemnot verursachenden Erkrankungen (vgl. Ehrensperger 2017), beim Auftreten von Emotionen (vgl. Lyon 1994, 1997) oder aber zum Beispiel bei körperlicher Anstrengung. Entscheidend für Lyons (1994: 88, 95 ff.) sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Atmen ist gleichwohl auch, dass dieses intentional steuer-, modellier- und somit auch für bestimmte Zwecke nutzbar ist (so auch Ehrensperger 2020: 54).Footnote 2 So verweist sie beispielhaft auf einschlägige Techniken des Körpers (vgl. Mauss 1989 [1935]) – sie nennt unter anderem auch Rebirthing und holotropes Atmen –, die mittels einer Intensivierung der Atmung auf die Erzeugung von Gefühlen zielen (vgl. hierzu auch das Beispiel der Vokalatmung bei Hauser 2018 im Rahmen yogischer Praktiken und die Beschreibung der Bedeutung des Atmens in der Achtsamkeitsmeditation bei Ehrensperger 2020: 147 ff.).

In soziologischer Hinsicht ist vor diesem Hintergrund insbesondere von Relevanz, dass es neben einer nicht-intendierten, gewissermaßen ‚zwecklosen‘, beiläufigen, in unsere Alltagspraxis eingelassene Bearbeitung und Produktion leiblicher Verhaltensschemata auch spezifische institutionalisierte Formate (Goffman 2001: 94) gibt, in denen gezielt ein Erwerb oder die Modifikation leiblicher Verhaltensschemata oder die Erzeugung leiblicher Resonanz angestrebt wird. Das gilt prinzipiell freilich nicht nur für die soziale Welt ganzheitlicher bzw. holistischer Angebote und es ist keineswegs so, dass sich derartige Formate der Produktion leiblicher Erfahrungen auf einen gegenwärtig konstatierten Körperkult (vgl. Gugutzer 2016; Karstein/Benthaus-Apel 2012) beschränken ließen. Historisch und kulturell spezifisch haben sich vielmehr eine Vielzahl sozialer Welten und Subwelten und teils dazugehörige Wissens- und Expert*innenkulturen herausgebildet, die eine gezielte Hervorbringung ge- und erlebter Körperlichkeit bezwecken. Chris Shilling (2018: 76) spricht in diesem Zusammenhang von Körperpädagogiken (body pedagogics): „culturally shaped institutional forms […] that involve the sensory and physical education of individuals“.

Zu denken ist hier beispielsweise an didaktische Formate der Wissensvermittlung, in denen spezifische Bewegung- und Wahrnehmungsfertigkeiten vermittelt werden. Diese zielen auf eine (im engeren Sinne) instrumentelle Produktion körperlich-leiblicher Kompetenzen, insofern diese in manchen sozialen Welten schlicht notwendig sind, um bestimmte Leistungen zu erbringen und aufrechtzuerhalten oder aber bestimmte Zielsetzungen erreichen zu können – so etwa im Rahmen verschiedener beruflicher Aktivitäten (Fleck 1983a [1935]; Knorr Cetina 1988: 96 ff., 2001: 138 ff.; Kubes 2014; Lande 2007; Uhmann 2010), im Bereich des Sports (Alkemeyer/Michaeler 2013, Brümmer 2015; Schindler 2011; Wacquant 2010 [2001]) oder bei künstlerischen Praktiken (O’Connor 2007a, b; Müller 2015; Wilf 2010). Auch wenn die Grenzen in vielerlei Hinsicht fließend sein mögen und auch Mischformen und Überschneidungen denkbar sind, so lassen sich von derlei Formaten jene unterscheiden, die Ronald Hitzler (2015: 160, 165) als „Erlebniswelten“ oder „kulturelle[] Erlebnisangebote“ bezeichnet: freizeitkulturelle Konsumangebote, die auf die Befriedigung von „Wünsche[n] nach besonderen Erlebnissen“ (ebd.: 160), auf die Produktion von Außeralltäglichkeit und die Erzeugung leiblicher Resonanz (wie z. B. Ausgelassenheit, Ekstase, Spaß oder auch Entspannung) ausgerichtet sind. Zu denken ist hier etwa an eventisierte Freizeitaktivitäten, wie beispielsweise Wellness-Angebote (Duttweiler 2004), der Besuch von populärkulturellen Veranstaltungen, zum Beispiel Partys und Konzerte, die Teilnahme an Sportveranstaltungen (vgl. als Überblick Hitzler 2015 sowie exemplarisch Ginkel 2017: 109 ff.; Hitzler/Pfadenhauer 1998; Leistner/Schmidt-Lux 2012; Steets 2015a) bis hin zu politischen oder religiösen Veranstaltungen (Hitzler/Pfadenhauer 2007; Knoblauch 2001b; Wetherell 2013).

Insofern, wie bereits erläutert, auch bei ganzheitlichen bzw. holistischen Praktiken das leibliche Erleben des Selbst eine wesentliche Rolle spielt, zeichnen sich auch diese durch eine Erlebnisorientierung aus, die für derlei Angebote jeweils typische Ausprägungen annimmt. Ungeachtet längerfristiger Zielsetzungen und Wirkungen – wie zum Beispiel eine generelle Gelassenheit im Alltag bis hin zur Bewältigung existenzieller Probleme – lässt sich vor diesem Hintergrund nach den spezifischen praktischen Logiken der Bearbeitung und der Produktion leiblicher Verhaltensschemata in verschiedenen sozialen Welten fragen. Auf den vorliegenden Fall bezogen: Wie ist das Erlebnisformat der Atemarbeit ‚gebaut‘?

Versucht man, die Frage nach der Produktion leiblicher Erfahrungen im Rahmen institutionalisierter Erlebnisformate aus einer praxistheoretischen Perspektive zu beantworten, dann bedeutet dies, nicht allein die Ausführung typischer Aktivitäten und die für diese typischen Rollengefüge in den Blick zu nehmen (vgl. Berger/Luckmann 2007 [1966]: 56 ff.). Erstens werden Teilnehmer*innen, die an solchen Formaten partizipieren, mit spezifischen praktischen und normativen Anforderungen und Relevanzen ‚konfrontiert‘, die ganz wesentlich bei den leiblichen Dimensionen ihres Tuns ansetzen. Dies gilt es empirisch in den Blick zu rücken. Zweitens ist für eine Soziologie leiblicher Praxis wesentlich, dass sie die Produktion von Körperlichkeit nicht allein als eine individuelle Leistung der Beteiligten begreift oder allein auf Interaktionen abstellt. Sie setzt insofern umfassender an, als sie auf die heterogenen soziomateriellen Bestandteile institutionalisierter Arrangements abstellt, die den Vollzug bestimmter Praktiken und ein damit verbundenes Erleben als solches erst ermöglichen, aber auch beschränken. Im Falle der Atemarbeit folgen diese, wie ich in der Folge zeigen möchte, einer dominanten praktischen Logik, die wesentlich darauf zielt, situativ Kontraste zur alltäglichen Lebensführung zu produzieren (vgl. auch Conradson 2011; Griera 2017; Knoblauch 2001b; Pagis 2010: 484 ff.). Wie wird dies im Falle der Atemarbeit konkret realisiert? Durch welche praktischen und normativen Organisationsformen, kommunikativen Strategien, Architekturen und Dingwelten zeichnet sich das soziomaterielle Arrangement der Atemarbeit aus?

Bevor ich mich dieser Frage empirisch im Detail zuwende, ein paar Worte zu den der Analyse zugrundeliegenden Fällen: Ich fokussiere in der Folge insbesondere auf eineinhalbstündige Atemarbeit-Einzelsitzungen, die ich allesamt bei einem langjährig tätigen Atemlehrer absolviert habe, sowie auf jene auf Video aufgezeichneten Sitzungen, die eine Kollegin absolviert hat. Vergleichend und komplementierend beziehe ich mich überdies auf einen „Kurs“ mit maximal zwölf Teilnehmer*innen, der in einer Salzgrotte stattgefunden hat, die sogenannte „Atemschule“. Dieses Angebot wendet sich einerseits (was vor allem dem Ort der Veranstaltung geschuldet ist) an Personen mit Atemwegs- bzw. Lungenerkrankungen. Insofern eine Linderung von „Stress“ und „Müdigkeit“ in Aussicht gestellt wird, wird aber zugleich auch ein allgemeineres Publikum adressiert. Das Format dauert 45 Minuten. Ich halte mich allerdings nicht strikt an die Chronologie der jeweiligen Formate, beispielsweise an den konkreten Ablauf von Atemtherapie-Einzelsitzungen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die analytisch identifizierbaren praktischen Bedingungen und Strategien der Produktion von Außeralltäglichkeit und eines erfahrbaren Hier und Jetzt.

2 Alltagstranszendenz: Die Atemarbeit als Möglichkeitsraum

Im Hinblick auf die Erzeugung von Alltagstranszendenz lassen sich vier zentrale praktische Bedingungen und Strategien ausmachen: Ich unterscheide zwischen (a) der Notwendigkeit, sich temporär aus seinem Alltagsleben auszuklinken, was wiederum Planungs- und Organisationsarbeit impliziert, die dem Machen von (nicht-alltäglichen) Erfahrungen vorausgeht, (b) der Art und Weise, in der sich solche Erfahrungen als Kontrasterfahrungen individuell manifestieren, (c) den (un-)typischen Interaktionsordnungen der Atemarbeit sowie (d) den kommunikativen Rahmungen, die eine Ver-Anderung und Besonderung der Situation ermöglichen.

(a) Aus dem Alltag ausklinken

Selbst wenn es sich bei Formaten wie Einzelsitzungen und der Atemschule im Unterschied zu Wochenendseminaren oder mehrstündigen Kursen um vergleichsweise kurze Zeiträume handelt, so muss es den Klient*innen doch gelingen, diese in ihren Tagesablauf zu integrieren (vgl. auch Gugutzer 2016: 150 f.; Philo/Cadman/Lea 2015). Dies setzt finanzielle und zeitliche Ressourcen wie auch ein Mindestmaß an Planung und Organisation voraus.Footnote 3 So müssen etwa Termine für Einzelsitzungen vorab telefonisch, per E-Mail oder am Ende der Sitzungen vereinbart werden. Im Falle der Atemschule muss man sich im Internet auf der Homepage der Salzgrotte registrieren, einen Termin auswählen, diesen buchen und (z. B. per Kreditkarte) bezahlen. Man muss Termine im Blick behalten, die Anfahrtszeiten berücksichtigen, sich rechtzeitig auf den Weg zur Sitzung machen, die erforderlichen Vorbereitungen treffen (z. B. Geld abheben, sofern nur bar gezahlt werden kann) usw.

Zwar mögen derartige Tätigkeiten einigermaßen trivial erscheinen, wichtig ist aber, dass sie aus soziologischer Perspektive einen notwendigen Bestandteil des Erlebnisformats der Atemarbeit ausmachen: Sie sind als von den Teilnehmer*innen praktisch zu erbringende Leistungen zu verstehen und fungieren als vorgängige Bedingungen des Machens bestimmter Erfahrungen. Deutlich wird diese Planungs- und Organisationsbedürftigkeit insbesondere dann, wenn die entsprechenden Schritte nur unzureichend umgesetzt werden. Das führt mitunter dazu, dass das genaue Gegenteil von dem eintritt, wofür die Atemarbeit (unter anderem) eine Bewältigungsstrategie sein soll: Stress. Hierzu ein Auszug aus einem meiner Feldprotokolle:

Heute kam ich ungefähr 20 Minuten zu spät zur Atemsitzung, weil ich fälschlicherweise angenommen hatte, dass diese erst um 12:30 Uhr (und nicht um 12:00 Uhr) stattfindet. Ich habe meinen Atemlehrer Manfred um 11:50 Uhr noch auf den Anrufbeantworter gesprochen. Er rief mich ein paar Minuten nach 12:00 Uhr auf meinem Handy an und fragte, ob ich auf die Sitzung vergessen hätte. Am Anrufbeantworter sei keine Nachricht gespeichert gewesen. Noch dazu musste ich vor der Sitzung Geld abheben, um bezahlen zu können. Doch als ich beim Geldautomaten ankam, war dieser defekt. Na toll! -- Warum ich das alles schreibe: Ich war nicht nur (viel) zu spät dran, sondern auch ziemlich im Stress. [ES-6]

Anhand der Feldnotizen wird ex negativo deutlich, dass die Atemarbeit und ähnliche ganzheitliche Erlebnisformate in den Alltag integriert werden müssen.Footnote 4 Erst eine solche erfolgreiche Integration erlaubt es, dem Alltag (wie auch immer dieser sich individuell jeweils darstellen mag) in einem gewissen Sinne temporär zu entfliehen. Atemarbeit verlangt und ermöglicht zugleich, sich Zeit zu nehmen und sich von unterschiedlichsten Verpflichtungen, etwa beruflicher oder familiärer Natur, freizumachen und derart vom alltäglichen Tun zu distanzieren (vgl. auch Conradson 2011: 81, 83; Pagis 2010: 484 f.). Unterstützt wird dies dadurch, dass man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort einfindet oder aber beispielsweise auch seine telekommunikative Verfügbarkeit unterbindet, indem man sein Mobiltelefon ab- oder auf lautlos stellt. Es handelt sich dabei also einerseits – insofern die Bedingungen für eine Teilnahme geschaffen werden müssen – um eine notwendige und andererseits auch um eine willkommene „punktuelle Unterbrechung im Tagesablauf“ (Goffman 2001: 133). Ein solches temporales und räumliches Sich-Ausklinken wird von David Conradson (2011) am Beispiel von Meditations-Retreats anschaulich beschrieben: „Places of retreat“, so Conradsons (ebd.: 72; Hervorh. A.A.) Folgerung, seien als „sites“ zu verstehen, „which offer a person some distance from his or her everyday commitments and responsibilities, such that it becomes possible to think and feel differently“.

(b) Kontrasterfahrungen

Die Differenz zwischen Alltagsleben und Nicht-Alltag beruht allerdings nicht nur auf der Inanspruchnahme spezifischer räumlich-zeitlicher Enklaven, die insofern eine Entpragmatisierung erlauben, als sie es ermöglichen, gewisse Dinge temporär hinter sich lassen und sich anderen Dingen zuwenden zu können. Ebenso spielen, wie auch in dem obigen Zitat deutlich wird („feel differently“), die in der Atemarbeit evozierten und von mir als Klient positiv bewerteten affektiven Erfahrungsqualitäten eine bedeutende Rolle:

Ich genieße die Atemsitzungen vor allem hinsichtlich ihrer Qualitäten als Kontrasterfahrungen zu den Verrichtungen, die man im Alltag zu bewältigen hat. Die Sitzungen bringen oftmals ein sehr entspannendes Element mit sich. Zumindest für mich gilt (auch bedingt durch meine Aufgaben als Jungvater), dass in meinem Alltag (im Moment) wenig Platz bleibt für ein Zur-Ruhe-Kommen und In-sich-Gehen, so, wie es in der Atemarbeit möglich ist. Insofern weiß ich diese Art der Erfahrung sehr zu schätzen. Dabei zeichnen sich die Einzelsitzungen vor allem durch eine starke Fokussierung auf den eigenen Körper aus. Die längerfristige Etablierung eines solchen Aufmerksamkeitsfokus ist in dieser Art und Weise im alltäglichen Tun für mich kaum möglich. Auch im Anschluss an die Atemsitzungen merke ich, dass ich immer eine gewisse Zeit – 30 bis 60 Minuten – brauche, bis ich wieder im ‚Alltag‘ angekommen bin. Es stellt sich eine schwer zu beschreibende andere Art der Wahrnehmung ein, die zwar relativ diffus bleibt, sich aber am ehesten als eine spezifische Stimmung beschreiben lässt, in der ich ruhig und – im positiven Sinne – in mich gekehrt bin. [ES-7]

Deutlich wird hier, dass die Nicht-Alltäglichkeit, die in den Feldnotizen benannt wird, nicht aufgrund irgendwelcher formalen Kriterien quasi-objektiv bestimmt werden kann. So hat man sich beispielsweise nicht alleine schon deswegen vom Alltag distanziert, bloß weil man sich an einem anderen Ort befindet. Ebenso wenig ist Nicht-Alltäglichkeit nicht allein schon deswegen gegeben, weil sie von den Anbieter*innen diskursiv beschworen wird (siehe unten). Vielmehr sind es die ‚unwahrscheinliche‘ Art der Tätigkeit (kontinuierliche Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper) und insbesondere die daraus resultierenden Erfahrungsqualitäten (z. B. „Zur-Ruhe-Kommen“, „In-sich-Gehen“), die ge- und er-fühlte Kontraste zwischen einem Alltag – im Sinne eines Anderen der Erfahrung – und einer etablierten Nicht-Alltäglichkeit der Atemarbeit konstituieren. „Wenn wir“, so auch Hitzler (2015: 160; Hervorh. A.A.), „den Eindruck haben, dass wir etwas erleben, dann erleben wir in aller Regel etwas vom normalen Erleben Unterschiedenes“.Footnote 5

(c) (Un-)Typische Interaktionsordnungen

Eine solche erfahrbare Nichtalltäglichkeit wird zusätzlich durch veränderte Interaktionsordnungen befördert. Im Falle der Einzelsitzungen ist ähnlich wie bei Selbstthematisierungspraktiken wie der Beichte oder psychotherapeutischer Kommunikation eine „‚Einklammerung‘ von alltäglichen Interaktionsnormen“ (Willems 1994: 26) festzustellen. So beginnt – nachdem man sich begrüßt und gegebenenfalls kurz Smalltalk gemacht hat – die eigentliche Sitzung damit, dass man sich (in meinem Falle) auf der Couch und (im Falle des Atemtherapeuten) auf dem Lehnstuhl niederlässt (siehe Abb. 5.1). Der Atemtherapeut fragt etwa danach, ob es „irgendein inneres Anliegen oder ein Thema“ gäbe, das einen „beschäftig[e]“ (VA-1), oder schlicht, wie es einem im Moment gehe (AS-2). Derartige Erzählaufforderungen laden nicht nur dazu ein, eine reflexiv-kommunikative und problematisierende Haltung gegenüber persönlichen Lebensereignissen und der eigenen Biographie einzunehmen (vgl. Bohn/Hahn 1999; spezifisch zur Psychotherapie Willems 1994, 1999; Illouz 2011 sowie interaktionsanalytisch ansetzend Streeck 2004). Sie befördern (potenziell) auch eine asymmetrische und monothematische Interaktionsstruktur, die wohl für alltägliche Formen der Kommunikation insofern eher untypisch sein dürfte, als sie mit Reziprozitätserwartungen bricht: Es sind exklusiv Klient*innen, die über sich berichten (sollen).Footnote 6

Abb. 5.1
figure 1

Interaktionssituation: Vorgespräch (Atemtherapie-Einzelsitzung)

Die Umstellung der Interaktionsordnung wird dabei nicht nur kommunikativ vom Atemtherapeuten offeriert und von den Klient*innen kognitiv wahrgenommen. Sie kann auch mit ambivalenten Haltungen oder Gefühlen einhergehen – was unterstreicht, dass die Situation für die Beteiligten (wohl insbesondere, wenn es sich um Noviz*innen handelt) in habitueller Hinsicht mitunter eine ungewöhnliche ist. So halte ich beispielsweise in den Feldnotizen zu meiner fünften Einzelsitzung fest:

Begonnen haben wir mit ein wenig Smalltalk und recht bald sind wir dann auch in den eigentlichen ‚therapeutischen Modus‘ gewechselt. […] Dieser Übergang fällt mir (nach wie vor) ein wenig schwer, weil es sich bisweilen etwas künstlich und unauthentisch anfühlt, diesen Cut zu machen und dann sozusagen plötzlich von seinen ‚Problemchen‘ zu erzählen. [ES-5]

Den Klient*innen wird in den Einzelsitzungen in normativer und praktischer Hinsicht also eine spezifische Kompetenz (vgl. Pfadenhauer 2010) abverlangt: Sie dürfen (bzw. sollen) nicht nur exklusiv und problematisierend über sich erzählen, sie sollten auch die Bereitschaft mitbringen, dies unumwunden und ehrlich zu tun. Darüber hinaus sollten sie auch im Sinne eines praktischen Könnens fähig sein, etwaige Probleme in nachvollziehbarer Art und Weise zu artikulieren (Willems 1994: 30 ff.) oder etwa – sofern sie das wollen – im Nachgespräch auf ihre (Atem-)Erfahrungen sprachlich reflektieren.

Hinzu kommt, dass sich die Klient*innen nach dem Vorgespräch beim Übergang zum ‚eigentlichen‘ Atmen in einer eher außergewöhnlichen Interaktionssituation befinden: Beim Atmen im Rahmen der Einzelsitzungen liegt man mit geschlossenen Augen auf einer Matratze. Der Atemtherapeut kniet auf einem Kissen direkt neben der Matratze. Er hat also beste Sicht auf das Geschehen (siehe Abb. 5.2).

Abb. 5.2
figure 2

Interaktionssituation: ‚Eigentliches‘ Atmen (Atemtherapie-Einzelsitzung)

In der Atemschule liegen die Anwesenden allesamt auf Liegestühlen. Die Atemlehrerin, Lisa*, bewegt sich frei im Raum und kommt den Teilnehmer*innen mitunter recht nahe. In beiden Fällen ist mit Berührungen – etwa im Bereich des Brustkorbes oder des Bauches – zu rechnen.Footnote 7 Das heißt: Man hört, was Lisa sagt, spürt etwaige Berührungen. Man sieht selbst nichts, weiß aber, dass man gesehen wird. Auch dabei handelt es sich also um eine – wenn auch, im Vergleich zum Vorgespräch, völlig anders gelagerte – asymmetrische und in vielerlei Hinsicht alltagsuntypische Interaktionssituation: Man liegt auf dem Präsentierteller und ist dem Therapeuten in visueller Hinsicht gleichsam ausgeliefert – was zumindest ein Grundausmaß an Vertrauen in das unsichtbare, beobachtende Gegenüber voraussetzt.

(d) Kommunikative Rahmungen: Ver-Anderungen und Besonderungen

Neben der unwahrscheinlichen Art der Tätigkeit und den dadurch evozierten affektiven Qualitäten sowie den alltagsuntypischen Interaktionsordnungen, die allesamt zu einer gefühlten Nicht-Alltäglichkeit beitragen (können), sind – vor allem zu Beginn der Sitzungen – auch kommunikative Rahmungen zu beobachten, die die Atemsitzungen symbolisch vom Alltag abheben bzw. darauf zielen, Übergänge zu markieren. Einerseits lassen sich hierbei sprachliche Strategien der Differenzproduktion ausmachen, die allerdings in ihrer Explizitheit stark variieren. Andererseits wird auch mit nicht-sprachlichen, aber auditiven Formen, wie Musikinstrumenten oder abgespielter Musik, gearbeitet, wobei diese dazu beitragen können, die Situation zu besondern.

Im Falle der Einzelsitzungen lassen sich dezente sprachliche Markierungen ausmachen, die eng mit den Instruktionen, die auf eine Steuerung der Aufmerksamkeit der Klient*innen zielen, verbunden sind. So formuliert Manfred am Beginn der Phase des eigentlichen Atmens in zwei Einzelsitzungen folgendermaßen:

Manfred: Jetzt erst einfach mal ankommen (I: mhm), sodass=du die Unterlage spürst und einfach spürst wie der Körper darauf liegt. [AS-4]

Manfred: Dass=d einmal Gelegenheit hast, gut anzukommen, gut ins Innen-Spüren zu kommen und auch, den Körper gut wahrzunehmen und die ( ) ins Fließen zu bringen. [AS-7]

Auffällig ist, dass mit Begriffen wie der Rede von einem „Ankommen“ operiert wird, mit denen die atemtherapeutische Situation generell und das Tun der Klient*innen semantisch in zeitlicher und räumlicher Hinsicht gerahmt werden. Das „Ankommen“ kann hier einerseits als Teil der Instruktionen gelesen werden, insofern es – insbesondere in Verbindung mit den Aufmerksamkeitssteuerungen – dazu anregt, auf das Hier und Jetzt, das körperliche Erleben im Moment, zu fokussieren. Andererseits, das sollte nicht außer Acht gelassen werden, ist die Rede vom Ankommen auch symbolisch aufgeladen: Eine vorgängige Bewegung geht (allmählich) in einen Ruhezustand über. Der Weg findet sein (vorläufiges) Ende. Man hat das Ziel erreicht bzw. ist gerade dabei, es zu erreichen. Indem die Situation im Hier und Jetzt – wenn auch subtil – von einer wie auch immer gearteten vorgängigen Situation diskursiv geschieden wird, wird ihr (implizit) eine spezifische Qualität zugeschrieben: Es ist eine Situation, in der man eben auch „ankommen“ kann, in der man sich selbst zuwenden kann; eine Situation, die in dieser Hinsicht – im Vergleich zum Vorgängigen – anders ist.

Noch deutlicher wird ein solches symbolisches ‚othering‘ der Situation im Falle der Atemschule. Hier bedient sich Lisa sprachlich nicht nur einer expliziten Abgrenzung zum alltäglichen Leben, sie setzt auch auf unterschiedliche semiotische Ressourcen (Goodwin 2000: 1492) und kombiniert diese: So lädt sie, ähnlich wie Manfred in den Einzelsitzungen, nicht nur dazu ein, „ganz bewusst hier an[zu]kommen“ (AS). Sie bedient sich auch einer Flöte und fordert zu Folgendem auf (– entspricht einer Sekunde):

Lisa: Hör den Ton meiner Flöte und lass damit alle Alltagsgedanken gehen. Wie wenn du mit dem Ausatem alle Sorgen alle Gedanken (-- -- -- --) dem Ton übergibst, der ihn dann von dir wegträgt.

Es ertönt für dreizehn Sekunden ein Ton. Nach einer kurzen Pause von drei Sekunden erklingt der Ton ein weiteres Mal für elf Sekunden. Im Hintergrund erklingt aus Lautsprechern kurz darauf leise Musik, die man – so meine Assoziation beim Verfassen der Feldnotizen – wohl am ehesten als Ambient-Musik beschreiben kann.Footnote 8 [AS]

Man hat es hier also zum einen mit sprachlichen Formen der Grenzziehung zu tun, die explizit eine Differenz zu anderen Erfahrungsräumen einziehen: Nicht nur möge ich hier ankommen, zugleich sollen andere Dinge – „Alltagsgedanken“, „alle Sorgen, alle Gedanken“ – die ich von draußen mitgebracht habe, die Situation verlassen – wofür der Ton der Flöte von der Atemlehrerin symbolisch auch als Vehikel des Abtransports angeboten wird: Sorgen und Gedanken solle man dem Ton übergeben. Für diese Dinge, so die exkludierende Logik, ist hier kein Platz; sie sind hier fehl am Platz. Abgesehen davon, dass der Ton der Flöte auch einen sinnlichen Reiz setzt, trennt er – wie ein Schnitt – das zeitliche Davor vom Hier und Jetzt; gleichermaßen wie auch das Einsetzen der Musik den Beginn von etwas anderem ‚einläutet‘.Footnote 9

Die Atemlehrerin fährt unmittelbar danach fort:

Lisa: Es gibt jetzt nichts zu tun oder zu entscheiden für dich. Jetzt ist Zeit ausschließlich für dich selbst. [AS]

Dabei handelt es sich um eine Spezifikation dessen, für welche Aktivitäten – nämlich: keine – und für welche ‚Themen‘ sowohl Zeit als auch Ort reserviert sind. Hier wird also nicht nur eine Situation als andere gerahmt, sondern diese wird auch als eine spezifische Situation bestimmt. Im ersten Satz behauptet Lisa die Möglichkeit eines entpragmatisierten In-der-Situation-Seins („Es gibt jetzt nichts zu tun oder zu entscheiden für dich“.). Zwar ist dies nicht als eine faktische Aussage zu interpretieren, denn in der Folge wird ja sehr wohl etwas Bestimmtes getan (überdies stellt – zumindest aus soziologischer Perspektive – auch ein Unterlassen oder Geschehen-Lassen eine Form der Aktivität dar). Diese Negation des Faktischen hat vielmehr eine dramaturgische Funktion, insofern die Situation so besondert werden kann. Eine solche Besonderung vollzieht sich wiederum auf der Grundlage einer (impliziten) Differenzmarkierung: In anderen (alltäglichen) Situationen, mit ihrer – so eine mögliche Lesart – instrumentellen Orientierung muss man oftmals eben gewisse Dinge tun oder ist gleichsam gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Hier und jetzt ist das anders. Man soll sich also nicht nur selbst vom Alltag gedanklich freimachen, man wird vorab auch von der Atemlehrerin sozusagen handlungspragmatisch entlastet. Ähnliches gilt für die propagierte Themenexklusivität (man erinnere sich auch an den Hinweis auf die Monothematik des Vorgesprächs): Es ist nicht nur „ausschließlich“ Zeit für einen selbst. Man darf und soll sich im Rahmen der Atemarbeit auch – im wahrsten Sinne des Wortes – sich selbst zuwenden und braucht sich sozusagen um nichts anderes kümmern.

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Das Erlebnisformat der Atemarbeit wird durch spezifische praktische und kommunikative Strategien als Erlebnisformat für die involvierten Klient*innen erfahrbar gemacht. Auch wenn Außeralltäglichkeit nicht unabhängig von den Teilnehmer*innenperspektiven gedacht und dementsprechend auch nicht einfach verordnet werden kann, so lässt sich sagen, dass die Atemarbeit – so kann man im Anschluss an Hitzler (2005) formulieren – als Möglichkeitsraum zu begreifen ist: Das notwendige und ermöglichte Ausklinken aus dem Alltag, die Umstellung auf untypische Interaktionsordnungen, das Nachgehen einer vergleichsweise ‚unwahrscheinlichen‘ Tätigkeit samt gefühlter Kontrasterfahrungen und die kommunikativen Rahmungen, die die Situation ver-andern und besondern, sind allesamt zusammen dazu angetan, den Nährboden dafür bereitzustellen, sich aus seinen „Lebens-Routinen heraustransportieren zu lassen“ (Hitzler 2015: 165).

3 Ein Hier und Jetzt erzeugen: Der Wahrnehmungsraum der Atemarbeit

Wie bereits im obigen Abschnitt angedeutet und beispielhaft anhand der Anbieter*innendiskurse aufgezeigt, geht es in der Atemarbeit um die Herstellung eines leiblichen Selbstbezugs, der im Wissensobjekt des Atems seinen diskursiven Ausdruck findet. In praktischer Hinsicht manifestiert sich der Atem primär in einer Zentrierung der Aufmerksamkeit auf die eigenen (Atmungs-)Aktivitäten, der Etablierung eines räumlich und zeitlich stark gebündelten Hier und Jetzt. In diesem Abschnitt frage ich danach, in welcher Art und Weise das soziomaterielle Arrangement der Atemarbeit ermöglichende Rahmenbedingungen für eine Tätigkeit mit einem solch hohen Fokussierungsbedarf bereitstellt.

Während die Praktik der Atemarbeit oben als ein Möglichkeitsraum beschrieben wurde, der die Produktion einer Andersheit gegenüber alltäglichen Verrichtungen und Erfahrungen begünstigt, geht es im Falle der soziomateriellen Herstellung präsentischer Erfahrungen um die Etablierung eines spezifischen Wahrnehmungsraums und damit zusammenhängend: um die Hervorbringung einer bestimmten affektiv-sinnlichen Ordnung. Ich gehe dabei auf folgende Aspekte ein: (a) die Bedeutung architektonischer Infrastrukturen für eine räumliche Abschirmung, (b) das Kappen telekommunikativer Verbindungen – wobei ich hierbei auch zeige, wie Störungen situativ gemanagt werden, (c) das Vorbeugen eigenleiblicher ‚Störungen‘ und schließlich (d) Praktiken des Einrichtens und Einstimmens.

(a) Räumliche Abschirmung

Prinzipiell ist zunächst zu sagen, dass es sich bei der Herstellung einigermaßen stabiler und kontinuierlicher Aufmerksamkeiten, im Sinne einer Fokussierung der Wahrnehmung, um ein vergleichsweise prekäres Unterfangen handelt. Gerade im urbanen Raum ist man vielfältigen Eindrücken, potenziellen Ablenkungen und (auditiven) Störungen ausgesetzt, die entsprechende Versuche zu unterlaufen drohen. Eine erste basale Voraussetzung für die Herstellung eines Hier und Jetzt sind dementsprechend architektonische Infrastrukturen (vgl. Bergmann 2013: 213 und am Beispiel von Sport-Arenen auch Steets 2015a).

So finden Atemtherapie-Einzelsitzungen etwa in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen statt. Andere Angebote wie die Atemschule werden in multifunktionalen Settings, wie einer Salzgrotte, angeboten, in der neben Halotherapie (Salzlufttherapie) unterschiedliche Sitzungen bzw. Kurse von verschiedenen Anbieter*innen, wie zum Beispiel Meditationsabende, offeriert werden. Die Praxisräumlichkeiten, in denen die von mir absolvierten bzw. auf Video aufgezeichneten Einzelsitzungen stattgefunden haben, befinden sich in einem Wohnhaus in einem westlichen Wiener Außenbezirk. Die Einrichtung ist wohnlich – mit Schreibtisch, einem (vollen) Bücherregal, Teppichen, Pflanzen, einer Couch sowie einem Lehnstuhl. Die Matratze mit Kissen und Decken in der Ecke des Raums habe ich weiter oben bereits erwähnt (siehe auch Abb. 5.2). Bei der Salzgrotte, in der die Atemschule stattfindet, handelt es sich um eine künstlich gestaltete Tropfsteinhöhle in einem dicht verbauten Wohngebiet Wiens, die auch optisch einer solchen nachempfunden ist, und, wie es in einer Presseaussendung heißt, ein „Mikroklima“ biete, „das es sonst nur in Salzbergwerken gibt“.Footnote 10 Die Salzgrotte ist mit zwölf Liegestühlen mit Kopfkissen und Decken ausgestattet (vgl. zur Bedeutung von Dingen und Materialität beim Yoga auch Schink 2017: 296 ff.)

Eine räumlich-zeitliche Separierung durch die Nutzung gebauten Raums (vgl. Steets 2015b) dient nicht allein einer Distanzierung vom Alltag und seinen Verpflichtungen. Der gebaute Raum ermöglicht es ebenso, sich von sinnlichen Einflüssen und etwaigen Störungen abzuschirmen.Footnote 11 So können Störgeräusche, die Aufmerksamkeitsressourcen binden, die eigentlich für die Herstellung eines bewussten Atems gebraucht werden, ferngehalten werden. Damit trägt der gebaute Raum wesentlich dazu bei, sich kontinuierlich über einen längeren Zeitraum sich selbst zuwenden zu können. Architektonische Infrastrukturen sind somit nicht nur als Teil der Etablierung eines Möglichkeits-, sondern insbesondere auch eines Wahrnehmungsraums der Atemarbeit zu verstehen. Der gebaute Raum erlaubt es, das Feld der sinnlichen Wahrnehmung materiell zu verkleinern. Was heißt das konkret?

Vor Beginn der Sitzungen werden die Türen zum Praxisraum und zur Salzgrotte geschlossen. Man nimmt bestenfalls nur das wahr, was sich innerhalb der vier Wände zuträgt, und im Idealfall nichts darüber hinaus: also insbesondere die verbalen Instruktionen der Atemlehrer*innen, die sich als funktional für die Herstellung eines Hier und Jetzt erweisen (sollen), das Atmen der anderen Anwesenden (der Atemlehrer*innen oder – im Falle der Atemschule – der anderen Besucher*innen), das dazu anregen kann, rhythmisch ‚miteinzustimmen‘, das sich aber ebenso als Störfaktor erweisen kann, oder aber zum Beispiel die oben bereits erwähnte dezente (Hintergrund-)Musik, die zur Art und Weise des Erlebens selbst mit beiträgt (z. B. indem ruhige Musik auch ruhig ‚macht‘ oder aber schnelle rhythmische Musik zum schnelleren Atmen anregt). Der gebaute Raum der Atemarbeit ist also ein erster und wesentlicher Schritt zur Etablierung einer spezifischen affektiv-sinnlich erfahrbaren Ordnung.

(b) Verbindungen kappen (und Störungsmanagement)

Allerdings reicht eine räumliche Abschottung allein nicht aus, um Störungen von außen abzuhalten. Es bedarf auch anderer praktischer Vorkehrungen und Vorbereitungen. So setzt das Verhindern von Störungen und Ablenkungen von außen beispielsweise ebenso voraus, mitgebrachte Mobiltelefone ab- oder zumindest stummzuschalten. Dass dies von einiger Wichtigkeit ist, zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass beispielsweise im Rahmen der Atemschule explizit von Lisa, der Atemlehrerin, darauf hingewiesen wird. Nach einer kurzen Begrüßung, Vorstellung und Erläuterung der Inhalte der Einheit gibt sie, bevor es losgehen kann, noch folgenden Hinweis:

Lisa: Gut. (-- --) Bitte nochmal ganz scharf nachdenken, ob die Handys aus oder lautlos geschalten sind. Wenn das passiert ist, dann bitt ich Sie, es sich bequem zu machen und die Augen zu schließen. [AS]

Dass ein läutendes Mobiltelefon mindestens ein Ereignis ist, das aus der Perspektive des Atemtherapeuten Manfred eine sprachliche Intervention erforderlich macht, zeigt sich anhand seiner Reaktionen auf das zweimalige Läuten des Mobiltelefons seiner Klient*in, die eine Einzelsitzung bei ihm absolviert. Beim ersten Läuten reagiert er folgendermaßen:

Atemlehrer: (Na) kommen=S einfach wieder zurück mit der Aufmerksamkeit. (-- -- -- -- -- -- -- -) Ganz nach innen spüren und einfach loslassen. [VA-1]

Beim zweiten Läuten ähnlich:

Atemlehrer: @Lass ma das einfach ( )@ (-- -- --) mh=mh (-- -- -) Schauen Sie [Läuten endet] einfach, dass Sie mit der Aufmerksamkeit wieder ganz zurückkehren können, (-- --) in diesen Moment. (-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --) [VA-1]

Beide Reaktionen sind dabei als Reparaturversuche zu verstehen, insofern sie darauf zielen, den atemtherapeutischen Normalzustand wieder herzustellen: „zurück mit der Aufmerksamkeit […] nach innen“, „mit der Aufmerksamkeit wieder ganz zurückkehren [….] in diesen Moment.“ – wobei hier die ‚wahrnehmungsräumlichen‘ (und zeitlichen) Spezifikationen „nach innen“, „in diesen Moment“ den vorher etablierten Gegenstand der Aufmerksamkeit einerseits in Erinnerung rufen und andererseits eine Re-Etablierung des Aufmerksamkeitsfokus einfordern. Das „Lass ma das einfach“ soll offensichtlich dazu anregen, das Läuten sinnlich gewissermaßen links liegen zu lassen, damit aus einer kurz andauernden Störung nicht auch gleich noch eine Unterbrechung wird und man derart gegebenenfalls ganz ‚aus dem Tritt‘ gerät (vgl. auch Bergmann 2013: 288). Konkreter: Es regt dazu an, das Läuten entweder zu ignorieren oder sich diesem gegenüber indifferent zu verhalten, indem man sich aktiv einer anderen ‚Sache‘ zu- und sich damit gleichzeitig vom Läuten abwendet.

Noch ein anderer Aspekt wird hier deutlich: Obwohl das Lachen des Atemtherapeuten (in der Transkription mit @ gekennzeichnet) wohl als Hinweis darauf zu werten ist, dass das Läuten des Mobiltelefons durchaus mit Humor genommen werden kann (und insofern nicht so schlimm ist), so zeigt die Reaktion der Klientin (beim zweiten Läuten), dass dieses offensichtlich nicht nur in praktischer Hinsicht dysfunktional ist, sondern darüber hinaus hinsichtlich normativer Belange als problematisch interpretiert werden kann: Die Klientin entschuldigt sich nicht nur für das Läuten; ihr ist die Situation auch sichtlich unangenehm.

(c) Vorbeugen eigenleiblicher Störungen

Neben praktischen Vorkehrungen, die darauf zielen, Störungen von außen zu unterbinden, sind es teils auch scheinbar völlig triviale Vorkommnisse, die problematisch werden können. So etwa, wenn man verschnupft ist und sich womöglich die Nase vor der Atemsitzung nicht nochmal ordentlich gesäubert hat (oder dies ohnehin nicht funktioniert, weil die Verstopfung eine hartnäckige ist). Die Herstellung eines „Atemflusses“ (siehe hierzu auch Abschnitt 7.1.4) mit verstopfter Nase ist nicht nur mühsam, sondern funktioniert auch nur bedingt: Die Aufmerksamkeit bleibt bei dem Problem, der verstopften Nase, die lediglich eine geringere Menge Luft durchlässt, ‚hängen‘. Ähnliches gilt – wie ich feststellen konnte – für Husten oder einen trockenen Hals. Das Husten reißt einen förmlich aus der Fokussierung und ‚zerstört‘ einen womöglich etablierten Atemrhythmus, weil er seine eigene Zeitlichkeit hat; der trockene Hals wird als unangenehm empfunden – was bereits Aufmerksamkeit voraussetzt, die anderweitig fehlt.

Ebenso ist der Gang auf die Toilette eine in funktionaler Hinsicht gegebenenfalls wichtige Vorbereitungspraktik. So wird nicht nur ein sich zunehmend bemerkbar machender Harndrang am Auftreten gehindert, der eine Störung darstellt, weil er – ähnlich wie bei den oben genannten Beispielen – unwillkürlich Aufmerksamkeitsressourcen vom Atem abzieht. Auch können so Unterbrechungen verhindert werden, die gleichsam einem Aufbrechen des idealerweise eng umgrenzten Wahrnehmungsraums gleichkämen: Im ‚Ernstfall‘ müsste man aufstehen und sich auf die Toilette begeben, um sich derart einer gänzlich anderen Tätigkeit zuzuwenden. Man müsste nicht nur den gebauten Raum (den Praxisraum, die Salzgrotte), sondern eben auch den (erwünschten) Wahrnehmungsraum verlassen. Man würde genau das tun, was man eben im Rahmen der Atemarbeit nicht tun sollte. Im Falle der Atemschule würde man überdies zur Störquelle für die anderen Anwesenden.

(d) Einrichten und Einstimmen

Schließlich zählen zu den vorbereitenden Praktiken auch jene, die gewissermaßen schon als Teil der Praktik der Atemarbeit selbst verstanden werden können, insofern diese konstitutiv für die Herstellung eines spezifischen Hier und Jetzt sind: das Bequem-Machen. Das Finden einer, wie ich selbst in den unten präsentierten Feldnotizen formuliere, „entspannten Liegesituation“ will durchaus ernst genommen werden und stellt mitunter ein Prozedere für sich dar:

Nachdem wir das Vorgespräch beendet haben, begeben wir uns vom Lehnstuhl (Manfred) und der Couch (ich) ein paar Meter weiter rüber zur Matratze, die sich in der Ecke des Raumes befindet und auf der sich eine Decke und einige größere und kleinere Kissen befinden. Manfred weist darauf hin, dass ich die zur Verfügung stehenden Kissen und die Decke benutzen könne (Manfred: „Gut, da sind PolsterFootnote 12, du kannst das arrangieren, wie du willst.“). Ich knie mich auf die Matratze und lege mir eines der größeren Kissen etwas zurecht, um anschließend meinen Kopf darauflegen zu können. Allerdings merke ich beim Probeliegen sofort, dass diese Kopfposition nicht geeignet ist, um mich in eine entspannte Liegeposition begeben zu können, da das Kissen etwas zu weich ist und mein Kopf deswegen, wenn ich ihn darauflege, zu weit einsinkt. Ich greife also zu einem kleineren und härteren Kissen und rücke mir dieses zurecht. Ich erkundige mich überdies bei Manfred, ob es okay wäre, wenn ich die Füße auf die zusammengelegte, sich am Fußende der Matratze befindlichen Decke legen würde. Manfred sagt, dass das okay sei, außer ich brauche die Decke, um mich zu wärmen, weil es etwas kühl im Raum sein könnte. Ich greife den Vorschlag auf und bedecke meine Füße. Ich lege mich auf die Matratze und rücke mir abermals das Kopfkissen nochmals etwas zurecht. Beide Arme lasse ich – nah am Oberkörper bzw. den Hüften angelegt – mit den Handflächen nach unten locker auf der Matratze aufliegen. Jetzt kann es losgehen! [ES-1]

Anhand der Feldnotizen wird deutlich, dass hier ein Einrichten im doppelten Sinn stattfindet. Einerseits geht es darum, die recht anpassungsfähige materielle Infrastruktur der Atemarbeit bzw. Teile davon so zu platzieren und zurechtzurücken, dass sie ein Gefühl von Bequemlichkeit und leiblichem Wohlbehagen (auch im Hinblick auf das individuelle Temperaturempfinden) mitermöglicht. Andererseits bedarf es hierzu auch eines Einrichtens des Körpers. Man probiert herum, liegt kurz Probe, modifiziert die Anordnung der Dinge nochmals – so lange bis es sich ‚gut‘ anfühlt. Dinge und Körper werden so reziprok einander angepasst. Es ist die Verbindung mit den Dingen, die sich stimmig anfühlen soll (vgl. Hennion 2011 sowie Schmidt 2012: 137 f.). Dazu trägt auch bei, dass die Stofflichkeit (vgl. Hahn/Soentgen 2011) der materiellen Infrastruktur der Atemarbeit von besonderer Art ist: Die Matratze, die Kissen, die Decke sind allesamt weich und damit ‚von sich aus‘ potenziell bequem bzw. einer als bequem empfundenen Situation mindestens zuträglich.

Das Bequem-Machen stellt allerdings keinen Selbstzweck dar. Es hat, wie ich in den Sitzungen festgestellt habe, eine praktische Funktion, die in den folgenden Feldnotizen, die auf meiner Teilnahme in der Atemschule beruhen, deutlich wird. Ähnliches gilt für eine weitere Praktik, die hier Erwähnung findet: die Einstimmung.

Nach einer kurzen Wartezeit bewege ich mich mit den anderen sechs Anwesenden aus dem Warte- bzw. Verkaufsraum in die Salzgrotte. Ich wähle einen der Liegestühle aus und lege mich darauf: Der Kopfpolster, der an dem Stuhl angebracht ist, ist nicht wirklich bequem. Ich verschiebe ihn nach einigem Hin- und Herrutschen ein wenig, damit ich meinen Kopf angenehm auflegen kann. Das Finden einer bequemen Liegeposition ist wichtig. Denn, wie ich bereits aus den Einzelsitzungen weiß: Etwaige taktile Irritationen können Störfaktoren darstellen, die Aufmerksamkeitsressourcen absorbieren, die man eigentlich für die Herstellung einer bewussten Atem-Erfahrung braucht. Ich versuche überdies, mich ein wenig einzustimmen und ruhig zu sein. Wobei ruhig sein nicht nur meint, dass ich nicht spreche, sondern ebenso, dass ich versuche, die äußeren Eindrücke – zum Beispiel den Inhalt des Gesprächs zwischen zwei Frauen, die sich unterhalten – gleichsam von mir abprallen zu lassen. [AS]

Sowohl beim Bequem-Machen als auch beim Einstimmen handelt es sich um (auf einschlägigen praktischen Vorerfahrungen beruhende) vorbereitende Strategien, die prospektiv auf die Herstellung einer gelingenden Atem-Erfahrung gerichtet sind. Im Falle des Bequem-Machens wird deutlich, dass dieses auch dazu dient, etwaige Störungen oder Irritationen zu verhindern. Gelingt es nicht, eine bequeme Liegeposition zu finden, so besteht die Gefahr, dass zu einem späteren Zeitpunkt von Atemlehrerin Lisa nahegelegte Aufmerksamkeitsfokussierungen (die ich zu diesem Zeitpunkt antizipiere) durch Ablenkungen unterminiert werden. Im Falle des Einstimmens wird ein eng umgrenztes Wahrnehmungsfeld erzeugt, das in einem gewissen Sinne als körperliche Fortführung der architektonischen Abschottung vom Außen betrachtet werden kann. Ähnlich wie der gebaute Raum abschirmt, ermöglicht es ein In-sich-gekehrt-Sein, äußere sinnliche Reize abprallen zu lassen und so den Wahrnehmungsraum zu verkleinern und auf den eigenen Körper zu zentrieren. Dies gilt, wie anhand der Feldnotizen deutlich wird, nicht nur für ein Außen außerhalb des gebauten Raums, sondern auch für ein ‚Außen‘ innerhalb der engen materiellen Grenzen der Salzgrotte.

4 Fazit

Ich habe vorgeschlagen, die Praktik der Atemarbeit als ein spezifisches Erlebnisformat zu begreifen, in dem die Produktion leiblicher Erfahrungen gezielt vorangetrieben wird. Derartige Formate der Kultivierung leiblicher Erfahrungen können als soziomaterielle Arrangements beschrieben werden, die auf der Grundlage spezifischer Praktiken und materieller Infrastrukturen auf eine Hervorbringung bestimmter Formen ge- und erlebter Körperlichkeit zielen.

Das Erlebnisformat der Atemarbeit erscheint aus einem solchen Blickwinkel vor allem als ein Möglichkeitsraum: Die Atemarbeit ermöglicht (potenziell) eine „Durchbrechung der Alltäglichkeitsschicht des Daseins“ (Hahn 2010: 76), insofern sie die Etablierung alternativer Formen der Welt- und Selbsterfahrung begünstigt. Dabei habe ich ein Repertoire an Praktiken (Planungs- und Organisationsarbeit, (un-)typische Interaktionsordnungen, kommunikative Rahmungen) und affektive Qualitäten (Kontrasterfahrungen) skizziert, die in ihrem Zusammenspiel dazu beitragen können, dass die Partizipation am Erlebnisformat der Atemarbeit für die Teilnehmer*innen zu einem alltagstranszendenten Erlebnis werden kann.

Welches dominante Prinzip liegt einer solchen praktischen Verfahrenslogik zugrunde? Der zentrale ‚Mechanismus‘, der diesen Praktiken und den evozierten Gefühlen und Stimmungen gemein ist, lässt sich als eine Form der Differenzproduktion beschreiben: Man muss nicht nur den Übertritt in ‚andere Welten‘ planen und organisieren, um sich vom gewöhnlichen Verlauf der Dinge distanzieren zu können; das, was dort gemacht wird, fühlt sich (potenziell) auch anders an; die Art und Weise, wie in der Atemarbeit interagiert wird – sei es im Vorgespräch oder dann im Rahmen des ‚eigentlichen‘ Atmens –, ist in vielerlei Hinsicht untypisch (und für Noviz*innen bisweilen sicher auch gewöhnungsbedürftig); schließlich wird die Atemarbeitssituation auch kommunikativ vom alltäglichen Geschehen abgehoben und geschieden und mittels sprachlicher und nicht-sprachlicher Mittel ver-andert und besondert.

Gleichwohl darf dabei, wie bereits angedeutet, nicht aus den Augen verloren werden, dass die Frage danach, ob eine Situation der Nicht- oder Außeralltäglichkeit vorliegt, immer nur unter Berücksichtigung der individuellen Teilnehmer*innenperspektiven und -erfahrungen und damit – streng genommen – von Fall zu Fall beantwortet werden kann. Ebenso ist zu bedenken, dass manches, das zu Beginn noch als nicht-alltäglich erfahren wird, im Laufe der Zeit zur Routine werden kann (vgl. Hahn 2010 am Beispiel der Kunst). Prinzipiell gilt: Die Herstellung von Außeralltäglichkeit ist – selbst bei Vorhandensein idealer Bedingungen – kein Selbstläufer. Man kann die soziologische Rechnung nicht ohne die am Gesamtarrangement beteiligten und in diesem situierten Akteur*innen und deren fortlaufendes praktisches Tun machen (vgl. ähnlich auch Alkemeyer 2017). Es bedarf in diesem Sinne stets eines praktischen Engagements auf Seiten der Klient*innen (z. B. in Form vorbereitender Praktiken), um sich leiblich ‚ansprechbar‘ machen und eine spezifische leibliche Responsivität etablieren zu können (vgl. hierzu auch Brümmer/Mitchell 2014).

Die Atemarbeit kann aber nicht nur als ein Ort der Differenzproduktion, als ein Möglichkeitsraum begriffen werden. Sie ist auch ein Wahrnehmungsraum. Versucht man auf der Grundlage der bisherigen Erörterungen den idealen Wahrnehmungsraum der Atemarbeit abstrakt zu bestimmen, dann kann man sagen: Er ist stabil und eng. Stabil ist er insofern, als der Fokus der Aufmerksamkeit zumindest während der Phase des eigentlichen Atmens – im Großen und Ganzen – der gleiche bleiben soll. Man soll nicht einmal auf dieses und dann auf jenes fokussieren. Zentral ist – das wird auch anhand der oben erläuterten Reparaturversuche des Atemtherapeuten deutlich – die kontinuierliche Fokussierung auf das eigene Tun. Eng ist der Wahrnehmungsraum der Atemarbeit, weil es das eigene Tun im Hier und Jetzt ist, das zum Gegenstand der Aufmerksamkeit werden soll. Insofern es die eigene Körperlichkeit ist, die in den Fokus der Aufmerksamkeit gebracht werden soll, kann man auch von einem affektiven Wahrnehmungsraum sprechen.

Die Erzeugung eines solchen eng umgrenzten Wahrnehmungsfelds kommt insbesondere in den Abschottungs- sowie Einrichtungs- und Einstimmungspraktiken zum Ausdruck: mittels der räumlichen Abschirmung und des Kappens telekommunikativer Verbindungen wird der Raum sozusagen klein gehalten – einerseits, indem man auf materielle Grenzen setzt, andererseits, indem potenzielle transsituative Verbindungen unterbunden werden. Im Falle der Einrichtungspraktiken bezieht sich der Wahrnehmungsraum auf die nächstgelegene Umwelt: Hantieren kann man nur mit Dingen (Kissen, Matratze etc.), die auch zuhanden sind; taktil erspüren, kann man nur das, was man auch mit der Hautoberfläche berührt. Die Einstimmung impliziert eine Abwendung von situativen sinnlichen Eindrücken, der ein In-sich-gekehrt-Sein korrespondiert.

In der Atemarbeit wird – und zwar bereits vor dem eigentlichen Atmen – eine spezifische Form von ge- und erlebter Körperlichkeit produziert (vgl. auch Mol/Law 2004). Als Bedingungskomplex, der diese ermöglicht, fungiert das soziomaterielle Arrangement samt seinen Praktiken und architektonischen und dinglichen Infrastrukturen. Es ist ein sinnlich eingeschränkter (nichts sehender), räumlich abgeschirmter, von unterschiedlichen (potenziellen) Störungen befreiter, eingerichteter, ja förmlich ‚eingebauschter‘, ruhend gemachter, stillgelegter Körper, der darauf wartet, Instruktionen zu empfangen, um auf eine für die Atemarbeit typische Art und Weise affektiv ‚präsent‘ gemacht zu werden.