Für eine Soziologie leiblicher Praxis ist es nicht nur wesentlich, die situative Herstellung unterschiedlicher Formen von Leiblichkeit zu analysieren. Praktiken sind stets auch in historisch gewachsene, kulturelle Ordnungszusammenhänge eingebettet, die sich durch bestimmte Aktivitäten und Themen, die Beteiligung verschiedener Kollektive, technologische und materielle Infrastrukturen, spezifische Diskurse und gegebenenfalls auch (formale) Organisationen auszeichnen. Anders ausgedrückt: Praktiken vollziehen sich nicht in einem ‚luftleeren Raum‘, sondern in transsituativen Konstellationen mit ihrer jeweils eigenen Sozio-Organisation, ihren Spielregeln, Relevanzen usw. Das pragmatistisch-interaktionistische Konzept der sozialen Welten, wie es Anselm Strauss (1978, 2008 [1993]: 209 ff.) und seinen Mitforscher*innen entwickelt haben, erlaubt es, diese Aspekte analytisch zu fassen (vgl. als Überblick Clarke/Star 2008; Strübing 2007a: 73 ff.). Ausgehend von einer solchen Theorieperspektive und unter zusätzlichem Rückgriff auf Karin Knorr Cetinas (2002, 2007) Konzept der Wissenskulturen, das danach fragt, welche Logiken der Wissenserzeugung sozialweltspezifisch identifiziert werden können, fokussiere ich in diesem ersten empirischen Kapitel auf die diskursive Wissensarbeit der Atemarbeit-Anbieter*innen als zentralen Bestandteil der sozialen Welt der Atemarbeit.

Als wesentlich für einen solchen Fokus erweist sich die Annahme, dass sozialweltspezifische Praktiken nicht bloß ausgeführt werden, sondern dass auch über sie kommuniziert wird. Diese sich als Diskurse materialisierenden Äußerungen erlauben damit nicht nur ein Verständnis der Existenz und der zentralen Funktionslogiken sozialer Welten im Allgemeinen. Von unmittelbarer praktischer – und damit auch: soziologischer – Relevanz sind diskursive Praktiken vor allem deswegen, weil sie Teilnehmer*innen sozialer Welten Auskunft darüber geben, was es mit der Atemarbeit auf sich hat. Ich frage dementsprechend danach, mittels welcher symbolischen Prozesse der Sinn-Produktion sich die soziale Welt der Atemarbeit gegenüber interessierten Außenstehenden bzw. potenziellen Klient*innen darstellt. Dies macht einerseits eine empirische Analyse jener diskursiven Praktiken notwendig, mittels derer die Atemarbeit als eine spezifische Form von Dienstleistungsarbeit hervorgebracht wird, die sich insbesondere durch die Kultivierung einer selbstverständlichen körperlichen Aktivität, das Atmen, auszeichnet. Es geht also darum, welche „Deutungen“ an diese physiologische „Grundfunktion herangetragen werden“ (Ehrensperger 2020: 186). Andererseits ist, wie zu zeigen sein wird, die diskursive Konstruktion der Atemarbeit nicht von der diskursiven Selbst-Inszenierung der Produzent*innen atemarbeitsspezifischen Wissens und der Atemarbeit-Anbieter*innen zu trennen.

Nach einer Erläuterung des Konzepts der sozialen Welten und einer kurzen Beschreibung des Prozesses der Feldkonstitution, der primär am Verein atman – Österreichischer Verein für Integratives Atmen ansetzt, erfolgt in einem ersten Schritt eine empirisch-rekonstruktive Charakterisierung der Atemarbeit und eine Explikation meines Verständnisses holistischer bzw. ganzheitlicher Praktiken (4.1). Im Anschluss daran frage ich danach, wie der Verein als zentraler ‚Akteur‘ der sozialen Welt der Atemarbeit diskursiv konstruiert wird (4.2). Diese ersten beide Abschnitte zielen darauf, ein Verständnis davon zu gewinnen, wie eine zentrale – sich als autoritativ inszenierende – Instanz der sozialen Welt der Atemarbeit ihr Tun definiert und dieses – und sich selbst – zu legitimieren versucht. Danach wende ich mich ausführlich der Frage zu, wie die Wissensdomäne der Atemarbeit abgesteckt wird und welcher Logik die diskursive Konstruktion atemarbeitsspezifischer Wissensobjekte folgt (4.3). Das Atmen der Atemarbeit wird nicht lediglich als biochemischer Stoffwechselvorgang begriffen, sondern als eine zu kultivierende Technik des Körpers (Mauss 1989 [1935]), die als therapeutisches Instrument fungiert und derart auf zu bearbeitende Probleme und Anliegen der Klient*innen verweist. Schließlich zeige ich, basierend auf einer Analyse von Websites von Mitgliedern des Vereins, auf denen diese ihre Dienste als Atemlehrer*innen bzw. Atemtherapeut*innen anbieten, wie Klient*innen angesprochen und interessiert gemacht werden (sollen) (4.4). Die Diskursarbeit der Atemarbeit-Anbieter*innen zielt wesentlich darauf, ihre Dienstleistungen lebensweltlich anschlussfähig zu machen, indem sie direkt in Relation zu den Bedürfnissen potenzieller Klient*innen gesetzt werden.

1 Die soziale Welt der Atemarbeit und „ganzheitliche“ Praktiken

1.1 Die soziale Welt der Atemarbeit und der Verein atman als zentrale Instanz der Produktion atemarbeitsspezifischen Wissens

Soziale Welten lassen sich mit Strauss als jene auf kollektivem Verhalten beruhende Sozialzusammenhänge verstehen, die sich analytisch anhand bestimmter Kernaktivitäten identifizieren lassen (vgl. Strauss 1978) – also zum Beispiel die soziale Welt der soziologischen Forschung oder die soziale Welt der Atemarbeit. „The activities and communications within these worlds“, so Strauss (ebd.: 121 f.), „focus differentially around matters intellectual, occupational, political, religious, artistic, sexual, recreational; that is, social worlds are characteristic of any substantive area“. Insofern eine soziale Welt auf einer Gleichgerichtetheit oder zumindest Kompatibilität der Perspektiven ihrer Mitglieder beruht – etwa durch gemeinsam geteilte (Sonder-)Wissensbestände oder ein spezifisches Telos, das wiederum ein kollektives Engagement impliziert –, stellt diese „keine soziodemographische Kategorie, sondern […] ein[en] Kulturraum“ dar, „in dem sich Akteure wechselseitig aufeinander beziehen“ (Strübing 2007a: 85; Hervorh. A.A.). Ebenso ist zu betonen, dass soziale Welten verschiedene Größenordnungen aufweisen und ihre Grenzen mehr oder weniger diskret und stabil sein können. Mit dem Konzept können „sowohl große und eher amorphe soziale Aggregate […] als auch sehr kleine und klar strukturierte Einheiten […] erfasst werden“ (ebd.: 91). Das heißt: Welche Konstellationen kollektiven Handelns jeweils als soziale Welten untersucht werden, hängt wesentlich auch von den jeweiligen Problemstellungen und analytischen Interessen der Forscher*innen ab.

Das Konzept der sozialen Welt erweist sich in verschiedenerlei Hinsicht als anschlussfähig für praxistheoretische Zugriffe und bietet darüber hinaus vor allem die Möglichkeit, die hier verfolgte Verbindung zwischen Praxis- und Diskursanalyse theoretisch zu fundieren. Zunächst eröffnet es die Möglichkeit, den Sachverhalt in den Blick zu rücken, dass Praktiken stets raumzeitlich und soziomateriell situiert sind (vgl. hierzu auch Clarke 2005; Schatzki 2002). Das heißt, die jeweiligen Kernaktivitäten (primary activities) lassen sich als sozialweltspezifische Praktiken verstehen, die auf unterschiedliche Art und Weise mit anderen Praktiken verknüpft, mit materiellen Arrangements (wie z. B. architektonischen oder technologischen Infrastrukturen) verbunden und (gegebenenfalls) auf verschiedene sites verteilt sind. Soziale Welten sind darüber hinaus nicht als abgeschlossene Einheiten zu verstehen. Sie weisen an ihren Rändern vielmehr Überlappungen (intersections) – etwa durch multiple Mitgliedschaften oder Bezugnahmen zwischen sozialen Welten – auf und sie können in unterschiedliche Subwelten ausdifferenziert sein (segmentations) (vgl. Strauss 1984). Dies impliziert nicht nur, dass soziale Welten und deren Subwelten – ganz im Sinne einer praxistheoretischen Prozessperspektive – als mehr oder weniger fluide ‚Gebilde‘ zu verstehen sind, die kontinuierlich hervorgebracht und (re-)stabilisiert werden müssen und damit auch: historischen oder kurzfristigen Transformationen unterliegen. Sie zeichnen sich auch durch spezifische Formen des Organisierens und durch die Bearbeitung und das Management ihrer Umweltbezüge aus.

Mit Blick auf die empirische Erforschung sozialer Welten votiert Strauss dafür, „not to confine ourselves to looking merely at forms of communication, symbolization, universes of discourses, but also examine palpable matters like activities, memberships, sites, technologies, and organizations typical of particular social worlds“ (Strauss 1978: 121). Als relevant für die Untersuchung sozialer Welten erweisen sich damit einerseits die praktischen Aktivitäten selbst. Zugleich weist er aber andererseits auch darauf hin, dass die Kommunikation über diese Aktivitäten und über soziale Welten insgesamt als zentraler Bestandteil dieser aufzufassen sind. Kurz: Es wird nicht nur ‚praktiziert‘, sondern in sozialen Welten finden sich auch verschiedene Formen diskursiver (Selbst-)Repräsentationen, die Strauss beispielsweise anhand verschiedener Legitimationsstrategien beleuchtet (vgl. Strauss 1982): „To become a distinct social world“, so Strauss (ebd.: 174; Hervorh. A.A.), „there has to emerge a collective definition that certain activities are worth doing, and ‚we‘ are doing them“. Das heißt, erst durch diskursive Praktiken – zum Beispiel des Abgrenzens, des Theoretisierens oder des Standardisierens und Bewertens –, die sich nach innen als auch nach außen richten können, werden soziale Welten als eigenständige Gebilde erkennbar und damit als solche erst (mit) hervorgebracht. Die Frage nach den Grenzen sozialer Welten stellt sich vor diesem Hintergrund als eine empirische dar, die immer auch diskursiv durch die beteiligten Akteur*innen (die beispielsweise spezifische Authentizitäts- und Legitimitätsstandards für ihr Tun beanspruchen) ‚erarbeitet‘ werden müssen.

Das Konzept der sozialen Welten ermöglicht es also zum einen, die diskursiven Praktiken und Aushandlungsprozesse im Hinblick auf spezifische Kernaktivitäten und das Management der Umweltbezüge zwischen sozialen Welten oder sozialen Welten und deren Subwelten in den Blick zu nehmen. Zum anderen ist es der Vollzug von Praktiken im Sinne sozialweltspezifischer Kernaktivitäten, die einer Rekonstruktion bedürfen (Kapitel 5 bis 7).

Um nachvollziehbar machen zu können, welche Aspekte der sozialen Welt der Atemarbeit hier in einem ersten Schritt diskursanalytisch untersucht werden, möchte ich den Prozess der Feldkonstitution beleuchten (vgl. Breidenstein et al. 2013: 59 f.). Konturen nahm das Feld bereits kurz nach meinem Erstkontakt mit der Atemarbeit an. Dieser vollzog sich im Rahmen eines ersten Interviewtermins mit Martin*Footnote 1, der eine Ausbildung zum „Atemlehrer“ absolvierte. In einem auf dieses Erstgespräch folgenden Mailaustausch wies mich Martin auf den 1991 gegründeten, in Wien ansässigen Verein atman – Österreichischer Verein für integratives Atmen hin, der auch das Ausbildungsprogramm, an dem Martin teilnahm, anbietet. Der Verein ist wiederum eng mit der Berufsvereinigung österreichischer Atemlehrer verbunden. Die auf der Website der Berufsvereinigung (W-1) beschriebenen „Hauptaktivitäten“ bestehen in der Veranstaltung der jährlichen stattfindenden „Atemtage“ (die als „Fachtagung[en]“ beschrieben werden), im Angebot von „Aus- und Fortbildungsprogramme[n]“, der Organisation von „Atemveranstaltungen“ sowie der Veröffentlichung von „Publikationen“.Footnote 2 Im Zuge des Interviews (I-1) machte Martin mich überdies auf eine im Feld als zentral erachtete Monographie zur Atemarbeit, Wilfried Ehrmanns Handbuch der Atemtherapie (2004), aufmerksam und stellte in der Folge Kontakt zum Buchautor und zu zwei weiteren Interviewpartner*innen her. Der in Wien ansässige Verein atman und die mit ihm verbundenen Atemarbeit-Anbieter*innen sind Teil einer lokalen – soll heißen: vornehmlich in Österreich aktiven – Subwelt der sozialen Welt der Atemarbeit. Zugleich ist der Verein aber auch „organizational member“ der International Breathwork Foundation (IBF) und damit in einer transnational agierenden Sozialwelt zu verorten (W-3). Wenn in der Folge unbestimmt von „der“ sozialen Welt der Atemarbeit bzw. von „Atemarbeit“ oder „Atemtherapie“ die Rede ist, dann ist damit, wenn nicht anders ausgewiesen, immer diese spezifische, lokale Subwelt gemeint.

Die Strategie, für die Feldkonstitution in einem ersten Schritt beim Verein anzusetzen, der auch in den Gesprächen, die ich mit Mitgliedern der sozialen Welt der Atemarbeit geführt habe, immer wieder Erwähnung fand, ermöglicht es, auf einen vergleichsweise stark institutionalisierten Ordnungszusammenhang abzustellen und überdies auf einen ‚Akteur‘, der für sich beansprucht, legitimes und anerkanntes Atemarbeit-Wissen zu produzieren und zu verbreiten: Der Verein weist eigene Informationsinfrastrukturen (etwa in Form von Websites, Flyern und Publikationen) und institutionalisierte Formate der Wissensvermittlung und der Teilnahme (z. B. in Form des erwähnten Ausbildungsprogramms und verschiedener Veranstaltungen) auf und wird, wie noch zu zeigen sein wird, auch diskursiv als eine Organisation inszeniert, in der kompetent „theoretisch“ über Atemarbeit informiert und auch praktisches Wissen vermittelt werden kann.

Insofern unter dem symbolischen Dach des Vereins unterschiedliche Formen von Wissensarbeit praktiziert werden, die sich wiederum (auch) in spezifischen diskursiven Strategien zu erkennen geben, lässt sich der Verein atman nicht nur als zentrale Organisation innerhalb der sozialen Welt der Atemarbeit denken. Mit Karin Knorr Cetina (2002, 2007) kann man ihn auch als eine bedeutsame Instanz einer Wissenskultur der Atemarbeit begreifen. Das Konzept der Wissenskulturen lenkt den Blick auf die Frage nach den „processes of knowledge creation“: „It refers to those sets of practices, arrangements and mechanisms […] which, in a given area of professional expertise, make up how we know what we know“ (Knorr Cetina 2007: 363).Footnote 3 Wissenskulturen gruppieren sich um jeweils spezifische „Wissensobjekte“ (Knorr Cetina 2002: 273) und zeichnen sich – wie auch soziale Welten – durch eine Bündelung und Verdichtung von Sonderwissensbeständen, aber auch durch wissenskulturspezifische praktische Kompetenzen der Teilnehmer*innen aus (vgl. weiterführend Schützeichel 2010a). Die Wissenskultur-Perspektive fokussiert damit insbesondere auf die Frage, wie Wissen symbolisch-diskursiv und praktisch produziert, akkumuliert, genutzt und distribuiert wird und sie eignet sich insofern dazu, die Sozialwelt-Perspektive analytisch zu ergänzen. Dies impliziert ebenso – und dies ist für den analytischen Fokus auf diskursive (Selbst-)Repräsentationen von Interesse –, dass Wissen immer auch auf spezifische Arten und Weisen dargestellt, kodifiziert und so für unterschiedliche Adressat*innen zugänglich und rezipierbar gemacht wird (vgl. auch Nerland 2012, Nerland/Jensen 2014).

Bevor ich die diskursive Wissensarbeit in der sozialen Welt der Atemarbeit – in Form von Website-Inhalten und auf der Grundlage von Interviews – im Detail in den Blick nehme, möchte ich ein paar Hinweise darauf geben, was unter „Atemarbeit“ bzw. „Atemtherapie“ zu verstehen ist und in welcher Hinsicht diese als ein „ganzheitliches“ Angebot verstanden werden kann. Dies ermöglicht es, in einem ersten Schritt ein grundlegendes Verständnis der sozialen Welt der Atemarbeit und ihrer diskursiven Selbst-Verortung zu gewinnen.

1.2 Die Atemarbeit als „ganzheitliches“ Angebot

Zu diesem Zweck rekurriere ich unmittelbar auf jene Ethno-Definitionen, die sich auf den Websites der International Breathwork Organization (IBF) und der atman-Website finden. Auf der IBF-Website (W-3) ist zu lesen, dass der Begriff „breathwork“ als ein „umbrella term“ fungiere, der eine „wide range of conscious breathing practices“ bezeichne, „which promote awareness, self-regulation and deep personal transformation with the intention of enhancing inner peace, health and wellbeing“. Auf der atman-Website (W-1) wird der Atem als ein „Schlüssel für körperliches und psychisches Wohlbefinden“, „zur Gesundheit, Selbsterkenntnis und Lebensveränderung“ dargestellt. Deutlich wird hier bereits, dass die Atemarbeit nicht mit solchen Formen der Atemtherapie zu verwechseln ist, die in medizinischen Kontexten Anwendung finden, sich etwa als „Teilgebiet der Physiotherapie“Footnote 4 (W-4) verstehen und beispielsweise bei Lungenerkrankungen indiziert sind (vgl. auch Eitler 2019: 377). Mit ihrem Fokus auf „körperliches und psychisches Wohlbefinden“ ist sie vielmehr, wie weiter oben bereits erläutert, zu jenen Praktiken zu zählen, die auf einem „ganzheitlichen Welt- und Menschenbild“ aufbauen (Höllinger/Tripold 2012: 9) und beispielsweise unter Begrifflichkeiten wie „Körpertherapien“, „alternative Therapien und Heilverfahren“, „fernöstliche Körpertechniken“ oder aber – im angloamerikanischen Raum – „holistic health“ oder „holistic spirituality“ firmieren.

In Aussicht gestellte Wirkungen wie „deep personal transformation“, „inner peace“ oder auch „Selbsterkenntnis“ lassen schon erahnen, dass die Atemarbeit die Grenzen zwischen (psycho-)therapeutischen Methoden (Illouz 2011; Schützeichel 2010b) und eher spirituell orientierten Angeboten (vgl. etwa Knoblauch 2012b: 253 ff.; Hero 2016; Höllinger/Tripold 2012: 35 f., 269 ff.) überschreitet. So halten auch Uta Karstein und Friederike Benthaus-Apel (2012: 313) fest: „Der […] typische Anspruch auf eine ganzheitliche Betrachtung des Menschen setzt sich über bislang institutionalisierte Feldgrenzen und damit verbundene Professionsverständnisse tendenziell hinweg“ (vgl. auch Höllinger/Tripold 2012: 106, 268; Hero 2016: 606, 609 f.; 2018: 585). Das heißt auch, dass man wissenssoziologisch sensibilisiert nicht unbekümmert von „spirituellen“ oder etwa „therapeutischen“ Praktiken sprechen kann. Vielmehr sind jeweils im Einzelfall für spezifische Angebote die diskursiv behaupteten und relevant gemachten Beziehungen etwa zur (Bio-)Medizin, Religion, (Natur-)Wissenschaft etc. oder aber beispielsweise zu konventionellen Formen der Psychotherapie zu rekonstruieren. Ein derartiges diskursives In-Beziehung-Setzen ist folglich als Teil der angebotsseitigen Positionierung und Vermarktung ganzheitlicher Angebote zu verstehen (vgl. hierzu am Beispiel von Ayurveda Pattathu 2018). Ebenso darf freilich nicht übersehen werden, dass die Rede von „Ganzheitlichkeit“ selbst als eine zentrale Ethnosemantik und als Marketinginstrument fungiert.

Was zeichnet ganzheitliche Angebote aus? Als kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich formulieren, dass es sich dabei stets um solche handelt, die in irgendeiner Art und Weise (auch) Fragen der persönlichen Identität und der individuellen Lebensführung thematisieren und dabei zugleich, im Sinne des zugrunde gelegten holistischen Weltbildes, von „einer untrennbaren Einheit der körperlichen, geistigen und seelisch-spirituellen Ebene des Menschen ausgehen. Ziel ist es, das Wohlbefinden auf allen drei Ebenen zu gewährleisten“ (Höllinger/Tripold 2012: 18; vgl. auch Eitler 2011a: 164 ff.). Überdies zeichnen sich holistische Praktiken bei aller Heterogenität insbesondere dadurch aus, dass der „Anspruch auf ‚Ganzheitlichkeit‘“ (ebd.: 170) stets eng mit der Produktion bestimmter Formen von Körperlichkeit in Verbindung steht (vgl. ebd.; Höllinger/Tripold 2012: 27 f.; Hero 2016: 614 f.): seien es spezifische Körperbewegungen bzw. -haltungen und die Kultivierung und Wahrnehmung der Atmung im Yoga, Massagetechniken im Shiatsu, der sogenannte Muskeltest in der Kinesiologie (Grünenberg et al. 2013) oder aber Formen der Herstellung einer bewussten Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper bei der Achtsamkeitsmeditation (Nehring/Ernst 2013). Ich spreche in der Folge austauschbar von „holistischen“ oder „ganzheitlichen“ Angeboten bzw. Praktiken, wobei ich diese Konzepte lediglich als vergleichsweise offene, idealtypische Oberbegriffe verwende.

Neben den bereits genannten Praktiken werden in der sozial-, kultur- und religionswissenschaftlichen Literatur so unterschiedliche Angebote wie Ayurveda, Reiki, Zen-Meditation, schamanische Heilungsrituale, Bioenergetik, die Alexander-Technik, Tai Chi, Holotropes Atmen, Rebirthing oder Transpersonale Therapie zu den ganzheitlichen Angeboten gezählt (vgl. beispielhaft Höllinger/Tripold 2012: 9; Scott 2003).Footnote 5 Historisch sind das Aufkommen und die Popularisierung ganzheitlicher Praktiken bereits recht gut erforscht. Im deutschsprachigen Raum fanden diese zum einen seit den 1970er- und 1980er-Jahren insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender, durch die Institutionalisierung und Professionalisierung der Psychotherapie ermöglichter Therapeutisierungstendenzen Verbreitung (vgl. Elberfeld 2015; Flick 2019 sowie zur Therapeutisierung und Emotionalisierung allgemein Illouz 2011). Zum anderen haben vor allem das sogenannte New Age und ‚fernöstlich‘-spirituelle Angebote und eine damit verbundene Individualisierung religiöser Praktiken zur Popularität ganzheitlicher Angebote beigetragen (vgl. Eitler 2011a, 2012, 2019; Hero 2016; Karstein/Benthaus-Apel 2012; ausführlich: Höllinger/Tripold 2012: 37–71 sowie spezifischer zur Atemtherapie: Ehrensperger 2020: 152 ff.).

2 Die Produktion von Expertise: Professionspolitische Strategien und Positionierungen

2.1 Die Reklamation legitimer Zuständigkeit

Wie verhält es sich nun konkret mit der Außendarstellung des Vereins atman im Internet? Ich wende mich zuerst einem auf der „Home“-Seite der Vereinshomepage (http://www.atman.at) zentral positionierten Text im Detail zu, in dem grundlegend Auskunft über die Atemarbeit und den Verein atman gegeben wird und in dem sich verschiedene diskursive Strategien gleichsam verdichten (für einen visuellen Eindruck siehe auch Abb. 4.1; Textausschnitte von Websites sind in der Folge grau hinterlegt). Dort heißt es:

atman – Österreichischer Verein für Integratives Atmen

Der Atem ist ein wesentlicher Schlüssel für körperliches und psychisches Wohlbefinden. Die subtile wie eindringliche Wirksamkeit einer tiefen und runden Atmung ist seit Jahrtausenden bekannt. Viele Menschen heute warten darauf, den Atem als zentralen Schlüssel zur Gesundheit, Selbsterkenntnis und Lebensveränderung erfahren zu können. So verlangt gerade unsere Zeit nach einer verantwortungsvollen und kompetenten Vermittlung des uralten Wissens um die Kraft des Atems, verbunden mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft und Psychologie. Der Verein ATMAN widmet sich der Verbreitung der Bewusstheit des Atmens mit Hilfe verschiedener bewährter Methoden. Unser weit gefächertes Angebot an Informationen und an Veranstaltungen bietet für jeden etwas. [W-1]

Abb. 4.1
figure 1

atman-Website: „Home“-Seite [W-1]

Die diskursive Konstruktion des Vereins erfolgt in einem ersten Schritt mittels einer Explikation seiner thematischen Zuständigkeit. An dem Text – wie auch am Vereinsnamen selbst – lässt sich dabei unschwer erkennen, worum es dem Verein geht: um den Atem bzw. das Atmen (siehe hierzu weiterführend 4.3.2). Über die Kommunikation des Themas hinausgehend ist zunächst aber vor allem die Darstellung zentraler Vereinsaktivitäten relevant: Wissensdissemination („Verbreitung“) und -vermittlung den Atem betreffend. Hierbei ist von Interesse, dass nicht nur explizit thematisiert wird, was der Verein macht, sondern auch wie er das macht. Es lassen sich verschiedene diskursive Strategien der Legitimation des eigenen Tuns identifizieren, die sich als Praktiken der boundary work (vgl. Gieryn 1983; Riesch 2010) verstehen lassen, als Selbst-Zuschreibungen von (positiven) Eigenschaften, die auf eine Distinktion von anderen sozialen Welten und deren Tätigkeiten zielen: zunächst (a) die Kommunikation von Qualitätsstandards und (b) die Mobilisierung anerkannten Wissens und sodann – in Interviews mit Repräsentant*innen des Vereins – (c) eine kritische Reflexion der Atemarbeit als weitgehend theorieloser Praktik und schließlich (d) die Betonung der Notwendigkeit, sich von anderen (Selbsterfahrungs-)Angeboten, die als „esoterisch“ (I-3) wahrgenommen und etikettiert werden, explizit abzugrenzen.

(a) Im ersten Fall sticht vor allem die adjektivische Bestimmung der Wissensvermittlung als „verantwortungsvoll“ und „kompetent“ ins Auge. Diese erfolge überdies „mit Hilfe verschiedener bewährter Methoden“. Unabhängig davon, welche alltagsweltlichen Assoziationen diese Begrifflichkeiten („verantwortungsvoll“, „kompetent“, „bewährt“) bei den Rezipient*innen oder auch soziologischen Interpret*innen im Detail evozieren mögen, so lässt sich die hier identifizierbare diskursive Strategie als eine erste implizite Form von boundary work bestimmen: Sie beruht insofern auf einer Differenzsetzung, als die positiven Selbst-Zuschreibungen zugleich eine Abgrenzung von einem hier nicht näher spezifizierten Anderen implizieren, ein Anderes, das unter Umständen – im Unterschied zum Verein atman – nicht verantwortungsvoll oder inkompetent operiert. Das heißt: Durch das explizite Geltendmachen von Qualitätsstandards wird ein Akt der Distinktion vollzogen. Der Verein beansprucht „Definitionsmacht“ (Pfadenhauer 2003: 56), im Sinne einer autoritativen ‚Sprecher‘-Position, für sich, indem er sein Wissen und seine Methoden in epistemischer – und wohl auch ethischer („verantwortungsvoll“) – Hinsicht als überzeugend und vertrauenswürdig kommuniziert.

(b) Als eine solche kulturelle Autorität beanspruchende Distinktionsstrategie kann auch die explizite Referenz auf zwei andere soziale Welten bzw. Wissenskulturen verstanden werden: Die „Vermittlung des uralten Wissens um die Kraft des Atems“ werde „verbunden mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft und Psychologie“. Die Tatsache, dass allein die Nennung dieser Felder der Wissensproduktion (und -anwendung) offensichtlich genügt, damit diese als Legitimierungsinstanzen fungieren können, bezieht ihre praktische Plausibilität daraus, dass diese als (weitgehend) anerkannt gelten können (vgl. Stehr/Grundmann 2015: 84): Es handelt sich um Wissen, das hinsichtlich seiner Genese und Geltung als legitim erachtet wird („Erkenntnisse“). Die Mobilisierung und Rezeption solcherart Wissens verleiht dem eigenen Tun selbst eine Aura der Legitimität (vgl. Höllinger/Tripold 2012: 247 f.; Lewis 2007: 219 ff.; Koch/Binder 2013; Riesch 2010: 462 ff.). Sie trägt in diesem Sinne zur Untermauerung der Behauptung kultureller Autorität bei.

Darüber hinaus werden auch die „Wirksamkeit“ und die „Kraft“ des Atems genannt. Allerdings scheint die Nennung allein nicht ausreichend dafür zu sein, um eine legitimierende Funktion erfüllen zu können. Das wird daran erkennbar, dass sich die „Wirksamkeit“ des Atems offensichtlich nicht von selbst versteht. Dass es sich auch hierbei – wie beim wissenschaftlichen Wissen – um unzweifelhaftes Wissen handelt, bedarf jedenfalls einer zusätzlichen Explikation: „Die subtile wie eindringliche Wirksamkeit einer tiefen und runden Atmung“ sei „seit Jahrtausenden bekannt“. Trotz der Notwendigkeit einer solchen Stützkonstruktion kann man davon ausgehen, dass dem Geltendmachen einer „authority of tradition“ (Lewis 2007: 222) eine legitimierende Funktion zukommt (vgl. auch Koch 2005: 41 f.; Lüddeckens 2018: 157 ff.; Tulaszewski 2018: 208 f.). Es ist also eine Kombination aus wissenschaftlich gestützten Legitimationsstrategien und solchen, die sich auf traditionelle Wissensbestände berufen, derer man sich hier bedient. Der Verein wird diskursiv zwischen zwei sozialen Welten positioniert. Auch wenn an dieser Stelle die konkreten Zugriffe auf unterschiedliche sozialweltspezifische Wissensbestände (noch) vergleichsweise unbestimmt bleiben, so wird doch ein Verständnis des Vereins kommuniziert, das diesen als Erbringer einer doppelten Leistung entwirft: Er wird einerseits als traditionsbewusster Wissensbewahrer und -lieferant dargestellt. Andererseits agiert er aber insofern auf der Höhe der Zeit, als er zusätzlich auf kontemporäre Formen der Wissensproduktion rekurriert. Es entsteht ein Bild vom Verein als einem mit der Zeit gehenden Traditionsbewussten. Solche Formen der Legitimationsarbeit lassen sich insofern als professionalism (vgl. Evetts 2014) deuten, weil sie als Teil einer „Professionspolitik“ verstanden werden können, die darauf zielt, „besondere Tätigkeiten“ mehr oder weniger „exklusiv und dauerhaft an bestimmte Personengruppen“ zu binden (Pfadenhauer 2003: 58), indem der Verein seine Autoritätsansprüche diskursiv absichert und unterstreicht. Das Angebot des Vereins, das Machen von „Atem“-Erfahrungen, wird durch die Kommunikation von Qualitätsstandards und die Mobilisierung legitimer Wissensformen gleichsam symbolisch aufgeladen und der Verein damit als seriöse Adresse für den „Atem“ inszeniert.

Dass die Außendarstellung des Vereins als wesentlich, aber gleichzeitig auch als potenziell problematisch begriffen wird, zeigt sich vor allem in den Gesprächen, die ich mit Vereinsmitgliedern geführt habe – insbesondere bei jenen Personen, die führende Rollen im Verein innehaben oder -hatten. Im informellen Kontext der Interviewsituation betreiben die Gesprächspartner*innen explizitere boundary work: Sie betrachten bestimmte Formen der Außenwahrnehmung des Vereins als Problem, dem man sich annehmen müsse.

(c) Für die erste Form von Abgrenzungsarbeit können exemplarisch Ausschnitte aus einem Gespräch mit Wilfried Ehrmann (I-2) angeführt werden. Ehrmann, der auch ausgebildeter Psychotherapeut ist und ein Studium der Philosophie absolviert hat, war federführend in die Gründung des Vereins und die Entwicklung des Ausbildungsprogramms involviert. Nach ‚außen‘ hin fungiert er als zentraler Repräsentant der sozialen Welt der Atemarbeit und des Vereins atmans (vgl. hierzu auch Strauss 2008 [1993]: 228) – so zum Beispiel in einschlägigen, teils auf der Website, teils auf YouTube verfügbaren Videos, in denen der Verein bzw. die Atemarbeit generell vorgestellt wird. Sozialweltintern wird er als jene Person charakterisiert, die (etwa im Ausbildungsprogramm oder bei Vorträgen), so ein Interviewpartner (I-3), „Theorie einbringt“ – was auch in seinem Handbuch der Atemtherapie (2004) offensichtlich wird, auf das in den Gesprächen immer wieder referenziert wird. Eine weitere Interviewpartnerin (I-4) beschreibt ihn als „Wissenschaftler durch und durch“. Auch er selbst begreift sich als „in-world expert“ (Strauss 1982: 181), nämlich als eine jener Personen, die sich „mit […] Theorien beschäftigen und […] die Zusammenhänge verstehen wollen, die sich da einarbeiten“Footnote 6 (zur legitimierenden Funktion von Theoretisierungen vgl. auch ebd.: 176 ff.). Zugleich berichtet Ehrmann jedoch auch davon, dass die Atemarbeit „immer wieder Leute“ anziehe, „die einfach keine Theoretiker sind, also die keine Intellektuellen sind […], sondern äh die oft mehr mit der Intuition arbeiten oder mit dem Spüren oder mit dem, ja, auch tieferen Begegnen mit anderen Menschen und auch auf der spirituellen Ebene eben Erfahrungen mitbringen und noch mehr erleben wollen“. Zwar habe sich die Situation in den „letzten zwanzig Jahren“ verbessert. So gebe es etwa in der „internationalen Atembewegung […] mehr Leute, […] die für diesen Aspekt [gemeint ist Theorie; A.A.] Interesse haben“. Aber nach wie vor sei dies nicht „so ausgeprägt, wie ich mir das vielleicht wünschen würde. Es ist noch immer ein sehr bunter Haufen“, so Ehrmann.

Ehrmann operiert auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen „Theoretiker*innen“ und „Nicht-Theoretiker*innen“, die er für eine kritische Charakterisierung der sozialen Welt der Atemarbeit und des Vereins nutzt; wobei er sich selbst explizit den Theoretiker*innen zurechnet. Den Mangel an „Theoretiker*innen“ in der sozialen Welt der Atemarbeit interpretiert er nun aber nicht allein als einen quantitativen Mangel an „Gesprächspartnern“ (den er auch geltend macht). Ebenso wenig ist für ihn die Qualität der Arbeit im Rahmen der Atemtherapie prinzipiell in Zweifel zu ziehen: „Wir“, so Ehrmann, „leisten da eine enorme therapeutische Arbeit“. Er erachtet den Mangel an „Theorie“ allerdings als einen Nachteil hinsichtlich der Außenwirkung, konkreter: im Hinblick auf die „Anerkennung“ der Atemarbeit in der „Öffentlichkeit“:

W. Ehrmann: Nur mangelts halt in vie- ah in vielen Bereichen noch gerade an dieser, ah, an dem theoretischen Rahmenwerk, äh, das eine wichtige Rolle spielt, um halt in der Öffentlichkeit Anerkennung zu finden. Und das seh ich halt auch als eine meiner Aufgaben bei der Arbeit, dass ich da auch halt was in meinen Möglichkeiten steht halt dazu beitrag durch mh eben ah etwa Verschiedenes publizieren.

Dies sei, so Ehrmann, „deshalb wichtig, weil ich eben von meiner Profession Psychotherapeut bin. Und weil ich über die äh sehr wirksame F- äh Form in in der Heilung Bescheid weiß, ist es mir sehr wichtig, dass es auch als psychotherapeutische Methode anerkannt würde“. Die zuletzt genannte „Anerkennung“ bezieht sich hierbei nicht nur auf eine Anerkennung durch (potenzielle) Klient*innen oder auf eine diffuse, öffentliche Anerkennung (im Sinne eines positiven, allgemeinen Meinungsbildes), sondern auf eine gesetzliche, staatliche Anerkennung, die in Österreich durch den PsychotherapiebeiratFootnote 7 erfolgt, eine Anerkennung „als psychotherapeutische Methode“ – was unter anderem eine Bezuschussung von Therapie-Stunden durch Krankenkassen ermöglichen würde (ein Aspekt, den Ehrmann im Interview explizit erwähnt).Footnote 8 Während anerkannte psychotherapeutische Verfahren also gleichsam von oberster Stelle legitimiert werden, hat die soziale Welt der Atemarbeit offensichtlich das Problem, ihre kulturelle Autorität anderweitig generieren zu müssen (vgl. auch Hero 2014: 81). Sie kann und darf sich nicht einfach der symbolischen Klassifikation „Psychotherapie“ bedienen (außer der*die Anbieter*in ist auch eingetragene*r Psychotherapeut*in). Zugleich läuft sie, wie insbesondere auch am nächsten Beispiel ersichtlich wird, Gefahr, mit (von manchen) als illegitim erachteten Selbsterfahrungsangeboten verwechselt zu werden.Footnote 9 Hier wird ein (behaupteter) Bedarf an kommunikativen Selbst-Legitimierungen ersichtlich, die unter anderem über zur Schau gestellte „Theorie“-Kompetenz realisiert werden können (siehe weiterführend auch Abschnitt 4.3).

(d) Ganz ähnlich beschreibt auch Peter* (I-3), zum Zeitpunkt des Interviews Obmann des Vereins atman, die Notwendigkeit, sich „vom Esoterischen“ explizit abzugrenzen:

Peter: Also ich merke es gerade, es ist gerade das Thema in der Berufsvereinigung [österreichischer Atemlehrer; A.A.]. Äh, also ich bin absolut, mir ist total wichtig vom Esoterischen wegzukommen, also, aus der Ecke müssen wir raus. […] Mit dem Esoterischen hat es nichts zu tun, nicht viel für mich.

Peter erläutert dies am Fall einer spezifischen Form der Atemarbeit, dem sogenannten RebirthingFootnote 10, und dem potenziell problematischen Bild, das die Atemarbeit in ihrer massenmedialen Vermittlung abgebe:

Peter: War irgendwie so ein Interview [in der Online-Ausgabe einer österreichischen Tageszeitung; A.A.], da war irgendwas, da ist dann gleich das Thema Rebirthing drinnen=gewesen. Das Rebirthing ist einfach ein ein Schmarrn. Der Begriff ist einfach negativ an- hat ein negatives Image. Rebirthing, ja da hat es ein paar Sachen gegeben, irgendwer ist da mal gestorben oder auch nicht, keine Ahnung. Auf jeden=Fall müssen wir uns von dem Rebirthing […] verabschieden, das ist, mit dem haben wir nichts mehr am Hut, auch wenn=es, auch wenn wir uns von dem her entwickelt haben. Aber aber Rebirthing ist esoterisch angehaucht. […] Und und, da da ist auch sehr viel die die Wortwahl entscheidend. Deswegen ist ja auch der der Begriff Rebirthing war früher sogar im Vereins- ah Titel drinnen, als Untertitel. Ist mittlerweile nicht mehr drinnen, eh schon länger nicht, also der gehört überhaupt, also von dem her sind wir, da müssen wir wegkommen, nicht weil Rebirthing schlecht ist, sag ich jetzt nicht, aber es ist für viele, es hat ein bisschen esoterischen Touch und der ist, der der stimmt nicht für uns.

Anhand einer negativen Erfahrung im Hinblick auf die Außenwahrnehmung der Atemarbeit erläutert Peter beispielhaft sein Verständnis des „Esoterischen“ und unterstreicht vor diesem Hintergrund abermals explizit die Notwendigkeit einer Abgrenzung des Vereins:

Peter: Es ist nichts Schlimmes, das das Esoterische ist für mich halt dann etwas wenn was so ein bisschen schwer nachvollziehbar ist, also wo ich sage, nein, ist eher so was so ein bisschen ins Religion in Religion, in den Sekten. Ich kann mich erinnern, wie ich meinen ersten Atem-Kurs in X-Stadt angeboten habe. Da habe ich mit der Chefin von der Volkshochschule mich getroffen […], da hat sie mich gefragt, ja ist das Atem […] ist das eh nicht eine Sekte. Genau das, das ist genau das was wir nicht sind. Nicht nur nicht sein wollen, das sind wir auch nicht. Da müssen wir uns ganz klar abgrenzen. Weil da sind sehr schnell einmal sind die Leute in dem drinnen, ja das ist es ja Atman, ja das sind die, die bisschen Spinner und was=weiß=ich Sekte Religion und da geht=es in diese Richtung rein. Das das sind wir nicht. Wir sind keine Sekte, obwohl es eine sehr spirituelle Arbeit sein kann.

Die Ausschnitte aus den beiden Interviews exemplifizieren abermals die Notwendigkeit, kulturelle Autorität qua entsprechender diskursiver Selbstrepräsentationen zu erzeugen. Während die Darstellungen auf der Website vor allem auf positiven Selbstzuschreibungen beruhen, wird in den informellen Gesprächen mit Mitgliedern der sozialen Welt der Atemarbeit deutlich, dass die Außenwahrnehmung des Vereins als potenziell problematisch begriffen und auch durchaus selbstkritisch betrachtet wird: Der Verein atman kann sich zum einen – anders als beispielsweise psychotherapeutische Anbieter*innen – nicht auf staatliche Bewertungs- und Anerkennungsinstanzen berufen, die ihm und seinen Angeboten qua Zulassungsverfahren (wissenschaftliche) Legitimität bescheinigen. Die Atemarbeit sieht sich zum anderen, das macht das zweite Beispiel deutlich, der Gefahr ausgesetzt, in einen Topf mit als illegitim erachteten und als „esoterisch“ etikettierten Angeboten geworfen zu werden: Man ist also nicht nur mit professionalisierten Konkurrenzangeboten, wie unterschiedlichen gesprächstherapeutischen Ansätzen, konfrontiert. Um kulturelle Autorität glaubhaft vermitteln zu können, sieht sich die Atemarbeit – so zumindest die Perspektive des Obmanns des Vereins – auch der Herausforderung gegenüber, unpassend erscheinende Fremdzuschreibungen abzuwehren, die dem propagierten Selbstbild des Vereins widersprechen oder derartige Assoziationen gar nicht erst aufkommen zu lassen.Footnote 11 Angebotsseitig (das bedeutet: im Hinblick auf die Vermittlung atemtherapeutischen Wissens nach ‚außen‘ sowie mit Blick auf das Ansprechen von Interessierten) sieht man sich offenbar nicht nur dem Erfordernis ausgesetzt, zu erklären, was Atemtherapie ist, sondern ebenso, die Erklärenden/Anbietenden mittels kommunikativer Selbst-Legitimierungen mit Anerkennung zu versorgen, die wesentlich darauf beruhen, sich von (mehr oder weniger) naheliegenden Konkurrenzangeboten unterscheidbar zu machen. Als entsprechende diskursive Strategien konnten hier die Kommunikation von Qualitätsstandards, Praktiken der Wissensmobilisierung und Selbst-Positionierung (zwischen Wissenschaft und Tradition), zur Schau gestellte „Theorie“-Kompetenz sowie aktive Versuche des Labelings („Wortwahl“) – etwa durch die Vermeidung bestimmter ‚vorbelasteter‘ Begriffe – identifiziert werden.

2.2 Expertisierung als diskursive Strategie

Die Behauptung kultureller Autorität und die Reklamation legitimer Zuständigkeit folgen allerdings keinem Selbstzweck. Auch würde es zu kurz greifen, wenn man davon ausginge, dass auf der Website lediglich über das Selbstverständnis des Vereins informiert werden soll. Erkennbar wird dies, wenn man danach fragt, an welche Adressat*innengruppen sich die Darstellung wendet und vor allem wie dies gemacht wird. Hierbei sind zwei Aspekte hervorzuheben: Zum einen wird explizit ein „weit gefächertes Angebot an Informationen und Veranstaltungen“ angesprochen, das „für jeden“ etwas biete (W-1). Das Folgen der Hyperlinks auf der „Home“-Seite der Vereinshomepage lässt also erwarten, dass man Näheres erfährt. Zum anderen geschieht die Spezifikation des Adressat*innenkreises – also jener Personen, die sich angesprochen fühlen sollen – vor allem über die Art und Weise, wie das zentrale Wissensobjekt der Atemarbeit, der „Atem“, bestimmt wird. Ich behandle zuerst den zweiten Punkt und folge dann im nächsten Abschnitt dem Link „Informationen“.

Die Bestimmung des Atems erfolgt nicht definitorisch, im Sinne einer Explikation seiner Merkmale. Ebenso finden sich hier vorerst nur vage Hinweise darauf, was es praktisch bedeutet, eine Atem-Erfahrung zu machen: So ist von einer „tiefen und runden Atmung“ und von der „Bewusstheit des Atmens“ die Rede. Wie im Rahmen der Atemarbeit bzw. Atemtherapie geatmet wird und inwieweit sich ein ‚normales‘, alltägliches Atmen gegebenenfalls vom Atmen der Atemarbeit unterscheidet, wird hier also bestenfalls kursorisch kommuniziert. Im Hinblick auf die Rekonstruktion diskursiver Strategien ist vielmehr relevant, dass der Atem ‚funktionalistisch‘ bestimmt wird, das heißt: durch eine Explikation jener Effekte und Wirkungen, die er ermögliche. Die Rede vom Atem als „wesentlicher Schlüssel für körperliches und psychisches Wohlbefinden“, „zur Gesundheit, Selbsterkenntnis und Lebensveränderung“ und die Formulierung „die Kraft des Atems“ lassen ihn als Instrument erscheinen, das dazu geeignet ist, bestimmte Idealzustände zu erreichen, die Erreichung dieser zu unterstützen oder diese auf Dauer zu stellen.

Der Atem bzw. die Atemarbeit wird damit diskursiv als ein Problemlösungsmechanismus bestimmt, der wiederum auf einen spezifischen Problemhorizont bezogen ist. Mit dem Problemhorizont wird auch der Adressat*innenkreis näher charakterisiert: Es geht nicht nur um „körperliches“, sondern eben auch um „psychisches Wohlbefinden“, nicht nur um „Gesundheit“, sondern auch um „Selbsterkenntnis und Lebensveränderung“. Deutlich wird hier wiederum, dass sich die Atemarbeit bzw. -therapie nicht exklusiv an Personen wendet, die unter physischen Gesundheitsbeschwerden im engeren Sinne (etwa Atemproblemen oder Atemwegserkrankungen) leiden, sondern dass sie ein weiteres Problemspektrum anspricht. Den Leser*innen wird so nicht nur verdeutlicht, dass der Atem ‚gut‘ ist, sondern ebenso, für was und damit auch für wen er ‚gut‘ ist.

Die Kombination jener diskursiven Strategien, die auf die Erzeugung kultureller Autorität mittels verschiedener Formen einer kommunikativen Selbst-Legitimierung zielen, mit jenen, die einen Problemhorizont skizzieren und zugleich auch den Problemlösungsmechanismus, den „Atem“, mitliefern, lässt sich als eine Form der Expertisierung deuten. Dabei folge ich einem Verständnis von Expertise, das diese nicht als Eigenschaft oder Vermögen von Personen (oder Kollektiven), sondern als eine Beziehung zwischen Expert*innen und Nicht-Expert*innen denkt, in der beide erst ko-konstitutiv hervorgebracht werden. Diese asymmetrische Beziehung zeichnet sich dadurch aus, dass eine Gruppe von Akteur*innen anderen Akteur*innen (die erst dadurch zu Expert*innen werden), bestimmte Kompetenzen, über die sie selbst nicht verfügen, unterstellen, diese nachfragen und gegebenenfalls aktiv ‚konsumieren‘ – z. B. die Expertin als Ratanbietende und Ratgebende, der Nicht-Experte als Ratsuchender, der sich an sie wendet (vgl. Grundmann 2017; Schützeichel 2007: 549 sowie, in ähnlicher analytischer Stoßrichtung am Beispiel religiöser Angebote, Bourdieu 2011a [1971], 2011b [1971]). Im Hinblick auf die diskursiven Selbst-Repräsentationen des Vereins bedeutet dies, dass die textuelle Darstellung allein nicht ausreicht, um kulturelle Autorität behaupten zu können. Diese ist in empirischer Hinsicht vielmehr erst dann realisiert, wenn eine spezifische Relation zwischen dem, was der Verein anzubieten hat, und den Lesenden gestiftet werden kann. Diese Einsicht wiederum gibt den Blick auf die basale Funktionslogik der diskursiven Außendarstellung des Vereins frei: Es wird nicht nur das eigene Selbstverständnis kommuniziert, sondern gewissermaßen auch ein spezifisches Selbstverständnis auf Seiten der Lesenden befördert. Wie geht dies vor sich?

Die Lesenden werden im Text als jene charakterisiert, die (potenziell) ein Problem haben, das dem skizzierten Problemhorizont entspricht: „Viele Menschen heute warten darauf, den Atem als zentralen Schlüssel zur Gesundheit, Selbsterkenntnis und Lebensveränderung erfahren zu können“. Zugleich präsentiert sich der Verein als legitimer und vertrauenswürdiger Problemlöser (vgl. auch Hero 2014): Er ist, so die Darstellung, im Besitz jener Kompetenzen, mit denen eine Lösung des Problems herbeigeführt werden könne (vgl. Pfadenhauer 2010). Von Expertisierung als diskursiver Strategie kann also deswegen gesprochen werden, weil im Text nicht nur interessierte Leser*innen vorausgesetzt werden, sondern (potenziell) auch ein Interesse auf Seiten der Leser*innen produziert werden soll. Diese erscheinen in den diskursiven Selbst-Repräsentationen als jene, die der Kompetenzen, für welche der Verein legitime Zuständigkeit beansprucht, bedürfen. Es entsteht, sozusagen im Idealfall, eine Beziehung zwischen dem Angebot des Vereins und jenen, die dieses Angebot nachfragen. (Dieser Zusammenhang von Problematisierung und der Mobilisierung von Klient*innen wird im Abschnitt 4.4.2 näher beleuchtet.)

2.3 Fazit

Als Fazit lässt sich festhalten, dass der Verein atman als zentraler Akteur der Transmission und der Vermittlung atemtherapeutischen Wissens inszeniert wird. Der Status des Vereins wird hinsichtlich seiner Wahrnehmung als Expert*innenkultur von den Verantwortlichen aber als einigermaßen prekär eingeschätzt: Es reicht nicht aus, lediglich Inhalte zu vermitteln oder Angebote zu erklären. Um kulturelle Autorität erzeugen zu können, scheint es auf der Ebene diskursiver Selbstrepräsentationen mindestens genauso wichtig zu sein, die Art und Weise, wie und von wem diese Inhalte vermittelt werden, metakommunikativ mitzuthematisieren. Zwei eng miteinander zusammenhängende Gründe können hierfür identifiziert werden: Einerseits ist dies einem explizit konstatierten Problem ‚öffentlicher‘ Anerkennung geschuldet. Es geht also um die Beziehung zu diversen Stakeholdern (wie institutionalisierten Anerkennungsinstanzen, aber insbesondere den Klient*innen). Andererseits wird ebenso offensichtlich, dass die Atemarbeit in Konkurrenz zu als gemeinhin legitim erachteten Angeboten, wie zum Beispiel psychotherapeutischen Dienstleistungen, steht, die teils ähnliche oder in Teilen gar identische Probleme bearbeiten.

Auch wenn professions- und expertisesoziologische Aspekte nicht im Hauptfokus der vorliegenden Arbeit stehen und zweifelsohne einer weiteren, komparativ angelegten Erforschung bedürften, so ist es doch wichtig, dass derlei Aspekte – auch im Rahmen einer Soziologie leiblicher Praxis – nicht unberücksichtigt bleiben. Denn deutlich wird unter Einnahme einer Perspektive, die nach der Produktion der kulturellen Autorität sozialer Welten fragt, dass die diskursiven Selbstrepräsentationen der Atemarbeit-Anbieter*innen stets (auch) vor dem Hintergrund spezifischer, von den Anbieter*innen unterstellten Legitimationsanforderungen zu betrachten sind, die sich aus zwei zentralen strukturellen Bedingungen ergeben: die Beziehung der sozialen Welt der Atemarbeit zu anderen Anbieter*innen und zu den Nachfragenden (so auch Bourdieu 2011a [1971], 2011b [1971] aus einer feldtheoretischen Perspektive). Wesentlich ist hierbei: Diese prägen die Art und Weise, wie über solche Angebote informiert wird, entscheidend mit (vgl. auch Hero 2014; Koch 2005; Pattathu 2018). So verweist etwa auch der Religionssoziologe Markus Hero (2018: 581) am Beispiel alternativreligiöser AngeboteFootnote 12, die – wie die Atemarbeit – auf „Fragen der Identität und des Identitätsmanagements“ abstellen und „religiöse Ideen für körperbezogene, gesundheitliche Dienstleistungen fruchtbar“ machen, darauf, dass diese nicht nur „inhaltlich-ideelle Strategien“ (ebd.: 583) verfolgen, die sich in einer „‚religiöse[n] Kundenorientierung‘“ manifestieren. Die „Außendarstellung der Szene“ ziele ebenso auf „gesellschaftliche Anerkennung oder Reputation“ (ebd.: 584):

„Alternativreligiöse Anbieter in unterschiedlichen ‚Sparten‘ haben sich zu Verbänden zusammengeschlossen, um ihre Interessen sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch im Hinblick auf die nicht organisierte Konkurrenz zu vertreten. Die Dachverbände bringen“ – wie auch im Falle der Berufsvereinigung Österreichischer Atemlehrer – „‚Qualitäts‘­ und ‚Ethikrichtlinien‘ hervor, dazu gehören die Kodifizierung von berufsethischen Normen, erste Versuche der Kontrolle des ‚Berufszugangs‘ und der ‚Berufsqualifikation‘ sowie die Standardisierung der Verfahren und Techniken. Analog werden unter den Mitgliedern der Verbände verbindliche und vergleichbare Definitionen, Qualitätskriterien und Vorgehensweisen erarbeitet.“ (ebd.)

Techniken des Körpers im Rahmen ganzheitlicher Praktiken, die als therapeutische Angebote präsentiert werden, erscheinen also nicht nur in kognitiver Hinsicht erklärungs-, sondern darüber hinaus – das wird auch in der Folge immer wieder deutlich – auch institutionalisierungs- und legitimationsbedürftig zu sein (vgl. Hero 2014: 80 ff.; Höllinger/Tripold 2012: 232 ff. sowie allgemein Berger/Luckmann 2007 [1966]: 56 ff.). Dies betrifft deren formale Organisation in Form von Vereinen oder Verbänden, aber – damit zusammenhängend – ebenso den Aspekt der diskursiven Selbstrepräsentation (vgl. z. B. auch Freidson 2001; Pfadenhauer 2003). Letzteres scheint – so lässt sich an dieser Stelle als These formulieren – vor allem auch deswegen wichtig zu sein, weil sich ganzheitliche Angebote in verschiedenerlei Hinsicht abweichend zu jenen ‚konventionellen‘ (psycho-)therapeutischen, medizinischen und religiösen bzw. spirituellen Angeboten verhalten, die eine verstärkte institutionelle Absicherung genießen und aufgrund dessen gemeinhin (oder zumindest eher) als legitim anerkannt werden und gegebenenfalls auch einen höheren Bekanntheitsgrad aufweisen. Wer sich, so Bourdieu (2011a [1971]: 20), auf seine „Amtsautorität“ berufen kann, ist von „der Bürde“ enthoben, „seine Autorität ständig erringen und bekräftigen zu müssen“. Obwohl die Atemarbeit und ähnlich gelagerte ganzheitliche Angebote zunehmend positiv beurteilt werden und „immer mehr den Nimbus des Exotischen und Esoterischen verloren haben“ (Höllinger/Tripold 2012: 118; vgl. auch Hero 2016: 611), wird anhand der diskursiven Selbstrepräsentationen der Atemarbeit-Anbieter*innen jedoch auch deutlich, dass ihre Legitimität offenbar (noch) als relativ instabil eingeschätzt wird. Das prägt das öffentliche Bild, das von der Atemarbeit gezeichnet wird.

3 Die Wissensdomäne der Atemarbeit: Vom Atmen zum „Atem“

3.1 Zur Kommunikation thematischer Zuständigkeit: „Infos zum Atmen“

Wie verhält es sich nun im Detail mit der Kommunikation und Beanspruchung thematischer Zuständigkeit? Offensichtlich wurde bereits, dass der Verein sich mit einer bestimmten ‚Sache‘ beschäftigt, bestimmte ‚Dinge‘ anbietet und damit auch einen bestimmten Personenkreis anspricht. Was, so lässt sich fragen, macht das Atmen im Rahmen der Atemarbeit zu einer spezifischen Aktivität, die sich vom ‚normalen‘ Atmen im Alltag unterscheidet? Wie wird das Atmen der Atemarbeit so bestimmt, dass es für die Lesenden nachvollziehbar wird? Ganz allgemein gesprochen: Wie wird das Atmen im Rahmen der Atemarbeit bedeutungsvoll und bedeutsam gemacht? Auch wenn man hierbei freilich nicht starr unterscheiden kann, so lenken diese Fragen den Blick weniger darauf, wie das eigene Tun und die Angebote legitimiert werden. Vielmehr soll es in der Folge primär darum gehen, wie die soziale Welt der Atemarbeit als eine spezifische Wissenskultur dargestellt wird – das heißt: als ein soziomaterieller, aus vielfältigen Praktiken, unterschiedlichen Teilnehmer*innen und Infrastrukturen bestehender Sozialzusammenhang, der über eine eigene Wissensdomäne (im Sinne eines thematischen Tätigkeitsfeldes) verfügt, die sich wiederum durch eigene Wissensobjekte (hier: im Sinne begrifflicher Konzepte) auszeichnet. Ist man nun also durch den Teaser auf der „Home“-Seite des Vereins atman interessiert genug (gemacht), so hat man die Möglichkeit, dem Hyperlink „Informationen“ zu folgen und so tiefer in die soziale Welt der Atemarbeit einzutauchen.

Man gelangt auf die Seite „Grundbegriffe, Lexikon“, die der übergeordneten Rubrik „Infos zum Atmen“ (W-1) zugeordnet ist.Footnote 13 Zunächst kurz zum Aufbau der Seite: Sie besteht aus insgesamt siebzehn Unterseiten bzw. Beiträgen (siehe auch Abb. 4.2). In den einzelnen Beiträgen werden vergleichsweise heterogene Themenkomplexe behandelt. So wird etwa – um die Breite hier lediglich anzudeuten – die „Atmung“ als biochemischer Stoffwechselvorgang beschrieben. Es werden „Nasen- und Mundatmung“ sowie „Brust, Bauch- und Vollatmung“ erörtert und deren Funktionen für die Atemarbeit erläutert. Sodann nähert sich die Darstellung Wissensobjekten, die direkt der Atemarbeit zugeordnet werden bzw. spezifischer für diese sind – etwa die „Vollatmung“ und insbesondere das „Verbundene Atmen“ und „Breath Release“. Erörtert werden darüber hinaus Themen wie „Die Geburt“, „Das Geburtstrauma“, „Asthma“, „Hyperventilation“, „Chakren“Footnote 14, „Kaltwasseratmen“, „Warmwasseratmen“, „Die Theorie der Gefühlsunterdrückung“ sowie „Die Funktion der Atmung nach der Polyvagal-Theorie“.

Abb. 4.2
figure 2

atman-Website: „Grundbegriffe, Lexikon“ [W-1]

Nur bei zwei der siebzehn Beiträge wird explizit ein Autor genannt. In beiden Fällen ist der Genannte Wilfried Ehrmann. In elf Fällen sind die Beiträge, wie auch in wissenschaftlichen Kontexten üblich, mit Quellen versehen. Fünfmal befindet sich Ehrmanns Handbuch der Atemtherapie (2004) darunter.Footnote 15 Auch hier wird wiederum deutlich, dass Ehrmann eine zentrale intellektuelle Position innerhalb des Vereinszusammenhangs hinsichtlich der Genese „theoretischen“ Wissens einnimmt (zumal sich unter den Zitierten auch kein anderes Vereinsmitglied befindet). Sein Buch wird überdies auf der atman-Website zum Verkauf angeboten. Dies ermöglicht es Lesenden, sofern ein entsprechendes Interesse geweckt werden kann, ein tiefergehendes theoretisches Wissen über die Atemarbeit zu erwerben. Doch zweifelsohne geht es auch hier wiederum nicht allein um die Benennung von Informationsquellen und das Bereitstellen von Wissen. Das von Ehrmann individuell akkumulierte kulturelle Kapital in Form intellektueller Kompetenzen, die sich in Veröffentlichungen niederschlagen, wird durch deren Präsentation auf der Website des Vereins zum symbolischen Kapital für den Verein selbst. Man hat nachweislich einen Theoretiker in den eigenen Reihen, der es versteht mit Wissen umzugehen und dieses aufzubereiten.

Anhand der Beiträge auf der Seite „Grundbegriffe, Lexikon“ lässt sich nun aufzeigen, wie in der Atemarbeit mittels einer auf der Website zur Schau gestellten Wissensarbeit sozialweltspezifische Wissensobjekte diskursiv erzeugt werden. Zu fragen ist dabei insbesondere danach, in welcher Art und Weise diese sich als spezifisch für die Atemarbeit erweisen oder – konstruktivistischer ausgedrückt – wie sie spezifisch gemacht werden. Demonstrieren lässt sich dies insbesondere mittels eines vergleichenden Zugriffs: einer Kontrastierung naturwissenschaftlich orientierter Darstellungen mit solchen, die sich offensichtlich anderer Vokabularien bedienen und die sich durch differente inhaltliche Relevanzsetzungen auszeichnen.

Der erste Eintrag in der Rubrik „Grundbegriffe, Lexikon“ ist der „Atmung“ gewidmet. Diese wird als „eine der wichtigsten organischen Grundfunktionen des Menschen“ beschrieben. Ihre Funktion bestehe in der Erzeugung von „Stoffwechselenergie“: „Sauerstoff wird in den Gewebszellen benötigt, um die elementaren Verbrennungsvorgänge aufrechtzuerhalten“. Die „Ausscheidung“ ermögliche es wiederum, CO2 abzugeben. Die Zufuhr von Sauerstoff und der Abbau von CO2 führe zu einem entsprechenden „Sauerstoffgehalt in den Zellen“, der „lebensaktivierende[] Aufgaben“ ermögliche. Zwar wird die Atmung als Wissensobjekt hier nicht explizit in einer spezifischen wissenschaftlichen Wissenskultur (etwa der Biologie, Chemie, Medizin oder Physiologie) verortet. Doch wird an der Darstellung offensichtlich, dass ein biochemisches Vokabular verwendet wird (z. B. „Stoffwechselenergie“, „Sauerstoffgehalt in den Zellen“ etc.). Darüber hinaus wird auch zusätzliches Fachwissen präsentiert – etwa die Höhe des Sauerstoffanteils der Einatemluft und wie viel davon ins Blut abgeführt wird.

Ich möchte an dieser Stelle keine Aussage darüber treffen, inwieweit diese Darstellung darauf zielt, bei den Leser*innen den Eindruck von Wissenschaftlichkeit zu erzeugen; dazu bedürfte es umfangreicherer Vergleiche. Nur so viel: Im Vergleich zum Eintrag „Atmung“ in der Brockhaus-Enzyklopädie (2019) enthält er keine Quellenangaben und ist auch weniger umfangreich.Footnote 16 Von Interesse ist hier gleichwohl ein Sachverhalt, der für wissenschaftliche Spezialdiskurse typisch ist (vgl. Link 2013: 11): Die Atmung wird hochgradig entkontextualisiert und entpersonalisiert beschrieben.Footnote 17 Die Darstellung ist in einem zweifachen Sinne abstrakt: So geht es zwar, erstens, ausschließlich und explizit um die Atmung des Menschen – und nicht etwa die der Tiere oder der Pflanzen (vgl. im Gegensatz dazu den Eintrag in der Brockhaus-Enzyklopädie 2019). Doch abgesehen davon wird sie als ein universaler Prozess der artspezifischen Lebenserhaltung beschrieben: Wir alle müssen atmen, um (über-)leben zu können. Die Atmung erscheint in der Darstellung darüber hinaus, zweitens, als ein naturwissenschaftliches Wissensobjekt. Sie wird alltagsenthoben und mittels eines technischen Vokabulars beschrieben. Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass wir alle atmen, aber darüber hinaus wird keine Verbindung zu unserem ‚alltäglichen‘ Atmen und der Art und Weise, wie wir die Atmung gegebenenfalls erfahren, hergestellt (etwa in Situationen intensivierter Atmung oder beim Auftreten von Atemproblemen).

3.2 Strategien der Rekonfiguration des Atmens

Diese abstrakte Form der Darstellung unterscheidet sich von den Folgeeinträgen. Nach und nach werden unterschiedliche Spezifikationen vorgenommen, die sich insbesondere bei den genuinen Wissensobjekten der Atemarbeit (etwa dem „Verbundenen Atmen“ und dem „Breath Release“) verdichten und dort verstärkt ineinandergreifen. Die Atmung bzw. das Atmen wird so mit anderen bzw. neuen Bedeutungen verknüpft und in diesem Sinne auf eine spezifische Art und Weise re-kontextualisiert. Diese Arbeit an der diskursiven Konstruktion von Wissensobjekten beschreibe ich im Anschluss an Knorr Cetina als einen Prozess der Rekonfiguration. Unter Rekonfiguration versteht Knorr Cetina (2002: 46) jene – etwa in molekularbiologischen Laboratorien zu leistende – praktische Arbeit von Wissenschaftler*innen, die darauf zielt, „Objekte aus ihrer natürlichen Umwelt herauszulösen und in einem neuen Phänomenfeld, das durch soziale Akteure definiert wird“, zu installieren (vgl. auch ebd.: 45 ff.; 1988: 88 f., 91). Wichtig ist hierbei: Prozesse der Rekonfiguration sind nicht auf naturwissenschaftliche Praktiken der Wissensgenese und auf das körperlich-praktische Hantieren mit Objekten zu reduzieren. Rekonfigurationen sind ebenso in anderen Wissenskulturen und auf der Ebene des Diskursiven, der „symbolischen Repertoires“, zu beobachten (Knorr Cetina 2002: 165). Das Konzept erweist sich in analytischer Hinsicht dementsprechend als hilfreich, ein Verständnis davon zu gewinnen, wie (theoretische) Wissensobjekte in der Atemarbeit diskursiv produziert werden und welchen Logiken dieser Prozess folgt.

Dabei lassen sich unterschiedliche diskursive Strategien identifizieren. Die wichtigsten von ihnen möchte ich in der Folge anhand einiger Beispiele erläutern: Ich stelle zuerst die diskursive Strategie der Veralltäglichung (a) dar. Sie verortet die Atmung bzw. das Atmen im Alltagsleben handelnder und wahrnehmender Menschen. Vor dem Hintergrund von Problematisierungen (b), mittels derer zu bewältigende Probleme artikuliert werden, erhält die Atmung in der Folge eine spezifischere Form: Bestimmte, kodifizierte Atemmuster werden als Problemlösungsmechanismen präsentiert, die die Erzeugung bestimmter Wirkungen ermöglichten. Diese oben bereits angesprochene Diskursstrategie bestimme ich hier nun spezifischer und bezeichne sie als Technisierung (c). Die Atmung wird überdies explizit in der Wissenskultur der Atemarbeit lokalisiert (d) und damit institutionell gerahmt: Sie erscheint als ein spezifisches, in einem bestimmten symbolischen und praktischen Sinnzusammenhang situiertes Wissensobjekt. Gleichwohl wird die Verbindung zu naturwissenschaftlichen und psychologischen Wissenskulturen nicht gekappt. Die Wissenskultur der Atemarbeit wird vielmehr als eine solche dargestellt, die verschiedene Beziehungen zu anderen Wissenskulturen unterhält. Diese diskursive Strategie bezeichne ich als Relationierungs- und Positionierungsarbeit (e).

(a) Veralltäglichung

Mittels der diskursiven Strategie der Veralltäglichung wird die Atmung auf Situationen bezogen, in denen sie in irgendeiner Art und Weise handlungspragmatisch relevant werden kann (was jedoch nicht per se impliziert, dass sie als solche auch von den Atmenden bewusst wahrgenommen werden muss). So heißt es etwa bei dem Eintrag „Mundatmung“:

Die Mundatmung wird vor allem dann wichtig, wenn das Einatemvolumen die Kapazität der Nase übersteigt. Dies ist im Alltagsleben der Fall, wenn wir uns körperlich anstrengen. Durch den Mund können wir schneller und mehr atmen. Wir atmen auch durch den Mund, wenn wir stärkere Gefühle erleben und ausdrücken. [W-1]

Ähnlich bei der „Brustatmung“: „Die obere Brustatmung dient grundsätzlich zur Bewältigung von Not- und Angstsituationen“. Und: „Bei vielen Menschen ist die Brustatmung die gewohnte alltägliche Atemform“.

Deutlich wird an den Beispielen, dass die Atmung hier nicht mehr (allein) als naturwissenschaftliches Wissensobjekt dargestellt wird, über das mittels der Rezeption entsprechender Diskurse informiert wird. Die Atmung wird vielmehr diskursiv in ‚alltägliche‘ Kontexte eingebettet. Zwar ist der Begriff des Alltags (und damit auch jener der Veralltäglichung) – worauf etwa Norbert Elias (1978) hingewiesen hat – als theoretischer Begriff keineswegs unproblematisch. Doch er ermöglicht es zum einen an die verwendeten Ethnokategorien („Alltagsleben“, „alltägliche Atemform“) anzuschließen. Zum anderen erlaubt er es, zu akzentuieren, dass die Atmung hier diskursiv als etwas konstruiert wird, das in Zusammenhang mit spezifischen, wenn auch nicht völlig außergewöhnlichen Situationen (körperliche Anstrengung, dem Auftreten von Gefühlen) steht, die uns persönlich – und zwar durchaus auch im Hinblick auf das leibliche Erleben des Atmens – betreffen können.

Noch deutlicher wird die diskursive Herstellung einer solchen Veralltäglichung, wenn ein expliziter Subjekt-Bezug hergestellt wird. Ich möchte dies kurz am Beispiel der Darstellung der „Nasenatmung“ veranschaulichen. Diese erfolgt zunächst, wie die der „Atmung“, noch völlig entpersonalisiert unter Rückgriff auf ein neurophysiologisches Vokabular:

Die Nase bremst den Luftstrom, reinigt die Atemluft und befeuchtet sie. Die Nasenschleimhäute und Gesichtshöhlen werden aktiviert, und der Atemstoffwechsel beginnt schon bei den Nasenlöchern. Es besteht eine enge Verbindung der Nasenatmung zum vegetativen Nervensystem […] und zum Gehirn, insbesondere zu den Gefühlszentren im limbischen System, aber auch zum Großhirn. [W-1]

Im Vergleich dazu rekurriert die direkt anschließende Beschreibung auf ein handelndes und wahrnehmendes Subjekt:

Die Nasenatmung ermöglicht eine Reihe von Nuancierungen und eine subtilere Steuerung des Luftstromes und der Atemgeschwindigkeit. Wir können uns auch der unterschiedlichen Öffnung unserer Nasenlöcher bewusst werden, bei denen zumeist eines weiter und das andere enger ist. [W-1]

Das Atmen erscheint hier als prinzipiell regulierbare und erspürbare Aktivität.

Mittels der diskursiven Strategie der Veralltäglichung überschreitet man also den entkontextualisierten und entpersonalisierten Spezialdiskurs der Biochemie und (Neuro-)Physiologie und dockt so an mögliche handlungspragmatische Relevanzen der Lesenden an, die – als „Klient*innen“ – potenziell auch Atmende im Sinne der Atemarbeit werden können (oder dies bereits sind). Veralltäglichung zielt somit darauf, die Atmung bzw. das Atmen aus dem engeren Bereich der Naturwissenschaften partiell herauszulösen. Man kann insofern auch von einer Öffnung sprechen, als die Atmung – wenn auch zunächst nur kursorisch – alltagsrelevant und in einem gewissen Sinne anschlussfähig gemacht wird: Sie erscheint nicht mehr nur als ein autonom ablaufender biochemischer und physiologischer Prozess, der unabhängig von konkreten situativen Umständen und ohne unser Zutun prozessiert, sondern als etwas, das wahrgenommen und auch gesteuert werden kann.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie genau bzw. in welcher Hinsicht die Atmung im Rahmen der Atemarbeit relevant gemacht wird. Als zentral hierfür erweisen sich die diskursiven Strategien der Problematisierung und der Technisierung und dabei insbesondere der Zusammenhang zwischen beiden. Dieser Zusammenhang wurde in etwas allgemeinerer Form bereits bei der funktionalistischen Bestimmung des Atems in Abschnitt 4.2.2 behandelt und dort als diskursiv hergestellte Verbindung zwischen Problematisierung und Problemlösung bestimmt.

(b) Problematisierung

Bevor ich das anhand einiger Beispiele erläutere, zunächst Allgemeines zur Problematisierung, so wie sie sich im empirischen Material darstellt: Diese ist als eine diskursive Strategie zu verstehen, mittels derer Probleme als solche erst artikuliert und damit hervorgebracht werden.Footnote 18 Das geschieht dadurch, dass auf einen Sachverhalt aufmerksam gemacht wird, der – mehr oder weniger explizit – als änderungsbedürftig oder verbesserungswürdig dargestellt wird. Dabei kann man, so mein Vorschlag, zwischen Negativ- und Positiv-Problematisierungen unterscheiden: Bei Negativ-Problematisierungen wird explizit ein zu bewältigendes Problem artikuliert – etwa mittels Pathologisierungen („Krankheit“, „Störung“). Positiv-Problematisierungen operieren mittels der Angabe eines Idealzustands („Gesundheit“) und zeigen dabei die Notwendigkeit seiner Aufrechterhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung an.

Eine vergleichsweise allgemeine Form solcher Problematisierungen findet sich schon beim Eintrag zur bereits erwähnten „Nasen- und Mundatmung“. Dort heißt es etwa:

Grundsätzlich sollte, wann immer es möglich ist, der Nasenatmung der Vorzug gegeben werden. Die Mundatmung sollte für Ausnahmefälle sowie für das Sprechen reserviert bleiben. Darauf zu achten, den Mund nur zu öffnen, wenn es anders nicht geht, kann ein wichtiger Beitrag zur Gesundheit sein und allen Menschen mit Atemstörungen helfen. [W-1]

Neben den Problematisierungen („Gesundheit“, „Atemstörungen“) ist hier bereits auch eine Problemlösungsstrategie im Spiel: Die „Nasenatmung“, die gegenüber der „Mundatmung“ bevorzugt werden solle. Diese ist es, so die Darstellung, die sich als funktional für die Bearbeitung der Problembezüge erweist bzw. erweisen „kann“.

Ein solcher Zusammenhang von Problematisierung und Problemlösungsstrategie findet sich unter anderem auch beim Eintrag „Brust- und Bauchatmung“. Hier wird die Brustatmung, die bei „vielen Menschen […] die gewohnte alltägliche Atemform“ darstelle, zunächst als Begründung für eine Problematisierung angeführt: Sie sei der „Grund“ für „Atemstörungen“, aber auch „für Verspannungen im Hals- und Nackenbereich“. „Typisch“ für sie sei „die Anspannung bei der Ausatmung“. Und weiter heißt es: „Da wir uns bei der Brustatmung zumeist im Stress befinden, wird auch die Ausatmung vom sympathischen Nervensystem gesteuert, und das für die Entspannung zuständige parasympathische Nervensystem kann bei der Atmung nicht mitwirken“. Neben den Negativ-Problematisierungen („Atemstörungen“, „Verspannungen im Hals- und Nackenbereich“, „Stress“) wird hier überdies eine Positiv-Problematisierung, die „Entspannung“, genannt und dem „Stress“ gegenübergestellt. Diese erscheint als ein erstrebenswerter Zustand. Dazu passt auch die ins Treffen geführte Problemlösungsstrategie, die in der „Bauchatmung“ bestehe:

Die Bauchatmung kann dazu beitragen, dass sich der gesamte Bauchraum bis in den Beckenraum hinein entspannt, wobei ein strömendes Wärmegefühl entstehen kann. […] Wird der entspannte Ausatem in den Bauch hinein erlernt, kann sich das Zwerchfell beim Ausatmen ganz aus seiner Spannungsposition fallen lassen. [W-1]

(c) Technisierung

Neben dem immer wieder auftretenden Zusammenhang zwischen Problematisierung und Problemlösung sind bei der Brust- und Bauchatmung überdies zwei Aspekte auffällig, die vor allem die Art und Weise betreffen, wie die Wissensobjekte bestimmt werden, die die Problemlösung symbolisieren: Die Begrifflichkeiten bzw. Konzepte werden – im Vergleich zur vorhin erläuterten Mund- und Nasenatmung – erstens spezifischer und damit offensichtlich auch erklärungsbedürftiger. So ist von dem „entspannte[n] Ausatem in den Bauch“ und von der „vertiefte[n] Bauchatmung“ die Rede und es wird auch eine Erläuterung dafür angeboten, was überhaupt unter Bauchatmung zu verstehen ist: „dass sich der gesamte Bauchraum bis in den Beckenraum entspannt“. Zweitens ist die angesprochene Atemform offensichtlich nicht nur erlernbar, sondern auch ‚erlernbedürftig‘ („Wird der entspannte Ausatem in den Bauch hinein erlernt […]“) – ein Aspekt, der bei der Nasenatmung keine erwähnenswerte Rolle spielt. Das leuchtet durchaus ein: Es wird wohl kaum Leser*innen geben, die nicht problemlos zwischen Mund- und Nasenatmung switchen können.Footnote 19

Ganz ähnlich verhält es sich, um ein weiteres Beispiel anzuführen, bei der „Vollatmung“. Bei dieser handelt es sich um eine Atemform, die in unterschiedlichen Typen der Atemarbeit oder beispielsweise auch im Yoga eine Rolle spielt: Man hat es hier also mit einer spezifischen, ein Wissensobjekt bezeichnenden Ethnosemantik (vgl. Maeder/Brosziewski 1997) zu tun, mit „gebräuchlichen besonderen Wörter[n]“ (Fleck 1983b [1936]: 110), die (nur) in bestimmten sozialen Welten verwendet (und verstanden) werden. Hierzu ein Ausschnitt aus der Website:

Die Verbindung von Bauch- und Brustatmung wird auch als Vollatmung bezeichnet. In ihr kommen die Gaben der Entspannung und der vollen Brust- und Bauchatmung zusammen. Der Atem ist kraftvoll und gelöst zugleich. Eine ebenmäßige Bewegung füllt den ganzen Atemraum von unten nach oben beim Einatmen und leert ihn wieder in der gleichen Richtung. […] In den verschiedenen Formen der Atemtherapie lernen wir zunächst und vordringlich, die Ausatmung zu entspannen und die Einatmung zu weiten. Die ‚richtige‘ Atmung besteht also darin, beim Einatmen die inneren Räume des Atmens ohne Anstrengung öffnen zu können und bei der Ausatmung jede Anspannung ganz loszulassen. [W-1]

In beiden Fällen – also sowohl bei der Erläuterung der Bauchatmung als auch bei der Vollatmung – ist in zweifacher Hinsicht eine Entfernung vom Alltäglichen, von dem, was ‚jede*r‘ weiß und kann, zu beobachten. Erstens im Hinblick auf den Sprachgebrauch: Es tauchen „technische Termini“ (Fleck 1983b [1936]: 121) auf, die sich offensichtlich – zumindest für Außenstehende – nicht von selbst verstehen (vgl. auch ebd. 109 ff.); zweitens hinsichtlich der Behauptung, dass spezifische Atemmuster erst angeeignet werden müssen und damit scheinbar eben nicht zum ‚Alltagsrepertoire‘ des Atmens gehören. Das heißt: Einer ersten diskursiven Rekontextualisierung, der Veralltäglichung, die die Atmung aus naturwissenschaftlichen Spezialdiskursen herauslöst und damit in einem gewissen Sinne verallgemeinert, folgt hier also eine zweite, die sie nun wiederum spezifiziert und damit als Wissensobjekt der Atemarbeit rekonfiguriert. Das Atmen wird so gleichsam – in einem zweiten Schritt – in die Wissenskultur der Atemarbeit eingemeindet.Footnote 20 Die generelle, hier entfaltete diskursive Logik lässt sich, abstrakt gesprochen, folgendermaßen auf den Punkt bringen: Die Atmung bzw. das Atmen erscheint nicht nur als Mittel zur Lösung bestimmter Probleme. Es bedarf vielmehr auch der Kultivierung bestimmter Formen des Atmens, um diese Probleme lösbar zu machen.

Diesen zweiten Aspekt, die Kultivierung spezifischer, wiederholbarer Aktivitäten, die, so die Darstellung, bestimmte Wirkungen bzw. Effekte mit sich bringen (können), möchte ich als Technisierung fassen (vgl. zum Begriff der Technisierung auch Rammert 2007: 53 f., 60 f. sowie Schüttpelz 2010: 106; Scott 2003: 302). Wichtig ist dabei, dass Technisierung in der hier eingenommenen diskursanalytischen Perspektive nicht eine bestimmte praktische Vollzugsform (z. B. Prozesse des Erwerbs, des Einübens und der Modifikation von körperlichen Gewohnheiten) bezeichnet, sondern eine diskursive Strategie. Die Atmung bzw. das Atmen wird als technisierbar/technisiert dargestellt. Die Hinweise auf die Lernbedürftigkeit und der hergestellte normative Bezug – man kann „richtig“ und damit auch „falsch“ atmen – implizieren aber noch mehr: Das Atmen wird nicht nur in dem Sinne technisiert, als es, ‚richtig‘ ausgeführt, zur Bewältigung spezifischer körperlicher wie psychologischer Probleme beitragen kann. Es wird diskursiv gewissermaßen auch als eine Kulturtechnik hervorgebracht.Footnote 21 Das Atmen der Atemarbeit unterscheidet sich im Hinblick auf seine Lernbedürftigkeit und die mit ihm verbundene Normativität von autonom ablaufenden, biochemischen und physiologischen Prozessen. Es erscheint in diesem Sinne nicht nur als Teil des biologischen, menschlichen Organismus, sondern das Atmen der Atemarbeit wird vom Menschen gemacht und genutzt – und so auch explizit zum Bestandteil einer Praktik, dem Atmen im Rahmen der Atemarbeit, die hier Gegenstand eines symbolischen Wissens, eines atemarbeitsspezifischen Spezialdiskurses wird.

(d) Lokalisierung

Die diskursive Hervorbringung atemarbeitsspezifischer Wissensobjekte erfolgt aber nicht nur mittels Problematisierungen, Technisierungen und der Verwendung technischer Termini. Das Atmen der Atemarbeit wird auch in spezifischen praktischen und symbolischen Sinnzusammenhängen lokalisiert. Einerseits wird darauf verwiesen, dass die Aneignung spezifischer Atemformen in bestimmten institutionalisierten Settings samt entsprechendem Personal erfolgt. So hieß es bei der „Vollatmung“: „In den verschiedenen Formen der Atemtherapie lernen wir zunächst und vordringlich, die Ausatmung zu entspannen und die Einatmung zu weiten“. Auf der gleichen Seite ist explizit von „angeleiteten Sitzungen“ die Rede. Das heißt: Bereits hier verweisen die Darstellungen – wenn auch nur vage – auf praktische Anwendungs- bzw. Lehr-/Lern-Kontexte (spezifische Interaktionsformen, Orte, Zeiten etc.) und damit auf institutionalisierte Formate der Partizipation und implizit auch auf jene Personen, die entsprechende Dienstleistungen anbieten. Die Erklärung der theoretischen Wissensobjekte weist in diesem Sinne bereits über die diskursive Situation – in Form der Rezeption des Textes – hinaus und somit auch auf andere Situationen hin.

Andererseits wird das Atmen der Atemarbeit auch in einem symbolischen Sinnzusammenhang situiert. Dies kann eher beiläufig, aber auch mittels expliziter Diskursivierungen erfolgen. So definiert bereits die generelle Rahmung, die über die atman-Website erzeugt wird, eine spezifische Wissensdomäne: Man erfährt bereits auf der „Home“-Seite, dass die Atemarbeit über physiotherapeutische Angebote hinausgeht. Unterstrichen wird dies aber auch durch explizite diskursive Lokalisierungen. Bei der Erläuterung des „Breath Release“, das darauf ziele, „körperliche und psychologische Spannungen loszulassen, indem durch die völlige Entspannung der Ausatmung eine vertiefte körperliche Entspannung erreicht wird“, heißt es etwa:

Breath Release ist ein zentrales Konzept in vielen Therapien, die auf transformationaler Ebene arbeiten. […] Breath release nimmt einen zentralen Stellenwert in modernen therapeutischen Techniken wie Rebirthing, Free Breathing oder Holotropes Atmen ein, wie es auch in traditionellen östlichen Techniken wie Yoga, Pranayama, Chi Kung, Tai Chi und schamistischen Übungen Anwendung findet. [W-1]

Breath Release wird hier nicht nur explizit als „Konzept“ ausgewiesen und damit kommunikativ als eigenständiges Wissensobjekt markiert, sondern auch wissenskulturspezifisch klassifiziert: Ein bestimmtes Wissensobjekt wird einer bestimmten Wissenskultur oder – allgemeiner – einer sozialen Welt (hier: mehreren) zugeordnet. Die Objekte werden verortet und das Territorium, in dem diese Objekte auftreten, wird (grob) kartiert, indem unterschiedliche Formen der Atemarbeit mit „traditionellen östlichen Techniken“ in Beziehung gesetzt werden, mit denen sie sich ‚ihre‘ Objekte ‚teilen‘. Zu vermuten ist, dass dies auf Seiten der Leser*innen nicht nur eine kognitive Orientierung ermöglicht, sondern auch ein Gefühl dafür mitvermittelt werden soll, auf welchem Terrain man sich hier bewegt. Ebenso wie beispielsweise die Angabe musikalischer Genres und die Nennung ähnlich klingender Bands in Plattenrezensionen (kompetenten) Musikinteressent*innen einzuschätzen erlauben, was man stilistisch ungefähr erwarten kann, bieten auch derartige diskursive Lokalisierungen potenziellen Klient*innen die Möglichkeit, einzuschätzen, ‚wo‘ man sozusagen ‚unterwegs ist‘.

(e) Relationierung und Positionierung

Auch wenn die hier beschriebenen diskursiven Strategien eine (weitgehend) eigenständige Wissenskultur mit einer spezifischen Wissensdomäne und eigenen Wissensobjekten konstituieren, so wird jedoch auch deutlich, dass die Verbindung zu naturwissenschaftlichen Wissenskulturen nicht gekappt wird. Dies offenbart sich nicht nur in der oben beschriebenen Legitimationsarbeit und der erörterten Selbstpositionierung des Vereins als mit der Zeit gehenden Traditionsbewussten, der traditionales und kontemporäres wissenschaftliches Wissen miteinander verbinde, sondern auch im Wie der textuellen Gestaltung. So wird nicht nur ganz zwanglos zwischen verschiedenen Vokabularien (z. B. biochemischen, psychologischen und alltagsweltlichen) gewechselt, der Bezug zu naturwissenschaftlichen Wissensbeständen wird vor allem auch dadurch aufrechterhalten, dass naturwissenschaftliche Deutungsangebote in den Dienst der Erklärung der Wirksamkeit des atemtherapeutischen Atmens gestellt werden.

Um dies anhand eines Beispiels zu erläutern: Im Falle des Breath Release wird etwa die Polyvagal-Theorie des US-amerikanischen Psychiaters und Neurowissenschaftlers Stephen W. Porges als Interpretationsfolie genutzt. Porges geht davon aus, dass die Regulierung des autonomen Nervensystems zentral für die Beeinflussung emotionalen und sozialen Verhaltens, die Gesundheit und das individuelle Wohlbefinden ist. Wichtiger als die Definition der verwendeten Begrifflichkeiten ist in der Folge allerdings vor allem die Art und Weise, wie auf die Polyvagal-Theorie zugegriffen wird. In der Rubrik „Grundbegriffe, Lexikon“ heißt es hierzu:

Nach der Polyvagal-Theorie kann breath release so verstanden werden, dass dabei ein optimaler vagaler Tonus entsteht, wodurch die ‚vagale Bremse‘ in die Lage versetzt wird, die Stressreaktion zu unterbinden. Damit wird das autonome Nervensystem in seiner Leistungsfähigkeit im Sinn eines entspannten Lebensstils gestärkt. [W-1]

Hier wird nicht bloß das Wissensobjekt Breath Release in das Vokabular der Polyvagal-Theorie („optimaler vagaler Tonus“, „vagale Bremse“) übersetzt, sondern die Darstellung enthält zugleich auch eine naturwissenschaftlich informierte Erklärung dafür, wie durch spezifische Atemformen das Auftreten von Stress unterbunden werden kann. Durch die Mobilisierung naturwissenschaftlichen Wissens kann die Bekämpfung und Vermeidung von „Stress“ und die Herstellung eines „entspannten Lebensstils“ durch die atemtherapeutische Kultivierung des Atmens als „das einfachste und genialste Tor zur Rückregulierung des entgleisten Nervensystems“ dargestellt werden:

Wenn wir sie [die Atmung; A.A.] entspannen, entspannt sich der Herzschlag und schließlich schwindet die ganze Stressreaktion. In der Atemtherapie lernen wir, gewohnheitsmäßige Spannungsmuster in unserer Atmung zu lösen. Wir lernen, wie wir die Atmung vertiefen können, und damit, wie wir die Ausatmung ausdehnen können. Wir trainieren damit unseren Vagus darauf, schneller zu bremsen, wenn der Sympathikus nicht mehr benötigt wird, also schneller wieder in den entspannten Normalzustand zurückzuschwingen […]. [W-1]

Neurophysiologische Erklärung (Polyvagal-Theorie) und die Technisierung des Atmens (hier: Vertiefung und Ausdehnung der Atmung) gehen Hand in Hand. Man interpretiert das eigene Tun durch die ‚fremde Brille‘ naturwissenschaftlicher Deutungsangebote und hält so nicht nur den Anschluss an sozial anerkannte Wissensformen aufrecht. ‚Die‘ Naturwissenschaften werden vielmehr vor den eigenen Karren gespannt: einerseits, wie oben bereits gezeigt, in legitimierender Hinsicht, andererseits in kognitiver Hinsicht, insofern diese Erklärungspotenziale für das eigene Tun und dessen Funktionsweise bieten (vgl. auch Eitler 2011b: 304 ff.). Dies wird in der Folge beim Eintrag zur Polyvagal-Theorie auch explizit gemacht:

Viele Erkenntnisse der Polyvagaltheorie bestätigen, was uns aus der Praxis der Körpertherapien und insbesondere der Atemtherapie vertraut ist. Und es ist faszinierend, wie die Wissenschaft diesen praktischen Einsichten eine solide Basis und Erklärung geben kann. Ein weiterer Schritt zum Zusammenwachsen der wissenschaftlichen Forschung und der therapeutischen Praxis ist getan – besonders auch deshalb, weil Porges hofft, durch seine Forschungen beizutragen, dass viele der Störungen, die direkt durch eine Fehlfunktion des vegetativen Nervensystems hervorgerufen sind, ohne Medikamente, sondern nur mit Hilfe der Wiederherstellung der vagalen Selbstregulation über Methoden der Atem- und Körperentspannung, der Musik und der nonverbalen Kommunikation geheilt werden können. [W-1]

Allerdings wird hier nicht nur die Nähe zur (Natur-)Wissenschaft gesucht. Ebenso wenig geht es nur darum, eine Alternative zu medikamentösen Behandlungsformen der sogenannten „Schulmedizin“ bzw. Biomedizin zu propagieren („ohne Medikamente, sondern nur mit Hilfe der vagalen Selbstregulation über Methoden der Atem- und Körperentspannung“) – eine Form der boundary work, die sich für körperbasierte, „alternative Heilverfahren“ und holistische Methoden, bei denen der Aspekt der „Selbstheilung“ im Kontext eines psychosomatischen, „ganzheitlichen“ Gesundheitsverständnisses betont wird, als durchaus typisch erweist (Eitler 2011a: 169 f.; Koch/Binder 2013: 26 ff.; Lüddeckens 2018: 164 f.). Die naturwissenschaftlichen „Erkenntnisse“ werden darüber hinaus auch dafür genutzt, um die (unterschätzte) Bedeutung von Körpertherapien gegenüber gesprächstherapeutischen Angeboten zu betonen:

Das Gespräch, ob personzentriert, gestalttherapeutisch oder analytisch, für so lange Zeit das Hauptvehikel der Psychotherapie, können wir als effektives Mittel zur Lösung von tiefliegenden Störungen ganz weit hinten anstellen. Denn Menschen sind in den Fällen von schweren Beeinträchtigungen ihrer inneren Stabilität erst dann in der Lage, sinnvolle Gespräche zu führen, wenn sich ihr vegetatives Nervensystem gut einreguliert hat. […] Die Klienten müssen also zuerst auf einer tiefen, durch die verbale Sprache nicht erreichbaren Ebene, gewissermaßen in ihren Eingeweiden, zur Ruhe kommen und zu dieser Entspannung immer wieder zurückfinden können. Wenn sich diese Strategien der Stressbewältigung und des Vertrauens auf der vegetativen Ebene aufgebaut und gefestigt haben, können wir überhaupt erst mit therapeutischen Gesprächen heilsame Veränderungen erzielen. [W-1]

Zu beobachten ist hier also auch eine wissenschaftlich gestützte Form der Abgrenzungsarbeit, die die Wissenskulturen der (Natur-)Wissenschaft, der Atemarbeit und der Gesprächspsychotherapie in Relation zueinander setzt, um die Atemarbeit auf eine spezifische Art und Weise diskursiv zu positionieren: Auf der Grundlage einer Metaphorik der Tiefe, die mit dem vegetativen Nervensystem und präverbalen Erlebnisdimensionen in Verbindung gesetzt wird, wird der Eindruck einer gewissen Oberflächlichkeit gesprächstherapeutischer Zugriffe suggeriert (vgl. auch Eitler 2019: 378 f.). Zwar wird die Bedeutung von Gesprächstherapien nicht generell negiert. So werden Atemsitzungen, wie noch zu zeigen sein wird, oft auch mit psychotherapeutischen Formen der Gesprächsführung verknüpft. Allerdings wird die naturwissenschaftlich erklärbare „Tiefe“ körperorientierter Verfahren hier einerseits als notwendige Voraussetzung für Gesprächstherapien benannt („erst dann in der Lage, sinnvolle Gespräche zu führen“, „Die Klienten müssen also zuerst auf einer tiefen […] Ebene […] zur Ruhe kommen“, „Wenn sich diese Strategien der Stressbewältigung und des Vertrauens auf der vegetativen Ebene aufgebaut und gefestigt haben, können wir überhaupt erst mit therapeutischen Gesprächen heilsame Veränderungen erzielen“.). Andererseits erscheinen körperorientierte Verfahren leistungsfähiger im Hinblick auf die Zugänglichkeit präverbaler Erfahrungen („einer tiefen, durch die verbale Sprache nicht erreichbaren Ebene“).Footnote 22 Dieser Eindruck wird bisweilen auch durch ‚Erfolgsgeschichten‘ und persönliche Erlebnisberichte in Interviews unterstrichen. So erzählt Wilfried Ehrmann (I-2) etwa von einer Psychoanalytikerin, die zur Atemlehrer*innen-Ausbildung gestoßen ist:

W. Ehrmann: Sie war bei der ersten Sitzung da und hat quasi gesagt, ja, „So tief bin ich noch nie gekommen“. Also was für mich quasi normal wäre, aber für sie nicht, die also ja diese auch nicht so unaufwendige psychoanalytische Erfahrung, die […] sehr viele Stunden braucht ah durchgemacht hat und halt da sehr viel aus ihrer Kindheit aufgearbeitet hat, aber was in der ganz frühen Kindheit liegt, in diesem präverbalen Bereich, was in der Embryonalzeit liegt, da kommt sie dann mit diesen Methoden nicht ran.

3.3 Fazit

Versucht man nun, die bisherigen Befunde, die hier anhand einschlägiger empirischer Beispiele dargestellt wurden, zusammenzufassen und theoretisch zu generalisieren, dann lässt sich zum einen zeigen, wie die Wissenskultur der Atemarbeit – insbesondere auch in Relation zu anderen Wissenskulturen bzw. sozialen Welten – mit ihrer spezifischen Wissensdomäne diskursiv hervorgebracht wird. Zum anderen lässt sich die diskursive Logik der Konstitution zentraler Wissensobjekte bestimmen. An dieser Stelle möchte ich auch nochmals an die grundlegende Ausgangsfragestellung des Abschnitts erinnern: Wie wird das Atmen im Rahmen der Atemarbeit bedeutungsvoll und bedeutsam gemacht?

Festzuhalten ist zunächst allgemein, dass die Art und Weise, wie die Wissensdomäne und die Wissensobjekte der Atemarbeit diskursiv erzeugt werden, wesentlich auf einer auf der Website des Vereins zur Schau gestellten Wissens- und Informationsarbeit beruhen (vgl. auch Karseth/Nerland 2007; Nerland/Karseth 2015). Diese Form der Wissensarbeit ist nicht nur hinsichtlich des Esoterik-Verständnisses Peters (siehe Abschnitt 4.2.1), sondern – mit Ludwik Fleck (1980 [1935]: 138 f.; 146 ff.; siehe auch Berger/Luckmann 2007 [1966]: 119 f.) – auch im soziologischen Sinne als nicht-esoterisch zu begreifen: Die „Eingeweihten“ (Fleck 1980 [1935]: 139) wenden sich nicht nur an Interessierte, sondern sie geben ihnen auch die Möglichkeit, kognitiv an der Wissensdomäne der Atemarbeit zu partizipieren, zum Beispiel deren argumentative Begründung und Plausibilisierung nachzuvollziehen. Man will offensichtlich nicht nur Behauptungen aufstellen, sondern diese auch einigermaßen nachvollziehbar machen (was wiederum auf die oben bereits angesprochene Zurschaustellung von „Theorie“-Kompetenz verweist). Zugleich wird derart die atemarbeitsspezifische Wissensarbeit auch potenzieller (inhaltlicher) Kritik ausgesetzt.Footnote 23 Eine solche performative Wissensarbeit ist – neben den oben behandelten professionspolitischen Legitimationsstrategien – als diskursive Strategie der Vertrauensbildung zu begreifen (vgl. Hero 2014). Wissen wird nicht nur für ‚interne‘ Zwecke – etwa um atemtherapeutische Techniken zu optimieren – mobilisiert, sondern auch nach ‚außen‘ präsentiert und plausibilisiert (vgl. auch Karseth/Nerland 2007: 349 ff.)

Im Außenauftritt des Vereins atman wird diskursiv eine Wissensdomäne aufgespannt und kartiert, die zwar als relativ eigenständig dargestellt wird, zugleich aber auch Beziehungen zu anderen Wissenskulturen aufweist. Einerseits beruhen diese – im Falle „traditionelle[r] östliche[r] Techniken“, der Medizin und Gesprächspsychotherapien – auf diskursiv erzeugten Ähnlichkeiten und Unterschieden im Hinblick auf das methodische Vorgehen und die zu bearbeitenden Problemhorizonte. Andererseits offenbart sich – prägnant im Falle (natur-)wissenschaftlicher Deutungsangebote – ein instrumenteller Zugriff der Wissenskultur der Atemarbeit auf andere Wissenskulturen: Wissenschaftliches Wissen wird für die eigenen Zwecke genutzt. Die Hervorbringung einer atemtherapiespezifischen Wissenskultur beruht also ganz wesentlich auf einer diskursiven Relationierungs- und Positionierungsarbeit (die wiederum boundary work impliziert). Durch diese wird der eigenen Wissensdomäne erst eine wahrnehmbare Kontur verliehen.

Durch welche Spezifika zeichnet sich die atemtherapeutische Wissensdomäne nun aus? Drei eng miteinander zusammenhängende Aspekte sind hierbei von Relevanz. Diese betreffen allesamt die Relevanz des Körpers in der Atemarbeit. Der Atem fungiert (1) als therapeutisches Instrument. Er wird (2) als Werkzeug der Selbst-Heilung begriffen. Schließlich wird im Hinblick auf die konkrete Operationsweise der Atemarbeit (3) eine ‚Tieferlegung‘ propagiert, die es erlaube, durch sprachliche Kommunikation nicht erschließbare „Störungen“ und „Beeinträchtigungen“ zugänglich und bearbeitbar zu machen.

(1) Gemeinsam mit anderen ganzheitlichen Angeboten ist der Atemarbeit zweifelsohne das Relevantmachen spezifischer Techniken des Körpers: Das Atmen der Atemarbeit fungiert, so die angebotsseitige diskursive Logik, als zentraler Problemlösungsmechanismus, als therapeutisches Instrument für einen breiten und heterogenen Problemhorizont, in den sowohl „Gesundheit“ als auch „körperliches und psychisches Wohlbefinden“ fallen (vgl. auch Eitler 2011a, 2019; siehe weiterführend 4.4.2). Dem liegt eine Vorstellung von Ganzheitlichkeit zugrunde, die es überhaupt erst ermöglicht, Körpertechniken primär zu setzen. So bestünde das „übergreifende Ziel“ des „Integrativen Atmens“ darin,

Körper, Seele und Geist in Einklang zu bringen. Der Atem wird als Schnittstelle dieser verschiedenen Erfahrungsebenen des Menschen genutzt, da er eine relativ leicht beeinflussbare autonome Körperfunktion darstellt, deren Aktivität eng mit psychischen Befindlichkeiten zusammenhängt und von alters her auch eine starke geistige und meditative Komponente beinhaltet. Die Befreiung des Atems von Blockierungen wird als wichtiger Schritt zur psychischen Heilung und zum Ganzwerden der Person verstanden. [W-1]

Gestützt wird eine solche Argumentation, wie am Beispiel der Polyvagal-Theorie deutlich wurde, durch Bezugnahmen auf ‚passende‘ (natur-)wissenschaftliche Positionen und Deutungsangebote, die es erlauben, die Bedeutung der Produktion spezifischer Formen von Körperlichkeit für die Herstellung eines „entspannten Lebensstils“ oder etwa die Vermeidung von Stress zu plausibilisieren. Die oben angesprochene Selbstrepräsentation des Vereins als einem mit der Zeit gehenden Traditionsbewussten wird hier also mit konkreten Inhalten gefüllt.

(2) Offensichtlich geworden ist auch, dass die Atemarbeit sich mit einer solchen Ausrichtung auf Körperlichkeit in partielle Opposition zu ‚konventionellen‘ biomedizinischen Ansätzen begibt oder aber zumindest danach trachtet, diese zu erweitern und/oder zu komplementieren. Zwar wird die Bedeutung der Medizin keineswegs generell bestritten, gleichwohl wird eine alternative bzw. – je nachdem – komplementäre Perspektive auf „Heilung“ ins Spiel gebracht. Die (ausschließlich) medikamentöse Behandlung, der ein naturwissenschaftlich geprägtes Verständnis von Körperlichkeit zugrunde liegt, erscheint aus der Perspektive verschiedener ganzheitlicher Angebote wie ein zu vermeidender Reduktionismus (vgl. auch Koch/Binder 2013: 13; Höllinger/Tripold 2012: 265 f.; Scott 2003): Es bedürfe einer Kultivierung von Körperlichkeit, in Form einer (angeleiteten) körperlichen „Selbstregulation“, wie sie etwa durch „Methoden der Atem- und Körperentspannung, der Musik und der nonverbalen Kommunikation“ zu erreichen sei.Footnote 24 Der Körper erscheint hier nicht bloß als Gegenstand der Behandlung, sondern als Werkzeug der Selbst-Heilung: „Die ‚Gesundheit‘ wird umgedeutet zu etwas, was in der persönlichen Verantwortung der Patienten [bzw. „Klient*innen“; A.A.] liegt, dem Gesundheitsbewusstsein und dem präventiven Lebensstil jedes Einzelnen untersteht“ (Hero 2016: 615; Koch 2005: 42 sowie insbesondere Eitler 2011a).

(3) Ebenso erscheint die cartesianische Trennung von Körper und Geist bzw. Physis und Psyche aus der Perspektive ganzheitlicher Angebote als weitgehend obsolet. So gälte es etwa, die methodischen Engführungen psychotherapeutischer Ansätze, die auf einem Modell sprachbasierter Kommunikation aufbauen, zu ergänzen oder zu überwinden: Insofern bereits die zu bearbeitenden Problembezüge die Sphäre der Sprache überschritten und in diesem Sinne „tiefer“ reichten und sich überdies (auch) in konkreten körperlichen Symptomen (wie spezifischen Atemformen oder Atemstörungen) niederschlugen, bedürfe auch die Bearbeitung derartiger Probleme einer ‚methodischen Tieferlegung‘, die es erlaube, die Oberflächlichkeit sprachlicher Kommunikation zu überwinden. Dabei wird zwar ein starker Kontrast zu gesprächstherapeutischen Methoden erzeugt, zugleich wird jedoch auch offensichtlich, dass die Problembezüge ähnliche sind. Die Atemarbeit wird hier als potenzielle Alternative zu, fast schon: notwendige Methode vor, mindestens aber als notwendige Ergänzung zu Gesprächstherapien positioniert.

Auf der Ebene der diskursiven Konstruktion atemarbeitsspezifischer Wissensobjekte wird deutlich, wie der Atem mittels der Strategien der Veralltäglichung, der Problematisierung, der Technisierung und der Lokalisierung als Wissensobjekt konstituiert wird. Das Atmen wird zunächst aus dem naturwissenschaftlichen Terrain partiell herausgelöst, um es in der Folge im Rahmen der Wissenskultur der Atemarbeit zu rekontextualisieren und zu spezifizieren. Ich habe vorgeschlagen, diesen Prozess mit Knorr Cetina als diskursive Praxis der Rekonfiguration zu beschreiben: Das Atmen erscheint dann eben nicht mehr nur als ein biochemischer oder (neuro-)physiologischer Prozess. Die Atmung ist nicht nur natürliche bzw. biologische Ausstattung des Menschen, sondern sie kann vom Menschen reguliert und wahrgenommen (Veralltäglichung) und – wird sie entsprechend kultiviert – für die Lösung bestimmter Probleme genutzt werden (Problematisierung und Technisierung). So wird eine genuine Wissensdomäne mit eigenen Wissensobjekten konstruiert, die wiederum auch institutionell und symbolisch verortet werden kann (Lokalisierung).

Die, so Bruno Latour (2008 [1991]), unser modernes Denken kennzeichnende Dichotomie zwischen Natur und Kultur wird hier diskursiv überschritten. Gleichwohl werden die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Perspektiven – naturwissenschaftlichen auf der einen Seite und solchen, die auf traditionelles Wissen zurückgreifen und auf „praktischen Einsichten“ (W-1) der Atemlehrer*innen beruhen, auf der anderen Seite – nicht eingeebnet. Die Dichotomie wird zu einer Dualität: Insofern naturwissenschaftliche Erklärungen genutzt werden, bleibt das Verständnis des Atmens als biochemischer bzw. neurophysiologischer Prozess der Lebenserhaltung bestehen. Zugleich wird das Atmen aber auch domestiziert: Über Prozesse der Lebenserhaltung hinausgehend wird es in den Dienst menschlicher Lebensbewältigung und Bedürfnisbefriedigung gestellt, von „spezialisierten Akteuren“ (Bourdieu 2011a [1971]: 7) als Dienstleistung angeboten und auf eine spezifische Art und Weise kultiviert. Das Atmen der Atemarbeit erscheint in diesem Sinne als „kulturierte[] Natur“ (Beck 2008: 169). Es wird, so die diskursive Logik, samt seiner biophysischen ‚Wurzeln‘ in einen neuen Kontext verpflanzt. In diesem Kontext erfährt das Atmen eine spezifische Behandlung, die auf der Website des Vereins atman durch einschlägige Wissensobjekte (Vollatmung, Breath Release etc.) symbolisiert und in Atemsitzungen praktisch realisiert wird.

4 Informieren, Präsentieren, Problematisieren: Strategien der Klient*innen-Mobilisierung

4.1 Internetpräsenzen als kommunikative Vehikel der Klient*innen-Mobilisierung

Bei der Atemarbeit geht es, wie deutlich geworden sein dürfte, nicht – wie zum Beispiel in naturwissenschaftlichen Wissenskulturen – um eine vorrangig selbstreferenzielle Erzeugung von Wissen im Sinne der Produktion von Wahrheiten (vgl. Knorr Cetina 2002: 11, 74). Die Produktion von Wissen als auch dessen Vermittlung und Kommunikation sind stets auf einen praktischen Zweck hin orientiert, der außerhalb der Wissensproduktion und -vermittlung selbst liegt. Das heißt: Der Atem wird nicht nur, wie noch zu zeigen sein wird, in einer Dienstleistungsinteraktion zwischen Therapeut*innen und Klient*innen als erfahrbarer Atem erst praktisch hervorgebracht. Er fungiert auch als Heilsgut, das stets auf zu bearbeitende Probleme der Klient*innen verweist (vgl. Bourdieu 2011b [1971]: 62). Damit rückt auf der Ebene der Diskursarbeit nicht nur die Relation zu anderen sozialen Welten bzw. Wissenskulturen in den Blick, sondern insbesondere die Frage danach, wie Atemtherapie-Anbieter*innen über ihre Angebote informieren und aktiv Klient*innen zu mobilisieren versuchen.

Zunächst ist hierbei, wie bereits angedeutet, auf die Rolle von Verbänden und Berufsvereinigungen – im vorliegenden Fall der Verein atman und die Berufsvereinigung österreichischer Atemlehrer – hinzuweisen. Diese dienen nicht nur als institutionelles Dach, das die Akkumulation kulturellen und symbolischen Kapitals – zum Beispiel in Form zertifizierter Aus- und Weiterbildungen – ermöglicht. Mittels entsprechender Informationsinfrastrukturen (etwa im Internet oder durch einschlägige Broschüren) fungieren derartige Institutionen auch als Inszenierungsplattformen für individuelle Anbieter*innen ganzheitlicher Praktiken (vgl. auch Hero 2014: 80).

So werden auf der Homepage der Berufsvereinigung (W-2) nicht nur Weiterempfehlungen bei Anfragen von Interessierten, kostenlose Inserate bzw. Ankündigungen (z. B. von Seminaren) in der vereinseigenen atman-Zeitung, dem E-Mail-Newsletter und auf der Website, sondern ebenso eine „eigene Seite auf der ATMAN-Website […] (mit Photo, Personbeschreibung und Atemmotto)“ als „Vorteile der Mitgliedschaft“ ausgewiesen. Auf der „Home“-Seite der Website des Vereins atman finden sich unter dem Link „Veranstaltungen“ dementsprechend nicht nur Termine des atman-Ausbildungsprojekts oder Vereinsveranstaltungen, sondern ebenso individuelle Angebote von Mitgliedern des Vereins unter den Rubriken „Fortlaufende Gruppen“, „Tagesseminare“, „Wochenendseminare“ und „Wochenseminare“. Die erwähnten „eigene[n] Seiten“ auf der Vereinshomepage bieten den Mitgliedern überdies die Möglichkeit, sich selbst zu präsentieren und auch auf ihre persönlichen Homepages zu verlinken. Welche Rolle spielen derartige individuelle Anbieter*innen-Websites als kommunikatives Bindeglied zwischen Anbieter*innen und potenziellen Klient*innen?

Höllinger und Tripold (2012: 111) weisen in ihrer Studie, die auf einer quantitativen Gesamterhebung holistischer Anbieter*innen (N = 348) in den österreichischen Bezirken Klagenfurt-Stadt und Leoben sowie auf qualitativen Interviews beruht, darauf hin, dass ein „erheblicher Teil der Praktiker“ über eine Homepage verfügt und „die meisten […] Werbematerialien (Flyer)“ haben, „die sie in der eigenen Praxis, in der Praxis von befreundeten Kollegen oder in einschlägigen Institutionen und Geschäften auflegen. Die wichtigste Werbung ist jedoch nach einhelliger Meinung die Mundpropaganda ihrer Klienten“ (vgl. auch Tulaszewski 2018: 206 f.). Trotz der wichtigen Bedeutung von Empfehlungen kann man allerdings davon ausgehen, dass sich die Internetpräsenzen der Anbieter*innen als wichtiges (zusätzliches) kommunikatives Vehikel der Klient*innen-Informierung und -Mobilisierung und damit als „wesentliches Marketingtool“ (ebd.: 206) erweisen. So konnte Martin Tulaszewski (ebd.) in einer interviewbasierten Studie zu alternativmedizinischen Angeboten in Mecklenburg-Vorpommern ein aus vier Schritten bestehendes „Muster“ identifizieren:

„Der potenzielle Klient bekommt eine eindeutige Empfehlung (1), welche zu einer unabhängigen Recherche führt, in dem [sic] der potenzielle Klient die Homepage [des/der Anbieter*in; A.A.] ansieht (2). Wird das Interesse gesteigert, nimmt der potenzielle Klient Kontakt zum Anbieter auf und es findet ein Kennenlernen statt (3). Überzeugt ihn auch das, wird die in Aussicht gestellte Dienstleistung in Anspruch genommen (4).“

Folgt man der Argumentation Tulaszewskis, dann fungieren die persönlichen Websites der Anbieter*innen als (informations-)infrastrukturelle Überbrückung zwischen Empfehlungsinteraktion und dem Erstkontakt mit den Anbieter*innen. Sie stellen eine raumzeitliche Verknüpfung zwischen Interaktionssituationen her.

Allerdings setzen sozialwissenschaftliche Studien, die sich explizit mit der Logik und den strukturellen Charakteristika ganzheitlicher Angebote – etwa im alternativreligiösen oder alternativmedizinischen Bereich – auseinandersetzen, selten auf eine Rekonstruktion von Dokumenten, wie zum Beispiel Flyer oder eben auch Internetseiten. Der bevorzugte methodische Weg sind Interviewstudien. Informationsinfrastrukturen finden kaum oder nur am Rande Berücksichtigung – zum Beispiel im Sinne einer Vorrecherche, um Anbieter*innen ausfindig zu machen, die in der Folge interviewt werden (so etwa bei Höllinger/Tripold 2012). Das ist insofern bemerkenswert, als sich, um bei dem genannten Beispiel zu bleiben, im Falle der Vorrecherche gerade individuelle Internetpräsenzen als zentrale Instanz der „angebotsseitige[n] Vermittlung“ (Hero 2016: 608) erweisen und diese somit auch potenziellen Klient*innen die Möglichkeit bieten, ‚passende‘ Angebote zu identifizieren. Soll heißen: Bevor man nicht auf bestimmte Anbieter*innen hingewiesen wird, im Zuge einer Internetrecherche auf diese stößt oder sich nach einer ausgesprochenen Empfehlung via Homepage über diese informiert, kommt man – auch als soziologisch Interessierte*r – erst gar nicht ins Gespräch mit diesen. Insofern also Anbieter*innen-Websites im Feld ganzheitlicher Praktiken offensichtlich eine zentrale, auf die Klient*innen ausgerichtete praktische Funktion zukommt, stellen sie auch für die soziologische Analyse eine gewinnbringende Datenressource dar, um etwas über die strukturellen Charakteristika und diskursiven Logiken der sozialen Welt der Atemarbeit zu lernen.

Ich fokussiere in der Folge auf persönliche Homepages von Mitgliedern des Vereins atman bzw. der Berufsvereinigung österreichischer Atemlehrer. Zum Zeitpunkt der Speicherung der Daten (Oktober 2018) waren auf der Homepage der Berufsvereinigung (W-2) 49 Personen als Mitglieder gelistet. 20 Personen hatten auf ihre persönliche Homepage verlinkt, eine war in Bearbeitung, ein Link war fehlerhaft. Als Datengrundlage dienen also 18 Anbieter*innen-Websites.

4.2 Komponenten diskursiver Selbstrepräsentation ganzheitlicher Anbieter*innen

Auf den Websites der Atemtherapie-Anbieter*innen lassen sich einige zentrale Komponenten diskursiver Selbstrepräsentation identifizieren (vgl. auch Hero 2014; Koch 2005; Lüddeckens 2018). Ich benenne und erläutere die auch quantitativ dominierenden diskursiven Bausteine der Webpräsenzen und präsentiere einschlägige empirische Beispiele. Es geht mir dabei vor allem darum, ein Bild davon zu vermitteln, wie Websites ganzheitlicher Anbieter*innen aufgebaut sind und wie diese in diskursiver Hinsicht funktionieren. Zugleich ermöglichen es die Beispiele, einen Eindruck davon zu gewinnen, wie die Praktik der Atemarbeit als solche präsentiert und relevant gemacht wird und wie sich die Anbieter*innen selbst darstellen. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, zu erwähnen, dass die unterschiedlichen diskursiven Strategien oftmals auf vielfältige Weise ineinandergreifen und die folgende Differenzierung somit als eine idealtypische zu begreifen ist. Ich unterscheide zwischen (a) allgemeinen Informationen und Erklärungen zur Atemarbeit, (b) der Darstellung und Beschreibung institutionalisierter Formate der Partizipation, (c) biographischen Darstellungen der Anbieter*innen sowie (d) Problematisierungen, die bereits weiter oben Erwähnung gefunden haben und die sich als wichtiges kommunikatives Mittel der Klient*innenmobilisierung erweisen.

Generell ist vorab festzuhalten, dass auf allen hier berücksichtigten Websites neben der Atemtherapie auch weitere Angebote, zum Beispiel unterschiedliche Formen der „Körperarbeit“ (z. B. W-10, W-12, W-18), offeriert oder aber unterschiedliche „Techniken“ (W-8) miteinander verschränkt werden (z. B. Atemtechniken mit therapeutischer Gesprächsführung) – ein Sachverhalt, den auch Höllinger und Tripold (2012: 108) im Hinblick auf ganzheitliche Angebote betonen. Tulaszewski (2018: 207), der ebenfalls zu diesem Befund kommt, erachtet dies als eine Möglichkeit, „ein eigenes Anbieterprofil“ zu entwickeln und „niederschwellige Angebote […] mit anderen, spezifischeren Angeboten“ zu verknüpfen. Im Falle der hier untersuchten Websites werden – um die Bandbreite lediglich anzudeuten – neben Atemarbeit zum Beispiel Shiatsu, Yoga, Meditation, Schröpfen, Mental-Training, Antistresstraining, schamanische Sitzungen, Coaching und systemische Aufstellungen bis hin zu psychotherapeutischen Dienstleistungen, wie zum Beispiel Integrative Gestalttherapie, Gesprächs- oder Paartherapie, angeboten. Ich stelle in der Folge vor allem auf jene Textelemente ab, die sich auf die Atemarbeit beziehen.

(a) Allgemeine Informationen und Erklärungen

Ähnlich wie auf der Homepage des Vereins atman finden sich auf den individuellen Anbieter*innen-Websites allgemeine Informationen und Erklärungen zur Atemarbeit (und zusätzlichen Angeboten), die im Umfang allerdings stark variieren. So heißt es etwa auf der Seite einer Anbieterin (W-7), deren „Arbeitsschwerpunkt“ im Shiatsu liegt, die aber „ergänzend“ auch „noch andere Richtungen“ nutzt:

In der Integrativen Atemtherapie wird mit Techniken aus dem Rebirthing und dem Holotropen Atmen gearbeitet. Dabei wird verbunden, das heißt kreisförmig, über einen bestimmten Zeitraum geatmet. Meine Kenntnisse aus der Körperarbeit und ein anschließendes Gespräch dienen zur Reflexion und Integration. [W-7]

Eine andere Anbieterin (W-10), die sich selbst als „Integrative Atemlehrerin“ und „Flötistin, diplomierte Musikpädagogin“ bezeichnet, beschreibt die Integrative Atemarbeit folgendermaßen:

Integrative Atemarbeit ist Körperarbeit, bei der der eigene Atem erfahren, erforscht und vertieft wird. Mittels einer speziellen Atemtechnik, bei der das Ein- und Ausatmen ohne Pause direkt miteinander verbunden wird, bauen wir Energie im Körper auf. Mit ihrer Hilfe können körperliche wie psychische Blockaden erreicht werden. Diese werden dann Schritt für Schritt mit Unterstützung durch die Begleiterin aufgelöst. [W-10]

Offensichtlich wird hier, dass die Anbieter*innen zunächst ganz grundsätzlich über die Atemarbeit informieren – zum Beispiel in welcher Art und Weise im Rahmen der Atemarbeit geatmet wird, etwa „kreisförmig“. Ebenso wird von den Anbieter*innen thematisiert, für was die Atemarbeit ‚gut ist‘, das heißt welche Probleme mit ihr bearbeitet werden können (z. B. „Selbstentfaltung“, „Selbsterkenntnis“, „Selbstheilung“ oder die „Lösung körperliche[r]“ und „psychische[r] Blockaden“). Ferner werden rudimentäre „theoretische“ Annahmen kommuniziert, die beispielsweise die postulierten Wirkmechanismen atemtherapeutischer Praxis betreffen. So heißt es etwa auf der Website einer „Rebirthing-Atemtherapeutin“ (W-8), die auch eine „Ausbildung in Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers“ angibt: „durch die Entfaltung des natürlichen Atemflusses und das bewusste, konstruktive Erleben von Gefühlen, Gedanken und körperlichen Empfindungen kommt es nach und nach zu einer Integration von Körper, Geist und Seele“. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen auch spezifische Atemtechniken – wie zum Beispiel „Integratives Atmen“ oder „Rebirthing“ – erläutert werden, die von den Anbieter*innen angewendet bzw. angeboten werden. Derartige „brand name[s]“, das heißt die explizite Benennung des jeweiligen Angebots, so Hero (vgl. 2014: 78 ff.), sind vor allem deswegen wichtig, weil erst die Identifizier- und Unterscheidbarkeit ganzheitlicher Dienstleistungen es ermöglicht, dass diese zum Gegenstand der Kommunikation unter potenziellen Klient*innen werden können.

(b) Formate der Partizipation

Auf allen Websites finden sich Angaben über die Formate der Partizipation. Das heißt, es erfolgt eine Beschreibung, in welcher institutionalisierten Form der Dienstleistungsinteraktion man an der sozialen Welt der Atemarbeit teilnehmen kann. Hierbei ist etwa von „Sitzungen“, „Seminaren“, „Einheiten“, „Angeboten“ oder beispielsweise auch von „Kursen“ oder „Workshops“ die Rede. Neben der in quantitativer Hinsicht dominanten Unterscheidung zwischen „Einzelsitzungen“ und „Gruppenarbeit“ bzw. „Atemgruppen“ gibt es auch Angebote, die vom Adressat*innenkreis her bestimmt werden, wie zum Beispiel „Atemarbeit für unruhige Säuglinge und Schreibabys“, für „Kinder“, „Jugendliche“ oder „schwangere Frauen und werdende Väter“ (W-12) bis hin zu speziellen Angeboten oder Workshops, die sich über einen Tag, ein Wochenende oder mehrere Tage erstrecken. So offeriert ein Anbieter etwa „Atmen und Wandern in den Südtiroler Bergen“. Zwei „Ganzheitliche Naturheiltherapeuten“ bieten auf ihrer Website (W-15) einen „Atemworkshop – Transformatives Atmen®“ an. Nach einem derartigen „Tagesworkshop“ sei man „in der Lage, diese Atmung [Transformatives Atmen; A.A.] selbst zu praktizieren und Übungen zu Hause durchzuführen“.

Die Dauer der Einzelsitzungen wird dabei zumeist mit ein bis zwei Stunden benannt. Mitunter werden auch Empfehlungen dazu ausgesprochen, welche Gesamtdauer und Intervalle sinnvoll sind. Dazu zwei Beispiele:

Die Länge der Therapie, sowie die Intervalle der Sitzungen hängen vom individuellen Anliegen des Klienten ab, wobei sich im Laufe meiner Praxiszeit eine Mindestanzahl von 10 Sitzungen im Abstand von 2 Wochen als Einstieg in diese Methode der Körperarbeit sehr bewährt hat. [W-9]

Wenn Du Begleitung und Unterstützung für einen längeren Prozess mit dem Integrativen Atmen suchst, sind mehrere Sitzungen im Abstand von 14 Tagen empfehlenswert. [W-11]

Die angegebene Dauer der Gruppensitzungen variiert stärker. Sie dauern von eineinhalb bis zu mehreren Stunden und finden zumeist in regelmäßigen Abständen über einen bestimmten Zeitraum statt (z. B. jede Woche, alle zwei Wochen oder alle vier Wochen über einen Gesamtzeitraum von mehreren Wochen oder Monaten).

Schließlich finden sich auf den meisten Homepages auch Praxis-Darstellungen, in denen der Ablauf der Sitzungen und bisweilen die Vorgehensweise der Therapeut*innen bzw. Atemlehrer*innen beschrieben werden. Zwar variieren diese Darstellungen in quantitativer Hinsicht beträchtlich, doch in den allermeisten Fällen ähnelt sich die Einteilung von Einzelsitzungen, auf die ich im ethnographischen Teil der Arbeit vor allem abstelle, in zumindest drei unterschiedliche zeitliche Phasen (was wohl daran liegt, dass viele der Anbieter*innen am atman-Ausbildungstraining teilgenommen haben und der Ablauf des Integrativen Atmens weitgehend kodifiziert ist: 1.) „Vorgespräch“ bzw. „therapeutisches Gespräch“, 2.) die Phase des ‚eigentlichen‘ Atmens und 3.) (verbale) „Integration“ bzw. „Nachgespräch“). Ein Anbieter beschreibt den Ablauf einer Sitzung etwa folgendermaßen:

Wie läuft eine Atemsitzung ab?

Ein kurzes Gespräch zu Beginn klärt die gegenwärtige Situation, daraus kann sich ein Thema für die Sitzung herauskristallisieren. Mit Atem-, Erdungs- und Ausdrucksübungen aktivieren wir den Energiefluss im Körper. Dann wird bewusst tiefer eingeatmet als im Alltag gewohnt, um Energie aufzubauen. Die Ausatmung ist völlig entspannt, es geht ums Loslassen. […] Es folgt eine tiefe Entspannung, in der wir ganz in den Körper, ins Spüren, in die Präsenz kommen. Der verbale Austausch im Anschluss dient zur Integration des Erlebten. [W-11]

Die Explikation der Partizipationsformate und die Darstellungen des Ablaufs von Atemsitzungen ermöglichen es potenziellen Klient*innen, sich ein Bild von den Angeboten zu machen und gegebenenfalls auch ‚passende‘ Formen der Teilnahme an der sozialen Welt der Atemarbeit auszuwählen. Anders als die „theoretischen“ Erörterungen weist diese Art der Kommunikation bereits einen engen Praxisbezug auf und führt damit gleichsam – wenn auch noch auf symbolischer Ebene – zur praktischen Herstellung des Atmens im Rahmen der Atemarbeit hin. Die Entscheidung für ein konkretes Angebot kann allenfalls auch erst – was auf den Websites mitunter explizit empfohlen wird – in einem „Erstgespräch“ mit den Therapeut*innen bzw. Atemlehrer*innen getroffen werden.Footnote 25

(c) Biographische Darstellungen

Neben solchen diskursiven Bausteinen, die sich erklärend und beschreibend auf die Praxis der Atemarbeit beziehen, finden sich auf allen Websites auch biographische Darstellungen der Anbieter*innen, die auf eine Repräsentation der Person und deren Kompetenzen zielen. Diese sind insofern auch als separate Komponenten der Homepages erkennbar, als sie (mit Ausnahme einer Website) eigene Rubriken bzw. Unterseiten darstellen – zum Beispiel mit „Über mich“, „Zur Person“, „Mein Atem-Weg“ betitelt. Die Gestaltung der Rubriken geschieht dabei in narrativer Form oder in Form von Listen bzw. tabellarischer Darstellungen. Unterscheiden kann man hierbei zwischen (1) der Angabe von Tätigkeiten, (2) Kompetenznachweisen und der Darstellung institutioneller Zugehörigkeiten und (3) persönlichen Geschichten.

(1) Bei der Darstellung der Tätigkeiten handelt es sich um (Selbst-)Etikettierungen des eigenen Tuns, wie sie sich etwa auch in Lebensläufen finden. Sie betreffen entweder unmittelbar berufliche Aktivitäten, die den offerierten Angeboten korrespondieren – zum Beispiel die Selbstbezeichnung als „Integrative Atemlehrerin und Schamanin“ (W-16) oder als „Atem- und Körpertherapeutin“ (W-9). Ebenso werden Aktivitäten der Wissensvermittlung genannt, zum Beispiel in Form von Lehrtätigkeiten in Ausbildungsprogrammen oder dem Halten von Vorträgen. So verweist eine Anbieterin etwa auf ihre Vorträge zum Thema „Heilkraft des Atems“ (W-5). Als Teil der Tätigkeiten werden auch Aktivitäten kommuniziert, die das institutionelle Engagement der Anbieter*innen – etwa im Verein atman – kenntlich machen, zum Beispiel die „Leitung der Regionalstelle Linz“ und die Position als „Vorstandsmitglied“ (W-21) beim Verein.

(2) Als zentral erweisen sich aber vor allem Kompetenznachweise mittels der Präsentation von Aus-, Fort- und Weiterbildungen. Sie repräsentieren nicht nur erworbenes kulturelles Kapital in Gestalt zertifizierter Qualifikationen. Mit tabellarischen Aufzählungen wird – sowohl durch Heterogenität als auch Kontinuität der Aus- und Weiterbildungen – ein fortwährendes Streben nach Kompetenz(erweiterung) kommuniziert. Durch die Repräsentation des eigenen Wissens und Könnens wird die Qualität des Angebots herausgestellt und die Anbieter*innen werden überdies – sofern die Darstellungen entsprechende Bewertungen auf Seiten der Interessierten nach sich ziehen – mit symbolischem Kapital ausgestattet (vgl. ähnlich auch Hero 2014: 84; Höllinger/Tripold 2012: 234 f.; Koch 2005: 36). Dabei wird nicht nur der Erwerb entsprechender kodifizierter Techniken (die mitunter auch mit einem Copyright versehen sind) genannt, sondern ebenso die Ausbildungsinstitutionen sowie die Ausbildner*innen bzw. Lehrer*innen, die in der Szene ‚einen Namen haben‘ oder gar Begründer*innen entsprechender Techniken sind. Die „Berufung auf substanzielle Autoritäten“ erlaubt es, „eine Aura der Authentizität und Seriosität“ (Tulaszewski 2018: 209) zu generieren und das eigene Angebot in spezifische Traditionslinien zu stellen (vgl. Koch 2005: 41 f.; Lüddeckens 2018: 157 ff.; Tulaszewski 2018: 208 f.). Ebenso wird die Zugehörigkeit zu spezifischen Institutionen durch die Angabe von Mitgliedschaften unterstrichen.

Aus- und Weiterbildungen (Auszug)

  • Studium der Agrarwissenschaften (Universität für Bodenkultur Wien)

  • Ausbildung in Integrativer Atemarbeit und Atemtherapie (Dr. Wilfried Ehrmann, Verein ATMAN)

  • zertifizierter Trainer für Kohärentes Atmen

  • Intuitives Atmen (Karl Scherer)

  • schamanische Naturarbeit (Lisa Biritz)

  • initiatorische Männerarbeit (Gregory Campbell und Peter Thomaseth)

  • Tiefenökologie (Andreas Schelakovsky)

  • Tantra (Roswitha Sirninger und Zafer Feichtner, Regina Heckert, Alan Lowen)

  • therapeutisches Tanzen (freies Tanzen, 5 Rhythmen, Contact, Authentic Movement) [W-11]

Ausbildungen

Integrative Traumafortbildung bei Johannes B. Schmidt, Deutschland

Gesundheitsyogalehrerin bei Yoga-Akademie Austria

Kinderhospizarbeit i. A. bei Caritas Mobiles Hospiz

Leitung von „Geburtsseminaren“: Auflösung von pränatalen- und Geburtstraumen bei Verein Atman

Dipl. Entspannungs- und Yogatrainerin bei Body & Health Academy

Integrative Atemlehrerin bei Verein Atman – Österreichischer Verein für Integratives Atmen

Weiterbildung in Psychosomatik und Körperarbeit bei Svarup Hoffmann

Weiterbildung in Therapeutischem/Medizinischen Yoga bei Christiane Wolff

Weiterbildung in Yoga und Spiraldynamik bei Mag. Eva Hager-Forstenlechner

Nordic Walking Instruktorin bei Body & Health Academy

Arbeit mit den Essenzen und Symbolen von Ingrid Auer bei Ingrid Auer

Tanzlehrgang Dance & Spirit bei UTA Ute Köck

Erfahrungen in: Feldenkrais, Contact Improvisation, Gewaltfreier Kommunikation, Freies Tanzen, TRE (Trauma Releasing Exercises) [W-21]

Insofern diese Darstellungen allesamt personenbezogen sind und die Aus- und Fortbildungsbiographien der Anbieter*innen betreffen, zielen sie zweifellos darauf, das jeweilige individuelle Können zu kommunizieren. Zugleich verfährt die Logik der Darstellung aber im Kern de-individualisierend und historisierend: Man mobilisiert und konstituiert symbolisch ein Kollektiv und stellt sich so zugleich in einen transgenerationalen und – insofern Ausbildungsinstitutionen, Berufsvereinigungen etc. benannt werden – (formal) organisierten Erfahrungszusammenhang. Man verfügt dementsprechend zwar über ein jeweils individuelles Qualifikations- und Kompetenzprofil, zugleich wird jedoch der (mögliche) Anschein einer unkontrollierten Idiosynkrasie unterlaufen: Man bietet nicht ‚irgendetwas‘ an, sondern greift auf (eine Vielzahl) bewährte(r) Techniken zurück.

(3) Hinzu kommen in einigen Fällen persönliche Geschichten, in denen beispielsweise dargelegt wird, wie die Anbieter*innen selbst auf ganzheitliche Praktiken gestoßen sind und insbesondere wie sich dadurch ihre Perspektiven ‚auf die Welt‘ und ihre Lebensführung verändert haben (vgl. auch Ehrensperger 2020: 76). Dabei wird oftmals auch der Wunsch bzw. die Absicht artikuliert, die gemachten Erfahrungen – gleichsam missionarisch (siehe auch explizit unten) – an andere Menschen weiterzugeben:

In den vielen Jahren meiner Selbstentwicklung habe ich unzählige Ausbildungen genossen und weltweit außergewöhnliche Heiler und Therapeuten kennengelernt, die mir ihr Wissen um eine ganzheitliche Lebensweise näher gebracht haben. Seit 2002 arbeite ich in eigener Praxis als Kinesiologin, Heilerin (Brennan Healing Science®) und Atemtherapeutin. Die tiefe Erfahrung des Atmens hat mein Leben mit Frieden und Leichtigkeit erfüllt, wie ich es mir nie zu träumen wagte. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, dieses Wissen um die Heilkraft des Atmens in Kursen, Workshops und Einzelsitzungen weiterzugeben. [W-15]

Mission

Mein Wunsch ist es, Menschen auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten und mit Sinn erfüllten Leben zu begleiten. Mit dem Integrativen Atmen hab ich das passende Werkzeug dafür gefunden. Das bewusste Atmen hat mich gelehrt, Vertrauen und einen achtsamen Umgang zu mir selbst, zu anderen Menschen und zur Mit-Welt zu finden. Ich fühle mich dadurch lebendiger, klarer und offener. [W-11]

Die (propagierte) Wirksamkeit und der zu erwartende Erfolg der offerierten Angebote sowie die Kompetenz der Anbieter*innen werden derart nicht nur mittels zertifiziertem kulturellen Kapital und durch die ‚Anrufung‘ eines Kollektivs unterstrichen, sondern auch anhand eigener biographischer Erfahrungen, konkreter: mittels der Kommunikation von „am eigenen Leib erfahrenen Heilungsprozessen“ (Tulaszewski 2018: 197), beglaubigt. In kommunikativer Hinsicht schlüpfen die Anbieter*innen hier diskursiv in die Rolle erfolgreich ‚therapierter‘ Klient*innen. Die Kommunikationssituation, die so geschaffen wird, ähnelt in struktureller Hinsicht also einer Empfehlungsinteraktion. Man spricht sozusagen von Klient*in zu Klient*in. Die „credibility“ des Angebotes, so etwa auch Hero (2014: 83) mit Blick auf alternativreligiöse Angebote, „is signaled by the fact that suppliers present themselves as a guarantee of their product on the basis of their own ‚religious biography‘“.

(d) Problematisierungen

Auf den individuellen Websites der Anbieter*innen wie auch auf der atman-Homepage finden sich eine Vielzahl an Problematisierungen. Deren Funktion für die diskursive Repräsentation atemtherapeutischer bzw. genereller: ganzheitlicher Angebote kann kaum überschätzt werden. Dies gilt nicht nur für die diskursive Logik der Hervorbringung einer für die Atemarbeit spezifischen (theoretischen) Wissensdomäne und damit für die ‚interne‘ kognitive Organisation der sozialen Welt der Atemarbeit. Wie bereits ausgeführt, erweisen sich Problematisierungen auch als zentrales kommunikatives Mittel von Versuchen der diskursiven Expertisierung (siehe Abschnitt 4.2.2). Dabei habe ich argumentiert, dass die Problematisierungen einen Problemhorizont konstituieren, der es erlaubt, die Kultivierung des Atmens plausibel als einen Problemlösungsmechanismus darzustellen. Problematisierungen kommt damit – über die oben beschriebene performative Wissensarbeit hinausgehend – ebenso eine wichtige Funktion für die unmittelbare Adressierung und (gegebenenfalls) Mobilisierung von Klient*innen zu. Aus der Perspektive der Anbieter*innen ganzheitlicher Praktiken erlauben sie es, ein basales Kommunikationsproblem zu lösen.

Äußerst plastisch kommt dies in einem Interview mit einem „Energetiker“ in der Studie Höllingers und Tripolds (2012: 231) zum Ausdruck. Der Anbieter verweist auf die Notwendig- und Schwierigkeit, potenziellen Klient*innen ein Wissen darüber zu vermitteln, für welche Klient*innenprobleme er überhaupt zuständig ist: „Bin ich ein Tischler, dann weiß jeder, aha Holzarbeit, dann ruft er mich an. Jetzt bin ich ein Energetiker, die Leute wissen oft gar nicht, wofür sie mich anrufen können“. Ganzheitliche Anbieter*innen sind also auch darauf angewiesen, gegenüber potenziellen Klient*innen zu kommunizieren, wofür ihre Dienste eigentlich ‚gut sind‘ bzw. wofür sie als Anbieter*innen stehen. Das damit verbundene praktische Problem lautet also: Wer soll sich aufgrund welcher Probleme an die Atemlehrer*innen bzw. -therapeut*innen wenden? Vor diesem Hintergrund konstatieren Höllinger und Tripold (ebd.: 232) ein „gesteigertes Bedürfnis der Praktiker, ihr Berufsprofil schärfer zu umreißen“. Dies geschieht, wie anhand der bisherigen Ausführungen deutlich wurde, zum einen mittels Selbstetikettierungen der eigenen Tätigkeiten und der expliziten Benennung der Angebote im Sinne eines branding. Andererseits werden derartige Strategien allein wohl in den seltensten Fällen ausreichend sein. Die Anbieter*innen müssen auch deutlich machen, mit welchen Problemen man sich an sie wenden kann – was gleichbedeutend mit der Frage ist, worin ihr „Zielpublikum“ (Bourdieu 2011a [1971]: 27) besteht.

Die primäre diskursive Strategie der Lösung dieses Problems sind wiederum Problematisierungen. Sie dienen dazu, kommunikativ Zuständigkeit für die Lösung bestimmter Probleme zu beanspruchen. Problematisierungen erweisen sich, so Michel Callon (2006a [1980]: 65; Hervorh. A.A.), als „eine höchst strategische Aktivität, da sie darauf abzielt, verschiedene Gruppen […] zu interessieren“.Footnote 26 Dabei ist die Darstellung von Problematisierungen auf den Websites der Anbieter*innen vergleichsweise vielfältig. Sie kommen in den allgemeinen Informationen und Erklärungen vor, werden mit den persönlichen Erfolgsgeschichten verflochten, in Form von „Indikationslisten“ (Koch 2005: 36) präsentiert oder sie erfolgen etwa mittels der Aufzählung von Wirkungen, die mit der Atemarbeit zu erzielen seien.

So heißt es auf den Websites der Anbieter*innen etwa: „Wozu?“ (W-7), „Wann ist Körper- und Atemtherapie nützlich?“ (W-9), „Wann ist integratives Atmen sinnvoll?“ (W-11). Ebenso werden mitunter explizit die „Einsatzbereiche“ (W-15) oder die „Zielgruppe“ (W-20) atemtherapeutischer Angebote benannt (siehe die beiden Beispiele unten).

Wann ist Atemarbeit sinnvoll?

  • Integrative Atemarbeit stärkt die Gesundheit, die Psyche, die Persönlichkeit. Sie ist besonders hilfreich bei

  • Linderung und Auflösung körperlicher Schmerzen (z. B. Migräne, Rückenschmerzen,…)

  • Burnout Prävention

  • Auflösung von Ängsten und einschränkenden Verhaltensmustern (z. B. Platzangst, …)

  • Auflösung körperlicher Verspannungen

  • Entspannung, Stressabbau

  • Stärkung der Konzentrationsfähigkeit

  • Zugang zu verdrängten Gefühlen (Wut, Trauer,…)

  • Kräftigung des Immunsystems, Unterstützung der Verdauung und des Herz-Kreislaufsystem

  • Stärkung des Selbstvertrauens

  • Aktivierung der Selbstheilungskräfte

  • Bewusstseinserweiterung [W-22]

Integratives Atmen bewirkt:

  • Entspannung und Stressabbau

  • Kräftigung des Immunsystems

  • Förderung der Gesundheit von Körper, Geist und Seele

  • Achtsamkeit, bewusste Präsenz und Klarheit

  • mehr Lebensfreude im Alltag [W-11]

Anhand der Websites wird deutlich, dass die Problematisierungen auf inhaltlicher Ebene sehr breit und heterogen ausfallen (wobei dies nicht bei allen Anbieter*innen gleichermaßen stark ausgeprägt ist). Dies genauer empirisch zu erfassen ist wichtig, um verstehen zu können, wie Atemarbeit-Anbieter*innen potenzielle Klient*innen anzusprechen versuchen. Es folgt dementsprechend eine analytische Kategorisierung, mittels derer die Problematisierungen entlang ihrer inhaltlichen Problembezüge unterschieden werden können. Diese betreffen Atemmuster, Gefühle, negative Verhaltensmuster und -dispositionen, Stress und psychosomatische ‚Disbalancen‘, psychische und körperliche Erkrankungen sowie den Bereich des Identitätsmanagements und der individuellen Lebensführung.Footnote 27 Darauf aufbauend lassen sich allgemeinere theoretische Schlussfolgerungen zur diskursiven Funktionsweise von Problematisierungen ziehen.

  • Atemmuster: Zunächst beziehen sich die Problematisierungen – naheliegenderweise – auf als problematisch erachtete Atemmuster oder, so eine Anbieterin, „Atemstörungen“ (W-19). Hierbei handelt es sich zumeist um Negativ-Problematisierungen. Genannt werden etwa eine „flache“ oder „oberflächliche“ Atmung (W-5, W-8), Atem-„Einschränkungen“ (W-7), ein zu geringes Atemvolumen und ein damit einhergehendes „beengtes Gefühl im Brustkorb“ (W-7), „Behinderungen oder Einschränkungen des Atemflusses“ (W-18) oder „Atemnot“ (W-8). Relevant ist in diesem Zusammenhang, dass die Atemmuster als Resultat „unsere[r] Lebensweise“ (W-19) dargestellt werden. So spiegelten sie etwa unseren „modernen Lebensstil (viel Sitzen, wenig Bewegung)“ wider, verwiesen auf „Emotionen, die wir in der Vergangenheit nicht leben konnten oder durften“ (W-10), oder aber auf „Blockaden […] – etwa aufgrund von Kindheitserlebnissen oder traumatischen Erfahrungen bei der Geburt“ (W-11). Den Atemmustern bzw. -blockaden wird eine Anzeigefunktion zugeschrieben: Problematisch sind, so die diskursive Logik, nicht die Atemmuster per se. Sie werden vielmehr als Symptome für ‚dahinterliegende‘ Probleme („oft im Verborgenen, dahinterliegende[] Ursachen“ [W-7]) wie die oben genannten begriffen. Oder aber sie gingen mit unangenehmen Sekundäreffekten einher, die das Wohlbefinden einschränkten (z. B. „Unruhig-Sein“, „Erschöpfung“, Verlust von „Leistungsfähigkeit“, „Wohlbefinden“ und „Lebensfreude“). Eine Kultivierung des Atmens schaffe hier Abhilfe: Werde etwa „die Aufmerksamkeit auf den Atem“ gelenkt, könnten „dahinter liegende Ursachen“ bewusst gemacht werden (W-7), die Energieversorgung werde durch eine „freie und tiefe Entfaltung des Atems“ erhöht und so ein „gesteigerte[s] körperliche[s] Wohlbefinden“ ermöglicht (W-8).

  • Gefühle: Aufgrund der bereits angedeuteten konstatierten „enge[n] Verbindung […] zwischen unserer Atmung und unseren Gefühlen“ (W-10) werden Gefühle und EmotionenFootnote 28 auch selbst zum Gegenstand von Problematisierungen. Das kultivierte Atmen der Atemarbeit wird hierbei diskursiv als eine Form des emotionalen Selbstmanagements (vgl. Neckel 2005) perspektiviert, das es einerseits erlaube, als problematisch erachtete Gefühle zu kontrollieren und andererseits Gefühle als solche erst hervorzubringen (vgl. ebd.: 426 f.). So ermögliche es beispielsweise eine Entspannung des Atems in „emotional aufgeladenen Situationen […] unsere Gefühle [zu] beruhigen“ (W-10). „Bewusst verbundenes Atmen“ könne genutzt werden, um sich „von unangenehmen emotionalen Zuständen zu befreien“ (W-15). Mit „Hilfe des Atems“ gelinge es aber auch, „unterdrückte[] Emotionen [zu] spüren und an[zu]erkennen“ (W-10). Gefühle werden in diesem Sinne als solche überhaupt erst zugänglich und therapeutisch bearbeitbar gemacht. Atemtherapie erlaube in der Folge eine „Auflösung“ dieser „emotionalen Belastungen und Traumatisierungen“ (W-11). Sie dient in diesem Sinne einerseits der Regulation von als negativ etikettierten Gefühlen (vgl. bereits Hochschild 2006 [1983]) und andererseits aber auch deren Konstitution im Sinne eines Wahrnehm-, Erlebbar-Machens und Ausdrückens von Gefühlen.

  • Negative Verhaltensmuster und -dispositionen: Die Atemarbeit wird ferner als ein Problemlösungsmechanismus für „krankmachende, belastende und einschränkende Verhaltensmuster und Glaubenssätze“ dargestellt. Sie erlaube es, diese zu „entdecken und [zu] verwandeln“, was es Klient*innen wiederum ermögliche, „zu mehr Lebensfreude und Frieden in Ihrem Leben [zu] finden“ (W-12). Dabei werden insbesondere Verhaltensmuster und -dispositionen adressiert, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ein (bewusstes) Leben im Hier und Jetzt unterminieren – etwa „Kopflastigkeit“ (W-20) oder eine übermäßige Beschäftigung mit „Problemen ihrer Vergangenheit“, an denen man „hängen […] bleiben“ (W-9) könne, sowie ein Verlust des Vertrauens in die eigene Intuition. Pathologisiert wird hier ein ‚gelebter Cartesianismus‘, der den gefühlten und fühlenden Körper aus der alltäglichen Lebensführung zu verdrängen droht. Hier kommt – ähnlich wie auch bei den unterdrückten Gefühlen – die weiter oben bereits erläuterte starke Betonung des Wahrnehm- und Nutzbarmachens der eigenen Körperlichkeit zum Ausdruck. Der Körper der Atemarbeit ist kein bloßes Anhängsel psychischer Prozesse, sondern es gehe, wie es auf einer Website heißt, darum, sich wieder mit seinem „Körper zu verbinden und sich in ihm zu Hause zu fühlen“ (W-9). Bei den Positiv-Problematisierungen finden sich dementsprechend auch Wirkungen wie eine „bessere Körperwahrnehmung“ (W-5). Das Atmen, so ein anderer Anbieter, habe ihn „ins Jetzt geführt“ und ermögliche es ihm, den „Moment [zu] erleben“ (W-15). Ebenso betreffen die Problematisierungen häufig auch ‚negative‘ Verhaltensmuster in Interaktionssituationen – etwa eine „chronische Introvertiertheit“ (W-5) oder „Schwierigkeiten sich abzugrenzen“ (W-20). Hier sind es vor allem die „eigene[n] Bedürfnisse“ (W-9), die wahrgenommen und zur Geltung gebracht werden sollen, um ein ‚starkes Ich‘ zu kultivieren. So berichtet ein Anbieter in einer biographischen Erfolgsgeschichte: „Früher war ich oft unsicher und angepasst. Heute kann ich mich besser abgrenzen, besser Widerstand leisten und mich besser mit meinen Mitmenschen konfrontieren“ (W-14).

  • Stress und psychosomatische Disbalancen: Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet der Atemtherapeut*innen ist die Stressvermeidung bzw. -bewältigung und die Linderung oder Beseitigung jener Symptome (wie etwa Schlafstörungen, Nervosität oder Übergewicht), die damit einhergehen könnten, sowie generell die Bearbeitung dessen, was man als psychosomatische Disbalancen, wie etwa Unruhe und Konzentrationsmangel, bezeichnen kann. Auf Seiten der Wirkungen korrespondiert dem etwa eine in Aussicht gestellte Entspannung, „mehr Gelassenheit im Alltag“ (W-10) oder die Entwicklung einer „innere[n] Ruhe“ (W-18).

  • Psychische und körperliche Erkrankungen: Die Atemtherapie-Anbieter*innen kommunizieren aber auch Zuständigkeit für Probleme, die explizit die körperliche und psychische Gesundheit der Klient*innen betreffen. Dabei handelt es sich zum einen um „körperliche […] Erkrankungen“ (W-18) und „Beschwerden“ (W-14), wie Atemwegserkrankungen (z. B. Asthma), aber auch chronische Erkrankungen wie Kopfschmerzen oder Migräne bis hin zu „Verdauungsbeschwerden“ und „Herz-Kreislauf-Erkrankungen“. Zum anderen werden psychische Erkrankungen und Belastungen, wie etwa Burnout, Antriebslosigkeit, Depression, aber auch Panikattacken und Angstzustände genannt. Es handelt sich hierbei also um Problembezüge, die gemeinhin in der sozialen Welt der Biomedizin oder der Psychotherapie auf der Grundlage standardisierter Diagnoseverfahren ‚behandelt‘ werden (vgl. Shachak 2018: 221 f. am Beispiel der Depression).Footnote 29

    Deutlich wird an derartigen Problematisierungen, dass die Atemarbeit, gemäß dem zugrunde gelegten ganzheitlichen Menschenbild, darauf zielt, auch ein ganzheitliches Wohlbefinden – körperliches und psychisches bzw. geistiges Wohlbefinden, wie es immer wieder heißt – zu fördern. Auf der Ebene der Positiv-Problematisierungen wird hierbei beispielsweise mit einer Erhöhung der „Lebensenergie“ (W-12, W-21) und der „Stärkung des Immunsystems“ (W-12, W-22) sowie einer „Aktivierung der körpereigenen Selbstheilungskräfte“ (W-8) argumentiert, was wiederum die „Gesundheit von Körper, Geist und Seele“ (W-11) fördere. Anhand der Positiv-Problematisierungen zeigt sich auch, dass hier diskursiv ein Terrain betreten wird, das naturwissenschaftlich-medizinische Erklärungsmodelle hinter sich lässt („Energie“, „Selbstheilung“ etc.) oder eher pauschal eine Stärkung des Immunsystems propagiert wird und die Atemarbeit, wie auch andere ganzheitliche Angebote, „jenseits […] klassischer medizinischer Indikation“ operiert (Hero 2016: 610; vgl. auch Philo/Cadman/Lea 2015: 38f.).

  • Identitätsmanagement und Lebensführung: Schließlich findet sich auf den Seiten der Anbieter*innen eine Fülle von Problembezügen, die Fragen des Identitätsmanagements und der individuellen Lebensführung betreffen. Es geht dabei – um vorab zumindest einen kursorischen Überblick zu geben – um Fragen der Persönlichkeitsentwicklung, der Selbsterfahrung und der Lebensqualität. Derartige Problembereiche sind ein genuines Betätigungsfeld ganzheitlicher Praktiken. So wird zwar Körperlichkeit zentral gesetzt, aber gleichwohl geht es nicht ausschließlich um körperliches Wohlbefinden, sondern um einen nicht ganz einfach zu kategorisierenden Bereich an Problemen, der insbesondere an den psychosomatischen Selbst- und Weltverhältnissen und der „subjektive[n] Befindlichkeit der Individuen“ (Hero 2016: 607) ansetzt. Die Problembezüge werden dabei zumeist mittels Positiv-Problematisierungen in Form von Wirkungen und Idealzuständen kommuniziert. Ich unterscheide hierbei zwischen einer Stärkung des Selbst, der Erzeugung eines positiven affektiven Habitus und dem Bereich der Sinn-Suche (und der Spiritualität).

    Problematisierungen, die eine Stärkung des Selbst in Aussicht stellen, beziehen sich unmittelbar auf ein zu optimierendes bzw. optimierbares Identitätsmanagement – etwa in Form einer Erhöhung des Selbstvertrauens, einer Steigerung des Selbstwertgefühls, aber auch der Leistungsfähigkeit. Die Atemarbeit ermögliche bzw. unterstütze darüber hinaus ein „selbstbestimmtes […] Leben“ und „selbstverantwortliches Handeln in Beruf und Alltag“ (W-8). Die Erzeugung eines positiven affektiven Habitus bezieht sich auf einen Phänomenbereich, den man als die Kultivierung einer spezifischen attitude – im Sinne einer Haltung gegenüber der Welt und seinen Mitmenschen – beschreiben kann. Die Problematisierungen sind hierbei vielfältig: „Frieden und Leichtigkeit“ (W-15), „innere Ruhe und Gelassenheit“ (W-18), „Leichtigkeit im Denken und Leben“ (W-8), „Achtsamkeit, bewusste Präsenz und Klarheit“ (W-11), aber auch solche, die auf eine Kultivierung der Vitalität der Klient*innen zielen, wie zum Beispiel „Lebendigkeit, Dynamik und Antrieb“ (W-8). Als besonders abstrakt und spezifikationsbedürftig erscheinen schließlich die Problematisierungen im Bereich der Sinnsuche (und Spiritualität). Dort finden sich einerseits allgemeine Formeln, die sich auf die individuelle Lebensführung beziehen, wie zum Beispiel die Ermöglichung eines „mit Sinn erfüllten Leben[s]“ (W-11) oder etwa „Orientierung finden“ (W-19) und „Lebensvisionen […] erkennen“ (W-22). Andererseits bezieht sich die Sinnsuche auf das Erlebbarmachen und die Ausbildung eines „authentischen“ Selbst („Wer bin ich wirklich?“ [W-10], „Stärkung und Verbindung zum eigenen Wahren Wesen“ [W-8]) und „persönliches Wachstum“ (W-9). Explizit genannt werden auch „Wirkungen auf der spirituellen Ebene“, wie zum Beispiel „Sich selbst erfahren im Zustand des ‚reinen Seins‘, jenseits des Körpers und der Egostrukturen“ oder die Etablierung von „Gefühle[n] des All-Eins-Seins“ (W-8).Footnote 30

Drei zentrale theoretische Folgerungen können mit Blick auf die Problematisierungsstrategien der Atemarbeit-Anbieter*innen gezogen werden:

Erstens ist die bereits angesprochene Spezifikationsbedürftigkeit der kommunizierten Problemhorizonte – die Problematisierungen sind oft sehr vage – nicht als eine anbieter*innenseitige Unzulänglichkeit der Darstellung oder als ein praktischer Nachteil bei der Mobilisierung von Klient*innen zu interpretieren. Im Gegenteil: Die interpretative Offenheit erlaubt es Interessierten vielmehr, jeweils individuell Anschlussfähigkeit bei der Auswahl der Angebote zu generieren: Eben weil die Problembezüge keine starren bzw. standardisierten sind und sich überdies auf einem hinreichend hohen Abstraktionsniveau bewegen („Zufriedenheit“ beispielsweise kann vieles meinen), kann potenziell eine Passung zwischen den Problemen und Bedürfnissen der Klient*innen und den Angeboten generiert werden.Footnote 31 Die Atemarbeit kann an die individuellen Alltagswirklichkeiten und Probleme potenzieller Klient*innen anschlussfähig gemacht werden, gerade weil die Problematisierungen unspezifisch sind. Die zu erbringenden Spezifikationsleistungen werden implizit an die Adressat*innen delegiert: Jede*r kann und muss in letzter Konsequenz für sich selbst bestimmen bzw. individuell erfühlen, ob es ihr*ihm etwa an Lebendigkeit im Leben oder an Lebenszufriedenheit mangelt, die es, sollte das Angebot überzeugen, mittels Atemarbeit zu erhöhen gilt.Footnote 32

Zweitens wird anhand der Problematisierungsstrategien der Anbieter*innen aber auch deutlich, dass die Breite der kommunizierten Problemhorizonte einen Inklusionseffekt erzeugt, der wiederum potenziell mobilisierend wirken kann. Pointiert gesprochen: Es werden so gut wie keine Probleme ausgeschlossen. Jedes Anliegen erscheint prinzipiell legitim und ‚bearbeitungswürdig‘.Footnote 33 Offensichtlich wird dies unter anderem auch daran, dass sich die Atemarbeit bzw. -therapie keineswegs ausschließlich an Personen wendet, die sich in ‚ernsthaften‘ Krisensituationen befinden (vgl. hierzu auch Antony/Sebald/Adloff 2016: 7 ff.). Die Atemtherapie ist auch eine „Therapie für Normale“ (Baier 1991: 258). So wird insbesondere anhand jener Problematisierungen, die inhaltlich auf den Bereich des Identitätsmanagements und der individuellen Lebensführung zielen, deutlich, dass auch Menschen „ohne spezifische[] Leiden“ (ebd.: 249) angesprochen werden sollen. So antwortet ‚mein‘ Atemlehrer in einer von mir absolvierten Einzelsitzung im Vorgespräch auf die Frage nach der Legitimität der ‚Bearbeitung‘ „relativ banale[r] Anliegen“ in Relation zu jenen „ernsthaft[en] Schwierigkeiten“, die manche Personen hätten:

Manfred*: Also, ich seh das einfach so, ah quasi jeder Mensch hat in seinem Leben was zu lernen und und auch was aufzulösen, was irgendwo in der eigenen Lebensgeschichte hängt. Und ah für jeden Menschen ist es gut, innerlich mehr spüren zu können. Also das kann man auch sehen wie eine Schule de- des inneren Sinns, also dieses Nach-innen-schauen-Können. [ES-2]

Die Atemarbeit wird, das zeigt sich an den Problematisierungen auf den Websites und in dem Ausschnitt aus dem Vorgespräch, diskursiv nicht ausschließlich als eine auf „Heilung“ zielende Krisenbewältigungsstrategie positioniert, sondern – allgemeiner – als ein Angebot, bei dem es auch um „Persönlichkeitsentwicklung, eine Art Pädagogik des Fühlens und Wahrnehmens, geht“ (ebd.; vgl. auch Illouz 2011; Shachak 2018; Schützeichel 2010b). Dies lässt sich weiter spezifizieren: Angesprochen auf die Frage, wie wichtig es im Rahmen der Atemarbeit sei, „ein Problem mitzubringen“, oder ob (konkrete) Probleme eine generelle „Voraussetzung“ für die Partizipation – etwa im Rahmen von Einzelsitzungen – darstellen würden, antwortet Wilfried Ehrmann im Interview (I-2):

W. Ehrmann: Das ist eben bei der Atemarbeit überhaupt nicht […] die zwingende Voraussetzung. Wenn jetzt jemand kommt und sagt, äh, „Ich hab jetzt kein bestimmtes Thema“, also „Ich möchte einfach äh schauen was zeigt sich“ […], ich würde eben sagen, gut, genau das ist das Anliegen und dem folge ich. Da gehe ich einfach mit, wie ein Begleiter halt. Und, ähm, es kann eben auch eine Atemsitzung sein, wo sich auch gar kein Thema zeigt, wo nur die Atmung da ist, ja wo sich dann aller Voraussicht nach der Klient mehr und mehr entspannt und immer tiefer sich entspannt.

Zwar habe Ehrmann beispielsweise eine Kollegin, die nur „arbeite“, wenn „der [der Klient; A.A.] ein Problem hat und dann wird sie vielleicht vorher fragen […] also schauen, wo zeigt sich ein Problem“. Allerdings ist auch damit noch nichts über die Spezifität und die Legitimität der Probleme ausgesagt, für die die Anbieter*innen Zuständigkeit kommunizieren; man muss – in diesem Fall – eben bloß ein wie auch immer geartetes, einigermaßen ‚passendes‘ und gegebenenfalls auch halbwegs artikulierbares Problem haben. Bei anderen Anbieter*innen kann es wiederum ausreichend sein, dass man sich für die Atemarbeit interessiert oder ‚das einfach mal ausprobieren möchte‘. Überdies, fügt Ehrmann relativierend hinzu, könne man zwar „sehr wohl […] ein Thema nehmen“, wobei hier wiederum „häufig die Erfahrung ist, dass sich das dann während des Prozesses in was ganz Anderes verwandeln kann und das sich nachher erst herausstellt, wie das zusammenhängt mit dem Ausgangsthema“.Footnote 34

Drittens: Weil diskursiv ein Konnex zwischen Problem und ‚passender‘ Problemlösungsstrategie etabliert wird, kann ein Zielpublikum adressiert werden. Im ‚Idealfall‘ kommt es zu einem matching zwischen vorhandenen Klient*innen-Problemen und von den Anbieter*innen kommunizierten Problemen. Allerdings können mittels Problematisierungen nicht nur bewältigbare Probleme benannt werden, die potenzielle Klient*innen bereits haben. Vor allem die Positiv-Problematisierungen kommunizieren implizit vielmehr auch eine normative Vorstellung eines ‚guten‘ und ‚richtigen‘ Lebens mit. Dies impliziert: Sie geben nicht nur Auskunft darüber, welche Probleme wie gelöst werden können, sondern auch, welche Probleme man sozusagen haben könnte – vielleicht sogar sollte. Insofern kann der anbieter*innenseitige Diskurs der Atemarbeit auch als Teil eines Diskurses einer erwünschten Optimierbarkeit des psychosomatischen Selbst und seiner individuellen Lebensführung gelesen werden (und zwar unabhängig davon, ob dies nun von den Anbieter*innen intendiert ist oder nicht). Er offeriert nicht nur Problemlösungen für spezifische Probleme, sondern er schafft potenziell auch bearbeitbare Probleme; Probleme – so eine These –, die man als solche gegebenenfalls erst hat oder bekommt, eben weil sie in einschlägigen Diskursen vor-artikuliert werden. Die Art und Weise der diskursiven Präsentation des Angebots trägt somit potenziell auch dazu bei, dass Nachfrage befördernde Bedingungen in Form eines individuellen Problembewusstseins (mit-)erzeugt werden. So wie der anbieter*innseitige Diskurs gebaut ist, das ist die zentrale Pointe, ist er auch dazu angetan, klient*innenseitige Bedürfnisse mitzukonstituieren. Gerade weil von den Anbieter*innen stets auch „kulturelle Ideale“ (Shachak 2018) (mit-)kommuniziert werden, ist es das (jeweils individuell festzustellende) Fehlen eines starken Selbst, eines positiven affektiven Habitus, von Sinn (im Leben) usw., das zum Problem werden kann.

4.3 Fazit

Als Dienstleistungs- und Konsumangebot muss die Atemarbeit beworben und ‚verkauft‘ werden. Websites von Atemarbeit-Anbieter*innen, die ihre Dienste (unter anderem) im Internet offerieren, eröffnen dahingehend vielfältige Einblicke in die diskursive Logik der Adressierung potenzieller Klient*innen. Diese operiert einerseits auf der Grundlage einer Darstellung der Praktik der Atemarbeit selbst. Die Anbieter*innen leisten grundlegende Informationsarbeit. Sie machen mit der Atemarbeit vertraut, stellen einschlägige theoretische Grundannahmen dar und explizieren darüber hinaus jene institutionalisierten Formate der Partizipation, mittels derer Klient*innen als Klient*innen in die soziale Welt der Atemarbeit eintreten können.

Andererseits erweisen sich die Selbstpräsentationen der Anbieter*innen als relevant. Es ist ganz offensichtlich nicht egal, wer die Atemarbeit offeriert. Vielmehr wird mittels biographischer Darstellungen Vertrauens- und Überzeugungsarbeit geleistet. Zum einen ist die Präsentation zertifizierten kulturellen Kapitals in Form von Aus- und Weiterbildungen und die Berufung auf Institutionen und Autoritäten potenziell dazu angetan, symbolisches Kapital zu generieren – nämlich dann, wenn die Darstellungen auch eine entsprechende Wahrnehmung auf Seiten der Klient*innen befördern. So werden Anbieter*innen beispielsweise als seriös oder kompetent beurteilt. Zum anderen stellen sich die Anbieter*innen mittels persönlicher Geschichten als erfolgreich ‚therapierte‘ Klient*innen dar. Sie fungieren gewissermaßen als Exempel, anhand dessen die Wirksamkeit der von ihnen angebotenen ‚Techniken‘ belegt werden soll. Die Wirksamkeit des Angebots wird qua individueller Erfahrung beglaubigt.

Schließlich erweisen sich Problematisierungen als wesentliches kommunikatives Mittel des Interessiert-Machens potenzieller Klient*innen. Hierbei gilt grundsätzlich: Die Artikulation von Problemen, für die auf den Websites von den Anbieter*innen Zuständigkeit beansprucht wird, erlaubt es, diskursiv einen Konnex zwischen Problembezügen und ‚passender‘ Problemlösungsstrategie, also der Atemarbeit, zu etablieren. Auch Michaela Pfadenhauer (2003: 140) hält aus einer professionssoziologischen Perspektive fest: „Professionelle lassen sich als Akteure bestimmen, die Probleme, mit denen sie sich selbst auseinandersetzen, so zu definieren“ – und man müsste ergänzen: zu kommunizieren – „vermögen, dass sie eben möglichst weitgehend den Lösungen entsprechen, über die sie je verfügen“. Problematisierungen fungieren in dieser Hinsicht als ein zentraler diskursiver Mechanismus, um ein entsprechendes Zielpublikum zu adressieren. Hierbei habe ich drei Aspekte hervorgehoben, die sich für ein Verständnis ihres Einsatzes auf Seiten der Atemarbeit-Anbieter*innen als relevant erweisen:

Erstens fällt vor allem die interpretative Offenheit der kommunizierten Probleme – insbesondere im Bereich des Identitätsmanagements und der individuellen Lebensführung – auf. Aufgrund ihres Allgemeinheitsgrades erlauben es die Problematisierungen, die Atemarbeit vielfältig an die Alltagswirklichkeiten und Anliegen potenzieller Klient*innen anschlussfähig zu machen. Die relative inhaltliche Indeterminiertheit der artikulierten Probleme erweist sich dementsprechend aus der Perspektive der Anbieter*innen nicht als Nachteil. Ist der skizzierte Problemhorizont mit den Bedürfnissen der Lesenden prinzipiell kompatibel, werden diese implizit dazu aufgefordert, die entsprechenden interpretativen Spezifikationsleistungen selbst zu erbringen. Derart kann individuell eine als angemessen erachtete Passung zwischen dem Angebot und den eigenen Anliegen bzw. Problemen erzeugt werden. Zweitens erzeugt die Breite der angebotenen Probleme potenziell einen Inklusionseffekt. Die Atemtherapie wendet sich nicht nur an Personen, die an ‚schwerwiegenden‘ Problemen leiden, Krisensituationen, die man alleine nicht mehr zu bewältigen im Stande ist. Jedes Anliegen erscheint prinzipiell legitim. Dies geht, wie beispielhaft gezeigt, so weit, dass selbst ein diffuses Interesse an der Atemarbeit als hinreichend legitimes Anliegen bzw. Problem interpretiert werden kann. Zu guter Letzt habe ich, drittens, argumentiert, dass insbesondere die Positiv-Problematisierungen, die Idealzustände kommunizieren, als Teil eines Diskurses begriffen werden können, der nicht nur bewältigbare Probleme benennt und derart ein matching zwischen gehabten und kommunizierten Problemen ermöglicht. Problematisierungen können ebenso dazu beitragen, klient*innenseitige Probleme mitzuerzeugen. Der Diskurs der Atemarbeit und wohl auch ganzheitlicher Anbieter*innen generell bringt auch mögliche Probleme ‚unters Volk‘.

Anbieter*innenseitig, so lässt sich abschließend festhalten, zeigt sich eine auf die Adressat*innen zielende Diskursarbeit, die dazu beitragen kann, sich auf spezifische Formen leiblichen Erlebens einzulassen und auch Geld dafür zu bezahlen. Die Atemarbeit-Anbieter*innen zielen diskursiv darauf, mittels Erfahrungsangeboten Resonanz zu erzeugen. Dies impliziert auch, dass die auf den Websites identifizierbaren diskursiven Strategien dazu angetan sind, sich als (lesende) Person selbst als eine zu klassifizieren, die einen wie auch immer gearteten Bedarf und individuellen Nutzen aus genau diesen Angeboten ziehen könnte. Solcherart verstandene Erfahrungsangebote bilden damit eine zentrale ‚Brücke‘, die den Bereich symbolischen Wissens, das notwendig abstrakt bleiben muss, mit dem Bereich individuellen leiblichen Erlebens verbindet.