Die Grundidee des Physikalismus besteht darin, dass physischen Entitäten ein ontologischer Sonderstatus zukommt: Alles, was es gibt, ist letztlich physisch. Der nicht-reduktive Physikalismus ist dadurch ausgezeichnet, dass er diese Grundidee auf eine charakteristische Weise expliziert. Insbesondere lässt der nicht-reduktive Physikalismus im Gegensatz zu anderen Versionen des Physikalismus Spielraum für die Autonomie der nicht-physikalischen Spezialwissenschaften und der (Alltags-)Psychologie.

Der nicht-reduktive Physikalismus ist eine moderate und vermittelnde Position: Er ist durch das Bemühen um einen Zwischenweg zwischen zwei unwillkommenen Alternativen ausgezeichnet: Einerseits haben gewisse Entwicklungen in der Philosophie des Geistes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu geführt, dass reduktive Versionen des Physikalismus in Verruf geraten sind. Ausschlaggebend sind hier insbesondere Überlegungen zur multiplen Realisierbarkeit mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften.Footnote 1 Auf der anderen Seite sollte die Ablehnung des reduktiven Physikalismus nicht zu einem echten Dualismus führen, in dem der mentale Bereich der Wirklichkeit strikt von dem physischen Bereich getrennt ist. Denn eine solche strikte Trennung lässt es geheimnisvoll erscheinen, wie mentale Eigenschaften in eine Welt passen, die doch auf fundamentaler Ebene durch physikalische Gesetze bestimmt zu sein scheint. Eine Position, die die Grundidee des Physikalismus rettet, ohne aber auf problematische, reduktionistische Annahmen angewiesen zu sein, scheint vor diesem Hintergrund attraktiv.

Die Vertretbarkeit eines solchen Zwischenwegs ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich steht der nicht-reduktive Physikalismus im Verdacht, sich nicht klar von den reduktiven und dualistischen Alternativen abgrenzen zu können. So argumentiert zum Beispiel Jaegwon Kim, dass jede spezifische Formulierung des nicht-reduktiven Physikalismus sich letztlich entweder als eine Version des reduktiven Physikalismus entpuppt, oder in einen echten Dualismus kollabiert.Footnote 2

Ziel dieses Kapitels ist es, im Lichte dieser Problematik eine Formulierung des nicht-reduktiven Physikalismus zu entwickeln, die klar von konkurrierenden Positionen abgegrenzt ist und die als Grundlage für eine Verteidigung des nicht-reduktiven Physikalismus gegen den Vorwurf des Epiphänomenalismus in Teil 3 und Teil 4 dieser Arbeit dienen kann.

Im Folgenden gehe ich hierfür zunächst genauer auf die Grundidee jeder Form des Physikalismus ein und treffe eine vorläufige Unterscheidung zwischen verschiedenen Versionen des Physikalismus. Daraufhin formuliere ich drei nicht-reduktive Kernthesen und eine physikalistische Kernthese des nicht-reduktiven Physikalismus (Abschnitt 2.1.). Zur genaueren Explikation dieser Kernthesen erläutere ich zunächst die beiden darin enthaltenen ontologischen Grundbegriffe ‚Eigenschaft‘ und ‚Ereignis‘ (Abschnitt 2.2.) und behandle die Frage, wie der Begriff physischer Eigenschaften bestimmt werden kann (Abschnitt 2.3). Hierauf aufbauend werden die nicht-reduktiven Kernthesen (Abschnitt 2.4) und die physikalistische Kernthese (Abschnitt 2.5) diskutiert. Dies ermöglicht eine Abgrenzung des nicht-reduktiven Physikalismus von anderen Versionen des Physikalismus und vom Dualismus (Abschnitt 2.6).

2.1 Physikalismus und nicht-reduktiver Physikalismus

Dieser Abschnitt dient einer ersten groben Einordnung des nicht-reduktiven Physikalismus in einen weiteren Kontext. Hierfür gehe ich in Abschnitt 2.1.1. zunächst knapp auf die Art von Fragen ein, auf die der Physikalismus im Allgemeinen sowie der nicht-reduktive Physikalismus im Speziellen eine Antwort geben sollen. Daraufhin skizziere ich in Abschnitt 2.1.2. die Grundidee des Physikalismus als einer globalen ontologischen These. In Abschnitt 2.1.3. schildere ich, wie diese globale ontologische These in ihrer Reichweite eingeschränkt werden kann. Dies bildet die Grundlage für eine erste grobe Charakterisierung des nicht-reduktiven Physikalismus in Abschnitt 2.1.4.

2.1.1 Metaphysische Fragen

In der Metaphysik werden grob gesprochen folgende Fragen behandelt:Footnote 3

  • Existenz: Was gibt es?

  • Beschaffenheit: Wie sind die Dinge, die es gibt, beschaffen?

  • Beziehung: Wie hängen die Dinge, die es gibt, miteinander zusammen?

  • Modalität: Was ist möglich und notwendig?

Man könnte zunächst versuchen, die Existenz-Frage im Stile einer Auflistung zu beantworten: Es gibt (zum Beispiel) Zahlen, mathematische Formeln, alltagssprachliche Sätze mit Bedeutungen und Wahrheitswerten, Propositionen, vage Andeutungen, Gegenstände, an denen man sich die Zehen stoßen kann, wie Tische, Stühle oder Türrahmen, Zehen, Arme und Beine, Gehirne, Gefühle, Überzeugungen und Wünsche, Geldscheine, Finanzkrisen und Geschlechterrollen, Farben und ihre Schattierungen, moralische Wahrheiten, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, Personen, freie und unfreie Handlungen, die unter den gegeben Umständen vernünftigste Handlungsoption, Wolken, Warenwerte, Gene, Raum und Zeit, Kausalität, Naturgesetze, Elektronen, Positronen und Neutronen, schwache und starke Wechselwirkungen, Gravitation usw. Auf diese Weise könnte man einige tausend Seiten füllen und würde doch nichts Erhellendes (geschweige denn Erschöpfendes) sagen.Footnote 4 Die Aufgabe ontologischer Theorien ist es daher nicht, lange Listen zu schreiben, sondern ein wenig Ordnung in die Vielfalt zu bringen.

Eine Strategie, Ordnung in eine solche Liste zu bringen, besteht in der Behandlung der Beschaffenheits-Frage: Indem man spezifiziert, wie die Einträge der Liste beschaffen sind und als was sie existieren, lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Einträgen erkennen. So kann man die verschiedenen Einträge in Gruppen oder Kategorien einteilen: Es gibt Eigenschaften (wie Farben), Ereignisse (wie Finanzkrisen) und Gegenstände (wie Tische); es gibt abstrakte Entitäten (wie Zahlen) und konkrete Entitäten (wie Tische); es gibt mentale Entitäten (wie Überzeugungen und Wünsche) und physische Entitäten (wie Elektronen); usw.

Eine zweite Strategie zur Schaffung von Ordnung ergibt sich aus der Beziehungs-Frage: So kann die These vertreten werden, dass nicht alle Entitäten gleichermaßen eigenständig existieren und manche Entitäten ontologisch abhängig sind von anderen Entitäten. Mit einer solchen Abhängigkeitsbeziehung einher geht die Idee, dass sich eine relativ kleine Menge von basalen oder fundamentalen Entitäten identifizieren lässt, von denen alle weiteren Entitäten abhängig sind. In diesem Sinne schreibt etwa Frank Jackson:

Metaphysics is concerned with what there is and what it is like. But it is not concerned with any old shopping list of what there is and what it is like. Metaphysicians seek a comprehensive account of some subject matter – the mind, the semantic, or, most ambitiously, everything – in terms of a limited number of more or less basic notions.Footnote 5

Solche Abhängigkeitsbeziehungen und die damit einhergehende Idee der Fundamentalität führen zugleich zu einer Auseinandersetzung mit der Modalitäts-Frage: Denn wenn etwa eine bestimmte Anordnung von Elementarteilchen als metaphysische Basis für die Existenz eines Tisches dient, dann erzwingt die Existenz dieser Anordnung von Elementarteilchen wohl zugleich die Existenz des Tisches: Es kann gar nicht sein, dass die Elementarteilchen ‚tischmäßig‘ angeordnet sind, es aber keinen Tisch gibt.

2.1.2 Globaler Physikalismus: Grundidee

Der Physikalismus ist eine ontologische Theorie in diesem Sinne: Er ist eine Theorie darüber, was es alles gibt, wie alles beschaffen ist und wie alles miteinander zusammenhängt. Die Grundthese des Physikalismus kann in einer ersten Annäherung wie folgt formuliert werden:

Globaler Physikalismus: Alles, was es gibt, ist letztlich physisch.

Der Physikalismus stellt also eine Bedingung an alle Entitäten, die in eine Ontologie aufgenommen werden: Sie sollen ‚letztlich physisch‘ sein.Footnote 6

Die obige Liste enthält einige Einträge, die offenbar physisch sind. Insbesondere die letzten Einträge, die sich direkt gegenwärtigen physikalischen Theorien verdanken (Elektronen, Positronen und Neutronen, schwache und starke Wechselwirkungen sowie Gravitation), sind in einem klaren und nicht abgeleiteten Sinne physisch. Dasselbe könnte man vielleicht von den Gegenständen sagen, an denen man sich die Zehen stoßen kann.

Die Liste enthält aber auch eine ganze Reihe von Einträgen, deren physische Natur keinesfalls offenbar ist (Zahlen, Finanzkrisen, Überzeugungen, moralische Wahrheiten, Bedeutungen, Wahrheitswerte usw.). Die grundsätzliche Herausforderung für den Physikalismus besteht im Umgang mit diesen anderen Einträgen.Footnote 7

Hierbei stehen Physikalist*innen drei Herangehensweisen offen: Erstens können sie einen Eintrag, der nicht offenbar physisch ist, schlicht von der Liste streichen. Das problematische Phänomen ist dann zwar nicht physisch, existiert aber auch gar nicht und stellt daher kein Problem für die physikalistische Grundthese dar. Dies kann der Weg der Elimination genannt werden. Zweitens können Physikalist*innen ein problematisches Phänomen mit einem physischen Phänomen identifizieren. Entgegen dem ersten Anschein ist das problematische Phänomen dann doch selbst physisch. Dies kann der Weg der Identifikation genannt werden. Drittens schließlich können sie aufzeigen, dass das problematische Phänomen sich unweigerlich aus physischen Phänomenen ergibt, so dass es sich nicht um ein ontologisch eigenständiges, über die physischen Phänomene hinausgehendes Phänomen handelt. In diesem Falle ist das problematische Phänomen zwar selbst nicht im eigentlichen Sinne physisch, wohl aber in einem hinreichend starken Sinne von physischen Phänomenen ontologisch abhängig und daher doch letztlich physisch.Footnote 8 Dies kann der Weg der Abhängigkeit genannt werden.

In einer ersten groben Einteilung können verschiedene Versionen des Physikalismus danach unterschieden werden, welche Herangehensweise für den Umgang mit problematischen Phänomenen sie wählen: Der eliminative Physikalismus bevorzugt den Weg der Elimination, der reduktive Physikalismus den Weg der Identifikation und der nicht-reduktive Physikalismus den Weg der Abhängigkeit.Footnote 9 Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der nicht-reduktive Physikalismus.

2.1.3 Einschränkungen des Physikalismus

Die Version des Physikalismus, die in dieser Arbeit thematisiert wird, lässt sich noch weiter spezifizieren. Denn bis hierher habe ich den Physikalismus als eine uneingeschränkt allgemeine ontologische These spezifiziert. Es gibt jedoch wenigstens drei Arten, wie diese globale These eingeschränkt werden kann.

Erstens kann die These auf Entitäten einer bestimmten ontologischen Kategorie eingeschränkt werden: Sie betrifft dann nicht mehr uneingeschränkt alles, was es gibt, sondern zum Beispiel nur Objekte, nur Ereignisse, oder nur Eigenschaften. So ergibt sich ein Objekt-Physikalismus, ein Ereignis-Physikalismus oder ein Eigenschafts-Physikalismus. Die spätere Diskussion in diesem Kapitel wird sich auf den Eigenschafts-Physikalismus konzentrieren, aus dem nach dem in Abschnitt 2.2 eingeführten System von Kategorien ein Ereignis-Physikalismus folgt.

Zweitens kann die These auf Entitäten eines bestimmten (kategorienübergreifenden) Bereichs eingeschränkt werden. Hiermit ist zum Beispiel eine Einschränkung auf mentale, spezialwissenschaftliche, semantische, moralische oder mathematische Entitäten gemeint. Es ergibt sich so ein mentaler Physikalismus, ein spezialwissenschaftlicher Physikalismus, ein semantischer Physikalismus usw. Die Vielfältigkeit der lokalen Physikalismus-Thesen verdeutlicht, wie ehrgeizig die These des globalen Physikalismus ist. Eine umfassende Verteidigung des globalen Physikalismus müsste jede einzelne der lokalen Thesen plausibilisieren. Dabei eröffnet jede der lokalen Thesen eine ganz eigene Baustelle, der in der Regel eine eigene Disziplin der Philosophie zugeordnet ist. Tatsächlich werden in den Debatten um den Physikalismus faktisch in aller Regel lokale Physikalismus-Thesen verhandelt. In dieser Arbeit (sowie in der Debatte, in der diese Arbeit verortet ist) stehen der mentale und der spezialwissenschaftliche Physikalismus im Mittelpunkt.

Drittens schließlich kann und sollte der Physikalismus auf aktuale Entitäten beschränkt werden. Physikalist*innen behaupten typischerweise nicht, dass jede mögliche Entität letztlich physisch ist. Vielmehr ist die These auf diejenigen Entitäten beschränkt, die in der aktualen Welt vorkommen. Physikalist*innen akzeptieren typischerweise, dass es – weit entfernte – mögliche Welten gibt, in denen es kartesische Seelen mit mentalen Eigenschaften gibt, die keinerlei physische Eigenschaften haben. Dieses Zugeständnis kommt der Einsicht gleich, dass der kartesische Dualismus zwar falsch, aber nicht unmöglich ist. Entsprechend ist der Physikalismus laut vielen Physikalist*innen zwar wahr, aber kontingent. Aus diesem Grund wird der Physikalismus in aller Regel auf aktuale Entitäten beschränkt.Footnote 10

Gegenstand dieser Arbeit ist zusammenfassend eine nicht-reduktive Version des Physikalismus, die sich auf aktual instantiierte, mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften beschränkt. Es ist diese Version des Physikalismus, die ich im Folgenden schlicht mit ‚nicht-reduktiver Physikalismus‘ bezeichnen werde und die in den kommenden Abschnitten weiter erläutert werden soll.

2.1.4 Die Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus

Im Kern besagt der nicht-reduktive Physikalismus also, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften nicht mit physischen Eigenschaften identisch sind, sondern ‚lediglich‘ in einem starken Sinne ontologisch abhängig von physischen Eigenschaften sind. Dieser Kern kann noch etwas weiter konkretisiert werden:

Der nicht-reduktive Physikalismus strebt einen Kompromiss zwischen physikalistischer Ontologie und der Autonomie der Spezialwissenschaften und des Mentalen an. Die Position lässt sich daher gut in ihre nicht-reduktionistischen Kernthesen und in eine physikalistische Kernthese aufteilen. Die nicht-reduktionistischen Kernthesen sollen dabei der Autonomie der Spezialwissenschaften und des Mentalen Rechnung tragen, während die physikalistische Kernthese die Position als eine Version des Physikalismus auszeichnen soll.

Die nicht-reduktionistischen Kernthesen können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Realismus: Der Realismus in Bezug auf mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen und Eigenschaften ist wahr.

  • Nicht-Identität: Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind nicht mit physischen Eigenschaften identisch.

  • Multiple Realisierung: Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind auf physischer Ebene multipel realisiert.

Diese Thesen teilt der nicht-reduktive Physikalismus mit typischen Versionen anderer nicht-reduktionistischer Positionen wie dem Emergentismus und dem Dualismus. Von diesen Positionen abgegrenzt ist der nicht-reduktive Physikalismus jedoch durch die folgende physikalistische Kernthese:

  • Ontologische Abhängigkeit: Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind von physischen Eigenschaften in einem hinreichend starken Sinne ontologisch abhängig.

Die vier Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus sind hier absichtlich zunächst eher vage formuliert und können jeweils auf unterschiedliche Weisen präzisiert werden. Es ist dabei keinesfalls klar, ob nicht-reduktive Physikalist*innen auf jede mögliche Präzisierung der Thesen festgelegt sind. Die Interpretationsfragen, die mit den jeweiligen Thesen zusammenhängen, sollen in den kommenden Abschnitten diskutiert werden.

Dabei gehe ich zunächst auf zwei allgemeine Fragestellungen ein, die alle fünf Prinzipien betreffen: In Abschnitt 2.2 behandle ich die Frage: Was ist mit den Ausdrücken ‚Eigenschaft‘ und ‚Ereignis‘ gemeint? In Abschnitt 2.3 geht es um die Frage: Was hat es mit der Unterscheidung zwischen ‚physischen‘ und ‚mentalen‘ bzw. ‚spezialwissenschaftlichen‘ Eigenschaften auf sich? In Abschnitt 2.4 werden die drei nicht-reduktionistischen Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus in den Blick genommen. Abschnitt 2.5. schließlich widmet sich der physikalistischen Kernthese des nicht-reduktiven Physikalismus.

2.2 Eigenschaften und Ereignisse

Die für den nicht-reduktiven Physikalismus ausschlaggebenden ontologischen Grundbegriffe sind ‚Eigenschaft‘ und ‚Ereignis‘. Die vier oben formulierten Kernthesen betreffen Eigenschaften. Der Begriff des Ereignisses wird immer dann relevant, wenn es – wie in der These der kausalen Geschlossenheit und im Vorwurf des Epiphänomenalismus – um kausale Beziehungen geht, da Ereignisse üblicherweise als die Relata der Kausalrelation verstanden werden.

Ziel dieses Abschnittes ist es, diese ontologischen Grundbegriffe ansatzweise zu klären, um eine Grundlage für die Diskussion der vier Kernthesen und des Vorwurfs des Epiphänomenalismus zu schaffen. Zunächst gehe ich dabei unter 2.2.1. auf den Eigenschaftsbegriff ein, bevor ich unter 2.2.2. den Ereignisbegriff erläutere.

2.2.1 Eigenschaften

Manche Dinge ähneln einander in der einen oder anderen Hinsicht. Beispielsweise haben mein Laptop und mein Pullover dieselbe Farbe. Sie sind beide schwarz. Andererseits unterscheiden sie sich auch: sie haben eine unterschiedliche Form und Konsistenz. So ist mein Laptop eckig und hart, während mein Pullover weder eckig noch hart ist. Diese simple Beobachtung kann auch dadurch ausgedrückt werden, dass die beiden Objekte bestimmte Eigenschaften teilen und andere Eigenschaften nicht teilen. Das Teilen von Eigenschaften ist demnach eng verbunden mit der Idee, dass sich Objekte in verschiedenen Hinsichten ähneln.

In bestimmten Kontexten wird der Eigenschaftsbegriff auf eine Art und Weise verwendet, die diese Verbindung mit Ähnlichkeitshinsichten nicht beachtet. Es wird dann gesagt, dass jeder beliebigen Menge von Objekten eine Eigenschaft entspricht. Hieraus folgt, dass auch jedes denkbare Prädikat einer Sprache eine Eigenschaft bezeichnet. Nach dieser Auffassung von Eigenschaften gibt es beispielsweise trivialerweise eine Eigenschaft, die nur mein linker Daumen und der Mond teilen, und die einfach darin besteht, mein linker Daumen oder der Mond zu sein. Klarerweise gibt es jedoch keine Ähnlichkeitshinsicht, die meinen linken Daumen mit dem Mond verbindet und diese beiden Objekte von allen anderen Objekten unterscheidet.

Für den Eigenschaftsbegriff, der in einem engen Zusammenhang zu Ähnlichkeitshinsichten steht, hat sich der Ausdruck ‚spärliche Eigenschaft‘ durchgesetzt. Spärliche Eigenschaften sind von so genannten üppigen Eigenschaften zu unterscheiden, die im gerade geschilderten Sinne von Ähnlichkeitshinsichten losgelöst sind.Footnote 11 Wenn ich in dieser Arbeit unqualifiziert von Eigenschaften spreche, meine ich damit spärliche Eigenschaften. Wo die Unterscheidung zwischen spärlichen und üppigen Eigenschaften relevant ist, weise ich explizit darauf hin.

Die Verbindung zwischen (spärlichen) Eigenschaften und Ähnlichkeitshinsichten kann wie folgt präzisiert werden:Footnote 12

  • (EA) Für alle Objekte o, o‘ gilt: o und o‘ teilen genau dann eine Eigenschaft F, wenn sich o und o‘ in F-Hinsicht ähneln.

Diese Definition ist nicht zwangsläufig als reduktive Analyse aufzufassen: Es soll hiermit nicht suggeriert werden, dass die Relation der Ähnlichkeit in einer Hinsicht ontologisch primär gegenüber dem Teilen einer Eigenschaft ist. Stattdessen wird mit dieser Definition lediglich die zentrale theoretische Rolle der Rede von Eigenschaften betont: Eigenschaften sind mit Ähnlichkeiten zwischen Objekten verbunden.

Hervorzuheben ist weiterhin, dass die relevante Relation nicht die der Ähnlichkeit simpliciter ist, sondern die der Ähnlichkeit in einer Hinsicht.Footnote 13 Ähnlichkeit simpliciter ist zu grob, um den mit dem Eigenschaftsbegriff verbundenen Intuitionen und Zwecken zufriedenstellend Rechnung zu tragen. Dies wird unter anderem an dem so genannten Problem der nicht-perfekten Gemeinschaft (‚problem of imperfect community‘) deutlich: Eine Menge von Objekten, die sich untereinander simpliciter ähneln, muss nicht einer Eigenschaft entsprechen. Dass sich eine Menge von Objekten simpliciter ähnelt, garantiert nicht, dass alle Objekte in der Menge eine Eigenschaft teilen. Beispielsweise ähneln sich ein kleiner, schwarzer Kreis, ein großer, roter Kreis und ein kleines, rotes Quadrat jeweils untereinander. Allerdings teilen diese drei Objekte keine Eigenschaft. Unterscheidet man hingegen Ähnlichkeitshinsichten, lassen sich die Objekte, die eine Eigenschaft teilen, problemlos herausgreifen.Footnote 14

Definition (EA) verlangt nicht, dass sich zwei Objekte, die eine Eigenschaft teilen, in einer Hinsicht exakt oder perfekt ähneln müssen. Zwei rote Objekte können sich in ihrer Farbe beispielsweise durchaus unterscheiden, indem sie unterschiedliche rot-Töne haben. Dennoch können wir davon sprechen, dass sie die Eigenschaft teilen, rot zu sein. Auch nicht-perfekte Ähnlichkeiten zwischen Objekten können also die Rede vom Teilen einer Eigenschaft rechtfertigen.Footnote 15

Diese mit (EA) verbundenen Festsetzungen haben Konsequenzen für die Formulierung des nicht-reduktiven Physikalismus, die insbesondere im Zusammenhang mit der Realismus-These und der These der multiplen Realisierung relevant werden. Abgesehen von diesen Festsetzungen hinsichtlich des Eigenschaftsbegriff werde ich im Folgenden neutral gegenüber verschiedenen Theorien über die Metaphysik von Eigenschaften bleiben: Insbesondere ist es nicht nötig, sich auf eine universalienrealistische, tropentheoretische oder streng nominalistische Eigenschaftstheorie festzulegen. Insofern solche Theorien die Rede von Ähnlichkeitshinsichten rekonstruieren können, lassen sich auch die in dieser Arbeit diskutierten Probleme und Positionen formulieren.

2.2.2 Ereignisse

Der zweite grundlegende ontologische Begriff, der für die Formulierung des Physikalismus und des Vorwurfs des Epiphänomenalismus eine zentrale Rolle spielt, ist der Begriff ‚Ereignis‘. Ich stelle im Folgenden zwei einflussreiche Explikationen dieses Begriffes vor.

Donald Davidson versteht Ereignisse als „unrepeatable, dated individuals“Footnote 16: Jedes Ereignis tritt genau einmal, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort, auf. Ereignisse wiederholen sich nicht und sie sind raumzeitlich lokalisiert. Die raumzeitliche Lokalisierung sorgt zugleich für Identitätskriterien für Ereignisse: ‚Zwei‘ Ereignisse sind genau dann identisch, wenn sie am selben Ort und zur selben Zeit stattfinden.Footnote 17

Ein Ereignis kann zahlreiche unterschiedliche Eigenschaften haben. Beispielsweise kann das Ereignis, auf das mit dem singulären Term ‚Thomas‘ Lauf am Rhein‘ referiert wird, die Eigenschaften haben, von Thomas ausgeführt worden zu sein, ein Lauf zu sein, 40 Minuten lang zu dauern und 10 km lang zu sein. Dieses Merkmal von Davidsons Ereignisbegriff ist relevant für die Formulierung des Physikalismus, da hierdurch die Möglichkeit entsteht, dass ein und dasselbe Ereignis sowohl physische als auch nicht-physische Eigenschaften hat.

Jaegwon Kim schlägt einen anderen Ereignisbegriff vor: Er versteht unter Ereignissen „exemplifications by substances of properties at a time“Footnote 18. Ein Ereignis besteht darin, dass ein bestimmtes Objekt zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Eigenschaft instantiiert. Thomas‘ Lauf z. B. könnte durch das Objekt Thomas, die Eigenschaft Laufend und die Zeit 9–9:40 Uhr konstituiert sein. Kim würde das Ereignis dann in seiner Notation mit [Thomas, Laufend, 9–9:40 Uhr] bezeichnen. Allgemein werden Ereignisse in Kims Notation folgendermaßen bezeichnet: [o, E, t], wobei ‚o‘ für ein (für das Ereignis konstitutives) Objekt steht, ‚E‘ für eine konstitutive Eigenschaft und ‚t‘ für einen konstitutiven Zeitpunkt oder ein Zeitintervall.

Kim gibt folgende Existenzbedingung für Ereignisse an: Das Ereignis [o, E, t] existiert genau dann (oder findet genau dann statt), wenn das Objekt o zu Zeit t die Eigenschaft E instantiiert. Zudem gibt er eine Identitätsbedingung für Ereignisse an: Die Ereignisse [o, E, t] und [o‘, E‘, t ‘ ] sind genau dann identisch, wenn o und o‘ identisch sind, E und E‘ identisch sind und t und t‘ identisch sind.

Ebenso wie bei Davidson sind auch bei Kim Ereignisse nicht wiederholbar und raumzeitlich lokalisiert. Das liegt ganz einfach daran, dass sie unter anderem durch eine Zeit und ein Objekt bestimmt sind. Geht man davon aus, dass die konstitutive Zeit eines Ereignisses nicht wiederholbar ist, so ist auch das Ereignis nicht wiederholbar. Die räumliche Lokalisierung eines Ereignisses ist durch die räumliche Lokalisierung seines konstitutiven Objekts garantiert.

Anders als bei Davidson setzen die Identitätskriterien von Ereignissen bei Kim jedoch voraus, dass die konstitutiven Eigenschaften der ‚beiden‘ identischen Ereignisse ebenfalls identisch sind. Es ergeben sich daher eine ganze Reihe von unterschiedlichen Kim-Ereignissen, die am selben Ort und zur selben Zeit stattfinden. Thomas‘ Lauf, Thomas 12 km/h-Lauf, Thomas‘ Rhein-Lauf usw. können bei Kim als distinkte Ereignisse gezählt werden, da sie distinkte konstitutive Eigenschaften haben. Bei Davidson hingegen haben wir es hier mit nur einem – raumzeitlich individuierten – Ereignis zu tun. Dieser Unterschied wird oft durch eine Unterscheidung zwischen enger und weiter Individuation von Ereignissen eingefangen: Davidson verwendet eine weite Individuation von Ereignissen und zählt weniger Ereignisse, während Kim eine enge Individuation von Ereignissen verwendet und mehr Ereignisse zählt.Footnote 19

Ich werde mich im Folgenden Kims Auffassung von Ereignissen anschließen. Wenn ich also schlichtweg von Ereignissen rede, meine ich Ereignisse im Sinne Kims. Auch in diesem Fall aber gibt es Stellen, an denen der Wechsel zur Rede von Ereignissen im Sinne Davidsons systematische Konsequenzen hat. Besonders in den Abschnitten 2.6.1. und 2.6.2. gehe ich hierauf noch einmal ein.

Der Zusammenhang zwischen Eigenschaften und Ereignissen, der sich aus Kims Konzeption von Ereignissen ergibt, erlaubt auch einen einfachen Begriffswechsel in Teil 3 und Teil 4 dieser Arbeit. Da es in diesen Teilen darum geht, in welche Kausalverhältnisse mentale/spezialwissenschaftliche Entitäten eintreten und die Relata der Kausalrelation typischerweise als Ereignisse aufgefasst werden, ist dort meist die Rede von Ereignissen und nicht mehr von Eigenschaften. Die Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus, die hier in Bezug auf Eigenschaften formuliert werden, übertragen sich jedoch unter Voraussetzung von Kims Konzeption sämtlich auf Ereignisse. Wenn spärliche mentale Eigenschaften existieren, dann existieren auch spärliche mentale Ereignisse (Realismus): Es handelt sich dann um solche Ereignisse, deren konstitutive Eigenschaft spärlich ist. Wenn mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaften multipel realisiert sind, kann man auch sagen, dass die zugehörigen mentalen Ereignisse multipel realisiert sind (Multiple Realisierung). Wenn mentale Eigenschaften nicht mit physischen Eigenschaften identisch sind, dann sind auch die zugehörigen mentalen Ereignisse nicht mit physischen Ereignissen identisch (Nicht-Identität). Und wenn mentale Eigenschaften von physischen Eigenschaften ontologisch abhängen, dann hängen auch die zugehörigen mentalen Ereignisse von physischen Ereignissen ontologisch ab (Ontologische Abhängigkeit).Footnote 20

2.3 Physische Eigenschaften

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen physischen und mentalen oder spezialwissenschaftlichen Eigenschaften gewinnt erst vor dem Hintergrund einer Charakterisierung physischer Eigenschaften Gehalt. Auch die These des nicht-reduktiven Physikalismus ist daher auf ein vorläufiges Verständnis physischer Eigenschaften angewiesen. Schließlich wird durch eine Charakterisierung physischer Eigenschaften erst festgelegt, von welcher Art Eigenschaften mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften ontologisch abhängig sein sollen.Footnote 21

Die Charakterisierung physischer Eigenschaften wirft jedoch einige Probleme auf, die in den folgenden Abschnitten diskutiert werden sollen. Hierfür führe ich zunächst zwei grundsätzliche Unterscheidungen ein: Eine Unterscheidung zwischen einem primären und einem sekundären Sinn physischer Eigenschaften (Abschnitt 2.3.1) und eine Unterscheidung zwischen einem engen und einem weiten Sinn physischer Eigenschaften (Abschnitt 2.3.2). Daraufhin gehe ich auf objektbasierte, theoriebasierte und negative Konzeptionen physischer Eigenschaften ein (Abschnitt 2.3.3) und diskutiere ein Problem für theoriebasierte Konzeptionen (Abschnitte 2.3.4 und 2.3.5).

2.3.1 Der primäre und der sekundäre Sinn physischer Eigenschaften

Die Auszeichnung einer Eigenschaft als physisch im primären Sinne bedeutet zunächst, dass die entsprechende Eigenschaft eine (noch zu spezifizierende) Bedingung erfüllt, die zum Beispiel in einer bestimmten Beziehung zu physischen Objekten, zu physikalischen Theorien oder in einer Abgrenzung zu mentalen Eigenschaften bestehen kann. Für den nicht-reduktiven Physikalismus wird auf diese Weise die Klasse der Eigenschaften herausgegriffen, die als ontologische Basis für alle weiteren Eigenschaften dienen sollen. Laut dem nicht-reduktiven Physikalismus sind physische Eigenschaften im primären Sinne also Eigenschaften, die eine bestimmte Bedingung erfüllen und die als ontologische Basis aller weiteren Eigenschaften dienen.

Neben diesem primären Sinn physischer Eigenschaften finden sich in der Literatur häufig Verwendungsweisen, die den Begriff des Physischen auch auf solche Eigenschaften ausweiten, die in einer hinreichend starken Beziehung ontologischer Abhängigkeit zu primär physischen Eigenschaften stehen.Footnote 22 Eine solche Verwendungsweise finden wir etwa in der folgenden Passage bei Frank Jackson:

It is undeniable that the physical, chemical and biological sciences have provided a great deal of information about the world we live in and about ourselves. I will use the label ‚physical information‘ for this kind of information, and also for information that automatically comes along with it.Footnote 23

Jackson deutet hier zunächst eine Bedingung an physische EigenschaftenFootnote 24 an, die diese durch ihr Vorkommen in bestimmten wissenschaftlichen Theorien bestimmt. Dann weitet er den Begriff auf Eigenschaften aus, die automatisch mit Eigenschaften einhergehen, die diese Bedingung erfüllen. Manche Eigenschaften gewinnen ihren Status als physische Eigenschaften demzufolge dadurch, dass sie in einer bestimmten Beziehung zu primär physischen Eigenschaften stehen. Solche Eigenschaften sind zwar nicht (unbedingt) mit primär physischen Eigenschaften identisch, können aber dennoch in einem abgeleiteten Sinn als ‚physisch‘ bezeichnet werden. Es ergibt sich so ein weiterer Begriff von ‚physisch‘, der nicht nur auf primär physische Eigenschaften zutrifft, sondern auch auf solche Eigenschaften, die in einer geeigneten Beziehung zu primär physischen Eigenschaften stehen. Ich spreche in diesem Zusammenhang von sekundär physischen Eigenschaften.

Diese Unterscheidung zwischen primär und sekundär physischen Eigenschaften kann auf unterschiedliche Weise spezifiziert werden. Hier hängt alles davon ab, welche Beziehungen zu primär physischen Eigenschaften eine Eigenschaft als sekundär physisch auszeichnen. Typischerweise wird hier genau jene Beziehung ontologischer Abhängigkeit herangezogen, die nicht-reduktive Physikalist*innen für sich beanspruchen. Eine Eigenschaft ist demnach sekundär physisch, wenn sie entweder primär physisch ist oder in der Beziehung der starken ontologischen Abhängigkeit zu primär physischen Eigenschaften steht.Footnote 25

Reduktive und nicht-reduktive Physikalist*innen sind sich dann darin einig, dass alle Eigenschaften – inklusive mentaler Eigenschaften – sekundär physisch sind. Denn die im nicht-reduktiven Physikalismus vertretene Kombination aus der These der Nicht-Identität und der These der ontologischen Abhängigkeit lässt sich nur unter der Annahme plausibilisieren, dass in beiden Thesen der primäre Sinn physischer Eigenschaften ausschlaggebend ist: Tatsächlich folgt aus der These der ontologischen Abhängigkeit, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften mit sekundär physischen Eigenschaften identisch sind. Die These der Nicht-Identität muss daher in jedem Falle so verstanden werden, dass sie sich auf primär physische Eigenschaften bezieht.

Der sekundäre Sinn physischer Eigenschaften ist daher in Kontexten, in denen es um eine Abgrenzung zwischen reduktivem und nicht-reduktivem Physikalismus geht, eher wenig hilfreich. Reduktive und nicht-reduktive Physikalist*innen sind sich darin einig, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sekundär physisch sind. Ihre Differenz ergibt sich aus der Frage, ob mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften primär physisch sind. Stattdessen sollte die Verwendung des Begriffs sekundär physischer Eigenschaften in der Regel auf Kontexte beschränkt werden, in denen es um die Gegenüberstellung von physikalistischen und nicht-physikalistischen Positionen geht.

Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, den Begriff des Physischen auf primär physische Eigenschaften zu beschränken. Wenn ich im Folgenden also ohne Qualifikation von ‚physischen Eigenschaften‘ spreche, meine ich damit immer primär physische Eigenschaften.

2.3.2 Physischeng und physischweit

Der Begriff der sekundär physischen Eigenschaften ist weiter als der Begriff der primär physischen Eigenschaften. Manche Autor*innen setzen die Unterscheidung daher gleich mit einer Unterscheidung zwischen physischen Eigenschaften im engen Sinne und physischen Eigenschaften im weiten Sinne.Footnote 26 Eine solche Unterscheidung zwischen mehr oder weniger engen Bestimmungen physischer Eigenschaften lässt sich aber sinnvoll auch hinsichtlich des Begriffs primär physischer Eigenschaften ziehen.

Im obigen Zitat bestimmt Jackson primär physische Eigenschaften unter Bezug auf „die physikalischen, chemischen und biologischen Wissenschaften“Footnote 27 und verwendet damit einen relativ weiten Begriff primär physischer Eigenschaften. In Diskussionen des Problems der mentalen Verursachung werden weiterhin neuronale Eigenschaften häufig als Paradigmen (primär) physischer Eigenschaften angeführt.Footnote 28 Der weite Sinn primär physischer Eigenschaften ist also dadurch ausgezeichnet, dass Eigenschaften, die von den Prädikaten der Physik oder einer ganzen Reihe unterschiedlicher Spezialwissenschaften bezeichnet werden, als primär physisch ausgezeichnet werden. Ein engerer Sinn primär physischer Eigenschaften würde hingegen nur die Eigenschaften, die von Prädikaten physikalischer Theorien bezeichnet werden, als physisch auffassen. Da dieser Unterschied für verschiedene Aspekte der Argumentation dieser Arbeit relevant ist, führe ich die Ausdrücke ‚physischeng‘ und ‚physischweit‘ ein, um der geschilderten Unterscheidung Rechnung zu tragen.

Sollte die Formulierung des nicht-reduktiven Physikalismus also auf einem engen oder einem weiten Sinn physischer Eigenschaften beruhen? Es gibt zumindest zwei Überlegungen, die dafür sprechen, physische Eigenschaften in den Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus als physischeeng Eigenschaften aufzufassen:

Allgemein wird der Physikalismus umso informativer und zugleich gewagter sowie sparsamer, je enger der Begriff primär physischer Eigenschaften gefasst wird.Footnote 29 Da der Physikalismus mit dem Anspruch auftritt, eine sparsame Ontologie zu sein, sollten primär physische Eigenschaften daher möglichst eng bestimmt werden.

Eine weite Bestimmung primär physischer Eigenschaften hat zudem den Nachteil, dass die daraus resultierende Version des Physikalismus die Beziehungen zwischen physischenweit Eigenschaften unterschiedlicher Art offenlässt: Unter Voraussetzung eines weiten Begriffs physischer Eigenschaften macht der Physikalismus beispielsweise keine Aussagen über das Verhältnis zwischen neuronalen und physikalischen Eigenschaften und lässt daher die Möglichkeit offen, dass neuronale Eigenschaften in einem starken Sinne emergent sind gegenüber den Eigenschaften, die Gegenstand physikalischer Theorien sind.

Im nicht-reduktiven Physikalismus steht nicht nur das Verhältnis zwischen mentalen und physischen Eigenschaften zur Debatte, sondern auch das Verhältnis zwischen spezialwissenschaftlichen und physischen Eigenschaften. Der nicht-reduktive Physikalismus enthält daher durchaus auch eine Ablehnung der These, dass neuronale Eigenschaften (als eine Klasse spezialwissenschaftlicher Eigenschaften) nicht emergent gegenüber den Eigenschaften sind, die in physikalischen Theorien behandelt werden. Versteht man die Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus aber so, dass sie sich auf physischeweit Eigenschaften beziehen, wird eine solche These durch den nicht-reduktiven Physikalismus nicht impliziert. Man sollte die Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus daher so verstehen, dass sie sich auf physischeeng Eigenschaften beziehen.

Eine andere Frage ist es, wie eng der Bereich physischereng Eigenschaften aufgefasst werden sollte. Es finden sich in der Literatur gelegentlich Verwendungsweisen des Begriffs physischer Eigenschaften, die den Bereich physischereng Eigenschaften auf mikrophysikalische Eigenschaften beschränken.Footnote 30 Damit würden bereits Eigenschaften wie Härte oder Temperatur als nicht-physischeng klassifiziert werden. Entsprechend könnte der nicht-reduktive Physikalismus, der sich auf eine solche Bestimmung physischereng Eigenschaften bezieht, daran scheitern, dass makroskopische Eigenschaften wie Härte oder Temperatur nicht in einem hinreichend starken Sinne von mikrophysikalischen Eigenschaften ontologisch abhängen. Der nicht-reduktive Physikalismus wäre nach diesem Verständnis nicht nur auf Annahmen über die Beziehung zwischen mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaften und den Eigenschaften, die Gegenstand physikalischer Theorien sind, festgelegt. Er wäre darüber hinaus auch auf Annahmen über die Beziehung zwischen makroskopischen physikalischen Eigenschaften und mikrophysikalischen Eigenschaften festgelegt.

Es scheint jedoch sinnvoll, den nicht-reduktiven Physikalismus von einer Festlegung auf einen Mikrophysikalismus, demzufolge alles letztlich mikrophysikalisch ist, freizuhalten.Footnote 31 Sollte sich demnach herausstellen, dass – wie Andreas Hüttemann argumentiert – makroskopische physikalische Phänomene nicht einseitig durch mikrophysikalische Phänomene determiniert sind, sondern vielmehr eine wechselseitige Abhängigkeit vorliegt, würde dies nicht gegen den Physikalismus sprechen. Stattdessen ist hierdurch nur der Mikrophysikalismus in Zweifel gezogen.

Es ergeben sich so die folgenden Einschränkungen an die Extension des für den nicht-reduktiven Physikalismus ausschlaggebenden Begriffs physischereng Eigenschaften: Physischeeng Eigenschaften sollten so bestimmt werden, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften nicht (per definitionem) als physischeeng Eigenschaften zählen. Zugleich sollten sowohl mikrophysikalische Eigenschaften als auch makroskopische Eigenschaften, die von physikalischen Theorien behandelt werden, als physischeeng Eigenschaften zählen. Diese extensionalen Einschränkungen lassen jedoch noch offen, wie die relevante Klasse von Eigenschaften herausgegriffen werden kann – welche Kriterien eine Eigenschaft also als physisch zählen lassen. Dies ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.

2.3.3 Objektbasierte, theoriebasierte und negative Konzeptionen physischer Eigenschaften

Objektbasierte Konzeptionen physischer Eigenschaften gehen davon aus, dass wir über ein vorgängiges Paradigma von physischen Objekten verfügen: Physische Objekte sind zum Beispiel Tische, Waschmaschinen oder Steine – ‚mittelgroße Exemplare trockener Güter‘Footnote 32. Solche Objekte sind durch eine Reihe paradigmatischer Eigenschaften ausgezeichnet, wie ihre räumliche Ausdehnung, Größe und Form, Beweglichkeit und Festigkeit. Auf der Grundlage dieser Paradigmen von physischen Objekten und ihren Eigenschaften kommt Daniel Stoljar zur folgenden Definition physischer Objekte:

x is a physical object if and only if x has (or has enough of) the following properties: it has size, shape, extension in space, the capacity to move and be moved, the capacity to undergo various processes such as bending, breaking, and burning, and perhaps most importantly it has solidity or bulk – that is, it is intrinsically such that it resists or would resist pressure from other physical objects, for example, pressure from human bodies.Footnote 33

Ausgehend von einem solchen intuitiven Verständnis physischer Objekte könnte man versuchen, zu einer geeigneten Charakterisierung physischer Eigenschaften zu gelangen. Der direkteste Weg würde dabei darin bestehen, einfach all jene Eigenschaften als physisch zu zählen, die von physischen Objekten (oder Teilen physischer Objekte) instantiiert werden:Footnote 34

  • (Ph-O) Eine Eigenschaft P ist genau dann physisch, wenn gilt: P wird von einem physischen Objekt oder einem Teil eines physischen Objekts instantiiert.

Im gegebenen dialektischen Kontext ist dies jedoch keine gute Idee: Auch menschliche Körper haben schließlich die genannten Eigenschaften und sind daher physische Objekte. Zugleich instantiieren sie aber mentale Eigenschaften. Mentale Eigenschaften würden daher per definitionem als physisch zählen, insofern sie von physischen Objekten instantiiert werden. Eine offene Diskussion über das Verhältnis zwischen mentalen und physischen Eigenschaften würde sich damit erübrigen. Insbesondere wäre die für den nicht-reduktiven Physikalismus ausschlaggebende These der Nicht-Identität analytisch falsch.

Negative Konzeptionen physischer Eigenschaften nehmen ihren Ausgang von bestimmten Kontrastklassen: Physische Eigenschaften werden dann rein negativ – das heißt in Abgrenzung zu ihrer Kontrastklasse – bestimmt. Negative Konzeptionen folgen also dem folgenden Schema:

  • (Ph-N) Eine Eigenschaft P ist genau dann physisch, wenn gilt: P ist nicht X.

Die Kontrastklasse X kann dabei auf unterschiedliche Weisen spezifiziert werden. Im gegebenen Kontext ist insbesondere der Kontrast zu mentalen und spezialwissenschaftlichen Eigenschaften relevant. Es bietet sich also zunächst folgende Definition an:

  • (Ph-NM) Eine Eigenschaft P ist genau dann physisch, wenn gilt: P ist nicht mental und nicht spezialwissenschaftlich.

Ein unmittelbares Problem mit dieser Definition besteht darin, dass sie Identitätstheorien begrifflich ausschließt: Mentale Eigenschaften können nicht mit physischen Eigenschaften identisch sein, wenn physische Eigenschaften per definitionem nicht mental sind.Footnote 35 Die These der Nicht-Identität müsste dann nicht – wie im nicht-reduktiven Physikalismus üblich – mit Verweis auf die These der multiplen Realisierung gerechtfertigt werden, sondern wäre analytisch wahr. Dies zeigt, dass (Ph-NM) keine geeignete Begriffsbestimmung physischer Eigenschaften ist.Footnote 36

Eine Modifikation der negativen Bestimmung physischer EigenschaftenFootnote 37, die diesem Problem aus dem Weg geht, ist die folgende:

  • (Ph-NM-M) Eine Eigenschaft P ist genau dann physisch, wenn gilt: P kann durch nicht-mentales und nicht-spezialwissenschaftliches Vokabular bezeichnet werden.

Diese Definition erlaubt die Existenz von Eigenschaften, die sowohl physisch als auch mental sind: Denn ein und dieselbe Eigenschaft kann unter Umständen sowohl durch nicht-mentales als auch durch mentales Vokabular bezeichnet werden. Identitätstheorien werden durch (Ph-NM-M) also nicht begrifflich ausgeschlossen.

Ein anderes Problem mit negativen Konzeptionen physischer Eigenschaften besteht jedoch in einer geeigneten Bestimmung der Kontrastklasse. Erstens ist der Begriff einer physischen Eigenschaft durch eine negative Konzeption physischer Eigenschaften nur so klar bestimmt wie die herangezogene Kontrastklasse. Wenn physische Eigenschaften durch Abgrenzung zu mentalen und spezialwissenschaftlichen Eigenschaften bestimmt werden, sollte der Begriff einer mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaft also angemessen charakterisiert werden. Zweitens setzt die negative Konzeption voraus, dass die Menge aller Eigenschaften erschöpfend in die Kontrastklasse und die Klasse physischer Eigenschaften eingeteilt werden kann. Eventuell gibt es jedoch Eigenschaften, die intuitiv weder der Menge der physischen Eigenschaften noch der Menge der mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaften angehören. In Frage kämen hier etwa mathematische oder semantische Eigenschaften. Entsprechend müsste die Kontrastklasse für die Bestimmung physischer Eigenschaften dann erweitert werden. Es ist jedoch keinesfalls klar, dass man auf diese Weise je zu einer geeigneten Kontrastklasse gerät. Zudem stellt sich die Frage, ob wir auf diese Weise ein aufschlussreiches Kriterium für den Begriff physischer Eigenschaften gewinnen könnten. Eine Auflistung von Eigenschaften, die nicht unter den Begriff einer physischen Eigenschaft fallen, klärt noch nicht darüber auf, warum die verbleibenden Eigenschaften unter den Begriff physischer Eigenschaften fallen. Durch eine erschöpfende Auflistung von Dingen, die keine Bäume sind, habe ich noch keine wirklich aufschlussreiche Bestimmung des Begriffs ‚Baum‘ gegeben.Footnote 38

Der vielversprechendste Ansatz zur Charakterisierung physischer Eigenschaften sind nach meiner Auffassung theoriebasierte Konzeptionen. Theoriebasierte Konzeptionen bestimmen physische Eigenschaften als solche Eigenschaften, die durch Prädikate bestimmter Theorien bezeichnet werden. Diese Idee kann in folgendem Schema festgehalten werden:

  • (Ph-T) Eine Eigenschaft P ist genau dann physisch, wenn gilt: P wird durch ein Prädikat einer Theorie T bezeichnet.

Der Gehalt einer solchen Definition hängt wesentlich davon ab, wie die relevanten Theorien T bestimmt werden. Von welcher Theorie (oder welchen Theorien) sollten wir sagen, dass ihre Prädikate physische Eigenschaften bezeichnen, um einen geeigneten Begriff des Physischen zu erhalten?

Nach dem in Abschnitt 2.3.2 Gesagten ist es naheliegend, sich bei der Bestimmung des Begriffs physischereng Eigenschaften allgemein auf physikalische Theorien zu beziehen, ohne aber bestimmte Theorien innerhalb der Physik gesondert herauszugreifen. Es ergibt sich so die folgende Definition physischereng Eigenschaften:

  • (Pheng-T) Eine Eigenschaft P ist genau dann physischeng, wenn gilt: P wird durch ein Prädikat einer physikalischen Theorie bezeichnet.

Als physikalische Theorie gelten dabei sowohl das Standardmodell der Teilchenphysik und die allgemeine Relativitätstheorie oder ein Ansatz zur Vereinheitlichung dieser Theorien, als auch Theorien der Thermodynamik, der Festkörperphysik oder der Kosmologie. Beziehen sich die Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus also auf so verstandene physischeeng Eigenschaften, vermeiden sie eine Festlegung auf einen Mikrophysikalismus. Da spezialwissenschaftliche Theorien nicht in diese Definition physischereng Eigenschaften mit einbezogen sind, ergibt sich zugleich eine offene und interessante Frage betreffend die Beziehung zwischen spezialwissenschaftlichen und physischeneng Eigenschaften.

Auch der Begriff physischerweit Eigenschaften lässt sich aber theorienbasiert definieren:

  • (Phweit-T) Eine Eigenschaft P ist genau dann physischweit, wenn gilt: P wird durch ein Prädikat einer physikalischen Theorie oder einer spezialwissenschaftlichen (z. B. chemischen, biologischen, neurowissenschaftlichen, usw.) Theorie bezeichnet.Footnote 39

Wie in Abschnitt 2.3.2. schon gesagt, sollte der nicht-reduktive Physikalismus nicht so verstanden werden, dass er sich auf so verstandene physischeweit Eigenschaften bezieht. Denn dies würde dazu führen, dass die These der Nicht-Identität (‚Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind nicht mit physischen Eigenschaften identisch‘) trivialerweise falsch wird. Stattdessen ist der durch die Definition (Pheng-T) gegebene Begriff physischer Eigenschaften ausschlaggebend für den nicht-reduktiven Physikalismus.

Dennoch werde ich auf die Unterscheidung zwischen physischeneng und physischenweit Eigenschaften an der einen oder anderen Stelle dieser Arbeit noch einmal eingehen. Gemeint sind dabei durchgehend die Begriffe, die durch die Definition (Pheng-T) bzw. (Phweit-T) gegeben sind.

2.3.4 Hempels Dilemma

Carl Gustav Hempel schildert in der folgenden Passage ein Problem für theoriebasierte Formulierungen des Physikalismus, das unter dem Namen ‚Hempels Dilemma‘ Einzug in die Debatte gefunden hat:

[T]he physicalistic claim that the language of physics can serve as a unitary language of science is inherently obscure: The language of what physics is meant? Surely not that of, say, 18th century physics; for it contains terms like ‘caloric fluid’, whose use is governed by theoretical assumptions now thought false. Nor can the language of contemporary physics claim the role of unitary language, since it will no doubt undergo further changes, too. The thesis of physicalism would seem to require a language in which a true theory of all physical phenomena can be formulated. But it is quite unclear what is to be understood here by a physical phenomenon, especially in the context of a doctrine that has taken a determinedly linguistic turn.Footnote 40

Hempel formuliert das Problem in dieser Passage nicht mit Blick auf den nicht-reduktiven Physikalismus, sondern mit Blick auf die Idee, dass es eine physikalische Universalsprache gibt, in die sämtliche empirisch gehaltvollen Sätze übersetzt werden können. Entsprechend bezieht sich seine Formulierung des Problems auch nicht auf die Charakterisierung physischer Eigenschaften, sondern auf die Charakterisierung der physikalischen Universalsprache.

Offenbar übertragt sich das Problem aber auf alle theoriebasierten Konzeptionen physischer Eigenschaften: Sollen physische Eigenschaften solche Eigenschaften sein, die durch Prädikate gegenwärtiger physikalischer Theorien bezeichnet werden, oder sollen sie solche Eigenschaften sein, die durch Prädikate einer zukünftigen, idealen physikalischen Theorie bezeichnet werden? Gegenwärtige Theorien kommen laut Hempel nicht in Frage, weil sie wahrscheinlich falsch und unvollständig sind. Zukünftige, ideale Theorien haben hingegen eine bessere Chance auf Wahrheit, sind jedoch bisher unbekannt. In beiden Fällen erhalten wir keine zufriedenstellende Charakterisierung physischer Eigenschaften.Footnote 41 Zur Verdeutlichung gehe ich auf beide Hörner des Dilemmas noch einmal etwas genauer ein:

Das erste Horn des Dilemmas besteht darin, die gegenwärtige Physik als Maßstab für die Bestimmung physischer Eigenschaften zu verwenden. Das Problem, das sich aus dieser Option ergibt, hebt mit der These an, dass die gegenwärtige Physik wahrscheinlich falsch und unvollständig ist. Diese These kann einerseits unter Verweis auf die spezifische Beschaffenheit der gegenwärtigen Physik – beispielsweise ihre Uneinheitlichkeit – gerechtfertigt werden. Andererseits ließe sich das aus der Debatte um den wissenschaftlichen Realismus bekannte Argument der pessimistischen MetainduktionFootnote 42 ins Spiel bringen: Da vergangene physikalische Theorien sich regelmäßig als falsch herausgestellt haben und die gegenwärtige Physik diesen vergangenen Theorien in relevanter Hinsicht ähnelt, wird sich wahrscheinlich auch die gegenwärtige Physik als falsch herausstellen.

Warum kann eine falsche oder unvollständige Physik nicht zu einer angemessenen Bestimmung physischer Eigenschaften führen? Erstens ist die Idee, dass es unentdeckte physische Eigenschaften gibt, nicht inkonsistent oder offenbar absurd. Wenn physische Eigenschaften aber über die gegenwärtige Physik definiert werden, sind solche unentdeckten physischen Eigenschaften begrifflich ausgeschlossen. Zweitens hat die physikalistische Grundthese, dass alle Eigenschaften letztlich physisch sind, unter der Voraussetzung, dass nur die Eigenschaften einer falschen oder unvollständigen Physik als physisch zählen, keine hohe Ausgangsplausibilität. Wenn es unentdeckte physische Eigenschaften gibt, ist davon auszugehen, dass sie auch eine unverzichtbare Rolle in der ontologischen Basis für alle weiteren Eigenschaften spielen. Zudem wären die unentdeckten physischen Eigenschaften nach der nun vorausgesetzten Konzeption physischer Eigenschaften selbst nicht physisch. Auch wären sie vermutlich nicht sekundär physisch im Sinne einer hinreichend starken ontologischen Abhängigkeit von primär physischen Eigenschaften. Der Physikalismus wäre unter Voraussetzung dieser Konzeption physischer Eigenschaften also selbst wahrscheinlich falsch. Zudem wäre er aus den falschen Gründen falsch: Wenn eine konservative Erweiterung der gegenwärtigen Physik die ontologische Basis für alle weiteren Eigenschaften vollständig charakterisieren würde, wäre der Physikalismus nach allgemeinem Verständnis wahr. Die aus der gegenwärtigen Theorien-Konzeption resultierende Version des Physikalismus wäre aber falsch. Die gegenwärtige Theorien-Konzeption würde also außerdem zu einer Formulierung des Physikalismus führen, die den etablierten Sprachgebrauch des Ausdrucks ‚Physikalismus‘ nicht korrekt einfängt.Footnote 43

Das zweite Horn des Dilemmas besteht darin, eine zukünftige, ideale Physik als Maßstab für die Bestimmung physischer Eigenschaften heranzuziehen. Aus dieser Option ergeben sich zwei Probleme: Erstens ist der Gehalt einer idealen Physik unbestimmt und bestenfalls Gegenstand wilder Spekulation. Diese Unbestimmtheit überträgt sich auf den Begriff physischer Eigenschaften und auf die resultierende Formulierung des Physikalismus. Der Physikalismus wird so zu einer völlig unklaren Position. Zweitens wird die These vertreten, dass eine ideale Physik als eine ‚theory of everything‘ ihrer Natur nach sämtliche Eigenschaften, die zu einer vollkommenen Erklärung aller Phänomene notwendig sind, integrieren würde.Footnote 44 Wenn die physikalistische Grundthese, dass alle Eigenschaften letztlich physisch sind, also bei konservativen Erweiterungen der gegenwärtigen Physik nicht plausibel wird, werden die widerspenstigen, zum Beispiel mentalen, Eigenschaften dieser Auffassung zufolge schlicht in die ideale Physik integriert. Sie würden dann selbst als physisch zählen. Diese Überlegung legt nahe, dass der Physikalismus unter einer Konzeption physischer Eigenschaften, die sich auf eine ideale Physik beruft, zu einer trivialen Position wird.Footnote 45

Zusammenfassend kann also die gegenwärtige Physik nicht als Grundlage einer Konzeption physischer Eigenschaften dienen, weil die daraus resultierende Formulierung des Physikalismus wahrscheinlich falsch wäre und zudem nicht mit dem etablierten Sprachgebrauch des Physikalismus-Begriffs übereinstimmen würde. Die ideale Physik kann hingegen nicht als Grundlage für eine Konzeption physischer Eigenschaften herhalten, weil der Physikalismus so zu einer völlig unklaren oder trivialen These werden würde.

2.3.5 Wege aus Hempels Dilemma

Hempels Dilemma scheint zunächst ein ernstzunehmendes Problem für theoriebasierte Konzeptionen physischer Eigenschaften darzustellen. Dennoch lassen sich einige Überlegungen anstellen, die das Problem zumindest abschwächen:

Zunächst einmal beruht Hempels Dilemma auf einer falschen Dichotomie: Physische Eigenschaften müssen nicht entweder unter Bezug auf gegenwärtige oder in Bezug auf ideale Theorien bestimmt werden. Stattdessen ist es auch möglich, von einer allgemeinen Charakterisierung physikalischer Theorien auszugehen, die sowohl die gegenwärtige Physik als auch bestimmte ihrer Vorgänger und Nachfolger sowie zukünftige ideale Theorien als physikalische Theorien zählt. Dies ist ohnehin wünschenswert, da der Physikalismus begrifflich nicht auf eine detaillierte Konzeption physischer Eigenschaften, die sich an einer bestimmten physikalischen Theorie orientiert, festgelegt zu sein scheint: So sollte eine Welt, in der sämtliche Phänomene erschöpfend durch die Newton’sche Physik erklärt werden können, ebenso als physikalistisch zählen, wie eine Welt, in der die gegenwärtige Physik eine erschöpfende Erklärung sämtlicher Phänomene ermöglicht. Die Newton’sche Welt würde aber weder bei einer gegenwärtigen Theorienkonzeption noch bei einer idealen Theorienkonzeption als physikalistisch zählen. Dementsprechend sind beide Konzeptionen letztlich nicht angemessen.Footnote 46

Das Problem besteht also weniger in der Entscheidung zwischen gegenwärtiger oder idealer Physik, als vielmehr in der Frage, was genau im Allgemeinen eine physikalische Theorie ausmacht. Der Begriff einer physischen Eigenschaft sollte an keine spezifische, detailliert ausgearbeitete physikalische Theorie definitorisch gebunden werden. Die Wahrheit des Physikalismus steht und fällt nicht mit der Wahrheit einer bestimmten physikalischen Theorie. Der ausschlaggebende Sinn physischer Eigenschaften sollte entsprechend neutral gegenüber spezifischen physikalischen Theorien sein.

Das zweite Horn von Hempels Dilemma verweist jedoch bereits darauf, dass die Bestimmung des Begriffs einer physikalischen Theorie eine Herausforderung ist: Der Begriff darf nicht unbestimmt gelassen werden und er darf nicht so liberal bestimmt werden, dass eine Theorie, die unerklärte mentale Eigenschaften postuliert, als physikalisch zählt.

Allerdings scheint die Situation nicht so aussichtslos zu sein, wie es in Hempels Dilemma suggeriert wird: So kann eine Bestimmung des Begriffs einer physikalischen Theorie zumindest von den folgenden drei Ressourcen zehren: Erstens kennen wir paradigmatische Beispiele physikalischer Theorien, wie Newtons Mechanik, die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik. Physikalische Theorien sollten diesen paradigmatischen Beispielen ähneln.Footnote 47 Zweitens müssen physikalische Theorien allgemeine Standards der Wissenschaftlichkeit erfüllen: Sie sind empirisch prüfbar und zu einem gewissen Grade bestätigt, sie erklären empirische Phänomene auf der Grundlage von Gesetzen und sie postulieren theoretische Entitäten. Diese Eigenschaften teilt die gegenwärtige Physik sowohl mit Newtons Mechanik als auch mit ihren hypothetischen Nachfolgern.Footnote 48 Drittens können Überlegungen zum spezifischen Gegenstandsbereich der Physik hinzutreten: So bestimmt etwa Daniel Stoljar physikalische Theorien als „a theory that a scientist advances in the course of trying to explain or describe ordinary physical objects, their distinctive properties, their constitution and behavior, and so on“.Footnote 49 Hier wäre die Idee also, physikalische Theorien über ihre Rückbindung an die Erklärung des Verhaltens makroskopischer Objekte (wie Steine, Tische, Waschmaschinen oder Planeten) zu charakterisieren. Auf Grundlage dieser Ansatzpunkte ist zumindest eine Einschränkung des Begriffs einer physikalischen Theorie und somit eine Abschwächung von Hempels Dilemma möglich.

Trotz der verbleibenden Unschärfe hinsichtlich des Begriffs physischer Eigenschaften schließe ich mich im Folgenden der theoriebasierten Konzeption physischer Eigenschaften an. Der ausschlaggebende Sinn physischer Eigenschaften ist also durch die unter 2.3.3. formulierten Definitionen physischereng Eigenschaften gegeben.

2.4 Die nicht-reduktiven Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus

In Abschnitt 2.1.4. habe ich die nicht-reduktiven Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus wie folgt bestimmt:

  • Realismus: Der Realismus in Bezug auf mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen und Eigenschaften ist wahr.

  • Nicht-Identität: Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind nicht mit physischen Eigenschaften identisch.

  • Multiple Realisierung: Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind auf physischer Ebene multipel realisiert.

Diese drei Thesen sind wechselseitig voneinander abhängig und sollten als Paket verstanden werden. Genauer gesagt ist der Realismus in Bezug auf mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften Voraussetzung für die Thesen der Nicht-Identität und der multiplen Realisierung. Zudem stützt die These der multiplen Realisierung die These der Nicht-Identität.

Ziel dieses Abschnitts ist es, die genannten Kernthesen und ihre Beziehung zueinander genauer zu erläutern. Im Folgenden gehe ich unter 2.4.1. zunächst auf die genauere Interpretation der These des Realismus ein, bevor ich mich unter 2.4.2. der These der Nicht-Identität und unter 2.4.3. der These der multiplen Realisierung widme.

2.4.1 Realismus

Im Folgenden unterscheide ich eine Reihe von zusammenhängenden Thesen, die häufig mit realistischen Positionen in Bezug auf mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften in Verbindung gebracht werden. Diese Thesen können in drei Familien zergliedert werden: Semantische Thesen, epistemische Thesen und ontologische Thesen.Footnote 50 Ich gehe auf die drei Gruppen in der Reihenfolge ein.

Zu semantischen Thesen:

Die semantischen Thesen des Realismus betreffen die Interpretation von mentalem und spezialwissenschaftlichem Diskurs. Wir können sie hier als Thesen über semantische Eigenschaften von mentalen und spezialwissenschaftlichen Aussagen verstehen. Die grundlegendste semantische These ist erst einmal, dass solche Aussagen überhaupt wahrheitswertfähig sind: Aussagen wie ‚Susi glaubt, dass Paris in Frankreich ist‘ sind wahr oder falsch. Zweitens wird dabei ein im weitesten Sinne korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff vorausgesetzt: Die Wahrheit oder Falschheit einer mentalen Aussage misst sich zumindest teilweise an der Beschaffenheit der Welt, nicht aber allein an der Bedeutung der Bestandteile der Aussage, an Konsens in einem idealen Diskurs, an der Kohärenz eines einbettenden Begriffssystems, oder an ihrer Nützlichkeit. Diese beiden Thesen verstehe ich als die minimalen Thesen eines semantischen Realismus: Mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen sind wahrheitswertfähig und ihre Wahrheitswerte ergeben sich aus der Beschaffenheit der Welt.

Die Verpflichtung auf einen im weitesten Sinne korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff lässt das genauere Verhältnis zwischen wahren Aussagen und den wahrmachenden Elementen der Welt weitgehend offen. Wenn man hier präziser werden will, eröffnen sich zumindest die folgenden beiden theoretischen Optionen:

Zum einen könnte man vertreten, dass die Wahrheit mentaler Aussagen kaum spezifischere Aussagen über die Beschaffenheit der Welt zulässt. Man könnte dann zum Beispiel aus der Aussage ‚Susi glaubt, dass Paris in Frankreich ist‘ nicht folgern, dass es eine (spärliche) mentale Eigenschaft von Susi gibt, die darin besteht, zu glauben, dass Paris in Frankreich ist, und die Susi mit anderen Personen mit derselben Überzeugung teilt. Aus der Aussage ‚Susi und Peter glauben beide, dass Paris in Frankreich ist‘ würde nicht folgen, dass es eine genuine Gemeinsamkeit zwischen Susi und Peter gibt. Stattdessen könnte die Aussage aufgrund von ganz unterschiedlichen (physischeneng) Eigenschaften von Susi und Peter wahr sein. Zwar werden die Aussagen dann durch bestimmte Elemente der Welt wahrgemacht, die Beziehung zwischen den wahrmachenden Elementen der Welt und dem (intuitiven) Gehalt der Aussagen ist aber eher lose und undurchsichtig.Footnote 51

Zum anderen könnte man eine engere Verbindung zwischen mentalen Aussagen und den sie wahrmachenden Elementen der Welt verlangen. Aus der Aussage ‚Susi und Peter glauben beide, dass Paris in Frankreich ist‘ folgt dann nicht bloß, dass es irgendein wahrmachendes Element in der Welt gibt, sondern es folgt auch, dass es eine spärliche mentale Eigenschaft gibt, die Susi und Peter teilen. Der mentale Diskurs ist dann gewissermaßen näher an der Beschaffenheit der Welt, zugleich aber weniger ontologisch neutral.

Die Kombination der minimalen Thesen des semantischen Realismus mit der ersten soeben skizzierten Konzeption kann als schwacher semantischer Realismus bezeichnet werden: Mentale Aussagen sind in einem korrespondenztheoretischen Sinne wahr, wobei sie aber keine spezifischeren Schlüsse auf die Beschaffenheit ihrer Wahrmacher zulassen. Die Kombination der minimalen Thesen mit der zweiten Konzeption kann als starker semantischer Realismus gelten: Mentale Aussagen sind in einem korrespondenztheoretischen Sinne wahr, wobei ihre Wahrheit oder Falschheit auch von der Existenz mentaler Entitäten wie insbesondere spärlicher mentaler Eigenschaften abhängt.

Zu epistemischen Thesen:

Die epistemischen Thesen des Realismus betreffen die Erkennbarkeit von mentalen und spezialwissenschaftlichen Wahrheiten. Hier lautet die zentrale Frage: Können wir erkennen, ob mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen wahr oder falsch sind? Auch hier lässt sich zunächst einmal eine anspruchslose epistemische These aufstellen: Mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen sind prinzipiell als wahr oder falsch erkennbar. Diese minimale epistemische These ist nicht sehr kontrovers und wird allenfalls von radikalen Skeptizist*innen bestritten. Es ist zu beachten, dass diese These auch einen minimalen semantischen Realismus voraussetzt, demzufolge mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen wahrheitswertfähig sind. Da diese Version des epistemischen Realismus jedoch nicht zwangsläufig mit einer Festlegung auf einen im weiten Sinn korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff einhergeht, wird hierdurch weder ein schwacher noch ein starker semantischer Realismus impliziert.Footnote 52

Zweitens kann aber die deutlich stärkere These aufgestellt werden, dass viele mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen, die wir tatsächlich aufstellen, als Wissen gelten können. Da Wissen Wahrheit impliziert, würde aus dieser These zugleich folgen, dass viele mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen wahr sind. Auch diese These ist (nicht nur von nicht-reduktiven Physikalist*innen) weitgehend akzeptiert. Tatsächlich kann die Annahme der Wahrheit vieler mentaler und spezialwissenschaftlicher Aussagen als gemeinsamer Ausgangspunkt der Debatte zwischen reduktiven und nicht-reduktiven Physikalist*innen aufgefasst werden, der sie insbesondere von eliminativen Physikalist*innen unterscheidet.Footnote 53

Zu ontologischen Thesen:

Die ontologischen Thesen des Realismus betreffen die Existenz von mentalen und spezialwissenschaftlichen Entitäten. Die minimale ontologische These ist dabei die folgende, simple Existenzthese: Es gibt mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften. Mit dem Realismus wird zweitens traditionell eine Unabhängigkeitsthese verbunden: Die Existenz mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften ist geist- und sprachunabhängig.

Auch die Existenzthese kann eine recht anspruchslose und wenig kontroverse Deutung erfahren: Wenn Eigenschaften im Sinne von üppigen Eigenschaften (siehe Abschnitt 2.2.1) verstanden werden, lassen sich recht leicht auch solche Eigenschaften finden, die alle Personen, die glauben, dass Paris in Frankreich ist, ‚teilen‘: Wenn etwa jeder beliebigen Menge von Objekten eine Eigenschaft entspricht, folgt recht unmittelbar, dass es eine solche Eigenschaft gibt – denn dafür muss man nur eine entsprechende Menge finden. Zugleich müssen sich jedoch Objekte, die eine üppige Eigenschaft teilen, nicht wirklich in irgendeiner Hinsicht ähneln. Die These, dass es mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften gibt, wird daher in aller Regel anspruchsvoller gedeutet: Es gibt mentale und spezialwissenschaftliche spärliche Eigenschaften.Footnote 54 Mit dieser These ist nun verbunden, dass die Welt echte Ähnlichkeiten zwischen Objekten in mentalen und spezialwissenschaftlichen Hinsichten enthält.

Mit der Existenzthese ist jedoch nicht verbunden, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften auch fundamental sind. Eine Möglichkeit, den Begriff der Fundamentalität zu explizieren, verweist auf ontologische Abhängigkeitsbeziehungen der Art, die in Abschnitt 2.5. dieses Kapitels behandelt wird. Fundamentale Eigenschaften können dann als Eigenschaften aufgefasst werden, die von keinen anderen Eigenschaften ontologisch abhängig sind.Footnote 55 Für nicht-reduktive Physikalist*innen ist es zentral, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften gerade nicht in diesem Sinne fundamental sind und dass sie dennoch mit echten Ähnlichkeiten in der Natur einhergehen. Es gibt laut nicht-reduktiven Physikalist*innen also nicht-fundamentale spärliche Eigenschaften.Footnote 56

Die Unabhängigkeitsthese lässt in ihrer Anwendung auf mentale Eigenschaften eine Schwierigkeit entstehen: Mentale Eigenschaften sind in einem trivialen Sinne geistabhängig, da sie selbst den ‚Geist‘ konstituieren. Die Idee, die hier jedoch eingefangen werden soll und die auch in Bezug auf mentale Eigenschaften ihre Anwendung findet, ist die folgende: Mentale Eigenschaften verdanken ihre Existenz nicht dem Umstand, dass sie selbst mental repräsentiert werden und sie verdanken ihre Beschaffenheit nicht der Art und Weise, wie sie repräsentiert werden.Footnote 57 Zwar können mentale Eigenschaften selbst noch einmal Gegenstand mentaler Repräsentation sein. Sie sind dies jedoch nicht wesentlich und ihre Beschaffenheit ist (zumindest teilweise) unabhängig davon, ob sie repräsentiert werden: Susi kann auch glauben, dass Paris in Frankreich ist, wenn sie es niemandem erzählt und die Überzeugung selbst nicht reflektiert. Zumindest in diesem Sinne soll gelten: „minds are what they are independently of how we take them to be“.Footnote 58

Der nicht-reduktive Physikalismus ist zu einem guten Stück durch einen robusten mentalen und spezialwissenschaftlichen Realismus motiviert. Hierzu gehört nach meiner Auffassung zusammenfassend eine Festlegung auf die jeweils stärksten Versionen der soeben skizzierten realistischen Thesen:

  • Starker Semantischer Realismus: Mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen sind in einem korrespondenztheoretischen Sinne wahr, wobei ihre Wahrheit oder Falschheit auch von der Existenz mentaler und spezialwissenschaftlicher Entitäten wie insbesondere spärlicher mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften abhängt.

  • Epistemischer Realismus: Wir haben Wissen über viele mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen. Viele mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen sind wahr.

  • Ontologischer Realismus: Es gibt spärliche mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften, deren Existenz sprach- und geistunabhängig ist.

Aus der Kombination aus semantischem und epistemischem Realismus ergibt sich dabei ein zumindest partielles Argument für den ontologischen Realismus: Denn wenn mentale und spezialwissenschaftliche Aussagen, wie der epistemische Realismus behauptet, zumindest teilweise wahr sind und ihre Wahrheit, wie der semantische Realismus behauptet, Implikationen für die Existenz mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften hat, folgt daraus die Existenz mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften.

2.4.2 Nicht-Identität

Die These der Nicht-Identität ist eine ontologische These über den Zusammenhang zwischen mentalen bzw. spezialwissenschaftlichen Eigenschaften und physischen Eigenschaften. Der ontologische Realismus über mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften wird dabei vorausgesetzt. Entsprechend bezieht sich die These der Nicht-Identität auf spärliche mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften.

Hinsichtlich des Bezugs der These der Nicht-Identität stellt sich eine Frage, die die in Abschnitt 2.3.2. eingeführte Unterscheidung zwischen physischeneng und physischenweit Eigenschaften betrifft. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung lassen sich zwei unterschiedliche Thesen der Nicht-Identität formulieren:

  • Nicht-Identitätweit: Mentale Eigenschaften sind nicht mit physischenweit Eigenschaften identisch.

  • Nicht-Identitäteng: Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind nicht mit physischeneng Eigenschaften identisch.

Beide Thesen werden im Kontext der Kritik und Verteidigung des nicht-reduktiven Physikalismus ausführlich diskutiert. Ausschlaggebend für den nicht-reduktiven Physikalismus ist nach meiner Auffassung jedoch ausschließlich (Nicht-Identitäteng). Dies lässt sich durch die folgende Überlegung rechtfertigen:

Erstens sind insbesondere spezialwissenschaftliche Eigenschaften von vornherein trivialerweise mit physischenweit Eigenschaften identisch, da physischeweit Eigenschaften gerade mit Blick auf die Spezialwissenschaften definiert werden. Nicht-reduktive Physikalist*innen vertreten aber auch in Bezug auf spezialwissenschaftliche Eigenschaften eine These der Nicht-Identität. Daher sollte sich die These der Nicht-Identität, zumindest soweit spezialwissenschaftliche Eigenschaften betroffen sind, auf physischeeng Eigenschaften beziehen.

Diese Überlegung lässt jedoch offen, dass nicht-reduktive Physikalist*innen auch darauf festgelegt sind, dass mentale Eigenschaften nicht mit neurologischen, biologischen oder anderen spezialwissenschaftlichen Eigenschaften identisch sind. Tatsächlich ist dies eine These, die von nicht-reduktiven Physikalist*innen typischerweise vertreten wird. Nach meinem Verständnis ist die Anerkennung dieser These jedoch keine notwendige Bedingung für den nicht-reduktiven Physikalismus. Ausschlaggebend für den nicht-reduktiven Physikalismus ist vielmehr, dass es einerseits überhaupt höherstufige Eigenschaften gibt, die über eine Relation ontologischer Abhängigkeit in eine physikalistische Ontologie integriert werden und dass andererseits auch mentale Eigenschaften in diesem Sinne höherstufig sind. Dies kann jedoch auch dadurch gegeben sein, dass mentale Eigenschaften mit höherstufigen neuronalen Eigenschaften identisch sind, die von physischeneng Eigenschaften ontologisch abhängen.

Eine Position, die mentale Eigenschaften mit höherstufigen neuronalen Eigenschaften identifiziert, die von physischeneng Eigenschaften ontologisch abhängig sind, hat nach meinem Verständnis alle für den nicht-reduktiven Physikalismus wesentlichen Merkmale: Nach einer solchen Position gelten mentale Eigenschaften als höherstufige Eigenschaften, die von physischeneng Eigenschaften ontologisch abhängig sind. Es ergeben sich für eine solche Position daher auch die in Teil 3 dieser Arbeit diskutierten Probleme mit mentaler Verursachung. Die in der Literatur zur Nicht-Identitätsthese größtenteils diskutierte Frage, ob mentale Eigenschaften mit neuronalen Eigenschaften identisch sind, hat daher aus meiner Sicht für sich genommen nicht die hohe Relevanz, die ihr häufig zugeschrieben wird. Eine Lösung des Problems mentaler Verursachung würde aus einer mental-neuronalen Identitätsthese nur folgen, wenn zudem eine Identitätsthese vertreten wird, der zufolge neuronale Eigenschaften mit physischeneng Eigenschaften identisch sind.

Als wie allgemein ist die These der Nicht-Identität zu verstehen? Läuft sie darauf hinaus, dass keine mentale oder spezialwissenschaftliche Eigenschaft mit einer physischeneng Eigenschaft identisch ist? Oder verlangt sie lediglich, dass es mentale oder spezialwissenschaftliche Eigenschaften gibt, die nicht mit physischeneng Eigenschaften identisch sind? Auf welche der folgenden beiden Thesen, die die Quantifikationsstruktur der These der Nicht-Identität explizit machen, ist der nicht-reduktive Physikalismus also festgelegt?

  • (Nicht-Identität – A) Für alle mentalen und spezialwissenschaftlichen Eigenschaften M gilt: Es gibt keine physischeeng Eigenschaft P, so dass gilt: M=P.

  • (Nicht-Identität – E) Es gibt mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften M, so dass gilt: Es gibt keine physischeeng Eigenschaft P, so dass gilt: M=P.

Die These (Nicht-Identität – A) wäre zu stark. Der nicht-reduktive Physikalismus ist nicht schon dann falsch, wenn es eine mentale oder spezialwissenschaftliche Eigenschaft gibt, die nicht multipel realisiert ist und mit einer physischeneng Eigenschaft identifiziert werden kann. Zugleich ist die These (Nicht-Identität – E) schwächer, als das, was nicht-reduktive Physikalist*innen typischerweise behaupten. Denn (Nicht-Identität – E) ist damit kompatibel, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften, die nicht mit physischen Eigenschaften identisch sind, eine seltene Ausnahme darstellen. Der nicht-reduktive Physikalismus ist jedoch zumindest damit verbunden, dass die Nicht-Identität mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften mit physischen Eigenschaften die Regel ist. Bei dieser vagen Bestimmung kann man es ohne Schaden belassen.

2.4.3 Multiple Realisierung

Das für den nicht-reduktiven Physikalismus typische Argument für die These der Nicht-Identität beruht auf der These der multiplen Realisierung. Grob kann dieses Argument aus der multiplen Realisierung wie folgt rekonstruiert werden:

Argument aus der multiplen Realisierung:

  • (MR1) Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind auf physischereng Ebene multipel realisiert.

  • (MR2) Wenn mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften auf physischereng Ebene multipel realisiert sind, dann sind sie nicht mit physischeneng Eigenschaften identisch.

  • (MRK) Also: Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind nicht mit physischeneng Eigenschaften identisch.Footnote 59

Wie sollte die These der multiplen Realisierung verstanden werden, um das Argument aus der multiplen Realisierung zu plausibilisieren?

Die Grundidee der These der multiplen Realisierung illustriert Hilary Putnam in der folgenden, vielzitierten Passage:

Consider what the brain state theorist has to do to make good his claim. He has to specify a physical-chemical state such that any organism (not just a mammal) is in pain if and only if (a) it possesses a brain of a suitable physical-chemical structure; and (b) its brain is in that physical-chemical state. This means that the physical-chemical state in question must be a possible state of a mammalian brain, a reptilian brain, a mollusc’s brain (octopuses are mollusca, and certainly feel pain), etc. At the same time, it must not be a possible (physically possible) state of the brain of any physically possible creature that cannot feel pain. Even if such a state can be found, it must be nomologically certain that it will also be a state of the brain of any extra-terrestrial life that may be found that will be capable of feeling pain before we can even entertain the supposition that it may be pain.Footnote 60

Ausgehend von diesem Zitat lässt sich zunächst eine Unterscheidung zwischen tatsächlicher multipler Realisierung und multipler Realisierbarkeit ziehen. Denn Putnam deutet hier zwei unterschiedliche Beispiele an: Das erste Beispiel betrifft die tatsächliche multiple Realisierung von Schmerz in unterschiedlichen Spezies: Schmerz hat in Menschen eine andere neurologische Grundlage als in Oktopussen. Das zweite Beispiel betrifft die (bloß mögliche) multiple Realisierbarkeit von Schmerz in Menschen und Außerirdischen: Schmerzempfindende Außerirdische mit sehr anderen Nervensystemen sind (nomologisch) möglich.Footnote 61 Es werden durch diese Beispiele also unterschiedliche Thesen gestützt. Das erste Beispiel stützt eine These tatsächlicher multipler Realisierung: Mentale Eigenschaften sind auf neurologischer Ebene in der aktualen Welt auf unterschiedliche Weise realisiert. Das zweite Beispiel stützt eine schwächere These multipler Realisierbarkeit: Mentale Eigenschaften können auf unterschiedliche Weise realisiert sein. Diese zweite These kann auch dann wahr sein, wenn mentale Eigenschaften nicht tatsächlich multipel realisiert sind.

Das Argument aus der multiplen Realisierung kann sich entsprechend einerseits auf tatsächliche multiple Realisierung und andererseits auf bloße multiple Realisierbarkeit beziehen. Bezieht es sich auf tatsächliche multiple Realisierung, sollte die zentrale Prämisse, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften tatsächlich multipel realisiert sind, durch empirische Evidenzen gestützt werden. Bezieht sich das Argument hingegen auf bloße multiple Realisierbarkeit, kann die zentrale Prämisse, dass mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaften multipel realisierbar sind, auch durch Vorstellbarkeitsargumente gestützt werden: Da alternative Realisierungen zumindest vorstellbar sind, sind sie auch möglich.Footnote 62 Eine Prämisse der tatsächlichen multiplen Realisierung erfordert also eine andere Art von Begründung und erlaubt eine andere Art von Kritik als eine Prämisse der multiplen Realisierbarkeit.Footnote 63

Zugleich ist jedoch festzustellen, dass sich sowohl aus einer These der multiplen Realisierung als auch aus einer These der multiplen Realisierbarkeit ein Problem für Eigenschaftsidentitätsbehauptungen ergibt: Natürlich kann Schmerz nicht mit dem Realisierer in Menschen identisch sein, wenn schon in der aktualen Welt alternative Realisierer instantiiert sind. Denn dann ist Schmerz mit keinem Realisierer aktual ko-instantiiert. Aber Schmerz kann auch dann nicht identisch mit einem aktualen Realisierer sein, wenn es mögliche alternative Realisierer in anderen Welten gibt. Denn dann ist Schmerz nicht notwendig mit einem Realisierer ko-instantiiert. Da Eigenschaftsidentität aber notwendige Ko-Instantiierung erfordert, spricht auch dies schon gegen die These, dass Schmerz mit einem Realisierer identisch ist.

Putnams Beispiele betreffen die Beziehung zwischen mentalen Eigenschaften und neurologischen Eigenschaften. Sie stützen also die These, dass mentale Eigenschaften auf neurologischer Ebene multipel realisiert bzw. multipel realisierbar sind. Thesen multipler Realisierung können jedoch auch andere Klassen von Eigenschaften betreffen.

Anknüpfend an ein Beispiel von Jerry FodorFootnote 64 findet sich etwa häufig die These, dass die ökonomische Eigenschaft, ein Austausch von Zahlungsmittel zu sein, auf physischereng Ebene multipel realisiert ist: Sowohl die Übergabe von Bargeld, als auch das Schreiben eines Schecks, die Eingabe einer Pin in ein Kreditkartenleser, oder das Halten eines Smartphones an ein Lesegerät haben aus ökonomischer Sicht die Gemeinsamkeit, ein Austausch von Zahlungsmitteln zu sein. Es ist jedoch wenig plausibel, dass all diese Vorgänge eine relevante physischeeng Gemeinsamkeit haben. Dies legt die These nahe, dass ökonomische Eigenschaften auf physischereng Ebene multipel realisiert sind.

Nach diesem Schema können zahlreiche andere Thesen multipler Realisierung formuliert und verteidigt werden, die zum Beispiel auch biologische oder chemische Eigenschaften betreffen.Footnote 65 Die Thesen setzen dabei immer Eigenschaften, die einer Wissenschaft oder einem Begriffssystem zuzuordnen sind, zu Eigenschaften in Beziehung, die einer anderen Wissenschaft oder einem anderen Begriffssystem zuzuordnen sind. In diesem Sinne ist multiple Realisierung/Realisierbarkeit eine stufenübergreifende Relation.Footnote 66

Für den nicht-reduktiven Physikalismus ist – unter der Voraussetzung, dass sich die These der Nicht-Identität auf physischeeng Eigenschaften bezieht – in erster Linie eine These multipler Realisierung oder Realisierbarkeit ausschlaggebend, die die Beziehung zwischen mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaften und physischeneng Eigenschaften betrifft. Dementsprechend ist die Frage, ob mentale Eigenschaften auf neuronaler Ebene multipel realisiert sind, nach meinem Verständnis nur von abgeleiteter Relevanz für den nicht-reduktiven Physikalismus: Wenn mentale Eigenschaften auf neuronaler Ebene multipel realisiert sind, dann ist zu erwarten, dass sie auch auf physischereng Ebene multipel realisiert sind. Mental-neuronale multiple Realisierung ist also mindestens starke Evidenz für mental-physischeeng multiple Realisierung.Footnote 67 Wenn sie jedoch nicht auf neuronaler Ebene multipel realisiert sind, folgt daraus keinesfalls direkt, dass sie auch auf physischereng Ebene nicht multipel realisiert sind. Für eine solche Folgerung müsste man zusätzlich annehmen, dass die relevanten neuronalen Eigenschaften nicht auf physischereng Ebene multipel realisiert sind.

Nicht-reduktive Physikalist*innen sollten dabei die These vertreten, dass die meisten oder zumindest viele mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften auf physischereng Ebene multipel realisiert sind.Footnote 68 Eine solche allgemeine These multipler Realisierung beruht auf einer großen Anzahl von spezifischeren Thesen. Diese spezifischeren Thesen sind durch die folgende Form ausgezeichnet:

  • (SMR) Eigenschaft F, die der Klasse der mentalen oder der Klasse der spezialwissenschaftlichen Eigenschaft angehört, ist multipel realisiert/realisierbar durch die physischeneng Eigenschaften R1 – Rn.

Wie ist eine solche These multipler Realisierung nun genauer zu verstehen? Wie ist insbesondere das Verhältnis zwischen der realisierten Eigenschaft F und den realisierenden Eigenschaften R1 – Rn genauer zu verstehen?

Naheliegend ist es, die Beziehung zwischen den einzelnen möglichen Realisierern von F und F als die Beziehung der Realisierung aufzufassen.Footnote 69 Wenn F durch R1 – Rn multipel realisiert ist, dann ist F durch R1 realisiert, durch R2 realisiert usw. Es gibt jedoch gute Gründe, die These der multiplen Realisierung nicht mit einer solchen These der Realisierung zu verknüpfen:

Erstens ist die Realisierungsrelation nur eine Option, die für den nicht-reduktiven Physikalismus charakteristische These der ontologischen Abhängigkeit zu explizieren. Grounding und Determination sind zwei Alternativen.Footnote 70 Auch nicht-reduktive Physikalist*innen, die sich nicht darauf festlegen, dass mentale Eigenschaften durch physischeeng Eigenschaften realisiert sind, berufen sich auf die These der multiplen Realisierung. Die These der multiplen Realisierung sollte also neutral gegenüber unterschiedlichen Explikationen der Relation der ontologischen Abhängigkeit sein. Dies legt nahe, die Relation zwischen F und R1 – Rn neutral als die Relation der ontologischen Abhängigkeit zu bestimmen.Footnote 71

Zweitens ist jedoch – wie Thomas PolgerFootnote 72 betont – auch diese Option nicht unproblematisch: Denn die Relation der ontologischen Abhängigkeit ist plausiblerweise eine asymmetrische Relation: Wenn F von R1 ontologisch abhängig ist, dann ist R1 nicht von F ontologisch abhängig. Daher schließt schon die These, dass F von R1 ontologisch abhängig ist, aus, dass F mit R1 identisch ist. Eine Eigenschaft kann nicht in einer asymmetrischen Relation zu sich selbst stehen. Die These der Nicht-Identität würde also aus der isolierten Betrachtung der Beziehung zwischen einem ‚Realisierer‘ und F folgen. In der Konsequenz wäre ein Verweis auf multiple Realisierung im Kontext des Arguments aus der multiplen Realisierung überflüssig. Eine angemessene Interpretation des Arguments aus der multiplen Realisierung sollte hingegen dem Umstand Rechnung tragen, dass erst die multiple Realisierung (und nicht schon die bloße ‚Realisierung‘) von F gegen eine Eigenschaftsidentifikation spricht.

Ein Ausweg besteht darin, die Beziehung zwischen F und R1 – Rn in rein modalen Begrifflichkeiten zu bestimmen. Gehen wir vereinfachend davon aus, dass F nur zwei mögliche Realisierer R1 und R2 hat. Die Beziehung zwischen F und R1 bzw. R2 kann dann durch die folgenden modalen Annahmen charakterisiert werden:

  • (MA1) Notwendig gilt: Wenn R1 instantiiert ist, dann ist F instantiiert.

  • (MA2) Notwendig gilt: Wenn R2 instantiiert ist, dann ist F instantiiert.Footnote 73

Diese Annahmen sind neutral gegenüber der Frage, wie ontologische Abhängigkeit expliziert werden sollte. Auch folgt aus diesen Annahmen für sich genommen noch nicht, dass M nicht mit R1 oder R2 identisch ist: Die These, dass F nicht mit R1 identisch ist, ergibt sich nicht aus einer isolierten Betrachtung von F und R1.

Stattdessen ist es ausschlaggebend für die Konklusion, dass F nicht mit R1 identisch ist, dass es andere Realisierer von F gibt. Denn erst dies etabliert, dass keiner der Realisierer immer dann instantiiert ist, wenn F instantiiert ist. Wenn Schmerz beispielsweise in Oktopussen anders realisiert ist als in Menschen, dann ist Schmerz gelegentlich instantiiert, ohne dass der menschliche Realisierer von Schmerz instantiiert ist. Da Eigenschaftsidentität notwendige Ko-Instantiierung voraussetzt, kann Schmerz also nicht mit dem menschlichen Realisierer identisch sein.

Aus der These, dass F tatsächlich durch R1 und R2 multipel realisiert ist, ergibt sich also der folgende Zusammenhang:

  • (MA3) Es gilt nicht: Wenn F instantiiert ist, dann ist R1 instantiiert.

  • (MA4) Es gilt nicht: Wenn F instantiiert ist, dann ist R2 instantiiert.

Aus der These, dass F durch R1 und R2 multipel realisierbar ist, ergibt sich hingegen der folgende Zusammenhang:

  • (MA5) Es gilt nicht notwendig: Wenn F instantiiert ist, dann ist R1 instantiiert.

  • (MA6) Es gilt nicht notwendig: Wenn F instantiiert ist, dann ist R2 instantiiert.

Man sieht hier noch einmal, dass tatsächliche multiple Realisierung eine stärkere These ist als multiple Realisierbarkeit: Denn (MA3) impliziert (MA5), ohne von (MA5) impliziert zu werden. Zugleich wird noch einmal deutlich, dass schon multiple Realisierbarkeit einen Schluss auf Thesen der Nicht-Identität zulässt: Denn auch aus (MA5) folgt bereits, dass F nicht mit R1 identisch ist.

Aus (MA5) und (MA6) folgt jedoch noch nicht, dass es keine physischeeng Eigenschaft gibt, mit der F identisch ist. Dass F nicht mit ihren Realisierern notwendig ko-instantiiert ist, heißt nicht zwangsläufig, dass F mit keiner physischeneng Eigenschaft notwendig ko-instantiiert ist.Footnote 74

Gehen wir jedoch davon aus, dass jede physischeeng Eigenschaft R, für die notwendig gilt: Wenn R instantiiert ist, dann ist F instantiiert, im relevanten Sinne als Realisierer von F zählt, löst sich dieses Problem auf: Physischeeng Eigenschaften, die keine Realisierer von F sind, kommen dann nicht für eine Identität mit F in Frage, weil sie F nicht necessitieren. Die Realisierer von F kommen hingegen nicht in Frage, weil sie nicht von F necessitiert werden. Unter dieser Voraussetzung folgt aus der oben formulierten These multipler Realisierung (SMR) also weiterhin:

  • (MA7) Es gibt keine physischeeng Eigenschaft P, so dass notwendig gilt: F ist genau dann instantiiert, wenn P instantiiert ist.

Diese These hat nun die unmittelbare Konsequenz, dass F mit keiner physischeneng Eigenschaft identisch ist.

Kommen wir noch kurz zu Einwänden gegen die These der multiplen Realisierung: Thesen multipler Realisierung beruhen – wie deutlich geworden sein sollte – darauf, dass mehrere Objekte dieselbe mentale bzw. spezialwissenschaftliche Eigenschaft instantiieren, ohne aber eine entsprechende physische Eigenschaft zu teilen. Sie enthalten somit sowohl eine Gleichheits- (oder zumindest Ähnlichkeits-)these als auch eine Ungleichheits- (oder Unähnlichkeits-)these: Manche Objekte sind in einer mentalen oder spezialwissenschaftlichen Hinsicht gleich oder ähnlich, ohne in einer physischen Hinsicht gleich oder ähnlich zu sein. Beide Elemente von Thesen der multiplen Realisierung können angegriffen werden: Es kann erstens bezweifelt werden, dass eine mentale bzw. spezialwissenschaftliche Gleichheit oder Ähnlichkeit vorliegt und es kann zweitens bezweifelt werden, dass es keine zugehörige physische Gleichheit oder Ähnlichkeit gibt.Footnote 75

Beide Strategien lassen sich am besten anhand von spezifischen Thesen multipler Realisierung veranschaulichen. Nehmen wir in Anlehnung an das Putnam-Zitat die folgende These der multiplen Realisierung als Ausgangspunkt:

  • Multiple Realisierung – Putnams Beispiel: Die mentale Eigenschaft, Schmerz zu haben, ist durch die neurologischen Eigenschaften N1 und N2 multipel realisiert – wobei N1 eine neuronale Eigenschaft ist, die bei Menschen aber nicht bei Oktopussen zu finden ist, während N2 eine neuronale Eigenschaft ist, die bei Oktopussen aber nicht bei Menschen zu finden ist.

Um diese These zu widerlegen, kann man entweder bestreiten, dass Menschen und Oktopusse die mentale Eigenschaft teilen, Schmerzen zu haben. Oder man kann bestreiten, dass Menschen und Oktopusse, die Schmerzen haben, keine neuronale Eigenschaft teilen, die notwendig mit Schmerzen ko-instantiiert ist.

Die erste Strategie führt zu einer Aufteilung verschiedener mentaler Eigenschaften, die aber jeweils mit einer neuronalen Eigenschaft identifiziert werden können: Es gibt Schmerz-in-Menschen und Schmerz-in-Oktopussen. Schmerz-in-Menschen ist notwendig ko-instantiiert und identisch mit N1, während Schmerz-in-Oktopussen notwendig ko-instantiiert und identisch mit N2 ist. Eine unqualifizierte Schmerz-Eigenschaft, die Menschen und Oktopusse teilen, gibt es nach dieser Ansicht nicht. Tatsächlich besteht also auf mentaler Ebene ebensowenig eine Gleichheit oder Ähnlichkeit wie auf physischer Ebene.Footnote 76

Die Plausibilität dieser Strategie ist zu einem guten Stück davon abhängig, wie weit die multiple Realisierbarkeit mentaler Eigenschaften geht: Gibt es zum Beispiel bloß zwei mögliche Realisierer von Schmerz – einen in Oktopussen und einen in Menschen? Oder gibt es für jede Spezies einen spezifischen Realisierer? Bleibt es bei speziesspezifischen Realisierungen, oder ist Schmerz auch bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich realisiert? Kann Schmerz schließlich sogar beim selben Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten auf verschiedene Weise realisiert sein?Footnote 77

Wenn eine mentale Eigenschaft wie Schmerz etwa genau zwei mögliche Realisierer in Kraken und in Menschen hat, mag eine Aufspaltung der mentalen Eigenschaft in Kraken-Schmerz und in Menschen-Schmerz nachvollziehbar sein. Wenn Schmerz hingegen in jedem Lebewesen und sogar innerhalb eines bestimmten Lebewesens zahlreiche Realisierer hat, ist eine entsprechende Aufspaltung auf mentaler Ebene eher unplausibel und ad hoc. Die Strategie wäre bei einer relativ weitgehenden multiplen Realisierung gewöhnlicher mentaler Eigenschaften schnell darauf festgelegt, eine anti-realistische Haltung gegenüber allen gewöhnlichen mentalen Eigenschaften einzunehmen: Wenn Schmerz zum Beispiel individuenspezifisch realisiert ist, so dass es bei jedem Menschen einen ihm eigenen Schmerz-Realisierer gibt, würde aus der diskutierten Strategie folgen, dass es keine individuenübergreifende Schmerzeigenschaft gibt.

Zudem stellt sich die Frage, ob die Unterscheidungen, die im Rahmen dieser Strategie aufgrund von multipler Realisierung auf mentaler Ebene getroffen werden, aus Sicht der (Alltags-)Psychologie gut motiviert werden können. Gibt es Kriterien für diese Unterscheidungen, die in der Sprache der Psychologie ausgedrückt werden können? Gibt es psychologische Gesetze, die zwischen den verschiedenen Arten von Schmerz zu differenzieren helfen? Oder sind die resultierenden Unterscheidungen sozusagen von außen an die Psychologie herangetragen – so dass der einzige Grund, diese Unterscheidungen in das psychologische Vokabular einzuführen, darin besteht, dass die ‚verschiedenen‘ psychologischen Arten auf neuronaler Ebene unterschiedlich realisiert sind? Wenn sich die entsprechenden Unterscheidungen nicht aus der Psychologie heraus motivieren lassen, spricht dies gegen diese Strategie. Denn sie würde dazu führen, dass die Psychologie methodologisch nicht autonom ist und die psychologische Einteilung der Welt ontologisch nicht ernstgenommen wird. Auch hier wird es sicherlich umso schwerer, die Unterscheidungen, die sich aus multipler Realisierung ergeben, innerhalb der Psychologie zu rechtfertigen, je stärker Schmerz multipel realisiert ist.

Die zweite Strategie, die These multipler Realisierung im obigen Beispiel zu bestreiten, besteht darin, sich auf die Suche nach relevanten neurologischen Gemeinsamkeiten zwischen Oktopussen und Menschen zu machen. So könnte man etwa argumentieren, dass es grob charakterisierte neurologische Eigenschaften gibt, die Menschen mit Schmerzen und Oktopusse mit Schmerzen teilen.Footnote 78 Dass Menschen mit Schmerzen die neuronale Eigenschaft N1 haben und Oktopusse mit Schmerzen die neuronale Eigenschaft N2 haben, schließt schließlich nicht aus, dass sowohl Menschen mit Schmerzen als auch Oktopusse mit Schmerzen die neuronale Eigenschaft N haben und N speziesübergreifend notwendig mit Schmerz ko-instantiiert ist. Gestützt werden kann eine solche Hoffnung auf neurologische Gemeinsamkeiten, die mit psychologischen Gemeinsamkeiten einhergehen, durch die Beobachtung, dass die Begriffsbildung in den Neurowissenschaften sich auch an psychologischen Ähnlichkeiten orientiert. Eine angenommene psychologische Ähnlichkeit zwischen z. B. verschiedenen Spezies motiviert daher eine gemeinsame neurologische Klassifikation. Diese Methodologie schränkt die Wahrscheinlichkeit multipler Realisierung mentaler Eigenschaften auf neurologischer Ebene von vornherein ein.Footnote 79

Diese Überlegung verdeutlicht, dass die multiple Realisierung mentaler Eigenschaften auf neurologischer Ebene nicht zu schnell als etabliert gelten sollte. Es ist sehr einfach, den Anschein einer multiplen Realisierung hervorzurufen, wenn man sehr grob charakterisierte mentale Eigenschaften zu sehr fein charakterisierten neuronalen Eigenschaften in Beziehung setzt. Wichtig ist jedoch, dass eine interessante multiple Realisierung mentaler Eigenschaften auf neurologischer Ebene nicht bloß voraussetzt, dass sich neurologische Unterschiede zwischen den Objekten, die die mentalen Eigenschaften instantiieren, finden lassen. Stattdessen fängt interessante multiple Realisierung dort an, wo sich keine (einzigartigen) neurologischen Gemeinsamkeiten zwischen den Objekten, die die mentale Eigenschaft instantiieren, finden lassen. Es reicht also in unserem Beispiel nicht, dass sich eine neurologische Unterscheidung zwischen N1 (bei Menschen) und N2 (bei Oktopussen) ziehen lässt. Es muss zudem etabliert sein, dass sich N1 und N2 nicht als Spezifizierungen einer allgemeineren neurologischen Eigenschaft N verstehen lassen, die mit Schmerz notwendig ko-instantiiert ist.

Die Frage nach der multiplen Realisierung mentaler Eigenschaften auf neuronaler Ebene ist daher im Einzelfall auf der Grundlage empirischer Studien zu prüfen. Die Konsequenzen aus diesem Punkt für den nicht-reduktiven Physikalismus sind jedoch aus meiner Sicht ohnehin nicht sehr weitreichend. Selbst wenn mentale Eigenschaften nicht auf neuronaler Ebene multipel realisiert sind, scheint es noch immer sehr wahrscheinlich, dass sie auf niedrigeren Ebenen multipel realisiert sind. Betrachtet man etwa direkt das Verhältnis zwischen mentalen Eigenschaften und physischeneng Eigenschaften, scheint eine saubere eins-zu-eins Korrelation völlig aussichtslos. Welche physischeeng Eigenschaft könnte notwendig ko-instantiiert sein mit der mentalen Eigenschaft, Schmerz zu haben? Es gibt hier nicht einmal entfernt aussichtsreiche Kandidaten.

Die besprochenen Einwände gegen die multiple Realisierung mentaler Eigenschaften auf neuronaler Ebene nehmen der für den nicht-reduktiven Physikalismus ausschlaggebenden These entsprechend nichts an ihrer Plausibilität: Auf der Ebene der physischeneng Eigenschaften sind sowohl mentale als auch spezialwissenschaftliche Eigenschaften multipel realisiert.Footnote 80 Zudem scheint die multiple Realisierung mentaler Eigenschaften durch physischeeng Eigenschaften weitreichend zu sein: Es wirkt nicht sehr wahrscheinlich, dass sich recht große – zum Beispiel speziesspezifische – Klassen von Realisierern auf Ebene der Physik spezifizieren lassen. Stattdessen ist eine multiple Realisierung auch unter verschiedenen Menschen und unter individuellen Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten zu erwarten.

Schon diese These der multiplen Realisierung mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften durch physischeeng Eigenschaften liefert eine gute Motivation für den nicht-reduktiven Physikalismus: Wenn mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften durch physischeeng Eigenschaften multipel realisiert sind, kann man sie nicht mit physischeneng Eigenschaften identifizieren. Wenn man sie nicht mit physischeneng Eigenschaften identifizieren kann, muss man sie als Physikalist*in entweder eliminieren oder den Weg der Abhängigkeit wählen. Da eine Elimination nicht sonderlich attraktiv wirkt, bleibt also der Weg der Abhängigkeit und somit der nicht-reduktive Physikalismus.Footnote 81

Ein letzter Einwand gegen die These multipler Realisierung und die dadurch motivierte These der Nicht-Identität betrifft die Möglichkeit, disjunktive physische Eigenschaften zu konstruieren, die mit mentalen Eigenschaften notwendig ko-instantiiert sind: Selbst wenn es keine ‘gewöhnliche’ physischeeng Eigenschaft gibt, die mit Schmerz notwendig ko-instantiiert ist, gibt es noch immer eine (möglicherweise recht große) Zahl an möglichen physischeneng Realisierern von Schmerz. Nun – so die Idee – lässt sich unter Bezug auf die physischeneng Realisierer der mentalen Eigenschaft einfach eine disjunktive physischeeng Eigenschaft definieren, die mit der mentalen Eigenschaft notwendig ko-instantiiert ist. Wenn beispielsweise die physischen Eigenschaften P1 und P2 die einzigen möglichen Realisierer von M sind, wird M notwendig mit der physischeneng Eigenschaft P1 ∨ P2 ko-instantiiert sein. Es besteht somit die Möglichkeit, M mit der disjunktiven physischeneng Eigenschaft P1 ∨ P2 zu identifizieren.

Die naheliegende und korrekte Erwiderung auf diesen Einwand besteht in dem Hinweis darauf, dass spärliche Eigenschaften nicht unter Disjunktion geschlossen sind. Daraus, dass F eine spärliche Eigenschaft ist und dass G eine spärliche Eigenschaft ist, folgt nicht, dass F ∨ G eine spärliche Eigenschaft ist. Rot zu sein ist eine spärliche Eigenschaft: Die roten Dinge in der Welt verbindet eine echte Gemeinsamkeit. Rund zu sein ist ebenfalls eine spärliche Eigenschaft: Die runden Dinge in der Welt verbindet eine echte Gemeinsamkeit. Aber rot oder rund zu sein ist keine spärliche Eigenschaft. Die Dinge, die entweder rot oder rund sind, sind nicht durch eine echte Gemeinsamkeit in der Welt verbunden. Spärliche physischeeng Eigenschaften lassen sich also nicht einfach durch Definition in die Welt bringen. Entsprechend etabliert die disjunktive Strategie keineswegs, dass es eine spärliche physischeeng Eigenschaft gibt, die mit einer mentalen Eigenschaft notwendig ko-instantiiert ist.

Wer also die multiple Realisierung mentaler Eigenschaften akzeptiert und mentale Eigenschaften mit disjunktiven physischeneng Eigenschaften identifiziert, gibt letztlich den ontologischen Realismus in Bezug auf mentale Eigenschaften auf. Wenn mentale Eigenschaften mit disjunktiven physischeneng Eigenschaften identisch sind, und die disjunktiven physischeneng Eigenschaften keine spärlichen Eigenschaften sind, können auch die entsprechenden mentalen Eigenschaften keine spärlichen Eigenschaften sein. Die disjunktive Strategie ist also nicht mit einem ontologischen Realismus in Bezug auf mentale Eigenschaften kompatibel.

Ein weiteres Problem für die disjunktive Strategie hat mit mentaler Verursachung zu tun. Denn die wichtigste Motivation dafür, mentale Eigenschaften überhaupt mit physischen Eigenschaften zu identifizieren, besteht in der damit zusammenhängenden Lösung des Problems mentaler Verursachung: Da physischeeng Eigenschaften unbestritten physische Wirkungen haben können, führt eine Identifikation mentaler Eigenschaften mit physischeneng Eigenschaften direkt dazu, dass auch mentale Eigenschaften physischeeng Wirkungen haben können. Diese vermeintlich elegante und einfache Lösung des Problems mentaler Verursachung gilt als der Hauptvorzug des reduktiven Physikalismus.

Diese Lösung ist unter Verwendung der disjunktiven Strategie jedoch problematisch: Es ist keinesfalls klar, dass disjunktive Eigenschaften (oder genauer: die zugehörigen Ereignisse) überhaupt als Ursachen in Frage kommen. Es kommt so der Verdacht auf, dass die disjunktive Strategie mentale Eigenschaften mit den falschen physischeneng Eigenschaften identifiziert. Wenn die physischen Eigenschaften, mit denen mentale Eigenschaften im Rahmen der disjunktiven Strategie identifiziert werden, selbst epiphänomenal sind, kann die disjunktive Strategie die kausale Effektivität mentaler Eigenschaften natürlich nicht retten.Footnote 82

Und selbst wenn nichts Grundsätzliches dagegen spricht, disjunktive Eigenschaften/Ereignisse als Ursachen zu klassifizieren, stellt sich noch immer die Frage, weshalb disjunktive physischeeng Eigenschaften nicht ebenso in kausale Konkurrenz zu nicht-disjunktiven physischeneng Eigenschaften treten sollten, wie mentale Eigenschaften im nicht-reduktiven Physikalismus: Wenn schon P1 alle kausale Arbeit leistet, was soll die disjunktive Eigenschaft P1 ∨ P2 dann noch tun?Footnote 83

Ein drittes Problem für die disjunktive Strategie ist das folgende: Nimmt man die (u. a. von Putnam ins Spiel gebrachte)Footnote 84 Möglichkeit nicht-physischer Realisierer mentaler Eigenschaften ernst, wird es keine rein physischen disjunktiven Eigenschaften geben, die mit einer mentalen Eigenschaft notwendig ko-instantiiert sind. Wenn es Welten gibt, in denen Schmerz durch nicht-physische Eigenschaften einer Seele realisiert ist, ist erst eine disjunktive Eigenschaft, die auch diesen nicht-physischen Realisierer als Disjunkt enthält, mit Schmerz notwendig ko-instantiiert. Schmerz kann dann nicht mit einer physischen disjunktiven Eigenschaft identisch sein, sondern nur mit einer disjunktiven Eigenschaft, die auch nicht-physische Eigenschaften als Disjunkte enthält. In diesem Falle könnte man nicht davon sprechen, dass die disjunktive Strategie einen reduktiven Physikalismus etabliert.Footnote 85 Die disjunktive Strategie ist also auf eine Ablehnung der Möglichkeit nicht-physischer Realisierer festgelegt. Insofern man den Physikalismus aber als kontingente These vertritt, ist diese Ablehnung der Möglichkeit nicht-physischer Realisierer nicht sehr plausibel.

2.5 Ontologische Abhängigkeit

Die nicht-reduktiven Kernthesen des nicht-reduktiven Physikalismus etablieren, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften existieren und nicht mit physischen Eigenschaften identisch sind. Trotz dieser nicht-reduktiven Thesen versteht sich der nicht-reduktive Physikalismus als physikalistische Position. Da der Physikalismus (wie ich in Abschnitt 2.1.2. verdeutlicht habe) durch die These ausgezeichnet ist, dass alle Eigenschaften letztlich physisch sind, steht der nicht-reduktive Physikalismus vor der folgenden Herausforderung: Es muss verdeutlicht werden, wie mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften letztlich physisch sein können, auch wenn sie nicht im Wortsinne physisch sind: Wie können mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften letztlich physisch sein, obgleich sie nicht mit physischen Eigenschaften identisch sind?

Hier hat nun die These der ontologischen Abhängigkeit ihren Auftritt. In Abschnitt 2.1.4. habe ich diese These vorläufig wie folgt formuliert:

  • (OA) Ontologische Abhängigkeit: Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind von physischen Eigenschaften in einem hinreichend starken Sinne ontologisch abhängig.

Die Grundidee ist hier, dass die Existenz mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften, die nicht mit physischen Eigenschaften identisch sind, aus physikalistischer Perspektive akzeptabel ist, insofern diese Eigenschaften in einem hinreichend starken Sinne von physischen Eigenschaften ontologisch abhängig sind. Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften werden im nicht-reduktiven Physikalismus also nicht über den Weg der Identifikation, sondern über den Weg der Abhängigkeit in die physikalistische Metaphysik integriert. Diese Strategie wirft einige Fragen auf, auf die ich im Folgenden eingehen möchte.

Dabei verfahre ich wie folgt: In Abschnitt 2.5.1. spezifiziere ich zunächst einige allgemeine Anforderungen, die die Relation der ontologischen Abhängigkeit im Rahmen des nicht-reduktiven Physikalismus erfüllen sollte. Die Abschnitte 2.5.2 bis 2.5.6. diskutieren knapp einige Kandidaten für die gesuchte Relation der ontologischen Abhängigkeit: Supervenienz, Realisierung, Determination, Mikrobasiertheit und Grounding. In Abschnitt 2.5.7. ziehe ich eine knappe Zwischenbilanz. Die verbleibenden Abschnitte 2.5.8. und 2.5.9. diskutieren die Beziehung zwischen ontologischer Abhängigkeit und zwei weiteren Begriffen, die häufig mit dem nicht-reduktiven Physikalismus in Verbindung gebracht werden: Abschnitt 2.5.8. behandelt die Beziehung zwischen ontologischer Abhängigkeit und absoluter Fundamentalität, Abschnitt 2.5.9. die Beziehung zwischen ontologischer Abhängigkeit und einem Stufenmodell der Realität.

2.5.1 Ontologische Abhängigkeit und ontologische Unschuld

Die Grundidee des Physikalismus ist es, dass alle Eigenschaften letztlich nicht mehr als (‚nothing over and above‘) physische Eigenschaften sind. Die problematischen Eigenschaften – wie mentale oder spezialwissenschaftliche Eigenschaften – sind in einem gewissen Sinne ontologisch unschuldig: Sie führen nichts Zusätzliches in die Ontologie ein.Footnote 86

Damit der nicht-reduktive Physikalismus Aussicht auf Erfolg haben kann, müssen solcherlei Thesen der ontologischen Unschuld mit der These der Nicht-Identität vereinbar sein: Die problematischen Eigenschaften sind nicht strikt identisch mit physischen Eigenschaften, sie sind jedoch auch ‚nicht mehr als‘ physische Eigenschaften. Die wesentliche Funktion der Relation der ontologischen Abhängigkeit im Kontext des nicht-reduktiven Physikalismus ist es daher, eben dies zu leisten: Wenn nicht-physische Eigenschaften von physischen Eigenschaften in hinreichend starkem Sinne ontologisch abhängig sind, dann sind sie nicht mehr als physische Eigenschaften und somit letztlich physisch.

Was aber kann es heißen, dass eine Eigenschaft zwar nicht strikt identisch mit einer physischen Eigenschaft ist, aber eben auch nicht mehr ist als physische Eigenschaften?

Zunächst soll diese Idee mit einer verbreiteten theologischen Metapher veranschaulicht werden.Footnote 87 Wenn alle Eigenschaften nicht mehr als physische Eigenschaften sind, muss man sich die (gedachte) Schöpfung der Welt ungefähr so vorstellen: Gott kümmert sich um die Verteilung der physischen Eigenschaften und Objekte und erlässt physische Naturgesetze. Damit ist die Arbeit getan. Gott muss sich nicht zusätzlich darum kümmern, dass es auch spezialwissenschaftliche und mentale Eigenschaften gibt und dass diese auch so verteilt sind, wie gewünscht. Dies ergibt sich automatisch aus der Verteilung der physischen Eigenschaften. Alle Eigenschaften stehen fest, wenn die physischen Eigenschaften feststehen. In diesem Sinne haben die nicht-physischen Eigenschaften keine unabhängige Existenz. Ihre Existenz ergibt sich einfach aus der Existenz der physischen Eigenschaften.

Ein wichtiger Punkt an diesem fiktiven Schöpfungsmythos ist, dass aus dieser Geschichte nicht folgt, dass spezialwissenschaftliche und mentale Eigenschaften identisch mit physischen Eigenschaften sind. Es wird nicht verlangt, dass alle Objekte, die beispielsweise glauben, dass Paris in Frankreich ist, notwendigerweise eine bestimmte physische Eigenschaft teilen. Vielmehr können sie ganz unterschiedliche physische Eigenschaften haben. Jedoch ergibt sich die Eigenschaft, zu glauben, dass Paris in Frankreich ist, in jedem Falle aus den physischen Eigenschaften.

Wenn nicht-physische Eigenschaften ‚nicht mehr als‘ physische Eigenschaften sind, ohne mit physischen Eigenschaften identisch zu sein, sollte es ferner plausibel sein, dass die nicht-physischen Eigenschaften nur deshalb instantiiert sind, weil die physischen Eigenschaften instantiiert sind. Die nicht-physischen Eigenschaften kommen kraft der physischen Eigenschaften in die Welt. Sie sind aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert. All diese Redewendungen verweisen auf eine spezifische Art von metaphysischer Erklärung. Die These der ontologischen Abhängigkeit hat also auch die Funktion, solche metaphysischen Erklärungsbehauptungen zu begründen.Footnote 88

Aus dieser Motivation folgen einige Anforderungen an eine geeignete Beziehung ontologischer Abhängigkeit im Rahmen des nicht-reduktiven Physikalismus. Bei der gesuchten Relation sollte es sich erstens um eine asymmetrische oder zumindest nicht-symmetrische Relation handeln: Schließlich sollen die nicht-physischen Eigenschaften sich aus den physischen Eigenschaften ergeben, nicht aber anders herum auch die physischen Eigenschaften aus den nicht-physischen. Die nicht-physischen Eigenschaften sind kraft der physischen Eigenschaften instantiiert, aber die physischen Eigenschaften sind nicht kraft der nicht-physischen Eigenschaften instantiiert. Die physischen Eigenschaften haben ontologische Priorität. Eine solche Priorität kann aber nicht in beiden Richtungen bestehen.

Zweitens sollten sich die nicht-physischen Eigenschaften mit einer gewissen modalen Stärke aus den physischen Eigenschaften ergeben. Dabei reicht es plausiblerweise nicht, dass bloß naturgesetzliche Zusammenhänge zwischen physischen und nicht-physischen Eigenschaften bestehen. Gott konnte sich nach der Erschaffung der physischen Eigenschaftsverteilung nicht deshalb zurücklehnen, weil er zuvor explizite Naturgesetze erlassen hat, die nicht-physische Eigenschaften mit physischen Eigenschaften verbinden. Er konnte sich zurücklehnen, weil solche Naturgesetze gar nicht nötig sind. Gegeben die physischen Eigenschaften (und die physischen Naturgesetze) konnte es, so die Idee, nicht einmal Gott verhindern, dass die nicht-physischen Eigenschaften sich ergeben. Die nicht-physischen Eigenschaften ergeben sich mit metaphysischer Notwendigkeit (und nicht bloß mit nomologischer Notwendigkeit) aus den physischen Eigenschaften und Gesetzen.Footnote 89

Hieraus ergibt sich drittens, dass es sich bei der gesuchten Beziehung nicht um eine kausale Beziehung handelt. Kausale Beziehungen beruhen in der einen oder anderen Weise auf naturgesetzlichen Zusammenhängen. Sie verknüpfen zudem gänzlich distinkte Ereignisse. Nicht-reduktive Physikalist*innen sind hingegen auf der Suche nach einer Relation zwischen Eigenschaften, die mit metaphysischer Notwendigkeit einhergeht und die es plausibel macht, dass nicht-physische Eigenschaften nicht mehr als physische Eigenschaften (und in diesem Sinne nicht gänzlich distinkt von physischen Eigenschaften) sind.

Kurzum: Nicht-reduktive Physikalist*innen sind auf der Suche nach einer asymmetrischen (oder zumindest nicht-symmetrischen), nicht-kausalen und metaphysisch notwendigen Abhängigkeitsbeziehung zwischen nicht-physischen und physischen Eigenschaften, die plausibilisiert, dass nicht-physische Eigenschaften nicht mehr als physische Eigenschaften sind und aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind.

2.5.2 Supervenienz

Eine Art, der theologischen Metapher einen greifbareren Inhalt zu geben, beruht auf Supervenienz-Beziehungen. Der Supervenienz-Ansatz der hinreichend starken ontologischen Abhängigkeit besagt Folgendes:

  • (OntA-Sup) Nicht-physische Eigenschaften sind genau dann in einem hinreichend starken Sinne von physischen Eigenschaften ontologisch abhängig, wenn gilt: Nicht-physische Eigenschaften supervenieren auf physischen Eigenschaften.

Die Grundidee hinter Supervenienz-Beziehungen kann durch die folgende vorläufige Bestimmung auf den Punkt gebracht werden:

  • (Sup-Gru) Nicht-physische Eigenschaften supervenieren genau dann auf physischen Eigenschaften, wenn gilt: Objekte, die sich in ihren physischen Eigenschaften gleichen, müssen sich auch in ihren nicht-physischen Eigenschaften gleichen.

Nun lassen sich von dieser Bestimmung ausgehend eine Reihe von unterschiedlichen Supervenienz-Beziehungen definieren, die sich durch die betroffenen Objekte und durch ihre modale Stärke unterscheiden.

Zunächst einmal lässt sich auch eine globale Supervenienz-These aufstellen, die nicht einzelne Objekte, sondern ganze Welten betrifft. Die Idee ist hier also, dass sich Welten, welche sich in der in ihnen vorkommenden Verteilung physischer Eigenschaften gleichen, auch in ihrer Verteilung der restlichen Eigenschaften gleichen. Hieraus ergibt sich eine recht direkte Ausdeutung der anfangs genannten Metapher: Gott muss die nicht-physischen Eigenschaften nicht extra erschaffen, weil sie auf den physischen Eigenschaften global supervenieren: Eine Welt, die diese Verteilung von physischen Eigenschaften hat, muss auch jene Verteilung von nicht-physischen Eigenschaften haben.

Eine solche globale Supervenienz-These wird häufig verwendet, um den Physikalismus zu definieren. So bestimmt Frank Jackson den globalen Physikalismus wie folgt:

  • (GP-J) Der globale Physikalismus ist genau dann wahr, wenn gilt: Jedes minimale physische Duplikat der aktualen Welt ist ein Duplikat der aktualen Welt simpliciter.Footnote 90

Hiermit ist nicht die These verbunden, dass die aktuale Welt keine nicht-physischen Eigenschaften enthält. Es ist damit aber die These verbunden, dass die nicht-physischen Eigenschaften, die in der aktualen Welt instantiiert sind, auch in jeder Welt instantiiert sind, die ein minimales physisches Duplikat der aktualen Welt ist. Die These, dass alle weiteren Eigenschaften in unserer Welt auf den physischen Eigenschaften supervenieren, läuft dann darauf hinaus, dass keine Welt, die dieselbe Verteilung physischer Eigenschaften hat, sich in der Verteilung irgendwelcher anderer Eigenschaften unterscheiden kann: Jede mögliche Welt, die der aktualen Welt in physischer Hinsicht bis ins Letzte gleicht, gleicht der aktualen Welt auch in jeder anderen Hinsicht bis ins Letzte.

Die Bestimmung des Physikalismus über die These der globalen Supervenienz verweist auf eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen reduktiven und nicht-reduktiven Versionen des Physikalismus: Sowohl reduktive als auch nicht-reduktive Physikalist*innen akzeptieren die These der globalen Supervenienz aller Eigenschaften auf den physischen Eigenschaften. Die These der globalen Supervenienz drückt somit eine grundlegende und allgemein akzeptierte Verpflichtung jeder Form des Physikalismus aus. Im reduktiven Physikalismus ergibt sich die globale Supervenienz jedoch trivialerweise aus dem Umstand, dass es keine nicht-physischen Eigenschaften gibt. Im nicht-reduktiven Physikalismus hingegen drückt die These der globalen Supervenienz eine wichtige Bedingung an die Zulässigkeit nicht-physischer Eigenschaften aus: Nur solche nicht-physischen Eigenschaften sind in der Ontologie des nicht-reduktiven Physikalismus zulässig, die auf den physischen Eigenschaften global supervenieren.

Dies ist eine wichtige Bedingung, aber nicht die einzige wichtige Bedingung. Die These der globalen Supervenienz betrifft die komplette Verteilung von physischen und nicht-physischen Eigenschaften in unserer Welt. Sie ist aber blind für lokale Ausbildungen der globalen Eigenschaftsverteilung. Beispielsweise ist es mit der These der globalen Supervenienz vereinbar, dass sich in unserer Welt zwei Personen in ihren physischen Eigenschaften exakt gleichen, sie sich in ihren mentalen Eigenschaften aber radikal unterscheiden: So könnte eine Person glauben, dass Paris in Frankreich ist, während ihr physischer Doppelgänger in derselben Welt gar nichts glaubt, oder glaubt, dass Paris in Deutschland ist usw. Entsprechendes gilt auch schon für z. B. biologische Eigenschaften. So könnten sich zwei Gene in unserer Welt in ihren physischen Eigenschaften exakt gleichen, aber gänzlich unterschiedliche Erbinformationen tragen. Solange diese mentalen bzw. biologischen Unterschiede sich auch in minimalen physischen Duplikaten der Welt wiederfinden, ist der These der globalen Supervenienz Genüge getan.Footnote 91

Es ist daher sinnvoll, die Zulässigkeit nicht-physischer Eigenschaften im nicht-reduktiven Physikalismus weiter einzuschränken. Auch hier können Supervenienz-Thesen hilfreich sein. Diese sollten sich jedoch nicht auf ganze Welten beziehen, sondern auf einzelne Objekte. Ein Beispiel für eine solche lokale, objektbezogene Supervenienz-Beziehung ist die folgende:

  • (Sup-L-Schwach) Nicht-physische Eigenschaften supervenieren genau dann lokal schwach auf physischen Eigenschaften, wenn gilt: Für jede mögliche Welt w und jedes Objekt x und y in w gilt: wenn x und y dieselben physischen Eigenschaften haben, dann haben sie dieselben nicht-physischen Eigenschaften.Footnote 92

Diese lokale Supervenienz-Beziehung verbietet, dass es in unserer Welt zwei Objekte gibt, die sich in ihren physischen Eigenschaften gleichen, aber in ihren nicht-physischen Eigenschaften unterscheiden. Die oben genannten Fälle sind daher ausgeschlossen, wenn wir das Bestehen einer solchen lokalen Supervenienz-Beziehung als weitere Bedingung für zulässige nicht-physische Eigenschaften einführen. Die These verbietet aber noch mehr: Es ist auch in anderen möglichen Welten ausgeschlossen, dass sich zwei Objekte, die sich ‚dort‘ in ihren physischen Eigenschaften gleichen, in ihren nicht-physischen Eigenschaften unterscheiden. Das heißt: dies kommt nicht nur (zufälligerweise) in unserer Welt nicht vor, sondern es kommt auch in anderen möglichen Welten nicht vor. Für jede mögliche Welt gilt: Zwei Objekte in dieser Welt gleichen sich in ihren nicht-physischen Eigenschaften, wenn sie sich in ihren physischen Eigenschaften gleichen.

Allerdings werden durch diese Supervenienz-Beziehung nur Objekte verglichen, die sich innerhalb derselben Welt befinden. Es ist daher vereinbar mit dem Bestehen der Beziehung, dass es in sehr nahen möglichen Welten Objekte gibt, die dieselben physischen Eigenschaften haben wie ein Objekt in der aktualen Welt, die aber gänzlich andere nicht-physische Eigenschaften haben. Es ist mit dem Bestehen der Beziehung zum Beispiel vereinbar, dass es sehr leicht hätte sein können, dass ein Gen dieselben physischen Eigenschaften hat, die es tatsächlich hat, aber gänzlich andere Erbinformationen trägt. Dementsprechend lassen sich durch diesen Zusammenhang auch keine kontrafaktischen Konditionale der Art ‚Wenn a andere nicht-physische Eigenschaften gehabt hätte, dann hätte a auch andere physische Eigenschaften gehabt‘ begründen. Die Idee, dass es keine nicht-physischen Unterschiede ohne physische Unterschiede geben kann und dass sich zwei Objekte, die sich in ihren physischen Eigenschaften gleichen, auch in ihren nicht-physischen Eigenschaften gleichen müssen, ist also nicht zufriedenstellend eingefangen.

Diese Beobachtung motiviert die Formulierung einer stärkeren lokalen Supervenienz-Beziehung:

  • (Sup-L-Stark) Nicht-physische Eigenschaften supervenieren genau dann lokal stark auf physischen Eigenschaften, wenn gilt: Für alle möglichen Welten w und w‘ und jedes Objekt o in w und o‘ in w‘ gilt: Wenn o in w dieselben physischen Eigenschaften hat wie o‘ in w‘, dann haben o und o‘ dieselben nicht-physischen Eigenschaften.Footnote 93

Hier werden nun auch Objekte verglichen, die sich in unterschiedlichen möglichen Welten befinden: Es kann gar nicht sein, dass ein Objekt, das dieselben physischen Eigenschaften hat wie ein bestimmtes Objekt in unserer Welt, andere nicht-physische Eigenschaften hat. Entsprechend folgt auch ein kontrafaktisches Konditional der Art ‚Wenn a andere nicht-physische Eigenschaften gehabt hätte, dann hätte a auch andere physische Eigenschaften gehabt‘. Der enge modale Zusammenhang zwischen physischen Eigenschaften und nicht-physischen Eigenschaften wird also besser eingefangen. Der nicht-reduktive Physikalismus ist nicht nur auf die These der globalen Supervenienz festgelegt, sondern auch auf die stärkere These, dass nicht-physische Eigenschaften lokal stark auf physischen Eigenschaften supervenieren.

Der Unterschied zwischen schwacher und starker Supervenienz betrifft die Frage, ob bloß Objekte innerhalb einer Welt verglichen werden oder auch Objekte, die sich in unterschiedlichen Welten befinden. Starke Supervenienz ist in dem Sinne modal stärker, dass auch weltübergreifende Vergleiche relevant sind. Eine andere Frage zur modalen Stärke wurde jedoch bis hierher nicht berührt: Über welche möglichen Welten wird in den obigen Definitionen quantifiziert? Über alle metaphysisch möglichen Welten? Oder über alle nomologisch möglichen Welten?

Ich gehe davon aus, dass es im Kontext des nicht-reduktiven Physikalismus auf den metaphysischen Sinn der Modalität ankommt. Das heißt, dass die obigen Definitionen so zu verstehen sind, dass über alle metaphysisch möglichen Welten quantifiziert wird. Wenn es bloß um naturgesetzliche Zusammenhänge ginge, wäre eine Verbindung zu der Idee, dass nicht-physische Eigenschaften nicht mehr als physische Eigenschaften sind, von vornherein nicht plausibel.Footnote 94

Nicht-reduktive Physikalist*innen sind also darauf festgelegt, dass nicht-physische Eigenschaften mit metaphysischer Notwendigkeit lokal stark auf physischen Eigenschaften supervenieren.Footnote 95 Hieraus folgt, dass sie auch auf die entsprechende schwache lokale und auf die globale Supervenienz-These festgelegt sind, da diese Supervenienz-Thesen aus der These der starken lokalen Supervenienz folgen.

Es ist jedoch fraglich, ob sich nicht-reduktive Physikalist*innen mit einer solchen Charakterisierung der Beziehung zwischen physischen und nicht-physischen Eigenschaften schon zufriedengeben kann. Sämtliche Supervenienz-Beziehungen drücken zunächst nur ein bestimmtes modales Muster der Kovariation von Eigenschaftsmengen aus. Sie erklären aber nicht, wie es zu dieser Kovariation kommt und warum diese Kovariation besteht.Footnote 96 Dies sieht man schon daran, dass die Supervenienz-Thesen sämtlich auch von reduktiven Physikalist*innen akzeptiert werden. Tatsächlich ergibt sich ihre Wahrheit im reduktiven Physikalismus trivialerweise daraus, dass es keine nicht-physischen Eigenschaften gibt bzw. dass spezialwissenschaftliche und mentale Eigenschaften mit physischen Eigenschaften identisch sind. Reduktive Physikalist*innen haben also einen guten Grund, die Supervenienz-Thesen anzuerkennen. Dies liegt daran, dass sie eine überzeugende Erklärung für das Bestehen der Supervenienz-Beziehung haben.

Da nicht-reduktive Physikalist*innen die Existenz nicht-physischer, mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften anerkennen und Eigenschaftsidentitäten ablehnen, steht ihnen diese Erklärung der Supervenienz-Thesen nicht zur Verfügung. Sie stehen daher vor der Herausforderung, eine alternative Erklärung anzubieten. Die bloße Ablehnung von Eigenschaftsidentitäten leistet hier keine Erklärungsarbeit. Es gilt daher, die Beziehung zwischen physischen Eigenschaften auf eine Weise positiv zu bestimmen, die erklärt, warum nicht-physische Eigenschaften auf physischen Eigenschaften supervenieren.

Eng hiermit zusammen hängt der folgende Punkt: Supervenienz ist selbst keine metaphysisch erklärende Relation. Man kann daraus, dass eine Eigenschaftsklasse auf einer anderen Eigenschaftsklasse superveniert, nicht ableiten, dass die supervenierenden Eigenschaften instantiiert sind, weil die Eigenschaften in der Supervenienzbasis instantiiert sind, oder dass die supervenierenden Eigenschaften kraft der Eigenschaften in der Supervenienzbasis instantiiert sind. Entsprechend etabliert die bloße Supervenienz mentaler Eigenschaften auf physischen Eigenschaften noch nicht, dass mentale Eigenschaften aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind.

Das sieht man unter anderem daran, dass notwendig instantiierte Eigenschaften trivialerweise auf beliebigen anderen Eigenschaften supervenieren. Die Eigenschaft, rot-oder-nicht-rot zu sein, superveniert zum Beispiel auf Form-Eigenschaften (oder auf jeder beliebigen anderen Klasse von Eigenschaften). Zwei Objekte, die sich in ihren Form-Eigenschaften gleichen (z. B. beide rund usw. sind), müssen sich ganz einfach deshalb auch darin gleichen, rot-oder-nicht-rot zu sein, weil sich alle Objekte notwendigerweise darin gleichen, rot-oder-nicht-rot zu sein. Hieraus lässt sich aber sicherlich nicht folgern, dass irgendwelche Objekte rot-oder-nicht-rot sind, weil sie z. B. rund sind.Footnote 97

Insofern durch die Relation der hinreichend starken ontologischen Abhängigkeit aber auch solche Behauptungen der metaphysischen Erklärung ergeben sollten, kann die Supervenienz-Relation die Rolle der ontologischen Abhängigkeit im nicht-reduktiven Physikalismus also nicht lückenlos übernehmen. Entsprechend wäre es zumindest wünschenswert, wenn nicht-reduktive Physikalist*innen sich auf eine Relation ontologischer Abhängigkeit berufen könnten, die einerseits erklärt, warum mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften auf physischen Eigenschaften supervenieren und andererseits etabliert, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind.

2.5.3 Funktionale Realisierung

Ein Ansatz, dies zu leisten, beruht auf einer funktionalistischen Theorie mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften. Die Grundidee dieser Ansätze besteht darin, dass die entsprechenden Eigenschaften durch ihre kausale Rolle bestimmt sind: Die Eigenschaften (oder genauer die Ereignisse, für die diese Eigenschaften konstitutiv sind) haben charakteristische Ursachen und Wirkungen. Dies macht ihre kausale Rolle aus. Als Standardbeispiel kann die verbreitete, vereinfachte, aber veranschaulichende Bestimmung der Eigenschaft, Schmerz zu haben, über dessen kausale Rolle dienen: Schmerz wird typischerweise durch Verletzungen verursacht und verursacht typischerweise die Überzeugung, dass man eine Verletzung hat und bestimmtes Verhalten, wie Stöhnen oder Aufschreien: Er wird durch bestimmte physische oder mentale kausale Inputs verursacht und bewirkt bestimmte physische oder mentale Outputs. Dies macht die kausale Rolle von Schmerz aus.Footnote 98

Die Idee ist nun, dass Schmerz über diese kausale Rolle bestimmt werden kann. Eine Art und Weise, diese Idee zu präzisieren, besteht darin, Schmerz als eine Eigenschaft zweiter Ordnung zu bestimmen: Schmerz ist die Eigenschaft, eine Eigenschaft zu haben, die die Schmerz-Rolle hat. Schmerz ist in diesem Bild nicht selbst der Inhaber der Schmerz-Rolle. Stattdessen gibt es distinkte Eigenschaften, zum Beispiel bestimmte neurologische Eigenschaften, die nicht identisch mit Schmerz sind und die (in unterschiedlichen Lebewesen oder unterschiedlichen Situationen) die Schmerz-Rolle haben. Wer eine solche Eigenschaft hat, hat Schmerz. Man sagt dann, dass die Eigenschaft, die die Schmerz-Rolle hat, Schmerz realisiert.

Realisierung ist demnach eine Beziehung, die zwischen Eigenschaften erster Ordnung und Eigenschaften zweiter Ordnung besteht. Die Eigenschaft zweiter Ordnung ist im Allgemeinen die Eigenschaft, eine Eigenschaft mit der kausalen Rolle R zu haben. Eine Eigenschaft erster Ordnung realisiert diese Eigenschaft zweiter Ordnung genau dann, wenn sie die kausale Rolle R hat. Die Eigenschaft zweiter Ordnung ist genau dann instantiiert, wenn sie durch irgendeine Eigenschaft erster Ordnung realisiert ist.Footnote 99

Diese Realisierungsrelation erlaubt die Möglichkeit multipler Realisierung: Es kann viele unterschiedliche physische Eigenschaften geben, die eine bestimmte kausale Rolle spielen und die sich (von ihrer kausalen Rolle abgesehen) in keiner Weise ähneln. Es ist zum Beispiel ohne weiteres möglich, dass sowohl Oktopusse als auch Menschen in dem Sinne Schmerzen haben, dass sie eine Eigenschaft haben, die die Schmerz-Rolle hat –, dass aber neuronale Eigenschaft N1 in Menschen die Schmerz-Rolle hat, während neuronale Eigenschaft N2 in Oktopussen die Schmerzrolle hat. Hierfür muss nicht vorausgesetzt werden, dass N1 und N2 neben ihres Habens der Schmerz-Rolle durch weitere Gemeinsamkeiten verbunden sind. Oktopusse und Menschen müssen also nicht eine neuronale (oder gar physischeeng) Eigenschaft teilen, um eine mentale Eigenschaft teilen zu können.

Zugleich ergibt sich aus der Relation der funktionalen Realisierung ein klarer Sinn, in dem mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind: Susi hat deshalb die Eigenschaft, eine Eigenschaft zu haben, die die Schmerz-Rolle hat, weil sie eine Eigenschaft hat, die die Schmerz-Rolle hat. Die Eigenschaft zweiter Ordnung ergibt sich aus der Eigenschaft erster Ordnung. Insofern die Realisierer mentaler Eigenschaften sämtlich physisch sind, sind mentale Eigenschaften also aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert.

In welchem Verhältnis steht Realisierung zu Supervenienz? Einige Autor*innen meinen, dass die These, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften funktionale Eigenschaften sind, die durch physische Eigenschaften realisiert sind, erklärt, warum mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften auf physischen Eigenschaften supervenieren.Footnote 100 Gegenstände, die sich in ihren physischen Eigenschaften gleichen, können sich in ihren mentalen und spezialwissenschaftlichen Eigenschaften nicht unterscheiden, weil die physischen Eigenschaften der Gegenstände auch die physischen Realisierer mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften umfassen. Und wenn ein Gegenstand einen Realisierer einer mentalen Eigenschaft instantiiert, dann muss er auch die zugehörige mentale Eigenschaft instantiieren. Insofern zwei Gegenstände also dieselben physischen Realisierer mentaler Eigenschaften haben, müssen sie auch dieselben mentalen Eigenschaften haben.

Diese Argumentation beruht jedoch auf der Annahme, dass die Realisierer mentaler Eigenschaften ihre zugehörigen mentalen Eigenschaften necessitieren. Dies ist jedoch nicht sehr plausibel: Denn die physischen Eigenschaften, die tatsächlich Schmerz realisieren, tun dies nicht notwendigerweise. In anderen möglichen Welten (oder auch schon in anderen Situationen in der aktualen Welt) haben sie die kausale Rolle, die sie tatsächlich haben, nicht. Es ist möglich, dass die Eigenschaft N1, die in der aktualen Welt die für Schmerz typischen Ursachen und Wirkungen hat, in anderen möglichen Welten andere Ursachen und Wirkungen hat. In diesen Welten kann der Realisierer N1 instantiiert sein, ohne dass Schmerz instantiiert ist. Also kann man nicht sagen, dass N1 Schmerz necessitiert.

Besonders einsichtig wird dies, wenn man sich an den typischen – halb fiktiven oder zumindest stark idealisierten – Beispielen für Realisierer orientiert. Als Realisierer von Schmerz wird beispielhaft häufig die neurologische Eigenschaft, ein C-Faser Feuern zu sein, ins Spiel gebracht. C-Faser Feuern könnte jedoch auch an isolierten C-Fasern in einem Reagenzglas instantiiert sein. Wenn C-Faser Feuern unter solchen Umständen instantiiert ist, wird man nicht erwarten, dass C-Faser-Feuern (in einer solchen Situation) Schmerz realisiert.Footnote 101 Denn das C-Faser Feuern wird dann weder von Verletzungen verursacht noch verursacht es Aufschreien o.ä. Es hat dann eben nicht die für Schmerz charakteristische kausale Rolle.

Diese Beobachtung motiviert eine Unterscheidung zwischen Kern-Realisierern und totalen Realisierern.Footnote 102 Kern-Realisierer sind dabei typischerweise relativ ‚lokale‘ Eigenschaften wie C-Faser-Feuern. Sie spielen (aktual) die kausale Rolle, durch die die zugehörige mentale Eigenschaft charakterisiert ist. Allerdings necessitieren sie die zugehörige mentale Eigenschaft für sich genommen nicht. Es ist also möglich, dass ein Kern-Realisierer ohne die zugehörige mentale Eigenschaft instantiiert ist.

Vielmehr müssen gewisse Umstände – weitere physische Eigenschaftsinstantiierungen und das Gelten physischer Gesetze – hinzukommen, um zu einer – dann recht komplexen – physischen Eigenschaft zu gelangen, die eine mentale Eigenschaft metaphysisch necessitiert. Diese komplexe physische Eigenschaft – die aus dem Kern-Realisierer plus den zusätzlich nötigen Umständen besteht – kann dann als totaler Realisierer bezeichnet werden. Der totale Realisierer einer mentalen Eigenschaft necessitiert die mentale Eigenschaft: Wenn der totale Realisierer instantiiert ist, muss die zugehörige mentale Eigenschaft ebenfalls instantiiert sein.

Eine Erklärung der Supervenienz mentaler Eigenschaften auf physischen Eigenschaften ist nur durch die Relation der totalen Realisierung möglich. Wenn jede mentale Eigenschaft einen physischen totalen Realisierer hat, ist auch klar, warum mentale Eigenschaften auf physischen Eigenschaften supervenieren. Zwei Objekte mit denselben physischen Eigenschaften haben dann dieselben totalen Realisierer mentaler Eigenschaften. Deshalb haben sie dann auch dieselben mentalen Eigenschaften. Und deshalb können sie sich nicht in ihren mentalen Eigenschaften unterscheiden, ohne sich auch in ihren physischen Eigenschaften zu unterscheiden. Zugleich ist mit totaler Realisierung auch zumindest ein Ansatz für die Erklärung der modalen Verknüpfung zwischen totalen Realisierern und den zugehörigen mentalen Eigenschaften gegeben: Totale Realisierer necessitieren ihre zugehörigen mentalen Eigenschaften, weil sie es notwendig machen, dass eine physische Eigenschaft instantiiert ist, die die für die mentale Eigenschaft charakteristische kausale Rolle spielt.

2.5.4 Determination

Ein weiterer Ansatz, zu erklären, warum mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften auf physischen Eigenschaften supervenieren und deutlich zu machen, inwiefern mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind, besteht in der Behauptung, dass mentale Eigenschaften Determinablen sind, deren Determinaten physische Eigenschaften sind.Footnote 103 Unter ‚Determination‘ wird hier also die Beziehung zwischen Determinaten und Determinablen verstanden.

Ein häufig bemühtes Beispiel für so verstandene Determination ist das folgende: Die Eigenschaft, rot zu sein, ist eine Determinable. Es gibt verschiedene spezifischere Arten und Weisen, wie ein Objekt rot sein kann. Zum Beispiel können Objekte scharlachrot oder bordeauxrot sein. Die Eigenschaft, scharlachrot zu sein und die Eigenschaft, bordeauxrot zu sein, sind zwei Determinaten der Determinablen, rot zu sein. Beide Eigenschaften determinieren also jeweils die Eigenschaft, rot zu sein.

Determinaten sind im Allgemeinen spezifischer als ihre Determinablen. Determinaten sind verschiedene spezifischere Arten und Weisen, wie etwas die zugehörige Determinable haben kann. Scharlachrot zu sein und bordeauxrot zu sein sind zwei Arten, wie etwas rot sein kann. Dieselbe Eigenschaften kann dabei sowohl Determinable mit Blick auf spezifischere Eigenschaften als auch Determinate mit Blick auf weniger spezifische Eigenschaften sein. Die Eigenschaft, rot zu sein, ist mit Blick auf die Eigenschaft, scharlachrot zu sein und die Eigenschaft, bordeauxrot zu sein, eine Determinable. Mit Blick auf die Eigenschaft, farbig zu sein, ist die Eigenschaft, rot zu sein, hingegen eine Determinate – neben anderen Determinaten wie der Eigenschaft blau zu sein oder der Eigenschaft, grün zu sein.

Die so verstandene Relation der Determination hat einige Merkmale, die sie auf den ersten Blick gut dazu geeignet erscheinen lassen, die Beziehung zwischen physischen und mentalen Eigenschaften im nicht-reduktiven Physikalismus zu erhellen:

Determination ist erstens – allerdings mit gewissen Einschränkungen, auf die ich gleich noch eingehe – mit multipler RealisierungFootnote 104 vereinbar: Verschiedene Objekte können dieselbe Determinable instantiieren, ohne aber eine bestimmte Determinate zu teilen. Dieser Ball und jenes T-Shirt sind beide rot. Allerdings ist der Ball scharlachrot und das T-Shirt bordeauxrot. Also ist es nicht der Fall, dass Determinablen eine bestimmte Determinate necessitieren. Ebenso ist es laut der These der multiplen Realisierung nicht der Fall, dass mentale Eigenschaften eine bestimmte physische Eigenschaft necessitieren. Die Annahme, dass mentale Eigenschaften Determinablen sind, deren Determinaten physische Eigenschaften sind, scheint also zumindest vereinbar mit der multiplen Realisierung mentaler Eigenschaften zu sein.

Zweitens ist es anders herum der Fall, dass Determinaten ihre Determinable metaphysisch necessitieren: Wenn ein Objekt scharlachrot ist, dann muss es auch rot sein. Die Annahme, dass mentale Eigenschaften Determinablen mit physischen Determinaten sind, liefert also außerdem eine gute Erklärung dafür, dass physische Eigenschaften die zugehörigen mentalen Eigenschaften necessitieren. Hierdurch wird zugleich eine Erklärung dafür gegeben, dass mentale Eigenschaften auf physischen Eigenschaften supervenieren: Zwei Objekte, die sich in ihren physischen Eigenschaften gleichen, können sich in ihren mentalen Eigenschaften deshalb nicht unterscheiden, weil sie dieselben physischen Determinaten mentaler Eigenschaften haben. Schließlich können sich auch zwei scharlachrote Objekte nicht in ihrer Eigenschaft, rot zu sein, unterscheiden.

Drittens ist Determination plausiblerweise eine Relation, die ersichtlich macht, inwiefern Determinablen aufgrund von ihren Determinaten instantiiert sind. Dieser Ball ist rot, weil er scharlachrot ist. Entsprechend würde die Annahme, dass mentale Eigenschaften Determinablen mit physischen Determinaten sind, auch einen Schluss darauf erlauben, dass mentale Eigenschaften aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind.

Gegeben diese Merkmale der Determinationsrelation scheint die Annahme, dass mentale Eigenschaften Determinablen mit physischen Determinaten sind, also eine Reihe von Desiderata ontologischer Abhängigkeit im Kontext einer Formulierung des nicht-reduktiven Physikalismus auf einfache und einheitliche Weise zu erfüllen.

Auf der anderen Seite hat die Relation der Determination jedoch auch einige Merkmale, die es schwierig erscheinen lassen, die Beziehung zwischen physischen und mentalen Eigenschaften als eine Determinationsbeziehung zu verstehen:

Die Determinaten einer Determinablen sind entlang von Unterscheidungsdimensionen voneinander unterschieden, die einen Bezug zur Determinablen haben.Footnote 105 Verschiedene Rottöne unterscheiden sich mit Blick auf ihre Helligkeit oder Sättigung in ihrer Art, rot zu sein. Auch bei mentalen Eigenschaften wie Schmerz lassen sich solche Unterscheidungsdimensionen angeben, anhand derer spezifischere mentale Determinaten einer mentalen Determinablen unterschieden werden können. So können sich Schmerzen etwa in ihrer Intensität, ihrer Lokalisation oder ihrer phänomenalen Qualität unterscheiden: Intuitiv plausible mentale Determinaten der Determinablen Schmerz sind also die spezifischeren mentalen Eigenschaften, einen starken, stechenden Kopfschmerz oder einen leichten, drückenden Rückenschmerz zu haben.Footnote 106

Nun ist der hier diskutierte Vorschlag jedoch, dass mentale Eigenschaften physische Determinaten haben. Die komplexen physischen Eigenschaften, die Schmerz necessitieren, sollen Determinaten von Schmerz sein. Dies setzt nach dem eben Gesagten voraus, dass sich die verschiedenen physischen Eigenschaften, die Schmerz (in verschiedenen Lebewesen oder verschiedenen Situationen) zugrunde liegen, ebenfalls anhand von Unterscheidungsdimensionen unterscheiden lassen, die einen Bezug zu der Art und Weise haben, Schmerz zu sein. Es ist jedoch keinesfalls klar, dass die verschiedenen physischen Basen von Schmerz mit verschiedenen Arten und Weisen, Schmerz zu sein, einhergehen.

Vielmehr erlaubt die ursprüngliche Formulierung der These der multiplen Realisierung auf den ersten Blick, dass verschiedene Objekte auf genau dieselbe Art und Weise Schmerz instantiieren und dennoch verschiedene physische Basen instantiieren. Susi und Peter können beide starke, stechende Kopfschmerzen haben und dennoch verschiedene physische Basen instantiieren. Auch maximal spezifische mentale Eigenschaften können multipel realisiert sein. In diesem Fall könnten sich die unterschiedlichen physischen Basen von Schmerz gerade nicht mit Blick auf ihre Art und Weise, Schmerz zu sein, unterscheiden.Footnote 107

Natürlich ließen sich nun physische Unterscheidungsdimensionen für Schmerz stipulieren: verschiedene Arten, Schmerz zu haben, können dann nicht bloß anhand der mentalen Dimensionen ‚Intensität‘, ‚Lokalisation‘ und ‚phänomenale Qualität‘ unterschieden werden, sondern außerdem anhand einer physischen Unterscheidungsdimension, die sich aus Unterschieden der physischen Basen ergibt. Susi und Peter würden dann entgegen der oben impliziten Annahme nicht eine maximal spezifische mentale Eigenschaft teilen, weil sich Susis stechender starker Kopfschmerz von Peters stechendem starken Kopfschmerz entlang der physischen Unterscheidungsdimension unterscheidet.Footnote 108

Auch dieser Ausweg würde jedoch nahelegen, dass sich entsprechende physische Unterscheidungsdimensionen angeben lassen und dass sich die verschiedenen Basen anhand der physischen Unterscheidungsdimensionen unterscheiden lassen. Eine gewisse Geordnetheit der Klasse der physischen Basen einer mentalen Eigenschaft ist hier also vorausgesetzt. Allgemein ähneln sich die Determinaten einer Determinablen, wobei sie sich zugleich anhand der Unterscheidungsdimensionen auf spezifizierbare Weise voneinander unterscheiden. Die These, dass mentale Eigenschaften Determinablen mit physischen Determinaten sind, würde also zumindest Versionen der These multipler Realisierung ausschließen, denen zufolge die Basen mentaler Eigenschaften auf physischer Ebene auf beliebige Weise heterogen sein können.

Es bleibt also unklar, ob die Relation der Determination alles leisten kann, was im Rahmen eines nicht-reduktiven Physikalismus von einer geeigneten Relation ontologischer Abhängigkeit verlangt ist. Zumindest aber handelt es sich um einen weiteren vielversprechenden Kandidaten.

2.5.5 Mikrobasierte Eigenschaften

Die bis hierher diskutierten Relationen ontologischer Abhängigkeit haben gemeinsam, dass sie Eigenschaften, die an einem Objekt instantiiert sind, zu anderen Eigenschaften in Beziehung setzen, die an demselben Objekt instantiiert sind: Die funktionale Eigenschaft zweiter Ordnung, eine Eigenschaft zu haben, die die Schmerz Rolle hat, ist am selben Objekt instantiiert wie die realisierende Eigenschaft erster Ordnung, die die Schmerz-Rolle hat. Determinablen werden durch dieselben Objekte instantiiert wie ihre Determinaten. Und auch die oben angeführte Relation starker Supervenienz setzt voraus, dass mentale Eigenschaften an denselben Objekten instantiiert sind wie die physischen Eigenschaften in der Supervenienzbasis.

Realisierung und Determination setzen zudem eine Eigenschaft zu einer anderen Eigenschaft in Beziehung. Susis Schmerz kann zwar mal durch N1 und mal durch N2 realisiert sein. In beiden Fällen steht jedoch nur eine Eigenschaft zu Schmerz in der Realisierungsrelation. Die grundlegenden Realisierungsaussagen sind ‚N1 realisiert Schmerz‘ und ‚N2 realisiert Schmerz‘, aber nicht ‚N1 und N2 realisieren gemeinsam Schmerz‘. Entsprechendes gilt für Determination: scharlachrot und bordeauxrot determinieren jeweils rot. Sie determinieren aber nicht gemeinsam rot. In diesem Sinne sind beide Relationen eins-zu-eins Relationen.Footnote 109

Es finden sich hingegen auch Kandidaten für eine geeignete Relation ontologischer Abhängigkeit, die die mentalen und spezialwissenschaftlichen Eigenschaften eines Objekts zu mehreren physischen Eigenschaften der Teile des Objekts in Beziehung setzen. Diese ontologischen Abhängigkeitsrelationen setzen also Eigenschaften eines Objekts zu mehreren Eigenschaften anderer Objekte in Beziehung. Es handelt sich um eins-zu-viele Relationen. Mithilfe solcher Relationen kann der Idee Ausdruck verliehen werden, dass die mentalen und spezialwissenschaftlichen Eigenschaften makroskopischer Objekte ontologisch abhängen von den physischen Eigenschaften der mikroskopischen Teile, aus denen die makroskopischen Objekte zusammengesetzt sind.

Gerade bei recht restriktiven Bestimmungen der Klasse physischer Eigenschaften, die sich etwa an mikrophysikalischen Theorien orientieren, scheint eine Berufung auf solche Mikro/Makro-Relationen ontologischer Abhängigkeit unabdingbar. Denn unter dieser Voraussetzung finden sich möglicherweise schon gar keine ‚physischen‘ Eigenschaften (abgesehen vielleicht von Masse oder Ladung), die überhaupt von den Trägern mentaler Eigenschaften instantiiert werden. Die paradigmatischen Träger physischer Eigenschaften sind dann schließlich mikroskopisch, während die paradigmatischen Träger mentaler Eigenschaften makroskopisch sind.

Eine solche eins-zu-viele Relation ontologischer Abhängigkeit ist Mikro-Basiertheit. Mikrobasierte Eigenschaften sind Eigenschaften zusammengesetzter Objekte, die durch ihre Mikrostruktur charakterisiert sind. Ein Diamant hat beispielsweise die mikrobasierte Eigenschaft, vollständig aus Kohlenstoffatomen zusammengesetzt zu sein, die in bestimmten Bindungsrelationen zueinander stehen. Allgemein können mikrobasierte Eigenschaften wie folgt charakterisiert werden:

  • Mikrobasierte Eigenschaft: F ist genau dann eine mikrobasierte Eigenschaft, wenn gilt: F ist die Eigenschaft, vollständig aus distinkten Teilen a1, a2, …, an zusammengesetzt zu sein, so dass a1 die Eigenschaft F1 hat, a2 die Eigenschaft F2 hat, … und an die Eigenschaft Fn hat und a1 – an in Relation R zueinander stehen.Footnote 110

Da die mikrobasierten Eigenschaften eines makroskopischen Objekts über die Eigenschaften und Relationen der Teile des Objekts definiert sind, gibt es einen klaren Sinn, in dem mikrobasierte Eigenschaften nicht mehr als die Eigenschaften und Relationen der Teile sind, auf denen sie basieren. Auch sind mikrobasierte Eigenschaften klarerweise aufgrund der Eigenschaften instantiiert, auf denen sie basieren. Der Diamant hat die Eigenschaft, aus Kohlenstoffatomen zusammengesetzt zu sein, die in bestimmten Bindungsrelationen zueinander stehen, weil seine Teile die Eigenschaft haben, Kohlenstoffatome zu sein und in den entsprechenden Bindungsrelationen zueinander stehen. Die mikrobasierten Eigenschaften makroskopischer Objekte sind also in einem recht starken Sinne ontologisch abhängig von den (mikroskopischen) Eigenschaften, auf denen sie basieren.

Obzwar die Verbindung zwischen mikrobasierten Eigenschaften und den Mikro-Eigenschaften, auf denen sie basieren, also sehr eng ist, scheinen die Aussichten, mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften als mikrobasierte Eigenschaften aufzufassen, eher schlecht. Schon paradigmatische Makro-Eigenschaften wie Härte oder Masse sind plausiblerweise nicht mit mikrobasierten Eigenschaften identisch.Footnote 111 Denn auch für solche Eigenschaften scheint ein Pendant der These der multiplen Realisierung plausibel: Mein Schreibtisch und meine Nichte wiegen beide 20 kg. Es scheint jedoch wenig plausibel, dass sie dieselbe Zerlegung in Teile mit denselben Gewichtsanteilen haben.Footnote 112

Dennoch kann der Begriff einer mikrobasierten Eigenschaft eine wichtige Funktion erfüllen: Mikrobasierte Eigenschaften erlauben nämlich, eine Brücke zu schlagen zwischen den in 2.5.3. und 2.5.4. diskutierten eins-zu-eins Relationen ontologischer Abhängigkeit und entsprechenden eins-zu-viele Behauptungen ontologischer Abhängigkeit. Man könnte zum Beispiel sagen, dass mikrobasierte Eigenschaften als Realisierer mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften fungieren können. Die Füller der Schmerz-Rolle wären dann mikrobasierte Eigenschaften. Susis Schmerz wäre durch eine mikrobasierte Eigenschaft von Susi realisiert und der Schmerz des Oktopusses Paul durch eine andere mikrobasierte Eigenschaft von Paul. Da Schmerz dann durch die Realisierungsrelation von den entsprechenden mikrobasierten Eigenschaften ontologisch abhängt und die mikrobasierten Eigenschaften durch die Relation der Mikrobasiertheit von Mikroeigenschaften ontologisch abhängt, kann man entsprechend sagen, dass Schmerz von Mikroeigenschaften ontologisch abhängt.Footnote 113

2.5.6 Grounding

Ein weiterer Kandidat für die gesuchte Relation der ontologischen Abhängigkeit ist Grounding. Was ist Grounding?

Gelegentlich wird ‚grounding‘ schlicht als ein generischer Begriff verwendet, unter den unterschiedliche Relationen ontologischer Abhängigkeit – wie die bereits diskutierten Relationen der Realisierung und der Determination – fallen.Footnote 114 So verstanden ist es unkontrovers, dass nicht-reduktive Physikalist*innen darauf festgelegt sind, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften in physischen Eigenschaften gegroundet sind. Es handelt sich bei der These, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften in physischen Eigenschaften gegroundet sind, dann schlicht um eine Reformulierung der These der ontologischen Abhängigkeit.

Einige Autor*innen verbinden jedoch weitaus mehr mit der Grounding-Relation. Jonathan Schaffer etwa spricht Grounding als „the primitive structuring conception of metaphysics“Footnote 115 an. Hierhinter stecken die Ideen, dass es erstens eine einheitliche Relation ontologischer Abhängigkeit – Grounding – gibt, die allen philosophischen Behauptungen über ontologische Abhängigkeit, ontologische Priorität, Fundamentalität und ontologische ‘aufgrund von’-Beziehungen zugrunde liegt und dass diese Relation zweitens in dem Sinne primitiv ist, dass sie nicht unter Verwendung grundlegenderer Begriffe definiert werden kann. Kurzum: Grounding ist die einheitliche und primitive Relation ontologischer Abhängigkeit.Footnote 116

Obgleich Grounding primitiv ist und daher nicht durch grundlegendere Begriffe definiert werden kann, kann man durchaus bestimmte Merkmale der Grounding-Relation herausarbeiten und interessante Verbindungen zwischen Grounding und anderen Begriffen aufzeigen. Zu diesem Projekt ist in den vergangenen Jahren eine ausführliche und verästelte philosophische Debatte entstanden, auf die ich hier nur in den gröbsten Grundzügen eingehen kann.

Zunächst zu den Relata der Grounding-Relation: Grounding wird oft als eine Relation ausschließlich zwischen Tatsachen bestimmt.Footnote 117 Hieraus ergibt sich die Frage, wie die für den nicht-reduktiven Physikalismus ausschlaggebende Relation ontologischer Abhängigkeit, deren Relata Eigenschaften sind, als Grounding verstanden werden kann. Unter Voraussetzung einer starken Einheitlichkeitsthese, der zufolge Grounding wortwörtlich die einzige Relation ontologischer Abhängigkeit ist, würde zudem folgen, dass ausschließlich Tatsachen in ontologischen Abhängigkeitsbeziehungen stehen. Dies würde die Rekonstruktion vieler verbreiteter Thesen ontologischer Abhängigkeit erschweren.Footnote 118 Im vorliegenden Kontext ist es daher sinnvoll, eine neutrale Einstellung gegenüber den Relata der Grounding-Relation einzunehmen. Grounding kann demnach Entitäten unterschiedlichster Art miteinander verbinden. Insbesondere können auch Eigenschaften andere Eigenschaften grounden.Footnote 119

Mit Blick auf ihre formalen Merkmale wird die Grounding-Relation in der Regel wie folgt charakterisiert: Grounding ist asymmetrisch, irreflexiv und transitiv. Wenn A B groundet, dann groundet B nicht A. Nichts groundet sich selbst. Und wenn A B groundet und B C groundet, dann groundet A auch C.Footnote 120 Zudem ist Grounding laut vielen Autor*innen hyperintensional:Footnote 121 Denn die Grounding-Relation kann asymmetrisch zwischen Tatsachen bestehen, die einander necessitieren. Kit Fine gibt hierfür das folgende Beispiel:Footnote 122 Sokrates groundet die Menge {Sokrates}, deren einziges Element Sokrates ist. Die Menge {Sokrates} existiert, weil Sokrates existiert. Aber Sokrates existiert nicht deshalb, weil die Menge {Sokrates} existiert. Da Sokrates und die Menge {Sokrates} in exakt denselben möglichen Welten existieren, besteht die Grounding-Relation in diesem Falle also zwischen zwei Tatsachen, die einander necessitieren. Entsprechend bleibt der Wahrheitswert der Aussage ‘Sokrates groundet {Sokrates}’ bei Austausch von ko-intensionalenFootnote 123 Ausdrücken nicht erhalten. Denn wenn der Ausdruck ‘Sokrates’ durch den ko-intensionalen Ausdruck {Sokrates} ersetzt wird, ergibt sich die falsche Aussage ‘{Sokrates} groundet {Sokrates}’. In diesem Sinne ist Grounding hyperintensional. Außerdem ist die Grounding-Relation faktiv: daraus, dass Sokrates Existenz {Sokrates} Existenz groundet, folgt, dass sowohl Sokrates als auch {Sokrates} tatsächlich existieren. Schließlich ist Grounding nicht-monoton: Daraus, dass Sokrates Existenz die Existenz von {Sokrates} groundet, folgt nicht, dass Sokrates Existenz und Xanthippes Existenz die Existenz von {Sokrates} grounden.

Man kann partielles Grounding von vollständigem Grounding unterscheiden. Besonders einsichtig wird dies im Fall von konjunktiven Tatsachen: Der Ball ist rot und rund. Diese Tatsache ist teilweise in der Tatsache gegroundet, dass der Ball rot ist. Diese Tatsache groundet die konjunktive Tatsache jedoch nur partiell. Erst gemeinsam mit der Tatsache, dass der Ball rund ist, groundet sie die konjunktive Tatsache vollständig. Vollständiges Grounding kann entsprechend sowohl als eins-zu-eins-Relation als auch als eins-zu-viele Relation in Erscheinung treten. Es ist durchaus möglich und üblich, dass mehrere Tatsachen und Eigenschaften erst im Zusammenspiel eine andere Tatsache oder Eigenschaft vollständig grounden.Footnote 124 Daher spricht von dieser Seite auch nichts dagegen, die Beziehung zwischen den physischen Mikro-Eigenschaften eines Objekts und seinen Makro-Eigenschaften (inklusive mentaler Eigenschaften) als eine Grounding-Beziehung aufzufassen. Die Mikroeigenschaften der Teile des Objekts könnten die Makro-Eigenschaften jeweils partiell und erst im Zusammenspiel vollständig grounden. Mit Grounding geht – anders als im Fall von Realisierung und Determination – weder unbedingt einher, dass die Relation zwischen nur zwei Eigenschaften besteht noch, dass die Eigenschaften, die in der Relation stehen, am selben Objekt instantiiert sind.

Die meisten Autor*innen gehen von der folgenden Verbindung zwischen vollständigem Grounding und Necessitation aus: Dass A B metaphysisch necessitiert, ist notwendig, aber nicht hinreichend dafür, dass A B groundet. Dass Necessitation nicht hinreichend für Grounding ist, wird schon dadurch klar, dass Necessitation nicht asymmetrisch und irreflexiv ist. Jede Tatsache necessitiert sich selbst, aber keine Tatsache groundet sich selbst. Dass Necessitation notwendig für vollständiges Grounding ist, kann durch die Verbindung zwischen Grounding und der ‘aufgrund von’-Redeweise motiviert werden. Wenn eine Tatsache A eine andere Tatsache B nicht necessitiert, scheint B eben nicht alleine aufgrund von B zu bestehen.Footnote 125

Dieser kurze Überblick muss als Charakterisierung der Grounding-Relation reichen. Es stellt sich nun die Frage, ob Grounding für eine Explikation der für den nicht-reduktiven Physikalismus ausschlaggebenden These der ontologischen Abhängigkeit fruchtbar gemacht werden kann. Ermöglicht die These, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften in physischen Eigenschaften gegroundet sind, also eine überzeugende Erklärung dafür, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften auf physischen Eigenschaften supervenieren und begründet diese These, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind?

Insofern Necessitation wie oben geschildert notwendig für vollständiges Grounding ist, erklärt die These, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften durch physische Eigenschaften gegroundet sind, dass sie auf physischen Eigenschaften supervenieren. Zwei Objekte, die dieselben physischen Eigenschaften haben, instantiieren dann auch dieselben ‘Grounds’ für mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften und somit notwendigerweise auch dieselben mentalen und spezialwissenschaftlichen Eigenschaften. Es ist jedoch nicht klar, dass es eine zufriedenstellende Erklärung dafür gibt, warum ‘Grounds’ die zugehörigen gegroundeten Eigenschaften necessitieren.Footnote 126

Ähnlich verhält es sich mit der These, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind. Grounding ist per definitionem mit ‘aufgrund von’-Behauptungen verbunden. Insofern folgt aus der Behauptung, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften in physischen Eigenschaften gegroundet sind, auch, dass sie aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind. Es bleibt jedoch die Frage nach einer tieferliegende Erklärung für diese Verbindung. Warum grounden physische Eigenschaften mentale Eigenschaften?Footnote 127

Nach meiner Einschätzung können die Relationen der Realisierung, der Determination oder der Mikrobasiertheit hier durchaus mehr leisten: Wenn Schmerz beispielsweise eine funktionale Eigenschaft ist, die durch die physische Eigenschaften N1 realisiert wird, ist die Relevanz der physischen Eigenschaft N1 für die Instantiierung von Schmerz unmittelbar einsichtig. Man erkennt, was N1 genau zur Instantiierung von Schmerz beiträgt: Denn N1 spielt die benötigte kausale Rolle. Eine entsprechende Erklärung lässt sich aus der bloßen Behauptung, dass N1 Schmerz (partiell oder vollständig) groundet, jedoch nicht ableiten. Man stellt sich dann vielmehr die Frage, warum denn gerade N1 dazu in der Lage ist, Schmerz zu grounden.Footnote 128 Zu einer primitiven Grounding-Relation, die die gewünschte Verknüpfung zwischen mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaften und physischen Eigenschaften letztlich per Stipulation etabliert, sollten nicht-reduktive Physikalist*innen nach meiner Einschätzung vorerst nur dann Zuflucht nehmen, wenn die anderen Kandidaten für eine Bestimmung der gesuchten Relation der ontologischen Abhängigkeit scheitern.

Auf der anderen Seite kann die relative Unbestimmtheit der Grounding-Relation auch als Vorteil gesehen werden. Der nicht-reduktive Physikalismus kann bei Berufung auf Grounding – anders als bei einer Berufung auf Realisierung – neutral gegenüber der Frage bleiben, ob mentale Zustände ihrer Natur nach funktional sind. Anders als bei einer Berufung auf Determination ist er nicht auf ein bestimmtes Verständnis der These der multiplen Realisierung festgelegt.

Zudem ist es durchaus möglich, dass die Annahme einer einheitlichen und primitiven Grounding-Relation sich in vielen unterschiedlichen philosophischen Kontexten als fruchtbar erweist.Footnote 129 Wenn es also – unabhängig von der spezifischen Frage nach der Formulierung des nicht-reduktiven Physikalismus – sinnvoll ist, eine primitive Grounding-Relation einzuführen, ist es sicherlich naheliegend, diese auch auf die Formulierung des nicht-reduktiven Physikalismus anzuwenden.Footnote 130

2.5.7 Zwischenbilanz: Ontologische Abhängigkeit im nicht-reduktiven Physikalismus

Die Diskussion in den vergangenen Abschnitten hat gezeigt, dass nicht-reduktiven Physikalist*innen mehrere Optionen offenstehen, die These der ontologischen Abhängigkeit zu präzisieren. Zwar leistet eine bloße Berufung auf Supervenienz für sich genommen keine Erklärung für den modalen Zusammenhang zwischen physischen und mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaften. Und auch lässt sich aus dem Bestehen einer Supervenienz-Beziehung nicht schließen, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert sind. Daher sollte eine ausgearbeitete Version des nicht-reduktiven Physikalismus auf eine der gehaltvolleren Relationen Realisierung, Determination oder Grounding berufen.

Allerdings folgt hieraus nicht, dass es für die Zwecke dieser Arbeit notwendig ist, sich für eine dieser Optionen – Realisierung, Determination oder Grounding – zu entscheiden. Aus zwei Gründen ist eine neutrale Einstellung gegenüber der genauen Relation ontologischer Abhängigkeit im vorliegenden Kontext sogar vorteilhaft:

Erstens geht es mir in diesem Kapitel in erster Linie um eine neutrale Charakterisierung und Abgrenzung des nicht-reduktiven Physikalismus, nicht um eine detaillierte Entwicklung einer theoretisch einwandfreien Version des nicht-reduktiven Physikalismus. Für die detaillierte Entwicklung einer Version des nicht-reduktiven Physikalismus wäre eine Präzisierung der Relation ontologischer Abhängigkeit unabdingbar. Für eine Abgrenzung von anderen Positionen ist dies aber nicht nötig. Vielmehr reicht hierfür eine Festlegung darauf, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften von physischen Eigenschaften metaphysisch necessitiert werden.Footnote 131

Zweitens meine ich, dass die Festlegung auf eine bestimmte Relation ontologischer Abhängigkeit auch für die Hauptfragestellungen in den weiteren Teilen dieser Arbeit keine große Relevanz hat. Es ist für keine der genannten Relationen offenbar, dass sie die für den in Teil 3 der Arbeit diskutierten Vorwurf des Epiphänomenalismus ausschlaggebenden kausalen Konkurrenzintuitionen nicht entstehen lässt. Exklusionsprobleme ergeben sich daher prima facie bei jeder der genannten Relationen.Footnote 132 Und für die in Teil 4 der Arbeit diskutierten Erwiderungen auf den Vorwurf des Epiphänomenalismus, die auf verschiedenen Theorien der Kausalität beruhen, scheinen mir ebenfalls in erster Linie die modalen Verknüpfungen zwischen physischen und mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaften relevant zu sein. Die verschiedenen Ansätze zur Erklärung dieser modalen Verknüpfungen machen hingegen keinen Unterschied.

Aus meiner Sicht kann der Teil der These der ontologischen Abhängigkeit, der für eine Abgrenzung des nicht-reduktiven Physikalismus und für die weitere Argumentation der Arbeit relevant ist, also in rein modalen Begrifflichkeiten spezifiziert werden. Wichtig ist zunächst eine These der universalen Necessitation:

  • Universale Necessitation: Für jede instantiierte mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaft M gibt es eine instantiierte physischeeng Eigenschaft Pt, so dass metaphysisch notwendig gilt: Wenn Pt instantiiert ist, dann ist M instantiiert.Footnote 133

Diese These folgt nach jeder der oben besprochenen Kandidaten für die Relation der ontologischen Abhängigkeit aus der These der ontologischen Abhängigkeit. Eine physische Eigenschaft Pt, die eine mentale Eigenschaft M in diesem Sinne necessitiert, nenne ich – in Anlehnung an die in 2.5.3. diskutierte Unterscheidung zwischen totaler Realisierung und Kern-Realisierung und die in 2.5.6. diskutierte Unterscheidung zwischen partiellem und vollständigem Grounding – eine totale physische Basis für M.Footnote 134 Totale Basen für mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften werden plausiblerweise recht komplexe konjunktive oder mikrobasierteFootnote 135 physische Eigenschaften sein, in denen möglicherweise auch ein Bezug auf physische Gesetze kodiert ist. Diese necessitieren mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaften im metaphysischen Sinn von Notwendigkeit. Totale Basen lassen sich von Kernbasen unterscheiden. Kernbasen sind dabei (in irgendeinem Sinne) Bestandteile totaler Basen, die (in irgendeinem Sinne) besonders salientFootnote 136 für die Instantiierungen der zugehörigen mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaft sind. Sie necessitieren die zugehörige mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaft nicht für sich genommen, sondern nur im Verbund mit geeigneten Umständen.

Wie ich meine, ist die These der universalen Necessitation als Konsequenz der These der ontologischen Abhängigkeit hinreichend für eine neutrale und abgrenzende Charakterisierung des nicht-reduktiven Physikalismus und für die in Teil 4 skizzierten Verteidigungsstrategien gegen den Vorwurf des Epiphänomenalismus. Diese Auffassung ist damit kompatibel, dass nicht-reduktive Physikalist*innen die These der universalen Necessitation nicht unerklärt stehenlassen sollten. Eine Erklärung der These der universalen Necessitation durch eine gehaltvollere Ausdeutung der These der ontologischen Abhängigkeit ist jedoch nicht das Projekt dieser Arbeit. Meine eigene Einschätzung ist, dass die These der universalen Necessitation auf verschiedene Weisen auf eine physikalistisch akzeptable Art erklärt werden kann und so verschiedene Versionen des nicht-reduktiven Physikalismus entstehen. Zugleich sehe ich durchaus, dass es ein Problem für den nicht-reduktiven Physikalismus wäre, wenn keine Erklärung für die These der universalen Necessitation gegeben werden könnte.Footnote 137

In Anbetracht dieser Beobachtungen fahre ich daher damit fort, in einem neutralen und unspezifischen Sinne von ontologischer Abhängigkeit zu sprechen. Minimal ist mit dieser Rede von ontologischer Abhängigkeit dabei immer eine entsprechende Necessitationsbehauptung verbunden. Zudem gehe ich davon aus, dass mit ontologischer Abhängigkeit eine – wie auch immer im Detail geartete – Erklärung des angesprochenen modalen Zusammenhangs einhergeht und dass auf Grundlage von Thesen ontologischer Abhängigkeit entsprechende ‚aufgrund von‘-Behauptungen begründet werden können.

Schließlich möchte ich im Folgenden noch knapp auf zwei weitere Themen eingehen, die üblicherweise mit dem nicht-reduktiven Physikalismus und der Relation der ontologischen Abhängigkeit in Verbindung gebracht werden: Im kommenden Abschnitt geht es um Fundamentalität, im darauffolgenden Abschnitt um das Stufenmodell der Realität.

2.5.8 Ontologische Abhängigkeit und absolute Fundamentalität

Hinter der Rede von Fundamentalität steckt die Idee, dass es einige Eigenschaften gibt, die in einem absoluten Sinne grundlegend oder basal sind. Diese Eigenschaften bilden die Grundlage für alle weiteren Eigenschaften. Sie sind die Eigenschaften, die Gott laut dem illustrativen Schöpfungsmythos aus Abschnitt 2.5.1. explizit erschaffen musste. Alle weiteren Eigenschaften ergeben sich dann aus den fundamentalen Eigenschaften. Unter der Voraussetzung, dass es solche absolut fundamentalen Eigenschaften gibt, kann auch der Physikalismus unter Bezug auf Fundamentalität bestimmt werden. Er wird dann zu der These, dass alle instantiierten fundamentalen Eigenschaften physisch sind.

Zwischen dieser Idee der Fundamentalität und der Relation der ontologischen Abhängigkeit besteht offenbar ein enger Zusammenhang. Tatsächlich ist es recht naheliegend, den Begriff der Fundamentalität unter Bezug auf ontologische Abhängigkeit zu definieren.Footnote 138 Dabei gibt es zwei eng verwandte Möglichkeiten: Erstens können die fundamentalen Eigenschaften als diejenigen Eigenschaften bestimmt werden, die von keinen anderen Eigenschaften ontologisch abhängen. Fundamentale Eigenschaften werden dann dadurch herausgegriffen, dass sie nicht in bestimmten ontologischen Abhängigkeitsbeziehungen stehen. In diesem Falle können wir von Fundamentalität als Unabhängigkeit sprechen. Zweitens können fundamentale Eigenschaften aber auch als diejenigen Eigenschaften bestimmt werden, von denen alle weiteren Eigenschaften ontologisch abhängen. In diesem Falle werden die fundamentalen Eigenschaften dadurch herausgegriffen, dass sie in bestimmten ontologischen Abhängigkeitsbeziehungen zu anderen Eigenschaften stehen. Fundamentale Eigenschaften werden hier also als Elemente einer minimal vollständigen Menge von Eigenschaften verstanden, aus deren Elementen sich alle weiteren Eigenschaften ergeben. Man kann daher von Fundamentalität als Vollständigkeit sprechen.Footnote 139

Die beiden Bestimmungen führen zu Unterschieden, wenn die Relation der ontologischen Abhängigkeit einige der ihr üblicherweise zugeschriebenen Eigenschaften – insbesondere Irreflexivität, Transitivität oder Asymmetrie – nicht hat. Wenn ontologische Abhängigkeit beispielsweise nicht transitiv ist, kann es Eigenschaften geben, die von anderen Eigenschaften ontologisch abhängen und dennoch benötigt werden, damit sich weitere Eigenschaften ergeben. Schmerz könnte dann beispielsweise ausschließlich von der neuronalen Eigenschaft N1 abhängen und die neuronale Eigenschaft N1 von der physischen Eigenschaft P, ohne dass Schmerz von P abhängt. Eine minimal vollständige Menge müsste dann N1 enthalten, da Schmerz nur von N1 abhängt. Zugleich wäre N1 aber nicht unabhängig, weil sie von P abhängt.Footnote 140 Insofern ontologische Abhängigkeit aber irreflexiv, transitiv und asymmetrisch ist, laufen die Bestimmungen von Fundamentalität als Unabhängigkeit und die Bestimmung von Fundamentalität als Vollständigkeit auf dasselbe hinaus: Es zählen jeweils die genau selben Eigenschaften als fundamental.Footnote 141

Aus der These der ontologischen Abhängigkeit – alle mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaften sind von physischen Eigenschaften ontologisch abhängig – folgt nach dieser Bestimmung unmittelbar, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften nicht fundamental sind. Ich nenne im Folgenden alle nicht-fundamentalen Eigenschaften höherstufig. Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind laut dem nicht-reduktiven Physikalismus also in diesem Sinne höherstufig: Sie hängen von anderen Eigenschaften ontologisch ab. Es ergibt sich so eine ausschließende und erschöpfende Unterscheidung zwischen fundamentalen, physischen Eigenschaften auf der einen Seite und höherstufigen Eigenschaften auf der anderen Seite: Jede Eigenschaft ist entweder fundamental oder höherstufig und keine Eigenschaft ist sowohl fundamental als auch höherstufig.

Aus der These der ontologischen Abhängigkeit folgt jedoch nicht ohne weitere Annahmen, dass physische Eigenschaften fundamental sind. Dies hat zwei Gründe – und einer dieser Gründe macht eine Ergänzung zur These der ontologischen Abhängigkeit notwendig:

Erstens folgt aus der These der ontologischen Abhängigkeit nicht, dass überhaupt irgendwelche Eigenschaften absolut fundamental sind. Es wäre ja durchaus möglich, dass jede Eigenschaft von noch grundlegenderen Eigenschaften ontologisch abhängt. Es gäbe dann unendliche Ketten von immer grundlegenderen Eigenschaften, ohne dass aber je eine absolut fundamentale Eigenschaft zu finden ist.Footnote 142 Der Physikalismus scheint als solcher nicht auf die Existenz absolut fundamentaler Eigenschaften festgelegt zu sein.Footnote 143 Es ist also keine Schwäche der These der ontologischen Abhängigkeit, dass sie diese Möglichkeit offenlässt.

Zweitens aber folgt aus der These der ontologischen Abhängigkeit auch nicht, dass physische Eigenschaften ihrerseits nicht von noch grundlegenderen nicht-physischen Eigenschaften abhängen. Mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften könnten beispielsweise von physischen Eigenschaften ontologisch abhängen, während alle physischen Eigenschaften von den nicht-physischen Eigenschaften Gottes ontologisch abhängen, die wiederum fundamental sind. In einem solchen Falle wäre es wohl plausibel, dass der Physikalismus falsch ist. Will man den Physikalismus dennoch nicht auf die These festnageln, dass physische Eigenschaften absolut fundamental sind, muss man als Ergänzung zumindest verlangen, dass physische Eigenschaften ausschließlich von physischen Eigenschaften ontologisch abhängen. Selbst bei einer unendlichen Kette ontologischer Abhängigkeiten würde dann ab einem bestimmten Punkt der Bereich des Physischen nicht mehr verlassen.

Trotz dieser Komplikation gehe ich an einigen Stellen vereinfachend davon aus, dass es eine absolut fundamentale Klasse von ausschließlich physischen Eigenschaften gibt. Soweit ich sehe würde ein Wechsel zu einem Modell, in dem es eine Klasse physischer Eigenschaften gibt, die ausschließlich von anderen physischen Eigenschaften abhängen, ohne dass es aber absolut fundamentale Eigenschaften gibt, keine großen Unterschiede machen und lediglich zu umständlicheren Formulierungen führen.

2.5.9 Ontologische Abhängigkeit und das Stufenmodell der Realität

Es ist eine Sache, zu behaupten, dass physische Eigenschaften fundamental sind und alle nicht-physischen Eigenschaften höherstufig sind. Eine andere Sache ist es, auch die höherstufigen Eigenschaften ihrerseits noch einmal in eine hierarchische Ordnung zu bringen. Typischerweise operieren nicht-reduktive Physikalist*innen nicht bloß mit einer Zweiteilung aller Eigenschaften in fundamentale und höherstufige Eigenschaften. Stattdessen gehen sie davon aus, dass die Realität in zahlreiche Stufen eingeteilt ist und auch die höherstufigen Eigenschaften dabei nicht alle derselben Stufe zuzuordnen sind. Hier kommt also ein Stufenmodell der Realität ins Spiel.Footnote 144

Die Grundidee des Stufenmodells der Realität wird etwa von Ned Block passend auf den Punkt gebracht:

The family of mental properties can be used to characterize the level of psychology, the family of neurological properties can be used to characterize the level of neuroscience, the family of elementary particle properties can be used to characterize the level of elementary particle physics. These distinct branches of science and their associated families of properties plausibly form a supervenience hierarchy […]. No mental difference without a neurological difference. No neurological difference without a bio-chemical difference. No bio-chemical difference without a difference in atomic physics. No difference in atomic physics without an elementary particle difference.Footnote 145

Drei Ideen sind dabei ausschlaggebend:

Erstens lassen sich die Eigenschaften, die unterschiedlichen Stufen angehören, grob den verschiedenen Spezialwissenschaften zuordnen. Die Klasse der psychologischen Eigenschaften bildet also beispielsweise eine Stufe, die von der Stufe der neurologischen Eigenschaften unterschieden ist. Auch die Eigenschaften, die in der Physik behandelt werden, formen eine Stufe – die Stufe der physischeneng Eigenschaften.

Zweitens sind die Stufen durch eine Relation der ontologischen Abhängigkeit hierarchisch geordnet. Block geht im obigen Zitat von einer Ordnung durch die Supervenienz-Relation aus. Aber auch eine andere Relation der ontologischen Abhängigkeit – zum Beispiel Realisierung oder Determination – kann die strukturierende Funktion übernehmen. Die Idee ist also, dass mentale Eigenschaften auf einer höheren Stufe stehen als neurologische Eigenschaften, weil mentale Eigenschaften von neurologischen Eigenschaften ontologisch abhängen. Neurologische Eigenschaften stehen hingegen auf einer höheren Stufe als physischeeng Eigenschaften, weil neurologische Eigenschaften von physischeneng Eigenschaften ontologisch abhängen. Insofern physischeeng Eigenschaften dann von keinen anderen Eigenschaften ontologisch abhängen, bilden sie die niedrigste, absolut fundamentale Stufe.Footnote 146

Drittens sind die Eigenschaften, die einer Stufe angehören, nicht mit den Eigenschaften identisch, die einer anderen Stufe angehören. Mentale Eigenschaften sind beispielsweise nicht mit neurologischen Eigenschaften identisch, weil sie durch neurologische Eigenschaften multipel realisierbar sind und neurologische Eigenschaften sind nicht mit physischeneng Eigenschaften identisch, weil sie auf der Stufe physischereng Eigenschaften multipel realisierbar sind. Die Beziehung zwischen den Eigenschaften verschiedener Stufen ist also durch ontologische Abhängigkeit und multiple Realisierbarkeit gekennzeichnet.Footnote 147

Die These der ontologischen Abhängigkeit – mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften sind von physischeneng Eigenschaften ontologisch abhängig – hat für sich genommen nicht ein komplexeres Stufenmodell der Realität zur Konsequenz. Zwar folgt aus der These der ontologischen Abhängigkeit, dass mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften auf einer höheren Stufe stehen als physischeeng Eigenschaften. Es folgt aus ihr jedoch zum Beispiel nicht, dass mentale Eigenschaften auf einer höheren Stufe stehen als neurologische Eigenschaften. Ich gehe davon aus, dass auch der nicht-reduktive Physikalismus – was seine physikalistischen Verpflichtungen anbelangt – nicht auf mehr festgelegt ist als auf die These der ontologischen Abhängigkeit.Footnote 148 Das Stufenmodell der Realität ist entsprechend keine notwendige Bedingung für den nicht-reduktiven Physikalismus. Jedoch wird der nicht-reduktive Physikalismus typischerweise mit einem Stufenmodell der Realität verbunden. Daher formuliere ich auch einige Punkte in Teil 3 und Teil 4 dieser Arbeit unter Bezug auf ein Stufenmodell der Realität.Footnote 149

2.6 Verhältnisbestimmungen und Abgrenzungen

Im Folgenden soll der nicht-reduktive Physikalismus zu bestimmten anderen Thesen und Theorien in Verhältnis gesetzt werden, die häufig mit ihm in Verbindung gebracht werden. Dabei geht es auch um den Nachweis, dass der nicht-reduktive Physikalismus eine eigenständige Position ist, die von anderen Positionen klar abgegrenzt werden kann. Entgegen der Behauptung einiger Autor*innenFootnote 150 kollabiert der nicht-reduktive Physikalismus nicht unbedingt in eine andere Position.

Ich verfahre wie folgt: In Abschnitt 2.6.1. gehe ich auf das Verhältnis des nicht-reduktiven Physikalismus zu einer These der Ereignis-Identität ein, in Abschnitt 2.6.2. auf eine These der Token-Identität mit Bezug auf Eigenschaftsinstantiierungen. Abschnitt 2.6.3. geht auf das Verhältnis zum anomalen Monismus ein. Abschnitt 2.6.4. diskutiert das Verhältnis des nicht-reduktiven Physikalismus zu einer These, die ich mentalen Exzeptionalismus nenne. Abschnitt 2.6.5. geht auf die Abgrenzung des nicht-reduktiven Physikalismus von den physikalistischen Alternativen des reduktiven Physikalismus und des eliminativen Physikalismus ein. Abschnitt 2.6.6. grenzt den nicht-reduktiven Physikalismus vom nomologischen Dualismus ab. In Abschnitt 2.6.7. erläutere ich vorläufig die Beziehung zwischen dem nicht-reduktiven Physikalismus und Thesen, die den kausalen Status mentaler, spezialwissenschaftlicher und physischer Ereignisse betreffen.

2.6.1 Ereignis-Identität

Zwei der für den nicht-reduktiven Physikalismus historisch wichtigsten Aufsätze sind sicherlich Donald Davidsons ‚Mental Events‘ und Jerry Fodors ‚Special Sciences, Or: The Disunity of Science as a Working Hypothesis‘. In beiden Aufsätzen spielt eine Ereignis-Identitätsthese eine wichtige Rolle:Footnote 151

  • Ereignis-Identität: Mentale/spezialwissenschaftliche Ereignisse sind mit physischen Ereignissen identisch.

Gelegentlich finden sich in der Literatur – anknüpfend an Davidson und Fodor – Charakterisierungen des nicht-reduktiven Physikalismus, die dieser These eine wichtige Rolle zugestehen. Einige Autor*innen gehen dabei davon aus, dass bereits die Ereignis-Identitätsthese die physikalistischen Verpflichtungen des nicht-reduktiven Physikalismus hinreichend einfängt.Footnote 152 Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen Ereignis-Identität und dem nicht-reduktiven Physikalismus jedoch komplexer.

Der Gehalt der Ereignis-Identitätsthese ist wesentlich davon abhängig, welche Ontologie von Ereignissen ihr zugrunde gelegt wird. Gehen wir von Kims Konzeption von Ereignissen aus, können nicht-reduktive Physikalist*innen die Ereignis-Identitätsthese nicht akzeptieren. Wie in 2.2.2. geschildert sind Ereignisse laut Kim Instantiierungen von Eigenschaften an Objekten zu Zeitpunkten oder Zeitintervallen. Die Ereignisse [o, E, t] und [o‘, E‘, t ‘ ] sind genau dann identisch, wenn die konstitutiven Objekte o und o‘ identisch sind, die konstitutiven Zeitintervalle t und t‘ identisch sind und die konstitutiven Eigenschaften E und E‘ identisch sind. Wenn mentale Eigenschaften also nicht mit physischen Eigenschaften identisch sind, dann sind auch mentale Ereignisse – d. h. Ereignisse mit konstitutiven mentalen Eigenschaften – nicht mit physischen Ereignissen – d. h. Ereignisse mit konstitutiven physischen Eigenschaften – identisch. Unter Voraussetzung von Kims Konzeption von Ereignissen ist die Ereignis-Identitätsthese daher keine notwendige Bedingung für den nicht-reduktiven Physikalismus. Ganz im Gegenteil ist die Ablehnung der Ereignis-Identitätsthese dann eine notwendige Bedingung für den nicht-reduktiven Physikalismus. Denn eine so verstandene Ereignis-Identitätsthese wäre deutlich zu stark: Sie würde Eigenschaftsidentitäten voraussetzen, die nicht-reduktive Physikalist*innen nicht akzeptieren können.Footnote 153

Gehen wir hingegen von Davidsons Konzeption von Ereignissen aus, ist die Ereignis-Identitätsthese deutlich zu schwach, um die physikalistischen Verpflichtungen des nicht-reduktiven Physikalismus einzufangen. Bei Davidson sind Ereignisse – wie in 2.2.2. geschildert – raumzeitlich individuierte Individuen, die verschiedene EigenschaftenFootnote 154 instantiieren. Mentale Ereignisse sind dadurch ausgezeichnet, dass sie mentale Eigenschaften instantiieren und physische Ereignisse sind dadurch ausgezeichnet, dass sie physische Eigenschaften instantiieren. Dasselbe Ereignis ist also sowohl mental als auch physisch, insofern es sowohl mentale als auch physische Eigenschaften instantiiert. Die Ereignisidentitätsthese läuft entsprechend darauf hinaus, dass jedes Ereignis, das eine mentale Eigenschaft instantiiert, auch irgendeine physische Eigenschaft instantiiert. Über das Verhältnis zwischen mentalen und physischen Eigenschaften wird hier also nicht mehr gesagt, als dass beide Arten von Eigenschaften von denselben Ereignissen instantiiert werden können. Das aber ist damit kompatibel, dass mentale Eigenschaften ansonsten gänzlich unabhängig von physischen Eigenschaften sind. Aus einer so verstandenen Ereignis-Identitätsthese folgt also keine These der ontologischen Abhängigkeit in Bezug auf Eigenschaften. Eine solche ist jedoch notwendig für den nicht-reduktiven Physikalismus. Also fängt die Ereignis-Identitätsthese unter Voraussetzung von Davidsons Ereigniskonzeption die physikalistischen Verpflichtungen des nicht-reduktiven Physikalismus nicht angemessen ein.Footnote 155

Der nicht-reduktive Physikalismus ist also nicht ohne weitere Qualifikation auf eine Ereignis-Identitätsthese festgelegt. Unter der in den weiteren Teilen dieser Arbeit vorausgesetzten Ereigniskonzeption von Kim ist er im Gegenteil sogar auf eine Ablehnung der Ereignis-Identitätsthese festgelegt.Footnote 156

2.6.2 Token-Identität und Eigenschaftsinstantiierungen

Die Ereignis-Identitätsthese wird häufig auch als ‚Token-Identitätsthese‘ eingeführt.Footnote 157 Die Voraussetzung dieser Gleichsetzung ist, dass Ereignisse als ‚Token‘ und nicht als ‚Typen‘ aufgefasst werden. Diese Voraussetzung scheint jedoch sowohl bei Kims als auch bei Davidsons Ereigniskonzeption gegeben zu sein: Schließlich sind Ereignisse in beiden Konzeptionen nicht wiederholbar. Es handelt sich also um konkrete Vorkommnisse (oder ‚Token‘) und nicht um Kategorien (oder ‚Typen‘), unter die verschiedene konkrete Vorkommnisse fallen können. Bei Davidson liegt das an der raumzeitlichen Individuierung von Ereignissen, bei Kim an dem Verweis auf ein konstitutives Zeitintervall.

Die Ereignis-Identitätsthese ist jedoch nicht die einzige mögliche Entwicklung einer Token-Identitätsthese. Denn die Type/Token-Unterscheidung lässt sich plausiblerweise auch auf Eigenschaften anwenden. So lassen sich Eigenschaften als Typen von ihren konkreten Instantiierungen als Token unterscheiden. Es gibt beispielsweise die Eigenschaft, rot zu sein, und verschiedene Instantiierungen dieser Eigenschaft an einem roten Ball und einem roten Hemd usw. Vor diesem Hintergrund vertreten einige Autor*innen eine These der Nicht-Identität in Bezug auf Eigenschaften in Kombination mit einer Identitätsthese in Bezug auf konkrete Eigenschaftsinstantiierungen: Konkrete mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaftsinstantiierungen sind mit physischen Eigenschaftsinstantiierungen identisch, ohne dass die zugehörigen mentalen und spezialwissenschaftlichen Eigenschaften mit physischen Eigenschaften identisch sind.Footnote 158

Eine solche Position kann innerhalb des nicht-reduktiven Physikalismus nach meiner Einschätzung durchaus konsistent vertreten werden. Prima facie spricht nichts dagegen, dass diese Position mit einem Realismus in Bezug auf mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaften und einer These der ontologischen Abhängigkeit vereinbart werden kann. Es hängt in ihrer Entwicklung jedoch einiges davon ab, wie das Verhältnis zwischen Eigenschaften und Eigenschaftsinstantiierungen bestimmt wird. Insbesondere muss ein und dieselbe Eigenschaftsinstantiierung eine Instantiierung mehrerer Eigenschaften sein können.Footnote 159 Es ist zumindest nicht unmittelbar einsichtig, wie dies sein kann. Denn naheliegend scheint es zunächst, Eigenschaftsinstantiierungen unter Bezug auf die Eigenschaften, deren Instantiierung sie sind, zu individuieren. Pro Eigenschaft, die zu einem Zeitpunkt an einem Objekt instantiiert ist, gibt es dann eine Eigenschaftsinstantiierung an diesem Objekt.Footnote 160

Auch wenn also eine solche Token-Identitätstheorie innerhalb der Grenzen des nicht-reduktiven Physikalismus entwickelt werden kann, ist es keinesfalls plausibel, dass der nicht-reduktive Physikalismus auf eine solche Token-Identitätstheorie festgelegt ist. Denn wenn mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaften von physischen Eigenschaften in einem hinreichend starken Sinne ontologisch abhängen, besteht auch ein entsprechender enger Zusammenhang zwischen den einzelnen Instantiierungen mentaler/spezialwissenschaftlicher Eigenschaften und den Instantiierungen ihrer physischen Basen. Und dieser Zusammenhang dürfte bereits für die physikalistischen Verpflichtungen des nicht-reduktiven Physikalismus in Bezug auf Eigenschaftsinstantiierungen ausreichen. Eine Identitätsthese in Bezug auf Eigenschaftsinstantiierungen muss also nicht vertreten werden.Footnote 161

2.6.3 Anomaler Monismus

Auch Donald Davidsons anomaler MonismusFootnote 162 beruft sich an zentraler Stelle auf eine Ereignis-Identitätsthese. Dies macht den ‚monistischen‘ Teil des anomalen Monismus aus: Alle Ereignisse sind physisch. Wie schon in Abschnitt 2.6.1. diskutiert, ist diese These in Davidsons Verständnis jedoch zu schwach, um eine substantielle Verpflichtung des nicht-reduktiven Physikalismus auszudrücken. Dass alle Ereignisse – inklusive jener Ereignisse, die mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaften haben – auch physische Eigenschaften haben, ist damit kompatibel, dass mentale/spezialwissenschaftliche Eigenschaften beliebig unabhängig von physischen Eigenschaften sind. Es lässt sich jedoch noch mehr über das Verhältnis zwischen dem anomalen Monismus und dem nicht-reduktiven Physikalismus sagen. Aus verschiedenen Gründen stellt sich der anomale Monismus als eigenständige Position heraus, die nicht mit dem nicht-reduktiven Physikalismus verwechselt werden sollte.

Erstens beruht Davidsons Position auf einem recht radikalen Nominalismus: (Spärliche) Eigenschaften spielen in Davidsons Ontologie schlicht keine Rolle – ganz gleich, ob sie in einer nominalistisch akzeptablen Weise durch z. B. objektive Ähnlichkeitsrelationen oder in einer universalienrealistischen Weise aufgefasst werden. Eigenschaften gehören nicht zum Inventar von Davidsons Ontologie. Stattdessen gibt es nur Ereignisse und Objekte, die auf vielfältige Weisen sprachlich beschrieben werden können.Footnote 163 Wir haben ein Rohmaterial aus partikularen Objekten und Ereignissen und zahlreiche Möglichkeiten zur Beschreibung dieses Rohmaterials. Wir haben aber keine ‚vermittelnde‘ Entität in der Form von Universalien oder objektiven Ähnlichkeiten, die erklären würde, warum bestimmte Beschreibungen auf bestimmte partikulare Ereignisse oder Objekte zutreffen.Footnote 164

Dieser nominalistische Hintergrund hat unter anderem die Konsequenz, dass die Klassifizierung von Ereignissen als physische Ereignisse oder mentale Ereignisse keine große ontologische Tragweite hat. Oben habe ich gesagt, dass ein Ereignis laut Davidson physisch ist, wenn es eine physische Eigenschaft hat und mental ist, wenn es eine mentale Eigenschaft hat. Zieht man den Nominalismus hinzu, laufen diese Bestimmungen darauf hinaus, dass ein Ereignis physisch ist, wenn man es physisch beschreiben kann und mental ist, wenn man es mental beschreiben kann. Dass man Ereignisse so beschreiben kann, hat nach Davidson jedoch nichts mit irgendwelchen substantiellen metaphysischen Merkmalen der Ereignisse zu tun. Dass alle Ereignisse physisch sind, ist dann mehr eine These über unsere Repräsentation der Welt als eine These über die Natur der Welt. Davidson könnte daher wohl treffender als neutraler Monist denn als Physikalist charakterisiert werden.Footnote 165

Wenn man diesen radikalen Nominalismus für einen Moment ignoriert und Davidson so deutet, als rede er auch über Eigenschaften, denen irgendetwas in der Realität entspricht – seien es Universalien oder objektive Ähnlichkeiten – dann ergibt sich eine Position, die aus anderen Gründen nicht zum nicht-reduktiven Physikalismus passt: Denn eine metaphysisch notwendige Abhängigkeit mentaler Eigenschaften von physischen Eigenschaften verbietet sich bei Davidson aufgrund seiner Ablehnung physiopsychischer Gesetze. Diese macht den ‚anomalen‘ Teil des anomalen Monismus aus. Ein ontologisch (eigenschaftsrealistisch) gewendeter Davidson würde also den hier skizzierten nicht-reduktiven Physikalismus zugunsten einer stärker dualistischen oder emergentistischen Position ablehnen.Footnote 166

2.6.4 Mentaler Exzeptionalismus: Haben mentale Eigenschaften einen Sonderstatus?

Als ‚mentalen Exzeptionalismus‘ möchte ich hier die These bezeichnen, dass mentale Eigenschaften mit Blick auf ihre ontologische Beziehung zu physischen Eigenschaften einen Sonderstatus im Vergleich mit anderen höherstufigen Eigenschaften haben. Laut dem mentalen Exzeptionalismus ist die Unterscheidung zwischen mentalen Eigenschaften auf der einen Seite und allen anderen höherstufigen Eigenschaften und den basalen physischen Eigenschaften auf der anderen Seite wichtiger und ontologisch ernster als die Unterscheidung zwischen allen höherstufigen (inklusive mentaler) Eigenschaften auf der einen Seite und den basalen physischen Eigenschaften auf der anderen Seite.

Es ist wichtig zu sehen, dass der nicht-reduktive Physikalismus nicht mit einem so verstandenen mentalen Exzeptionalismus einhergeht. Denn ein Sonderstatus mentaler Eigenschaften im nicht-reduktiven Physikalismus (im Vergleich zu spezialwissenschaftlichen Eigenschaften) ist eigentlich nicht zu haben. Die Argumente, die von nicht-reduktiven Physikalist*innen für eine Nicht-Identität mentaler Eigenschaften mit physischen Eigenschaften angeführt werden, sprechen auch für eine Nicht-Identität spezialwissenschaftlicher Eigenschaften mit physischen Eigenschaften (multiple Realisierung). Die Argumente, die für eine Auszeichnung mentaler Eigenschaften vor spezialwissenschaftlichen Eigenschaften sprechen (Qualia, Anomalie des Mentalen) sprechen zugleich gegen eine hinreichend enge Abhängigkeit mentaler Eigenschaften von physischen Eigenschaften und somit für einen genuinen Dualismus.

Innerhalb des Stufenmodells haben mentale Eigenschaften also keinen (oder zumindest nicht zwangsläufig einen) Sonderstatus. Ebenso wie zum Beispiel biologische und chemische Eigenschaften sind sie nicht mit physischen Eigenschaften identisch, weil sie auf physischer Ebene multipel realisiert sind. Die Unterscheidung zwischen fundamentalen, physischeneng Eigenschaften auf der einen Seite und höherstufigen Eigenschaften auf der anderen Seite ist also wichtiger als die Unterscheidung zwischen mentalen Eigenschaften auf der einen Seite und allen anderen Eigenschaften auf der anderen Seite.

2.6.5 Reduktiver und eliminativer Physikalismus

Hinsichtlich des reduktiven Physikalismus gilt es zunächst, zwei Versionen zu unterscheiden, die auf unterschiedliche Weisen vom nicht-reduktiven Physikalismus abgegrenzt sind:

Erstens gibt es Identitätstheorien.Footnote 167 Diese gehen von der Existenz spärlicher mentaler Eigenschaften aus und identifizieren sie mit physischen Eigenschaften. Von diesen Theorien ist der nicht-reduktive Physikalismus durch die These der Nicht-Identität abgegrenzt. In Bezug auf die These des Realismus können sich nicht-reduktive Physikalist*innen und Identitätstheoretiker*innen hingegen einig sein: Es gibt spärliche mentale Eigenschaften, die als Wahrmacher alltagspsychologischer Aussagen dienen. Identitätstheoretiker sind zugleich auf die Ablehnung jeder Form von multipler Realisierung festgelegt: Mentale Eigenschaften müssen mit den physischen Eigenschaften, mit denen sie identifiziert werden, notwendig ko-instantiiert sein.

Zweitens gibt es reduktive Physikalist*innen, die multiple Realisierung anerkennen und somit in gewisser Weise auch Eigenschaftsidentitäten ablehnen.Footnote 168 Diesen Versionen des reduktiven Physikalismus liegt letztlich eine Ablehnung des ontologischen Realismus in Bezug auf mentale Eigenschaften zugrunde: Es gibt keine (spärlichen) mentalen Eigenschaften, die als Wahrmacher alltagspsychologischer Aussagen fungieren. Stattdessen kommen wahre alltagspsychologische Aussagen ohne mentale Wahrmacher aus. Sie werden stattdessen von physischen Eigenschaften wahrgemacht. Diese Versionen des reduktiven Physikalismus sind also zugleich auf eine Ablehnung des starken semantischen Realismus festgelegt. Die Festlegungen auf eine Ablehnung des ontologischen Realismus und des starken semantischen Realismus unterscheiden sie vom nicht-reduktiven Physikalismus.

Eliminative Physikalist*innenFootnote 169 schließlich sehen keinen Bedarf für Wahrmacher alltagspsychologischer Aussagen, weil sie diese Aussagen für falsch halten. Sie können daher an einem starken semantischen Realismus festhalten. Sie sind durch die Ablehnung des ontologischen Realismus sowie die für sie spezifische These der Falschheit alltagspsychologischer Aussagen ausgezeichnet.

Diese knappe Diskussion zeigt bereits, dass der nicht-reduktive Physikalismus durch die spezifische Kombination der These des Realismus und der These der Nicht-Identität klar von anderen physikalistischen Positionen abgegrenzt ist. Der nicht-reduktive Physikalismus kollabiert nicht in eine andere Version des Physikalismus.Footnote 170

2.6.6 Naturalistischer Dualismus

Dualistische Theorien mentaler Eigenschaften teilen mit dem nicht-reduktiven Physikalismus die folgenden nicht-reduktiven Kernthesen in Bezug auf mentale Eigenschaften: Mentale Eigenschaften sind real und nicht mit physischen Eigenschaften identisch.Footnote 171 Jedoch lehnen sie die These der ontologischen Abhängigkeit ab: Laut dem Dualismus sind mentale Eigenschaften nicht alleine aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert. Sie sind ‚mehr als‘ physische Eigenschaften. Und in der dualistischen Version des fiktiven Schöpfungsmythos musste Gott neben der Verteilung der physischen Eigenschaften auch noch die mentalen Eigenschaften verteilen. Mentale Eigenschaften sind laut dem Dualismus nicht in einer physikalistisch akzeptablen Weise von physischen Eigenschaften ontologisch abhängig.

Zugleich ist der Dualismus nicht darauf festgelegt, dass mentale Eigenschaften vollkommen losgelöst von physischen Eigenschaften sind. Vielmehr sieht die vielleicht plausibelste Version des Dualismus – der naturalistische DualismusFootnote 172 – durchaus einen engen Zusammenhang zwischen mentalen und physischen Eigenschaften. Nur ist der behauptete Zusammenhang eben nicht so eng wie im nicht-reduktiven Physikalismus. Wie lässt sich diese Trennung präzisieren?

Üblich und plausibel ist eine Abgrenzung über die modale Stärke der Abhängigkeitsrelation:Footnote 173 Wie in 2.5.7. geschildert, ist der nicht-reduktive Physikalismus auf eine These der universalen metaphysischen Necessitation festgelegt: Jede instantiierte mentale Eigenschaft wird durch eine instantiierte physische Eigenschaft mit metaphysischer Notwendigkeit necessitiert. In allen metaphysisch möglichen Welten, in denen eine totale physische Basis der mentalen Eigenschaft M instantiiert ist, ist auch M instantiiert. Naturalistische Dualisten können eine modal schwächere Necessitationsthese akzeptieren: Jede instantiierte mentale Eigenschaft wird durch eine instantiierte physische Eigenschaft mit nomologischer Notwendigkeit necessitiert. In allen Welten, in denen eine totale physische BasisDFootnote 174 von M instantiiert ist und in der dieselben Naturgesetze gelten wie in der aktualen Welt, ist M instantiiert.

In 2.5.7 habe ich auch darauf hingewiesen, dass eine totale physische Basis für eine mentale Eigenschaft im nicht-reduktiven Physikalismus recht komplex sein kann und insbesondere einen Verweis auf physische Naturgesetze beinhalten könnte. Damit es sich um eine totale physische Basis handelt, sollten solche Verweise aber auch auf physische Naturgesetze beschränkt bleiben. Eine totale physische Basis für Schmerz könnte – wenn ein Verweis auf physische Gesetze benötigt wirdFootnote 175 – eine komplexe Eigenschaft der folgenden Art sein: ‚ein C-Faser-FeuernFootnote 176 in der richtigen physischen Umgebung unter Gelten der relevanten physischen Naturgesetze sein‘. Nicht-reduktive Physikalist*innen können dann behaupten, dass diese totale physische Basis Schmerz metaphysisch necessitiert. Naturalistische Dualisten würden diese Behauptung ablehnen.

Denn – so die Idee – die physischen Naturgesetze, auf die in der Spezifikation der totalen Basis verwiesen wird, sind für die Instantiierung der mentalen Eigenschaft nicht direkt relevant. Die mentale Eigenschaft ergibt sich erst aufgrund eines zusätzlichen, nicht rein-physischen Naturgesetzes. Ein solches physisch-mentales Gesetz wird die Instantiierung einer physischen Eigenschaft gesetzesmäßig mit der Instantiierung der zugehörigen mentalen Eigenschaft verknüpfen. Die Idee ist hier also, dass es neben physischen Gesetzen auch noch grundlegende physisch-mentale Gesetze gibt. In metaphysisch möglichen Welten, in denen diese physisch-mentalen Gesetze nicht gelten, kann die totale BasisD einer mentalen Eigenschaft ohne die zugehörige mentale Eigenschaft instantiiert sein. Die totale BasisD geht also nur in allen Welten, in denen dieselben Naturgesetze (inklusive der physisch-mentalen Gesetze) gelten wie in der aktualen Welt, mit der zugehörigen mentalen Eigenschaft einher. Deshalb ist die Necessitation im naturalistischen Dualismus nur mit nomologischer und nicht mit metaphysischer Notwendigkeit verbunden.Footnote 177

Der Abgrenzung des nicht-reduktiven Physikalismus vom naturalistischen Dualismus über die modale Stärke der Necessitationsbehauptung liegt also eine These über die Existenz verschiedener Arten von grundlegenden Naturgesetzen zugrunde. Während nicht-reduktive Physikalist*innen meinen, dass alle grundlegenden NaturgesetzeFootnote 178 physisch sind, glauben naturalistische Dualisten an zusätzliche grundlegende physisch-mentale Naturgesetze.

Gegen die Abgrenzung des nicht-reduktiven Physikalismus vom naturalistischen Dualismus über die modale Stärke der Necessitationsbehauptung gibt es zwei Einwände, die ich im Folgenden noch kurz diskutieren möchte:

Erstens bricht die Unterscheidung über die modale Stärke der Necessitationsbehauptung zusammen, wenn die aktualen Naturgesetze metaphysisch notwendig sind.Footnote 179 Unter dieser Voraussetzung fällt die Menge der metaphysisch möglichen Welten mit der Menge der nomologisch möglichen Welten zusammen. Sowohl naturalistische Dualist*innen als auch nicht-reduktive Physikalist*innen würden dann eine metaphysische Necessitationsthese vertreten.

In Erwiderung auf diesen Einwand kann man darauf verweisen, dass es – selbst unter der Voraussetzung, dass die aktualen Naturgesetze metaphysisch notwendig sind – noch immer einen Unterschied zwischen naturalistischem Dualismus und nicht-reduktivem Physikalismus mit Blick auf die Frage gibt, was die aktualen Naturgesetze sind. Naturalistische Dualist*innen behaupten die Existenz grundlegender physisch-mentaler Naturgesetze, während nicht-reduktive Physikalist*innen diese Behauptung ablehnen. Wenn die aktualen Naturgesetze metaphysisch notwendig sind, muss der nicht-reduktive Physikalismus also durch die für den naturalistischen Dualismus spezifische These der Existenz grundlegender physisch-mentaler Naturgesetze abgegrenzt werden.

Zweitens ist die These der metaphysischen Necessitation für sich genommen wohl nicht stark genug, um die für den nicht-reduktiven Physikalismus ausschlaggebenden ‚aufgrund von‘ und ‚nicht mehr als‘-Thesen zu begründen. Dies eröffnet die prinzipielle Möglichkeit einer Position, die die metaphysische Necessitationsthese akzeptiert und die entsprechenden ‚aufgrund von‘- und ‚nicht mehr als‘-Thesen ablehnt. Obgleich mentale Eigenschaften dann von physischen Eigenschaften metaphysisch necessitiert werden, sind sie dennoch mehr als physische Eigenschaften und nicht aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert. Eine solche (gedachte) Position kann als ‚Necessitations-Dualismus‘ bezeichnet werden. Das Problem besteht dann darin, dass sich der nicht-reduktive Physikalismus nicht vom Necessitations-Dualismus abgrenzen kann.Footnote 180

Zwei Erwiderungen sind hier aussichtsreich:

Erstens ist es keine ausgemachte Sache, dass der Necessitationsdualismus eine konsistente Position ist. Die Betonung des ‚Neuen‘ mentaler Eigenschaften müsste erst einmal auf überzeugende Weise mit der Necessitationsthese in Einklang gebracht werden. Die bekannten Gegenbeispiele gegen die Verbindung von Necessitation und ‚aufgrund von‘- oder ‚nicht mehr als‘-Behauptungen betreffen z. B. Selbstnecessitation (A necessitiert A, aber ist nicht aufgrund von A instantiiert) oder notwendig instantiierte Eigenschaften (Die Eigenschaft, rot-oder-nicht-rot zu sein, wird trivialerweise von jeder beliebigen Eigenschaft necessitiert, ist aber nicht trivialerweise aufgrund von jeder beliebigen Eigenschaft instantiiert). Diese beiden Sorten von Gegenbeispielen funktionieren mit Bezug auf mentale Eigenschaften sicherlich nicht. Mentale Eigenschaften können im Rahmen eines Necessitations-Dualismus nicht mit physischen Eigenschaften identisch sein. Ein Fall von Selbstnecessitation liegt also nicht vor. Auch sind mentale Eigenschaften nicht notwendig instantiiert. Auch dieser Grund steht also nicht zur Verfügung, um die These zu untermauern, dass mentale Eigenschaften von physischen Eigenschaften necessitiert werden und dennoch nicht aufgrund von physischen Eigenschaften instantiiert werden.Footnote 181

Sollte dieser Erwiderung nicht zufriedenstellen, können nicht-reduktive Physikalist*innen zwecks Abgrenzung vom Necessitations-Dualismus zweitens zu einer der substantielleren Relationen ontologischer Abhängigkeit aus Abschnitt 2.5. Zuflucht nehmen. Insofern diese Relationen – Realisierung, Determination, oder Grounding – die gesuchten ‚aufgrund von‘ und ‚nicht mehr als‘-Behauptungen begründen können, werden sie von Necessitations-Dualist*innen in jedem Falle abgelehnt.

Insoweit die Argumentation dieser Arbeit betroffen ist, gilt es noch folgende Anmerkung zu machen: Wenn es tatsächlich dualistische Positionen gibt, die die metaphysische Necessitationsthese akzeptieren können, dann sitzen diese Versionen des Dualismus mit Blick auf den Vorwurf des Epiphänomenalismus mit dem nicht-reduktiven Physikalismus im selben Boot. Denn Schlüssel zu einer überzeugenden Erwiderung auf den Vorwurf des Epiphänomenalismus ist nach der vorliegenden Argumentation die Necessitationsthese und nicht eine darüber hinausgehende erklärende Beziehung ontologischer Abhängigkeit. Der Grundgedanke dabei ist, dass es in kausalen Kontexten in erster Linie auf modale Verknüpfungen ankommt und nicht so sehr auf die Erklärung der modalen Verknüpfung.

2.6.7 Nicht-reduktiver Physikalismus und Positionen zum Status mentaler und physischer Verursachung

Ich habe den nicht-reduktiven Physikalismus in diesem Teil gänzlich ohne Bezug auf kausale Thesen bestimmt. Dies ist eher ungewöhnlich. In der Literatur finden sich häufig Definitionen des nicht-reduktiven Physikalismus, die eine oder beide der folgenden Thesen als notwendige Bedingungen für den nicht-reduktiven Physikalismus anführen:Footnote 182

  • Mentale/spezialwissenschaftliche Verursachung: Mentale/spezialwissenschaftliche Ereignisse sind Ursachen für physische und andere mentale/spezialwissenschaftliche Ereignisse.

  • Kausale Geschlossenheit: Physische Ereignisse haben hinreichende physische Ursachen (insofern sie überhaupt hinreichende Ursachen haben).

Beide Thesen werden in Teil 3 dieser Arbeit natürlich noch ausführlich behandelt. Ich möchte an dieser Stelle jedoch kurz erklären, warum ich sie nicht als notwendige Bedingungen für den nicht-reduktiven Physikalismus auffasse. Ich habe hierfür im Wesentlichen drei Gründe:

Erstens: Ich sehe den nicht-reduktiven Physikalismus in erster Linie als eine Position zum ontologischen Status mentaler/spezialwissenschaftlicher Eigenschaften und ihrem (nicht-kausalen) Verhältnis zu physischen Eigenschaften. Als solcher muss er sich von Alternativen wie dem Dualismus und dem reduktiven oder eliminativen Physikalismus abgrenzen. Wie in den letzten Abschnitten deutlich wurde, ist diese Abgrenzung möglich, ohne auf die genannten kausalen Thesen zu verweisen. Der Kern des nicht-reduktiven Physikalismus wird daher besser ohne Verweis auf die kausalen Thesen eingefangen.

Zweitens: Ich sehe keinen Grund, warum der nicht-reduktive Physikalismus mit einem Skeptizismus mit Blick auf Kausalität in der Physik oder gar mit einem allgemeinen Kausalitätsskeptizismus inkompatibel sein sollte. Die Überlegungen, die für eine dieser Positionen sprechen, haben mit dem Verhältnis zwischen mentalen/spezialwissenschaftlichen Eigenschaften und physischen Eigenschaften nicht viel zu tun. Wer sich beispielsweise von Ernst Machs oder Betrand Russells Argumenten für die Elimination kausalen Vokabulars aus der Physik überzeugen lässt, wird die These der kausalen Geschlossenheit ablehnen.Footnote 183 Wer Kausalität begrifflich an notwendige Verknüpfung zwischen distinkten Ereignissen bindet und solche notwendigen Verknüpfungen als gute Humeaner*in ablehnt, wird auch die These der mentalen/spezialwissenschaftlichen Verursachung ablehnen. Es ist jedoch nicht zu sehen, weshalb solche Überlegungen zu einer Ablehnung des nicht-reduktiven Physikalismus als einer Position über den Status mentaler/spezialwissenschaftlicher Eigenschaften in einer physischen Welt führen sollten.

Drittens: Die Trennung des Kerns des nicht-reduktiven Physikalismus von den genannten kausalen Thesen erlaubt eine bessere Aufteilung des logischen Raumes von Positionen. Denn die Frage nach dem ontologischen Status mentaler und spezialwissenschaftlicher Eigenschaften ist – zumindest auf den ersten Blick – logisch unabhängig von der Frage, in welche Kausalbeziehungen mentale und spezialwissenschaftliche Eigenschaften eintreten. Eine Unterscheidung zwischen epiphänomenalistischen, parallelistischen und interaktionistischen Positionen, die sich an der Frage nach der kausalen Rolle mentaler Eigenschaften orientiert, kann deshalb sowohl innerhalb von dualistischen als auch innerhalb von (reduktiven oder nicht-reduktiven) physikalistischen Positionen getroffen werden.Footnote 184 Ein epiphänomenalistischer nicht-reduktiver Physikalismus ist ebenso möglich wie ein interaktionistischer oder ein parallelistischer nicht-reduktiver Physikalismus. Es gibt keinen Grund, den epiphänomenalistischen nicht-reduktiven Physikalismus schon durch die Definition des Ausdrucks ‚nicht-reduktiver Physikalismus‘ auszuschließen. Und es wäre begrifflich umständlicher, wenn man eine Position, die die hier vorausgesetzten Kernthesen vertritt aber die Existenz mentaler Verursachung ablehnt, neu benennen müsste, weil der Begriff ‚nicht-reduktiver Physikalismus‘ definitionsbedingt nicht auf sie zutrifft.